Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST

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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
HESSEN-FORST

Hessische Naturwaldreservate im Portrait
Meißner

                                 NW-FVA
                                 Nordwestdeutsche
                                 Forstliche Versuchsanstalt
Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
Einführung
Das hessische Naturwaldreservate-Programm besteht
mittlerweile seit 25 Jahren und wird vom Landesbetrieb
HESSEN-FORST sowie der Nordwestdeutschen Forstli-
chen Versuchsanstalt (NW-FVA) in Abstimmung mit dem
Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (HMUELV) umgesetzt. An
den vielfältigen botanischen, zoologischen, pilzkundli-
chen und waldstrukturellen Untersuchungen sind neben
dem Forschungsinstitut Senckenberg (Frankfurt) zahlrei-
che weitere Institutionen und Einzelpersonen beteiligt.
Die praxisorientierte Aufbereitung der Untersuchungser-
gebnisse liefert neue Erkenntnisse für den Waldbau und
den Waldnaturschutz.
Das vorliegende Heft der Reihe „Hessische Naturwaldre-
servate im Portrait“ stellt die Ergebnisse der über 20-jäh-
rigen Erforschung des Naturwaldreservates „Meißner“
erstmals überblicksartig vor. Dieses Waldgebiet ist im
Bereich der schwer zugänglichen Fels- und Blockhal-
denstandorte durch kaum von Menschen beeinflusste
Lebensräume gekennzeichnet. In anderen Teilen des
Gebietes lassen sich hingegen vielfältigste jahrhunder-
telange Nutzungseinflüsse nachweisen. Fragen der Na-
turnähe, der Wald- und der Nutzungsgeschichte stehen
daher in besonderer Weise im Fokus des vorliegenden
Heftes.
Aufgrund seiner Höhenlage und seiner standörtlichen
Vielfalt zeichnet sich der Meißner durch eine beson-
ders reiche Flora aus. Bemerkenswert sind dabei einige
„Eiszeitrelikte“, Pflanzenarten, die nach Auffassung von
Fachleuten mindestens seit der letzten Eiszeit, also seit
rund 10.000 Jahren, im Gebiet überdauern konnten.
Leider sind seit den ersten detaillierten Aufzeichnungen
der Botaniker im ausgehenden 18. Jahrhundert einige
dieser Reliktarten ausgestorben oder sogar gezielt aus-
gerottet worden. Für ein noch vorkommendes Eiszeitre-
likt, Brauns Schildfarn, eine Waldart, die in ganz Hessen
nur hier überdauert hat, läuft seit 10 Jahren ein aufwän-
diges Artenschutzprojekt. Über dieses bemerkenswerte
Projekt, in das zahlreiche Institutionen und Personen
eingebunden sind, und das eigentlich nicht in ein Na-
turwaldreservat passt, wird hier ebenfalls zusammenfas-
send berichtet.
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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
Inhaltsverzeichnis

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Einführung                                       2

Meißner                                          5

Zeitschnitte – Auswertung historischer
Karten und Beschreibungen                       14

Übersichtskarte                              20/21

Waldstruktur                                   22

Bodenvegetation                                25

Artenschutzprojekt „Brauns Schildfarn“         31

Flechten                                       34

Fledermäuse                                    36

Ausblick                                       38

Literaturhinweise, Impressum                   39

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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
Blick vom Roßkopf auf den Meißner-Osthang

Meißner
Der Meißner liegt im Werra-Meißner-Kreis,         im Naturwaldreservat gelegenen Fels- und
etwa 12 Kilometer nordwestlich der Kreis-         Blockhaldenstandorte am „Altarstein“ wa-
stadt Eschwege und bildet mit 754 m ü.            ren darüber hinaus bereits seit 1921 durch
NN (Kasseler Kuppe) die höchste Erhebung          eine staatliche Verwaltungsanordnung ge-
Nordosthessens. Am Nord- und Ostrand              schützt und erhielten 1935 mit Inkrafttreten
seines durchschnittlich 720 m hoch gele-          des Reichsnaturschutzgesetzes den Status
genen, ovalen, etwa 4 x 2,5 km großen             eines Naturdenkmals. Sie zählen damit zu
Basaltplateaus liegt auf einer Höhenlage          den ältesten Schutzgebieten in Nordhes-
von 570 bis 745 m ü. NN das Naturwald-            sen.
reservat „Meißner“. Es besteht aus einem          Das Naturwaldreservat gehört zum Natur-
Totalreservat sowie zwei weiterhin bewirt-        raum „Hoher Meißner“, einem Teilgebiet
schafteten Vergleichsflächen. Totalreservat       des Fulda-Werra-Berglandes. Hier bildeten
und Vergleichsflächen sind jeweils 43 ha          sich während des Tertiärs im Kreuzungsbe-
groß. Das Gebiet wird vom Forstamt Hes-           reich mehrerer Grabenbruchsysteme Risse
sisch Lichtenau betreut und umfasst die           und Spalten. Durch diese drang flüssiges
Forstorte „Bergholz“, „Unterm Weissen-            Gestein aus dem Erdinneren empor, das
stein“, „Eselskopf“, „Weinbusch“, „Lust-          nach dem Abkühlen eine bis über 150 m
häuschen“, „Kasseler Stein“, „Vockeröder          mächtige Basaltschicht bildete, das heu-
Hute“ und „Gemoose“. Auf der Fläche des           tige Meißnerplateau. Unter dem Basalt
Naturwaldreservates überlagern sich vier          blieben lockere tertiäre Ablagerungen
Schutzgebietskategorien: Das 1988 aus-            wie Tone, Feinsande und Braunkohlen vor
gewiesene Naturwaldreservat „Meißner“,            Abtragung bewahrt. Im Naturwaldreser-
ein gleichnamiges und deutlich größeres           vat ist der anstehende Basalt im Bereich
Naturschutzgebiet und Vogelschutzgebiet           der Plateaulagen und im Nordosten an
sowie das aus mehreren Einzelgebieten             schwächer geneigten Oberhängen das
bestehenden Fauna-Flora-Habitat-Gebie-            Ausgangsgestein der Bodenbildung. An
tes „Meißner und Meißner-Vorland“. Die            den Steilhängen dominieren eiszeitlicher

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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
Basaltblockschutt sowie mit Basaltverwit-         denen etwa 390 mm in der Vegetations-
terungslehm, Lösslehm, Tonen und San-             periode zwischen Mai und September
den vermengter Basaltschutt. Kleinräumig          fallen. Die Jahresmitteltemperatur beträgt
treten in der nördlichen Vergleichsfläche         7,4 °C, die mittlere Temperatur in der Ve-
oberhalb des Friedrichsstollens Oberer            getationsperiode 13,7 °C. Die Zahl der
und Mittlerer Buntsandstein (Trias) zutage,       Frosttage pro Jahr liegt bei durchschnitt-
während am Südrand der südlichen Ver-             lich 120 bis 140.
gleichsfläche tertiäre Tone aus dem Mio-          Der im Zusammenhang mit zahlreichen
zän zu finden sind.                               Mythen und Märchen, insbesondere dem
Die Böden sind mit Ausnahme der Block-            von Frau Holle, bekannte Meißner bildete
schuttstandorte überwiegend Braunerden.           die Grenze zwischen den germanischen
Dominierende Bodenart ist Schluff mit             Stämmen der Chatten (Hessen) und Her-
wechselnden Sand- und Lehmanteilen. Im            munduren (Thüringer). Sein Name un-
Bereich der Felswand des Weißen Steins            terlag im Laufe der Jahrhunderte einem
(auch als Altarstein- oder Wachtsteinwand         Wandel. Die älteste überlieferte Form ist
bezeichnet) ist die Hangneigung meist             „Wisßenere“ (1195) und bezog sich auf
größer als 30°. Hier treten auch heute            ein am südlichen Meißner gelegenes
noch immer wieder kleinere und größere            Dorf, das wahrscheinlich um 1390 wüst
Rutschungen auf.                                  fiel. 1262 ist erstmals die Rede von dem
Klimatisch nimmt der Meißner mit seinem           Bergwald „Wisner“. Die Schreibweise
montan geprägten, stark subatlantischen           wandelt sich später unter anderem von
Klima eine Sonderstellung ein. Die Nie-           Wiesener (1383) über Weisner (1553),
derschläge liegen im Bereich des Natur-           Wißner (1580) zu Weißner (1715). Die
waldreservates bei 915 mm im Jahr, von            Form „Meißner“ tritt erst neuzeitlich ab

Basaltfelsen an dem als Weißer Stein oder Altarsteinwand bezeichneten Felshang

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Ahorn-Linden-Hang- und Schluchtwälder kamen nach den Ergebnissen der Pollenanalyse am
Meißner schon vor mehreren tausend Jahren vor.
etwa 1530 auf. Eine eindeutige Namens-           Jahren wurde das nur wenige hundert
erklärung gibt es nicht. Viele Deutungs-         Meter vom Naturwaldreservat entfernte
versuche beziehen sich auf eine Ableitung        Weiberhemd-Moor sowie die am Süd-
von Wiese, von wissen/weissagen oder             rand des Meißner-Plateaus gelegene See-
von der Farbe weiß. So schreibt bereits          wiese mit verbesserten Methoden erneut
1697 der Chronist Johann Just Wickel-            untersucht. Nach den Ergebnissen dieser
mann (1620-1699): „... ist lange Zeit            Arbeit begann die Ablösung der bis da-
mit Schnee und Eiß überzogen und viel-           hin vorherrschenden Eichen-Mischwälder
leicht dahero der Weisener genennet wor-         durch Rotbuchenwälder am Meißner vor
den“. Die auf die Farbe Weiß bezogene            etwa 5.000 Jahren. Die Massenausbrei-
Namenserklärung ist wohl die nahe lie-           tung der Buche war vor etwa 2.900 Jah-
gendste, der Zusammenhang mit Wiesen             ren abgeschlossen und Rotbuchenwälder
sehr unwahrscheinlich, da diese zur Zeit         herrschten bereits vor. Daneben weisen
der Ersterwähnung des Namens auf dem             aber die gleichzeitig überdurchschnittlich
Meißner noch keine nennenswerte Rolle            hohen Werte von Linde, Esche und Ahorn
spielten.                                        in den Pollenkurven auf eine lange Tra-
Die nacheiszeitliche Vegetationsgeschich-        dition und große Bedeutung edellaub-
te des Meißners und seines Umlandes              holzreicher Hang- und Schluchtwälder
lässt sich mithilfe der Pollenanalyse sehr       am Meißner hin. Über die Zunahme von
gut nachvollziehen. Erste pollenkundliche        Getreide- und Siedlungszeiger-Pollen in
Untersuchungen der Moor- und Nass-               den Diagrammen lässt sich der Beginn
standorte am Meißner liegen bereits aus          der mittelalterlichen Besiedlung mit star-
den 1930er Jahren vor. In den 1980er             ken Rodungen und intensiverer Landwirt-

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Die Abraumhalden des „Alte Häuser Stollens“ im Naturwaldreservat sind heute mit Buchenwald
bedeckt. In der Krautschicht dominiert die Hain-Sternmiere.
schaft für das Meißnergebiet auf etwa             knapper wurde, erließ Landgraf Philipp
900 n. Chr. datieren. Nach dem Ende               der Großmütige am 3. April 1532 eine
der spätmittelalterlichen Wüstungsperio-          Forst- und Jagdordnung und trieb den
de, die durch einen Anstieg von Hainbu-           Aufbau einer zentralisierten Forstverwal-
chen- und Buchen-Pollenwerten sowie ei-           tung voran. Schon 1538 beauftragte er
nen Rückgang von Siedlungszeiger-Pollen           eine Bestandsaufnahme der Wälder am
gekennzeichnet ist, kam es um 1500 zu             Meißner und ließ durch seinen obersten
erneuten Rodungen und zur Entstehung              Forstbeamten Peter Kirchoff genannt von
von Wiesen und Weiden auf der Meißner-            Halle 1544/45 die Stelle eines Forstauf-
hochfläche. Erkennbar ist dies durch einen        sichtsbeamten (Oberaufsehers) einrich-
markanten Anstieg der Pollenanteile von           ten sowie eine „Ordnung für die Förster
Gräsern sowie einiger Grünlandarten.              am Meißner“ erstellen. Das „Forstregis-
Gleichzeitig stieg der Eichen-Anteil in den       ter der Forsten am Meißner“ vom Jahre
Pollenkurven deutlich an – ein Indiz für          1560 verzeichnet 17 Dörfer mit den Na-
eine direkte oder indirekte Förderung der         men von rund 700 belieferten Personen.
Eichen-Arten durch Waldnutzungsformen             Sie erhielten an Brennholz 908 Klafter
wie den Hute- oder Niederwaldbetrieb.             Schnittholz und 603 Schock „Backwellen“
Die Waldungen am Meißner spielten                 (Reisigbündel, die zum Backen verwendet
schon früh eine wichtige Rolle bei der Be-        wurden). Dazu kam noch das Holz für
lieferung der über mehr als 1.000 Jahre           die Pfannschmieden in Sooden, für acht
bis 1906 arbeitenden Saline Sooden mit            Brauer in Abterode sowie Drechsler-Holz
Brennholz. Daneben waren auch die An-             (Ahorn und Esche).
sprüche der umliegenden Gemeinden zu              Brennholzmangel war in der ersten Hälfte
erfüllen. Als im 16. Jahrhundert in der ge-       des 16. Jahrhunderts das entscheidende
samten Landgrafschaft Hessen das Holz             Hindernis für einen dem Bevölkerungs-

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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
Einführung der Braunkohlefeuerung der
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                                                    Nach anfänglichen Misserfolgen schrieb
                                                    der Landgraf am 31. Dezember 1579,
                                                    dass das Kohlenbergwerk am Meißner
                                                    „sich reichlich und wohl anlässt und von
                                                    Tag zu Tag sich bessert“. Der Übergang
                                                    von nachwachsenden zu fossilen Brenn-
                                                    stoffen für die Salzsiederei wurde 1578
                                                    mit den Kohlen vom Meißner in der Saline
                                                    Sooden auf dem europäischen Kontinent
                                                    erstmals vollzogen. Nur in England hatte
Sooden mit der rauchenden Saline. Ausschnitt        es schon etwas früher, und zwar ab 1546,
eines Stiches aus der Topographia Hassiae des
                                                    den Einsatz von Steinkohle in Salinen ge-
Matthäus Merian von 1655
                                                    geben. Durch den Einsatz der Braunkohle
wachstum entsprechenden Ausbau der                  stieg die Produktionsleistung der Saline in
Soodener Salzproduktion. Der Soodener               kurzer Zeit um über 20 %. Auch für die
Pfarrer, Salzgrebe und Holzvogt Johan-              Kupferverhüttung im nahe gelegenen
nes Rhenanus (1528-1589) hatte sich                 Bilsteiner Kupferbergbaurevier wurde die
daher bereits kurz nach seinem Amtsan-              am Meißner abgebaute Kohle bereits am
tritt 1555 um technische Verbesserungen             Ende des 16. Jahrhunderts erfolgreich
bemüht und mit importierter Steinkohle              eingesetzt, so dass der Holzkohlenbedarf
experimentiert. Auf seine Anregung hin              hier halbiert werden konnte. Landgraf
unternahmen, nachdem in einer Quelle                Wilhelm regte darüber hinaus an, Versu-
am Meißner immer wieder Kohlestück-                 che zu unternehmen, ob die Kohle auch
chen gefunden worden waren, dort bei                in Glas- und Eisenhütten eingesetzt wer-
der heutigen Siedlung Schwalbenthal                 den könne. Die bereits stark fortgeschrit-
im Jahr 1560 Bürger aus Kassel, Allen-              tene Auflichtung des Kaufunger Waldes
dorf und Eschwege einen ersten Versuch              durch den immensen Holzverbrauch
zur Gewinnung von Braunkohle (damals                der Glashütten erfüllte ihn nämlich mit
noch Steinkohle genannt). Rhenanus
konnte den hessischen Landgrafen Wil-
helm IV. für sein Vorhaben gewinnen und
am 7. Juli 1571 gab dieser die Anord-
nung „solch Kolenbergwergk Im nahmen
Gottes Uns selbst und unsern armen Un-
derthanen zum pesten erbawen und vort-
setzen zue lassen“. Hierfür stellte er Geld
zur Verfügung, ließ die Straßen verbessern
und wies den zuständigen Oberförster
an, Holz zu liefern. Aus dem Erzgebirge
wurden durch Vermittlung des kursächsi-
schen Hofes Fachleute für Bergbau ange-             Braunkohlereste am Rande einer ehemaligen
worben. Landgraf Wilhelm hoffte, mit der            Abraumhalde im Naturwaldreservat

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Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
Sorge. Mehrere in den Jahren 1579 bis             de bis 1700 erfolgreich betrieben. Die
1585 am Meißner unter dem Bergwerk                zugehörige Bergarbeitersiedlung über-
gegründete Glashütten arbeiteten nur              nahm den Namen der 1463 erstmals
mit mäßigem Erfolg und mussten wieder             erwähnten Dorfwüstung Bransrode. Im
aufgegeben werden. Durch den Einsatz              Jahr 1736 wurde der Friedrichsstollen an-
der Braunkohle in der Saline und in der           gelegt, der bis 1783 in Betrieb war. Der
Kupferschmelzhütte wurde der industrielle         Untertagebau auf dem Meißner dauerte
Brennholzverbrauch deutlich reduziert. Al-        bis 1929. Über 30 Stollen waren bis da-
lerdings mussten nun große Mengen von             hin aufgefahren worden. Ab 1943 wurde
Holz aus den Waldungen des Meißners               der Braunkohlenbergbau im Tagebau-
für den Bergbau geliefert werden.                 Verfahren wieder aufgenommen und auf
Um die Lage der Kohlenflöze genauer               über 100 ha (Kalbe und Weiberhemd) bis
festzustellen, legte man 1584 unter dem           1974 fortgeführt.
Weißen Stein im heutigen Naturwaldre-             In den Wäldern am Meißner lag die Jagd-
servat einen Versuchsstollen an, in dem           gerechtsame (Recht zur Jagdausübung)
insgesamt 16 Jahre ohne nennenswer-               bei den jeweiligen Landesherren, die jagd-
ten Erfolg gearbeitet wurde. Im Nordteil          liche Aktivitäten von anderer Seite streng
des Naturwaldreservates wurde 1622 der            untersagten. Landgraf Wilhelm IV., dessen
„Alte Häuser Stollen“ angelegt, in dem            Regentschaft von 1567 bis 1592 andau-
man 1624 auf Braunkohlen stieß. Er wur-           erte, ließ zu diesem Zwecke oberhalb der

Hohlweg im Naturwaldreservat, der der Heuabfuhr diente

                                             10
Friedrich von Trott zu Solz
                                                                 (1909-1982) ausgewildert
                                                                 und gehört seitdem zum
                                                                 Standwild. Bei der Einrich-
                                                                 tung des Naturwaldreser-
                                                                 vates bestanden Bedenken,
                                                                 dass überhöhte Rot- und
                                                                 Muffelwildbestände      die
                                                                 natürliche Verjüngung der
                                                                 Bäume verhindern könn-
                                                                 ten.
                                                                 Neben der Holznutzung
In einem aus Laserscannerdaten abgeleiteten digitalen Gelän- und der Jagd gehört die
demodell (DGM1, aufbereitet in geschummerter Darstellung) Viehwirtschaft mit Weide-
lassen sich historische Nutzungsspuren erkennen. Zu sehen ist nutzung und Heugewin-
hier ein Ausschnitt aus dem Nordwestteil des Totalreservats (Ge- nung auf den Wiesen der
bietsgrenze rot gestrichelt) mit Hohlwegesystemen und Abraum- Meißner-Hochfläche          zu
halden des Braunkohlebergbaus (oben links).
                                                                 den ältesten Landnutzun-
Felswand des Weißen Steins im heutigen gen im Gebiet. Die wohl schon im Mit-
Naturwaldreservat ein so genanntes Lust- telalter als Triftwege (Trift = Treiben des
häuschen bauen, das noch mindestens Viehs) entstandenen Hohlwege, die später
bis zum Endes des Siebenjährigen Krieges auch der Abfuhr des Heus dienten, gehö-
(1763) in gutem Zustand war. Ein nahege- ren zu den ältesten Wegen am Meißner.
legener Keller („Eisgrube“) diente der La- Die umliegenden Dörfer trieben bis zum
gerung von Vorräten und erlegtem Wild. 19. Jahrhundert hinein vor allem Rinder
Matthäus Merian hebt in seiner 1655 ge- auf die Meißner-Hochfläche und weideten
druckten Topographia Hassiae hervor, der sie dort sowohl im Wald als auch auf Ma-
Meißner sei „eine sehr stattliche Wildbah- gerrasen- (Borstgras-Rasen), Heide- und
ne gewesen, aber auff bitt der Untertha- Moorflächen, die nicht gemäht werden
nen, denen das Wildprät obermässigen
schaden gethan, veröset [leer gemacht]
worden: doch gibt es daran noch viel Re-
her, zu weilen wilde Schweine; dabevor
auch Beeren.“ Auch im 18. Jahrhundert
wurde auf landgräflichen Befehl „alles
Schaden tuende Rotwild und Schwarzpret
sogleich ohne mindesten Anstand und
weitere Anzeige“ geschossen. 1886 wird
von Hirschen als seltenem Wechselwild
am südlichen Meißner berichtet. Ab 1903
wanderte wieder verstärkt Rotwild zu und
vermehrte sich rasch. 1952 wurde der Das von Landgraf Wilhelm IV. erbaute „Lust-
aus Korsika und Sardinien stammende häuschen“ mit der nahe gelegenen Eisgrube
Europäische Mufflon durch Forstmeister auf einer um 1700 entstandenen Karte

                                            11
konnten. Aufgrund von Hute-
                                                           gerechtsamen dienten auch
                                                           die staatlichen Wald- und Of-
                                                           fenflächen der Weidenutzung.
                                                           Schon vor 1830 wurden aber
                                                           offenbar die Waldhuteberech-
                                                           tigungen der umliegenden
                                                           Gemeinden abgelöst, da ins-
                                                           besondere der Frankenhainer
                                                           Forst zuvor „durch die zu weit
                                                           gedehnte Hute in der Holzer-
                                                           ziehung sehr zurückgekom-
                                                           men“ war.
                                                           Schriftliche Überlieferungen
                                                           davon, dass auf dem Meißner
                                                           Wiesen gerodet worden seien,
                                                           gibt es aus der Mitte des 16.
                                                           Jahrhunderts. Hundert Jahre
                                                           später (1641) schreibt Land-
                                                           graf Hermann von Hessen-Ro-
                                                           tenburg (1607-1658): „Oben
                                                           auf dem Berge hat es einen
Die 1705-1710 entstandene Landesaufnahme der               Raum fast dreiviertel Meilwegs
Landgrafschaft Hessen-Kassel von Johann Georg              lang und viel tausend Acker
Schleenstein zeigt das bis auf den „Weinbusch“ entwal-     breit Wiesen, uf welchem schön
dete und mit Grünland bedeckte Meißner-Plateau. Das        Gras, so fast einen Menschen
heutige Naturwaldreservat liegt östlich des „Lusthauses“   bedecket, wachset und daher
(rot hervorgehoben).                                       eine treffliche Viehzucht an
 Kurzcharakteristik des Naturwaldreservates
 Größe                       Totalreservat: 43 ha, Vergleichsfläche: 43 ha
 geographische Lage          etwa 12 km nordwestlich von Eschwege
 Höhenlage                   570 bis 745 Meter über Meereshöhe
 Naturraum                   Hoher Meißner
 Geologie                    tertiärer Basalt, kleinflächig Oberer und Mittlerer Bunt-
                             sandstein, tertiäre Tone (Miozän)
 Böden                       Braunerde
 Klima                       Berglandklima (montan, stark subatlantisch)
 Waldbestand                 Buchenwald mit Edellaubbäumen
 Vegetationstyp              Waldmeister-Buchenwald, Ahorn-Linden-Hang- und
                             Schluchtwald

                                           12
hinsichtlich seiner Lage und Bodeneigen-
                                                          schaften sehr gut zum Hochwaldbetrieb
                                                          eigne. Durch schlechte Behandlung, ins-
                                                          besondere den hohen Brenn- und Gru-
                                                          benholzverbrauch seien jedoch viele Dis-
                                                          trikte holzleer oder „mit Haseln und wenig
                                                          guten Holzarten bewachsen und nur wenig
                                                          Buchenoberstände vorhanden“. Folgende
                                                          Maßnahmen setzten 1815 am Meißner
                                                          ein:
                                                              Vier dreißigjährige Bewirtschaftungspe-
                                                              rioden wurden für die Zeit von 1816
                                                              bis 1935 geplant. Es wurde zwischen
Mauerreste eines ab 1818 angelegten Pflanz-                   Buchenhochwald- und Niederwalddis-
gartens. In einem Protokoll aus dem Jahre                     trikten unterschieden. Als Umtriebszeit
1815 heißt es: „... eine schickliche Stelle zu ei-
nem Holzgarten für Eschen, Ulmen, Ahorn und                   sollte bei Buchen für Grubenholz 100,
Aspen anzulegen, um an dem obern Theil des                    sonst 90 Jahre gelten. Der Niederwald
Meisners, soweit der Basalt geht, bessere Holz-               sollte alle 15 Jahre geschlagen wer-
arten, wie die jetzigen Haseln zu bringen.“                   den.
diesem Berge ist in Friedenszeiten.“ Nach                     Alle größeren Blößen sollten mit Fichten
der Übernahme der kurhessischen Forst-                        bepflanzt werden. Dafür wurde die An-
verwaltung 1866 durch Preußen erfolgte                        zucht von Nadelholz geplant.
eine verstärkte Ablösung der Weiderechte                      Acht Samen- und Pflanzgärten wurden
auch auf dem Meißner-Plateau sowie ab                         angelegt, davon mindestens vier im
1876 eine systematische Aufforstung der                       heutigen Naturwaldreservat oder seiner
meisten Offenflächen mit Fichte. Die im                       näheren Umgebung. Angezogen wur-
Westen an das heutige Naturwaldreservat                       den Fichten, Eichen, Birken, Eschen,
angrenzenden Wiesen der Kasseler Kup-                         Ulmen, Ahorn, Aspen und Lärchen.
pe wurden als letzte von 1880 bis 1897                    Zu diesen Pflanzgärten ist in einer Forstak-
aufgeforstet.                                             te notiert: „... unterm Weisenstein sind in
Bereits seit 1815 waren unter der Regie                   den Jahren 1818-1823 zwey neue Garten
des Oberforstmeisters Henrich Friedrich                   zu Saamen-Pflanzschulen daselbst auf der
Wilhelm von der Malsburg (1775-1847)                      grosen Kohlstätte mit Mauer-Befriedigung
grundlegende Maßnahmen zur Erneu-                         umgeben, von einem zeitigen Revierförs-
erung der Waldbestände am Meißner                         ter Giesler zu Frankenhayn angelegt und
eingeleitet worden. Zunächst erfolgte                     in völlig pflanzbaren Zustand gebracht
zwischen 1815 und 1820 durch den rei-                     worden. Die Größe beider Gärten enthal-
tenden Förster Friedrich Wilhelm Gunckel                  ten propter 3 ½ Acker incl. der trockenen
(1780-1850) eine Vermessung und Ein-                      Mauer.“ Ab 1821 wurden die Beete in
richtung, die vor allem der Sicherung des                 den Pflanzgärten mit Ahorn-, Eschen- und
Salinenbetriebes in Sooden dienen sollte.                 Fichtensamen besät. Für das Jahr 1823
Dabei wurde festgehalten, dass sich der                   ist die Auspflanzung von 68.000 Eschen-
größte Teil der Waldbestände am Meißner                   und 22.000 Ahorn-Stämmchen belegt.

                                                     13
Zeitschnitte –
Auswertung historischer
Karten und Beschreibungen

Für den Meißner liegt eine außerge-
wöhnliche Vielzahl von historischen
Übersichts- und Detailkarten aus dem
16. bis 19. Jahrhundert vor, die es erlau-
ben, zusammen mit weiteren schriftlichen
Quellen (z. B. Reisebeschreibungen des
18. Jahrhunderts) die Entwicklung des
Naturwaldreservates und seiner näheren
Umgebung für diesen Zeitraum sehr ge-
nau zu verfolgen.
In einem Verzeichnis der staatlichen Wald-
gebiete aus der Zeit Philipps des Großmü-
                                                      Die am Rande des Naturwaldreservats stehen-
                                                      den Grenzsteine von Hessen-Cassel (HC) und
                                                      Hessen-Rotenburg (HR) aus dem Jahr 1740
                                                      umschließen den ehemaligen Wiesenkomplex
                                                      der Kasseler Kuppe, von dem ein kleiner Teil
                                                      auch im heutigen Naturwaldreservat lag.
                                                      tigen (Regierungszeit 1518-1567) finden
                                                      sich für das heutige Naturwaldreservat
                                                      und seine nähere Umgebung bereits die
                                                      Forstortnamen „Brandtsrodt“, „Der Ka-
                                                      chelbergk“, „Der Steurwaldt“, „Die Saw“,
                                                      „Wein Busch“ und „Weißenstain“. So oder
                                                      in ähnlicher Schreibweise sind sie auch
                                                      auf der 1592 von den Kartografen Ar-
                                                      nold und Johannes Mercator gezeichne-
                                                      ten ältesten Übersichtskarte des Meißners
                                                      wiedergegeben. Diese Karte ist hier nicht
                                                      abgedruckt, da sie nur wenige Detailin-
                                                      formationen enthält und im Bereich des
                                                      heutigen Naturwaldreservates Beschädi-
                                                      gungen aufweist.
Der Meißner hat insbesondere im 19. Jahrhun-          Zwischen 1627 und 1834 gehörte die
dert eine wichtige Rolle bei der Vermessung           Meißner-Hochfläche zur Landgrafschaft
Nordhessen gespielt. Auf der Kasseler Kup-
pe, nur wenige Meter vom Naturwaldreservat            Hessen-Rotenburg („Rotenburger Quart“).
entfernt, wurde ein trigonometrischer Punkt 1.        Nachdem zunächst der ganze Meißner zu
Ordnung angelegt, der zum Vermessungsdrei-            Hessen-Rotenburg gehörte, wurde im 18.
eck Meißner – Brocken – Inselsberg gehört.            Jahrhundert, als sich herausgestellt hat-

                                                 14
Das heutige Naturwaldreservat und seine Umgebung 1694, Karte von Johann Christoff Nößell

                                          15
Das heutige Naturwaldreservat und seine Umgebung 1724, Karte von Johann Christoph Rüst-
meister

                                          16
ist das Lusthäuschen zu sehen und daran
                                                   angrenzend ausgedehnte Offenflächen
                                                   sowie der Weinbusch. Der „Alte Häuser
                                                   Stollen“ bei Bransrode war gerade noch
                                                   in Betrieb. Direkt daneben verlaufen der
                                                   heute noch als Hohlweg erkennbare
                                                   Weißenbacher Heuweg und weiter öst-
                                                   lich der Frankenhainer Heuweg. Dem
                                                   Abtransport der Kohlen diente der nach
                                                   Nordosten führende „Kohlnweg“. Bis
                                                   zum Beginn des 18. Jahrhunderts erfolg-
                                                   te der Transport mit Eseln, später durch
                                                   die so genannten Hainer Fuhrleute. Die
                                                   Bezeichnungen „Eselskopf“ und „Esels-
                                                   born“ leiten sich vielleicht von den früher
                                                   so wichtigen Transporttieren ab.
                                                   Eine ebenfalls sehr detailreiche Karte von
                                                   Johann Christoph Rüstmeister entstand
                                                   1724. Sie zeigt das Gebiet des Natur-
Die Bergarbeitersiedlung Bransrode mit Häu-        waldreservates und der Vergleichsflächen
sern und einer Abraumhalde auf der Nößell-         fast komplett bewaldet. Die Bergarbei-
Karte von 1694
                                                   tersiedlung Bransrode ist bereits um 500
te, dass damit für die Salzgewinnung in            Meter nach Westen verlegt worden, wo
Sooden wichtige Waldbestände fehlten,              1696 der „Bransroder Stollen“ und 1700
ein neuer Grenzvertrag abgeschlossen,              der „Neue Stollen“ angelegt worden wa-
der die „Soodhölzer“ an den Meißner-               ren. Südlich und westlich des Weißen
hängen sowie die mit Bergbau und Forst-            Steins sind die „Große Kohlstätte“ und
wirtschaft in Verbindung stehenden Wie-
sen („Bergschreibers Bestallungswiese“,
„Sood-Försters-Bestallungswiese“)       an
Hessen-Kassel zurückgab. Aufgrund der
territorialen Zugehörigkeit entstand der
Name „Kasseler Kuppe“.
Johann Christoff Nößell zeichnete 1694
eine sehr genaue Karte des Meißner-
Osthangs, die der Festlegung neuer
Grenzlinien zwischen Hessen-Kassel und
Hessen-Rotenburg dienen sollte. Das
heutige Naturwaldreservat und seine
Vergleichsfläche sind mit Ausnahme klei-
                                                   Der Altarstein (Bildmitte) – hier eine Aufnahme
nerer Bereiche am Nordwestrand des To-             von 1926 – ist ein natürlicher, nicht behauener
talreservates und eines größeren Teils der         Basaltblock. Auf historischen Karten und in Flur-
nördlichen Vergleichsfläche zu dieser Zeit         namenverzeichnissen des 16. bis 18. Jahrhun-
bewaldet. Oberhalb des Weißen Steins               derts ist er noch nicht verzeichnet.

                                              17
Das heutige Naturwaldreservat und seine Umgebung 1847/48, Niveaukarte des Kurfürstenthums
Hessen

                                           18
die „Kohlstätte“ eingezeichnet. Die „Klei-        der benachbarte ummauerte Pflanzgar-
ne Kohlstätte“ lag im Weinbusch, westlich         ten und ein aus Steinen zusammenge-
des heutigen Naturwaldreservates. Diese           tragener Ruhe- und Aussichtsplatz seien
Flurnamen sind nicht mit dem Bergbau,             Reste eines germanischen Kultplatzes. Ein
sondern mit der Köhlerei in Verbindung            authentisches Heiligtum (möglicherwei-
zu bringen. Einzelne Meilerplatten sind im        se ein Opferplatz) befand sich hingegen
Gebiet noch heute zu finden. Im Bereich           sehr wahrscheinlich am nahe gelegen
der tertiären Tonvorkommen außerhalb              Frau-Holle-Teich.
der südlichen Vergleichsfläche ist eine           Die 1847/48 entstandene Niveaukarte
„Döpferhütte“ eingezeichnet.                      des Kurfürstenthums Hessen zeigt den
Conrad Moench (1744-1805), Apothe-                Meißner im Zustand der größten Ent-
ker, Chemiker und ab 1786 Professor für           waldung. Auch der Weinbusch ist nun
Botanik in Marburg besuchte den Meiß-             in Wiesenflächen umgewandelt worden.
ner und speziell das Gebiet des heutigen          Die seit dem Beginn des 19. Jahrhun-
Naturwaldreservates im ausgehenden                derts angelegten Pflanzgärten am „Sch-
18. Jahrhundert mehrmals. In seiner Ver-          malenhölzchen“ und am „Altarstein“ sind
öffentlichung „Beitrag zur Naturgeschich-         erkennbar. Mit Ausnahme der seit etwa
te der Landgraffschaft Hessen-Cassel“             1790 entstandenen ersten Fichtenan-
(1785, 1786) schreibt er unter anderem            pflanzungen beim „Weiberhemd“ haben
über den Meißner: „Die Bergwände sind             wir aber noch ein reines Laubwaldgebiet
mit Laubholz bewachsen, seine Oberflä-            vor uns. Der Friedrichsstollen war bereits
che aber Wiesen und Viehweiden. Die               seit fast 70 Jahren aufgegeben worden.
nördliche Bergwand hat schlechte Hol-
zung, kein Baum hat die ordentliche Höhe
seiner Art. Nach Süden zu siehet man die
schönsten Eichen, Ulmen und Buchen. ...
Die Aussicht auf diesem Berg, besonders
nach Osten zu, ist reizend. Eine verfalle-
ne Hütte am äußersten Ende einer steilen
Bergwand, die das Lusthäusgen benennet
wird, ist der Ort, wo sie hier am besten
ist. ... Unterhalb dieser Hütte sind noch
vom dreisigjährigen Kriege Urkunden der
Intoleranz. Ein zusammengehäufter vier-
eckiger großer Steinhaufen diente damals
den Bewohnern der umliegenden Oerter
zum Altar ...“ Dies ist die erste überlie-
ferte Beschreibung des Altarsteins, der
zuvor auch auf Karten nicht verzeichnet
war. Obwohl dies durch namhafte His-
toriker widerlegt werden konnte, halten
sich bis heute Vorstellungen, dieser na-          Eingang des Friedrichsstollens am Rand der
türliche, herabgestürzte Felsblock sowie          östlichen Vergleichsfläche

                                             19
KS

     GI        FD

WI   F

     DA

                    20
Totalreservat

                Vergleichsfläche

 Vergleichs-
   fläche

                  21
Waldstruktur                                                                                Totalreservats bei 384 m³ je ha. Hinsicht-
                                                                                            lich der Stammzahl waren sich die beiden
Unmittelbar nach dem Beginn des For-                                                        Teilflächen ähnlicher. Hier wies die Ver-
schungsprogramms im Jahr 1988 wurde                                                         gleichsfläche lediglich eine etwas höhere
das Naturwaldreservat „Meißner“ auf                                                         Baumdichte auf.
insgesamt 87 systematisch verteilten Pro-                                                   In dem 22-jährigen Beobachtungszeit-
bekreisen waldkundlich erfasst. Zu die-                                                     raum ist der Vorrat im Totalreservat auf
sem Zeitpunkt waren Totalreservat und                                                       etwas mehr als 500 m³ je ha ange-
bewirtschaftete Vergleichsfläche aus 85                                                     wachsen. Trotz fortschreitender Nutzung
bis 150 Jahre alten Buchenmischwäldern                                                      konnten auch die Waldbestände in der
und 80 bis 120-jährigen Fichtenbestän-                                                      Vergleichsfläche ihren Vorrat auf 320 m³
den aufgebaut.                     700
Aufgrund der guten Nähr-                          Anzahl Bäume               Holzmasse in Kubikmeter
stoffversorgung und der ab-
                                         Anzahl Bäume bzw. Kubikmeter Holz je Hektar

                                   600

wechslungsreichen Standorte                                                                      Sonstige
                                                                                                 Fichte
weist das Naturwaldreservat        500                                                           Bergahorn
                                                                                                 Rotbuche
eine große Palette an Misch-       400
                                                                                                 Eiche

baumarten auf. Neben dem
Berg-Ahorn als wichtigster         300

Laubbaumart nach der Rot-
buche kommen in geringeren         200

Anteilen Stiel-Eiche, Spitz-
                                   100
Ahorn, Esche, Berg-Ulme,
Winter-Linde,      Sand-Birke,        0
Schwarz-Erle und Eberesche
                                         1988 2010            1988 2010    1988 2010           1988 2010
                                             TR                   VF            TR                   VF
vor. Als einzige Strauchart ist Lebender Baumbestand: Entwicklung von Stammzahl und
die Hasel auch in der Baum- Holzmasse je Hektar im Naturwaldreservat „Meißner“ von
schicht vertreten. Außer der 1988 bis 2010
Gemeinen Fichte wurden in         100
einzelnen Probekreisen weni-                         Stückzahl                      Kubikmeter

ge Douglasien erfasst.
                                   90
                                        Stückzahl bzw. Kubikmeter Holz je Hektar

Totalreservat (TR) und Ver-        80                                                        Totholz stehend
                                                                                             Totholz liegend
gleichsfläche (VF) zeigten         70

bereits im Ausgangszustand         60

einige Unterschiede in der         50

Bauartenzusammensetzung            40

und Bestockungsdichte. So          30

war der Anteil der Fichte im       20
Totalreservat erheblich hö-        10
her. Während der Vorrat in          0
der Vergleichsfläche im Jahr            1988
                                             TR
                                                2010         1988
                                                                  VF
                                                                     2010 1988
                                                                               TR
                                                                                  2010        1988
                                                                                                    VF
                                                                                                        2010

1988 durchschnittlich 258 m³
                                Totholz: Entwicklung von Stückzahl und Holzmasse je Hektar
je ha betrug, lag der Wert des im Naturwaldreservat „Meißner“ von 1988 bis 2010

                                                                                       22
Der Berg-Ahorn ist die häufigste Mischbaumart im Naturwaldreservat „Meißner“.

je ha erhöhen. In beiden Flächen hat die          Hier wird mit 40 m³ je ha ein in etwa
Stammzahl geringfügig zugenommen.                 doppelt so hoher Wert erreicht wie in der
Diese Zunahme geht im Wesentlichen auf            Vergleichsfläche.
Rotbuchen zurück, die in den Derbholz-            Bereits bei der Ausweisung des Natur-
bestand eingewachsen sind. Erklärungs-            waldreservates wurde auf die hohe Be-
ansätze hierfür bieten die 1988 entstan-          lastung der Waldverjüngung durch Scha-
dene Eisbruchfläche im Totalreservat und          lenwildverbiss hingewiesen. Werden die
aufgelichtete Althölzer mit Nachwuchs in          Ergebnisse der Verjüngungsaufnahmen
der Vergleichsfläche.                             1988 und 2010 miteinander verglei-
Die Totholzmenge (liegend ≥20 cm                  chen, so zeigt sich, dass dieses Problem
Durchmesser, stehend ≥7 cm BHD, kei-              nach wie vor offenbar nicht befriedigend
ne Stubben berücksichtigt) war mit 17 m³          gelöst ist. Die Gesamtzahl an Jungpflan-
je ha im Totalreservat und 11 m³ je ha            zen beträgt im Jahr 2010 nur noch in
in der Vergleichsfläche bereits im Aus-           etwa ein Viertel der Ausgangszahl. Die-
gangszustand recht hoch. Bis zum Jahr             se Entwicklung geht darauf zurück, dass
2010 haben Stückzahl und Volumen in               sich die Pflanzenzahl in der untersten
beiden Flächenvarianten weiter zuge-              Höhenklasse erheblich verringert hat und
nommen. Diese Entwicklung ist im To-              gleichzeitig offenbar kaum Pflanzen in die
talreservat allerdings stärker ausgeprägt.        höheren Schichten aufwachsen konnten.

                                             23
Durchschnittliche Anzahl Jungpflanzen pro Hektar in den Untersuchungsjahren 1988 und 2010

 Jahr    Baumart                             Höhenklasse                       Summe
                                3,0 m
 1988    Berg-Ahorn              9.153            14               0           9.167
 2010    Berg-Ahorn              2.242             5               9           2.256
 1988    Esche                   2.237              0              0           2.237
 2010    Esche                     735              0              0             735
 1988    Fichte                    367              0              0             367
 2010    Fichte                    367              5            14              386
 1988    Rotbuche                6.005          135             140            6.279
 2010    Rotbuche                1.405          158             112            1.674
 1988    Spitz-Ahorn             1.037              0              0           1.037
 2010    Spitz-Ahorn                33              0              0              33
 1988    andere Laubbäume             419           0               0            419
 2010    andere Laubbäume             586           9               5            600
 1988    andere Nadelbäume             70           0               0             70
 2010    andere Nadelbäume              0           0               0              0
 1988 Summe                     19.288           149              140         19.577
 2010 Summe                      5.367           177              140          5.684

                                                           Auffällig ist der konstant ge-
                                                           ringe Anteil an Jungpflanzen
                                                           über Äserhöhe, der auf einen
                                                           anhaltend starken Verbiss-
                                                           druck zurückzuführen sein
                                                           dürfte.
                                                           Die weitere Beobachtung des
                                                           Naturwaldreservates „Meißner“
                                                           wird zeigen, ob sich lebender
                                                           Holzvorrat und Totholzmenge
                                                           weiter erhöhen und welche
                                                           Rolle der Wildeinfluss, na-
                                                           türliche Störungen und Alte-
                                                           rungsprozesse in den Buchen-
                                                           mischwäldern künftig spielen
                                                           werden. Eine wirklich natür-
                                                           liche Entwicklung erscheint
                                                           unter den gegenwärtigen Rah-
                                                           menbedingungen eines offen-
                                                           bar deutlich erhöhten Scha-
Starker Verbiss an jungen Rotbuchen                        lenwildbestandes fragwürdig.

                                            24
Bodenvegetation                                  reichen Böden nur kleinflächig ausgebil-
                                                 det. Neben den Buchenwäldern kommen
Im Naturwaldreservat „Meißner“ und               auf blocküberlagerten Sonderstandorten
seiner Vergleichsfläche dominieren ver-          Ahorn-Linden-Hang- und Schluchtwälder
schiedene Buchenwald-Gesellschaften              sowie natürlich waldfreie bzw. mit Ele-
(Waldmeister-, Hainsimsen- und Wald-             menten des Karpatenbirken-Ebereschen-
gersten-Buchenwald), deren Vorkom-               Blockwaldes bewachsene Blockhalden
men in erster Linie vom Basengehalt des          vor. An Quell- und Bachstandorten tre-
Bodens abhängt. Die häufigste Wald-              ten kleinflächig Feuchtwälder auf. Insbe-
gesellschaft ist hier der Waldmeister-           sondere im Totalreservat sind Fichten vor
Buchenwald, der auf den im Gebiet weit           allem in aufgelichtete Buchenwaldstand-
verbreiteten schwach bis mäßig sauren            orte eingebracht worden.
Standorten auftritt. Der Hainsimsen-Bu-          An 85 dauerhaft markierten Rasterpunk-
chenwald ist der zweithäufigste Waldtyp          ten (39 im Totalreservat und 46 in der
und kommt auf sauren bis stark sauren            Vergleichsfläche) wurden im Jahr 2011
Böden vor. Solche Standorte sind vor             Vegetationsaufnahmen auf 100 Qua-
allem in windexponierten Plateaurand-            dratmeter großen Probeflächen durchge-
und Hangbereichen zu finden, wo der              führt. Im Totalreservat tritt die Rotbuche in
Nährstoffkreislauf unterbrochen ist, weil        92 %, in der Vergleichsfläche in 83 % der
die Laubauflage weggeblasen wird. Der            Aufnahmeflächen in der oberen Baum-
Waldgersten-Buchenwald ist auf basen-            schicht auf, wo sie häufig auch dominant

Hainsimsen-Buchenwald mit Wald-Schwingel (Festuca altissima) am Plateaurand

                                            25
Offene Blockhalde mit Karpaten-Birke in der Vergleichsfläche
ist. Zweithäufigste Baumart ist die Fichte,        als 22 % und im Totalreservat an 15 %
die vor allem im Totalreservat eine gro-           der Probepunkte vor. Weitere wichtige
ße Rolle spielt und dort an der Hälfte der         Baumarten sind Spitz-Ahorn und Esche.
Probepunkte (51 %) in der oberen Baum-             Im Hinblick auf die mittlere Deckung der
schicht gefunden wurde. Sie tritt meist als        Baumschicht besteht am Meißner kein
Mischbaumart mit der Buche auf, bildet             großer Unterschied zwischen Totalreser-
vereinzelt aber auch Reinbestände. In              vat (71 %) und Vergleichsfläche (74 %).
der Vergleichsfläche ist die Fichte deut-          Hauptgrund hierfür ist, dass in beiden
lich seltener und wurde in nur 7 % der             Teilflächen neben sehr dicht geschlosse-
Aufnahmeflächen angetroffen. Hier spielt           nen Beständen auch sehr stark aufgelich-
der Berg-Ahorn als Mischbaumart der                tete oder sogar baumfreie Bereiche vor-
oberen Baumschicht eine größere Rolle.             kommen. So ist die durch einen Eisbruch
Er kam in der Vergleichsfläche an mehr             1988 entstandene große Lücke im nord-

Ausschnitt aus der Krautschicht eines Waldgersten-Buchenwaldes mit Wald-Bingelkraut, Hoher
Schlüsselblume, Haselwurz, Buschwindröschen und Gold-Hahnenfuß

                                              26
Das Totalreservat weist einen höheren Fichtenanteil auf als die Vergleichsfläche.
östlichen Teil des Totalreservats auch nach         kaum. Im Totalreservat wurden im Mittel
25 Jahren noch nicht geschlossen, weil die          16 Gefäßpflanzen- und 2 Moosarten auf
Gehölzverjüngung durch Wildverbiss und              100 Quadratmetern gefunden, in der
eine dichte Krautschicht gehemmt wird.              Vergleichsfläche 16 Gefäßpflanzen- und
In der südlichen Vergleichsfläche existie-          1 Moosart.
ren durch die fortgeschrittene Endnutzung           Häufigste Arten der Krautschicht sind in
entstandene lichte Partien. Daneben hat             Waldmeister- oder Hainsimsen-Buchen-
auch der Sturm „Kyrill“ 2007 im Bereich             wäldern weit verbreitete Arten wie Busch-
des Plateaurandes größere Lücken geris-             Windröschen (Anemone nemorosa),
sen. Eine Strauchschicht spielt mit 2 bzw.          Wald-Frauenfarn (Athyrium filix-femina),
4 % weder im Totalreservat noch in der              Wald-Segge (Carex sylvatica), Rasen-
Vergleichsfläche eine größere Rolle und             Schmiele       (Deschampsia cespitosa),
wird meist von der Baumverjüngung (Bu-              Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa),
che und Fichte) gebildet. Die mittlere De-          Breitblättriger Dornfarn (Dryopteris dila-
ckung der Krautschicht beträgt im Total-            tata), Gewöhnlicher Wurmfarn (Dryop-
reservat 19 % und in der Vergleichsfläche           teris filix-mas), Wald-Schwingel (Festuca
17 %. Dabei liegt sie im Bereich der Wind-          altissima), Waldmeister (Galium odora-
wurflücken und der durch Holzernte stark            tum), Eichenfarn (Gymnocarpium dryop-
aufgelichteten Bereiche meist zwischen 50           teris), Großes Springkraut (Impatiens
und 95 %, in anderen Gebietsteilen hin-             noli-tangere), Berg-Goldnessel (Lamium
gegen nur zwischen 0 und 20 %. Ähnlich              montanum), Weißliche Hainsimse (Luzu-
wie bei den Deckungsgraden unterschei-              la luzuloides), Gewöhnliches Flattergras
den sich Totalreservat und Vergleichsflä-           (Milium effusum), Dreinervige Nabelmie-
che hinsichtlich der mittleren Artenzahl            re (Moehringia trinervia), Wald-Sauerklee
für Gefäßpflanzen und Moose nicht bzw.              (Oxalis acetosella), Hain-Rispengras (Poa

                                               27
Blocküberlagerter Buchen-Mischwald im Totalreservat
nemoralis) und die vor allem in höheren                  Frauenhaarmoos (Polytrichum formosum)
Lagen vorkommende Quirlblättrige Weiß-                   und Einseitswendiges Kleingabelzahn-
wurz (Polygonatum verticillatum). Hinzu                  moos (Dicranella heteromalla).
kommt Verjüngung der Baumarten Berg-                     Eine Analyse der Waldbindung der im
Ahorn (Acer pseudoplatanus), Rotbuche                    Totalreservat und in der Vergleichsfläche
(Fagus sylvatica), Esche (Fraxinus excel-                gefundenen Gefäßpflanzen- und Moos-
sior) und Eberesche (Sorbus aucuparia).                  arten zeigt, dass im Totalreservat Arten
Die häufigsten Moosarten sind Schönes                    geschlossener Wälder mehr als die Hälfte
                                                                        des Artenspektrums aus-
    Prozentanteil
100                                                                     machen. Die zweitgrößte
 90
                                Waldarten   mit
                          Schwerpunkt im Offenland
                                                                        Gruppe bilden hier die im
 80                                                                     Wald wie im Offenland ver-
                          im Wald wie im Offenland                      breiteten Arten. Umgekehrt
 70                            verbreitete Arten
                                                                        ist es in der Vergleichsflä-
 60                                                                     che. Hier herrschen die im
 50                                                                     Wald wie im Offenland ver-
                             Arten der Waldränder
 40                           und -verlichtungen                        breiteten Arten vor und Ar-
                                                                        ten geschlossener Wälder
 30
                                                                        machen gut ein Drittel des
 20                               Arten der
                            geschlossenen Wälder
                                                                        Artenbestandes aus. Hinzu
 10                                                                     kommt ein etwas höherer
  0
                                                                        Anteil von Waldarten mit
            Totalreservat                         Vergleichsfläche      Schwerpunkt im Offenland
Prozentualer Anteil der Waldartengruppen (Farn- und Blüten- und reinen Offenlandarten.
pflanzen, Moose, Flechten), gewichtet mit deren Stetigkeit              Hauptgründe für diesen

                                                28
Unterschied sind Auflichtungen und Bo-
denstörungen bei der Holzernte, durch
die in der Vergleichsfläche lichtliebende
und störungszeigende Arten gefördert
werden. Als Störungen gelten in der Öko-
logie Ereignisse, die – oft schlagartig – die
Verfügbarkeit von Ressourcen (z. B. Licht-,
Wasser- oder Nährstoffangebot) verän-
dern und damit Einfluss auf die Artenzu-
sammensetzung haben (z. B. Windwurf
oder Eisbruch). Die Wirkung von solchen
direkten Störungen wird heute oft ver-
stärkt durch indirekte Störungen wie den
Stickstoffeintrag aus der Luft. Im Natur-
waldreservat „Meißner“ ist eine Gruppe
von Störungszeigern sowohl in Teilen der
Vergleichsfläche als auch in Teilen des To-          Die Berg-Flockenblume (Centaurea montana)
talreservats häufig vertreten. Dabei han-            kommt vorwiegend in montanen Lagen vor. Im
                                                     Naturwaldreservat besiedelt sie Felsstandorte.
delt es sich um Rotes Straußgras (Agrostis
capillaris), Land-Reitgras (Calamagrostis            Weiches Honiggras (Holcus mollis), Flat-
epigejos), Hasenfuß-Segge (Carex ovalis),            ter-Binse (Juncus effusus), Himbeere
Sparrige Segge (Carex muricata), Pillen-             (Rubus idaeus) und Knotige Braunwurz
Segge (Carex pilulifera), Schmalblättriges           (Scrophularia nodosa). Sie treten gehäuft
Weidenröschen (Epilobium angustifoli-                insbesondere in den durch Eisbruch und
um), Kletten-Labkraut (Galium aparine),              Windwurf stark gestörten Flächen auf.

Durch den Orkan „Kyrill“ gerissene Lücken am oberen Rand der südlichen Vergleichsfläche

                                                29
Christian Polycarp Erxleben (1744-1777),
                                                          später Professor für Physik und Tierheil-
                                                          kunde in Göttingen, in der Pfingstwoche
                                                          1765 von Göttingen aus an einer von
                                                          dem Naturhistoriker Prof. Christian Wil-
                                                          helm Büttner (1716-1801) veranstalteten
                                                          Exkursion zum Meißner teil und berich-
                                                          tete darüber. Dabei muss er nach seiner
                                                          Wegbeschreibung auch die Wälder des
                                                          heutigen Naturwaldreservates durchquert
                                                          haben. Viele der von ihm aufgeführten
                                                          Pflanzenarten kommen hier noch heu-
Das Hain-Veilchen (Viola riviniana) ist eine typi-        te vor. Auch Professor Conrad Moench
sche Art von Waldmeister-Buchenwäldern.                   veröffentlichte 1777 und 1786 Artenlis-
                                                          ten seiner Exkursionen. Er fand im heu-
Gebietsfremde Pflanzenarten fehlen hin-                   tigen Naturwaldreservat unter anderem
gegen, mit Ausnahme der forstlich ein-                    den Großblütigen Fingerhut an den Fel-
gebrachten Douglasie, im Naturwaldre-                     sen beim „Lusthaus“, wo er immer noch
servat wie auch in der Vergleichsfläche in                wächst. Eine umfangreiche Liste mit 125
den Vegetationsaufnahmen völlig.                          Moos-, Flechten- und Gefäßpflanzenarten
Insgesamt gehört das Gebiet aufgrund                      vom Meißner veröffentlichte 1799 der Bo-
seiner standörtlichen Vielfalt zu den flo-                taniker Christian Hendryk Persoon (1761-
ristisch interessantesten Buchen-Natur-                   1836). Schließlich ist zu den Pionieren der
waldreservaten mit einer größeren Anzahl                  floristischen Erfassung des Meißners noch
seltener und gefährdeter Gefäßpflanzen-                   der Pharmazeut und Botaniker Georg Wil-
arten, zu denen Arten wie der Großblü-                    helm Franz Wenderoth (1774-1861), Pro-
tige Fingerhut (Digitalis grandiflora), der               fessor in Rinteln und Marburg, ein Schüler
Riesen-Schachtelhalm (Equisetum telma-                    Moenchs, zu zählen.
teia), der Märzenbecher (Leucojum ver-
num) oder die Sumpf-Sternmiere (Stellaria
palustris) zählen. Die größte floristische
Besonderheit ist jedoch Brauns Schildfarn
(Polystichum braunii), eine der seltens-
ten Waldpflanzen Hessens, über deren
Vorkommen nachfolgend noch berichtet
wird.
Der Meißner ist seit langem für seinen flo-
ristischen Reichtum bekannt. So ist durch
Rechnungen belegt, dass schon im aus-
gehenden 16. Jahrhundert der hessische
Landgraf seine Kräuterfrau auf den Meiß-
ner schickte. Im 18. Jahrhundert wurde
der Berg zunehmend von Naturwissen-                       Eichenfarn, Wald-Sauerklee und Schönes Frau-
schaftlern aufgesucht. So nahm Johann                     enhaarmoos

                                                     30
Artenschutzprojekt
„Brauns Schildfarn“
Der Meißner bietet aufgrund seiner Hö-
henlage und insbesondere seiner natür-
lich waldfreien oder nur locker bewalde-
ten Blockhaldenstandorte Lebensraum für
eine Reihe von Tier- und Pflanzenarten, die
als Eiszeitrelikte (Glazialrelikte) angesehen
werden. Solche Arten weisen heute eine
nordische, arktische oder alpine Verbrei-
tung auf, waren aber während der Eiszei-             Ausgewachsener Farnstock von Brauns Schild-
ten deutlich weiter verbreitet. Nur punktuell        farn
konnten sie an geeigneten Standorten vom         hatte in Deutschland außerhalb der Alpen
Ende der letzten Eiszeit bis heute überdau-      nur am Meißner überlebt, und zwar im
ern. Am Meißner kommt als Glazialrelikt          Gebiet des heutigen Naturwaldreservates.
die Blockhaldenwolfspinne (Acantholyco-          Der Botaniker Conrad Moench fand sie
sa norvegica) vor, die hier 1950 erstmals        erstmals zwischen 1773 und 1777 an den
für Deutschland nachgewiesen wurde.              Felsen beim „Lusthäuschen“. Er schreibt
Auch Moosarten wie Anastrophyllum sa-            über die Silberwurz: „Letztere habe ich
xicola, Gymnomitrium obtusum und Mar-            selten gemacht, indem ich alles, wozu ich
supella sparsifolia haben auf den Block-         kommen konnte, mitnahm, um sie in dem
halden- und Felsstandorten vermutlich seit       Garten [Botanischer Garten Marburg] an-
Jahrtausenden überdauert. Unter den Ge-          zuziehen.“ In den Jahren 1837 und zuletzt
fäßpflanzen ist die Silberwurz (Dryas octo-      1924 wurden noch Restvorkommen gefun-
petala) das bekannteste Beispiel. Diese Art      den, die aber durch Aufforstung oder den
                                                                 Bau einer militärischen
                                                                 Anlage zerstört wurden.
                                                                 Auch die Moltebeere (Ru-
                                                                 bus chamaemorus) und
                                                                 der Alpen-Flachbärlapp
                                                                 (Diphasiastrum alpinum)
                                                                 gelten als Eiszeitrelikte,
                                                                 die am Meißner durch
                                                                 menschliche Tätigkeiten
                                                                 ausgerottet wurden.
                                                                 Eine heute noch in Rest-
                                                                 beständen vorkommen-
                                                                 des Glazialrelikt ist Brauns
                                                                 Schildfarn    (Polystichum
                                                                 braunii). Diese Art ist in
                                                                 Hessen vom Aussterben
Auf den natürlich waldfreien Blockhaldenstandorten des Meißners bedroht und wächst nur
konnten Eiszeitrelikte überdauern.                               am Meißner. Hier wur-

                                                31
Nachgezogene Jungpflanzen von Polystichum braunii werden ausgebracht.

de sie Ende des 19. Jahrhunderts vom              Farnstöcken war vollständig erloschen.
Eschweger Lehrer Johann Adam Eichler              Vor dem Hintergrund dieser Bestandes-
(1812-1890) im Gebiet des heutigen                entwicklung wurde bei einem Ortstermin
Naturwaldreservates und an einem wei-             mit Vertretern des Regierungspräsidiums
teren Fundort entdeckt. Schwer zugäng-            Kassel, des Landesbetriebes Hessen-Forst,
liche Hangschuttwälder boten dem Farn             der Nordwestdeutschen Forstlichen Ver-
hier seit Jahrtausenden gute Lebensbe-            suchsanstalt, des Naturparks Meißner-
dingungen. Erste Anzeichen für einen              Kaufunger Wald, der Universität Kassel,
Rückgang von Brauns Schildfarn gab es             verschiedener Naturschutzverbände und
1980. Anfang der 1990er Jahre machten             mit unabhängigen Fachgutachtern ver-
ortskundige Botaniker, insbesondere der           einbart, Sporenmaterial von den letz-
Witzenhausener Lehrer Ernst Baier (1919-          ten Farnpflanzen zu entnehmen und zur
2007), auf einen dramatischen Bestan-             Nachzucht zu nutzen. Nachdem es an der
desrückgang aufmerksam. Dieser wurde              Universität Kassel gelungen war, mehrere
mit Verbiss und Fraß durch das 1952               tausend Individuen des Schildfarns nach-
ausgesetzte Muffelwild in Verbindung ge-          zuziehen, wurden im Mai 2007 erstmals
bracht. Nachdem deutlich wurde, dass              250 Farnpflanzen an den ursprünglichen
sich die Bestandssituation nicht grundle-         Wuchsorten im Naturwaldreservat und auf
gend verbessert hatte, wurde 2004 eine            einer weiteren Fläche ausgebracht. Da-
Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um die           bei war jeweils eine Hälfte der Individuen
Rückgangsursachen aufzuklären sowie               durch einen wilddichten Zaun geschützt.
Maßnahmen zum Erhalt und zur Regene-              Diese Zaunversuche dienten zur Überprü-
ration der Schildfarn-Population einzulei-        fung der Hypothese, dass Verbiss durch
ten. Eine eingehende Bestandsaufnahme             Muffelwild als entscheidende Ursache
ergab einen Rückgang der Individuenzahl           für den Rückgang von Brauns Schildfarn
um mehr als 98 %. Nur noch acht Farn-             am Meißner anzusehen ist. Aufgrund der
pflanzen waren nachweisbar, davon sieben          herausragenden Bedeutung des Schild-
in einem 1993 errichteten Kleingatter. Die        farn-Vorkommens am Meißner hatte die
ehemals größte Teilpopulation im Natur-           Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsan-
waldreservat „Meißner“ mit ehemals 300            stalt den Versuchen zugestimmt, obwohl

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die (Wieder-)Ansiedlung von Pflanzen den           Aufgrund der Naturnähe der Waldvegeta-
Grundsätzen der Naturwaldreservate-Be-             tion und -standorte ergeben sich grund-
treuung und -Forschung widerspricht. Die           sätzlich sehr gute Voraussetzungen für
Ausbringung der Jungpflanzen verlief aus-          die Erhaltung von Brauns Schildfarn am
gesprochen erfolgreich. Fast alle Pflanzen         Meißner. Die dort inzwischen wieder ver-
wuchsen an und ihre Entwicklung wurde              gleichsweise hohe Zahl von Farnstöcken
intensiv beobachtet. Die Erstaufnahme              bietet zugleich sehr günstige Vorausset-
erfolgte direkt nach der Auspflanzung,             zungen für eine natürliche Regeneration
Folgeinventuren, einschließlich ausführli-         der Population. So konnten 2012 außer-
cher Fotodokumentation, liegen bis 2010            halb des Naturwaldreservates erstmals
vor.                                               vier Jungpflanzen gefunden werden, die
Die Versuchsergebnisse belegen einen               nicht aus der Nachzucht stammen. Aktive
statistisch signifikanten Einfluss des Zau-        Erhaltungs- und Stützungsmaßnahmen für
nes auf die Überlebensrate von Brauns              die Population des Schildfarns durch Aus-
Schildfarn am Meißner. Von den innerhalb           pflanzung und Gatterungsmaßnahmen
der wilddichten Kleingatter ausgebrachten          wären allerdings auf Dauer zu teuer und
Farnpflanzen überlebten 72 (58 %). Au-             mit dem Status eines Naturwaldreservates
ßerhalb des Zaunes überlebten hingegen             nicht vereinbar. Die Diskussion der Konse-
nur 46 (37 %) bis zum Abschluss der Un-            quenzen aus den Ergebnissen der Zaun-
tersuchungen. Die innerhalb des Zaunes             versuche ist noch nicht abgeschlossen
wachsenden Farnpflanzen zeichnen sich              und wird, koordiniert von der 2004 ge-
durch eine deutlich höhere Vitalität aus.          gründeten Arbeitsgruppe, weiter geführt.
Sie sind im Mittel wesentlich größer und           Das Forstamt Hessisch Lichtenau hat in-
weisen eine höhere Anzahl von Farnwe-              zwischen eine Artenpatenschaft für Brauns
deln auf.                                          Schildfarn übernommen.

Auch der Gelappte Schildfarn (Polystichum aculeatum) ist vom Verbiss betroffen.

                                              33
Flechten
In den vergangenen Jahrzehnten sind
Flechten und in neuerer Zeit auch Moose
aufgrund ihrer Eignung als Bioindikato-
ren für die Luftbelastung bekannt gewor-
den. In beiden Organismengruppen gibt
es jedoch auch gute Zeigerarten für das
Alter und die Bestandeskontinuität von
Lebensräumen. So gibt es Flechtenarten,
die aufgrund ihres langsamen Wachstums                 Die Flechte Mycobilimbia pilularis wächst auf der
und ihrer geringen Ausbreitungsfähigkeit               Borke alter und morscher Laubbäume. Sie gilt
nur in alten Waldbeständen vorkommen.                  als Zeigerart alter Waldbestände und wurde im
Manche Arten wachsen vorzugsweise auf                  Gebiet an einem alten Berg-Ahorn gefunden.
sehr alten Bäumen mit stark rissiger Borke             Der äußerste Nordosten Hessens zwischen
oder an stehendem Totholz. Unter diesen                Kassel, Eschwege und Bad Hersfeld ge-
und weiteren Gesichtspunkten wurden in                 hörte in den 1970er und 1980er Jahren
den vergangenen Jahren flechtenkundli-                 zu den am stärksten luftbelasteten Gebie-
che Untersuchungen in bisher 10 hessi-                 ten in Hessen. Ursache dafür waren einer-
schen Naturwaldreservaten durchgeführt.                seits die örtlichen Schadstoffemissionen,
Das Naturwaldreservat „Meißner“ wurde                  andererseits der Eintrag von Luftschadstof-
2012 bearbeitet. In den Waldbeständen                  fen aus den östlich gelegenen Industriege-
des Naturwaldreservats und seiner Ver-                 bieten im Thüringer Becken, vor allem im
gleichsfläche konnten dabei insgesamt                  Winterhalbjahr bei Ostwetterlagen. Stark
74, in den Basaltblockfeldern 43 Flech-                betroffen von den Belastungen durch Luft-
tenarten nachgewiesen werden.                          schadstoffe waren die exponierten und
                                                       niederschlagsreichen Hochlagen. Unter-
                                                       suchungen belegen, welche besonderen
                                                       Flechtenarten im 19. Jahrhundert noch am
                                                       Meißner vorkamen und wie stark dezimiert
                                                       die baumbewohnende Flechtenvegetation
                                                       am Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund
                                                       der hohen Schwefeldioxid-Einträge gewe-
                                                       sen ist.
                                                       Auch heute noch ist die Artenzahl der
                                                       baumbewohnenden Flechten am Meißner
                                                       vergleichsweise gering. Am Mittelstamm
                                                       und Stammfuß von Rotbuche und Berg-
                                                       Ahorn wachsen häufige Waldarten wie
                                                       Coenogonium pineti, Lecanora argenta-
Im Gebiet kommen an alten Rotbuchen- und               ta, Porina aenea und auch außerhalb des
Bergahorn-Bäumen einige seltene Flechtenar-
                                                       Waldes weit verbreitete Arten wie Bacidina
ten wie Mycobilimbia pilularis Opegrapha va-
ria, Opegrapha viridis, Pertusaria hemisphaeri-        sulphurella, Cladonia coniocraea und Le-
ca, Pertusaria hymenea und Pyrenula nitida vor.        praria incana. Weitere Arten kommen an

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