Meißner Hessische Naturwaldreservate im Portrait - HESSEN-FORST
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HESSEN-FORST Hessische Naturwaldreservate im Portrait Meißner NW-FVA Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
Einführung Das hessische Naturwaldreservate-Programm besteht mittlerweile seit 25 Jahren und wird vom Landesbetrieb HESSEN-FORST sowie der Nordwestdeutschen Forstli- chen Versuchsanstalt (NW-FVA) in Abstimmung mit dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz (HMUELV) umgesetzt. An den vielfältigen botanischen, zoologischen, pilzkundli- chen und waldstrukturellen Untersuchungen sind neben dem Forschungsinstitut Senckenberg (Frankfurt) zahlrei- che weitere Institutionen und Einzelpersonen beteiligt. Die praxisorientierte Aufbereitung der Untersuchungser- gebnisse liefert neue Erkenntnisse für den Waldbau und den Waldnaturschutz. Das vorliegende Heft der Reihe „Hessische Naturwaldre- servate im Portrait“ stellt die Ergebnisse der über 20-jäh- rigen Erforschung des Naturwaldreservates „Meißner“ erstmals überblicksartig vor. Dieses Waldgebiet ist im Bereich der schwer zugänglichen Fels- und Blockhal- denstandorte durch kaum von Menschen beeinflusste Lebensräume gekennzeichnet. In anderen Teilen des Gebietes lassen sich hingegen vielfältigste jahrhunder- telange Nutzungseinflüsse nachweisen. Fragen der Na- turnähe, der Wald- und der Nutzungsgeschichte stehen daher in besonderer Weise im Fokus des vorliegenden Heftes. Aufgrund seiner Höhenlage und seiner standörtlichen Vielfalt zeichnet sich der Meißner durch eine beson- ders reiche Flora aus. Bemerkenswert sind dabei einige „Eiszeitrelikte“, Pflanzenarten, die nach Auffassung von Fachleuten mindestens seit der letzten Eiszeit, also seit rund 10.000 Jahren, im Gebiet überdauern konnten. Leider sind seit den ersten detaillierten Aufzeichnungen der Botaniker im ausgehenden 18. Jahrhundert einige dieser Reliktarten ausgestorben oder sogar gezielt aus- gerottet worden. Für ein noch vorkommendes Eiszeitre- likt, Brauns Schildfarn, eine Waldart, die in ganz Hessen nur hier überdauert hat, läuft seit 10 Jahren ein aufwän- diges Artenschutzprojekt. Über dieses bemerkenswerte Projekt, in das zahlreiche Institutionen und Personen eingebunden sind, und das eigentlich nicht in ein Na- turwaldreservat passt, wird hier ebenfalls zusammenfas- send berichtet. 2
Inhaltsverzeichnis Seite Einführung 2 Meißner 5 Zeitschnitte – Auswertung historischer Karten und Beschreibungen 14 Übersichtskarte 20/21 Waldstruktur 22 Bodenvegetation 25 Artenschutzprojekt „Brauns Schildfarn“ 31 Flechten 34 Fledermäuse 36 Ausblick 38 Literaturhinweise, Impressum 39 4
Blick vom Roßkopf auf den Meißner-Osthang Meißner Der Meißner liegt im Werra-Meißner-Kreis, im Naturwaldreservat gelegenen Fels- und etwa 12 Kilometer nordwestlich der Kreis- Blockhaldenstandorte am „Altarstein“ wa- stadt Eschwege und bildet mit 754 m ü. ren darüber hinaus bereits seit 1921 durch NN (Kasseler Kuppe) die höchste Erhebung eine staatliche Verwaltungsanordnung ge- Nordosthessens. Am Nord- und Ostrand schützt und erhielten 1935 mit Inkrafttreten seines durchschnittlich 720 m hoch gele- des Reichsnaturschutzgesetzes den Status genen, ovalen, etwa 4 x 2,5 km großen eines Naturdenkmals. Sie zählen damit zu Basaltplateaus liegt auf einer Höhenlage den ältesten Schutzgebieten in Nordhes- von 570 bis 745 m ü. NN das Naturwald- sen. reservat „Meißner“. Es besteht aus einem Das Naturwaldreservat gehört zum Natur- Totalreservat sowie zwei weiterhin bewirt- raum „Hoher Meißner“, einem Teilgebiet schafteten Vergleichsflächen. Totalreservat des Fulda-Werra-Berglandes. Hier bildeten und Vergleichsflächen sind jeweils 43 ha sich während des Tertiärs im Kreuzungsbe- groß. Das Gebiet wird vom Forstamt Hes- reich mehrerer Grabenbruchsysteme Risse sisch Lichtenau betreut und umfasst die und Spalten. Durch diese drang flüssiges Forstorte „Bergholz“, „Unterm Weissen- Gestein aus dem Erdinneren empor, das stein“, „Eselskopf“, „Weinbusch“, „Lust- nach dem Abkühlen eine bis über 150 m häuschen“, „Kasseler Stein“, „Vockeröder mächtige Basaltschicht bildete, das heu- Hute“ und „Gemoose“. Auf der Fläche des tige Meißnerplateau. Unter dem Basalt Naturwaldreservates überlagern sich vier blieben lockere tertiäre Ablagerungen Schutzgebietskategorien: Das 1988 aus- wie Tone, Feinsande und Braunkohlen vor gewiesene Naturwaldreservat „Meißner“, Abtragung bewahrt. Im Naturwaldreser- ein gleichnamiges und deutlich größeres vat ist der anstehende Basalt im Bereich Naturschutzgebiet und Vogelschutzgebiet der Plateaulagen und im Nordosten an sowie das aus mehreren Einzelgebieten schwächer geneigten Oberhängen das bestehenden Fauna-Flora-Habitat-Gebie- Ausgangsgestein der Bodenbildung. An tes „Meißner und Meißner-Vorland“. Die den Steilhängen dominieren eiszeitlicher 5
Basaltblockschutt sowie mit Basaltverwit- denen etwa 390 mm in der Vegetations- terungslehm, Lösslehm, Tonen und San- periode zwischen Mai und September den vermengter Basaltschutt. Kleinräumig fallen. Die Jahresmitteltemperatur beträgt treten in der nördlichen Vergleichsfläche 7,4 °C, die mittlere Temperatur in der Ve- oberhalb des Friedrichsstollens Oberer getationsperiode 13,7 °C. Die Zahl der und Mittlerer Buntsandstein (Trias) zutage, Frosttage pro Jahr liegt bei durchschnitt- während am Südrand der südlichen Ver- lich 120 bis 140. gleichsfläche tertiäre Tone aus dem Mio- Der im Zusammenhang mit zahlreichen zän zu finden sind. Mythen und Märchen, insbesondere dem Die Böden sind mit Ausnahme der Block- von Frau Holle, bekannte Meißner bildete schuttstandorte überwiegend Braunerden. die Grenze zwischen den germanischen Dominierende Bodenart ist Schluff mit Stämmen der Chatten (Hessen) und Her- wechselnden Sand- und Lehmanteilen. Im munduren (Thüringer). Sein Name un- Bereich der Felswand des Weißen Steins terlag im Laufe der Jahrhunderte einem (auch als Altarstein- oder Wachtsteinwand Wandel. Die älteste überlieferte Form ist bezeichnet) ist die Hangneigung meist „Wisßenere“ (1195) und bezog sich auf größer als 30°. Hier treten auch heute ein am südlichen Meißner gelegenes noch immer wieder kleinere und größere Dorf, das wahrscheinlich um 1390 wüst Rutschungen auf. fiel. 1262 ist erstmals die Rede von dem Klimatisch nimmt der Meißner mit seinem Bergwald „Wisner“. Die Schreibweise montan geprägten, stark subatlantischen wandelt sich später unter anderem von Klima eine Sonderstellung ein. Die Nie- Wiesener (1383) über Weisner (1553), derschläge liegen im Bereich des Natur- Wißner (1580) zu Weißner (1715). Die waldreservates bei 915 mm im Jahr, von Form „Meißner“ tritt erst neuzeitlich ab Basaltfelsen an dem als Weißer Stein oder Altarsteinwand bezeichneten Felshang 6
Ahorn-Linden-Hang- und Schluchtwälder kamen nach den Ergebnissen der Pollenanalyse am Meißner schon vor mehreren tausend Jahren vor. etwa 1530 auf. Eine eindeutige Namens- Jahren wurde das nur wenige hundert erklärung gibt es nicht. Viele Deutungs- Meter vom Naturwaldreservat entfernte versuche beziehen sich auf eine Ableitung Weiberhemd-Moor sowie die am Süd- von Wiese, von wissen/weissagen oder rand des Meißner-Plateaus gelegene See- von der Farbe weiß. So schreibt bereits wiese mit verbesserten Methoden erneut 1697 der Chronist Johann Just Wickel- untersucht. Nach den Ergebnissen dieser mann (1620-1699): „... ist lange Zeit Arbeit begann die Ablösung der bis da- mit Schnee und Eiß überzogen und viel- hin vorherrschenden Eichen-Mischwälder leicht dahero der Weisener genennet wor- durch Rotbuchenwälder am Meißner vor den“. Die auf die Farbe Weiß bezogene etwa 5.000 Jahren. Die Massenausbrei- Namenserklärung ist wohl die nahe lie- tung der Buche war vor etwa 2.900 Jah- gendste, der Zusammenhang mit Wiesen ren abgeschlossen und Rotbuchenwälder sehr unwahrscheinlich, da diese zur Zeit herrschten bereits vor. Daneben weisen der Ersterwähnung des Namens auf dem aber die gleichzeitig überdurchschnittlich Meißner noch keine nennenswerte Rolle hohen Werte von Linde, Esche und Ahorn spielten. in den Pollenkurven auf eine lange Tra- Die nacheiszeitliche Vegetationsgeschich- dition und große Bedeutung edellaub- te des Meißners und seines Umlandes holzreicher Hang- und Schluchtwälder lässt sich mithilfe der Pollenanalyse sehr am Meißner hin. Über die Zunahme von gut nachvollziehen. Erste pollenkundliche Getreide- und Siedlungszeiger-Pollen in Untersuchungen der Moor- und Nass- den Diagrammen lässt sich der Beginn standorte am Meißner liegen bereits aus der mittelalterlichen Besiedlung mit star- den 1930er Jahren vor. In den 1980er ken Rodungen und intensiverer Landwirt- 7
Die Abraumhalden des „Alte Häuser Stollens“ im Naturwaldreservat sind heute mit Buchenwald bedeckt. In der Krautschicht dominiert die Hain-Sternmiere. schaft für das Meißnergebiet auf etwa knapper wurde, erließ Landgraf Philipp 900 n. Chr. datieren. Nach dem Ende der Großmütige am 3. April 1532 eine der spätmittelalterlichen Wüstungsperio- Forst- und Jagdordnung und trieb den de, die durch einen Anstieg von Hainbu- Aufbau einer zentralisierten Forstverwal- chen- und Buchen-Pollenwerten sowie ei- tung voran. Schon 1538 beauftragte er nen Rückgang von Siedlungszeiger-Pollen eine Bestandsaufnahme der Wälder am gekennzeichnet ist, kam es um 1500 zu Meißner und ließ durch seinen obersten erneuten Rodungen und zur Entstehung Forstbeamten Peter Kirchoff genannt von von Wiesen und Weiden auf der Meißner- Halle 1544/45 die Stelle eines Forstauf- hochfläche. Erkennbar ist dies durch einen sichtsbeamten (Oberaufsehers) einrich- markanten Anstieg der Pollenanteile von ten sowie eine „Ordnung für die Förster Gräsern sowie einiger Grünlandarten. am Meißner“ erstellen. Das „Forstregis- Gleichzeitig stieg der Eichen-Anteil in den ter der Forsten am Meißner“ vom Jahre Pollenkurven deutlich an – ein Indiz für 1560 verzeichnet 17 Dörfer mit den Na- eine direkte oder indirekte Förderung der men von rund 700 belieferten Personen. Eichen-Arten durch Waldnutzungsformen Sie erhielten an Brennholz 908 Klafter wie den Hute- oder Niederwaldbetrieb. Schnittholz und 603 Schock „Backwellen“ Die Waldungen am Meißner spielten (Reisigbündel, die zum Backen verwendet schon früh eine wichtige Rolle bei der Be- wurden). Dazu kam noch das Holz für lieferung der über mehr als 1.000 Jahre die Pfannschmieden in Sooden, für acht bis 1906 arbeitenden Saline Sooden mit Brauer in Abterode sowie Drechsler-Holz Brennholz. Daneben waren auch die An- (Ahorn und Esche). sprüche der umliegenden Gemeinden zu Brennholzmangel war in der ersten Hälfte erfüllen. Als im 16. Jahrhundert in der ge- des 16. Jahrhunderts das entscheidende samten Landgrafschaft Hessen das Holz Hindernis für einen dem Bevölkerungs- 8
Einführung der Braunkohlefeuerung der Waldverwüstung begegnen zu können. Nach anfänglichen Misserfolgen schrieb der Landgraf am 31. Dezember 1579, dass das Kohlenbergwerk am Meißner „sich reichlich und wohl anlässt und von Tag zu Tag sich bessert“. Der Übergang von nachwachsenden zu fossilen Brenn- stoffen für die Salzsiederei wurde 1578 mit den Kohlen vom Meißner in der Saline Sooden auf dem europäischen Kontinent erstmals vollzogen. Nur in England hatte Sooden mit der rauchenden Saline. Ausschnitt es schon etwas früher, und zwar ab 1546, eines Stiches aus der Topographia Hassiae des den Einsatz von Steinkohle in Salinen ge- Matthäus Merian von 1655 geben. Durch den Einsatz der Braunkohle wachstum entsprechenden Ausbau der stieg die Produktionsleistung der Saline in Soodener Salzproduktion. Der Soodener kurzer Zeit um über 20 %. Auch für die Pfarrer, Salzgrebe und Holzvogt Johan- Kupferverhüttung im nahe gelegenen nes Rhenanus (1528-1589) hatte sich Bilsteiner Kupferbergbaurevier wurde die daher bereits kurz nach seinem Amtsan- am Meißner abgebaute Kohle bereits am tritt 1555 um technische Verbesserungen Ende des 16. Jahrhunderts erfolgreich bemüht und mit importierter Steinkohle eingesetzt, so dass der Holzkohlenbedarf experimentiert. Auf seine Anregung hin hier halbiert werden konnte. Landgraf unternahmen, nachdem in einer Quelle Wilhelm regte darüber hinaus an, Versu- am Meißner immer wieder Kohlestück- che zu unternehmen, ob die Kohle auch chen gefunden worden waren, dort bei in Glas- und Eisenhütten eingesetzt wer- der heutigen Siedlung Schwalbenthal den könne. Die bereits stark fortgeschrit- im Jahr 1560 Bürger aus Kassel, Allen- tene Auflichtung des Kaufunger Waldes dorf und Eschwege einen ersten Versuch durch den immensen Holzverbrauch zur Gewinnung von Braunkohle (damals der Glashütten erfüllte ihn nämlich mit noch Steinkohle genannt). Rhenanus konnte den hessischen Landgrafen Wil- helm IV. für sein Vorhaben gewinnen und am 7. Juli 1571 gab dieser die Anord- nung „solch Kolenbergwergk Im nahmen Gottes Uns selbst und unsern armen Un- derthanen zum pesten erbawen und vort- setzen zue lassen“. Hierfür stellte er Geld zur Verfügung, ließ die Straßen verbessern und wies den zuständigen Oberförster an, Holz zu liefern. Aus dem Erzgebirge wurden durch Vermittlung des kursächsi- schen Hofes Fachleute für Bergbau ange- Braunkohlereste am Rande einer ehemaligen worben. Landgraf Wilhelm hoffte, mit der Abraumhalde im Naturwaldreservat 9
Sorge. Mehrere in den Jahren 1579 bis de bis 1700 erfolgreich betrieben. Die 1585 am Meißner unter dem Bergwerk zugehörige Bergarbeitersiedlung über- gegründete Glashütten arbeiteten nur nahm den Namen der 1463 erstmals mit mäßigem Erfolg und mussten wieder erwähnten Dorfwüstung Bransrode. Im aufgegeben werden. Durch den Einsatz Jahr 1736 wurde der Friedrichsstollen an- der Braunkohle in der Saline und in der gelegt, der bis 1783 in Betrieb war. Der Kupferschmelzhütte wurde der industrielle Untertagebau auf dem Meißner dauerte Brennholzverbrauch deutlich reduziert. Al- bis 1929. Über 30 Stollen waren bis da- lerdings mussten nun große Mengen von hin aufgefahren worden. Ab 1943 wurde Holz aus den Waldungen des Meißners der Braunkohlenbergbau im Tagebau- für den Bergbau geliefert werden. Verfahren wieder aufgenommen und auf Um die Lage der Kohlenflöze genauer über 100 ha (Kalbe und Weiberhemd) bis festzustellen, legte man 1584 unter dem 1974 fortgeführt. Weißen Stein im heutigen Naturwaldre- In den Wäldern am Meißner lag die Jagd- servat einen Versuchsstollen an, in dem gerechtsame (Recht zur Jagdausübung) insgesamt 16 Jahre ohne nennenswer- bei den jeweiligen Landesherren, die jagd- ten Erfolg gearbeitet wurde. Im Nordteil liche Aktivitäten von anderer Seite streng des Naturwaldreservates wurde 1622 der untersagten. Landgraf Wilhelm IV., dessen „Alte Häuser Stollen“ angelegt, in dem Regentschaft von 1567 bis 1592 andau- man 1624 auf Braunkohlen stieß. Er wur- erte, ließ zu diesem Zwecke oberhalb der Hohlweg im Naturwaldreservat, der der Heuabfuhr diente 10
Friedrich von Trott zu Solz (1909-1982) ausgewildert und gehört seitdem zum Standwild. Bei der Einrich- tung des Naturwaldreser- vates bestanden Bedenken, dass überhöhte Rot- und Muffelwildbestände die natürliche Verjüngung der Bäume verhindern könn- ten. Neben der Holznutzung In einem aus Laserscannerdaten abgeleiteten digitalen Gelän- und der Jagd gehört die demodell (DGM1, aufbereitet in geschummerter Darstellung) Viehwirtschaft mit Weide- lassen sich historische Nutzungsspuren erkennen. Zu sehen ist nutzung und Heugewin- hier ein Ausschnitt aus dem Nordwestteil des Totalreservats (Ge- nung auf den Wiesen der bietsgrenze rot gestrichelt) mit Hohlwegesystemen und Abraum- Meißner-Hochfläche zu halden des Braunkohlebergbaus (oben links). den ältesten Landnutzun- Felswand des Weißen Steins im heutigen gen im Gebiet. Die wohl schon im Mit- Naturwaldreservat ein so genanntes Lust- telalter als Triftwege (Trift = Treiben des häuschen bauen, das noch mindestens Viehs) entstandenen Hohlwege, die später bis zum Endes des Siebenjährigen Krieges auch der Abfuhr des Heus dienten, gehö- (1763) in gutem Zustand war. Ein nahege- ren zu den ältesten Wegen am Meißner. legener Keller („Eisgrube“) diente der La- Die umliegenden Dörfer trieben bis zum gerung von Vorräten und erlegtem Wild. 19. Jahrhundert hinein vor allem Rinder Matthäus Merian hebt in seiner 1655 ge- auf die Meißner-Hochfläche und weideten druckten Topographia Hassiae hervor, der sie dort sowohl im Wald als auch auf Ma- Meißner sei „eine sehr stattliche Wildbah- gerrasen- (Borstgras-Rasen), Heide- und ne gewesen, aber auff bitt der Untertha- Moorflächen, die nicht gemäht werden nen, denen das Wildprät obermässigen schaden gethan, veröset [leer gemacht] worden: doch gibt es daran noch viel Re- her, zu weilen wilde Schweine; dabevor auch Beeren.“ Auch im 18. Jahrhundert wurde auf landgräflichen Befehl „alles Schaden tuende Rotwild und Schwarzpret sogleich ohne mindesten Anstand und weitere Anzeige“ geschossen. 1886 wird von Hirschen als seltenem Wechselwild am südlichen Meißner berichtet. Ab 1903 wanderte wieder verstärkt Rotwild zu und vermehrte sich rasch. 1952 wurde der Das von Landgraf Wilhelm IV. erbaute „Lust- aus Korsika und Sardinien stammende häuschen“ mit der nahe gelegenen Eisgrube Europäische Mufflon durch Forstmeister auf einer um 1700 entstandenen Karte 11
konnten. Aufgrund von Hute- gerechtsamen dienten auch die staatlichen Wald- und Of- fenflächen der Weidenutzung. Schon vor 1830 wurden aber offenbar die Waldhuteberech- tigungen der umliegenden Gemeinden abgelöst, da ins- besondere der Frankenhainer Forst zuvor „durch die zu weit gedehnte Hute in der Holzer- ziehung sehr zurückgekom- men“ war. Schriftliche Überlieferungen davon, dass auf dem Meißner Wiesen gerodet worden seien, gibt es aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Hundert Jahre später (1641) schreibt Land- graf Hermann von Hessen-Ro- tenburg (1607-1658): „Oben auf dem Berge hat es einen Die 1705-1710 entstandene Landesaufnahme der Raum fast dreiviertel Meilwegs Landgrafschaft Hessen-Kassel von Johann Georg lang und viel tausend Acker Schleenstein zeigt das bis auf den „Weinbusch“ entwal- breit Wiesen, uf welchem schön dete und mit Grünland bedeckte Meißner-Plateau. Das Gras, so fast einen Menschen heutige Naturwaldreservat liegt östlich des „Lusthauses“ bedecket, wachset und daher (rot hervorgehoben). eine treffliche Viehzucht an Kurzcharakteristik des Naturwaldreservates Größe Totalreservat: 43 ha, Vergleichsfläche: 43 ha geographische Lage etwa 12 km nordwestlich von Eschwege Höhenlage 570 bis 745 Meter über Meereshöhe Naturraum Hoher Meißner Geologie tertiärer Basalt, kleinflächig Oberer und Mittlerer Bunt- sandstein, tertiäre Tone (Miozän) Böden Braunerde Klima Berglandklima (montan, stark subatlantisch) Waldbestand Buchenwald mit Edellaubbäumen Vegetationstyp Waldmeister-Buchenwald, Ahorn-Linden-Hang- und Schluchtwald 12
hinsichtlich seiner Lage und Bodeneigen- schaften sehr gut zum Hochwaldbetrieb eigne. Durch schlechte Behandlung, ins- besondere den hohen Brenn- und Gru- benholzverbrauch seien jedoch viele Dis- trikte holzleer oder „mit Haseln und wenig guten Holzarten bewachsen und nur wenig Buchenoberstände vorhanden“. Folgende Maßnahmen setzten 1815 am Meißner ein: Vier dreißigjährige Bewirtschaftungspe- rioden wurden für die Zeit von 1816 bis 1935 geplant. Es wurde zwischen Mauerreste eines ab 1818 angelegten Pflanz- Buchenhochwald- und Niederwalddis- gartens. In einem Protokoll aus dem Jahre trikten unterschieden. Als Umtriebszeit 1815 heißt es: „... eine schickliche Stelle zu ei- nem Holzgarten für Eschen, Ulmen, Ahorn und sollte bei Buchen für Grubenholz 100, Aspen anzulegen, um an dem obern Theil des sonst 90 Jahre gelten. Der Niederwald Meisners, soweit der Basalt geht, bessere Holz- sollte alle 15 Jahre geschlagen wer- arten, wie die jetzigen Haseln zu bringen.“ den. diesem Berge ist in Friedenszeiten.“ Nach Alle größeren Blößen sollten mit Fichten der Übernahme der kurhessischen Forst- bepflanzt werden. Dafür wurde die An- verwaltung 1866 durch Preußen erfolgte zucht von Nadelholz geplant. eine verstärkte Ablösung der Weiderechte Acht Samen- und Pflanzgärten wurden auch auf dem Meißner-Plateau sowie ab angelegt, davon mindestens vier im 1876 eine systematische Aufforstung der heutigen Naturwaldreservat oder seiner meisten Offenflächen mit Fichte. Die im näheren Umgebung. Angezogen wur- Westen an das heutige Naturwaldreservat den Fichten, Eichen, Birken, Eschen, angrenzenden Wiesen der Kasseler Kup- Ulmen, Ahorn, Aspen und Lärchen. pe wurden als letzte von 1880 bis 1897 Zu diesen Pflanzgärten ist in einer Forstak- aufgeforstet. te notiert: „... unterm Weisenstein sind in Bereits seit 1815 waren unter der Regie den Jahren 1818-1823 zwey neue Garten des Oberforstmeisters Henrich Friedrich zu Saamen-Pflanzschulen daselbst auf der Wilhelm von der Malsburg (1775-1847) grosen Kohlstätte mit Mauer-Befriedigung grundlegende Maßnahmen zur Erneu- umgeben, von einem zeitigen Revierförs- erung der Waldbestände am Meißner ter Giesler zu Frankenhayn angelegt und eingeleitet worden. Zunächst erfolgte in völlig pflanzbaren Zustand gebracht zwischen 1815 und 1820 durch den rei- worden. Die Größe beider Gärten enthal- tenden Förster Friedrich Wilhelm Gunckel ten propter 3 ½ Acker incl. der trockenen (1780-1850) eine Vermessung und Ein- Mauer.“ Ab 1821 wurden die Beete in richtung, die vor allem der Sicherung des den Pflanzgärten mit Ahorn-, Eschen- und Salinenbetriebes in Sooden dienen sollte. Fichtensamen besät. Für das Jahr 1823 Dabei wurde festgehalten, dass sich der ist die Auspflanzung von 68.000 Eschen- größte Teil der Waldbestände am Meißner und 22.000 Ahorn-Stämmchen belegt. 13
Zeitschnitte – Auswertung historischer Karten und Beschreibungen Für den Meißner liegt eine außerge- wöhnliche Vielzahl von historischen Übersichts- und Detailkarten aus dem 16. bis 19. Jahrhundert vor, die es erlau- ben, zusammen mit weiteren schriftlichen Quellen (z. B. Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts) die Entwicklung des Naturwaldreservates und seiner näheren Umgebung für diesen Zeitraum sehr ge- nau zu verfolgen. In einem Verzeichnis der staatlichen Wald- gebiete aus der Zeit Philipps des Großmü- Die am Rande des Naturwaldreservats stehen- den Grenzsteine von Hessen-Cassel (HC) und Hessen-Rotenburg (HR) aus dem Jahr 1740 umschließen den ehemaligen Wiesenkomplex der Kasseler Kuppe, von dem ein kleiner Teil auch im heutigen Naturwaldreservat lag. tigen (Regierungszeit 1518-1567) finden sich für das heutige Naturwaldreservat und seine nähere Umgebung bereits die Forstortnamen „Brandtsrodt“, „Der Ka- chelbergk“, „Der Steurwaldt“, „Die Saw“, „Wein Busch“ und „Weißenstain“. So oder in ähnlicher Schreibweise sind sie auch auf der 1592 von den Kartografen Ar- nold und Johannes Mercator gezeichne- ten ältesten Übersichtskarte des Meißners wiedergegeben. Diese Karte ist hier nicht abgedruckt, da sie nur wenige Detailin- formationen enthält und im Bereich des heutigen Naturwaldreservates Beschädi- gungen aufweist. Der Meißner hat insbesondere im 19. Jahrhun- Zwischen 1627 und 1834 gehörte die dert eine wichtige Rolle bei der Vermessung Meißner-Hochfläche zur Landgrafschaft Nordhessen gespielt. Auf der Kasseler Kup- pe, nur wenige Meter vom Naturwaldreservat Hessen-Rotenburg („Rotenburger Quart“). entfernt, wurde ein trigonometrischer Punkt 1. Nachdem zunächst der ganze Meißner zu Ordnung angelegt, der zum Vermessungsdrei- Hessen-Rotenburg gehörte, wurde im 18. eck Meißner – Brocken – Inselsberg gehört. Jahrhundert, als sich herausgestellt hat- 14
Das heutige Naturwaldreservat und seine Umgebung 1694, Karte von Johann Christoff Nößell 15
Das heutige Naturwaldreservat und seine Umgebung 1724, Karte von Johann Christoph Rüst- meister 16
ist das Lusthäuschen zu sehen und daran angrenzend ausgedehnte Offenflächen sowie der Weinbusch. Der „Alte Häuser Stollen“ bei Bransrode war gerade noch in Betrieb. Direkt daneben verlaufen der heute noch als Hohlweg erkennbare Weißenbacher Heuweg und weiter öst- lich der Frankenhainer Heuweg. Dem Abtransport der Kohlen diente der nach Nordosten führende „Kohlnweg“. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts erfolg- te der Transport mit Eseln, später durch die so genannten Hainer Fuhrleute. Die Bezeichnungen „Eselskopf“ und „Esels- born“ leiten sich vielleicht von den früher so wichtigen Transporttieren ab. Eine ebenfalls sehr detailreiche Karte von Johann Christoph Rüstmeister entstand 1724. Sie zeigt das Gebiet des Natur- Die Bergarbeitersiedlung Bransrode mit Häu- waldreservates und der Vergleichsflächen sern und einer Abraumhalde auf der Nößell- fast komplett bewaldet. Die Bergarbei- Karte von 1694 tersiedlung Bransrode ist bereits um 500 te, dass damit für die Salzgewinnung in Meter nach Westen verlegt worden, wo Sooden wichtige Waldbestände fehlten, 1696 der „Bransroder Stollen“ und 1700 ein neuer Grenzvertrag abgeschlossen, der „Neue Stollen“ angelegt worden wa- der die „Soodhölzer“ an den Meißner- ren. Südlich und westlich des Weißen hängen sowie die mit Bergbau und Forst- Steins sind die „Große Kohlstätte“ und wirtschaft in Verbindung stehenden Wie- sen („Bergschreibers Bestallungswiese“, „Sood-Försters-Bestallungswiese“) an Hessen-Kassel zurückgab. Aufgrund der territorialen Zugehörigkeit entstand der Name „Kasseler Kuppe“. Johann Christoff Nößell zeichnete 1694 eine sehr genaue Karte des Meißner- Osthangs, die der Festlegung neuer Grenzlinien zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Rotenburg dienen sollte. Das heutige Naturwaldreservat und seine Vergleichsfläche sind mit Ausnahme klei- Der Altarstein (Bildmitte) – hier eine Aufnahme nerer Bereiche am Nordwestrand des To- von 1926 – ist ein natürlicher, nicht behauener talreservates und eines größeren Teils der Basaltblock. Auf historischen Karten und in Flur- nördlichen Vergleichsfläche zu dieser Zeit namenverzeichnissen des 16. bis 18. Jahrhun- bewaldet. Oberhalb des Weißen Steins derts ist er noch nicht verzeichnet. 17
Das heutige Naturwaldreservat und seine Umgebung 1847/48, Niveaukarte des Kurfürstenthums Hessen 18
die „Kohlstätte“ eingezeichnet. Die „Klei- der benachbarte ummauerte Pflanzgar- ne Kohlstätte“ lag im Weinbusch, westlich ten und ein aus Steinen zusammenge- des heutigen Naturwaldreservates. Diese tragener Ruhe- und Aussichtsplatz seien Flurnamen sind nicht mit dem Bergbau, Reste eines germanischen Kultplatzes. Ein sondern mit der Köhlerei in Verbindung authentisches Heiligtum (möglicherwei- zu bringen. Einzelne Meilerplatten sind im se ein Opferplatz) befand sich hingegen Gebiet noch heute zu finden. Im Bereich sehr wahrscheinlich am nahe gelegen der tertiären Tonvorkommen außerhalb Frau-Holle-Teich. der südlichen Vergleichsfläche ist eine Die 1847/48 entstandene Niveaukarte „Döpferhütte“ eingezeichnet. des Kurfürstenthums Hessen zeigt den Conrad Moench (1744-1805), Apothe- Meißner im Zustand der größten Ent- ker, Chemiker und ab 1786 Professor für waldung. Auch der Weinbusch ist nun Botanik in Marburg besuchte den Meiß- in Wiesenflächen umgewandelt worden. ner und speziell das Gebiet des heutigen Die seit dem Beginn des 19. Jahrhun- Naturwaldreservates im ausgehenden derts angelegten Pflanzgärten am „Sch- 18. Jahrhundert mehrmals. In seiner Ver- malenhölzchen“ und am „Altarstein“ sind öffentlichung „Beitrag zur Naturgeschich- erkennbar. Mit Ausnahme der seit etwa te der Landgraffschaft Hessen-Cassel“ 1790 entstandenen ersten Fichtenan- (1785, 1786) schreibt er unter anderem pflanzungen beim „Weiberhemd“ haben über den Meißner: „Die Bergwände sind wir aber noch ein reines Laubwaldgebiet mit Laubholz bewachsen, seine Oberflä- vor uns. Der Friedrichsstollen war bereits che aber Wiesen und Viehweiden. Die seit fast 70 Jahren aufgegeben worden. nördliche Bergwand hat schlechte Hol- zung, kein Baum hat die ordentliche Höhe seiner Art. Nach Süden zu siehet man die schönsten Eichen, Ulmen und Buchen. ... Die Aussicht auf diesem Berg, besonders nach Osten zu, ist reizend. Eine verfalle- ne Hütte am äußersten Ende einer steilen Bergwand, die das Lusthäusgen benennet wird, ist der Ort, wo sie hier am besten ist. ... Unterhalb dieser Hütte sind noch vom dreisigjährigen Kriege Urkunden der Intoleranz. Ein zusammengehäufter vier- eckiger großer Steinhaufen diente damals den Bewohnern der umliegenden Oerter zum Altar ...“ Dies ist die erste überlie- ferte Beschreibung des Altarsteins, der zuvor auch auf Karten nicht verzeichnet war. Obwohl dies durch namhafte His- toriker widerlegt werden konnte, halten sich bis heute Vorstellungen, dieser na- Eingang des Friedrichsstollens am Rand der türliche, herabgestürzte Felsblock sowie östlichen Vergleichsfläche 19
KS GI FD WI F DA 20
Totalreservat Vergleichsfläche Vergleichs- fläche 21
Waldstruktur Totalreservats bei 384 m³ je ha. Hinsicht- lich der Stammzahl waren sich die beiden Unmittelbar nach dem Beginn des For- Teilflächen ähnlicher. Hier wies die Ver- schungsprogramms im Jahr 1988 wurde gleichsfläche lediglich eine etwas höhere das Naturwaldreservat „Meißner“ auf Baumdichte auf. insgesamt 87 systematisch verteilten Pro- In dem 22-jährigen Beobachtungszeit- bekreisen waldkundlich erfasst. Zu die- raum ist der Vorrat im Totalreservat auf sem Zeitpunkt waren Totalreservat und etwas mehr als 500 m³ je ha ange- bewirtschaftete Vergleichsfläche aus 85 wachsen. Trotz fortschreitender Nutzung bis 150 Jahre alten Buchenmischwäldern konnten auch die Waldbestände in der und 80 bis 120-jährigen Fichtenbestän- Vergleichsfläche ihren Vorrat auf 320 m³ den aufgebaut. 700 Aufgrund der guten Nähr- Anzahl Bäume Holzmasse in Kubikmeter stoffversorgung und der ab- Anzahl Bäume bzw. Kubikmeter Holz je Hektar 600 wechslungsreichen Standorte Sonstige Fichte weist das Naturwaldreservat 500 Bergahorn Rotbuche eine große Palette an Misch- 400 Eiche baumarten auf. Neben dem Berg-Ahorn als wichtigster 300 Laubbaumart nach der Rot- buche kommen in geringeren 200 Anteilen Stiel-Eiche, Spitz- 100 Ahorn, Esche, Berg-Ulme, Winter-Linde, Sand-Birke, 0 Schwarz-Erle und Eberesche 1988 2010 1988 2010 1988 2010 1988 2010 TR VF TR VF vor. Als einzige Strauchart ist Lebender Baumbestand: Entwicklung von Stammzahl und die Hasel auch in der Baum- Holzmasse je Hektar im Naturwaldreservat „Meißner“ von schicht vertreten. Außer der 1988 bis 2010 Gemeinen Fichte wurden in 100 einzelnen Probekreisen weni- Stückzahl Kubikmeter ge Douglasien erfasst. 90 Stückzahl bzw. Kubikmeter Holz je Hektar Totalreservat (TR) und Ver- 80 Totholz stehend Totholz liegend gleichsfläche (VF) zeigten 70 bereits im Ausgangszustand 60 einige Unterschiede in der 50 Bauartenzusammensetzung 40 und Bestockungsdichte. So 30 war der Anteil der Fichte im 20 Totalreservat erheblich hö- 10 her. Während der Vorrat in 0 der Vergleichsfläche im Jahr 1988 TR 2010 1988 VF 2010 1988 TR 2010 1988 VF 2010 1988 durchschnittlich 258 m³ Totholz: Entwicklung von Stückzahl und Holzmasse je Hektar je ha betrug, lag der Wert des im Naturwaldreservat „Meißner“ von 1988 bis 2010 22
Der Berg-Ahorn ist die häufigste Mischbaumart im Naturwaldreservat „Meißner“. je ha erhöhen. In beiden Flächen hat die Hier wird mit 40 m³ je ha ein in etwa Stammzahl geringfügig zugenommen. doppelt so hoher Wert erreicht wie in der Diese Zunahme geht im Wesentlichen auf Vergleichsfläche. Rotbuchen zurück, die in den Derbholz- Bereits bei der Ausweisung des Natur- bestand eingewachsen sind. Erklärungs- waldreservates wurde auf die hohe Be- ansätze hierfür bieten die 1988 entstan- lastung der Waldverjüngung durch Scha- dene Eisbruchfläche im Totalreservat und lenwildverbiss hingewiesen. Werden die aufgelichtete Althölzer mit Nachwuchs in Ergebnisse der Verjüngungsaufnahmen der Vergleichsfläche. 1988 und 2010 miteinander verglei- Die Totholzmenge (liegend ≥20 cm chen, so zeigt sich, dass dieses Problem Durchmesser, stehend ≥7 cm BHD, kei- nach wie vor offenbar nicht befriedigend ne Stubben berücksichtigt) war mit 17 m³ gelöst ist. Die Gesamtzahl an Jungpflan- je ha im Totalreservat und 11 m³ je ha zen beträgt im Jahr 2010 nur noch in in der Vergleichsfläche bereits im Aus- etwa ein Viertel der Ausgangszahl. Die- gangszustand recht hoch. Bis zum Jahr se Entwicklung geht darauf zurück, dass 2010 haben Stückzahl und Volumen in sich die Pflanzenzahl in der untersten beiden Flächenvarianten weiter zuge- Höhenklasse erheblich verringert hat und nommen. Diese Entwicklung ist im To- gleichzeitig offenbar kaum Pflanzen in die talreservat allerdings stärker ausgeprägt. höheren Schichten aufwachsen konnten. 23
Durchschnittliche Anzahl Jungpflanzen pro Hektar in den Untersuchungsjahren 1988 und 2010 Jahr Baumart Höhenklasse Summe 3,0 m 1988 Berg-Ahorn 9.153 14 0 9.167 2010 Berg-Ahorn 2.242 5 9 2.256 1988 Esche 2.237 0 0 2.237 2010 Esche 735 0 0 735 1988 Fichte 367 0 0 367 2010 Fichte 367 5 14 386 1988 Rotbuche 6.005 135 140 6.279 2010 Rotbuche 1.405 158 112 1.674 1988 Spitz-Ahorn 1.037 0 0 1.037 2010 Spitz-Ahorn 33 0 0 33 1988 andere Laubbäume 419 0 0 419 2010 andere Laubbäume 586 9 5 600 1988 andere Nadelbäume 70 0 0 70 2010 andere Nadelbäume 0 0 0 0 1988 Summe 19.288 149 140 19.577 2010 Summe 5.367 177 140 5.684 Auffällig ist der konstant ge- ringe Anteil an Jungpflanzen über Äserhöhe, der auf einen anhaltend starken Verbiss- druck zurückzuführen sein dürfte. Die weitere Beobachtung des Naturwaldreservates „Meißner“ wird zeigen, ob sich lebender Holzvorrat und Totholzmenge weiter erhöhen und welche Rolle der Wildeinfluss, na- türliche Störungen und Alte- rungsprozesse in den Buchen- mischwäldern künftig spielen werden. Eine wirklich natür- liche Entwicklung erscheint unter den gegenwärtigen Rah- menbedingungen eines offen- bar deutlich erhöhten Scha- Starker Verbiss an jungen Rotbuchen lenwildbestandes fragwürdig. 24
Bodenvegetation reichen Böden nur kleinflächig ausgebil- det. Neben den Buchenwäldern kommen Im Naturwaldreservat „Meißner“ und auf blocküberlagerten Sonderstandorten seiner Vergleichsfläche dominieren ver- Ahorn-Linden-Hang- und Schluchtwälder schiedene Buchenwald-Gesellschaften sowie natürlich waldfreie bzw. mit Ele- (Waldmeister-, Hainsimsen- und Wald- menten des Karpatenbirken-Ebereschen- gersten-Buchenwald), deren Vorkom- Blockwaldes bewachsene Blockhalden men in erster Linie vom Basengehalt des vor. An Quell- und Bachstandorten tre- Bodens abhängt. Die häufigste Wald- ten kleinflächig Feuchtwälder auf. Insbe- gesellschaft ist hier der Waldmeister- sondere im Totalreservat sind Fichten vor Buchenwald, der auf den im Gebiet weit allem in aufgelichtete Buchenwaldstand- verbreiteten schwach bis mäßig sauren orte eingebracht worden. Standorten auftritt. Der Hainsimsen-Bu- An 85 dauerhaft markierten Rasterpunk- chenwald ist der zweithäufigste Waldtyp ten (39 im Totalreservat und 46 in der und kommt auf sauren bis stark sauren Vergleichsfläche) wurden im Jahr 2011 Böden vor. Solche Standorte sind vor Vegetationsaufnahmen auf 100 Qua- allem in windexponierten Plateaurand- dratmeter großen Probeflächen durchge- und Hangbereichen zu finden, wo der führt. Im Totalreservat tritt die Rotbuche in Nährstoffkreislauf unterbrochen ist, weil 92 %, in der Vergleichsfläche in 83 % der die Laubauflage weggeblasen wird. Der Aufnahmeflächen in der oberen Baum- Waldgersten-Buchenwald ist auf basen- schicht auf, wo sie häufig auch dominant Hainsimsen-Buchenwald mit Wald-Schwingel (Festuca altissima) am Plateaurand 25
Offene Blockhalde mit Karpaten-Birke in der Vergleichsfläche ist. Zweithäufigste Baumart ist die Fichte, als 22 % und im Totalreservat an 15 % die vor allem im Totalreservat eine gro- der Probepunkte vor. Weitere wichtige ße Rolle spielt und dort an der Hälfte der Baumarten sind Spitz-Ahorn und Esche. Probepunkte (51 %) in der oberen Baum- Im Hinblick auf die mittlere Deckung der schicht gefunden wurde. Sie tritt meist als Baumschicht besteht am Meißner kein Mischbaumart mit der Buche auf, bildet großer Unterschied zwischen Totalreser- vereinzelt aber auch Reinbestände. In vat (71 %) und Vergleichsfläche (74 %). der Vergleichsfläche ist die Fichte deut- Hauptgrund hierfür ist, dass in beiden lich seltener und wurde in nur 7 % der Teilflächen neben sehr dicht geschlosse- Aufnahmeflächen angetroffen. Hier spielt nen Beständen auch sehr stark aufgelich- der Berg-Ahorn als Mischbaumart der tete oder sogar baumfreie Bereiche vor- oberen Baumschicht eine größere Rolle. kommen. So ist die durch einen Eisbruch Er kam in der Vergleichsfläche an mehr 1988 entstandene große Lücke im nord- Ausschnitt aus der Krautschicht eines Waldgersten-Buchenwaldes mit Wald-Bingelkraut, Hoher Schlüsselblume, Haselwurz, Buschwindröschen und Gold-Hahnenfuß 26
Das Totalreservat weist einen höheren Fichtenanteil auf als die Vergleichsfläche. östlichen Teil des Totalreservats auch nach kaum. Im Totalreservat wurden im Mittel 25 Jahren noch nicht geschlossen, weil die 16 Gefäßpflanzen- und 2 Moosarten auf Gehölzverjüngung durch Wildverbiss und 100 Quadratmetern gefunden, in der eine dichte Krautschicht gehemmt wird. Vergleichsfläche 16 Gefäßpflanzen- und In der südlichen Vergleichsfläche existie- 1 Moosart. ren durch die fortgeschrittene Endnutzung Häufigste Arten der Krautschicht sind in entstandene lichte Partien. Daneben hat Waldmeister- oder Hainsimsen-Buchen- auch der Sturm „Kyrill“ 2007 im Bereich wäldern weit verbreitete Arten wie Busch- des Plateaurandes größere Lücken geris- Windröschen (Anemone nemorosa), sen. Eine Strauchschicht spielt mit 2 bzw. Wald-Frauenfarn (Athyrium filix-femina), 4 % weder im Totalreservat noch in der Wald-Segge (Carex sylvatica), Rasen- Vergleichsfläche eine größere Rolle und Schmiele (Deschampsia cespitosa), wird meist von der Baumverjüngung (Bu- Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa), che und Fichte) gebildet. Die mittlere De- Breitblättriger Dornfarn (Dryopteris dila- ckung der Krautschicht beträgt im Total- tata), Gewöhnlicher Wurmfarn (Dryop- reservat 19 % und in der Vergleichsfläche teris filix-mas), Wald-Schwingel (Festuca 17 %. Dabei liegt sie im Bereich der Wind- altissima), Waldmeister (Galium odora- wurflücken und der durch Holzernte stark tum), Eichenfarn (Gymnocarpium dryop- aufgelichteten Bereiche meist zwischen 50 teris), Großes Springkraut (Impatiens und 95 %, in anderen Gebietsteilen hin- noli-tangere), Berg-Goldnessel (Lamium gegen nur zwischen 0 und 20 %. Ähnlich montanum), Weißliche Hainsimse (Luzu- wie bei den Deckungsgraden unterschei- la luzuloides), Gewöhnliches Flattergras den sich Totalreservat und Vergleichsflä- (Milium effusum), Dreinervige Nabelmie- che hinsichtlich der mittleren Artenzahl re (Moehringia trinervia), Wald-Sauerklee für Gefäßpflanzen und Moose nicht bzw. (Oxalis acetosella), Hain-Rispengras (Poa 27
Blocküberlagerter Buchen-Mischwald im Totalreservat nemoralis) und die vor allem in höheren Frauenhaarmoos (Polytrichum formosum) Lagen vorkommende Quirlblättrige Weiß- und Einseitswendiges Kleingabelzahn- wurz (Polygonatum verticillatum). Hinzu moos (Dicranella heteromalla). kommt Verjüngung der Baumarten Berg- Eine Analyse der Waldbindung der im Ahorn (Acer pseudoplatanus), Rotbuche Totalreservat und in der Vergleichsfläche (Fagus sylvatica), Esche (Fraxinus excel- gefundenen Gefäßpflanzen- und Moos- sior) und Eberesche (Sorbus aucuparia). arten zeigt, dass im Totalreservat Arten Die häufigsten Moosarten sind Schönes geschlossener Wälder mehr als die Hälfte des Artenspektrums aus- Prozentanteil 100 machen. Die zweitgrößte 90 Waldarten mit Schwerpunkt im Offenland Gruppe bilden hier die im 80 Wald wie im Offenland ver- im Wald wie im Offenland breiteten Arten. Umgekehrt 70 verbreitete Arten ist es in der Vergleichsflä- 60 che. Hier herrschen die im 50 Wald wie im Offenland ver- Arten der Waldränder 40 und -verlichtungen breiteten Arten vor und Ar- ten geschlossener Wälder 30 machen gut ein Drittel des 20 Arten der geschlossenen Wälder Artenbestandes aus. Hinzu 10 kommt ein etwas höherer 0 Anteil von Waldarten mit Totalreservat Vergleichsfläche Schwerpunkt im Offenland Prozentualer Anteil der Waldartengruppen (Farn- und Blüten- und reinen Offenlandarten. pflanzen, Moose, Flechten), gewichtet mit deren Stetigkeit Hauptgründe für diesen 28
Unterschied sind Auflichtungen und Bo- denstörungen bei der Holzernte, durch die in der Vergleichsfläche lichtliebende und störungszeigende Arten gefördert werden. Als Störungen gelten in der Öko- logie Ereignisse, die – oft schlagartig – die Verfügbarkeit von Ressourcen (z. B. Licht-, Wasser- oder Nährstoffangebot) verän- dern und damit Einfluss auf die Artenzu- sammensetzung haben (z. B. Windwurf oder Eisbruch). Die Wirkung von solchen direkten Störungen wird heute oft ver- stärkt durch indirekte Störungen wie den Stickstoffeintrag aus der Luft. Im Natur- waldreservat „Meißner“ ist eine Gruppe von Störungszeigern sowohl in Teilen der Vergleichsfläche als auch in Teilen des To- Die Berg-Flockenblume (Centaurea montana) talreservats häufig vertreten. Dabei han- kommt vorwiegend in montanen Lagen vor. Im Naturwaldreservat besiedelt sie Felsstandorte. delt es sich um Rotes Straußgras (Agrostis capillaris), Land-Reitgras (Calamagrostis Weiches Honiggras (Holcus mollis), Flat- epigejos), Hasenfuß-Segge (Carex ovalis), ter-Binse (Juncus effusus), Himbeere Sparrige Segge (Carex muricata), Pillen- (Rubus idaeus) und Knotige Braunwurz Segge (Carex pilulifera), Schmalblättriges (Scrophularia nodosa). Sie treten gehäuft Weidenröschen (Epilobium angustifoli- insbesondere in den durch Eisbruch und um), Kletten-Labkraut (Galium aparine), Windwurf stark gestörten Flächen auf. Durch den Orkan „Kyrill“ gerissene Lücken am oberen Rand der südlichen Vergleichsfläche 29
Christian Polycarp Erxleben (1744-1777), später Professor für Physik und Tierheil- kunde in Göttingen, in der Pfingstwoche 1765 von Göttingen aus an einer von dem Naturhistoriker Prof. Christian Wil- helm Büttner (1716-1801) veranstalteten Exkursion zum Meißner teil und berich- tete darüber. Dabei muss er nach seiner Wegbeschreibung auch die Wälder des heutigen Naturwaldreservates durchquert haben. Viele der von ihm aufgeführten Pflanzenarten kommen hier noch heu- Das Hain-Veilchen (Viola riviniana) ist eine typi- te vor. Auch Professor Conrad Moench sche Art von Waldmeister-Buchenwäldern. veröffentlichte 1777 und 1786 Artenlis- ten seiner Exkursionen. Er fand im heu- Gebietsfremde Pflanzenarten fehlen hin- tigen Naturwaldreservat unter anderem gegen, mit Ausnahme der forstlich ein- den Großblütigen Fingerhut an den Fel- gebrachten Douglasie, im Naturwaldre- sen beim „Lusthaus“, wo er immer noch servat wie auch in der Vergleichsfläche in wächst. Eine umfangreiche Liste mit 125 den Vegetationsaufnahmen völlig. Moos-, Flechten- und Gefäßpflanzenarten Insgesamt gehört das Gebiet aufgrund vom Meißner veröffentlichte 1799 der Bo- seiner standörtlichen Vielfalt zu den flo- taniker Christian Hendryk Persoon (1761- ristisch interessantesten Buchen-Natur- 1836). Schließlich ist zu den Pionieren der waldreservaten mit einer größeren Anzahl floristischen Erfassung des Meißners noch seltener und gefährdeter Gefäßpflanzen- der Pharmazeut und Botaniker Georg Wil- arten, zu denen Arten wie der Großblü- helm Franz Wenderoth (1774-1861), Pro- tige Fingerhut (Digitalis grandiflora), der fessor in Rinteln und Marburg, ein Schüler Riesen-Schachtelhalm (Equisetum telma- Moenchs, zu zählen. teia), der Märzenbecher (Leucojum ver- num) oder die Sumpf-Sternmiere (Stellaria palustris) zählen. Die größte floristische Besonderheit ist jedoch Brauns Schildfarn (Polystichum braunii), eine der seltens- ten Waldpflanzen Hessens, über deren Vorkommen nachfolgend noch berichtet wird. Der Meißner ist seit langem für seinen flo- ristischen Reichtum bekannt. So ist durch Rechnungen belegt, dass schon im aus- gehenden 16. Jahrhundert der hessische Landgraf seine Kräuterfrau auf den Meiß- ner schickte. Im 18. Jahrhundert wurde der Berg zunehmend von Naturwissen- Eichenfarn, Wald-Sauerklee und Schönes Frau- schaftlern aufgesucht. So nahm Johann enhaarmoos 30
Artenschutzprojekt „Brauns Schildfarn“ Der Meißner bietet aufgrund seiner Hö- henlage und insbesondere seiner natür- lich waldfreien oder nur locker bewalde- ten Blockhaldenstandorte Lebensraum für eine Reihe von Tier- und Pflanzenarten, die als Eiszeitrelikte (Glazialrelikte) angesehen werden. Solche Arten weisen heute eine nordische, arktische oder alpine Verbrei- tung auf, waren aber während der Eiszei- Ausgewachsener Farnstock von Brauns Schild- ten deutlich weiter verbreitet. Nur punktuell farn konnten sie an geeigneten Standorten vom hatte in Deutschland außerhalb der Alpen Ende der letzten Eiszeit bis heute überdau- nur am Meißner überlebt, und zwar im ern. Am Meißner kommt als Glazialrelikt Gebiet des heutigen Naturwaldreservates. die Blockhaldenwolfspinne (Acantholyco- Der Botaniker Conrad Moench fand sie sa norvegica) vor, die hier 1950 erstmals erstmals zwischen 1773 und 1777 an den für Deutschland nachgewiesen wurde. Felsen beim „Lusthäuschen“. Er schreibt Auch Moosarten wie Anastrophyllum sa- über die Silberwurz: „Letztere habe ich xicola, Gymnomitrium obtusum und Mar- selten gemacht, indem ich alles, wozu ich supella sparsifolia haben auf den Block- kommen konnte, mitnahm, um sie in dem halden- und Felsstandorten vermutlich seit Garten [Botanischer Garten Marburg] an- Jahrtausenden überdauert. Unter den Ge- zuziehen.“ In den Jahren 1837 und zuletzt fäßpflanzen ist die Silberwurz (Dryas octo- 1924 wurden noch Restvorkommen gefun- petala) das bekannteste Beispiel. Diese Art den, die aber durch Aufforstung oder den Bau einer militärischen Anlage zerstört wurden. Auch die Moltebeere (Ru- bus chamaemorus) und der Alpen-Flachbärlapp (Diphasiastrum alpinum) gelten als Eiszeitrelikte, die am Meißner durch menschliche Tätigkeiten ausgerottet wurden. Eine heute noch in Rest- beständen vorkommen- des Glazialrelikt ist Brauns Schildfarn (Polystichum braunii). Diese Art ist in Hessen vom Aussterben Auf den natürlich waldfreien Blockhaldenstandorten des Meißners bedroht und wächst nur konnten Eiszeitrelikte überdauern. am Meißner. Hier wur- 31
Nachgezogene Jungpflanzen von Polystichum braunii werden ausgebracht. de sie Ende des 19. Jahrhunderts vom Farnstöcken war vollständig erloschen. Eschweger Lehrer Johann Adam Eichler Vor dem Hintergrund dieser Bestandes- (1812-1890) im Gebiet des heutigen entwicklung wurde bei einem Ortstermin Naturwaldreservates und an einem wei- mit Vertretern des Regierungspräsidiums teren Fundort entdeckt. Schwer zugäng- Kassel, des Landesbetriebes Hessen-Forst, liche Hangschuttwälder boten dem Farn der Nordwestdeutschen Forstlichen Ver- hier seit Jahrtausenden gute Lebensbe- suchsanstalt, des Naturparks Meißner- dingungen. Erste Anzeichen für einen Kaufunger Wald, der Universität Kassel, Rückgang von Brauns Schildfarn gab es verschiedener Naturschutzverbände und 1980. Anfang der 1990er Jahre machten mit unabhängigen Fachgutachtern ver- ortskundige Botaniker, insbesondere der einbart, Sporenmaterial von den letz- Witzenhausener Lehrer Ernst Baier (1919- ten Farnpflanzen zu entnehmen und zur 2007), auf einen dramatischen Bestan- Nachzucht zu nutzen. Nachdem es an der desrückgang aufmerksam. Dieser wurde Universität Kassel gelungen war, mehrere mit Verbiss und Fraß durch das 1952 tausend Individuen des Schildfarns nach- ausgesetzte Muffelwild in Verbindung ge- zuziehen, wurden im Mai 2007 erstmals bracht. Nachdem deutlich wurde, dass 250 Farnpflanzen an den ursprünglichen sich die Bestandssituation nicht grundle- Wuchsorten im Naturwaldreservat und auf gend verbessert hatte, wurde 2004 eine einer weiteren Fläche ausgebracht. Da- Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um die bei war jeweils eine Hälfte der Individuen Rückgangsursachen aufzuklären sowie durch einen wilddichten Zaun geschützt. Maßnahmen zum Erhalt und zur Regene- Diese Zaunversuche dienten zur Überprü- ration der Schildfarn-Population einzulei- fung der Hypothese, dass Verbiss durch ten. Eine eingehende Bestandsaufnahme Muffelwild als entscheidende Ursache ergab einen Rückgang der Individuenzahl für den Rückgang von Brauns Schildfarn um mehr als 98 %. Nur noch acht Farn- am Meißner anzusehen ist. Aufgrund der pflanzen waren nachweisbar, davon sieben herausragenden Bedeutung des Schild- in einem 1993 errichteten Kleingatter. Die farn-Vorkommens am Meißner hatte die ehemals größte Teilpopulation im Natur- Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsan- waldreservat „Meißner“ mit ehemals 300 stalt den Versuchen zugestimmt, obwohl 32
die (Wieder-)Ansiedlung von Pflanzen den Aufgrund der Naturnähe der Waldvegeta- Grundsätzen der Naturwaldreservate-Be- tion und -standorte ergeben sich grund- treuung und -Forschung widerspricht. Die sätzlich sehr gute Voraussetzungen für Ausbringung der Jungpflanzen verlief aus- die Erhaltung von Brauns Schildfarn am gesprochen erfolgreich. Fast alle Pflanzen Meißner. Die dort inzwischen wieder ver- wuchsen an und ihre Entwicklung wurde gleichsweise hohe Zahl von Farnstöcken intensiv beobachtet. Die Erstaufnahme bietet zugleich sehr günstige Vorausset- erfolgte direkt nach der Auspflanzung, zungen für eine natürliche Regeneration Folgeinventuren, einschließlich ausführli- der Population. So konnten 2012 außer- cher Fotodokumentation, liegen bis 2010 halb des Naturwaldreservates erstmals vor. vier Jungpflanzen gefunden werden, die Die Versuchsergebnisse belegen einen nicht aus der Nachzucht stammen. Aktive statistisch signifikanten Einfluss des Zau- Erhaltungs- und Stützungsmaßnahmen für nes auf die Überlebensrate von Brauns die Population des Schildfarns durch Aus- Schildfarn am Meißner. Von den innerhalb pflanzung und Gatterungsmaßnahmen der wilddichten Kleingatter ausgebrachten wären allerdings auf Dauer zu teuer und Farnpflanzen überlebten 72 (58 %). Au- mit dem Status eines Naturwaldreservates ßerhalb des Zaunes überlebten hingegen nicht vereinbar. Die Diskussion der Konse- nur 46 (37 %) bis zum Abschluss der Un- quenzen aus den Ergebnissen der Zaun- tersuchungen. Die innerhalb des Zaunes versuche ist noch nicht abgeschlossen wachsenden Farnpflanzen zeichnen sich und wird, koordiniert von der 2004 ge- durch eine deutlich höhere Vitalität aus. gründeten Arbeitsgruppe, weiter geführt. Sie sind im Mittel wesentlich größer und Das Forstamt Hessisch Lichtenau hat in- weisen eine höhere Anzahl von Farnwe- zwischen eine Artenpatenschaft für Brauns deln auf. Schildfarn übernommen. Auch der Gelappte Schildfarn (Polystichum aculeatum) ist vom Verbiss betroffen. 33
Flechten In den vergangenen Jahrzehnten sind Flechten und in neuerer Zeit auch Moose aufgrund ihrer Eignung als Bioindikato- ren für die Luftbelastung bekannt gewor- den. In beiden Organismengruppen gibt es jedoch auch gute Zeigerarten für das Alter und die Bestandeskontinuität von Lebensräumen. So gibt es Flechtenarten, die aufgrund ihres langsamen Wachstums Die Flechte Mycobilimbia pilularis wächst auf der und ihrer geringen Ausbreitungsfähigkeit Borke alter und morscher Laubbäume. Sie gilt nur in alten Waldbeständen vorkommen. als Zeigerart alter Waldbestände und wurde im Manche Arten wachsen vorzugsweise auf Gebiet an einem alten Berg-Ahorn gefunden. sehr alten Bäumen mit stark rissiger Borke Der äußerste Nordosten Hessens zwischen oder an stehendem Totholz. Unter diesen Kassel, Eschwege und Bad Hersfeld ge- und weiteren Gesichtspunkten wurden in hörte in den 1970er und 1980er Jahren den vergangenen Jahren flechtenkundli- zu den am stärksten luftbelasteten Gebie- che Untersuchungen in bisher 10 hessi- ten in Hessen. Ursache dafür waren einer- schen Naturwaldreservaten durchgeführt. seits die örtlichen Schadstoffemissionen, Das Naturwaldreservat „Meißner“ wurde andererseits der Eintrag von Luftschadstof- 2012 bearbeitet. In den Waldbeständen fen aus den östlich gelegenen Industriege- des Naturwaldreservats und seiner Ver- bieten im Thüringer Becken, vor allem im gleichsfläche konnten dabei insgesamt Winterhalbjahr bei Ostwetterlagen. Stark 74, in den Basaltblockfeldern 43 Flech- betroffen von den Belastungen durch Luft- tenarten nachgewiesen werden. schadstoffe waren die exponierten und niederschlagsreichen Hochlagen. Unter- suchungen belegen, welche besonderen Flechtenarten im 19. Jahrhundert noch am Meißner vorkamen und wie stark dezimiert die baumbewohnende Flechtenvegetation am Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund der hohen Schwefeldioxid-Einträge gewe- sen ist. Auch heute noch ist die Artenzahl der baumbewohnenden Flechten am Meißner vergleichsweise gering. Am Mittelstamm und Stammfuß von Rotbuche und Berg- Ahorn wachsen häufige Waldarten wie Coenogonium pineti, Lecanora argenta- Im Gebiet kommen an alten Rotbuchen- und ta, Porina aenea und auch außerhalb des Bergahorn-Bäumen einige seltene Flechtenar- Waldes weit verbreitete Arten wie Bacidina ten wie Mycobilimbia pilularis Opegrapha va- ria, Opegrapha viridis, Pertusaria hemisphaeri- sulphurella, Cladonia coniocraea und Le- ca, Pertusaria hymenea und Pyrenula nitida vor. praria incana. Weitere Arten kommen an 34
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