Massnahmen zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mitTyp-2-Diabetes-mellitus
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EMPFEHLUNGEN Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55 50 Massnahmen zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Typ-2-Diabetes-mellitus Consensus statement der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und der Diabetologie (SGED) Kommentar Schweizer Experten zu den Empfehlungen der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD). Jacques Philippe, Michael Brändle, Jacques Carrel, Peter Diem*, Ulrich Keller, François Kuntschen, Juan Ruiz, Matthias Stahl, Benno Weissenberger, Giatgen A. Spinas Vorwort möglich, da die Datenlage bezüglich der Prävention Diabetes-bezogener Langzeitkomplikationen un- Die Amerikanische Diabetesgesellschaft (ADA) genügend ist. Zudem scheinen vorteilhafte Effekte und die Europäische Gesellschaft für Diabetes- in diesem Zusammenhang primär mit dem Aus- forschung (EASD) haben im August 2006 erstmals mass der erzielten Blutzuckersenkung zu korre- gemeinsame Empfehlungen zur Behandlung des er- lieren. So konnte die UKPDS-Studie [4], in der drei höhten Blutzuckers beim Typ-2-Diabetes veröffent- Klassen von blutzuckersenkenden Medikamenten licht. Diese liegen in Form eines Algorithmus für den (Sulfonylharnstoffe, Metformin oder Insulin) mit- Beginn und die Anpassung der Therapie vor [1, 2]. einander verglichen wurden, keine eindeutige Eine Schweizer Expertengruppe, bestehend aus Überlegenheit einer Substanz gegenüber den an- den Verantwortlichen für die Diabetologie der deren belegen, mit Ausnahme von Metformin für fünf Universitätsspitäler, aus Vertretern regionaler die kardiovaskulären Komplikationen. Spitäler und niedergelassenen Spezialisten kom- Die Auswahl bestimmter Antidiabetika basiert mentiert nachfolgend die Empfehlungen und passt somit in erster Linie auf ihrer blutzuckersenken- sie an das Schweizer Umfeld an. den Wirksamkeit, weiteren Eigenschaften, die sich Die verfügbare Evidenz im Bereich der Diabeto- positiv auf Langzeitrisiken auswirken können, ih- logie weist Grenzen auf. Daher kommt auch Ex- rem Sicherheitsprofil, der Verträglichkeit und den pertenmeinungen eine wesentliche Bedeutung zu. Therapiekosten. Die ausgewogene Zusammensetzung der Schwei- Nichtglykämische Effekte der Antidiabetika: Neben zer Expertengruppe gewährleistet zudem eine dif- unterschiedlichen glykämischen Effekten ist auch ferenzierte Haltung gegenüber den angesproche- ein Einfluss auf kardiovaskuläre Risikofaktoren nen antidiabetischen Massnahmen. wie eine Hypertonie oder Dyslipidämie von klini- Der Beitrag gliedert sich in drei Teile. Abschnitt I scher Relevanz. Darüber hinaus sollten Faktoren be- fasst die ADA/EASD-Empfehlungen kurz zusam- achtet werden, welche die langfristige Blutzucker- men, Abschnitt II beinhaltet die Schweizer Kom- einstellung beeinflussen. Beispiele hierfür sind mentare. Der ergänzende Abschnitt III widmet sich Veränderungen des Körpergewichts, der Insulin- der Aufklärung und der Eigenverantwortung der resistenz oder der Insulinsekretionsfähigkeit. Patienten (Empowerment). 3. Änderung des Lebensstils – Lifestyle-Modifikation I. Zusammenfassung der Empfehlungen Die positive Beeinflussung des Lebensstils verbes- von ADA und EASD sert beim Diabetespatienten die Blutzuckerkon- trolle und wirkt sich günstig auf den Blutdruck und 1. Ziele der Blutzuckerkontrolle den Lipidstoffwechsel aus. Eine zentrale Rolle spie- Mehrere kontrollierte Studien an Typ-1- und len dabei die Körpergewichtsreduktion mittels Typ-2-Diabetikern haben zur Etablierung von einer ausgewogenen, kalorienreduzierten Ernäh- Zielen bei der Blutzuckereinstellung beigetragen rung und die vermehrte körperliche Aktivität. Der [3–7]. Diese resultieren in einer verbesserten Prä- Gewichtsverlust ist oftmals nicht anhaltend; aus vention von Langzeitkomplikationen. Die durch diesem Grund ist auch der günstige Effekt der die ADA/EASD empfohlene Einstellung liegt «im Lebensstiländerung auf die Blutzuckerkontrolle Allgemeinen» bei einem HbA1c-Wert
EMPFEHLUNGEN Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55 51 reduktion zur Zeit nicht als primäre Behandlung 5. Beginn und Anpassung der Therapie des Diabetes mellitus empfohlen werden. Die Therapie sollte, wenn immer möglich, unter am- bulanten Bedingungen eingeleitet und angepasst werden (Ausnahme: bei hyperglykämischer Ent- 4. Medikamente gleisung, d.h. hyperosmolare Hyperglykämie oder In der Tabelle 1 p sind die Eigenschaften der zur- selten Ketoazidose bei Typ-2-Diabetes-mellitus). zeit verfügbaren Antidiabetika mit ihren Vor- und Wichtig ist eine gründliche Schulung des Patienten. Nachteilen übersichtlich dargestellt. Neue Antidia- Die individuell anzupassende Blutzuckerselbst- betika werden im Hinblick auf die Verfügbarkeit in messung ist eine wichtige Voraussetzung für eine der Schweiz in Abschnitt II.4 detaillierter vorgestellt. erfolgreiche Behandlung – v.a. beim Einsatz oder Die Wahl der Substanzklasse hängt vor allem von der Dosisanpassung von Substanzen, die eine der Stoffwechseleinstellung ab. Ist diese schlecht Hypoglykämie verursachen können (Sulfonylharn- (d.h. ein HbA1c >8,5%), sind Antidiabetika mit einer stoffe, Glinide, Insulin). In der Regel korrelieren stärkeren und rascheren Glukosesenkung sowie mehrmals wöchentlich erhobene Glukosewerte eine frühzeitige Kombinationstherapie zu empfeh- gut mit dem HbA1c-Wert. Bei Nüchternwerten len. Bei einer Stoffwechseleinstellung näher am zwischen 4–7 mmol/l liegt auch der HbA1c-Wert Zielwert (d.h. ein HbA1c-Wert
EMPFEHLUNGEN Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55 52 sichtigt. Das Ziel besteht im schnellstmöglichen Er- insulins der Blutzucker am wirksamsten gesenkt reichen und der Aufrechterhaltung normaler Blut- werden. Ansonsten besteht keine Einigkeit, wel- zuckerwerte. cher Substanzklasse (Insulin, Sulfonylharnstoff, Lebensstilveränderungen stellen die Grundlage je- Glitazon) als Zusatztherapie (Schritt 2) der Vorzug der Typ-2-Diabetes-Behandlung dar. Patienten mit zu geben ist. Die Dosierung von Insulin ist an die metabolischem Syndrom sind durch Fachperso- Blutzuckerwerte anzupassen. Für detailliertere nen (Diabetesfachpersonen, Ernährungsberater, Informationen zur Insulintherapie sei auf die Psychologen) zu beraten und zu betreuen. Da die Abbildung 1 x verwiesen. Umsetzung von Verhaltensmodifikationen in der Mehrere, vor kurzem publizierte Metaanalysen Regel schwierig ist, wird bereits zu Beginn Met- haben die Sicherheit von Rosiglitazon aufgrund formin eingesetzt, wenn keine Kontraindikationen eines vermehrten Auftretens von Myokard- vorliegen. Die Behandlung führt zu einer Verbes- infarkten in Frage gestellt. Die relative Risiko- serung der Hyperglykämie, ohne dass das Gewicht zunahme um 30–40% basiert auf noch nicht gesi- zunimmt und eine Gefahr für Hypoglykämien cherten Daten. Dennoch hat dies dazu geführt, besteht. Metformin soll über 1–2 Monate bis zur dass Rosiglitazon, besonders in Verbindung mit maximal tolerierten Dosis auftitriert werden (etwa Insulin, bei Patienten mit einer koronaren Herz- 2 g/Tag verteilt auf 2–3 Einnahmen). krankheit nicht empfohlen wird. Zudem sind so- Werden damit die HbA1c-Zielwerte nicht erreicht, wohl Rosiglitazon als auch Pioglitazon mit dem ist eine Therapieanpassung notwendig. Bei HbA1c- Auftreten einer Herzinsuffizienz (2-fach erhöh- Werten von >8,5% oder Symptomen der Hyper- tes Risiko) und von Frakturen, insbesondere bei glykämie kann mit dem Einsatz eines Depot- Frauen, assoziiert. Bei der Kombination verschiedener Substanzklas- sen sind die Vorteile, Synergien und Interaktionen der einzelnen Klassen zu beachten. Bei der Kom- Beginn mit Depotinsulin oder bination von Insulin und Glitazon muss dem er- langsamwirksamem Depotinsulinanalogon höhten Risiko für eine Flüssigkeitsretention und vor der Bettruhe oder am Morgen. Beginn mit 10 U bzw. dem Auftreten von Myokardischämien Rechnung 0,2 U/kg Körpergewicht getragen werden. Behandlung ausserhalb des Algorithmus: Stoff- wechselkomplikationen (Ketonurie mit Nüchtern- blutzuckerwerten von >14 mmol/l, Gelegenheits- Täglich Nüchtern-Blutzucker, Dosiserhöhung um 2 U alle 3 Tage, bis Zielwert von 4–7 mmol blutzuckerwerten >16 mmol/l), HbA1c-Werte erreicht. Falls Nüchtern-Glukose >10 mmol/l: >10% und Symptome der Hyperglykämie (Poly- Erhöhung um 4 U alle 3 Tage urie, Polydipsie und Gewichtsverlust) verlangen den sofortigen Einsatz von Insulin. In diesen Si- Falls Nüchtern-Blutzucker HbA1c 97,0% nach 60 U Falls Nüchtern-Blutzucker zwischen 4–7 mmol, lisierung des Stoffwechsels und des klinischen Zu- Kontrolle der Blutzuckerwerte am Mittag, Abend standes eine Umstellung auf orale Antidiabetika und vor der Bettruhe. Beginn mit rasch wirksamem erwogen werden. Insulin (ca. 4 U), Dosiererhöhungen um 2 E alle 3 Tage II. Kommentare der Schweizer Expertengruppe zu den Empfehlungen Unverändertes der ADA und EASD Blutzucker am Blutzucker am Blutzucker vor der Schema, Mittag zu hoch: Abend zu hoch: Bettruhe zu hoch: HbA1c-Kontrollen Rasch wirk- Depotinsulin am rasch wirksames 1. Ziele der Blutzuckerkontrolle alle 3 Monate sames Insulin Morgen oder Insulin vor dem Essensinsulin vor Ein HbA1c-Wert >7% zeigt generell einen Hand- vor dem Frühstück Abendessen hinzu- hinzufügen dem Mittagessen fügen lungsbedarf an und legt die Einleitung einer hinzufügen Therapie oder einen Therapiewechsel nahe. Bei Ja Patienten mit geringem Hypoglykämierisiko emp- fehlen wir, HbA1c-Werte unter 6,5% anzustreben. HbA1c 9 7,0% Zwei neue Publikationen bei Patienten mit erhöh- nach 3 Monaten tem kardiovaskulären Risiko zeigten, dass eine Nein zu aggressive Blutzuckersenkung (Zielwert: HbA1c Kontrolle der Blutzuckerwerte vor
EMPFEHLUNGEN Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55 53 ren wie die Lebenserwartung, das Hypoglykämie- Neue Antidiabetika risiko und Komorbiditäten sind dabei zu berück- An dieser Stelle soll im Hinblick auf den Schweizer sichtigen. Markt zusätzlich auf Glucagon-like-Peptide-1- Analoga, Gliptine und die Inhibitoren der Endo- 2. Prinzipien bei der Auswahl einer cannabinoidrezeptoren (Rimonabant) eingegan- blutzuckersenkenden Massnahme gen werden. Blutzuckersenkende Medikamente und deren Gemäss Tabelle 1 zeigen die «neuen» Antidiabetika Kombinationen sind primär auf Basis des indi- wie Gliptine oder GLP-1-Analoga keine klaren Vor- viduellen HbA1c-Wertes und vorhandener Kontra- teile bezüglich HbA1c-senkender Wirkung im Ver- indikationen auszuwählen. Des Weiteren sind spe- gleich zu den bisherigen Antidiabetika. Dies hängt zifische Nebenwirkungen und Therapiekosten zu auch mit unterschiedlichen Designs der durchge- berücksichtigen. Relevanz kommt in erster Linie führten Studien zusammen (z.B. Höhe des Aus- den unterschiedlichen Auswirkungen auf das gangs-HbA1c-Werts, Komedikationen, Dauer der Körpergewicht zu. Diabeteserkrankung). Glucagon-like-Peptide-Analoga: Glucagon-like- 3. Änderung des Lebensstils – Peptide 1 (GLP-1) ist ein von den L-Zellen des Lifestyle-Modifikation Dünndarms gebildetes Peptid, das bei erhöhtem Die Änderung des Lebensstils stellt bei jedem Blutzucker, v.a. postprandial, die Insulinsekretion Typ-2-Diabetiker eine zentrale therapeutische verstärkt. Das GLP-1-Analogon Exenatid weist Massnahme dar, mit der unmittelbar nach der eine ähnliche Struktur wie das natürliche GLP-1 Diagnosestellung begonnen und auf die im Verlauf auf, hat aber eine längere Halbwertszeit. Es ist 2x immer wieder geachtet werden muss. Die Lifestyle- täglich subkutan zu injizieren. Das HbA1c wird um Modifikation beinhaltet eine gesunde, ausgewo- 0,5–1,0% gesenkt, insbesondere durch eine Re- gene und kalorienreduzierte Ernährung und die duktion der postprandialen Blutzuckerwerte. Exe- regelmässige körperliche Aktivität (mindestens natid hemmt weiterhin die Glukagonsekretion und 150 Minuten pro Woche, verteilt auf mindestens verzögert die Magenentleerung. Es verursacht drei, idealerweise auf fünf bis sieben Tage pro keine Hypoglykämien; gastrointestinale Neben- Woche). Damit ist eine Gewichtsreduktion von wirkungen (insbesondere Nausea, Erbrechen und mindestens 5–10% des Ausgangskörpergewichts Diarrhoe) treten bei 30–45% der Patienten zu The- verbunden [10, 11]. Initial kann eine deutliche rapiebeginn auf. In klinischen Studien bewirkte Verbesserung des Blutzuckers mit einer HbA1c- Exenatid einen Gewichtsverlust von 4 bis 5 kg über Senkung um bis zu 2% erreicht werden [4]. Die Life- zwei Jahre. In der Schweiz ist Exenatid (Byetta®) in style-Modifikation verbessert nicht nur die Blut- Kombination mit Metformin und/oder Sulfonyl- zuckereinstellung, sondern wirkt sich auch günstig harnstoffen bei übergewichtigen Patienten mit auf die bei diesen Patienten gehäuft vorhande- einem BMI 028 kg/m2 zugelassen. nen kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypertonie, Gliptine: Gliptine sind oral einzunehmende Hem- Dyslipidämie) aus. Da die Umsetzung solcher Emp- mer der Dipeptidyl-Peptidase-IV (DPP-4), d.h. des fehlungen oft schwierig ist, empfehlen wir umfas- Enzyms, welches GLP-1 und GIP (gastric inhibito- sende Programme zur konservativen Gewichtsre- ry polypeptide) abbaut. Dadurch werden die phy- duktion und zur Förderung der körperlichen siologischen Plasmaspiegel von GLP-1 und GIP Aktivität. Die unterschiedlichen Massnahmen zur erhöht. Die durchschnittliche HbA1c-Senkung be- Lifestyle-Modifikation bewirken nur bei 10–20% trägt 0,7%. Nebenwirkungen sind wenige bekannt. aller Typ-2-Diabetiker eine länger andauernde Die DPP-4-Inhibitoren haben keinen Einfluss auf adäquate Blutzuckerkontrolle [12]. Deshalb ist das Körpergewicht. Die Behandlung mit GLP-1- rechtzeitig eine zusätzliche medikamentöse The- Analoga und Gliptinen bieten eine Alternative zu rapie einzuleiten. den herkömmlichen Behandlungen, falls diese nicht mehr wirksam sind oder schlecht vertragen werden. Da die Langzeitsicherheit noch nicht aus- 4. Medikamente reichend untersucht ist, ist ihr Einsatz nur als zwei- Bekannte Antidiabetika ter oder dritter Schritt in Betracht zu ziehen. Die in der Schweiz meist verwendeten Substanzen In der Schweiz sind Sitagliptin (Januvia®) und Vil- sind Metformin und Sulfonylharnstoffe. Die a-Glu- dagliptin (Galvus®) zugelassen. kosidase-Inhibitoren und Glinide kommen selten Rimonabant: Die Kontrolle der Nahrungszufuhr zum Einsatz. und der Körperzusammensetzung wird u.a. durch Das kardiovaskuläre Sicherheitsprofil der Glitazo- das Endocannabinoidsystem beeinflusst. Rimona- ne, das Gegenstand mehrerer, vor kurzem publi- bant wirkt als Antagonist des Cannabinoid-1- zierter Studien war, kann noch nicht abschliessend Rezeptors auf das Appetitzentrum im Hypothala- beurteilt werden. Glitazone bleiben Medikamente mus ein und vermindert den Appetit und die der zweiten Wahl unter strenger Berücksichtigung Kalorienaufnahme; eventuell steigert es auch die ihrer Kontraindikationen. Rosiglitazon ist zurzeit Lipolyse. bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit nicht In der RIO-Diabetes-Studie führte Rimonabant empfohlen und bei Patienten mit akutem Koronar- nach einem Jahr zu einer Reduktion des Körper- syndrom kontraindiziert. Insulin kann jederzeit gewichts um 3,9 kg und zu einer Verbesserung und ohne Kontraindikationen verwendet werden. des Lipidprofils. Der mittlere Ausgangs-HbA1c von
EMPFEHLUNGEN Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55 54 7,3% konnte Plazebo-korrigiert um 0,7 Prozent- ne empfehlen wir in ausgewählten Situationen punkte gesenkt werden. Als Nebenwirkungen sind (z.B. bei schwerer Insulinresistenz oder Hypoglyk- vor allem Nausea (12%), Angststörungen (1,0% vs. ämiegefahr) als zweite Wahl nach Metformin. An 0,3% unter Plazebo) und Depressionen (bis 3,0% dieser Stelle können aus unserer Sicht auch die vs. 1,3% unter Plazebo) zu nennen. Gliptine oder GLP-1-Analoga zum Einsatz kommen Rimonabant wurde weltweit vom Markt genom- (insbesondere zur Vermeidung einer Gewichts- men aufgrund seiner Nebenwirkungen (Depres- zunahme). sionen, Angstzustände). Zur Intensivierung einer Metformin/Sulfonylharn- stoff-Kombinationstherapie kommen – neben der 5. Beginn und Anpassung der Therapie Insulingabe – Glitazone, alle neuen oralen Antidia- Unser Algorithmus geht von den Empfehlungen betika in Frage. der ADA und EASD aus. Er enthält zusätzlich auch die neuen Substanzklassen, die aufgrund ihrer Algorithmus zum Beginn und zur Anpassung Gewichtsneutralität bzw. -senkung und der gerin- einer Insulintherapie gen bis fehlenden Hypoglykämiegefahr interessant Vereinfachter und häufig angewendeter Algorith- sind (Abb. 2 x). Folgende Änderungen wurden mus in der Schweiz (Studie Treat-to-target) mit vorgenommen: einem Depotinsulin: Als Zusatztherapie zu Metformin empfehlen wir – Beginn mit 10 U oder 0,2 U/kg, 1× tgl. spritzen grundsätzlich Sulfonylharnstoffe oder langwirksa- (in der Schweiz wird häufiger mit 10 U als mit mes Insulin. Bei eingeschränkter Nierenfunktion 0,2 U/kg täglich begonnen). können Glinide (Repaglinid) als Alternative zu – Mit täglicher Nüchternglukosebestimmung den den Sulfonylharnstoffen gegeben werden. Glitazo- Durchschnitt der letzten drei Tage bestimmen. – Wenn der Durchschnitt zwischen 5 und 7 mmol/l liegt: keine Änderung der Insulin- dosis Stufe 1 – Wenn der Durchschnitt zwischen 7 und Lifestyle-Modifikation plus Metformin 9 mmol/l liegt: + 2 U Depotinsulin – Wenn der Durchschnitt zwischen 9 und 11 mmol/l liegt: + 4 U Depotinsulin Symptome einer Hyperglykämie / Dekompensation + HbA1c >7% HbA1c >8,5% – Wenn der Durchschnitt zwischen 11 und 13 mmol/l liegt: + 6 U Depotinsulin Stufe 2 – Wenn der Durchschnitt über 13 mmol/l liegt: Zusätzlich In ausgewählten (oder 1. Wahl + 8 U Depotinsulin Sulfonylharnstoff Situationen** bei Metformin- – Wenn der Durchschnitt 7% nanalogon (Humalog®, Novorapid® oder Apidra®) vor den Hauptmahlzeiten (z.B. 3× tgl.) geben: – Start mit 4 U präprandial Zusätzlich Glitazon Zusätzlich – Im Verlauf Dosis steigern, falls die darauffol- oder Gliptin oder Sulfonylharnstoff genden präprandialen Glukosewerte GLP-1-Analogon – >11 mmol/l: + 3 U – 8–11 mmol/l: + 2 U – >5,5–7% III. Aufklärung und Eigenverantwortung Zusätzlich langwirksames Insulin des Patienten (Patient Empowerment) (am effektivsten) Allgemeines Die Beratung ist ein wesentlicher Bestandteil der HbA1c >7% Diabetestherapie. Es werden zwei Arten des Vor- gehens unterschieden: die individuelle Aufklärung und die Gruppenaufklärung. Um effizient zu sein, Intensivierte Insulintherapie muss sie von Fachpersonen durchgeführt werden. (Basis-Bolus) Diese Massnahme soll dem Patienten helfen, im Alltag seine Erkrankung und seine Therapie Abbildung 2 eigenverantwortlich zu verwalten und mit den Schweizer Schema zur Behandlung des Diabetes Typ 2: + Geprüfte Vorgehensweise; anderen Partnern im Gesundheitssystem sinnvoll * v.a. bei eingeschränkter Nierenfunktion; zusammenzuarbeiten. Sie erfordert eine ganzheit- ** bei Hypoglykämierisiko, Vermeidung einer Gewichtszunahme, eingeschränkter Nierenfunktion, liche Auffassung des Patientenmanagements. Das schwerer Insulinresistenz (siehe Tabelle 1 für genauere Angaben). Gesundheitsnetz sollte mindestens eine/n Ärz-
EMPFEHLUNGEN Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55 55 tin/Arzt, eine/n Diabetesfachfrau/mann, eine/n logen, den Diabetesfachpersonen und Ernährungs- Ernährungsberater/in sowie für bestimmte Pa- beratern. tienten eine/n Psychologin/en und eine/n Psycho- Die Empfehlungen für eine gute klinische Umset- therapeutin/en beinhalten. Eine institutionalisier- zung unterstreichen die Wichtigkeit: te Betreuung existiert in der Schweiz nicht. – Blutzuckerwerte nahe der Norm zu erreichen Ziel der Beratung bei Diabetes mellitus Typ 2: Sie und aufrecht zu erhalten; soll dem Patienten und seinem Umfeld den Erwerb – die Behandlung mit einer motivierten Einstel- von spezifischen Kompetenzen ermöglichen. Ge- lung zu beginnen und an die Eigenverantwor- mäss einer WHO-Arbeitsgruppe bestehen die tung des Patienten zu appellieren. Es ist die wichtigsten, dem Patienten zu vermittelnden Kom- Grundlage dafür, dass dieser seinen Lebensstil petenzen in: ändert, seinen Energieverbrauch steigert, sei- – Kenntnis der Therapieziele (Blutzucker, Blut- ne Ernährung anpasst und regelmässig seine druck, Körpergewicht u.a.) für das Krankheits- Medikamente einnimmt; management – frühzeitig eine Kombinationstherapie vorzu- – Kenntnis der Therapiezwecke schlagen, wenn die Therapieziele nicht erreicht – Anpassung der Ernährung an die eigenen spe- werden. zifischen Bedürfnisse – Tägliche Anwendung der eigenen Therapie – Einhaltung einer ausreichenden körperlichen Zusammensetzung der Expertengruppe Aktivität – Michael Brändle, Endokrinologie/Diabetologie, – Erkennen und Korrigieren von Hypoglykämie- Kantonsspital St. Gallen – Jacques Carrel, Allgemeine Medizin, Fribourg Episoden durch eine Einnahme von mindestens – Peter Diem, Endokrinologie/Diabetologie, 15 g Kohlenhydraten Inselspital Bern Weitere und detaillierte Informationen sind fol- – Ulrich Keller, Endokrinologie/Diabetologie, gendem Internet-Link zu entnehmen: http://www. Universitätsspital Basel who.int/diabetesactiononline/en/index.html – François Kuntschen, Endokrinologie/Diabetologie, Monthey – Jacques Philippe, Endokrinologie/Diabetologie, Hôpitaux Universitaires de Genève Abschliessende Bemerkungen – Juan Ruiz, Endokrinologie/Diabetologie, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois Die Prävalenz des Typ-2-Diabetes ist in den letzten – Giatgen A. Spinas, Endokrinologie/Diabetologie, Jahren stark angestiegen und hat zu einer erheb- Universitätsspital Zürich lichen Zunahme des Volksleidens und der Gesund- – Matthias Stahl, Endokrinologie/Diabetologie, heitskosten geführt. Aus diesem Grund kommt der Kantonsspital Olten – Benno Weissenberger, Innere Medizin, Basel Prävention des Diabetes mellitus Typ 2 eine grosse Bedeutung zu. In der Schweiz obliegt die Erkennung und Beiträge der Rubrik «Empfehlungen» werden nicht redak- Behandlung des Diabetes hauptsächlich den Pri- tionell reviewt. Die inhaltliche Verantwortung liegt bei den märversogern in Zusammenarbeit mit den Diabeto- Autoren. Literatur 1 Nathan DM, Buse JB, Davidson MB, et al. Management of domized prospective 6-year study. Diabetes Res Clin Pract. hyperglycemia in type 2 diabetes: A consensus algorithm for 1995;28:103–17. the initiation and adjustment of therapy. A consensus state- 7 Gaede P, Lund-Andersen H, Parving HH, Pedersen O. Effect ment from the American Diabetes Association and the Eu- of a multifactorial intervention on mortality in type 2 dia- ropean Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care. betes. N Engl J Med. 2008;358:580–91. 2006;29:1963–72. 8 Kahn SE, Haffner SM, Heise MA, et al. Glycemic durability 2 Nathan DM, Buse JB, Davidson MB, et al. Management of of rosiglitazone, metformin, or glyburide monotherapy. hyperglycaemia in type 2 diabetes mellitus: a consensus al- N Engl J Med. 2006;355:2427–42. gorithm for the initiation and adjustment of therapy. 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