Mitte DAS MAGAZIN AUS DEM TENNENTAL - Nr. 7 | SOMMER 2020 - Anthropoi

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Mitte DAS MAGAZIN AUS DEM TENNENTAL - Nr. 7 | SOMMER 2020 - Anthropoi
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                                                                           Nr. 7 | SOMMER 2020

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                                           DAS MAGAZIN AUS DEM TENNENTAL
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                                                                                 Liebe Freunde des Tennentals,

                    In Krisenzeiten kann einem mitunter die Freude ver-                          schwierigen Zeiten die Freude als Kraftquelle auf-
                    loren gehen. Von krisenhaften Ereignissen sind wir                           recht zu erhalten. Dafür gilt Euch mein allerherzlichs-
                    Tennentaler seit einiger Zeit besonders betroffen.                           ter Dank! Durch Euch wird das Tennental zu dem
                    Das Busunglück, in das 20 Tennentaler*Innen im                               schönen Ort, der es ist.
                    letzten Sommer verwickelt waren, der bekanntge-
                    wordene sexuelle Missbrauch durch einen ehemali-                             Mit dieser Ausgabe der „mitte“ wollen wir ein Päck-
                    gen Mitarbeiter und jetzt Corona. An den gewohnten                           chen dieser Freude an Sie herauszuschicken. Anna
                    Tennentaler Alltag muss man sich mühsam erinnern,                            hat uns mit dem Titelbild die Steilvorlage gegeben.
                    denn dieser liegt gefühlt schon weit zurück.                                 Aber auch die Leidenschaft unserer Bäcker und die
                                                                                                 Begeisterung in der Zusammenarbeit mit unseren
                    Immer wieder staune ich, mit wie viel Optimismus,                            Partnern stecken in diesem Heft. Nicht zuletzt dan-
                    Positivität und Begeisterung die Menschen im Ten-                            ken wir Silvia, die uns in ihrem Beitrag lehrt, mit wel-
                    nental den Alltag trotz all dieser Widerstände meis-                         cher Energie die Hürden der eigenen Biographie
                    tern. Ihr scheint die Kunst zu beherrschen, auch in                          gemeistert werden können.

                                                          Tanken Sie ein bisschen Tennentaler Freude, es tut gut!

                                                                                       Matthias Hacker

                        IMPRESSUM
                        Herausgeber                                                               Redaktion
                        Dorfgemeinschaft Tennental                                                Matthias Hacker (V.i.S.d.P.),
                        Lautenbacher Gemeinschaften gGmbH                                         Nadine Dürr, Sebastian von Drachenfels, Tobias Klaiber
                        75392 Deckenpfronn · Tel. 07056 926-0
                        mail@tennental.de · www.tennental.de                                      Fotos
                        Landwirtschaft & Gärtnerei DE-ÖKO 022                                     Sebastian von Drachenfels 4, 6, 7, 14, 22
                        Bäckerei & Einmachküche DE-ÖKO 007                                        Wolfgang Schmidt, Ammerbuch 1, 2, 3, 8, 11, 12
                                                                                                  demeter 16
                        Dieser Rundbrief wird kostenlos an Freunde unserer                        istockphotos 13, 18, 20
                        Einrichtung verteilt und ist frei von Werbung Dritter.
                                                                                                  Gestaltung
                        Spendenkonto Kreissparkasse Böblingen                                     Sonja Schmolz, Werbeagentur Know-how,
                        Tennentaler Gemeinschaften e.V.                                           Herrenberg
                        IBAN lautet: DE49 6035 0130 0001 4626 09
                        BIC: BBKRDE6BXXX                                                          Druck
                                                                                                  Th. Körner AG, Herrenberg
                        Gedruckt auf umweltschonendem Papier
                        Deckenpfronn, 2020

                                                                                                                                          SOMMER 2020 mitte   3
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         VORGESTELLT
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                                                     O-TON TOBIAS
                                                     Unsere Isolation im Hilde-Pfeiffer-Haus
                                                     Im Tennental wurde ja im Rahmen einer Empfehlung des Gesund-
                                                     heitsamtes wurde im Tennental ein Massen Covid 19 Test ge-
                                                     macht und leider war bei unserer Haushaltshilfe dieser Covid 19
                                                     Positiv und somit mussten wir Sicherheitshalber in Isolation.Das
                                                     hieß wir durften uns nur im Garten und in den Räumen des Hau-
                                                     ses aufhalten und keinen Kontakt zu anderen Leuten haben die
                                                     nicht im Haus wohnten was nicht einfach war denn ein Bewohner
                                                     unseres Hauses konnte das nicht ertragen und hat es sehr Schwer
                                                     gehabt.Ich saß halt viel am Laptop und habe im Internet gesurft
                                                     und habe viel Musik gehört was aber auf Dauer auch langweillig
                                                     wurde und das beste an dieser ganzen Sache war das ich immer
                                                     ganz lange Ausgeschlafen habe.
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         NACHGEFRAGT

                    Fünf
                    Fragen                                         JUSTUS
                                                                   ENGELHARDT

                    an
                    * Wie bist du ins Tennental gekommen?
                    Ich bin seit meiner Geburt im Tennental. Das ist jetzt fast zehn Jahre her. Aber eigentlich bin ich in Mamas
                    Bauch von Neuseeland mit dem Flugzeug hergeflogen.

                    * Verrätst du uns: Was ist dein Lieblingsort im Tennental?
                    Es gibt eine große Linde vor dem Kuhstall. Da klettere ich bis ganz oben. Von dort aus kann ich fast bis zur
                    Bundesstraße gucken und man sieht fast das ganze Tennental. Da verstecke ich mich auch und erschrecke
                    manchmal welche.

                    * Was gibt es noch nicht im Tennental, das es aber unbedingt geben sollte?
                    Ich fände es schön, wenn es einen Badeteich geben würde, wo man im Sommer baden könnte.

                    * Von all den tollen Erlebnissen, die du im Tennental schon hattest –
                    welches war das unvergesslichste?
                    Ich hab kein einzelnes Erlebnis. Es gibt so viele, zum Beispiel die Feste. Da trinke ich immer ganz viel Limo.
                    Meine Freunde kommen und wir spielen auf dem Spielplatz. Ich bin auch ein großer Fußballfan und da gibt es
                    eine große Wiese zum Fußballspielen.

                    * Wenn das Tennental einen Orden verliehen bekommen sollte – wofür wäre der?
                    Dass es hier so viele tolle Menschen gibt. Ich hab hier so viele Freunde: Junge, Alte, Kleine und Große. Es ist
                    so besonders, dass das Alter keine Rolle spielt. Manchmal bin ich bei den Jugendlichen mit dabei und spiele
                    mit ihnen Fußball, und dann wieder bin ich mit den viel, viel Älteren zusammen. Auch bei der Schwimmgruppe
                    mache ich mit. Berührungsängste kennt man gar nicht, wenn man hier aufwächst.

                    * ... und wer soll als Nächstes diese fünf Fragen beantworten?
                    Lukas aus der Landwirtschaft.

                                                                                       STECKBRIEF
                                                                                       Justus Engelhardt
                                                                                                         2010
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                                                                                        ARBEITSPLATZ.Schule
                                                                                        ZUHAUSE. Bauernhaus

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         AUßER DER REIHE

                                                 Mit Nadel und Faden

                    Ein liebes Wort, ein freundliches Lächeln oder eine Umarmung – in Zeiten des Shutdowns musste dieser
                    sonst selbstverständliche Austausch zwischen Tennental-Bewohnern und Externen unterbleiben. Doch auch
                    inmitten der Corona-Pandemie kamen die Sympathiebekundungen nicht zum Erliegen: Sehr viele fleißige
                    Näherinnen spendeten uns selbstgefertigte Mund-Nase-Masken – ein überwältigendes Zeichen der Soli-
                    darität.

                    Die Lager leer, die Preise auf dem freien Markt as-      immer trudeln weitere Spenden ein. „Wir hätten nie
                    tronomisch hoch und die Maskenpflicht in aller           gerechnet mit dieser Vielzahl und Unterschiedlich-
                    Munde: Nicht nur Krankenhäusern und Pflegeheimen         keit. Es sind sehr liebevolle, farbenfrohe Masken, die
                    mangelte es in Corona-Zeiten an ausreichender            das Dorf in diesen Zeiten durchaus ein bisschen bun-
                    Schutzausrüstung, auch im Tennental fehlte es an         ter machen“, freut sich der Vorstand. Kreative Textil-
                    Mund-Nase-Masken. Gemeinsam mit den GWW und              kreationen für uns ausgedacht hatten sich nicht nur
                    weiteren Einrichtungen rief die Dorfgemeinschaft         Angehörige, sondern auch Kunden des Ladens, Nä-
                    daher kurzerhand zu einer Masken-Nähaktion auf           hereien und mitunter sogar völlig Unbekannte. Von
                    und bat um selbstgefertigte Mundschutz-Spenden.          Bielefeld bis Ulm ratterten die Nähmaschinen.
                          Was dann geschah, übertraf alle Erwartungen.              „Wir sind sehr dankbar für dieses tolle Enga-
                    „Wir dachten, wenn 100 Masken zusammenkommen,            gement von vielen uns bekannten und unbekannten
                    ist das viel“, sagt Wohnbereichsleiter Philipp Müller.   Menschen“, unterstreicht Philipp Müller und ergänzt,
                    Tatsächlich sind es mittlerweile rund 500 Behelfs-       dass selbstgenähte Masken auch weiterhin gerne an-
                    masken, die das Tennental erreichten – und noch          genommen werden: „Der Bedarf ist da.“

                                                                                                          SOMMER 2020 mitte      7
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         WERKSTÄTTEN

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                               Weniger
                               Volumen,
                               mehr
                               Geschmack

                                 D
                                         er Mensch lebt nicht vom Brot allein. Roggen-Ferment-Brot, Man-
                                         deltaler und all die anderen Köstlichkeiten aus unserer Bäckerei
                                         versüßen das Dasein jedoch ungemein. Ein Biss in den Tennentaler
                                 „Schoki“-Keks – und die Welt ist wieder in Ordnung. Was es mit unserem
                                 täglichen Brot und all seinen süßen und pikanten Verwandten auf sich hat,
                                 erzählen im „Mitte“-Interview die beiden Tennentaler Bäckermeister:
                                 Werkstatt-Chef Lothar Wörn und Max Thierfelder.

                                                                                        SOMMER 2020 mitte    9
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         WERKSTÄTTEN

                    Es heißt, Bäcker sind in puncto Schlafgewohnhei-         Was sieht man eigentlich, wenn man bei euch den
                    ten keine Eulen, sondern Lerchen. Gilt dieser            Backofen öffnet? Könnt ihr einen kleinen Sorti-
                    Grundsatz denn auch für die Tennentaler Bäckerei?        ments-Überblick geben?
                    Wann ging heute Morgen in der Backstube das              MAX: Wir machen verschiedene Brötchen und sehr
                    Licht an?                                                viele Vollkornbrote, meist mit einem recht hohen
                    MAX THIERFELDER: Das war um halb drei.                   Schrot-Anteil. Außerdem gibt es Brote mit verschie-
                                                                             denen Saaten und donnerstags und freitags Holz-
                    Also mitten in der Nacht. Worauf freut man sich          ofenbrot, ein helles Weizenbrot mit Sauerteig.
                    denn, wenn man in aller Herrgottsfrüh die Schürze        LOTHAR: Sehr beliebt ist das Dinkel-Leinsaat-Brot.
                    überwirft? Was sind aus eurer Sicht die kleinen          Außerdem haben wir acht verschiedene Sorten Dau-
                    Highlights im Bäckerei-Alltag?                           ergebäck: Engadiner Nussecken zum Beispiel, Kokos-
                    MAX: Der erste Kaffee ist so ein Highlight. Und ein      würfel und Mandelstangen. Die Mandelstangen kann
                    anderes Highlight ist natürlich das Holzofenbrot,        einer unserer Mitarbeiter mit Assistenzbedarf kom-
                    besonders dann, wenn beim Backen gerade die              plett selber machen. Das ist Alex Wolf, der dienstags
                    Sonne aufgeht – ein perfekter Start in den Tag. Da       immer schon um 5 Uhr kommt und beim Brot und
                    wird man dann dafür belohnt, dass man so früh            den Brötchen mithilft.
                    aufgestanden ist. In städtischen Bäckereien gibt’s       MAX: Dienstag ist Brötchentag. Da bestellen die
                    das ja nicht, da hat man keinen Blick nach draußen.      meisten Häuser 20 bis 30 Brötchen und kommen
                    Hier im Tennental ist der Ausblick wirklich toll!        dann morgens um 7 Uhr, um sie fürs Frühstück ab-
                                                                             zuholen. Normalerweise werden Dienstag und Frei-
                                                                             tag die Bestellungen zu den Häusern ausgefahren,
                   „Ein anderes Highlight                                    was coronabedingt gerade aber nicht geht.
                                                                             LOTHAR: Kekse backen wir übrigens auch sehr viele.
                   ist natürlich das Holzofenbrot,                           MAX: Das machen die Menschen mit Assistenzbedarf

                   besonders dann, wenn beim                                 ziemlich selbstständig. Es gibt eine Maschine, um
                                                                             den Teig auszurollen, die einer der selbstständigeren
                   Backen gerade die Sonne                                   Menschen bedient. Zwei andere stechen die Kekse
                   aufgeht – ein perfekter Start                             aus, die dann auf Bleche kommen und gebacken wer-
                                                                             den. Und danach wird verziert, verpackt, abgewogen
                   in den Tag.”                                              und kartoniert.

                    Es wird ja jetzt so langsam Sommer. Spielen Jah-         Das heißt, die Menschen mit Assistenzbedarf be-
                    reszeiten beim Backen denn eine Rolle?                   dienen auch selbst den Ofen?
                    LOTHAR WÖRN: Der Sommer ist dadurch gekennzeich-         LOTHAR: Manche haben einen großen Respekt vorm
                    net, dass wir, wenn die Leute im Urlaub sind, weniger    Backofen, aber ein paar können das, ja.
                    Backwaren brauchen. Und bei den Keksen und dem
                    Dauergebäck muss man stark aufpassen, dass die           Ihr seid ja eine Demeter-Bäckerei. Bedeutet das
                    Schokolade festbleibt, denn viele haben eine Scho-       schlicht und einfach, dass ihr Demeter-Zutaten ver-
                    koverzierung, die bei Wärme schmilzt.                    wendet, oder zeichnet sich eine Demeter-Bäckerei
                    MAX: Mit den Brot- und Brötchenteigen ist es ähnlich.    auch noch durch weitere Besonderheiten aus?
                    Die Hefe reagiert besser, wenn es warm ist. Und          LOTHAR: Wir verarbeiten, sofern verfügbar, Demeter-
                    wenn’s im Sommer in der Backstube auf die 40 Grad        Rohstoffe. Außerdem achten wir auf eine lange Teig-
                    zugeht, dann läuft einem der Teig weg.                   führung und arbeiten ohne Zusatzstoffe.
                                                                             MAX: Das Getreide, das wir verarbeiten, wird hier im
                    Wer backt in der Ferienzeit die Brötchen, wenn alle      Tennental geerntet und kommt dann in einen regio-
                    Menschen mit Assistenzbedarf im Urlaub sind?             nalen Pool, aus dem wir es wieder beziehen. Der
                    MAX: Brot und Brötchen backen wir generell ohne die      Großteil des Getreides ist also von hier, teils kann es
                    Menschen mit Assistenzbedarf. Der Werkstattbeginn        aber auch von anderen Demeter-Erzeugern aus der
                    ist ja erst gegen 9 Uhr und um 7.30 Uhr kommt schon      Gegend sein. Lothar, weißt Du eigentlich, wie viel Ge-
                    der Vertrieb hochgerollt und will die Sachen einladen.   treide wir verarbeiten?
                    Deshalb sollte um 7 Uhr alles fertig sein, so dass wir   LOTHAR: Pro Monat ist das eine Tonne.
                    die Bestellungen richten können.

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                   „Unser Schrot und auch                                  MAX: Konventionelle  Mehle sind sehr hochgezüchtet
                                                                           und haben eine sehr starke Kleberqualität, was das
                   unsere Vollkornmehle mahlen                             Volumen bei den Brötchen ermöglicht. Beim Demeter-
                   wir übrigens selber.“                                   Getreide ist der Kleber nicht so stark. Es wächst au-
                                                                           ßerdem ohne viel Dünger und muss gucken, wie es
                                                                           klarkommt. Dadurch produziert es viel mehr Enzyme.
                   MAX: Unser Schrot und auch unsere Vollkornmehle         Beim Demeter-Roggenmehl braucht man darum einen
                   mahlen wir übrigens selber. Und wenn wir Zöpfe          Sauerteig, der die Enzyme hemmt. Nur so wird das
                   machen, stellen wir den Milcheimer runter an den Hof.   Mehl überhaupt backfähig. Bei den konventionellen
                   Beim Kartoffelbrot ist es genauso: Da werden die        Roggenmehlen ist das gar nicht mehr notwendig.
                   eigenen Kartoffeln verwendet.                           Sauerteig wird natürlich trotzdem verwendet, da er ja
                                                                           auch Geschmack gibt und das Brot frischer hält.
                   Sind das die Gründe, weshalb eure Brote und süßen
                   Leckereien so gut schmecken oder gibt es da noch        Wer arbeitet außer euch beiden eigentlich noch in
                   ein anderes Geheimnis?                                  der Bäckerei?
                   LOTHAR: Ich sage immer: Lieber etwas weniger Volu-      LOTHAR: Melanie Walz ist unsere Arbeitserzieherin und
                   men und dafür mehr Geschmack. Ich wundere mich          zugleich Bäckerin, Manuela Hafner ist unser Urgestein
                   manchmal, wie man bei den konventionellen Back-         und eine gute Seele – die Mutter für alle. Menschen
                   waren so viel Luft in den Teig kriegt.                  mit Assistenzbedarf sind es bei uns normalerweise 13,

                                                                                                       SOMMER 2020 mitte     11
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         WERKSTÄTTEN

                    wegen der Corona-Pandemie ist die normale Mann-           herausfordern muss, Sachen ohne Vorrichtung hinzu-
                    schaft aber gerade nicht da. Im Moment sind es neun       kriegen. Ganz am Anfang gab es als Hilfe zum Beispiel
                    Personen, hauptsächlich von extern und aus dem            Holzmatten oder Bretter mit Aussparungen für die
                    Berufsbildungsbereich – also zum Großteil sehr junge      Kekse. Es hat sich gezeigt: Die Leute kriegen es auch
                    Leute.                                                    ohne hin. Sie können wesentlich mehr, als man denkt.
                    MAX: Dann haben wir noch den Bufdi, Schüler der
                    Fachschule und Praktikanten der Sparkasse.                Hin und wieder entwickelt ihr ja auch neue Produkte
                    LOTHAR: Außerdem schicken uns die Schulen Leute für       – habt ihr denn gerade ein vielversprechendes Re-
                    Sozialpraktika.                                           zept in der Schublade? Darf man schon bald mit
                                                                              einer Neuentwicklung rechnen?
                    Jede Werkstatt hat ja ganz eigene Wege gefunden,          LOTHAR: Seit September letzten Jahres gibt es Laugen-
                    Menschen mit Assistenzbedarf möglichst gut in den         brezeln, die es vorher noch nicht gab. Das ist unser
                    Arbeitsprozess zu integrieren. Wie gelingt das hier       neuestes Produkt.
                    in der Bäckerei?
                    LOTHAR: Die Integration läuft hauptsächlich über die      Ganz zum Schluss noch eine persönliche Frage. Ihr
                    Keksproduktion. Wir versuchen, die Arbeit so einzu-       seid beide gertenschlank. Wie schafft ihr das eigent-
                    richten, dass es für jeden etwas Passendes zu tun gibt.   lich, den ganzen Tag zwischen all diesen süßen Ver-
                    Wie wichtig auch die kleinste Aufgabe ist, haben wir      suchungen zu verbringen, ohne immer wieder
                    zu Zeiten des Corona-Lockdowns gesehen, als wir           schwach zu werden?
                    keine Menschen mit Assistenzbedarf hier hatten.           MAX: Ich persönlich brauche nicht so viel Süßzeug.
                    MAX: Ja, zum Beispiel beim Butter-Auspacken.              Wenn man sich als Bäcker nicht unter Kontrolle hat,
                    LOTHAR: In klassischen Bäckereien hat man ja Block-       kann das natürlich schnell gefährlich werden.
                    Butter, wir als Demeter-Bäckerei aber verwenden           LOTHAR: Man muss schon sehr vorsichtig sein. Wenn
                    kleine 250-Gramm-Packungen. Wenn man da vier              man daheim eine Packung mit zehn Keksen hat und
                    Kilogramm Butter auspacken muss, merkt man das            fünf davon isst, hat man schnell ein schlechtes Gewis-
                    sehr!                                                     sen. Das ist nicht so, wenn ich hier 1.000 Kekse habe
                                                                              und zehn davon esse, denn es sind ja noch 990 da.
                    Habt ihr eigentlich auch Vorrichtungen zur Arbeits-       Auf der anderen Seite sind wir ständig in Bewegung.
                    erleichterung für die Menschen mit Assistenzbe-           Wir backen 250 Kilogramm Brot pro Tag. Wenn man
                    darf?                                                     sich überlegt, wie oft man diese 250 Kilogramm bei
                    MAX: Eigentlich nicht – bis auf die Trichter aus Pappe,   sechs Arbeitsschritten in die Hand nimmt, stellt sich
                    mit denen man die Kekse gut in die Tüten füllen kann.     raus: Wir bewegen da täglich 1.500 Kilogramm. Das
                    LOTHAR: Mein Ansatz ist ja, dass man die Leute auch       ist nicht zu unterschätzen!

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                    Die Nerven-Gewürzkekse
                    nach Hildegard von Bingen
                    Sie war nicht nur Querdenkerin, Universalgelehrte und eine große Mystikerin des Mittelalters, Hilde-
                    gard von Bingen hat sich auch als Heilkundige ihrer Zeit einen Namen gemacht. In ihrem naturkundli-
                    chen Werk „Physica“ versammelte die Nonne Rezepturen mit speziellen Hildegard-Kräutern wie der
                    Ringelblume oder Bertram. Auch weitgereiste asiatische Gewürze wie Ingwer, Muskatnuss oder Galgant
                    kannte sie bereits. Die Tennentaler Nerven-Gewürzkekse nach Hildegard sind eine Hommage an die
                    berühmte Ordensfrau. In ihnen vereinen sich die drei „Frohmacher-Gewürze“.

                    Die Muskatnuss – in der Volksmedizin wurde sie bei       Im Dorfladen zählen die Nerven-Gewürzkekse zu den
                    Erkrankungen des Verdauungsapparats eingesetzt –         beliebtesten Bäckerei-Produkten. Sie prägen zudem
                    betrachtete Hildegard als Universalmittel, um kör-       seit Anbeginn die Wahrnehmung dieser Werkstatt:
                    perliches und seelisches Wohlbefinden zu erlangen.       Wenn mal wieder der charakteristische Weihnachts-
                    Als Medizin genossen, sollte sie „das Herz öffnen,       duft durchs Dorf zieht, dann ist bestimmt gerade ein
                    den Sinn reinigen und einen guten Verstand berei-        Blech Nerven-Gewürzkekse im Ofen. Übrigens ist
                    ten“. Auch Zimt wurde in der Heilkunde verwendet.        das Gebäck auch bei den Bäckern mit Assistenzbe-
                    Hildegard gab ihn beispielsweise in ein Glas erhitzten   darf beliebt, da sie die Kekse komplett selbst herstel-
                    Weins. Das sollte den Stoffwechsel fördern und           len können.
                    Gicht lindern. Und die Nelke? „Die wärmt den Kör-
                    per“, weiß Bäckermeister Lothar Wörn. Auch den in        Noch ein Hinweis: Vielfach wird vor einer Überdosie-
                    den Keksen enthaltenen Dinkel pries Hildegard: Er        rung der Muskatnuss gewarnt, da diese etwa ab
                    sei gesund und sorge für ein frohes Gemüt. „Dinkel       einer Tagesdosis von zehn Gramm Halluzinationen
                    war damals aber auch das ganz normale Getreide,          hervorrufen kann. Dieser Grenzwert jedoch wird
                    wie heute der Weizen“, bemerkt der Bäckerei-Chef.        selbst beim Verzehr einer ganzen Tüte Nerven-
                    Letzterer habe seinerzeit noch gar nicht existiert.      Gewürzkekse nicht annähernd erreicht. Unsere
                                                                             Kekse können also bedenkenlos genascht werden.
                    Viele ihrer Heilmittel verabreichte Hildegard übri-
                    gens in der Form von Küchlein, die aus einem Teig        „Iß diese oft,
                    von Weizen-, Bohnen- oder Semmelmehl, Wasser
                    und teils auch Ei hergestellt und dann in der Sonne      und alle Bitternis Deines Herzens
                    oder über dem Ofen getrocknet wurden. So wird man
                    sich auch den mittelalterlichen Vorläufer der Tennen-
                                                                             und Deiner Gedanken weiten sich,
                    taler Nerven-Gewürzkekse vorstellen dürfen. Aller-       Dein Denken wird froh,
                    dings, bemerkt Bäckermeister Max Thierfelder, kann
                    man mittelalterliche Rezepturen nicht 1:1 in die         Deine Sinne rein,
                    Gegenwart übertragen: „Das würde wahrscheinlich
                                                                             alle schadhaften Säfte in Dir minderer,
                    ein knüppelharter Teig, weil die Mehle damals nicht
                    so viel Wasser aufnehmen konnten wie heute.“ Ver-        es gibt guten Saft Deinem Blut
                    abreicht wurden die Küchlein zu Hildegards Zeiten
                    übrigens morgens auf nüchternen Magen oder auf-          und macht Dich stark!“
                    gelöst in einem Glas Wein. Ein oder zwei Plätzchen
                    genügten.

                                                                                                          SOMMER 2020 mitte      13
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         PORTRÄT

                                                                                                                                        STECKBRI
                                                                                                                                        NAME. Silv
                                                                                                                                        ALTER. 58
                                                                                                                                        IM TENNEN
                                                                                                                                        ARBEITSPL
                                                                                                                                        ZUHAUSE.
                                                                                                                                        LEBENSMO
                                                                                                                                        geh deinen
                                                                                                                                        von den W
                                                                                                                                        werden.

                    A
                             „Am Anfang habe ich Angst gehabt. Ich war         Ganz selbstverständlich nimmt die 58-Jährige inzwi-
                             es ja nicht gewöhnt, habe jahrelang im Kükel-     schen auch Arzttermine wahr. Nach Herrenberg zum
                             Haus in einer Familie gelebt“, sagt Silvia        Zahnarzt – kein Problem. Eigenständige Fahrten in die
                    Mütsch. Von ihren großen Plänen abbringen konnte           Wilhelma, Kinobesuche oder der Besuch einer Tante
                    der Respekt vor der Selbstständigkeit sie aber nicht.      in Heidelberg sind für die Tennentalerin ebenfalls
                    Bei einem Training lernte die Tennentalerin, wie man       selbstverständlich geworden. Lediglich beim Ausfüllen
                    eigenständig Wäsche wäscht, kocht und Einkäufe er-         von Papieren und Fragebögen benötigt Silvia Mütsch
                    ledigt. So gelang es ihr, mit ihrem damaligen Partner      noch Unterstützung. Und wenn sie darüber hinaus ein-
                    2006 ins Löffler-Haus zu ziehen. Im Ambulant               mal Fragen hat, steht ihr Anke Darmer als Ansprech-
                    Betreuten Wohnen verwirklichten die beiden ihren           partnerin mit offenem Ohr beiseite. So zu leben, wie
                    Traum von einem selbstbestimmten Leben – zu dritt,         sie es jetzt tut, war der Tennentalerin wichtig: „Ich
                    denn Kater Bobby ist auch immer mit dabei. Mittler-        wollte meine Freiheit haben und mag das nicht, wenn
                    weile hat sich das Paar zwar getrennt, lebt aber wei-      man sagt: ‚Mach das!‘, und: ‚Warum hast du da nicht
                    terhin in der gemeinsamen WG. „Das ist alles gut so“,      gefragt?‘ Ich wollte auf eigenen Beinen stehen.“
                    sagt Silvia Mütsch. „Jeder hat sein Zimmer und wir
                    haben ein gemeinsames Wohnzimmer.“ Ganz genau              Die Startbedingungen für eine solche Entwicklung
                    geregelt ist auch, wer welche Aufgaben im Haushalt         waren alles andere als günstig. In Mannheim geboren,
                    zu erledigen hat. Das Konzept funktioniert, das selbst-    wurde Silvia Mütsch bereits mit vier Jahren von ihren
                    ständige Wohnen ist mittlerweile zur Routine gewor-        Eltern getrennt und besuchte zwischen dem achten
                    den. Ganz ohne Hilfe am Bankautomaten Geld                 und 15. Lebensjahr eine Sonder-Heimschule. Was sie
                    abzuheben – dieses Ziel hingegen erschien der Ten-         dort durchmachte, sollte sie später einer Vertrauens-
                    nentalerin zunächst unerreichbar. Mit Unterstützung        person erzählen, die dafür sorgte, dass Silvia Mütsch
                    und genauer Anleitung, so stellte sich heraus, ließ sich   eine Entschädigung für die erlebte Gewalt zugespro-
                    aber auch diese Herausforderung meistern. Ein wei-         chen wurde. Nach diesem düsteren Kapitel ihres Le-
                    terer Schritt in die Selbstständigkeit gelang. „Heute      bens führte der weitere Weg nach Lautenbach, wo die
                    habe ich sogar ein Sparbuch!“, freut sich Silvia           junge Frau bis 1999 lebte. Kurz vor der Jahrtausend-
                    Mütsch.                                                    wende stand dann ein Wechsel bevor: Sylvia Mütsch
                                                                               wollte ins Tennental. „Hier kann ich mich freier bewe-

                    14   mitte SOMMER 2020
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                                                   Der Weg
                                                   in ein selbst-
STECKBRIEF
NAME. Silvia Mütsch
                                                   bestimmtes
ALTER. 58 Jahre
IM TENNENTAL SEIT. 1999
ARBEITSPLATZ.
ZUHAUSE.
               Schreinerei
          Löffler-Haus
                                                   Leben
LEBENSMOTTO. Höre auf dein Herz und
geh deinen Weg. Lass dich überraschen               Selbstständigkeit ist ein großes Wort. Silvia Mütsch hat die
von den Wundern, die dir dort begegnen              Herausforderung angenommen. Bereits seit 14 Jahren lebt die
werden.                                             Tennentalerin im Ambulant Betreuten Wohnen und nimmt ihre
                                                    finanziellen und privaten Angelegenheiten inzwischen beherzt
                                                    selbst in die Hand.

                       gen, allein mit dem Bus wegfahren oder mit der S-         sich ein Leben ohne Tiere nicht vorstellen: Sie sammelt
                       Bahn“, erklärt sie. Am neuen Lebensort fand die           „Glubschis“ und auf ihrem Schrank sitzt ein Teddy, fast
                       frischgebackene Tennentalerin zunächst in der Haus-       so groß wie sie selbst. Mutig ließ sich Silvia Mütsch
                       gemeinschaft Kükelhaus und in der Bäckerei eine           zudem diverse Piercings stechen: zum Beispiel ein Au-
                       neue Heimat. Vor zehn Jahren wechselte sie dann in        genbrauen-, ein Bauchnabel- und ein Zungenpiercing.
                       die Schreinerei. Dort ist sie zum Beispiel für die End-   „Und“, sagt sie, „ich hätte gern ein Tattoo. Ich würde
                       kontrolle der Wasserwirbelständer-Stäbe zuständig.        gern meine Katze verewigen am Handgelenk innen.“
                                                                                 Auch mit Haarfarben experimentiert die Tennentalerin
                       Die Werkstatt ist der 58-Jährigen ans Herz gewach-        gern.
                       sen: „So’n Werkmeister wie den Arnold, den kann man
                       nicht ersetzen. Man kann mit ihm über alles reden, er     Obwohl sie viele ihrer Träume bereits realisiert hat,
                       ist ganz offen, ganz toll!“ Auch die anderen Schreiner    gibt es da noch ein paar übriggebliebene Wünsche. So
                       haben es Silvia Mütsch angetan: „Ich liebe die Kolle-     möchte Silvia Mütsch in diesem Leben noch Besitzerin
                       gen um mich.“ Anschluss gefunden hat die Schreinerin      eines Führerscheins werden und sich in der Rente
                       auch außerhalb der Dorfgemeinschaft. Mit einer            einen Hund zulegen – einen Chihuahua. Die Umset-
                       Deckenpfronnerin besuchte die 58-Jährige kürzlich         zung eines weiteren Herzenswunsches wird in nicht
                       Konzerte von Hansi Hinterseer und Andrea Berg. „Die       allzu ferner Zukunft konkret: „2022 mache ich eine
                       hab‘ ich zum ersten Mal live gesehen“, erzählt Silvia     große Reise mit meiner Schwester und ihrem Freund:
                       Mütsch. „Sie ist 53 Jahre alt und so eine hübsche Frau!   eine Schiffstour mit der Aida, im Süden, wo es warm
                       Ich habe die ganze Zeit nur Fotos geschossen.“            ist.“

                       Außerdem ist die Tennentalerin gern auf Flohmärkten       Bei allen Veränderungen, die sie in ihrem Leben
                       unterwegs, wo sie nach Schmuck und „LED-Sachen            bereits vorangetrieben hat, soll sich eine Konstante
                       mit wechselndem Licht“ Ausschau hält. „Das liegt in       aber bitteschön nicht ändern: „Ich bleib im Tennental“,
                       der Familie“, sagt sie. „Meine verstorbene Mutter war     betont Silvia Mütsch. „Ich habe hier meine Wurzeln
                       auch Flohmarktgängerin, meine Geschwister auch.“          geschlagen und fühle mich hier wohl.“
                       Außerdem liebt Silvia Mütsch Pferde und hat zwei
                       Wüstenspringmäuse. Auch in Stofftierform kann sie

                                                                                                             SOMMER 2020 mitte       15
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         KOOPERATION

                                        Die XÄLS-
                                   Genossenschaft
                                    Teilhabe als Zukunftsmodell für Nachhaltigkeit

                                                      Die friedlich grasende Weidekuh – ein Auslaufmo-
                                                      dell, von dem künftig nur noch das idyllische Bild auf
                                                      der Milchpackung übrigbleibt? Dem Tennental dünkt
                                                      ein solches Zukunftsszenario wenig erstrebenswert.
                                                      Um die ursprüngliche Bio-Landwirtschaft mitsamt
                                                      den traditionellen Verarbeitungsweisen zu retten,
                                                      gründeten wir nun gemeinsam mit Gleichgesinnten
                                                      aus der Region Neckar-Alb die ökologische Genos-
                                                      senschaft „Xäls“.
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                    Weshalb eigentlich beim Regionalvermarkter kaufen,         Eier nicht vermarkten, wenn diese die Anforderungen
                    wenn der gute Demeter-Salat auch preiswert beim            an Form und Größe nicht erfüllen. Hier gilt es, entspre-
                    Discounter im Regal liegt? Solcherlei Fragen stellen       chende Absatzkanäle zu entwickeln, um den Eiern ein
                    sich derzeit nicht wenige Kunden, die auf biologisch       Schicksal im Nudeltopf zu ersparen und den hand-
                    erzeugte Lebensmittel Wert legen. Ein Blick hinter die     werklichen Betrieben eine wirtschaftliche Perspektive
                    Kulissen offenbart die Krux dieser Vermarktungswege        zu bieten. „Die Triebfeder unseres Handelns ist immer,
                    rasch: „Sie befördern den Strukturwandel in der Land-      die Nachhaltigkeit zu fördern“, erklärt Alexander
                    wirtschaft“, weiß Werkstättenleiter Alexander Thier-       Thierfelder.
                    felder. „Den Discountern kann man als Partner nur
                    begegnen, wenn man die entsprechenden Quantitäten          Doch die Genossenschaft setzt nicht erst bei der Ver-
                    zur Verfügung hat. Das System begünstigt die großen        marktung an. „Wir wollen“, erläutert der Werkstätten-
                    Unternehmen, die in Konkurrenz stehen zu den nach-         leiter, „ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die
                    haltigen, vielseitigen, kleinen Betrieben.“ Dadurch ent-   Menschen durch ihr Einkaufsverhalten beeinflussen
                    steht ein Preisgefälle.                                    können, ob es in Zukunft noch eine kleinbäuerliche
                                                                               Landwirtschaft und handwerkliche Lebensmittelher-
                    Betriebe, welche die Ideale der kleinbäuerlichen Land-     stellung gibt, ob soziale Aspekte wirken oder nicht.“
                    wirtschaft verkörpern, können ihren Salat nicht mehr       Aufklärung wird bei „Xäls“ daher großgeschrieben –
                    absetzen und auch der Preis für Fleischwaren geht in       immer mit dem Ziel, kleineren Betrieben eine Existenz-
                    den Keller. Dieser Druck auf die Landwirte wird durch-     grundlage zu ermöglichen. „Wenn man kleinbäuerliche
                    gereicht ans Ökosystem: Vielseitigkeit und Nachhal-        und vielseitige Landwirtschaft unterstützen, unsere
                    tigkeit sind bedroht, die Bodenqualität leidet und die     Werte und handwerkliche Verarbeitung erhalten will,
                    Diversität auf den Äckern geht zurück. Was also tun?       wenn Arbeitsplätze entstehen sollen und man den Er-
                    „Funktionieren kann das Ganze nur dadurch, dass wir        halt der Ökosysteme fördern möchte, dann muss man
                    viele werden“, meint Alexander Thierfelder. Und so         solche Strukturen unterstützen, die nachhaltig sind“,
                    gründete das Tennental gemeinsam mit dem b2-Bio-           unterstreicht Alexander Thierfelder.
                    markt, dem Tübinger Marktladen, dem Hofgut Mar-
                    tinsberg, der Metzgerei Grießhaber, dem Schönberg-         Mit diesem Ansatz trifft die Genossenschaft offenbar
                    hof und der Reutlinger Bäckerei Berger im August           ins Schwarze: Seit den Auftaktveranstaltungen mit
                    vergangenen Jahres die Genossenschaft „Xäls“,              Vorträgen des Umweltökonomen Niko Paech steigt
                    benannt nach dem beliebten schwäbischen Früh-              die Zahl der Genossen kontinuierlich; jüngst knackte
                    stücks-Aufstrich: traditionell, bodenständig, selbstge-    man bei den Genossenschaftsanteilen die 1000-er-
                    macht, vielfältig!                                         Marke. „Es ist ein Bedürfnis der Menschen, näher an
                                                                               die Prozesse heranzukommen, die Nachhaltigkeit be-
                    „Xäls“ fasst viele kleine Bio-Vermarktungsinitiativen      deuten“, ist Alexander Thierfelder überzeugt.
                    zusammen und bindet auch den Verbraucher mit ein.
                    „Wir sind der Meinung, dass alle Mitglieder der Wert-      Die Initiative zur Gründung der Genossenschaft war
                    schöpfungskette von der Landwirtschaft über die Ver-       von der Fischermühle, dem Tübinger Marktladen und
                    arbeiter und Händler bis hin zum Verbraucher vonein-       dem Bioland-Hof Martinsberg ausgegangen. Zu die-
                    ander wissen und über ihre Sorgen und Nöte sprechen        sem Trio stieß Alexander Thierfelder, der inzwischen
                    müssen“, sagt Alexander. Indem „Xäls“ alle Akteure         im Aufsichtsrat von „Xäls“ sitzt, zunächst als Berater
                    an einen Tisch bringt, kann man den Herausforderun-        hinzu. Ein gemeinsames Grundlagenpapier entstand
                    gen gemeinsam begegnen. So ist etwa geplant, ein           als Fundament für die nun aus der Taufe gehobene
                    „Xäls“-Label zu entwickeln – als Erkennungszeichen         Genossenschaft. Auf die Fahnen geschrieben hat sich
                    für die ökologischen Produkte regionaler „Xäls“-           diese, basierend auf den Maximen von Transparenz
                    Betriebe. „Das Stichwort lautet: Vielfalt und Koope-       und Verbindlichkeit die regionale Wertschöpfung zu
                    ration für einen nachhaltigen Umweltschutz.“               stärken, den Natur- und Tierschutz zu fördern, eigene
                                                                               Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen aufzu-
                    Zudem beschäftigt sich die Genossenschaft derzeit in-      bauen – und dies alles unabhängig von rein profitori-
                    tensiv mit der Zukunft der in der Region erzeugten         entierten Investoren. Welche konkreten Maßnahmen
                    Milch. „Wir wollen kein Milchwerk“, betont Alexander       zur Erfüllung dieser Ziele angepackt werden, entschei-
                    Thierfelder. Vielmehr strebt „Xäls“ die Entwicklung        den die Genossen demokratisch in der „Xäls“-Gene-
                    von Konzepten an, die sicherstellen, dass Öko-Milch        ralversammlung. Man darf gespannt sein, welche
                    künftig in der Region verarbeitet und vermarktet wird.     Projekte diese stark teilhabeorientierte Organisation
                    „Wir sehen es nicht als zweckdienlich an, dass die         auf den Weg bringen wird!
                    Milch durch halb Baden-Württemberg fährt, um dann
                    zurück in die Läden zu kommen“, erläutert der Werk-        Wer sich näher über die "Xäls"-Genossenschaft in-
                    stättenleiter. Mit ganz anderen Problemstellungen          formieren oder Mitglied werden möchte, findet wei-
                    kämpfen hühnerhaltende Betriebe: Sie können ihre           tere Informationen auf der Website www.xaels.de.

                                                                                                            SOMMER 2020 mitte       17
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         FACHSCHULE

                    Idealisten aller Länder,
                    verwirklicht euch!
                    Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Nicht bei uns! Auszubildende an der Tennentaler Fachschule für
                    Heilerziehungspflege erlernen einen Beruf, der beides in sich vereint – einschließlich dem Glück, eine
                    buntere und freiere Welt ganz konkret mitgestalten zu dürfen.

                    Stumpfes Büffeln war gestern. Ganz im Geiste Wil-        feuer. „Trotz der herausfordernden Arbeit im Sozial-
                    helm von Humboldts ist Bildung im Tennental ein Pro-     wesen kann man durch das Gemeinschaftsgefühl, die
                    zess, der den ganzen Menschen erfasst und seine          kreativen Möglichkeiten und die Natur gut die Seele
                    Potenziale zur Entfaltung bringt. In der Ausbildung      baumeln lassen“, stellt Vivien Grammer fest. „Und
                    zum/r Heilerziehungspfleger*in (HEP) erfolgt dies        wer mal Stadtluft braucht, kommt mit den Öffis
                    zunächst ganz praktisch in der Begleitung assistenz-     schnell nach Stuttgart.“
                    bedürftiger Menschen. „Hier arbeitet man nicht nur
                    nach Methoden, sondern bringt sich selbst immer          Offizielle Voraussetzung für die Ausbildung zum HEP
                    ganzheitlich mit“, sagt die frisch verheiratete Vivien   ist ein vorgelagertes zwölfmonatiges Praktikum bei
                    Grammer, Leiterin unserer staatlich anerkannten          einem mittleren Bildungsabschluss oder ein mindes-
                    Fachschule. „Jeder ist“, erklärt sie, „sein eigenes      tens sechswöchiges Praktikum bei Bewerber*innen
                    Arbeitsinstrument als Mensch in der menschlichen         mit Abitur. „Außerdem sollte man Interesse an ver-
                    Begegnung.“ Und wo im Tennental Begegnung ist, da        schiedensten Menschen, kommunikative Kompeten-
                    ist das nächste Lachen nie weit.                         zen und Offenheit für die anthroposophische Sicht-
                                                                             weise auf den Menschen mitbringen“, ergänzt die
                    Bewusst eng verzahnt haben wir die praktische Aus-       Schulleiterin. „Man sollte sich in eine Gemeinschaft
                    bildung mit theoretischen Lerninhalten in so unter-      einbringen wollen und den Wunsch haben, jedem auf
                    schiedlichen Disziplinen wie Pädagogik, Soziologie,      Augenhöhe und wertschätzend zu begegnen.“
                    Psychologie und Medizin. „Dadurch, dass das Leben,
                    Lernen und Arbeiten komplett an einem Ort stattfin-      Als junge, dynamische Führungskraft ist Vivien Gram-
                    det, haben wir eine sehr enge Theorie-Praxis-Mi-         mer derzeit dabei, die HEP-Ausbildung weiterzuent-
                    schung und der Kontakt zu den Lehrer*innen ist sehr      wickeln. Künftige Fachschüler*innen dürfen sich
                    niederschwellig und intensiv“, erläutert die Schullei-   schon auf attraktive Praktikumsmöglichkeiten freuen.
                    terin. Auch die persönliche Entwicklung der Fach-        Überdies stehen die Chancen gut, nach dem Ab-
                    schüler*innen macht zuweilen große Sprünge: „Man         schluss im Tennental übernommen zu werden. Auch
                    lernt sich selbst noch einmal neu kennen durch die       Weiterbildungen stehen erfolgreichen Absolvent*
                    vielen Begegnungen mit verschiedenen Menschen            innen offen – etwa zum Praxisanleiter, zum systemi-
                    und durch künstlerische Aufgaben wie das Theater-        schen Berater oder zum Fachwirt im Sozialwesen.
                    projekt im zweiten Ausbildungsjahr.“
                                                                             Wer seinen Idealismus also kaum bremsen kann,
                    Zugleich bietet die Dorfgemeinschaft allerlei Gele-      eine Karriere als Bürohengst eher so mittel findet,
                    genheiten für Atempausen: Frische Brötchen gibt’s        dafür aber umso mehr für Inklusion und Teilhabe
                    nur einen Steinwurf entfernt im Bistro, auf den nahe-    brennt, der reiche seine Bewerbung ein bei: Alexan-
                    gelegenen Feldern kann man dem Salat beim Wach-          dra Paulus, per E-Mail an bewerbung@tennental.de
                    sen zusehen und auch ein Besuch auf dem                  oder per Post an Alexandra Paulus, Tennentaler
                    Demeter-Bauernhof lohnt sich immer – ganz zu             Gemeinschaften e.V., Ita-Wegman-Straße, 75392
                    schweigen von den geselligen Abenden am Lager-           Deckenpfronn.

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         EHEMALIGE

                    Was macht
                    eigentlich ...?
                    BORIS KUNZ

                    Wann und in welchem Bereich warst du im Tennen-
                    tal tätig?
                    Das war mein Zivildienst und der muss im September
                    oder Oktober 1999 losgegangen sein. Untergekom-
                    men bin ich in der Deventer-Familie und in der Regen-     Gib doch unseren Lesern einen kleinen Einblick:
                    bogen-Werkstatt. Da haben wir so Sachen gemacht           Wie sieht dein Leben heute aus?
                    wie Recycling, haben Wolle gefärbt und Kerzen gezo-       Ich bin tatsächlich wieder in Prien am Chiemsee, wo ich
                    gen. Das war hauptsächlich für Menschen mit hohem         auch zur Schule gegangen bin. Da habe ich meinen
                    Hilfebedarf, die in anderen Werkstätten nichts machen     Hauptwohnsitz mit meiner Lebensgefährtin und einer
                    konnten.                                                  Stieftochter. Es gibt Zeiten, da bin ich sehr viel zuhause
                                                                              und denke mir neue Geschichten aus – entweder im
                    In drei Worten – wie würdest du die Zeit im Ten-          Auftrag eines Senders oder eines Produzenten, oder
                    nental beschreiben?                                       ich versuche, meine eigenen Stoffe weiterzuentwickeln.
                    Bereichernd, spannend und – das ist jetzt mehr als        Zu anderen Zeiten bin ich beim Drehen und lange Zeit
                    ein Wort – es war wie eine neue Heimat.                   am Stück in München, Köln, Karlsruhe. Das ist eine
                                                                              sehr gute Balance zwischen einer Arbeit mit sehr vielen
                    Wohin hat es dich danach verschlagen?                     Menschen und dann wieder Tagen, wo ich stark mit mir
                    Nach München an die Filmhochschule. Da habe ich           selbst beschäftigt bin.
                    Regie studiert und dann mit meinem ersten Kinofilm
                    „Drei Stunden“ den Abschluss gemacht. Der hat peu         Inwiefern spielt das, was du im Tennental gelernt
                    à peu dazu geführt, dass ich Produzenten kennen-          hast, in deinem heutigen Alltag noch eine Rolle?
                    lernte, mit denen ich eine bayrische Satireserie ge-      Im Tennental habe ich das erste Mal gespürt, dass
                    macht habe: „Hindafing“. Die kam zur richtigen Zeit,      ich eine gewisse Belastbarkeit habe. Ich weiß, dass
                    weil in Deutschland ein großer Serienboom ausbrach        ich lange Arbeitstage durchhalte und dass ich eini-
                    mit neuen Internetplattformen wie Netflix. Innovativ      germaßen ruhig und gelassen durchkomme bei Tru-
                    erzählte Serien sind die neue große Spielwiese für Ki-    bel und Krisen. Die Arbeit mit Menschen mit
                    nomacher. In dem Bereich habe ich weitergearbeitet        Behinderung eröffnet einem auch eine andere Per-
                    und noch eine zweite Staffel von „Hindafing“ gemacht,     spektive aufs Leben und auf das, was Menschsein
                    außerdem „Labaule und Erben“. Die neueste Serie           ausmachen kann. Ich fand es außerdem eine wahn-
                    heißt „Breaking Even“, fürs ZDF. An der arbeite ich ge-   sinnig wertvolle Erfahrung, eine Arbeit zu machen,
                    rade.                                                     die in dem Moment, in dem man sie macht, einen
                                                                              Sinn hat. Das im Tennental war eine Zeit, die gehol-
                                                                              fen hat, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und
                                                                              noch mehr zu wissen, wo man eigentlich hinwill. Au-
                    „Bereichernd, spannend und –                              ßerdem habe ich im Tennental geübt, größere Fahr-
                    das ist jetzt mehr als ein Wort –                         zeuge zu fahren. Das hat mich danach bei meinen
                                                                              Praktika sehr beliebt gemacht. Es gibt wenige Prak-
                    es war wie eine neue Heimat.”                             tikanten, die sich trauen, ein Maskenmobil oder einen
                    Boris über seine Zeit im Tennental                        Licht-LKW zu fahren.

                                                                                                            SOMMER 2020 mitte        19
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         UNTERSTÜTZEN

                    Ehrenamt,
                    mal „schön anders”
                    Leider hat auch der Tag eines Tennental-Mitarbeiters nur 24 Stunden. Nicht alles, was
                    wünschenswert wäre, kann vom hauptamtlichen Personal auch geleistet werden. Sehr
                    dankbar sind wir daher, dass Ehrenamtliche uns seit vielen Jahren unterstützen – zum
                    Beispiel mit Sportangeboten oder als Helfer in den Werkstätten. Nun ist es an der Zeit,
                    diesen Schatz in Gänze zu heben: Das Tennental plant, diese Form der Mitarbeit weiter
                    auszubauen.

                    G
                            roße Hoffnungen setzt Alexandra Wüst in         amtliche wiederum haben eine Lauf- und eine Sport-
                            das Ehrenamt. „Es ist enorm wichtig und hat     gruppe ins Leben gerufen – und dann wären da
                            total viel Potenzial“, sagt die Ehrenamts-      natürlich noch die engagierten Angehörigen mit
                    beauftragte. Immer wieder stellt sie fest: „Wenn man    Freude an der Arbeit mit Menschen.
                    ehrenamtlich arbeiten möchte, ist ein Ort wie das
                    Tennental perfekt!“ Genau jenen positiven Zusatz-       „So etwas wie Vorlesen oder gemeinsames Lesen in
                    effekt, den viele sozial Engagierte suchen, könne die   kleiner Gruppe gibt es momentan leider wenig bis gar
                    Dorfgemeinschaft bieten: das gute Gefühl, helfend       nicht“, sagt Alexandra Wüst. „Da ist noch richtig
                    tätig zu sein, und das Erleben von Gemeinschaft. Ins-   Potenzial.“ Desweiteren bestehe auch Bedarf an
                    besondere nach Karrieren in wenig sinnstiftenden        Angeboten für Spaziergänge oder gemeinsames
                    Berufen sehnen sich Menschen nach einer erfüllen-       Malen: „Im Heim- und Freizeitbereich haben wir
                    den Beschäftigung – und finden sie im Tennental.        leider generell nicht viele Ehrenamtliche. Das wäre
                    „Das Tennental erdet“, weiß Alexandra Wüst.             etwas, das ich gern entwickeln würde.“ Konkret
                                                                            bedeutet das auch, dass es etwa noch an Begleitern
                                                                            für größere Sonntagsausflüge mangelt, die zusätz-
                    „Das gute Gefühl, helfend                               lich zu unseren Heilerziehungspflegern mit dabei
                                                                            sind – oder an Personen, die Menschen mit Assis-
                    tätig zu sein, und das Erleben                          tenzbedarf zu einem VHS-Kurs begleiten.
                    von Gemeinschaft”
                                                                            Insbesondere hat Alexandra Wüst dabei Rentner vor
                                                                            Augen: „Es gibt viele Ältere, die sehr agil sind und
                    35 Ehrenamtliche, die ihren Weg zu uns oft als An-      noch eine sinnvolle Tätigkeit suchen.“ Auch mancher
                    gehörige oder über den Tag der offenen Tür fanden,      Deckenpfronner, der die Dorfgemeinschaft noch
                    sind mittlerweile in der Dorfgemeinschaft tätig. Da-    nicht kenne, sei möglicherweise zu aktivieren: „Den
                    runter finden sich zum Beispiel gelernte Schreiner im   müssen wir nur herbringen, damit er sieht, dass es
                    Ruhestand, die bei Auftragsarbeiten in der Schreine-    hier schön ist – schön anders.“ Um diese und weitere
                    rei unterstützen. Teils sind es auch Fachkräfte, die    Zielgruppen zu erreichen, plant das Tennental, die
                    eine Zeit der Arbeitslosigkeit durch Mithilfe in der    Möglichkeit der ehrenamtlichen Arbeit künftig
                    passenden Werkstatt überbrücken. Andere Ehren-          proaktiv zu bewerben. Für diese und noch viele wei-

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                    tere Aufgaben hat es die Stelle der Ehrenamtsbeauf-      Vorerst indes ist durch die Corona-Pandemie alle
                    tragten mit einem Umfang von sechs Wochenstun-           ehrenamtliche Arbeit zum Erliegen gekommen. Doch
                    den geschaffen. Ein weiteres Vorhaben Alexandra          sobald diese wieder sicher aufgenommen werden
                    Wüsts ist es, die Kommunikation mit den Helfern zu       kann, wird Alexandra Wüst ihre Vorhaben aus der
                    verbessern, etwa durch den Aufbau eines Verteilers.      Schublade ziehen. Zunächst gilt es nach der Pause
                    „Gut wäre es auch“, sagt sie, „wenn wir einen Tag im     aber, alle langgedienten Engagierten zu kontaktieren
                    Jahr hinkriegen, wo sich alle Helfer vier Stunden lang   und für eine Weiterarbeit zu gewinnen. Die Chancen
                    treffen und eine kleine Einführung oder Schulung         dafür dürften gut stehen, denn an nicht vielen Orten
                    bekommen, zum Beispiel zur Pflege. So könnten die        lernt man so schnell wie im Tennental: Wer gibt, dem
                    Ehrenamtlichen auch was lernen und mitnehmen.“           wird gegeben.

                    Doch wo ist Ehrenamt im Tennental überhaupt mög-         Kontakt:
                    lich? „Tätig sein“, informiert die Beauftragte, „kann    Alexandra Wüst
                    man bei uns auf allen Kanälen – nur die Pflege und       Tel. 07056 926-393
                    die fachliche Assistenz ist den Fachkräften vorbehal-    a.wuest@tennental.de
                    ten.“ Was die Voraussetzungen für die Mitarbeit          Montag bis Freitag
                    anbelangt, genüge psychische Gesundheit und der          8.30 - 12 Uhr
                    gute Wille. Alles weitere lasse sich erlernen.
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                                                                                                                  MITEINAN

                       Auf dem Weg zum
                    inklusiven Gemeinwesen
                    Die Dorfgemeinschaft Tennental macht bei einem neuen Projekt mit. Es heißt BaSiG-
                    Projekt. Das Ziel ist, dass die Inklusion im Tennental und in der Gemeinde Decken-
                    pfronn vorankommt.

                    Was bedeutet BaSiG?                                     Was soll passieren?

                    BaSiG ist eine Abkürzung. Was steckt dahinter?          Es sollen viele kleine Beiträge zur Inklusion geleistet
                    Erklären kann man es so: Die Dorfgemeinschaft Ten-      werden. Dazu müssen Partner gefunden werden, die
                    nental ist ein anthroposophischer Träger und beglei-    mit der Dorfgemeinschaft zusammen etwas für die
                    tet in seiner Einrichtung Menschen mit Assis-           Inklusion machen wollen. Zum Beispiel könnte man
                    tenzbedarf. Der Träger will einen Beitrag zur Inklu-    mit einer Schule regelmäßig kleine Projekte mit
                    sion leisten. Die Inklusion soll auch in die Gemeinde   Schülerinnen und Schülern machen. Das wäre ein in-
                    Deckenpfronn als Gemeinwesen getragen werden.           klusiver Beitrag für die Bildung von Kindern und
                                                                            könnte allen gemeinsam Spaß machen. Oder man
                    Dies kann man auch etwas komplizierter ausdrücken.      könnte weitere Firmen finden, die Aufträge für die
                    Dann heißt es: „Beiträge des anthroposophischen         Werkstätten im Tennental haben. Wenn dabei Men-
                    Sozialwesens für inklusive Gemeinwesen“. Wenn           schen mit und ohne Assistenzbedarf gemeinsam
                    man davon die Anfangsbuchstaben nimmt, kommt            etwas produzieren, wäre das ein inklusiver Beitrag
                    BaSiG heraus.                                           im Bereich Arbeit. Vielleicht kann man auch mit
                                                                            einem Sportverein etwas ausmachen, dass man re-
                                                                            gelmäßig im Austausch ist. Oder mit dem Verein

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                    Ahoi e. V., oder mit Menschen aus Deckenpfronn, die     bei dem Projekt mitreden. Nach dem Motto „Nicht
                    gerne Musik machen. Das wären inklusive Beiträge        über uns ohne uns!“ Es sollen 2 oder 3 Personen ge-
                    im Bereich Freizeit. Außerdem wünscht sich die Dorf-    funden werden, die die Interessen der Menschen mit
                    gemeinschaft, dass noch mehr Menschen ohne              Assistenzbedarf vertreten. Sie bekommen in dem
                    Assistenzbedarf ins Tennental kommen. Viele kaufen      Projekt eine Schulung. Sie werden dann Inklusions-
                    schon im Dorfladen ein oder haben einen Termin in       Peerberater genannt.
                    der Arztpraxis. Auch kommen sehr viele Menschen,
                    wenn das Sommertheater seine Aufführungen hat.          Diese Inklusions-Peerberater überlegen zusammen
                    Und im Festsaal gibt es Veranstaltungen, zu denen       mit den Inklusions-Koordinatoren, was man tun
                    Besucher von außerhalb eingeladen sind. Aber es         könnte, um für die Menschen mit Assistenzbedarf im
                    wäre auch schön, wenn noch mehr Menschen mit und        Tennental das Leben inklusiver zu gestalten. Sie dis-
                    ohne Assistenzbedarf in Nachbarschaft wohnen.           kutieren, wer ein guter Partner wäre, um die Inklusi-
                    Wenn also noch mehr Menschen oder Familien ohne         ons-Idee umzusetzen. Dann sprechen sie den
                    Assistenzbedarf eine Wohnung im Tennental haben         möglichen Partner an und erklären ihre Idee. Ein paar
                    könnten, dann wäre auch das Dorfleben insgesamt         Beispiele sind weiter oben genannt. Gemeinsam
                    inklusiver. Es wäre dann noch selbstverständlicher,     beraten alle, wie man das Ziel erreichen kann.
                    dass sich Menschen mit und ohne Assistenzbedarf
                    regelmäßig auf der Straße begegnen.                     Das BaSiG-Projekt soll allen Menschen im Tennental
                                                                            bei einer Informationsveranstaltung näher vorge-
                    Fördergelder von der Aktion Mensch                      stellt werden. Dazu werden alle rechtzeitig eingela-
                                                                            den. Der Termin wird voraussichtlich im Oktober sein.
                    Damit alles etwas geordnet abläuft, hat der Vorstand    Auch die Bürgerinnen und Bürger aus Deckenpfronn
                    einen Förderantrag bei Aktion Mensch eingereicht.       möchten wir einbinden. Ihre Ideen für das BaSiG-
                    Mit dem Fördergeld können eine oder zwei Personen       Projekt können sie bei einem Bürgerforum einbrin-
                    bezahlt werden. Sie haben die Aufgabe, alle geplan-     gen. Und natürlich freuen wir uns, wenn viele Vereine,
                    ten Projektschritte mit dem Vorstand zu besprechen      Schulen und Firmen aus Deckenpfronn mitmachen.
                    und in die Wege zu leiten. Diese Personen machen        Wir nennen all diese Beteiligten „Stakeholder“ und
                    also die Projekt-Koordination. Ganz wichtig ist, dass   versammeln sie in einem Gründungskreis. Lasst Euch
                    Menschen mit Assistenzbedarf aus dem Tennental          überraschen, was bald passiert!

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                                                      allen einen
                                                      wunderbaren
                                                      Sommer!
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