Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT

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Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
MAGAZIN FÜR UNNA       Nr. 110 03.2023    Herbst-Blatt

                              März – April – Mai 2023
                                                Nr. 110

          FRÜHLINGSZEIT
        AUSSERDEM IN DIESER AUSGABE:
   IN SACHEN EHRENAMT • REISEERLEBNISSE
     MAN NEHME ... • MIT DER ZEIT GEHEN
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
Herbst-Blatt                      Nr. 110 03.2023                                                 Editorial   2

Inhalt                                                       Liebe Leserin, lieber Leser!

3      Ohne Rollator oder Stock                              Um es gleich vorwegzunehmen: Wir sind
       zum Beuteschema                                       kein „Herzblatt“, sondern das HERBST-Blatt,
 4     Karneval in Unna                                      ein gern gelesenes Unnaer Magazin. Wir fol-
5      Quo vadis, Ehrenamt?                                  gen dem Prinzip, all unsere Beiträge selbst
 6     Fastenzeit – Osterzeit                                zu erstellen und mit „viel Herz“ zu Papier zu
 8     Die Kastanie vor dem Fässchen                         bringen.
 9     Die Burg von Unna                                     Sagt man den Herzblättern häufig nach, ihre
10     Das ist doch ganz einfach                             Geschichten seien bloß erfunden, so finden
11     April, April!                                         Sie bei uns durchweg authentische Berichte.
12     Ein paar verlorene Schuhe …                           Also solche, die das Leben wirklich geschrie-
13     Wir machen Musik                                      ben hat. Dabei soll, soweit möglich, das
14     Leben – erleben                                       selbst Erlebte im Vordergrund stehen.
       Gestern – heute – morgen                              Wir kennen sie alle, diese in Arztpraxen oder
16     Man nehme …! Praktisches Kochbuch                     beim Friseur ausliegenden Produkte der Re-
18     Das Abendmahlsfenster in Soest                        genbogenpresse. Auf der Titelseite kann man
19     Holland-Hilfe                                         schon mal folgende reißerische Überschrift
20     Nicht geflogen … und trotzdem                         lesen: „Prinzessin So-und-So zum zweiten
       gut „gelandet“                                        Mal schwanger – Fotobeweis“. Nur weiß die
22     Das bekannteste Westfalenlied                         angeblich schwanger gewordene Prinzessin
24     Mit der Zeit gehen                                    selber noch nichts davon. In einem Artikel der
                                                             Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom
                                                             31.07.2022 wurde dies als Show-Schabernack
Impressum                                                    bezeichnet.
Herausgeberin: Kreisstadt Unna                               Wir bleiben uns treu, folgen nur den uns zu-
               Hertinger Straße 12, 59423 Unna               grundeliegenden Interessen. Genießen Sie da-
Internet:      www.unna.de, Suchbegriff: herbstblatt         rum auch diese Ausgabe wieder mit Freude.
V.i.S.d.P:       Dr. Bärbel Beutner                          Weiterhin werden wir darum bemüht sein,
Internet:        Marc Christopher Krug
                                                             Ihnen erfreuliche Beiträge zu bieten. Bei allen
Redaktion:       Andrea Irslinger, Bärbel Beutner,           derzeitigen Krisenerscheinungen in der Welt
                 Benigna Blaß, Brigitte Paschedag,
                 Franz Wiemann, Hans Borghoff,               wollen wir dazu beitragen, wenigstens einen
                 Klaus W. Busse, Klaus Thorwarth,            Funken Hoffnung zu verbreiten. Wir verbin-
                 Reinhild Giese                              den das gerne mit einem lieben Ostergruß.
Seniorenarbeit Kreisstadt Unna:
                 Linda Brümmer                               Für die Redaktion
                 Tel.: 02303/103-687                         Franz Wiemann
                 Postanschrift: Rathausplatz 1, 59423 Unna
Titelfoto:       Franz Wiemann – Werse
Gestaltung:      Andrea Irslinger
Druck:           WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang
Auflage:         2000

        Das nächste
         mit der Nr. 111 erscheint
               im Juni 2023!
                                                              Foto: Franz Wiemann
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
3   Unterwegs                                    Nr. 110 03.2023       Herbst-Blatt
            Ohne Rollator oder Stock zum Beuteschema
                                  - von Hans Borghoff -

Um an den Weihnachtstagen und dem Jah-           mir an, mich in ein Gespräch zu verwickeln.
reswechsel nicht alleine zu sein, entschloss     „Was konnte die reden!“ Eine waschechte
ich mich kurzfristig in die Türkei zu fliegen.   Berlinerin! Sie redete ohne Punkt und Kom-
Ein Fünf-Sterne-Hotel, all inklusive, wurde      ma. Nun erfuhr ich, dass sie mit ihrem Mann
am Mittwoch, 14.12. im Reisebüro des Ver-        zum Überwintern von Anfang Dezember bis
trauens gebucht. Und der Urlaub sollte am        Ende Februar im Hotel war. Es war ihr dritter
Montag, 19.12. in Düsseldorf starten. Das        Mann. Diesen, ich habe dann darauf geach-
Flugzeug hob pünktlich ab.                       tet, denn was würde er zu mir vielleicht sa-
Da ich so kurzfristig gebucht hatte, war ich     gen, sah ich nur zu den Mahlzeiten. Ansonsten
der einzige Gast beim Transfer für das Hotel     wäre er nur im Zimmer oder auf dem Balkon,
in Side. Nach der Anmeldung im Hotel das         sagte seine Frau. Später habe ich mir ge-
Zimmer belegt, ausgepackt und dann Auf-          dacht: Da erholt er sich wohl von seiner Frau.
bruch zur Erkundung der Hotelanlage. Da-         Denn selbst bei den Mahlzeiten wechselten
nach habe ich mich in die Lobby gesetzt.         die beiden kaum ein Wort miteinander.
                                                 War ich am Strand, war die Berlinerin kurz
                                                 darauf ebenfalls da. Ging ich zum Dartspiel,
                                                 tauchte sie kurz darauf auch auf. Unter die-
                                                 sen Umständen war ich wirklich nicht allei-
                                                 ne. Aber angenehm war es nicht. Die Krone
                                                 der Rederei dieser Frau war ihr Spruch, ich
                                                 zitiere: „Wenn icke nich verheiratet wäre, du
                                                 passt in mein Beuteschema.“ Habe mich zu
                                                 den Mahlzeiten an einen Tisch für zwei Per-
                                                 sonen gesetzt. Ein Kellner hat gegen ein
                                                 Trinkgeld das andere Besteck dann gleich
                                                 abgeräumt. Es stellte sich später heraus, alle
Nach gefühlten 20 Minuten setzte sich eine       anderen allein reisenden Männer im Hotel
Frau zu mir und sprach mich an. Sie hätte        waren an einen Gehstock oder Rollator ge-
festgestellt, ich wäre ein allein reisender      bunden oder sonstwie gehbehindert. Da ich
Mann. Sie wäre auch alleine, Witwe und hät-      ein „leidenschaftlicher“ Tanzmuffel bin, ich
te etwas gegen das Alleinsein. Zum Glück         kann nicht tanzen, erlahmte das Interesse an
rettete mich das Abendbuffet.                    meiner Person mit der Zeit. Der positive As-
Am anderen Tag legte ich mich am Pool auf        pekt: Ich wurde noch wahrgenommen.
eine Liege. Rechts von mir ein Ehepaar, links    Mit dem Ehepaar, welches am ersten Tag
von mir legte etwas später ein ebenfalls Al-     rechts von mir am Pool lag, habe ich abends
leinreisender mit Rollator sein Tuch auf die     Karten und andere Spiele gespielt. Sie wer-
Liege. Dann ging er wohl zum späten Früh-        den es erraten, liebe Leser*innen: Wer klink-
stück. Kaum war er weg, kam eine andere          te sich sofort ein?
Frau und fragte mich, ob das Tuch von mei-       Es war schön in der Türkei, immerhin war
ner Frau sei. Ich verneinte. Sie nahm das        schönes Wetter: 24 bis 27 Grad! Nicht ein
Tuch und legte es auf die nächste Liege und      Regentag. Das Wasser im Pool hatte wie im
legte sich neben mich. Nach einigen Minuten      Meer 19 Grad. Das Wasser im Hallenbad so-
kam der Mann zurück, stutzte, legte sich         gar 23 Grad. Nun hat mich Unna wieder und
dann ohne Kommentar auf die Liege mit sei-       – endlich – kehrte für mich Ruhe ein.
nem Tuch. Wenig später fing die Frau neben       Foto: Hans Borghoff
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
Herbst-Blatt                  Nr. 110 03.2023                                               (5.) Jahreszeit   4

                                     Karneval in Unna
                                       - von Hans Borghoff -

Über Karneval ist in den frühen Jahren nichts         club Unna“, der „Schuhmacher-Fachverein“,
bekannt. Erst als es im Jahr 1845 in Unna             der „Landwirtschaftliche Verein des Kreises“
eine Zeitung gab, gibt es Berichte über Kar-          und der „Hellweger Knappenverein“. So
neval in Unna.                                        auch die beiden Tanzlehrer Osterbrauck und
Erster überlieferter „Fastnachtsball mit Abend-       Eichmann. Später gesellte sich dazu der „Un-
essen“ fand am 21. Februar 1846 beim Wirt             naer Schützenverein“, der mit einem ganzen
Timmermann in der Flügelstraße statt.                 Bataillon ausrückte, dazu: Ein „Plasterkasten
Der Pächter des Königsborner Kurbades, der            wird zur Stelle sein“.
Wirt A. Bloem, veranstaltete ab dem Jahr              Bei der „Bürgergesellschaft“ gab es sogar
1849 regelmäßige „Unnaer Fastnachtsbälle              Damensitzungen mit dem folgendem Spruch:
am Soolbad“. Vorher gab es sporadische                „Als bekanntes Zugmittel, von vielen Verei-
Veranstaltungen. In der gezeigten Annonce             nen erprobt, geben auch wir an allen unseren
waren es nur Freunde und Bekannte, die sich           Sitzungsabenden Freibier, wovon jeder trinken
da trafen.                                            darf, so lange ein anderer für ihn berappt.“
Die Zahl der geselligen Vereine
wuchs in den sechziger Jahren des
19. Jahrhunderts. Zu nennen sind z.
B. die „Bürgergesellschaft zu Unna“
und die „Erholung“. Ihre Feste, das
„Carnevalistische Fastnachts-Kränz-
chen“ und andere Feste waren die er-
sten Karnevalshöhepunkte in unserer
Stadt.
Am 2. März 1867 hatte das „Car-
nevalistische Fastnachts-Kränzchen“
der Gesellschaft „Erholung“ folgen-
des Programm: 1. Anrede des Prin-
zen an seine Gesellschaft, 2. Der So-
lotänzer, Posse mit Gesang, 3. Berg-
                                           A. Bloem, der Pächter des Königsborner Kurbades (Soolbad) hatte
mannslied, 4. Der Fliegenfänger, So-       diese Annonce im HA (01.03.1848) mehrere Male drucken lassen.
loscherz, 5. Ständchen, 6. Gesangs-        Bemerkenswert ist das Angebot bei schlechtem Wetter.
posse. Anschließend wurde von 24           Zu dieser Zeit gab es noch Busse, die von Pferden gezogen wurden.
Personen in Kostümen eine Quadrille
getanzt.                                              Im Jahr 1889 gab es zum ersten Mal einen
Einen Tag später veranstaltete die „Unnaer            Karnevals-Maskenzug durch die Straßen von
Bürgergesellschaft“ einen Maskenball.                 Unna, vom Markt über die Bahnhofstraße,
Das Faschingsangebot erweiterte sich in den           Schäferstraße, Massener Straße bis zum Lo-
folgenden Jahren. So brachte es die „Bür-             kal von Franz Knieben an der Hertinger Stra-
gergesellschaft“ bald auf fünf Sitzungen.             ße.
Immer mehr Vereine wollten an diesem när-             Die „Bürgergesellschaft“ brachte im Jahr
rischen Treiben teilhaben. So der „Handwer-           1891 zu diesem Anlass sogar eine eigene
ker-Gesellenverein“, die „Vereinigten Hand-           Zeitung mit dem Namen „Fastnachts-Zeitung
werker“, die „Vereinigten Bürstenmacher“,             der Bürger-Gesellschaft Unna“ heraus. Es
der „Männergesangverein Unna“, der katho-             konnten darin Texte und Anzeigen geschaltet
lische Gesangverein „Caecilia“, der „Turn-            werden. Sie waren „kostenfrei und unbezahl-
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
5   Aufruf                                           Nr. 110 03.2023              Herbst-Blatt
bar“ und nahmen Unnaer Familien, Persön-             „Fidelio“. Beide Vereine verschwanden aber
lichkeiten und lokale Ereignisse „aufs Korn“.        sang- und klanglos, was die alten Vereine
1904 gründete sich in Unna die „Carneva-             wiederum stärkte.
listische Gesellschaft Rheinland“. Vier Jahre        Quelle: Stadtarchiv Unna, Foto: pixabay.de
später gründete sich der Carneval-Verein

                               Quo vadis, Ehrenamt?
                                    - von Klaus W. Busse -

      Die Diskussion über ehrenamtliche Tä-          Jeden Freitagnachmittag gibt es dort üb-
      tigkeit nimmt, von der Stadt anger egt,        rigens Kaffee und ein Stück Kuchen gra-
      jetzt wieder Fahrt auf. Erfreulich ist, dass   tis für Inhaber der Ehrenamtskarte NRW
      der Diskussion über die ehrenamtliche          (erhältlich auch über die VHS). Näheres
      Tätigkeit nun wieder mehr Raum gege-           dazu können Sie im Fässchen selber oder
      ben wird, nachdem zur Zeit der Corona-         im Aushang am Eingang erfahren.
      Pandemie die Gesellschaft ziemlich stark       Vielleicht ist Ihnen nicht bekannt, dass
      aus den Fugen geraten ist.                     das in der Gastronomie des Fässchens
      Vornehmlich waren, neben den Schulkin-         tätige Personal den Service weitgehend
      dern, auch die Senioren von Einschrän-         ehrenamtlich versieht. Freiwillige Mitar-
      kungen betroffen. Lernen, in Muße ver-         beiter werden – nach eingehender Bera-
      weilen, Spiele machen und Fahrten zu pla-      tung – gerne eingestellt.
      nen, dafür war schon seit den 80er Jahren      Die Herbst-Blatt-Redaktion wiederum
      der Seniorentreff „Das Fässchen“ ein be-       unterstützt deshalb die Aktivitäten mit
      liebter Treffpunkt. Das hat nun ein Ende.      folgendem Aufruf:
               „Träumen auch Sie von Behaglichkeit und gemütlicher Atmosphäre,
               von lebenswerter Gemütlichkeit in einer ungestörten Gemeinschaft?
                       Wo man nicht nur aktiv sein kann und auf ein Treffen
                               mit Gleichgesinnten warten kann?
                                Ein Ort, wo es einfach schön ist,
                                wo sich auch Ihr Einsatz lohnt,
                      um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden ?
                                   Wir freuen uns auf Sie …“

                                                                          Foto: Hans Borghoff
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                      Jahreszeiten   6

                           Fastenzeit – Osterzeit
                                - von Bärbel Beutner-
Unser Herbstblatt erscheint im März, und       wie Torte und Eis waren tabu (Eis gab es
das ist im Jahr 2023 der christliche Fasten-   sowieso erst wieder im Sommer). Feste wa-
monat. Karneval fällt auf den 20./21. Febru-   ren zu vermeiden, auf Vergnügungen wie
ar, nach Rosenmontag und Fastnachtsdiens-      Kino, Theater, Zirkus sollte man verzich-
tag kommt der Aschermittwoch, und dann         ten. Zusätzlich sollte sich jeder noch ein
beginnt (begann) die Fastenzeit bis zum        persönliches „Fastenopfer“ überlegen; für
Sonnabend vor Ostern. So war es jedenfalls     Kinder konnte das bedeuten, dass sie in der
früher. Man sollte sich so auf das Osterfest   Fastenzeit mit einem Lieblingsspielzeug
vorbereiten, mit der Zeit der Buße und des     nicht spielten, denn „wir sollen uns abtö-
Verzichts.
Die Fastenzeit vor Ostern
fällt in unseren Breiten in
eine Zeit, in der die Winter-
vorräte früher allmählich zur
Neige gingen. Da war das
Fasten naheliegend, denn es
wuchs draußen noch nichts.
In unserer Welt heute ist zu
jeder Jahreszeit alles zu ha-
ben. In unserem Schlaraf-
fenland gibt es Sommer wie
Winter Obst und Feldfrüch-
te, Fleisch und hundert
Brotsorten, Zuckerwaren und
Delikatessen aller Art –
wenn man das nötige Klein-
geld hat. Ende August kann
man bereits Lebkuchen, Zimtsterne und Do-      ten“, wie eine Schülerin brav in der
minosteine kaufen, und gleich nach Neujahr     „Christenlehre“ zitierte.
erscheinen die ersten Schoko-Hasen und         Diese Vorschriften wurden 1966 nach dem
Eier aus Krokant und Marzipan. Kein Fest       Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965)
wird in Ruhe abgewartet.                       durch eine neue „Bußordnung“ geändert.
Das war nicht immer so. In unserer Kind-       Aber das Fasten gibt es in allen Religionen
heit wurden Süßigkeiten frühestens vom Ni-     und Kulturen. Allein der Brockhaus füllt
kolaus gebracht, und vor Ostern gab es eine    zwei Spalten mit diesem Thema. Fasten
richtige Fastenzeit. In den 50er und 60er      dient der inneren Reinigung, der Versöh-
Jahren wurden in den katholischen Kirchen      nung mit dem zornigen Gott, der Begeg-
die Fastengebote verlesen. Erwachsene soll-    nung mit dem göttlichen Geist in der Eksta-
ten nur einmal täglich eine sättigende Mahl-   se, es gehört zu bestimmten Ritualen und
zeit zu sich nehmen, ansonsten nur kleine      Feiertagen. In unserer offenen Gesellschaft
Stärkungen. Fleischgenuss war drastisch        erleben alle den islamischen Ramadan mit
einzuschränken. Auf Tabak, Alkohol, Boh-       und begehen das Fastenbrechen oft gemein-
nenkaffee sollten die Erwachsenen verzich-     sam. Die Vorschrift, im Ramadan von Son-
ten, die Kinder auf Süßigkeiten. Genüsse       nenaufgang bis Sonnenuntergang streng
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
7   Jahreszeiten                                Nr. 110 03.2023            Herbst-Blatt
                                                ren nun etwas Glanzvolles, das Belohnungs-
                                                system im Gehirn lief auf Hochtouren.
                                                Doch auch heute besinnen sich die Men-
                                                schen wieder auf die Fastenzeit. „Sieben
                                                Wochen ohne“, heißt die Losung. Da gibt es
                                                eine große Auswahl. Es müssen nicht Nah-
                                                rung und Genussmittel sein. Unser Herbst-
                                                Blatt-Team besichtigte eine Kirche, in der
                                                die schönste Sehenswürdigkeit, der pracht-
                                                volle Altar, in der Fastenzeit verhüllt war,
                                                „Fasten mit den Augen“. Starke Naturen
                                                lassen sieben Wochen das Auto stehen,
                                                schalten den Fernseher ab oder verzichten
                                                sogar – wenn es im Alltag möglich ist – auf
                                                das Smartphone.
                                                Warum? Der Mensch will wissen, was er
                                                schaffen und durchhalten kann. Er will aus-
                                                testen, wie weit er von irgendetwas unab-
                                                hängig werden kann. Letztlich geht es ihm
                                                um seinen freien Willen, um seine Freiheit.
zu fasten, nüchtern zu bleiben, dann aber       Interessant zu beobachten, dass er sich gera-
ein üppiges gemeinsames Mahl zu halten,         de dann freiwillig etwas auferlegt, wenn die
scheint menschlicher als die siebenwöchige      Vorschriften gelockert oder sogar abge-
Askese im Christentum. Kinder ab acht Jah-      schafft werden.
ren, die gerade anfangen zu fasten, erhalten    Am Ende der kirchlichen Fastenzeit steht
besondere Zuwendung. Man geht mit ihnen         das Osterfest, ein uraltes Frühlingsfest, das
in die Stadt oder in den Zoo, sie bekommen      ebenso wie die Wintersonnenwende im De-
kleine Geschenke, um sie abzulenken und         zember schon bei den Germanen und bei
ihnen die Stunden des Hungerns zu erleich-      den Römern gefeiert wurde.
tern. Bei Einbruch der Dunkelheit werden
                                                Fotos: Andrea Irslinger, pixabay.de,
sie mit Spezialitäten der orientalischen Kon-   Radka Schöne/pixelio.de
fekt-Tradition belohnt.
Auch der höchste jüdische Feiertag, das
Versöhnungsfest Jom Kippur, gehört
wieder zu unserem Jahresrhythmus,
mit einem strengen 24stündigen
Fasten.
Was bewegt die Menschen,
sich im Verzicht zu üben und
sich Opfer aufzuerlegen? Als
Vorbereitung zu den großen
Festen – die Adventszeit war
früher ebenfalls eine Buß- und
Fastenzeit – erhöhte sich dadurch die
Freude des Feierns. Nach der Zeit des
Verzichts ließ es sich mit gutem Gewis-
sen schwelgen, die entbehrten Genüsse wa-
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Herbst-Blatt              Nr. 110 03.2023                                           Lokales   8

                    Die Kastanie vor dem Fässchen
                                  - von Benigna Blaß -

Vor dem Senioren-Treff (Fässchen) am Kas-       ration stammen, die keine Krankheiten be-
tanienbrunnen stand eine schöne große Kas-      kommen soll. Wir standen dabei und wun-
tanie. Im Herbst 2012 fegte ein heftiger        derten uns, wie schnell das ging. Sie bekam
Sturm durch Unna, entwurzelte viele Bäume,      ihr erstes Wasser und wir alle ein Gläschen
und auch die Kastanie brach ab. Wir, die Au-    Sekt. So eine interessante Pflanzaktion ha-
toren des Herbst-Blattes, waren sehr traurig    ben die Stadtgärtner noch nie erlebt.
und baten die Stadt eine neue zu pflanzen,      Nun machten wir es zu unserer Aufgabe, sie
doch die Geldquellen des Gartenbauamtes         wachsen zu lassen. Jeden Mittwoch, wenn
ließen es nicht zu. Wir wollten aber unbe-      wir uns trafen, bekam sie zwei Gießkannen
dingt, dass hier wieder eine Kastanie steht.    Wasser. Die Kastanie wuchs gut an, im ers-
Jeder von uns schaute in seine Geldbörse und    ten Jahr bekam sie ihre einzige erste Blüte.
rückte etwas heraus. Es kam eine beträchtli-    Nun steht sie da und wächst und wächst und
che Menge zusammen.                             blüht jedes Jahr und macht nicht nur uns,
Der Rat der Stadt war sehr erfreut. Bald        sondern vielen Menschen Freude.
rückten die Stadtgärtner an und pflanzten un-   In der Hertingerstraße sind in jüngster Zeit
sere Kastanie. Sie soll aus einer neuen Gene-   viele Bäume gefällt worden. Wir, die Auto-
                                                ren des Herbst-Blattes, sind froh, dass unse-
                                                re Kastanie bleiben durfte. Auch die Stra-
                                                ßenbauarbeiter haben sie bei der Verlegung
                                                der neuen Pflastersteine sehr pfleglich be-
                                                handelt; ihr ist nichts geschehen.

Die Pflanzung

                                                Die Kastanie heute

                                                Dafür möchten wir uns herzlich bedanken.
                                                Wir werden unsere Kastanie wie immer gut
                                                bewässern.
                                                Es wäre schön, wenn auch andere Men-
                                                schen die jungen Bäume pflegen würden.
Erste Blüte                                     Fotos: Benigna Blaß
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9   Lokales                                      Nr. 110 03.2023               Herbst-Blatt
                               Die Burg von Unna
                                 - von Klaus Thorwarth -
„Was?“, fragte ein Mann bei der Gästefüh-        Während die Namen zahlreicher Ortschaften
rung, als er vor dem nach 1945 glatt verputz-    in unserer Region schon früher beurkundet
ten Burgturm stand. „Was soll das hier Be-       wurden, erhielt Unna die Stadtrechte ver-
sonderes sein?“ Und er staunte nicht schlecht,   mutlich erst nach 1288. Im Jahr 1405
als der Gästeführer erklärte: „Der Turm ist      schenkte der Graf die Burg seinem Neffen,
das älteste fertiggestellte Gebäude unserer      dem Ritter von der Recke. Dieser musste das
Stadt.“                                          Gebäude bei Bedarf für den Grafen frei hal-
Um 1380 wurde er innerhalb der Stadtmau-         ten, so ist es bei Willy Timm nachzulesen.
ern vom Grafen Engelbert III von der Mark        Der Turm mit seinen unteren drei Geschos-
errichtet. Damit wurde er 187 Jahre früher       sen sowie die Außenmauern des Langhauses
vollendet als die Stadtkirche. Deren Neuer-      stammen noch aus der Zeit der Erbauung.
richtung im gotischen Baustil begann nach        Weitere Veränderungen der Innenräume sind
Jodocus Mattencloidt im Jahr 1322. Das Jahr      heute nicht mehr erkennbar, sind aber von
der Fertigstellung dieser wunderbaren Kirche     Thomas Spohn ausführlich beschrieben.
war erst 1567.                                   Wie die Stadt, so hat auch die Burg eine sehr
                                                 wechselvolle Geschichte. Schon allein auf-
                                                 grund der vielen Nutzer. So residierte hier,
                                                 zum Beispiel, im Jahr 1606 der Bürgermeis-
                                                 ter Winhold von Büren. 1807 erwarb die Be-
                                                 sitzung der Justizkommissar Wiethaus. Da-
                                                 mals standen neben dem Turm eine große
                                                 Scheune, ein Baumgarten, ein Kräutergarten
                                                 und eine Ölmühle. Für das Jahr 1783 führt
                                                 Thomas Spohn folgende Bewohner auf:
                                                 Schäfer Maas mit 7 Personen, eine Kuh und 40
                                                 Schafe. Unna war eben eine Ackerbürgerstadt.
                                                 Dann ging 1929 der Komplex an die Stadt
                                                 Unna über und wurde einige Jahre lang als
Klaus Basner meint, die Burg habe wohl an-       Bürgermeisterwohnung genutzt. 1936 zog
fangs zu Wohnzwecken für einen Bevoll-           das Heimatmuseum, unser heutiges Hellweg
mächtigten des Grafen gedient, dem auch die      Museum, hier ein.
Aufsicht über das Salzwerk in Brockhausen,       1952 wurden an der Massener Straße zahl-
heute Königsborn, unterstand.                    reiche Gold-Münzen aus der Hansezeit aus-
Der Stadtführer erinnerte daran, dass das        gegraben. Es ist das Verdienst des Muse-
Jahr 1288 eine wichtige Zeitenwende in un-       umsleiters Otto Kettling und des Juweliers
serer Region eingeläutet habe. Da nämlich        Werner Brinkmann: Der von den Findern
wurden die Truppen des Kölner Erzbischofs        stark verstreute Schatz wurde in mehreren
in der „Schlacht von Worringen“ vernich-         Jahren nach Unna in das Museum zurückge-
tend geschlagen. Erst danach konnten in          führt. Er ist die Attraktion des „Hellweg Mu-
Deutschland nach italienischem Vorbild           seums“, das durch den Goldschatz überregi-
Städte entstehen. Sie waren durch Stadtmau-      onale Bedeutung bekam. Jetzt liegt er sicher
ern gesichert und erhielten vom Landesherrn      im Burgturm hinter dicken Mauern.
wichtige Rechte. Die bis dahin unfreien          Quellen: Willy Timm: Geschichte der Stadt Unna,
Menschen drängten in die Städte nach dem         Klaus Basner: Unna – Historisches Porträt einer Stadt,
                                                 Thomas Spohn: Aspekte kleinstädtischen Lebens
Motto: Stadtluft macht frei.                     im 18. Jahrhundert; Foto: Franz Wiemann
Nr. 110 März - April - Mai 2023 - FRÜHLINGSZEIT
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                         Meinung   10

                       Das ist doch ganz einfach
                                 - von Anne Nühm -

Immer wieder hört Anne diesen Spruch,          sogar digital den Weg der bestellten Schuhe
wenn es um eine Internetbestellung geht:       verfolgen, bis es abends schellte und der
Aus dem riesigen Bildmaterial eine Aus-        Bote ihr das Paket übergab.
wahl treffen, Kontaktdaten eingeben und        Dann kam die erste Enttäuschung. Die Far-
dann die Bestätigungstaste drücken. Alles      be und die Passform entsprachen nicht An-
Andere läuft dann von selbst.                  nes Vorstellungen. Es stand schnell fest,
                                               dass sie die Schuhe zurückgeben wollte. Für
Einen trüben Sonntagnachmittag hat Anne        die entsprechende Vorgehensweise der
genutzt und das digitale Angebot ihrer Lieb-   Rückgabe gab es klärende Hinweise. Um
lingsschuhmarke durchgesehen. Und tat-         die in der Nähe ihres Wohnortes günstige
sächlich, einer der Sandaletten entsprach      Anlaufstelle zu erfahren, hatte Anne ihren
sofort ihrem Geschmack. Aber den Weg           Standort bekannt zu geben. Am nächsten
                                                                 Morgen machte sie sich
                                                                 auf den Weg nach Kamen.
                                                                 Am Markt 2 sollte sie die
                                                                 Lieferung wieder abgeben
                                                                 können. Leider war das
                                                                 aber nicht möglich. Denn
                                                                 anstelle vor einer UPS-
                                                                 Warenannahmestelle stand
                                                                 Anne vor einer Pizzeria.
                                                                 Jetzt war guter Rat teuer.
                                                                 Zwei Männer bestätigten
                                                                 ihr, dass das Haus tatsäch-
                                                                 lich der angegebenen Ad-
                                                                 resse entsprach. Eine Er-
                                                                 klärung konnten sie aber
                                                                 nicht geben. Daraufhin
                                                                 ging Anne in die daneben
über den Warenkorb wählte sie auf Grund        liegende Apotheke. Die Angestellten gaben
ihrer Skepsis nicht. Sie druckte die Abbil-    mit erstaunten Gesichtern den Rat, es im
dung aus und suchte am nächsten Tag ein        gegenüberliegenden Kiosk zu versuchen.
Schuhgeschäft auf. Dort erfuhr sie, dass die   Da dieser aber erst vor drei Wochen eine
Modelle Ende des Monats geliefert werden       Neueröffnung gefeiert hatte, konnte der
würden. Anne war bereit, sich zu gedulden.     neue Pächter auch nicht weiter helfen. Dort
Trotz mehrfacher Nachfrage kam es aber         wurde Anne auf ein Damenoberbeklei-
nicht zum Kauf.                                dungsgeschäft hingewiesen, dessen Verkäu-
Deshalb nahm sie ihren Mut zusammen und        ferin eine ortskundige Fachfrau sei, die sich
wagte sich doch mal an eine Internetbestel-    bestimmt auskennen würde. Aber auch dort
lung heran. Bingo, sie schien alles richtig    sah Anne lediglich in ein erstauntes Gesicht.
gemacht zu haben. Denn wenige Augenbli-        „Vielleicht arbeitet das Bettengeschäft in
cke nach dem Klick wurde die Bestellung        der nächsten Querstraße mit der UPS zu-
bestätigt und der Liefertermin bekanntgege-    sammen. Versuchen Sie es dort einmal“ war
ben. An dem vorgesehenen Tag konnte sie        der nächste Tipp, dem Anne nachging. Aber
11   Meinung                                     Nr. 110 03.2023             Herbst-Blatt
auch der führte nicht dazu, dass die Schuhe      er sich nicht. „Ohne diesen Code kann ich
endlich wieder zurückgegeben werden konn-        die Schuhe nicht zurücknehmen“, teilte die
ten.                                             Mitarbeiterin mit. Sie bat ihren Kollegen um
Langsam machten sich Sorgen breit. Doch          Hilfe, die er aber auch nicht leisten konnte.
dann wendete sich das Blatt. In der Nähe         Werde ich diese Schuhe denn überhaupt
des Bettengeschäftes, in dem Anne eben-          nicht mehr los, schoss es Anne durch den
falls eine Absage erhalten hatte, hatte die      Kopf. Doch dann gelang es der netten Dame
Verbraucherzentrale Kamen eine Filiale           plötzlich doch, den Code zu öffnen. „Wie
eingerichtet. Die Fachleute dort konnten be-     haben Sie das denn geschafft?“ war Annes
stimmt weiterhelfen. Nach dem sich das ers-      freudige Reaktion. „Ich habe den Hinweis
ten Erstaunen gelegt hatte, kam eine der         Inhalt öffnen gesehen“, war ihre Antwort.
Angestellten auf die Idee, die Internetseite     Jetzt war es endlich soweit. Anne hatte das
der UPS zu öffnen. Sie erhielt den Hinweis       Ziel erreicht, konnte die Bestellung wieder
auf ein Haushaltswarengeschäft in der In-        abgeben und fuhr total erleichtert nach Hau-
nenstadt. Dort angekommen, wurde nach            se. Sie wird es sich nach dieser Erfahrung
dem sog. Rückgabecode gefragt, der Anne          mehrfach überlegen, noch einmal eine Inter-
auf ihrem Smartphone zugeschickt worden          netbestellung aufzugeben, die angeblich
war. Ganz klein war er auf dem Dialogfens-       ganz einfach sein soll.
ter ihres Handys zu sehen. Aber öffnen ließ      Foto: pixabay.de

                                      April, April!
                                   - von Hans Borghoff -
     Ein altes Sprichwort besagt: „Am 1. April   Aber woher kommt dieser „Brauch“?
     schickt man die Narren hin, wohin man       Er könnte von den Römern stammen.
     will.“ Es macht wohl vielen Menschen        Bei ihnen gab es Narrenfeste, die zu Eh-
     Spaß, anderen Menschen etwas weiszu-        ren des Romulus gefeiert wurden. Ein
     machen und sie so in die Irre zu leiten.    weiteres Beispiel könnte aus der Karwo-
     Man freut sich darauf, wenn der andere      che stammen: von Pontius bis Pilatus
     z. B. einen vergeblichen Gang getan hat.    laufen.
     Wer hat es nicht schon selbst erlebt?       Kommt dieser Brauch gar von den Hin-
                                                 dus? Sie schicken sich zur allgemeinen
                                                 Heiterkeit unter angeblicher Wichtigkeit
                                                 oder zu zwecklosen Dienstleistungen hin
                                                 und her. Nebenbei: Am nächsten Tag
                                                 beginnt bei ihnen das neue Jahr.
                                                 Bei den Griechen war es ähnlich. Nur
                                                 band man demjenigen die Augen zu.
                                                 Aus diesem Spiel hat sich bei uns das
                                                 Blindekuhspiel entwickelt.
                                                 Foto: Henrik Gerold Vogel/pixelio.de
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                           Gedanken   12

                       Ein Paar verlorene Schuhe ...
                                 - von Franz Wiemann -
Wer verliert denn schon einen einzelnen        Pumps sind ganz sicher nicht die bequemsten
Schuh? Und dann auch noch einen Tanz-          Reiseschuhe. Vielleicht hat sie sie ja gerade
schuh? Dieser Gedanke kreiste mir am Mor-      deswegen weggeworfen!?
gen des 30. April vergangenen Jahres durch     Und dennoch stellte sich mir die Frage nach
den Kopf. Und dann auch noch nur wenige        dem Grund dieser nicht gerade sehr ange-
Stunden vor dem „Tanz in den Mai“ (!) Ich      messenen Art der Entsorgung: Hat sich die
war mit dem Fahrrad in der Innenstadt unter-   Besitzerin unter Umständen voller Wut der
wegs, als ich ganz unerwartet einen einzel-    Schuhe entledigt, sie einfach so aus dem Au-
nen Damenschuh vor mir liegen sah. Hatte       tofenster geworfen? Eventuell als Ausdruck
ich etwa von der neuen Version vom               der Enttäuschung über eine Absage zum
Aschenputtel, der mit so viel Lei-                        „Tanz in den Mai“? Dabei wird
denschaft tanzenden Märchen-                                   Schuhen ja auch schon mal
figur, nichts mitbekom-                                          eine leicht erotisch wirken-
men?                                                               de Bedeutung beigemes-
Ganz um Nachhaltig-                                                  sen. Ich denke zum Bei-
keit bedacht, räumte                                                   spiel an die „verkrüp-
ich den Schuh zu-                                                       pelten Füße“ so man-
nächst mal von der                                                      cher Chinesin. Dies
Fahrbahn. Zu meiner                                                     beschrieb in den 30er
Verblüffung fand ich                                                    und 40er Jahren ganz
nur wenige Meter                                                        vortrefflich die ameri-
davon entfernt den                                                     kanische, lange in Chi-
zweiten Schuh. Beide                                                 na lebende Schriftstelle-
waren noch in sehr gu-                                             rin Pearl S. Buck in ihren
tem Zustand: Es handelte                                          China-Romanen. Insbeson-
sich um Pumps mit kaum ab-                                     dere sind es Pumps, die die
genutzter Sohle, Schuhgröße 42.                            Ausstrahlungskraft so mancher
Diese Dame lebt aber auf großem Fuß,               Varieté-Tänzerin oder auch Prima Ballerina
war mein zweiter Gedanke.                      in ihrer Wirkung auf Männer verstärken hilft.
Dass dieser Fund eher keinen hohen Mittei-     Kann das eventuell auch ein Grund dafür
lungswert für die Öffentlichkeit haben wür-    sein, dass viele Frauen in ihre Schuhe regel-
de, war mir schnell bewusst. Ganz getreu       recht vernarrt sind? So ganz schnell trennt
dem Motto: Was juckt es uns denn schon,        man sich nicht von ein paar schicken Schu-
wenn im entfernten China ein Sack Reis um-     hen, bildete ich mir ein.
fällt? Und dennoch kreisten weitere verrück-   Ich hielt es übrigens nicht für erforderlich,
te Gedanken in meinem Kopf, zum Beispiel       die Schuhe zum Fundbüro zu bringen. Für
folgender Art:                                 jederman(n)* und frau platzierte ich sie gut
Kann man solch ein Paar Schuhe etwa als        sichtbar auf einer angrenzenden Mauer (s.
„herrenlose Damenschuhe“ bezeichnen? Aber      Foto). Und nur einen Tag später hatte sie
so ganz gendergerecht klingt diese Formulie-   auch schon jemand an sich genommen, wie
rung nicht. Weitere, ähnlich lustige Gedan-    ich feststellen konnte.
ken schwirrten mir im Kopf herum. Hat die      Na ja, dachte ich mir so: „Wem der Schuh
Dame etwa, frei nach Joseph von Eichen-        passt, der zieht ihn sich auch an“. Und dann
dorff, „Mich brennt‘s in meinen Reise-         setzten so langsam meine Gedankengänge aus.
schuh‘n“ vor sich hin gesummt? Quatsch:        Foto: Franz Wiemann
13   Kultur                                      Nr. 110 03.2023       Herbst-Blatt
                                Wir machen Musik
                          - Gastbeitrag von Martina Hitzler -
Drei Gitarren standen in unserer Wohnung         ben hauptsächlich projektbezogen und auf
herum und wurden von einer Ecke in die an-       einen Termin hinarbeitend. Die Proben fin-
dere geräumt: eine ganz alte Konzertgitarre,     den in dieser Phase dann relativ regelmäßig
auf der ich damals mit sechs Jahren angefan-     einmal die Woche statt, manchmal auch am
gen habe, zu spielen und Unterricht bekam.       Wochenende. Darüber hinaus gönnen wir
Es war eine Gitarre von meinem Vater aus         uns auch kreative Pausen, da wir alle noch
den 50gern, die ich heute noch immer aufbe-      anderweitig beruflich oder ehrenamtlich,
wahre und ab und an einmal anklingen lasse.      auch musikalisch, eingebunden sind.
Dann meine eigene Konzertgitarre, auch           Die Besetzung hat sich in den Jahren immer
schon ca. 40 Jahre alt mit breitem Bund für      wieder geändert: Es kamen Musiker und
die noch ungeschickten
Kinderfinger, die ich mitt-
lerweile verschenkt habe,
und eine Westerngitarre,
deren Stahlseiten mir in
die Fingerkuppen schnit-
ten. Die ließ ich erst
recht stehen.
Ich hatte so lange gar
nicht mehr gespielt, legte
die Gitarren immer wie-
der zur Seite und fand
einfach keinen Neuan-
fang.
Dann traute ich mich
2012 einfach mal einen
Aufruf zum gemeinsa-
men Gitarrenspiel in un-
seren evangelischen Gemeindebrief zu set-        Musikerinnen mit verschiedensten Instru-
zen. Ich dachte mir, dass ich sicherlich nicht   menten, nicht nur Gitarren, hinzu und andere
der einzige Mensch sein konnte, der seit Jah-    gingen wieder. Manchmal waren wir auch
ren das eigene Instrument nicht mehr genutzt     nur für ein Konzert zusammen – Gitarren,
hatte und vielleicht doch Spaß an einem          Bass, Percussion, Querflöte, Saxophon und
Neuanfang haben könnte. Es dauerte eine          E-Piano/Klavier. Ein stabiler Kern aus vier
Weile, bis sich ein oder zwei Personen mel-      bis fünf Instrumentalist*innen hat sich im
deten. Im kleinen Kreis begannen wir seit-       Laufe der Jahre herauskristallisiert. Neue
dem als Projektkreis Musik in der Ev. Kir-       Mitspieler und Mitspielerinnen sind weiter-
chengemeinde Unna-Hemmerde zu proben.            hin herzlich willkommen.
Das ist mittlerweile über zehn Jahre her.        Abhängig davon, wie die Gruppe zusam-
Es ist nicht einfach, eine kleine Band zusam-    mengesetzt ist, spielen wir unterschiedliche
men zu stellen und die Musiker und Musike-       Genre: Jazz, Blues, Soul, Rock, Folk, Pop.
rinnen dauerhaft beieinander zu halten. Was      Wir begleiten auch kirchliche Veranstaltun-
von Anfang an deutlich wurde, dass es sich       gen mit Neuen Geistliche Liedern, Worship-
wirklich um einen „Projektkreis“ handeln         Music und Gospel Songs.
würde, das bedeutet: wir treffen uns und pro-    Foto: Frank Richard
                                                 .
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                       Erinnerung   14

                                 Leben – erleben
                            Gestern – heute – morgen
                        - Verfasser der Redaktion bekannt -
Es war ein wunderschöner Maientag. Im          In der Dorfmitte stand eine Wasserpumpe
Krankenhaus in der Kleinstadt Neuwedell        für die Wasserentnahme der Dorfbewohner.
in der Neumark stand meine Geburt bevor.       Für uns Kinder gab es in den warmen Mo-
Ich sehnte mich danach, endlich das Licht      naten ein besonderes Erlebnis: Wir durften
der Welt zu erblicken. Es war am 21.05. im     die Gänse zum nahe gelegenen See treiben.
olympischen Jahr 1936.                         1939 war ein einschneidendes Jahr. Mein
Mein weiteres junges Leben spielte sich        Vater wurde zur Wehrmacht eingezogen. Er
dann in Augustwalde ab, wo mein Vater als      hatte dort ausschließlich mit der Feldpost zu
Landbriefträger bei der Deutschen Reichs-      tun. Nach Kriegsende kehrte er bereits 1947
post beschäftigt war. Er besaß ein Dienst-     aus der Gefangenschaft zurück.
motorrad, um das weitläufige Kreisgebiet       Die ganze Sippe wohnte in der näheren Um-
mit Post zu versorgen. Meine Mutter war        gebung. Ich besuchte sie öfters in Marien-
Hausfrau. In der Erntezeit war sie, wie all    walde, einem Nachbarort. Als ich zum
die anderen Frauen im Dorf auch, auf dem       Bahnhof ging, sah ich auf der Hauptstraße
großen Gutshof beschäftigt. Als Entlohnung     viele Panzer stehen. Zuhause selbst saß die
gab es Naturalien. Man konnte wählen zwi-      ganze Sippschaft bei meiner Lieblingstante
schen Korngut, Kartoffeln oder Rüben. Ei-      versammelt. Sie hätten die ersten Russen
nige Bewohner hatten im Hinterhof einen        auf Panjewagen durch das Dorf fahren se-
Stall. Als Mitbewohner gehörten ein Schwein,   hen. Es war der 1. Februar 1945. Draußen
Gänse und Hühner zu diesem Haushalt.           Gewehrschüsse. Plötzlich standen mehrere
15   Erinnerung                                Nr. 110 03.2023          Herbst-Blatt
Russen im Raum. Keiner konnte sie verste-      an der Zeit, mit der Wahrheit herauszurü-
hen. Sie durchsuchten die Zimmer. Alle         cken. Was heißt Wahrheit? Der Enkel mei-
Frauen in diesem Raum wurden geschändet.       ner Tante erklärte, dass meine Mutter nicht
Man versuchte das Wertvollste seiner Habe      meine leibliche Mutter wäre, sondern mich
zu verstecken. In Rucksäcken, in Decken-       als ein Waisenkind aus dem damaligen
knäueln.                                       Krankenhaus in Neuwedell adoptiert hätte.
Nach dem Durchzug der Russen kamen pol-        Sehr merkwürdig. Alle Verwandten wussten
nische Verwaltungsbeamte und machten           es. Sie haben mir alles auch nach dem Tod
den Ausweis, die Kennkarte der Deutschen,      meiner Mutter verschwiegen. Nur einer
mit roter Farbe unkenntlich. Das bedeutete,    konnte und wollte nicht länger schweigen.
den Ort und die Heimat unverzüglich zu         Wo nun suchen? Das war jetzt mein ernst-
verlassen.                                     haftes Anliegen. Eine Quelle war der jährli-
Alle packten die notwendigen tragbaren Sa-     che stattfindende Heimattreff in Wunstorf.
chen und gingen zum Bahnhof. Wann kommt        Reihum suchte ich an den vielen Tischen in
ein Zug? Langes Warten. Endlich. Zwei Lo-      Gesprächen meine Herkunft herauszufinden.
komotiven zogen und schoben mittig einen       Es gab vage Vermutungen. Die eine war zu-
gepanzerten Waggon. Darin waren bereits        mindest denkbar. Das ehemalige Großgut hat-
aufgenommene Flüchtlinge. Schnell weiter       te im Sommer einen großen Bedarf an Ar-
Richtung Arnswalde. Beide Loks waren           beitskräften für das Einbringen der Ernte.
durch Beschuss während der Fahrt nicht         Es wäre deshalb nicht verwunderlich, wenn
mehr fahrbereit. Umstieg in einen Güterzug.    eine Frau aus Polen oder aus Russland
Ziel: Frankfurt an der Oder. Umsteigen und     (Ukraine) meine leibliche Mutter gewesen
Weiterfahrt nach Wolgast. Von dort weiter      sein könnte. Aber wer war mein Vater? Bis
in den Ortsteil Buddenhagen. Ein ehemali-      auf den Gutsbesitzer waren alle Männer im
ges Kriegsgefangenenlager war für alle an-     Krieg. Die Bewirtschaftung des Gutes
kommenden Flüchtlinge die erste feste Un-      musste zwangsläufig durch die weiblichen
terkunft. Die erste warme Mahlzeit war eine    Ortsbewohner geleistet werden, damit sie
Rübensuppe.                                    Anspruch auf eine Deputatsversorgung hat-
Die Sippe teilte sich jetzt auf. Einen Teil    ten.
verschlug es nach Thüringen, andere zog es     So bleibt mir, meiner Frau, meinen Kindern
nach Ostfriesland. Und ich landete mit mei-    und Enkelkindern nur die Erkenntnis, dass
ner Mutter, Tante Emma und Tante Hanna         es in meinem Leben eine große Lücke gab
(Johanna) in Bockum-Hövel. Aber, ach, der      und weiterhin gibt. Ich hatte eine sorgen-
Zug hielt nur kurz, zu kurz um auszustei-      freie und wunderschöne Kindheit. Mehr
gen; er fuhr weiter mit mir. In Münster wur-   noch, meine Herz-Mutter war immer für
de ich von der Bahnhofsmission wahrge-         mich da. Eine behütete Kindheit bis zur
nommen. Die Familie kam wieder zusam-          Ausweisung durch polnische Behörden.
men. Meine Tante zog es nach Fritzlar.         Meine Kinder und Enkelkinder kennen mei-
Mein Onkel fand dort beim Bauern Unter-        nen Lebensverlauf. Die fotografische Hin-
kunft und Arbeit als Schweißer.                terlassenschaft sorgt dafür, dass die Vergan-
Für mich begann ein neuer Lebensabschnitt:     genheit und die Erinnerung an ein Stück
Schule, Bergmannslehre/knappe und an-          Heimaterde haften bleiben.
schließend 1956 zur Bundeswehr.                Diese Erzählung hat einen Verfasser, der im
Dann kam mein 50. Geburtstag. Viele Gäste      Raum Unna eine andere Heimat gefunden
waren da. Natürlich auch die Verwandt-         hat.
schaft. Ein Angehöriger aus der Verwandt-      Jeder Morgen ist Zukunft.
schaft bat ums Wort. Er erklärte, es sei nun   Foto: Andrea Irslinger
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                    Berühmte Frauen 16

                                Man nehme …!
                              Praktisches Kochbuch
                             - von Brigitte Paschedag -

Nein, eine große Wissenschaftlerin, die ei-   Hier zwei Originaltexte:
ne wichtige Entdeckung gemacht hat, war
sie nicht! Sie hat auch nichts erfunden!      „1 Regeln beim Kochen der Gemüse
Aber sie war eine wichtige Frau des 19.       Alle Gemüse sollen gut gewaschen, ge-
Jahrhunderts aus unserer Region: Henriette    schnitten und gleich zu Feuer gesetzt wer-
Davidis.                                      den, dürfen aber nicht zulange im Wasser
                                              liegen. Kartoffeln machen hier eine Aus-
                                              nahme. Gemüse, die man vorher in Butter
                                              anziehen lässt, werden eher gar als solche,
                                              die man im Wasser zu Feuer bringt.
                                              41 Gefüllte Gurken
                                              Hierzu wählt man große Gurken, schält
                                              und schneidet sie bis zur Mitte der Länge
                                              nach ein, nimmt das Kernhaus mit einem
                                              Löffel heraus, läßt sie in gesalzenem Was-
                                              ser mit Essig einige Male aufkochen, thut
                                              sie darauf in kaltes Wasser und füllt sie mit
                                              einer Kalbfleisch-Farce. Dann werden die
                                              Gurken zusammen gedrückt, mit einem Fa-
                                              den dicht umwunden, in Fleischbrühe, But-
                                              ter mit Muskat gahr gekocht und vor dem
                                              Anrichten etwas gestoßener Zwieback da-
                                              ran geben ...“

Geboren wurde Johanna Friederike Hen-
riette Katharina Davidis am 1. März 1801
in Wengern (heute Witten/Wetter). Ihre El-
tern waren Maria Katharina Davidis, geb.
Litthauer, und der Pfarrer Ernst Heinrich
Davidis. Henriette war ihr 10. Kind.
Nachschlagewerke nennen Henriette Davi-
dis eine „bedeutende Herausgeberin von
Kochbüchern“ Das bekannteste ist wohl ihr
„Praktisches Kochbuch“, Es erschien 1845,
gehörte zeitweilig zur Grundausstattung
bürgerlicher Haushalte und war ein belieb-
tes Hochzeitsgeschenk. Es enthielt „zu-
verlässige und selbstgeprüfte Recepte der
gewöhnlichen und feineren Küche“.
17 Berühmte Frauen                             Nr. 110 03.2023            Herbst-Blatt
Heute werden ihre Rezepte teilweise kri-       Titel geändert. Es sollte bei kleinen Mäd-
tisch gesehen, weil die Gerichte für den       chen „den Sinn für Häuslichkeit und Wirt-
heutigen Geschmack häufig zu viel Fett         schaftlichkeit wecken“.
enthalten.
                                               Der Beruf der Jungfrau
Als sie 1876 starb, erschien bereits die 21.
                                               Wie schon der Titel andeutet, verstand
Auflage. Während sie ihre Bücher schrieb,
                                               Henriette Davidis die Haushaltsführung als
arbeitete sie als Erzieherin, Hauslehrerin
                                               einen Beruf, den man erlernen musste. Die
und Gouvernante bei verschiedenen Fami-
                                               Vorbereitung auf diesen Beruf sollte das
lien und an einer „Mädchenarbeitsschule“.
                                               Buch den unverheirateten Frauen ermögli-
Henriette blieb unverheiratet. Zwei Heirats-
                                               chen.
kandidaten starben während der Verlo-
bungszeit.                                     Die Hausfrau
Mit dem Erstarken des Bürgertums wäh-          Hier geht es nicht um das Kochen, sondern
rend der Industrialisierung wandelte sich      um Fragen der Einrichtung, Arbeiten im
auch die Kochkultur. In der in dieser Zeit     Haushalt und um das Verhältnis zu den
entstehenden Kleinfamilie stand die Frau       Dienstboten.
im Mittelpunkt. Viele nutzten das
„Praktische Kochbuch“ daher als Bil-
dungs- und Lehrbuch. Im Vorwort
nannte die Autorin die vier Anforde-
rungen an die Hausfrau: „Reinheit,
Sparsamkeit, Achtsamkeit und Überle-
gung“. Henriette Davidis galt als Au-
torität auf dem Gebiet der Haushalts-
führung. So ganz nebenbei machte sie
auch Werbung für verschiedene Pro-
dukte, z. B. Agar-Agar und „Liebig‘s
Fleischextrakt“, was dazu führte, dass
die Firmen auf den Verpackungen ih-
ren Namen und ihr Portrait druckten.
Ob sie dafür eine Vergütung erhielt, ist
nicht bekannt. Zum 25. Jubiläum ihres
Kochbuchs, das vielfach überarbeitet
und sogar übersetzt wurde, erhielt sie
zahlreiche Glückwünsche. Im Laufe der          Nach Henriette Davidis sind heute Schulen
Zeit erschienen weitere Bücher, u. a. 1850     und andere Einrichtungen benannt. Sie
„Puppenköchin Anna“, ein Kochbuch „für         starb am 3. August 1876 in Dortmund. Ihr
kleine, herzige Mädchen, welche gern le-       Grabstein befindet sich auf dem dortigen
sen, schreiben und stricken und ganz folg-     Ostfriedhof. Im Widerlager der Eisenbahn-
sam sind“. Darüber hinaus verfasste sie die    brücke der Elbscheidebahn in Wengern be-
Schriften „Der Beruf der Jungfrau“ und         findet sich eine Herdplatte aus dem Haus
„Die Hausfrau“ und viele andere.               ihrer Eltern als Gedenktafel. Das Haus
                                               wurde für den Bau der Brücke abgerissen.
Puppenköchin Anna                              Ihre Anweisung „Man nehme ...“ wurde zu
Dem Buch ging ein „Kochbüchlein“ vo-           einem geflügelten Wort.
raus. Später wurde es dann ergänzt und der     Fotos: wikipedia.de, Ulla Lönne-Wiemann
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                             Heimatkunde   18

                  Das Abendmahlsfenster in Soest
                               - von Klaus Thorwarth -

Der Handwerksmeister sah in das Buch des      Brot und statt Wein westfälisches Bier und
mittelalterlichen Wanderburschen und mein-    Schnaps.
te: „Was, du willst in Soest gewesen sein.    Jesus hat den Jüngern gerade berichtet,
Dann beschreibe mir, was du in dem be-        dass ihn einer von ihnen verraten wird.
rühmten Glasfenster in der Wiesen-Kirche      Sehr unterschiedlich ist die Reaktion der
gesehen hast.“ Und dann hörte er, was den     Jünger auf die erschreckende Nachricht.
Wandersmann in dieser ungewöhnlichen          Man kann es an den Gesichtern und den
Glasmalerei in der „heimlichen Hauptstadt     Gebärden ablesen. Vor dem Tisch entdeckt
Westfalens“ beeindruckt hatte.                man Judas mit dem Geldbeutel voller Sil-
Keine der vielen Stadtführungen durch So-     berlinge. So vermittelt das Glasbild den
est versäumt es heute, zu diesem unge-        Menschen jener Zeit, die meist Analphabe-
wöhnlichen Westfälischen Abendmahl zu         ten waren, einen wesentlichen Moment der
führen. Um das Jahr 1500 wurde es von         Geschichte des Neuen Testamentes.
einem unbekannten Künstler geschaffen.        Das Westfälische Abendmahl ist wohl
Es zeigt am langen Abendmahlstisch Jesus      nicht das bedeutendste Kunstwerk der an
mit seinen zwölf Jüngern. Vor ihm Johan-      Kunst so überreichen Stadt, gewiss aber
nes, sein Lieblingsjünger. Neben der kirch-   das Berühmteste. In der vielseitigen Litera-
lichen Aussage erkennen die Betrachter        tur von Soest findet man auch einiges zu
viel Weltliches: Speisen und Getränke aus     dem berühmten Abendmahlsbild.
Westfalen! Typische Soester Spezialitäten:    Einen Text „Soest – die heimliche Hauptstadt Westfalens“
Schweinskopf, Schinken und Pumpernickel-      können Sie anfordern unter „Klaus.Thorwarth@arcor.de
19   Geschichte                                 Nr. 110 03.2023                 Herbst-Blatt
                                    Holland-Hilfe
                                 - von Hans Borghoff -

In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Feb-     zeichnen. In Richtung Fröndenberg und
ruar 1953 traf eine schwere Orkan- und Über-    Langschede war selbst mit Kraftfahrzeugen
schwemmungskatastrophe Westeuropa, be-          über den Haarstrang kein Durchkommen
sonders die Provinz Zeeland in Südholland.      möglich.
Ein Orkan mit einer gleichzeitigen Springflut   Am Freitag den 6. Februar stand ein Aufruf
traf auf die Deiche. Die Deiche konnten dem     der Stadt Unna im Hellweger Anzeiger:
Wind und den Wassermassen mit der Zeit          „Holland-Hilfe der Stadt Unna“. Die Stadt-
nicht standhalten. Eine normale Flut war 80     vertretung, die Stadtverwaltung, die Parteien
cm hoch, diese war                                                    SPD, FDP und CDU
aber mit bis zu 5,25 m                                                sowie der Caritasver-
zu hoch. Windstärke 9,                                                band, die Innere Missi-
Böen bis zu 140 km/h,                                                 on, die Arbeiterwohl-
und das über 20 Stun-                                                 fahrt und das DRK
den lang, das war zu-                                                 schlossen sich diesem
viel für die Deiche. An                                               Aufruf an. Plakate
einigen Stellen bra-                                                  wurden in der Stadt
chen die Deiche in ei-                                                aufgehängt. Bei der
ner Länge bis zu 100                                                  Städtischen Sparkasse
Metern. Verteilt auf                                                  wurde ein Sonderkonto
eine Länge von 187                                                    mit der Nummer 7000
Kilometern. Autos wur-                                                unter „Holland-Hilfe“
den ohne und auch mit                                                 eingerichtet. Innerhalb
ihren Insassen wie                                                    einer Woche kamen
Spielzeuge von den                                                    6.130 DM zusammen.
Wassermassen wegge-                                                   Das DRK in Deutsch-
trieben. Telefonverbin-                                               land sammelte ca.
dungen brachen ab,                                                    600.000 Mark ein, wo-
was die Hilfskoordina-                                                von alleine Unna mit
tionen erheblich behin-                                               etwas mehr als 1% der
derte. Das Wasser                                                     Gesamtsumme spende-
drang bis zu 60 Kilo-                                                 te. Sachspenden wur-
meter ins Landesinne-                                                 den abgegeben und zu
re. Bis zu 175.000 ha Land wurden über-         einer Sammelstelle in Düsseldorf gefahren.
schwemmt, was ca. 300.000 Menschen sehr         Der Aufruf, Kinder aufzunehmen, fand gro-
in Not brachte. Dazu kam der Salzgehalt des     ßen Anklang. In Unna gab es 137, in Frön-
Wassers, der die Böden für lange Zeit un-       denberg 43 und im übrigen Kreis Unna 115
fruchtbar machte. Offiziell waren 1835 Tote     Aufnahmeangebote. Mädchen wurden bei
in den Niederlanden anschließend zu bekla-      den Anträgen eher bevorzugt als Jungen.
gen.                                            Diese Aufnahmeangebote kamen aber nicht
Am Morgen des 2. Februar rief die Nieder-       zum Tragen, da die Kinder aus den Über-
ländische Regierung dann den Notstand aus.      schwemmungsgebieten im eigenen Land un-
Wie stark der Orkan selbst weiter über Land     tergebracht wurden. Vielleicht waren auch
war, bekam selbst der Hellweg-Kreis zu spü-     sprachliche Probleme dafür ausschlagge-
ren. Hatte doch der Zugverkehr im Bahnhof       bend.
Unna bis zu 4 Stunden Verspätung zu ver-        Quellen: Stadtarchiv Unna, Hellweger Anzeiger, Internet
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                    Reiseerlebnis   20

    Nicht geflogen … und trotzdem gut „gelandet“
                            - von Franz Wiemann -

Was war passiert? Anfang Juli 2022 schien     cherheit. Aber wir hatten ja keinen Flug
es so, dass für uns eine schon länger ge-     nach Mallorca gebucht, trösteten wir uns.
plante Reise nach Stockholm endlich Wirk-     Vier Tage vor dem Abflug lagen uns sogar
lichkeit werden könnte. Die durch die Pan-    schon die Boarding Cards vor. Da geht
demie bedingten Ausfälle in den beiden        schon nichts mehr schief, bildeten wir uns
vorausgegangenen Jahren waren bald ver-       ein.
gessen. Dieses Mal schien endlich alles       Dann der Paukenschlag! Knapp 24 Stunden
nach Plan zu verlaufen: Abflug am 4. Juli     vor dem Abflug erreichte uns die Mittei-
ab Köln-Bonn, Hotel und der Transfer -        lung: Der Flug fällt aus! Die gleichzeitig
alles war in Eigenregie gebucht. Voller Op-   angebotene Umbuchung für einen Flug
timismus hatten wir auch noch 14 Tage vor     nach Stockholm – er würde „nur“ sechs
dem Abflug brieflich Kontakt zu einem         Stunden später erfolgen – wollten wir nicht
ehemaligen Studienkollegen, der jetzt in      wahrnehmen. Konnten wir uns doch aus-
Schweden wohnt, aufgenommen. Per              malen, dass wir stark verspätet weit nach
Google-Suchmaschine fanden wir seine          Mitternacht ankommen würden. Noch zu-
Anschrift und erfuhren, dass er, beruflich    sätzlich machte uns die Ungewissheit zu
bedingt, inzwischen nach Uppsala gezogen      schaffen, wie denn der Transfer vom Flug-
ist. Allerdings hatten wir auch schon 40      hafen bis in die Innenstadt Stockholms er-
Jahre lang nichts mehr voneinander gehört.    folgen sollte. Womöglich kämen wir erst
Wie würde er wohl auf unsere Kontaktsu-       morgens zwischen zwei und drei Uhr an
che reagieren?                                unserem Hotel an. Nicht mit uns! Mit viel
Im Frühsommer häuften sich plötzlich die      Glück gelang es uns, das reservierte Hotel-
Meldungen über ausfallende Flüge. In den      zimmer noch so rechtzeitig zu stornieren,
Medien wurde von überlangen Warte-            dass keine Buchungsgebühren anfielen.
schlangen im Sicherheitsbereich der Flug-     Und von Freund Hermann war aus Schwe-
häfen berichtet. Zusätzlich setzte mit dem    den auch noch keine Nachricht eingetrof-
Beginn der Sommerferien in NRW ein            fen!
wahrer Ansturm auf die begehrten Reise-       Aber saßen wir nicht buchstäblich auf fer-
ziele im Süden ein. Das sorgte für Unsi-      tig gepackten Koffern? Die Reiselust hatte
21   Reiseerlebnis                            Nr. 110 03.2023        Herbst-Blatt
uns längst ergriffen. Wohin könnte uns eine   Mittelgebirge: Man ist fast immer mit ei-
Ersatzreise führen?, überlegten wir. Auf      nem Bein in Tschechien.
keinen Fall ein Ziel in den Süden ansteu-     Last, but not least, dann die mehr als tau-
ern. Denn wir hörten immer schrecklichere     sendjährige Stadt Naumburg (Saale), wo
Meldungen von den Flughäfen.                  wir liebend gerne länger geblieben wären.
Wir wollten doch immer schon mal nach         Hatten wir uns im Jahr zuvor in Halle die
Görlitz und auch nach Wörlitz. Zudem war      Ausstellung über die berühmte Himmels-
das fürstliche Dessau-Wörlitzer Garten-       scheibe von Nebra angesehen, so radelten
reich, UNESCO Weltkulturerbe, mit dem         wir jetzt zum Fundort derselben: 28 km im-
Auto gut zu errei-                                                  mer der Unstrut fluss-
chen. Schnell waren                                                 aufwärts folgend. Die
im Internet die Zim-                                                Besichtigung       des
mer gebucht, und wir                                                Doms zu Naumburg
beschlossen, die Fahr-                                              wurde auf dieser Rei-
räder mitzunehmen.                                                  se zum eigentlichen
Zusätzlich fassten wir                                              Höhepunkt: das spät-
auch noch Zittau                                                    mittelalterliche En-
(Lausitz) und Naum-                                                 semble der 12 goti-
burg (Saale) als wei-                                               schen Steinplastiken
tere attraktive Ziele                                               und mittendrin die
ins Auge.                                                           berühmt gewordene
Endlich ging es los.                                                Stifterfigur von Uta.
Zwar einen Tag spä-                                                 Das hatte was!
ter als gedacht, aber                                               Beeindruckt verlie-
wir hatten ja ein neu-                                              ßen wir nach zwei
es Ziel. Dessau und                                                 Stunden den Dom,
das Bauhaus-Museum                                                  als plötzlich das Han-
sowie das oben er-                                                  dy klingelte: „Seid
wähnte Gartenreich                                                  ihr noch in Schwe-
erkundeten wir haupt-                                               den?“. Ein Auf-
sächlich mit dem                                                    schrei: „Hermann!!“
Fahrrad. Auf der                                                    Er hätte gerade erst
Weiterfahrt nach Os-                                                unseren Brief gele-
ten legten wir einen                                                sen, teilte er uns mit.
Zwischenstopp in der                                                Wir berichteten ihm
sehenswerten Stadt Grimma ein, im schö-       von den vielen Umständen, die zu dieser
nen Tal der Mulde in Sachsen gelegen. Ziel    „Ersatz“-Reise in die neuen Bundesländer
Nummer 3 wurde die wie ein Museum her-        geführt hatten. Und wir versprachen ihm
ausgeputzte Stadt Görlitz: sie war uns mehr   quasi auf die Hand, im kommenden Jahr
als nur vier Übernachtungen wert. Unver-      die Reise nach Stockholm erneut in Angriff
gessen in Erinnerung wird uns die knapp       zu nehmen. Dann aber mit verlängertem
50 km lange Radtour nach Zittau bleiben,      Aufenthalt in Uppsala … zur Zeit der Mit-
immer an der Neiße entlang durch die na-      sommernacht im Juni. Wir freuen uns
hezu unberührte Flusslandschaft. Es gab       schon darauf!
dort einen weiteren erlebnisreichen Aufent-
                                              Fotos: Franz Wiemann
halt mit zwei Wanderungen im Zittauer
Herbst-Blatt             Nr. 110 03.2023                                        Historie   22

                   Das bekannteste Westfalenlied
                  - von Klaus Thorwarth und Franz Wiemann -
Mit diesem Text wollen wir einen längeren,    net, um Ihnen etwas typisch Westfälisches
über mehrere Herbst-Blatt Ausgaben sich       vor Augen zu führen. Zudem sind sie schnell
erstreckenden Zyklus über Westfalen begin-    mit dem Auto zu erreichen.
nen. Die Größe und Entwicklung dieses
einstmals als Herzogtum bekannten land-       Beginnen wollen wir mit dem fast in Verges-
schaftlichen Raumes füllt inzwischen zig      senheit geratenen Westfalenlied, sozusagen
Bände der Geschichtswissenschaften. Aber      eine Hymne auf Westfalens Schönheit und
keine Angst: Wir wollen uns auf nur wenige,   Einzigartigkeit. Es gibt zig solcher landes-
noch heute wahrzunehmende Spuren kon-         typischer Hymnen – am bekanntesten sind
zentrieren. Es geht darum, Personen von       Ihnen vielleicht das Lied von den Ostseewel-
großer Bedeutung zu würdigen und pracht-      len, wahlweise auch Nordseewellen, oder die
volle Burgen bzw. Schlösser vorzustellen,     Bayernhymne. Natürlich gibt es darüber hin-
die in unserer unmittelbaren Umgebung lie-    aus noch Tausende alter deutscher Volkslie-
gen.                                          der, die heute in Vergessenheit zu geraten
Zum Teil flechten wir Besuchertipps mit ein   drohen. Leider werden wir ja regelrecht
und verbinden das auch schon mal mit der      überschwemmt von englischsprachigen oder
Empfehlung, einen Tagesausflug dorthin zu     auch sonst wenig verständlichen Songs und
unternehmen. Als solche eignen sich, nach     Musiktiteln in den Musiksendungen der
unserer Vorstellung, beispielsweise das       Rundfunkanstalten. Es existiert ein für den
Jagdschloss Herdringen bei Neheim/Arns-       Laien kaum noch überschaubares Kulturgut.
berg; das Schloss Wocklum in Balve; die       Eine gute Übersicht könnte Ihnen evtl. das
Wasserburg Werdringen, unweit des Heng-       Freiburger Volksliederarchiv mit seinen zu
steysees auf Hagener Stadtgebiet gelegen,     Tausenden gespeicherten Dokumenten über
sowie die Burg V ischering in Lüdinghausen.   das Deutsche Volkslied liefern. Aber darum
Diese Ziele halten wir für besonders geeig-   geht es in diesem Text vorrangig nicht.
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