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1/2020
AOK BADEN­-WÜRTTEMBERG

REPORTAGE

Pflege in
Zeiten
ohne Zeit
Wie schaffen wir es, uns gut um unsere
Älteren zu kümmern? Ein Besuch in Tuttlingen,
das Modellkommune werden will

12   GESUNDHEIT & Über Qualitätsverträge mit Kliniken   26   WIR HABEN EINEN sagt Sozial- und Gesundheitsminister
     VERSORGUNG und ein echtes Entlassmanagement             KLAREN KOMPASS Manfred Lucha im Interview
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Seite 2            INHALT

            08                                     16                                        20
                                                                                                                                                       04      TREFFPUNKT
                                                                                                                                                               Nachrichten, Positionen, Meinungen
                                                                                                                                                               aus dem Gesundheitswesen

                                                                                                                                                       08      SEISMOGRAF
                                                                                                                                                               Pflege in Zeiten ohne Zeit: Was man
                                                                                                                                                               in Tuttlingen richtig macht

                                                                                                                                                       12      GESUNDHEIT & VERSORGUNG
                                                                                                                                                               Über Qualitätsverträge mit Kliniken
                                                                                                                                                               und ein echtes Entlassmanagement

                                                                                                                                                       14      HIER UND JETZT
                                                                                                                                                               Beim Impfen liegt der Südwesten hin-
                                                                                                                                                               ten. Bei innovativer Versorgung vorn

                                                                                                                                                       16      STANDPUNKT

                       Warum Sie dieses Heft                                                                                                                   Der Verwaltungsrat der AOK Baden-
                                                                                                                                                               Württemberg bezieht Stellung

                       in den Händen halten                                                                                                            18      PRÄVENTION & INNOVATION
                                                                                                                                                               Im Fokus: Krebsberatungsstellen
                       Leben heißt Veränderung. Gerade in diesem Jahr ist uns das schmerz-                                                                     und Psychische Gesundheit
                       lich wie lange nicht vor Augen geführt worden – von einem mikrosko-
                       pisch kleinen Virus, das die ­ganze Welt auf den Kopf gestellt hat. Für                                                         20      VERSORGUNG & IT
                       mich persönlich ist dieses Jahr auch in einem guten ­Sinne besonders.                                                                   Die elektronische Patientenakte
                       Es ist das erste, in dem ich zusammen mit meinem Kollegen Alexander                                                                     kommt. Und was danach?
                       Stütz die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung von mehr als
                       4,5 Millionen Versicherten in Baden-­Württemberg übernommen habe.                                                               22      ALTER & PFLEGE
                       Schon 2019 haben wir entschieden, dass die AOK Baden-Württemberg                                                                        Homosexualität und die Verbindung
                                                                                                                                                               von Reha, Pflege und Prävention
                           ihre gesundheitspolitischen Inhalte auf ein neues Gerüst stellt. Un-
                                 ter dem Label #AgendaGesundheit können Sie zukünftig nicht
                                                                                                                                                       24      RECHT & GESUNDHEIT
                                  nur dieses Magazin erwarten. Auch der Unternehmensbericht                                                                    Über Fehlverhalten im Gesundheits-
                                   und unsere mehrmals jährlich laufenden Diskussionsveranstal-                                                                wesen und das Apothekengesetz
                                    tungen haben diese Überschrift. Unser Anspruch ist es, ein
                                    ­realistisches Bild der H
                                                            ­ erausforderungen der Gesundheits­                                                        26      REDE & ANTWORT
                                     versorgung im Südwesten zu zeichnen. Lösungs­vorschläge                                                                   Sozial- und Gesundheitsminister
                                     und Best-Practice-­Beispiele inklusive. Lassen Sie uns wissen,                                                            Manfred Lucha im Interview
Bild: AOK

                                     was Ihnen am neuen Magazin gefällt oder vielleicht auch
                                      nicht gefällt:            agendagesundheitmagazin@bw.aok.de                                                     28      GESUNDHEIT & WIRTSCHAFT
                                                                                                                                                               Die neue Generation der
                                                                                Ihr                                                                            Arzneimittel­rabattverträge ist grün

                                                                                                                                                       30      WEBSNACKS & TERMINE
                                                                                                                                                               Was macht eigentlich die Monopol­-
                                                                             Johannes Bauernfeind                                                              kommission der Bundesregierung?
                                                                               Vorstandsvorsitzender der
                                                                               AOK Baden-Württemberg
                                                                                                                                                       31      AUS UND EINSICHT
                                                                                                                                                               Landschaftsgärtner Joachim Knöpfle
                                                                                                                                                               hat das AOK-­Rückenkonzept geholfen

            IMPRESSUM
            Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: AOK Baden-Württemberg, Presselstraße 19, 70191 Stuttgart; Verlag: K                  ­ omPart ­Verlagsgesellschaft mbH
            & Co. KG, Rosen­t haler Straße 31, 10178 Berlin; Geschäftsführer: Frank Schmidt, Martin Gosen; C        ­ reative ­D irector: Sybilla Weidinger; Redaktionelles                   UF6
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            Funk (stef), Grit Horn (gh), Ines Körver (ik), Fabian Obergföll (fob), S­ ilvia Dahlkamp (sd), Stefan Rösch (srö); Grafisches Konzept und Umsetzung: Katharina
            Doering; Nachdruck oder Weiterverwendung von Inhalten nur mit Genehmigung des Herausgebers. Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 01/2020 war der                       Dieses Druckerzeugnis wurde mit
            13. Oktober 2020. Nächster Redak­t ionsschluss: 12. Januar 2021. Adressänderungen per E-Mail an agendagesundheitmagazin@bw.aok.de IDENT.-NR . 20 - 0628                 dem Blauen Engel ausgezeichnet.

                                                                                                                               1/2020
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Seite 3     EINBLICK
Bild: curevac

                Wann kommt                Die Forscher von CureVac sind vorn mit dabei im Rennen um einen Impfstoff gegen Covid-19.
                                          Die Wirkstoff-Entwicklung aus Baden-Württemberg hat die ersten klinischen Tests hinter sich. Im

                der Impfstoff?            vierten Quartal werden nun in der nötigen Massenstudie 30.000 Probanden geimpft. Spätestens
                                          Mitte 2021 soll der Impfstoff verteilt werden können, heißt es aus dem Hauptsitz in Tübingen.
                (Aus Baden-Württemberg)   Damit es schnell geht, wenn die Zulassung vorliegt, wird schon seit Ostern vorproduziert.

                                                                             1/2020
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Seite 4       TREFFPUNKT

                                                            MENSCH MIT MISSION
                                                                                                                                      S P Ä TA U S L E S E

            »Enorm wertvoll«
                                                                                                                                      UNZENSIERTER
                                                                                                                                       GEDANKEN

            Weltweit wird unter Hochdruck ein Medikament gesucht, das bei Covid-19 hilft.
            Professor Harald Klüter will testen, ob das Blutplasma ehemaliger Erkrankter das kann

                                                                                                                                    »Man kann die
             »Bei erneuten                                       Diese Studie macht Hoffnung: „Blutplasma ehemaliger                 Zukunft nicht
             Erkrankungs-                                        Covid-19-Patienten ist eine mögliche Behandlungsop-
                                                                                                                                      voraussagen,
                                                                 tion im Kampf gegen das neuartige Coronavirus SARS-
             wellen können
                wir diese
                                                                 CoV-2“, sagt Professor Harald Klüter. Die Antikörper
                                                                                                                                     man kann nur
                                                                 können schwer Erkrankte dabei unterstützen, die Krank-
             Behandlungs-                                        heit zu überwinden. Das Institut für Transfusionsmedi-             gut vorbereitet
             option schnell                                      zin in Mannheim hat mit dem DRK-Blutspendedienst Ba-
                                                                                                                                    sein. Zu berück-
                                                                 den-Württemberg-Hessen im April eine bundesweite
             einsetzen und
               erproben«
                                                                 Initiative gestartet und sucht ehemalige Erkrankte, die             sichtigen sind
                                                                 sich für eine Plasmaspende eignen. Die Landesbehörden
                                                                 haben die Erlaubnis zur Herstellung dieses Plasma-Medi-              dabei histori-
                                                                 kamentes erteilt. Klüter ist überzeugt, dass dieses Plasma
                       Prof. Harald Klüter
            Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und
                                                                 wertvoll sein kann: „Da es bislang an zugelassenen Me-
                                                                                                                                       sche Trends.
            Immunologie der Universitätsmedizin Mannheim
                                                                 dikamenten zur Behandlung fehlt, ist das Blutplasma ge-              Ich stelle drei
                                                                 sundeter Covid-19-Patienten eine Option.“
                                                                     Über 1.000 potenzielle Spender hat das Institut ge-               Begriffe vor,
                                                                 meinsam mit weiteren Instituten des DRK-Blutspende-                    welche die
                                                                 dienstes angesprochen und auf ihre Tauglichkeit über-
                                                                 prüft. Über 130 Spendewillige wurden in Mannheim                      Megatrends
                                                                 und der Umgebung rekrutiert. Das so gewonnene Blut-
                                                                 plasma wird bei Patienten mit mittelschweren und
                                                                                                                                        ­betreffen:
                                                                 schweren Erkrankungsverläufen eingesetzt. Die Wirk-                Globalisierung,
                                                                 samkeit wird derzeit weltweit in klinischen Studien ana-
                                                                 lysiert. Das Institut in Mannheim beteiligt sich an der             Individualisie-
Bild: UMM

                                                                 Capsid-Studie des DRK-Blutspendedienstes. Die deutsch-
                                                                                                                                         rung und
                                                                 landweit erste und größte multizentrische randomisier-
                                                                 te Studie läuft auch in in Ulm, Tübingen, Freiburg, Stutt-            New Work«
                                                                 gart und Karlsruhe. Außerdem wird an der Möglichkeit
                                                                 gearbeitet, die Antikörper aus den gewonnenen Plasmen
                                                                   anzureichern und als passives Impfserum ein Hyper-­
                                                                    Immunglobulin zu gewinnen            FÜR DIE STUDIE BEWERBEN:
                                                                     und auch einzusetzen.      srö          blutspende.de/rkp

                                                                      Prof. Harald Klüter                                                 Matthias Horx
                                                                                                                                          Soziologe, Journalist,
                                                                       Der Arzt und Apotheker Prof. Harald Klüter leitet das            Trend-Forscher, gründete
                                                                                                                                       1996 das „Zukunftsinstitut“
                                                                        Institut für Transfusionsmedizin und Immunologie der
                                                                         Universitätsmedizin Mannheim und des DRK-Blut-
                                                                          spendedienstes Baden-Württemberg-Hessen. Er ist
                                                                           Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Bun-
                                                                            desärztekammer sowie des Vorstands der Deut-
                                                                           schen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und
                                                                           Immunhämatologie, außerdem Herausgeber der
                                                                                                                                                                     Bild: Klaus Vyhnalek

                                                                            Zeitschrift „Transfusionsmedizin“.

                                                                                                                 1/2020
Pflege in Zeiten ohne Zeit - aok-bw-presse.de
Seite 5                                              TREFFPUNKT

 UMFRAGE                     Z E M E N T I E RT D I E C O R O N A PA N D E M I E D I E K R A N K E N H A U S L A N D S C H A F T ?

Die Coronakrise hinterlässt auch bei den Kliniken Spuren und hat die Diskussionen um die Krankenhausstrukturen in
Deutschland weiter verschärft. Welche Lehren sollte der stationäre Sektor aus der Pandemie ziehen?

                                                    Vieles wurde schon erreicht                                                                                                               Jetzt erst recht eine Reform
                                                    Wieso eine Zementierung? Die Konzent-                                                                                                     Zu Beginn der Krise konnte der Eindruck
                                                    ration und die Spezialisierung vorantrei-                                                                                                 entstehen, dass sich jede Diskussion mit
                              Bild: BWKG/KD Busch

                                                    ben, ohne die flächendeckende Versor-                                                                                                     einer Zentralisierung von Kapazitäten zu-

                                                                                                                                                                            Bild: TU Berlin
                                                    gung zu vernachlässigen – das ist und                                                                                                     gunsten Qualität erübrigt habe. Das hat
                                                    bleibt auch die Maxime bei der Struktur-                                                                                                  sich als falsch herausgestellt, denn schwer
                                                    entwicklung der Krankenhäuser in Ba-                                                                                                      kranke Patienten mussten aus personell
  Detlef Piepenburg                                 den-Württemberg. Vieles wurde bereits                                                     Prof. Reinhard Busse                            und technisch inadäquaten Häusern ver-
 Vorstandsvorsitzender der                                                                                                                    Professor für Management im
 Baden-Württembergischen                            erreicht und hat sich in der Pandemie                                                         Gesundheitswesen an                         legt werden. Konzentration auf weniger
  Krankenhausgesellschaft                                                                                                                             der TU Berlin
                                                    mehr als bewährt.                                                                                                                         und bessere Häuser wäre besser!

Die Landschaft muss sich ändern                                                                                                              Mehr Personal ist nötig
Die Krankenhausversorgung hat während                                                                                                        Die Pandemie führt vielfach kritisier-
der Pandemie gut funktioniert, weil al-                                                                                                      te Systemfehler deutlich vor Augen. Ich

                                                                                                                                                                                                                                                    Bild: Marburger Bund
len klar ist, dass sehr gute Versorgungs-                                                                                                    hoffe daher, dass seit Langem notwendi-
qualität nur dort möglich ist, wo Expertise                                                                                                  ge Reformen als Lehre aus der Pandemie
                                                                                                                               Bild: AOK

vorliegt und Fachgebiete ihr Know-how                                                                                                        tatsächlich angegangen werden. Im Kern
gemeinsam nutzen. Die Krankenhaus-                                                                                                           geht es darum, dass medizinische Erwä-
landschaft wird sich weiter verändern                                          Nadia Mussa                                                   gungen Vorfahrt vor ökonomischen Prin-                                  Dr. Frank J. Reuther
                                                                            Leiterin des Fachbereichs                                                                                                               1. Vorsitzender des Marburger
müssen, da der notwendige Strukturwan-                                   Krankenhausversorgung bei der                                       zipien haben müssen und ausreichend                                     Bundes Baden-Württemberg
                                                                            AOK Baden-Württemberg
del noch nicht abgeschlossen ist.                                                                                                            Personal zur Verfügung gestellt wird.

             FALSCH                                 NACHRICHTEN
                                                                                                                              Führen Rabattverträge zu
                                                                                                                              Versorgungsengpässen?
                                                                                                                              Ja, behauptet Dr. Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundes­
                                                                                                                              verbands der Pharmazeutischen Industrie. Doch das stimmt nicht

                                                                                                                              Das Redaktionsnetzwerk Deutschland sprach im Juli mit Hans-Georg
                                                                                                                              Feldmeier, CEO von Dermapharm, über Lieferengpässe bei Medikamen-
                                                                                                                              ten. Als Grund dafür nannte er unter anderem den extremen Spardruck
                                                                                                                              der Pharmaindustrie durch die Rabattverträge der Krankenkassen. Der
                                                                                                                              führe dazu, dass die Produktion zunehmend ins Ausland verlagert wer-
                                                                                                                              de. „Problematisch sind vor allem die Exklusivverträge“, sagt Feldmeier.
                                                                                                                              Sie würden zu einer Konzentration der Anbieter führen und damit die
                                                                                                                              Gefahr von lebensgefährlichen Versorgungsengpässen erhöhen.
                                                                                                                                  Das Gegenteil ist der Fall, stellt Johannes Bauernfeind, Vorstands-
                                                                                                                              vorsitzender der AOK Baden-Württemberg und Chefverhandler für die
                                                                                                                              bundesweiten AOK-Arzneimittelrabattverträge, klar. „Bislang kann al-
                                                                                                                              lein die Mechanik der Rabattverträge zur Verhinderung von Liefereng-
                                                                                                                              pässen beitragen“, so Bauernfeind. Sie machten die Versorgung pla-
                                                                                                                              nungssicherer, stellten Transparenz her und verfügten über wirksame
                                                                                               Bild: iStock.com © katrink03

                                                                                                                              Sanktionierungsinstrumente. „Zum Beispiel verpflichten wir die Arznei-
                                                                                                                              mittelhersteller mit unseren Rabattverträgen, als Absicherung gegen
                                                                                                                              Produktions- oder Lieferausfälle dauerhaft Arzneimittelreserven für drei
                                                                                                                              Monate anzulegen“, so Bauernfeind (mehr dazu auf Seite 29). gh

                                                                                                                                                      1/2020
Pflege in Zeiten ohne Zeit - aok-bw-presse.de
Seite 6   TREFFPUNKT

                     KREUZVERHÖR
                                                                                                                  TAT E N & TAT S A C H E N

      KREUZ VERHÖR
2021 setzt sich der
                                                                                                                             Ein großes Risiko
Gesundheitsfonds etwas                                                                                                       Der Suchtmittelkonsum stellt ei-

anders zusammen als bisher                                                                                                   nes der ganz zentralen Gesund-
                                                                                                                             heitsrisiken dar. „Mit über 100
Das Milliarden-Finanzloch der Kassen will Jens Spahn auf                                                                     Suchtberatungsstellen und 20
umstrittene Weise stopfen. Frank Plate kommt damit klar                                                                      Fachkliniken erhalten abhängige
                                                                                                                             Menschen in Baden-Württem-
                                                           Der Bundeszuschuss wird                                           berg kostenlos umfangreiche
                                                         erhöht, die Kassen müssen an                                        Hilfen“, erklärt Christa Niemeier.
                                                         ihre Rücklagen, die Versicher-          Christa Niemeier            Die Suchthilfeangebote reichen
                                                                                                    Referentin für Sucht-
                                                         ten zahlen höhere Zuzahlun-               fragen und Prävention     von niedrigschwelligen Kontakt-
                                                                                                  bei der Landesstelle für
                                                         gen: Stabilisiert Spahns Paket          Suchtfragen der Liga der
                                                                                                                             angeboten bis hin zur ambulan-
                                                         die gesetzliche Krankenversi-           freien Wohlfahrtspflege     ten Suchttherapie, erfolgreichen
                                                                                                  in Baden-Württemberg
                             Bild: BAS/Jürgen Schulski

                                 cherung nachhaltig?                                                                         Frühinterventionsprogrammen
                                 Durch die vom Gesetzgeber ergrif-                                                           sowie Vermittlung in Reha.
                                 fenen Maßnahmen haben bereits                                                                                   suchtfragen.de

                                 viele Leistungserbringer im Ge-
                                 sundheitswesen Finanzhilfen er-                                 Arm bleibt oft arm
    »Die GKV ist                 halten, die zu einem großen Teil                                In Baden-Württemberg ist immer
   eine Solidar­ durch das Bundesamt für Soziale                                                 noch fast jedes fünfte Kind von
 gemeinschaft« Sicherung ausgezahlt wurden. Die                                                  Armut bedroht. „Diese bestimmt
                                 von der Bundesregierung für das                                 aber nicht nur die Gegenwart
             Frank Plate         Jahr 2021 beschlossenen Maßnah-                                 von Familien, sie schränkt auch
       Präsident des Bundesamtes men tragen der Ausnahmesituati-                                 die Chancen von Kindern in der
          für Soziale Sicherung
                                 on Rechnung. Eine weitergehen-                                  Zukunft ein“, erklärt Ursel Wolf-
de Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt schwierig. Die Entwicklung                                gramm. Und die Gefahr ist groß,
muss beobachtet werden.                                                                          dass aus Kindern armer Eltern                  Ursel Wolfgramm
                                                                                                                                                  Vorstandsvorsitzende
                                                                                                 auch die Eltern von armen Kin-                     des Paritätischen
                                                                                                                                                  Baden-Württemberg
  Die Krankenkassen sind entsetzt, dass sie ihre Rückla-                                         dern werden. Auf einem Video­
gen opfern sollen. Berechtigte Kritik oder Lobbygetöse?                                          kongress im Oktober wurden
Ich kann nachvollziehen, dass Krankenkassen die geplante Regelung                                daher Strategien gegen die Kin-
als Eingriff in die Haushaltsautonomie der Selbstverwaltungen emp-                               derarmut im Land ausführlich dis-
finden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass wir es hier immer                              kutiert (mehr dazu auf S. 14).
noch mit einer Ausnahmesituation zu tun haben. Die GKV ist trotz
des Wettbewerbsgedankens in erster Linie eine Solidargemeinschaft.                                                           Wichtige dritte Säule
In welcher Weise der Gesetzgeber seine Gestaltungsmöglichkeiten in                                                           Die Coronapandemie offenba-
diesem Sinne einsetzt, ist letztlich eine politische Entscheidung.                                                           re in aller Deutlichkeit, dass Seu-
                                                                                                                             chenbekämpfung komplex, der
  Schon im September hat Jens Spahn verkündet, die Ein-                                                                      Erfolg unsicher und vor allem
nahmen aus den Zusatzbeiträgen müssten 2021 um drei                                                                          der öffentliche Gesundheits-
Milliarden Euro angehoben werden. Degradiert er mit sol-                                                                     dienst unverzichtbar ist. Brigit-
chen Aussagen den Schätzerkreis zum Erfüllungsgehilfen?                                                                      te Joggerst: „Aber es ist klar-
Dass auf der Grundlage erster Einschätzungen die Eckpunkte für ein                                                           geworden, dass Jahrzehnte der
Maßnahmenpaket beschlossen werden, war mit Blick auf den zeitli-                                     Dr. Brigitte            Vernachlässigung Spuren im öf-
                                                                                                      Joggerst
chen Vorlauf von gesetzgeberischen Abläufen notwendig. Dadurch                                    Vorsitzende des Ärzte-     fentlichen Gesundheitsdienst
                                                                                                  verbandes öffentlicher
wurden gerade die Rahmenbedingungen festgelegt, die für die Ver-                                    Gesundheitsdienst
                                                                                                                             hinterlassen haben und wenig
anschlagung der Einnahmen des Gesundheitsfonds benötigt werden.                                    Baden-Württemberg         Zeit bleibt, nachzusteuern. Wir
Die Annahmen der Bundesregierung haben sich übrigens durch die                                                               brauchen dringend qualifiziertes
Schätzung des Schätzerkreises, jedenfalls aus Sicht des Bundesge-                                                            Fachpersonal, insbesondere feh-
sundheitsministeriums und des Bundesamtes für Soziale Sicherung,                                                             len Ärztinnen.“
bestätigt. Die Festsetzung der tatsächlich zu erhebenden Zusatzbei-
                                                                                                                                                                         Bilder: Privat

träge obliegt im Übrigen weiterhin den Krankenkassen. ink

                                                                                           1/2020
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Seite 7         TREFFPUNKT

                                               ZEITSPRUNG

               Die Pille wird 60 Jahre.
               Geburtstag mit Nebenwirkungen
               Im August 1960 kam in den                     Wissenschaftlichen Instituts der
               USA die erste Pille zur Schwan-               AOK zeigt: Der Anteil der Pillen-
               gerschaftsverhütung auf den                   verordnungen bei den gesetz-
               Markt. Ein Jahr später verkaufte              lich versicherten Mädchen und
               die Schering AG das erste orale               Frauen erreichte im Jahr 2010
               Kontrazeptivum in der Bundes-                 mit 46 Prozent seinen Höchst-
               republik. Was damals eine ge-                 stand und sank vor allem in den
               sellschaftliche Revolution aus-               vergangenen vier Jahren bis auf
               löste – Frauen­rechte, sexuelle               31 Prozent im Jahr 2019 – und
               Befreiung, Mini­röcke –, ist bis              das, obwohl die Altersgrenze

                                                                                                 Bild: iStock.com © VectorMine
               heute nicht unumstritten. Denn                für die Verordnung der Anti-Ba-
               auch 60 Jahre nach Marktreife                 by-Pille auf GKV-Kosten vergan-
               können durch das Hormonprä-                   genes Jahr von 20 auf 22 Jahre
               parat schwere Nebenwirkungen                  angehoben worden ist.
               wie Thrombosen und Embolien                       Immer noch ist die Geburt                                       Beachtung der Risikofaktoren          klärung. Demnach erfreut sich
               auftreten, vor allem in Kombi-                die häufigste Todesursache bei                                      der sicherste und beste Weg.          das Kondom wieder wachsen-
               nation mit Risikofaktoren wie                 Frauen weltweit. Auch ande-                                         Trotz allem steigt das gesell-        der Beliebtheit. Zuletzt lag der
               Übergewicht und Rauchen.                      re Verhütungsmittel haben Ri-                                       schaftliche Bewusstsein dafür,        Anteil der Präservativ-Benut-
                   Generationen von Frau-                    siken. Man denke an die Ei-                                         dass die Pille kein Lifestyleprä-     zer bei 46 Prozent. Um Infekti-
               en haben das mehr oder min-                   leiterschwangerschaft bei der                                       parat ist. Darauf deuten auch         onskrankheiten zu vermeiden,
               der klaglos in Kauf genommen.                 Spirale. Im Vergleich dazu ist                                      die kontinuierlich stattfinden-       empfiehlt es sich ergänzend
               Doch diese Zeiten sind offenbar               die richtig ausgewählte Pil-                                        den Umfragen der Bundeszen-           übrigens immer, ein Kondom
               vorbei. Die aktuelle Analyse des              le bei guter Beratung und der                                       trale für gesundheitliche Auf-        zu benutzen. awa

                                                                                      PRO                                          KONTRA

                                                                        Hat die Coronakrise
                                                                          die Gesellschaft
                                      Prof. Heinz Bude                                                                                                               Prof. Matthias Groß
                                   Professur für Makrosoziologie,                                                                                                 Leiter Department Stadt- und
                                         Universität Kassel                                                                                                    Umweltsoziologie, Helmholtz-Zentrum

                                                                        positiv verändert?                                                                            für Umweltforschung
Bild: Uni Kassel

                                                                                                                                                                                                          Bild: Privat

                                          »Wechselseitige Hilfe«                                                                 »Ohne eine Vision«
                     Wie wir versucht haben, Covid-19 in den Griff zu bekommen,                            Die Gesellschaft hat im Virus einen gemeinsamen Feind gefun-
                    hat unsere Gesellschaft zum Positiven verändert. Die Leute ha-                         den, der für eine gewisse Zeit Solidarität und Zusammenhalt
                    ben nicht panisch reagiert. Es gab das Hamstern von Toiletten-                         gestiftet haben mag. Außerdem hat die Zeit des Lockdowns
                     papier, aber die meisten haben nachsichtig mit sich selbst und                        zur Wertschätzung der Natur oder des Waldes als Rückzugsor-
                     den anderen darauf reagiert, weil man darin einen tiefsitzen-                         te und zur Aufwertung des Sonntagsspaziergangs oder dem
                   den Ausdruck von Vorratshaltung in der Gefahrenlage erkann-                             Radfahren geführt. Eine Zeit der Rückbesinnung auf das, was
                       te. Wichtiger für die Selbstbesinnung waren vorsichtige, tas-                       zählt, war ein Thema, das im Bekanntenkreis gelegentlich dis-
                       tende Versuche wechselseitiger Hilfe. Man kam sich näher in                         kutiert wurde. Darüber hinaus scheint es wenig Hoffnung auf
                     Distanz. Siegerlachen auf Winner-take-all-Märkten hatte aus-                          langfristig positive Veränderung zu geben, da es keine Vision
                   gedient und war lächerlich geworden. Damit wurde auf ruhige                             des Danach gibt. Anders als bei früheren Katastrophen oder
                   und selbstverständliche Weise ein Schlussstrich unter ein halbes                        heute beim Klimawandel, bei dem auf erneuerbare Energien
                      Jahrhundert der Ichfeier und der Selbstbefeuerung gezogen.                           als Lösung verwiesen werden kann, gibt es bei Corona durch
                   Außerdem haben die meisten mit einem Mal ihre Staatsphobie                              die Mutationsfähigkeit des Virus einen nie endenden Dauerzu-
                    verloren. Man kommt gemeinsam nicht weiter, wenn man die                               stand als Horizont und keine Vision einer Lösung, die das Virus
                       öffentlichen Güter verachtet und den Staat schlecht redet.                          ausrotten und die damit verbundene Krise beenden könnte.

                                                                                                                                         1/2020
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                                                   Versorgt und vernetzt: In Tuttlingen
                                                   kümmert sich eine ganze Kommune
                                                   um Senioren wie Gertrud Müller. Nicht
                                                   nur Tochter Ulrike

    Pflege in
Zeiten ohne ZeitFotos: Elke Rauls / AOK

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            Die Pflege zu organisieren, ist nicht Aufgabe des Einzelnen, sondern der
           gesamten Gesellschaft. Dort, wo der Fürsorge und ihrer Planung gebührend
             Zeit eingeräumt wird, funktioniert es. So wie im Landkreis Tuttlingen,
             der sich anschickt, eine Modellkommune für die Pflege zu werden

    S
                    ie haben geredet im       intelligente Konzepte, damit ältere Men-                        kreise Konzepte einreichen. Jetzt, kurz vor
                    Ort. Gertrud ­Müller,     schen so lange wie möglich in der ver-                          der Entscheidung, sind nur noch zwei Be-
                    83, weiß es genau.        trauten Umgebung leben können, selbst                           werber dabei: Karlsruhe und Tuttlingen –
                    Wer immer hier ge-        wenn Krankheit, Hilfe- und Pflegebe-                            ein Landkreis, der zwischen Stuttgart und
                    lebt hat, kennt das Ge-   dürftigkeit eintreten. Deshalb hat der Ge-                      dem Bodensee liegt, und in dem 136.000
schwätz der Leute: „Hab’s scho‘ g‘hört,       setzgeber im dritten Stärkungsgesetz die                        Einwohner in 35 Kommunen leben – auch
die Gertrud, die steckt die Agathe weg.“      „Modellkommune Pflege“ verankert. Da-                           Gertrud Müller in Spaichingen.
Und „weg“, das klang so, als hätte sie ihre   hinter steht die Idee der sich „kümmern-
Mutter weggesperrt und nicht ins Alten-       den Kommune“, die eine Infrastruktur für                        SPAICHINGEN, 12.000 EINWOHNER,
                                                                                                              KARLSTRASSE
heim gebracht. Die Stimme der Rentne-         die Pflege- und Altenhilfe schafft. Bundes-
rin bricht: „Was hätt‘ ich denn tun sol-      weit konnten kreisfreie Städte und Land-                        Freundin Doris, 79, hat angerufen. Sie geht
len?“ Schlaganfall. Demenz. Pflege. In den                                                                    ins Heim, weil ihre 24-Stunden-­Pflegekraft
Augen der alten Frau stehen Tränen: „Ich                                                                      zurück nach Polen muss. „Sch... Coro-
hab’s nimmer packt.“                                 »Im Kopf bin                                             na.“ Gertrud Müller grübelt: „Mein Gott,
    Schweigen in der Wohnstube in Spai-           ich fit, aber in den                                        wie wird es weitergehen, auch bei mir?“
chingen, einer Kleinstadt am Rand der             Knochen steckt die                                          Sie ist die letzte von ihren Freundinnen, die
Schwäbischen Alb, wo Schrank und An-                                                                          noch zu Hause lebt. Es klingelt. Die Rent-
                                                       Arthrose«
richte noch den Charme der Wirtschafts-                                                                       nerin steht auf, schnauft: „Alles Arthrose,
wunderzeit verströmen: braun, mit dün-                                                                        ich bring‘ die Arme kaum noch ruff.“ Das
                                                                  Gertrud Müller
nen Beinchen. Doch wie früher ist hier                        83 Jahre, pflegebedürftig,
                                                                                                              Knie ist kaputt. In der Schulter steckt ei-
nichts mehr. Nicht in dem großen Haus,                           lebt allein zu Hause
                                                                                                              ne Prothese. Sie hat o ­ ffene Beine. Als sie
in dem Gertrud Müller allein lebt, seit ihr
Paul vor drei Jahren gestorben ist. Nicht
                                                   PFLEGEBEDÜRFTIGE IN BADEN-WÜRTTEMBERG NACH ART DER PFLEGE*)
im Ort, wo man heute klagt, dass die Pfle-
ge die Ersparnisse auffrisst.
                                                                                                                                          421.000
    Der demografische Wandel verändert
die Gesellschaft. Es gibt weniger Gebur-
                                                        328.297
ten, aber immer mehr ältere Menschen. In                                                                                                  209.000
                                                                                                    Pflegegeldempfänger
zehn Jahren werden in Baden-Württem-                                                                       + 23 %
                                                         170.104
berg mehr als 800.000 Senioren leben, die
bereits ihren 80. Geburtstag gefeiert ha-                                                                                                  87.000
                                                                                                                                                                   Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

                                                                                                     ambulant Gepflegte
ben – 56.000 mehr als im Jahr 2000. Wer                   66.116                                          + 32 %

wird sich um sie kümmern, wenn das Le-                                                              vollstationär Gepflegte               125.000
                                                         92.077                                              + 36 %
ben beschwerlicher wird? Nicht unbedingt
die eigenen Kinder, weil die oft gar nicht
                                                          2015                                                                            2030
mehr vor Ort wohnen. Auch die drei Kin-
der von Gertrud Müller sind weggezogen.                                                                                                  *) Status-Ouo-Rechnung.

    Nachbarschaftshilfen, Beratungsstel-
                                              Realistische Entwicklung: Im Jahr 2015 waren in Baden-Württemberg insgesamt 328.297 Menschen
len, Treffpunkte der Begegnung, betreu-       pflegebedürftig. 2030 werden es voraussichtlich 421.000 Pflegebedürftige sein. Das entspricht einer Zunahme
te Wohngemeinschaften – es braucht            von 28 Prozent. Der Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung läge dann bei 3,8 Prozent.

                                                                                           1/2020
Pflege in Zeiten ohne Zeit - aok-bw-presse.de
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                                                      Längst sind die Rechnungen vieler Alten­         froh, dass Tochter Ulrike ihr bei den Rech-
                                                      heime höher als die deutsche Durch-              nungen hilft, die sie bei Kranken- und
                                                      schnittsrente, die zwischen 767 Euro             Pflegekasse einreichen muss: 275 Euro für
                                                      (Frauen) und 1.187 Euro (Männer) liegt.          Wundpflege, 120 Euro für Betreuungs-
                                                      Getrud Müller hat Glück. Ihre Tochter Ul-        nachmittage, sechs Fahrten zum Arzt. Sie
                                                      rike, 55, arbeitet in der Fachstelle für Pfle-   hat Pflegegrad II, darf 689 Euro für Pfle-
                                                      ge- und Selbsthilfe in Tuttlingen, sie hat       gesachleistungen ausgeben. Außerdem
                                                      den Alltag der Mutter organisiert. Die           gibt es einen Entlastungsbetrag über 125
                                                      sagt: „Ohne ihre Hilfe tät‘ ich vielleicht       Euro und: „Mhm, was war noch Verhin-
                                                      auch im Heim sein.“                              derungspflege?“
                                                                                                           Genau das meint Marianne Thoma mit
                                                      TUTTLINGEN, FACHSTELLE FÜR PFLEGE-               Wirrwarr. „Die Menschen blicken nicht
                                                      UND SELBSTHILFE, GARTENSTRASSE
                                                                                                       mehr durch.“ Als Thoma vor sechs Jahren
                                                      In einer Seitenstraße der Fußgängerzo-           hier anfing, war sie allein, inzwischen sind
                                                      ne steht ein weiß verputztes Geschäfts-          sie zu siebt. Vor drei Jahren trat das neue
                                                      haus. Marianne Thoma, 58, hat keine Zeit.        Pflegestärkungsgesetz II in Kraft, aus drei
                                                      Die Leiterin der Fachstelle für Pflege und       Pflegestufen wurden fünf Pflegegrade.
                                                      Selbsthilfe beim Landratsamt Tuttlingen          Seitdem klingelt im Stützpunkt manchmal
                                                      muss sich darum kümmern, dass alle Se-           50-mal am Tag das Telefon. Wie wird Pfle-
                                                                                                       gegeld beantragt? Wer verschreibt Hilfsmit-
                                                          »30 Prozent der                              tel? Gibt es Zuschüsse? Etwa zum Badum-
                                                        Heimplätze werden                              bau, für eine Putzfrau, zur Tagespflege? Ihr
                                                                                                       Team beantwortet alle Fragen, hält außer-
                                                        von Steuergeldern                              dem Vorträge, leitet Pflegekurse, macht
                                                         bezahlt. Die Zahl
                                                         steigt von Jahr zu
Jongleur der Zahlen: Das Sozialamt, das Hermann                 Jahr«
Ristau leitet, bearbeitet jedes Jahr eine steigende
­Anzahl Anträge auf Hilfe zur Pflege
                                                                   Hermann Ristau,
                                                                    Leiter des Sozialamts
                                                                          Tuttlingen
z­ urückkommt, hat sie sich gefasst: „Dann
 telefonieren wir halt.“ Gerade ist ihr „Es-          nioreneinrichtungen im Landkreis Corona­
 sen auf Rädern“ gekommen: Schnitzel mit              Schnelltests ordern können. Eine hal-
 Gurkensalat. Vormittags hat Marina die               be Stunde später liegt das Konzept beim
 Wohnung geputzt. Sie kommt vom Ver-                  Kreis-Dezernenten für Arbeit und Sozia-
 ein MiKaDo – Mithilfe und Kontakte im                les. Die Wege in Tuttlingen sind kurz. Man
 Dorf. Davor hat Birgit vom Roten Kreuz ihr           kennt sich und alle kennen die grauhaari-
 mit den Kompressionsstrümpfen geholfen.              ge Frau mit dem Pagenschnitt. Spitzname:
 Später ist der Betreuungsnachmittag der              „Mrs. Google der Pflege“.
 Caritas. Hoffentlich machen sie Gedächt-                 Turnschuhe, Jeans, sportliche Bluse:
 nistraining. Beim letzten Mal hat die Leite-         „Mrs. Google“ hat auch das Konzept für
 rin ein Bild gezeigt, auf dem ein Kind in ein        das Modellvorhaben „Modellkommune
 Bein beißt. Müller hat den Oberbegriff so-           Pflege“ geschrieben. Wenn man mit ihr
 fort gewusst: „Wadenbeißer.“ Sie tippt an            an einem Tisch sitzt, kommt schnell die
 den Kopf: „Hier bin ich fit.“                        Frage: „Wo wollen Sie leben, wenn Sie äl-
     Als der damalige Sozialminister Norbert          ter werden?“ Und egal, wen sie fragt, al-
 Blüm 1995 die Pflegeversicherung ins Le-             le antworten: Zu Hause, wenn es geht. Al-
 ben rief, war Gertrud Müller 57 Jahre alt.           so kümmert sich Thoma darum, dass alle
 Das Thema hat sie kaum interessiert. Heu-            möglichst lange zu Hause bleiben können.
 te – 25 Jahre später – ist sie eine von 2,9          Aber wie? Sie sagt: „Wir brauchen keine
 Millionen Pflegebedürftigen in Deutsch-              neuen Gesetze, sondern müssen nur das
 land, von denen ein Viertel im Heim lebt.            Wirrwarr ordnen.“                                Baustelle Pflegeheim: Im Elias-Schrenk-Haus müssen
 „Wie bezahlen die das?“, fragt sie sich,                 Auch Gertrud Müller in Spaichingen           aus Zweitbett- jetzt Einbettzimmer werden. Haus-
                                                                                                       leiterin Karen Winterhalter plant mit 17 Millionen
 wenn sie in der Zeitung von „Preisexplosi-           ist verwirrt. Sie hat fast 40 Jahre lang als     Euro Umbaukosten. Die Zuzahlung für die Bewohner
 onen“ liest.                                         Buchhalterin gearbeitet. Trotzdem ist sie        werden steigen müssen

                                                                                            1/2020
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Hausbesuche und stößt neue Projekte an.        kommt. Neue Vollzeitstellen sollen entste-
Erst heute Morgen hat Thoma eine betreu-       hen. Kräfte, die Menschen wie Gertrud
te Wohngemeinschaft besichtigt. Sie soll       Müller beraten sollen, wie sie durch den
im November eröffnet werden. Vier gibt         Alltag des Alters kommen, Dienste vor Ort
es jetzt im Kreis, drei sind in Planung. Das   koordinieren, Pflegekurse anbieten oder
Projekt „Tagesbetreuung in Gastfamilien“       Angehörigen helfen, die eine Pause brau-
ist ihr wichtig und der „Bewegte Mittags-      chen – sich eben um alle kümmern, die
tisch“ und ... Das Telefon klingelt wieder.    Hilfe brauchen. Und wenn es zu Hause
Die Zeit reicht nicht, um alles zu erzählen.   gar nicht mehr geht, vielleicht in die Pfle-
Nur noch so viel: Sie rechnet sich gute        ge-Oase ziehen.
Chancen aus, dass Tuttlingen tatsächlich
„Modellkommune“ wird. In anderen kreis-        PFLEGEHEIM ELIAS-SCHRENK-HAUS,
                                               NORDSTADT
freien Städten und Landkreisen war das In-
teresse eher gering. Warum? Thoma kann         Karen Winterhalter, 54, die Heimleiterin im
nur raten: „Vielleicht, weil es verdammt       Elias-Schrenk-Haus, sieht müde aus. Die
viel Arbeit ist.“                              zweite Welle Corona steht vor der Tür. Sie
                                               hat gerade Schnelltests besorgt. Sie sagt:
LANDRATSAMT TUTTLINGEN, SOZIALAMT,             „Wenigstens das klappt.“ Sie will nicht
BAHNHOFSTRASSE
                                               jammern, „aber gerade ist wirklich viel
Sozialamtsleiter Hermann Ristau, 64, ist       los“. Weil die Landesheimbauverordnung
besorgt. Er sitzt in seinem Büro und stu-      keine Zweibettzimmer mehr erlaubt, muss
diert eine Statistik, auf der 44 Balken in     das 70er-Jahre-Seniorenwohnheim kom-
die Höhe schießen. Jeder Balken steht          plett saniert und erweitert werden – und
für einen Stadt- oder Landkreis in Ba-         das bei laufendem Betrieb.
den-Württemberg. Tuttlingen ist gelb mar-
kiert: 12.714 Euro. Ristau erklärt: „So viel
zahlte das Amt 2018 im Schnitt für einen            »Wir brauchen                                      Mrs. Google der Pflege: Marianne Thoma ist schnell
                                                                                                       bei Recherche und Umsetzung, wenn es darum geht,
Heimbewohner, der Anspruch auf ,Hil-               nicht noch mehr                                     die Pflege in Tuttlingen voranzubringen
fe zur Pflege‘ hatte.“ Er seufzt: „Die Zahl          neue Gesetze,
der Anträge nimmt seit Jahren zu und erst                                                              Umbau kosten. Das bedeutet, dass auch
recht, seit im Januar das Angehörigen-Ent-
                                                   sondern müssen                                      die Zuzahlung für die 97 Bewohner steigt
lastungsgesetz gilt.“ Kinder, die weniger              nur das                                         – auf über 3.000 Euro im Monat. Plus Ta-
als 100.000 Euro verdienen, müssen sich           Wirrwarr ordnen«                                     riferhöhung, die die Gewerkschaften ge-
nicht mehr an den Pflegekosten ihrer El-                                                               rade für die Pflegekräfte ausgehandelt ha-
tern beteiligen. Ristau fragt: „Was meinen                     Marianne Thoma,                         ben. Winterhalter hofft, dass die stationäre
Sie, wie viele Menschen hier auf dem Land                    Leiterin des Pflegestützpunkts            Pflege bald auf 700 Euro gedeckelt wird,
                                                                        Tuttlingen
100.000 Euro verdienen?“ Er gibt selbst                                                                so wie es gerade diskutiert wird: „Das ist
die Antwort: „Fast keiner.“                    Im ersten Stock kann man sehen, wie es                  die einzige Möglichkeit, dass zumindest ein
    22.315 Heimplätze wurden bereits           mal werden soll: hell, freundlich – ein Zu-             Teil der Kosten für die Bewohner nicht wei-
2018 in Baden-Württemberg aus Steu-            hause. Im August sind ­Anneliese, 94, ­Inge,            ter davongaloppiert.“
ergeldern bezahlt, 30 Prozent. Auch in         77, Willi, 84, und drei andere Senioren mit
Tuttlingen kann sich inzwischen jeder          Demenz in die Pflege-­Oase gezogen – eine               SPAICHINGEN, KARLSTRASSE
Dritte kein Heim mehr leisten. Deshalb         Art Wohngemeinschaft im Heim. Räucher-                  Gertrud Müller bekommt eine gute Ren-
haben sie sich im Landratsamt bereits vor      stäbchen verbreiten Rosenduft. Alle sitzen              te. Aber so viel auch wieder nicht. Sie sagt:
fünf Jahren gefragt: Gibt es andere We-        am Tisch. Anneliese wirft ein grünes Tuch               „Fürs Heim ist es zu früh.“ Jetzt will sie im
ge? Eine Arbeitsgruppe hat ein „Senio-         in die Luft, lacht. Willi blättert eine Zeitung,        Keller die Wäsche aufhängen. Sie nennt
renpolitisches Rahmenkonzept“ mit sechs        die er nicht mehr lesen kann. Eine Pflegerin            das „Fitness“. Am Samstag kommt Sohn
Handlungsempfehlungen erstellt. Tenor:         zeigt auf ein Bild: „Ist das ein Hund?“ ­Willi          Klaus. Sonntag bringt der Kommunion­
Wir müssen die kommunale Daseinsvor-           sagt: „Ja.“ Winterhalter lächelt, als sie die           helferdienst eine Hostie. Donnerstag hat
sorge stärken. 2018 haben sie sich beim        Szene beobachtet: „Auf dem Wohnbereich                  sie einen Dauerwelle-Termin. Egon, 75,
Vorhaben „Modellkommune Pflege“ be-            ist Willi unruhig hin- und hergelaufen, hat             von der Nachbarschaftshilfe fährt sie. So
worben.                                        jahrelang kein Wort gesagt. Seitdem er hier             kann es gehen. Aber was, wenn sie nicht
    Es ist Ristaus letztes Projekt, bevor er   ist, spricht er manchmal.“                              mehr gehen kann? Die Zukunft der Pflege,
nächstes Jahr nach 46 Dienstjahren in              Doch die neuen Wege in der Pflege ha-               kommt sie noch rechtzeitig für die Zukunft
Rente geht. Er hofft, dass bald das „Go“       ben ihren Preis: 17 Millionen Euro soll der             von Gertrud Müller? Die Zeit läuft. sd

                                                                                              1/2020
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Hüftgelenk: Das Einsetzen eines
Implantats erfordert Könnerschaft

                      Nahtlose Betreuung vom
                      Orthopäden bis zur Reha
                   Erster Qualitätsvertrag der AOK garantiert Patienten hohe Sicherheit
                        sowie gute Vor- und Nachsorge bei Hüftimplantationen

     P
                         atienten, die in einer     die s­ tandardisierten Abläufe in den be-          herum passiert. Die AOK setzt auf ­nahtlose
                         Klinik mit weniger als     handelnden Kliniken eine entscheiden-              Betreuung bei höchster Qualität: Versicher-
                      ­­­45 Hüftimplantationen      de Rolle“, sagt Professor Heiko Reichel,           te, die eine neue Hüfte brauchen, können
                         im Jahr behandelt wer-     Ärztlicher Direktor der Orthopädischen             auch im Facharztvertrag Orthopädie und
                         den, haben nach einer      Universitätsklinik Ulm am RKU. Er und sei-         an dem spezialisierten Rehabilitationskon-
Studie des Wissenschaftlichen Instituts der                                                            zept A­ OK proReha teilnehmen.
AOK (WIdO) ein mehr als 30 Prozent hö-                  »Für den Erfolg                                    Fast 60 Prozent der Hüft-Endopro­
heres Risiko für Komplikationen als jene,                                                              thetik-­Patienten sind über 70 Jahre alt. Um
die in Kliniken mit über 200 Fällen ope-
                                                         einer Hüft-OP                                 deren Sicherheit zu erhöhen, schreibt der
riert werden. Ein wichtiger Schritt zum En-            spielen Erfahrung                               Qualitätsvertrag zudem gezielte Maßnah-
de der Gelegenheitschirurgie bei Hüftope-               und Routine der                                men zur Reduzierung von Risiken im Zu-
rationen ist der erste Qualitätsvertrag, den            Operateure eine                                sammenhang mit Operationen und dem
die AOK Baden-Württemberg jetzt mit                                                                    Einsatz von Narkosemitteln verpflichtend
                                                         entscheidende
den Universitäts- und Rehabilitationsklini-                                                            vor. Weitere wichtige Maßnahmen sind
ken Ulm (RKU) geschlossen hat.
                                                             Rolle«                                    die Delir-­Prävention, die Optimierung der
     Ab dem 1. April 2021 werden die ers-                                                              Arbeitsabläufe, eine vorsichtige Sedierung
ten Patientinnen und Patienten in der Do-                         Prof. Heiko Reichel                  sowie eine adäquate Schmerztherapie.
                                                                    Ärztlicher Direktor der
naustadt nach dem neuen Konzept be-                          Orthopädischen Universitätsklinik Ulm
                                                                                                           Krankenhäuser, die mit der AOK Ba-
handelt, das die AOK Baden-Württemberg                                                                 den-Württemberg einen Qualitätsvertrag
gemeinsam mit Operateurinnen und Ope-               ne Kolleginnen und Kollegen implantieren           für die Hüft-Endoprothetik abschließen
rateuren aus ganz Deutschland entwickelt            jährlich mehr als 400 Hüft-Endoprothesen.          wollen, müssen ihren Sitz in Baden-Würt-
hat. Ziel des Vertrages ist es, die Qualität        „Insofern ist der geschlossene Vertrag ein         temberg haben, als Endoprothetik-Zen-
der Eingriffe zu steigern und mit den qua-          wichtiger Schritt hin zu höherer Behand-           trum der Maximalversorgung zertifiziert
lifiziertesten Kliniken Standards für die Re-       lungsqualität und mehr Sicherheit für alle         sein und pro Jahr mindestens 200 OPs im
gelversorgung von morgen zu setzen.                 Patienten“, so Reichel.                            Bereich der Hüft-Endoprothesen-Erstim-
     „Für den Erfolg einer Hüft-OP spie-               Ebenso entscheidend wie die Operation           plantation sowie 25 Wechseloperationen
len die Erfahrung der Operateure und                selbst ist für deren Erfolg auch, was rund-        vorweisen können. stef

                                                                                              1/2020
Seite 13       GESUNDHEIT & VERSORGUNG

Schmerz an der Schnittstelle                                                                                                              S TA N D P U N K T

Wie weiter nach Krankenhaus oder Reha-Klinik? Das regeln die Rahmenverträge für
Entlassmanagement, die in der Praxis nicht so gut funktionieren wie auf dem Papier

                                                                                                                              Sabrina Straub

 M
                                                                                                                               Rehabilitations- und
                al angenommen: Im               aber wenn das S­ ystem so aufgesetzt wä-                                       Pflegemanagement,

                                                                                                                                                                     Bild: privat
                Februar hat Vater einen         re, wie es vom Gesetzgeber vorgesehen                                        AOK Baden-Württemberg

                schweren Unfall, bricht         ist, dann hätte es nicht dazu kommen
sich einen Halswirbel, wird operiert und        müssen.“
                                                                                                                                ENTLASSMANAGEMENT
kann nach Aufenthalt in Krankenhaus                 Laut der Rahmenverträge stimmen
und Reha-Klinik nicht nach Hause, weil          die Patientinnen und Patienten erst ei-
er nicht alleine atmen oder aufstehen           nem Entlassmanagement zu, dann wer-                                           »Alle müssen
kann – und dann ist Corona. Neben               den ihre Bedürfnisse und die Notwen-
vielen anderen Herausforderungen                digkeit von verschreibungspflichtigen                                        sich kümmern«
bringt die Pandemie einen Aufnahme-             Nachsorgeleistungen analysiert. Ein Ent-
stopp in Pflegeeinrichtungen mit sich.          lassplan beschreibt den Versorgungs-                                        Das Thema ist keinesfalls leicht. Klar
Was nun? Seit 2015 sind Krankenhäuser           bedarf, erforderliche Maßnahmen und                                         wurde mir das spätestens, als die
und Reha-Kliniken gesetzlich verpflichtet,      benennt beteiligte Leistungserbringer.                                      Schiedsverhandlungen zum Rahmen-
für eine lückenlose Weiterbehandlung            Erst danach erfolgt die Entlassung. „Die                                    vertrag Entlassmanagement nach
ihrer Patientinnen und Patienten nach der       Verständigung zwischen Arzt, Patient                                        Krankenhausbehandlung liefen. Ne-
Entlassung zu sorgen. Die Krankenkassen         und Angehörigen, Leistungserbringern                                        ben dem Spitzenverband der Kran-
sollen sie dabei unterstützen. ­Details re-     und Krankenkasse ist komplex“, so För-                                      kenkassen saßen die Kassenärztliche
geln die Rahmenverträge Entlassmanage-          schner. Oft hake es, weil das Kranken-                                      Bundesvereinigung und die Deut-
ment nach Krankenhausbehandlung (seit           hauspersonal den Papierverkehr neben-                                       sche Krankenhausgesellschaft mit am
2017) und nach stationärer Rehabilitation       her erledigen müsse oder Ärztinnen und                                      Tisch. Gestritten wurde unter ande-
(2019). Doch schon in normalen Zeiten ist       Ärzte aus Regresssorgen zögerlich bei                                       rem, ob und wie die Arzneimittel für
der Übergang von der Klinik zur Folgeein-       der Medikamentenverordnung sind.                                            die Übergangsphase verordnet wer-
richtung schwierig.                                 Auch das Nebeneinander von ana-                                         den können. Dafür – und auch für
    „Im Frühjahr haben wir erlebt, dass         loger und digitaler Dokumentation und                                       die weiteren Streitpunkte – wurden
Pflegebedürftige im Krankenhaus regel­          der Einsatz verschiedener IT-Systeme                                        schließlich Lösungen gefunden. Doch
recht geparkt wurden, weil niemand sich         führe zu Verzögerungen. „Außerdem                                           mehr als drei Jahre nach Inkrafttre-
um ihren Verbleib kümmern                                    beobachten wir, dass vie-                                      ten sieht die Realität noch immer an-
konnte“, berichtet Li-                                           le Krankenkassen ihrer                                     ders aus. Wenn Klinikärzte Rezep-
sa Förschner, die                                                   Verpflichtung nur un-                                   te schreiben, dann gilt auch für sie
bei der AOK Ba-                                                       zureichend nach-                                      das Wirtschaftlichkeitsgebot. Doch
den-Württemberg                                                        kommen“, sagt För-                                   wenn sie verordnen, ohne zu wissen,
für das Thema                                                          schner. „Die AOK                                     ob es dafür Arzneimittelrabattverträ-
Entlassmanage-                                                         geht mit ihren Ver-                                  ge gibt, weil die Krankenhaussoft-
                                                                                                 Bild: iStock.com © vDraw

ment zuständig                                                         sorgungsmanagern                                     ware das nicht abbilden kann, dann
ist. „Sicher ist das                                                  bewusst einen an-                                     läuft dieses Gesetz ins Leere. Dassel-
eine ­Extremsituation,                                              deren Weg.“ awa                                         be passiert, wenn die zuständigen
                                                                                                                            Sozialarbeiter der Kliniken nicht die
                                                                                                                            Ressourcen haben, rechtzeitig zum
                                                                                                                            Entlasstermin einen Nachsorgeplan
    So macht es die AOK Baden-Württemberg                                                                                   auf die Beine zu stellen, und diese
                                                                                                                            Aufgabe an die Krankenkassen ab-
    In jeder ihrer 14 Bezirksdirektionen beschäftigt die AOK Baden-Württemberg eine Ver-                                    wälzen. Aber auch die Kassen müs-
    sorgungsmanagerin oder einen Versorgungsmanager. Diese besonders qualifizierten                                         sen sich an die eigene Nase fassen.
    Ansprechpartnerinnen und -partner für Entlassmanagement beraten nicht nur Versi-                                        Versicherten eine Telefonnummer zu
    cherte und Kliniken, sie unterstützen bei allen Fragen und Anliegen in Zusammenhang                                     geben, reicht nicht. Es muss sich auch
    mit der Entlassung und weiteren Versorgung. Sie helfen individuell und passgenau,                                       jemand Qualifiziertes kümmern am
    beispielsweise wenn Anträge notwendig sind oder mehrere Verordnungen vorliegen.                                         anderen Ende der Leitung.
    Außerdem informieren sie über Versorgungsmöglichkeiten in der Region vor Ort.

                                                                                        1/2020
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   MELDUNGEN                   MODELLPROJEKTE & ERFAHRUNGEN
                                                                                                                              Beiträge begrenzen
                                                                                                                              Sozialversicherung. Die Belastung von Löh-
                                                                                                                              nen und Gehältern könnte bis 2040 deut-
                                                                                                                              lich auf rund 50 Prozent steigen. Das hat eine
                                                                                                                              Kommission der Bundesvereinigung der Deut-
                                                                                                                              schen Arbeitgeberverbände (BDA) errechnet.
                                                                                                                              Sie hat Vorschläge erarbeitet, wie sich die
                                                                                                                              Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung
                                                                                                                              auf Dauer unter 40 Prozent halten lassen. Um
                                                                                                                              den Gesamtsozialversicherungsbeitrag trotz
                                                                                                                              der demografischen Entwicklung wirksam zu
                                                                                                                              begrenzen, müsse ein zum Teil unbequemer
                                                                                                                              Reformkurs eingeleitet werden, heißt es im
                                                                                                                              Abschlussbericht. Dazu zählt für die Kommis-
                                                                                                                              sion auch eine weitere Verlängerung der er-
                                                                                                                              werbsaktiven Lebensphase. Diese hätte nicht
                                                                                                                              nur günstige Auswirkungen auf Beitrags-

                                                                                                 Bild: iStock.com © Geber86
                                                                                                                              satz und Sicherungsniveau der Rentenver-
                                                                                                                              sicherung, sondern könnte auch eine große
                                                                                                                              Breitenwirkung für die Finanzen der anderen
                                                                                                                              Sozialversicherungszweige und für die Ge-
Unbequeme Erkenntnis: Wenn die Versicherungslast
nicht steigen soll, müssen wir laut BDA alle länger arbeiten
                                                                                                                              samtwirtschaft entfalten.

Erfolgreich gegen                                              Versorgung vor Ort gestalten
Kinderarmut                                                    Forsa-Ergebnisse. Gut 81 Prozent der Baden-Württemberger sind mit der Gesund-
                                                               heitsversorgung in ihrem Bundesland zufrieden, zeigt eine aktuelle Forsa-­Studie im
Sozialprojekte. 2019 benannte Baden-                           Auftrag der Gesundheitskasse. Allerdings sind die Bewohner in kleinen Gemeinden
Württembergs Sozialminister Manfred Lucha                      unzufriedener als die Bewohner in den größeren Städten. Besonders die Zufrieden-
Kinderarmut als einen seiner Arbeitsschwer-                    heit mit Krankenhäusern und Fachärzten ist in kleinen Gemeinden deutlich geringer
punkte für 2020, nun zog er eine erste Bi-                     als in den größeren Städten. Die AOK-Gemeinschaft reagiert auf den Handlungs-
lanz. Auf dem Online-Kongress „Ein starkes                     bedarf und hat die Initiative „Stadt. Land. Gesund“ auf den Weg gebracht. Dabei
Land braucht starke Kinder!“ im Oktober er-                    wurden schon im vorigen Jahr über 100 Projekte in Deutsch-
klärte er, im laufenden Jahr seien 50 ent-                     land identifiziert, die dazu beitragen, dass notwendige medi-
sprechende Projekte an den Start gegangen.                     zinische Angebote vor Ort erhalten bleiben. Digitale Lösungen
Diese seien mit zwei Millionen Euro aus Lan-                   und Delegationsansätze sorgen dafür, dass bei der Behand-
desmitteln und 2,5 Millionen Euro aus dem                      lung räumliche Distanz überwunden wird und Patienten einen
europäischen Sozialfonds finanziert worden.                    schnelleren Zugang zur Versorgung bekommen.
Zusätzlich seien 150.000 Euro Soforthilfe aus
Landesmitteln zur Unterstützung von Familien
in prekären Verhältnissen bei der Bewältigung
der Coronaeinschränkungen gezahlt worden.                      Das Beste aus zwei Welten
Dabei ging es vor allem um Homeschooling.                      Psychotherapie. Eine innovative Behandlungsform soll die psychotherapeutische
Auf dem Erreichten will sich das Sozialminis-                  Versorgung von Patientinnen und Patienten mit depressiven Erkrankungen und
terium nicht ausruhen. In ihrem Schlusswort                    Angsterkrankungen verbessern. Das vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bun-
sagte Luchas Staatssekretärin Bärbl Mielich:                   desausschusses geförderte Modellprojekt „PsychOnlineTherapie“ verbindet die psy-
„Wir brauchen eine Strukturpolitik, die sich                   chotherapeutische Behandlung mit Online-Behandlungselementen. Der persönliche
dieses Themas annimmt, und müssen auf al-                      Kontakt bleibt erhalten. Durch die Online-Elemente können aber einzelne Bestand-
len politischen Ebenen Maßnahmen entwi-                        teile der Therapie in den Alltag der Patienten ausgelagert werden. So wird die The-
ckeln.“ Das Sozialministerium hat außerdem                     rapie auch zeitlich und örtlich flexibler. Die neue Behandlungsform wird unter Be-
ein Fachkonzept für eine Kindergrundsiche-                     teiligung der AOK Baden-Württemberg im Rahmen des AOK-FacharztProgramms
rung erarbeitet. Die Idee wird von vielen Bun-                 in der Praxis erprobt und von der Universität Ulm und der Friedrich-Alexander-Uni-
desländern unterstützt.                                        versität Erlangen-Nürnberg wissenschaftlich untersucht.       psychonlinetherapie.de

                                                                                        1/2020
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                    Zu lange ungeschützt
                        Seit März gibt es die Impfpflicht gegen Masern. Von einer
                        hinreichenden Impfquote ist man in der Regelversorgung
                                       im Südwesten jedoch noch weit entfernt
                    HAMBURG

                    88 %
     BREMEN
                                             SCHLESWIG-HOLSTEIN
   84,1 %
                                                 88 %
                                                                  MECKLENBURG-VORPOMMERN

                                                                        85,8 %
                                                                                                         BERLIN

                                                                                                        88,1 %
                                     NIEDERSACHSEN

                                        86,6 %

                                                                                  BRANDENBURG                                                                           Alle Daten stammen aus der Regelver-
                                                                                                                                                                        sorgung. Zahlen aus der Selektivversor-
                                                          SACHSEN-ANHALT             87 %                                                                               gung sind nicht mit eingerechnet.
      NORDRHEIN-WESTFALEN     **
                                                            87,2 %                                                                                                     *Für die 2. Masern-, Mumps-, Röteln-
                                                                                                                                                                         und Varizellenimpfung ist in Sachsen
                                                                                                                                                                         ein höheres Impfalter empfohlen

                                                                                                                                                                      **Es gibt keine Impfquoten in den KV-
                                                                                                                                                                        Regionen Hessen und Westfalen-Lippe,
                                                                                                                                                                        da hier keine validierten Abrechnungs-
                                                                                SACHSEN                                                                                 daten zur Auswertung vorlagen

                               HESSEN   **
                                                     THÜRINGEN
                                                                                74,5 %*
                                                     83,4 %
             RHEIN-
           LAND-PFALZ                                                                                                                                             HAMBURG

           85,5 %                                                                                        BREMEN                                                       76 %
                                                                                                         67 %                                                                                  BERLIN

                                                                                                                           SCHLESWIG-HOLSTEIN                                                 73 %
                                                                                                                               76,7%
                                                                                                                                                MECKLENBURG-VORPOMMERN
SAARLAND
                                                             BAYERN                                                                                       68,4 %
88,5 %                                                     82,1 %
                    BADEN-WÜRTTEMBERG

                        75,6 %                                                                                         NIEDERSACHSEN

                                                                                                                           74,8 %

                                                                                                                                                                                BRANDENBURG

       GESAMT                                                                          NORDRHEIN-WESTFALEN   **                           SACHSEN-ANHALT                          69,7 %

       83,5 %
                                                                                                                                             70,6 %

                                                                                                                                                                            SACHSEN
       Nur Kleinkinder, die zwei Masernimpfungen erhalten, sind um-                                          HESSEN   **
                                                                                                                                   THÜRINGEN
                                                                                                                                                                          16,9 %*
       fassend geschützt. Aktuelle Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen                                                          64 %
       jedoch: Die Impfserie wird oft nicht rechtzeitig abgeschlossen.                       RHEIN-
       Am schlechtesten schneidet Baden-Württemberg ab. Dort hatten                        LAND-PFALZ
       nur 75,6 Prozent der 15 Monate alten Kinder wie empfohlen die                       72,8 %
       erste Impfung erhalten. Und nur 61,9 Prozent hatten im Alter von
                                                                                                                                                                  GESAMT
       24 Monaten die Grundimmunisierung abgeschlossen. Immerhin:
       Bei den Schuleingangsuntersuchungen konnten 89,8 Prozent aller
       Kinder die Immunisierung vorweisen. Um Masern zu eliminieren,
       müssen mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein.
                                                                                SAARLAND
                                                                                                                                                                  69,9 %
       Bisher hat Deutschland diese Quote nicht erreicht. Das soll sich mit
       dem Masernschutzgesetz ändern: Seit 1. März 2020 müssen Eltern            74 %                                                         BAYERN
                                                                                                                                                                                                         Quelle: Robert Koch-Institut, Impfquoten von Kinderschutzimpfungen

       nachweisen, dass ihre Kinder gegen Masern geimpft oder immun                                 BADEN-WÜRTTEMBERG                       68,2 %
       sind, wenn sie sie in einer Kindertagesstätte, einer Schule oder einer
                                                                                                        61,9 %
                                                                                                                                                                                                         in Deutschland – Ergebnisse aus der RKI-Impfsurveillance

       Tagespflege anmelden. Sozialministerium und AOK rufen dazu auf,
       den Impfstatus zu überprüfen und insbesondere Kinder zwischen
       neun und 18 Jahren noch impfen zu lassen.
                                                                                                                                                                                                         (Epidemiologisches Bulletin 32/33 2020)

                                                  mach-den-impfcheck.de

                    1. MASERNIMPFUNG                                                                    1/2020
                                                                                                                      2. MASERNIMPFUNG
                                                                                                                                   Grundimmunisierung abgeschlossen
Seite 16                                   STANDPUNKT

                                                               D E S TA B I L I S I E RT E G K V

                                           Haltet die Diebe!
          Die Sozialversicherungsbeiträge bleiben unter 40 Prozent, hat die Regierung im Juni
          erneut zugesichert. Die Kassen freuten sich damals. Doch jetzt kommt es knüppeldick

                                                                                                           Kassen zu verteilen. Das ist ein     tembergischen Gesundheitswe-
                                                                                                           Vertrauensbruch gegenüber den        sen abzufließen.
                                                                                                           Beitragszahlern und bestraft gut        Die Notwendigkeit der Maß-
                                                                                                           wirtschaftende Krankenkassen.        nahmen mit der Coronapande-
                                                                                                           Es drängt sich der Verdacht auf,     mie zu begründen, ist im Übri-
                                                                                                           dass die Beitragszahlerinnen und     gen schlicht falsch – nicht nur,
                                                                                                           -zahler Wahlgeschenke finanzie-      weil der Seuchenschutz und die
                                                                                                           ren sollen.                          Bewältigung von Pandemiefol-
                                                                                                                Die wiederholten politischen    gen zu den Aufgaben des Staa-
                                                                                                           Eingriffe in die Finanzautonomie     tes gehören. Ein Großteil der Fi-
                                                                                                           der Krankenkassen lassen lei-        nanzierungslücke geht nämlich
                                                                                                           der ein Klima der Unsicherheit       auf das Konto zahlreicher Ge-
                                                                                                           entstehen, in dem verantwor-         setze vor der Coronapandemie.
                                                                                                           tungsvolle und weitsichtige Fi-      Und: Es ist wahrlich ein Trep-
                                                                                                           nanzplanung und Investitionen        penwitz, erst die Einhaltung der
                                                                                                           in Versorgung nicht mehr mög-        40-Prozent-Grenze zu verspre-
                                                                                                           lich sind. Denn wenn Rücklagen       chen und dieses Versprechen
                                                                                                           aufgelöst werden, stehen diese       dann dadurch einzuhalten, dass
                                                                                                           nicht mehr zur Begrenzung von        für einige Adressaten das Ver-
                                                                          Bilder: (c) Matthias Schmiedel

                                                                                                           Zusatzbeiträgen zur Verfügung.       sprechen nicht eingelöst wird.
                                                                                                           Das von der Bundesregierung
                                                                                                           geschnürte Maßnahmenpaket            TEUERUNG DURCH GESETZ

                                                                                                           erfüllt kurzfristig seine Funktion   Die Entscheidungen über Finan-

  »Entschei-                                E         nde September:
                                                      große Ernüchterung
                                                      auf Kassenseite.
                                                                                                           als Beitragsbremse, das eigent-
                                                                                                           liche Problem ist aber nur nach
                                                                                                           hinten verschoben, denn die Fi-
                                                                                                                                                zen, Rücklagen und Beitrags-
                                                                                                                                                sätze gehören in die Hände der
                                                                                                                                                Beitragszahlerinnen und Bei-
dungen über                               Das Bundeskabinett beschloss                                     nanzierungslücke wird nicht          tragszahler. Die Selbstverwal-
  Finanzen,                               im Zusammenhang mit dem                                          dauerhaft geschlossen.               tung beweist seit Jahren, dass
                                          Gesundheitsversorgungs- und                                           Wenn die Sozialgarantie in      sie selbstständig für hohe Qua-
  Rücklagen                               Pflegeverbesserungsgesetz ein                                    diesem Jahr nicht ordnungspo-        lität und Stabilität im System
und Beitrags-                             Maßnahmenpaket zur Einhal-                                       litisch sauber über einen ausrei-    sorgt. Statt immer neue Löcher
sätze gehören                             tung der sogenannten Sozialga-                                   chenden Steuerzuschuss finan-        im Nachhinein stopfen zu müs-
                                          rantie 2021. Damit soll ein                                      ziert wird, ist vorprogrammiert,     sen, sollte die Politik lieber im
in die Hände                              16,6 Milliarden Euro großes Loch                                 dass die Krankenkassenbeiträ-        Vorfeld ihrem Drang widerste-
der Beitrags-                             in der gesetzlichen Krankenversi-                                ge ab Mitte 2021 geradezu ex-        hen, das System mit immer neu-
 zahlerinnen                              cherung (GKV) gestopft werden,                                   plodieren. Allein in Baden-Würt-     en Gesetzen und damit verbun-

 und -zahler«                             um so die 40-Prozent-Marke bei                                   temberg werden Versicherte und       denen zusätzlichen Ausgaben zu
                                          den Sozialversicherungsbeiträ-                                   Arbeitgeber mit mehr als 600         belasten. Ich wünsche mir, dass
                                          gen nicht zu überschreiten. Im                                   Millionen Euro belastet. Gepaart     der Gesetzgeber häufiger so fo-
                                          Prinzip ein guter Gedanke, wenn                                  mit der geplanten sogenannten        kussiert agieren würde, wie wir
        Peer-Michael Dick                 da nicht der vorgesehene Zugriff                                 Regionalkomponente im Kran-          es im Verwaltungsrat mit Blick
      Alternierender Vorsitzender
       des Verwaltungsrates der           des Gesetzgebers auf die Rück-                                   kenkassen-Finanzausgleich droht      auf ein leistungsfähiges und
AOK Baden-Württemberg, Arbeitgeberseite
                                          lagen erfolgreicher Kranken-                                     allein 2021 mehr als eine Milli-     dennoch finanzierbares Gesund-
                                          kassen wäre, um sie auf andere                                   arde Euro aus dem baden-würt-        heitswesen tun.

                                                                                                                       1/2020
Seite 17       STANDPUNKT

                                                             MORBI-RSA

              Gute Versorgung belohnen
 Die sogenannte Regionalkomponente sorgt dafür, dass Baden-Württemberg künftig
   ineffiziente Strukturen in anderen Bundesländern subventioniert. Das ist ungerecht

  B         aden-Württemberg
            ist das Bundes-
            land der ländlichen
                                    der aus Baden-Württemberg
                                    abgezogen, um ineffiziente Ver-
                                    sorgungsstrukturen in anderen
                                                                         trag erfüllen und keine Vor-
                                                                         kehr für die Zukunft treffen. Das
                                                                         darf nicht so bleiben. Nebenbei:        »Die wirt-
Räume. Regionalität, eine hohe      Bundesländern zu subventionie-       Die gesetzlichen Krankenkas-            schaftlich
Lebensqualität, wohnortnahe         ren. In anderen Bundesländern        sen (GKV) und ihre Versicherten       erfolgreichen
sowie innovative gesundheitliche    lohnt es sich jetzt beispielswei-    tragen große finanzielle Lasten
und pflegerische Versorgungs-       se, ineffiziente und aufgeblähte     zur Bewältigung der Pandemie.
                                                                                                                  Kassen
strukturen prägen das Bundes-       Strukturen im Gesundheitssys-        Die private Krankenversicherung       stehen als die
land im Südwesten. Diese guten      tem – zum Beispiel eine über-        (PKV) macht sich dagegen einen         Dummen da
Versorgungsstrukturen sind jetzt    höhte Zahl an Kliniken in Bal-       schlanken Fuß und ist an we-
durch Änderungen beim Finanz-       lungsgebieten – zu erhalten oder     sentlichen Maßnahmen wie der
                                                                                                                – das ist ein
ausgleich der Krankenkassen in      künstlich wiederaufzubauen.          Coronapflegeprämie für Pfle-          verheerendes
Gefahr. Im Frühjahr dieses Jahres   Bisher hatten die starken und        gepersonal in Altenheimen und           Signal für
war mit dem Fairer-Kassenwett-                                           den präventiven Testungen der
bewerb-Gesetz unter anderem                                              Bevölkerung nicht beteiligt. Es ist
                                                                                                                das System«
beschlossen worden, im mor-
                                      »Die Regional-                     nicht nachvollziehbar, weshalb
biditätsorientierten Risikostruk-      komponente                        die Beitragszahler der GKV zur             Monika Lersmacher

turausgleich (Morbi-RSA) eine           zieht Geld                       Kasse gebeten werden und die
                                                                                                                   Alternierende Vorsitzende des
                                                                                                                    Verwaltungsrates der AOK
                                                                                                               Baden-Württemberg, Versichertenseite
sogenannte Regionalkomponen-           aus effizient                     PKV hier außen vor bleibt. Das
te einzuführen, um regionale                                             ist dringend zu ändern!
Unterschiede bei den Zuweisun-
                                        versorgten
gen aus dem Gesundheitsfonds            Regionen«
auszugleichen – angeblich, um
etwaige Risikoselektionsanreize     wirtschaftlich erfolgreichen
auf Basis des Wohnorts der Ver-     Krankenkassen eine Vorbildfunk-
sicherten zu reduzieren.            tion für die übrigen. Jetzt ste-
                                    hen sie als die Dummen da. Wer
VERHEERENDE WIRKUNG                 nachhaltig und vorausschauend
Das ist eine falsche Einschät-      wirtschaftet, sich dem Preis- und
zung und nicht gut für das Land.    Leistungswettbewerb stellt, da-
Denn die nun vom Bundesamt          für mit Ärzten, Krankenhäusern
für soziale Sicherung beschlosse-   und Therapeuten an guten und
ne Umsetzung der Regionalkom-       effizienten Strukturen arbeitet,
ponente zieht Gelder aus Regio-     weitsichtig Rücklagen bildet und
nen mit qualitativ hochwertiger     im Interesse der Beitragszahler
und effizienter Versorgung ab       auf Qualität und Stabilität setzt,
– aus Baden-Württemberg ab          dem nimmt man die monetären
2021 dauerhaft rund 450 Millio-     Früchte seiner Arbeit – ein ver-
nen Euro jährlich.                  heerendes Signal!
   Statt das hervorragend auf-         Die Krankenkassen, denen
gestellte Gesundheitswesen im       die neuen Regeln zugute kom-
Land weiter zu verbessern und       men, sind diejenigen, die mit
zum Beispiel digitaler zu ma-       möglichst wenig Aufwand den
chen, werden nun massiv Gel-        gesetzlichen Versorgungsauf-

                                                                              1/2020
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