POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ - DER AFD-KLIMADISKURS - BUDRICH ...

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POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ

Populismus und
Klimaschutz
Der AfD-Klimadiskurs

                                                                        von Georg Sturm

                                                                                                   69

Abstract
Die Auseinandersetzung um die Ausgestaltung des Klimaschutzes bestimmt
spätestens seit dem Aufkommen der „Fridays for Future“-Bewegung einmal
mehr die öffentliche Debatte in Deutschland. Als Reaktion auf die Klima­
bewegung hat die Alternative für Deutschland (AfD) den Kampf gegen den
­K limaschutz zur neuen Hauptaufgabe ihrer Partei auserkoren. Ziel dieses
 Beitrags ist es – unter Rückgriff auf ökonomische, kulturelle und politische
 Erklärungsansätze für das Erstarken autoritär-populistischer Parteien – zu

                                                                                        abstract
 untersuchen, inwiefern die AfD mit ihrem Klimadiskurs populistisches
 ­Protestpotenzial adressiert. Die qualitative und quantitative Auswertung der
  AfD-Pressemitteilungen zu diesem Thema zeigen, dass die AfD in ihrem
  Anti­-Klimadiskurs in erster Linie die Angst vor ökonomischen Einbußen
  schürt und soziale Abstiegsängste ihrer (potenziellen) Wähler*innenschaft
  anspricht, sich aber auch an das aus einem kulturellen Wertewandel und
  ­politischer ­Entfremdung resultierende, autoritär-populistische Protestpotenz­ial
   richtet. Aus dieser Erkenntnis werden Empfehlungen für eine Klimaschutz­
   politik ­abgeleitet, welche die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erhöhen
   ­könnten.

Schlagwörter
Populismus; Klimaschutz; Alternative für Deutschland

SOZIOLOGIEMAGAZIN          https://doi.org/10.3224/soz.v13i2.06      Umwelt und Gesellschaft
POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ

     1. Einleitung                                Folgenden als „ideale Vorlage für Kritik
                                                  von populistischen Bewegungen“ und ein
     In einem Gespräch mit der „Welt“ erklärte    Spiegelbild gesellschaftlicher Stimmungs-
     der Parteivorsitzende der „Alternative für   lagen angesehen (Radtke et al. 2019: 5f.).
     Deutschland“ (AfD) Alexander Gauland
     im September 2019 den Kampf gegen den        Ziel dieses Beitrags ist es, zu untersuchen,
     Klimaschutz zur neuen Hauptaufgabe sei-      inwiefern die AfD mit ihrem Klimadiskurs
     ner Partei: „Die Kritik an der sogenannten   populistisches Protestpotenzial adressiert.
     Klimaschutzpolitik ist nach dem Euro und     Hierbei wird von einem Diskursbegriff aus-
     der Zuwanderung das dritte große Thema       gegangen, nach dem soziale Akteur*innen
     für die AfD.“ (zitiert nach Kamann 2019)     sowohl als diskursiv konstituierte Han-
     Während die Auseinandersetzung um den        delnde als auch als aktive Produzent*innen
     Klimaschutz spätestens seit dem Aufkom-      und Rezipient*innen von Diskursen in
70   men der „Fridays for Future“-Bewegung        Erscheinung treten (vgl. Keller 2008: 12).
     die öffentliche Debatte in Deutschland       Da das Forschungsinteresse dieses Beitrags
     bestimmt, versucht die AfD einen Gegen-      darin besteht, zu untersuchen, wie die AfD
     diskurs zu etablieren, indem sie sowohl      ein bestimmtes Klima-Narrativ strategisch
     den Klimawandel an sich infrage stellt als   einsetzt, liegt der Fokus weniger auf dem
     auch die Klimapolitik der Bundesregierung    Aspekt, wie Subjekte diskursiv produziert
     und die klimapolitischen Positionen ande-    werden, sondern vielmehr auf der Rolle
     rer Akteur*innen grundsätzlich kritisiert    handelnder Akteur*innen im Prozess der
     („Klimahysterie“; Meuthen 2019).             Diskursproduktion. Dadurch soll die F  ­ rage
                                                  beantwortet werden, warum die AfD die-
     Die mit der Energiewende und dem Klima-      ses Thema zur neuen Hauptaufgabe der
     schutz einhergehenden Transformations-       Partei erklärt hat. Unter Rückgriff auf
     prozesse sind aus sozialwissenschaftlicher   ökonomische, kulturelle und politische
     Perspektive von erheblicher Relevanz, da     Erklärungsansätze für das Erstarken au-
     sie zeigen, wie gesellschaftliche Aushand-   toritär-populistischer Akteur*innen (vgl.
     lungs- und Verarbeitungsprozesse ablau-      Zürn 2018) wird abschließend diskutiert,
     fen. Neben klassischen energiepolitischen    welche der Erklärungsansätze die von der
     Analysen im Kontext der Energiewende­        AfD eingenommene Haltung und dis­
     forschung wird hierbei vermehrt auf An-      kursive Strategie zu diesem spezifischen
     sätze aus der Diskurs-, Lebenswelt- und      Thema am besten erklären.
     sozialen Bewegungsforschung zurückge-
     griffen. Der politische und gesellschaft­    In einem ersten Schritt werden der Begriff
     liche Kontext der Energiewende wird im       des (autoritären) Populismus ­theoretisch

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konzeptualisiert und die drei zentralen        2. Autoritärer Populismus und
Erklärungsansätze für dessen Erstarken         seine Erklärungsansätze
skizziert. Die ökonomische Unsicher-
heitsperspektive (vgl. Manow 2018; Kohl-       Für den niederländischen Politikwissen-
rausch 2018), der kulturelle Wertewandel       schaftler Cas Mudde (2004) ist Popu-
(Inglehart/­Norris 2016; de Wilde et al.       lismus von zwei zentralen Merkmalen
2019) und die politische Entfremdung           gekennzeichnet: Zum einen teilt diese
(Zürn 2018) dienen als Konzepte, aus           Ideologie die Gesellschaft in zwei in sich
denen deduktive Oberkategorien für die         homogene und antagonistische Gruppen
kategoriengeleitete qualitativ-­orientierte    ein – „the pure people“ auf der einen und
Textanalyse abgeleitet werden. Mithilfe die-   „the ­corrupt elite“ auf der anderen Seite
ser wird AfD-Klimadiskurs auf Grundlage        (Mudde 2004: 543). Zum anderen unter-
der Pressemitteilungen des AfD-Bundes-         stellt der Populismus, es gäbe den einen
vorstands zum Thema „­Klima“ aus dem           „volonté générale“, dessen Umsetzung er         71
Jahr 2019 in einem zweiten Schritt inhalts-    für sich beansprucht (ebd.). Als „­dünne“
analytisch untersucht und im Hinblick          Ideologie („thin-­centred ideology“) habe
auf die verschiedenen Erklärungsansätze        Populismus einen nur begrenzten ideo-
sowohl interpretativ als auch quantitativ      logischen Kern (Freeden 1998: 750), der
ausgewertet.                                   sich auf der Grundlage der beiden ge-
                                               nannten Merkmale mit unter­schiedlichen
Mithilfe der Ergebnisse wird abschließend      „host ideologies“ verbinden lässt. Inner-
die Frage beantwortet, welche Erklärungs-      halb der verschiedenen Definitionen in
muster die Auswahl dieses Themas als           der Populismusforschung eignet sich
Hauptaufgabe der Partei plausibel be-          ein solcher Populismusbegriff am bes-
gründen können. Zudem wird diskutiert,         ten, da er Populismus nicht nur auf seine
welche politischen Lehren aus diesen For-      politisch-­kommunikative Strategie redu-
schungsergebnissen gezogen werden kön-         ziert (wie dies etwa Jagers/Walgrave 2007;
nen, um Klimaschutzpolitik gegen Angriffe      ­Bonikowski 2017 tun), sondern auf dessen
autoritär-populistischer Akteur*innen zu        („dünnen“) ideo­logischen Kern abzielt, der
wappnen und die gesellschaftliche Ak-           von Anti-Elitismus und Volkszentriertheit
zeptanz für Klimaschutz-Maßnahmen               gekennzeichnet ist.
zu erhöhen.
                                               Da diese Definition verschiedene Aus-
                                               prägungen des Populismus umfasst und
                                               der verbreitete Begriff des Rechtspopu-
                                               lismus zur Charakterisierung der AfD

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     verharmlosend und aufgrund seiner              Krise der Demokratie, sondern vielmehr
     häufigen Nutzung als politischer Kampf-        das Ergebnis einer tiefen Legitimations­
     begriff unpräzise ist, wird im Folgenden       krise der demokratischen Repräsentation
     auf das Konzept des völkisch-autoritären       (vgl. Manow 2020: 21). Diese Überlegung
     Populismus des Sozialwissenschaftlers          weist daraufhin, dass populistischer Protest
     Alexander Häusler (2019) zurückgegriffen.      als Korrektiv einer niedrigen Responsivität
     Dessen Charakterisierung ist geeignet, da      des politischen Systems gegenüber be-
     sie richtigerweise feststellt, dass die AfD    stimmten Interessen funktionieren kann.
     als parteipolitisches Dach verschiedener       Vor diesem Hintergrund dient die Analyse
     Milieus sowohl (rechts)populistische als       des AfD-Klimadiskurses auch der Identi-
     auch autoritäre, völkisch-nationalistische   fikation möglicher Repräsentationslücken
     und extrem rechte Positionen und Strate-       in der Klimaschutzpolitik. Daraus sollen
     gien in sich vereint (ebd.: 83ff.).            Empfehlungen abgeleitet werden, wie
72                                                  Klima­politik eine höhere gesellschaftliche
                                                    Akzeptanz erlangen kann.
     2.1 Populismus und Demokratie
                                                    Wieso es in den letzten Jahren zu einem
     Das Verhältnis des Populismus zur Demo-        Aufstieg autoritär-populistischer Parteien
     kratie ist Gegenstand einer kontroversen       in Europa kommen konnte, wird in der Po-
     Debatte in der Politischen Theorie und Po-     litikwissenschaft und Soziologie ­kontrovers
     pulismusforschung. Vertreter*innen eines       diskutiert. Im Wesentlichen lassen sich
     deliberativen Demokratieverständnisses         die verschiedenen Ausführungen drei
     stellen eher die negativen und demokratie-     zen­tralen Erklärungsansätzen zuordnen
     gefährdenden Aspekte des (autoritären)         – einer ökonomischen, einer kulturellen
     Populismus in den Vordergrund. Ihnen           und einer politischen Erklärung. Diese
     zufolge ist der Populismus anti-liberal,       werden im Folgenden in ihren Grundzügen
     anti-pluralistisch und anti-multilateral       skizziert, um daraus Kategorien abzuleiten,
     (vgl. Zürn 2018: 3).                           die die inhaltsanalytische Untersuchung des
                                                    AfD-Klimadiskurses strukturieren können.
     Anhänger*innen eines antagonistischen
     Demokratieverständnisses betonen hin-          Hierbei ist es wichtig anzumerken, dass
     gegen den demokratisierenden Charakter         es sich bei der Zustimmung zu autoritär-­
     von populistischen Ausdrucksformen (vgl.       populistischen Parteien und Bewegungen
     Laclau 2018; Mouffe 2018). Der Politologe      um ein vielschichtiges Phänomen han-
     Philip Manow sieht in dem Erfolg populis-      delt, das sich nicht monokausal erklären
     tischer Akteur*innen keinen Ausdruck der       lässt (vgl. Dörre et al. 2018: 58). Die drei

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z­ entralen Erklärungen sind – anders als        ­ ntwicklungsniveaus sorgte, nahm die
                                                 E
 oftmals von den Vertreter*innen der jewei-      Ungleichheit innerhalb der westlichen
 ligen Ansätze unterstellt – durchaus mitei-     Industrieländer zu (Alvaredo et al.: 13ff.).
 nander verwoben. Auf die Interdependen-         Dem enormen Einkommensanstieg in
 zen der verschiedenen Erklärungsansätze         der Mittelklasse der Weltgesellschaft, also
 hebt insbesondere Klaus Kraemer (2018:          insbesondere der sogenannten Schwellen-
 288) ab, wenn er feststellt, „dass wechsel-     länder wie China und Indien, steht eine
 seitige Beeinflussungen oder Steigerungen       Stagnation der Einkommen der etablierten
 von kulturellen, sozioökonomischen und          Arbeiter*innenschaft in den ehemaligen
 soziopolitischen Faktoren möglich sind“.        Industrieländern und ein enormer Zuge-
 Beispielsweise sei zu vermuten, dass eine       winn der oberen Einkommensschichten in
 stabilere sozioökonomische Position die         diesen Ländern entgegen (vgl. Milanović
 Gelassenheit steigere, kulturelle Vielfalt im   2016: 11).
 Alltag zu akzeptieren. Auf die Verwoben-                                                        73
 heit der ökonomischen und der kulturellen       Der Sozialwissenschaftler Oliver Nachtwey
 Position verweist auch Floris Biskamp und       (2016) spricht in Anbetracht der Ein-
 argumentiert, dass die „Ökonomie selbst         kommensentwicklung in Deutschland
 […] durch Faktoren mitstrukturiert [sei],       von einer „Abstiegsgesellschaft“. Während
 die gemeinhin als ‚kulturell‘ verstandenen      der keynesianische Kapitalismus in der
 werden“ (Biskamp 2019: 470). Beispiels-         „sozialen Moderne“ ein hohes jährliches
 weise hingen die meist der kulturellen          Wirtschaftswachstum und analog zur Ent-
 Sphäre zugeordneten Konfliktfelder rund         wicklung der Arbeitsproduktivität steigen-
 um Geschlecht und Ethnizität eng mit öko-       de Nettorealverdienste sowie eine größere
 nomischen Fragen zusammen (ebd.: 471).          soziale Mobilität ermöglichte, nahm dieser
                                                 „kollektive Fahrstuhleffekt“ (Beck 1986:
                                                 124), also der zeitgleiche materielle Zuge-
2.2 Ökonomische Erklärung                        winn verschiedener Klassen, in den letzten
                                                 Jahrzehnten ab. Seit Beginn der 1990er
Die ökomische Erklärung macht in erster          Jahre stiegen die Haushaltseinkommen
Linie die materiellen Folgen des mit der         der oberen sechzig Prozent in Deutschland
Globalisierung einhergehenden Struk-             an, während die unteren vierzig Prozent
turwandels in den ehemaligen Indus-              in diesem Zeitraum Lohnstagnation und
triegesellschaften für den Aufstieg des          -verluste erlebten (Nachtwey 2019: 3).
autoritären Populismus verantwortlich.           Zudem lässt sich in diesem Zeitraum eine
Während die Globalisierung in den letzten        deutliche Zunahme atypischer Beschäfti-
Jahrzehnten für einen Anstieg des globalen       gungsverhältnisse feststellen. Waren im

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     Jahr 1991 noch 79 Prozent aller Arbeit-           Gerechtigkeitsfragen eine Rolle spielen.
     nehmer*innen in einem Normalarbeits-              Insbesondere in unteren Schichten wird
     verhältnis beschäftigt, sank dieser Anteil        es als ungerecht wahrgenommen, dass bei
     auf 68,3 Prozent im Jahr 2014. Im selben          öffentlichen Ausgaben jahrelang gespart
     Jahr waren 29,9 Prozent der Erwerbstätigen        wurde, für Geflüchtete jedoch Geld gezahlt
     atypisch, beispielsweise befristet, in Teilzeit   werde. Für diese Personen scheint die AfD
     oder über Leiharbeit, angestellt (ebd.: 3ff.).    eine Lücke zu füllen und „eine Alternative
     In einer Studie für die gewerkschafts­nahe        zur Merkelschen Flüchtlingspolitik anzu-
     Hans-Böckler-Stiftung argumentiert die            bieten“ (Hambauer/Mays 2018: 151). Ein
     Soziologin Bettina Kohlrausch (2018: 4),          ähnliches Phänomen lässt sich in Bezug
     „dass soziale Verunsicherung und so-              auf das Thema Klimaschutz beobachten,
     ziale Ängste wichtige Treiber der AfD             wie die folgende Analyse des AfD-Klima-
     Wahl sind“. Auch wenn Abstiegsängste              diskurses zeigt.
74   bei Geringverdiener*innen am stärksten
     ausgeprägt seien, betreffe die Sorge vor
     gesellschaftlichem Abstieg auch Personen          2.3 Kulturelle Erklärung
     aus der Mittelschicht mit vergleichsweise
     hohem Einkommen.                                  Während die ökonomische Erklärung die
                                                       materiellen Folgen des Strukturwandels
     Deren Abstiegsängste resultierten vielmehr        durch die Globalisierung in den Vorder-
     aus einem Gefühl des „Ausgeliefertseins“          grund rückt, nehmen die kulturellen Er-
     und der Sorge vor gesellschaftlichen Ver-         klärungsansätze den mit dieser Entwick-
     änderungen am Arbeitsplatz durch Glo-             lung einhergehenden Wertewandel in den
     balisierung und Digitalisierung speisen           Blick. Das Aufkommen des autoritären
     (vgl. ebd.: 18, 22). In diesem Gefühl der        Populismus wird im Wesentlichen als
     sozialen Verunsicherung sieht Kohlrausch          Gegenreaktion auf diesen Wertewandel
     den Nährboden für den Aufstieg der AfD.           verstanden, der sich an den Schlagwörtern
                                                       Post-Materialismus, Multikulturalismus
     Korte et al. stellen fest, dass die AfD           und Feminismus festmacht (vgl. Zürn
     eine „typische ‚Defizitpartei‘“ sei, die für      2017.: 3f.). Diese Erklärung verweist auf
     Wähler*­innen attraktiv sei, da sie Ange-         eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie,
     bote mache, die bei den etablierten Par-          die als Ergebnis der sozialen Revolution der
     teien (vermeintlich) fehlten (2015: 60).          Globalisierung die im 20. Jahrhundert prä-
     Beispielsweise wird vermutet, dass in der         dominante Auseinandersetzung zwischen
     ablehnenden Haltung der AfD-­Anhänger*­           Kapital und Arbeit, zwischen Links und
     innen gegenüber Geflüchteten oftmals              Rechts, um eine kulturelle Dimension er-

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"
            Das Aufkommen des autoritären ­Populismus
             wird im Wesentlichen als Gegenreaktion auf
                 diesen Werte­wandel ­verstanden, der sich
               an den S­ chlagwörtern Post-Materialismus,
           Multikulturalismus und Feminismus festmacht.
weitert, den Gegensatz zwischen Kosmo-         den und offen für Veränderung sind, sind
polit*innen und Kommunitarist*innen            die „Somewheres“ – oftmals aufgrund
(vgl. ebd.: 4).                                geringerer Bildung und finanzieller Aus-
                                               stattung – lokal oder regional gebunden
Der Politikwissenschaftler Michael Zürn        und lehnen Veränderung, insbesondere
sieht im autoritären Populismus und im         Zuwanderung, ab (vgl. Goodhart 2020:
Neoliberalismus jeweils eine „schmut-          60ff.). Die darauf basierenden Narrative        75
zige“ Variante (2018: 7) der politischen       und Identitätskonzepte betonen die Be-
Ideologien des Kommunitarismus des             deutung des Nationalen und der Heimat,
Kosmopolitismus. Der Gegensatz von Kos-        was als Abwehrreaktion auf eine sich ver-
mopolit*innen und Kommunitarist*innen          ändernde globalisierte Welt verstanden
kondensiert sich an der Bewertung der          werden kann. Der kulturelle Liberalismus
Bedeutung von Grenzen: Während sich            und der damit verbundene Wertewandel
Kosmopolit*innen tendenziell für offene        („silent revolution“) sind in westlichen
Grenzen und Multilateralismus einsetzen,       Gesellschaften so dominant geworden,
betonen Kommunitarist*innen die ord-           dass dies zu einer aggressiven Gegen­
nungspolitische Ebene des Nationalstaats       reaktion einstmals kulturell dominanter
zur Verwirklichung von Demokratie und          Sektoren geführt hat, die eine Erosion ihrer
Gerechtigkeit (vgl. ebd.: 7f.).                Privilegien und ihres Status befürchten
                                               (Inglehart/Norris 2016: 3).
In diesem kulturellen Konflikt stehen
sich Globalisierungsgewinner*innen
und -verlierer*innen entgegen. Wer von         2.4 Politische Erklärung
den kulturellen Vorteilen der Globali-
sierung profi­tieren kann, hängt stark         Die politische Erklärung für den Auf-
vom transnationalen Sozialkapital ab           stieg des autoritären Populismus, die
(vgl. de Wilde et al. 2019). Während die       insbesondere von Michael Zürn (2018)
­sogenannten „Anywheres“ über höhere           vertreten wird, baut auf dieser neuen ge-
 ­Mobilität v­ erfügen, an keinen Ort gebun-   sellschaftlichen Konfliktlinie zwischen

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POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ

     Kosmopolit*innen und Kommunitarist*­                 ­ ehrheit“ und der „korrupten Eliten“
                                                          M
     innen auf. Sie bezieht diese auf durch die           (Zürn 2017: 4f.). Insbesondere im Nach-
     strukturellen Entwicklungen der letzten              gang zu Krisensituationen ist dieses Nar-
     Jahrzehnte veränderten Prozesse der po-              rativ vielversprechend, da sich in diesen
     litischen Entscheidungsfindung. Aus einer            Momenten der kosmopolitische Bias der
     historisch-institutionalistischen Perspek-           Politiken der nicht-majoritären Institu-
     tive stellt dieser Erklärungsansatz eine             tionen zeigt, wie im Fall der Euro­krise
     zunehmende Verbreitung nicht-majori-                 oder der sogenannten Flüchtlingskrise
     tärer Institutionen – wie Zentralbanken,             (vgl. ebd.: 30).
     Verfassungsgerichte oder internationale
     Organisationen – in konsolidierten Demo­
     kratien fest (vgl. Zürn 2017).                       3. Methodik

76   Innerhalb dieser nicht-majoritären Institu-          Vor dem Hintergrund dieser drei wesent-
     tionen und internationalen Organisationen            lichen Erklärungsansätze für das Aufkom-
     kommt es zu einem kosmopolitischen Bias:             men des autoritären Populismus wird im
     Politische Eliten innerhalb dieser Institu­          Folgenden der AfD-Diskurs zum Thema
     tionen sind besonders kosmopolitisch                 Klimaschutz inhaltsanalytisch ausgewertet.
     ein­gestellt, wohingegen die kommunita-              Die Datengrundlage der Inhaltsanalyse
     ristische Position in nationalen Parlamen-           bilden die Pressemitteilungen des AfD-­
     ten und Parteien tendenziell verbreiteter            Bundesvorstands zum Thema „Klima“ aus
     ist (vgl. Zürn 2018: 12). In diesem Zuge             dem Jahr 2019. Pressemitteilungen sind das
     lässt sich eine gesunkene Responsivität              zentrale Medium der Pressearbeit von Par-
     des poli­tischen Systems gegenüber den               teien. Kommunikationswissen­schaftliche
     Präferenzen der stärker kommunitaristisch            Untersuchungen zeigen, dass die Über-
     eingestellten Gesellschaftsschichten fest­           nahmequoten von Pressemitteilungen
     stellen (vgl. ­Elsässer et al. 2017), was bei die-   von Parteien hoch sind und Themen und
     sen Menschen zu dem Gefühl führt, nicht              Timing der Medienberichterstattung be-
     ausreichend von den nicht-­majoritären               einflussen (vgl. Schulz 2011: 294). Presse-
     Institutionen repräsentiert zu werden.               mitteilungen haben als organisationsseitig
                                                          autorisiertes Vermittlungsmedium zum
     Autoritäre Populist*innen bedienen die               Ziel, die offi­zielle Position der Bundes­
     Gefühle der politischen Exklusion und der            partei und ihrer führenden Vertreter*innen
     Machtlosigkeit dieser (meist kommunita-              zu aktuellen Themen und Ereignissen
     ristisch eingestellten) Bevölkerungsschich-          zu kommunizieren. Pressemitteilungen
     ten über das Narrativ der „­schweigenden             richten sich neben den Journalist*innen als

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­ wischenvermittler*innen an die eigent­
Z                                           vergleichsweise große Datenmengen aus-
liche Zielgruppe der Informationsangebote   gewertet werden können und sie aufgrund
(vgl. Szyszka/Christoph 2015: 801), in      ihres regelgeleiteten Vorgehens intersub-
diesem Fall alle Wähler*innen und po-       jektiv überprüfbar ist, sowie andererseits
tenziellen Unterstützer*innen der Partei.   durch die qualitativ-interpretative Analyse
Sie stellen also ein geeignetes Medium      auch latente Sinngehalte der untersuchten
dar, um sowohl die aktuelle inhaltliche     Texte erfassen und diese kontextualisie-
Positionierung der Partei als auch die      ren kann (vgl. ebd.: 543). Das Vorgehen
kommunikative Strategie und Adressie-       stellt eine Kombination aus deduktiver
rung der (potenziellen) Wählerschaft zu     Kategorienanwendung und induktiver
untersuchen.                                Kategorienbildung dar.

Ein besonderer Fokus wird aus verschie-     Vor dem Hintergrund der theoretischen
denen Gründen auf den Zeitraum von          Überlegungen aus Kapitel 2 wird die             77
September bis Dezember 2019 gelegt.         Analyse durch die drei deduktiven Ober­
Zum einen wurden in diesen Monaten          kategorien strukturiert: 1. Ökonomische
vermehrt Pressemitteilungen zum Thema       Unsicherheit; 2. kultureller Wertewandel
Klima durch die AfD veröffentlicht. Dies    und 3. politische Entfremdung. Auch wenn
deckt sich zeitlich mit der Ankündigung     die drei Erklärungen, wie oben angemerkt,
des AfD-Parteivorsitzenden Gauland, der     in Wechselwirkung zueinander stehen und
Ende September forderte, den Kampf gegen    keine monolithischen Ansätze darstellen,
den Klimaschutz zur neuen Hauptaufgabe      eignen sich diese Dimensionen dennoch
seiner Partei zu machen (Kamann 2019).      aus zwei Gründen zur Ableitung ideal­
Zum anderen fanden in diesen Monaten        typischer Kategorien: Zum einen wird die
mit dem globalen Klimastreik und den        wissenschaftliche Debatte entscheidend
Beratungen des Klimakabinetts über das      durch diese drei Erklärungsansätze struk-
Klimaschutzpaket am 20. September sowie     turiert und die meisten Beiträge lassen sich
der UN-Klimakonferenz und der Ankün-        einer der Strömungen zuordnen. Zum an-
digung des europäischen Green Deals         deren verweisen die drei Erklärungen auf
Anfang Dezember wichtige Ereignisse im      im Kern klar voneinander unterscheidbare
Zusammenhang mit der Klimapolitik statt.    Ursachen für das Erstarken des autoritären
                                            Populismus, auch wenn diese in manchen
Die kategoriengeleitete qualitativ-orien-   Kontexten zusammenhängen oder sich
tierte Textanalyse nach Mayring/Fenzel      potenzieren mögen (vgl. Kraemer 2018:
(2014) ist für diese Fragestellung eine     288). Gleichzeitig identifizieren sie damit
geeignete Methode, da mit ihr einerseits    unterschiedliche Argumentationsweisen

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     und Narrative, die von autoritär-popu-          z­ ugrunde (ebd.: 146f.). Die Ü
                                                                                   ­ berlegungen
     listischen Akteur*innen aufgegriffen und         der Frame-Analyse eignen sich für die
     bedient werden.                                  Fragestellung dieser Arbeit als Erweiterung
                                                      der Inhaltsanalyse, da sie zu verstehen
     Die drei Oberkategorien wurden im Zuge           hilft, inwiefern die AfD bestimmte klima­
     der Auswertung mit induktiv aus dem              politische Sachverhalte unter Bezug auf
     Quellenmaterial entwickelten Kategorien          „appreciative systems“ diskursiv rahmt,
     präzisiert. In Bezug auf das Abstraktions­       um populistisches Protestpotenzial zu
     niveau wurden alle Argumente und Stel-           aktivieren.
     lungnahmen im Material zu den jeweiligen
     klimapolitischen Themen und Fragestel-          Angelehnt an das Verfahren der kategorien­
     lungen in induktive Kategorien codiert.         geleiteten qualitativ-orientierten Text­
     In diesem Fall sind diese induktiven Kate-      analyse nach Mayring und Fenzel (2014)
78   gorien gleichbedeutend mit sogenannten          wurde bei der Inhaltsanalyse, die mithilfe
     Frames.                                         der Open Access-Web­applikation QCA-
                                                     map durchgeführt wurde, in den folgenden
     Frames oder Rahmen werden hier mit Rein         Schritten vorgegangen: Als Kodiereinheit
     und Schön verstanden als „way of selecting,     als kleinstem auszuwertenden Material-
     organizing, interpreting, and making sense      bestandteil wurden mehrere Wörter mit
     of a complex reality“ (1993: 146). Frames       Sinnzusammenhang, bedeutungstragende
     führen ihnen zufolge zu verschiedenen           Phrasen festgesetzt. Die Kontext­einheit,
     Sichtweisen auf die Welt und erzeugen           der größte in eine Kategorie fallende
     damit eine Vielzahl sozialer Realitäten. Das   Textbestandteil, besteht in einem Absatz,
     Framing eines bestimmten Sachverhalts           also einem in mehreren Sätzen entfalteten
     kann verschiedene Bewertungen und da-           Argument. Die Auswertungseinheit stellt
     mit zusammenhängend unterschiedlichen           die Summe aller Pressemitteilungen dar.
     Handlungen als Antwort darauf zur Folge
     haben. Politische Akteur*innen greifen          In einem ersten Test-Durchlauf von etwa
     daher im „Kampf um Ideen“ (Stone 2002:          einem Drittel aller Pressemitteilungen
     13) auf bestimmte Frames als strategisches      wurden induktive Kategorien innerhalb
     Mittel zurück, um einen Sachverhalt zu          der deduktiven Oberkategorien aus dem
     erfassen und in einer bestimmten Weise          Text entwickelt. Nach dem ersten Durch-
     zu ­konstruieren – mit dem Ziel, Deutungs­      lauf wurden Kategorien, welche sich auf
     hoheit zu ­erlangen. Den Frames liegen          einen ähnlichen Gegenstand bezogen,
     dabei immer bestimmte Werte, Normen             zusammengefasst und reduziert. Auf-
     und Ideen, ein „­appreciative system“,          grund mehrfacher Quernennungen von

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­ usprägungen aller Oberkategorien wurde
A                                               während der Generaldebatte über den
eine weitere Oberkategorie „Klimahysterie“      Haushalt des Bundeskanzleramts im Sep-
entwickelt. Die darin enthaltenen Frames        tember 2019 wird wiedergegeben, wie sie
„Vernunft statt Ideologie“ und „Sozialis-       die Schwere des Klimawandels leugnet
mus-Vorwurf “ lassen sich keiner der drei       und dessen Ausmaße als reine Einbildung
Oberkategorien klar zuordnen, sondern           darstellt: Weidel sagt, die Bundesregie-
bilden vielmehr die Grundlage der drei          rung verschwende „Abermilliarden, um
Kategorien, da in ihnen die ablehnende          imaginierte Weltuntergänge in ferner Zu-
Haltung der AfD zu Klimaschutzpolitik           kunft abzuwenden“ (Weidel 11.09.2019).
im Allgemeinen zum Ausdruck kommt.              An anderer Stelle wird der Einfluss des
Im endgültigen Materialdurchlauf erfolgte       Menschen auf das Klima von AfD-Um-
dann anhand des induktiv entwickelten           weltpolitiker Karsten Hilse infrage gestellt
Kategoriensystems mit den vier deduktiven       und der Klimawandel als ein „natürlicher
Oberkategorien die Kodierung aller 29           Prozess seit Hunderten Millionen von             79
Pressemitteilungen.                             Jahren“ beschrieben (AfD 19.09.2019).

                                                In diesem Sinne wird Klimaschutzpolitik
4. Der AfD-Klimadiskurs                         als rein ideologisches und vernunft­befreites
                                                Projekt geframed: Die Energiewende
Die Grundlage für die drei Oberkatego-          wird als „unproduktive[s] ideologische[s]
rien bildet die Sonder-Kategorie „Klima­        Prestigeprojekt[]“ beschrieben (Weidel
hysterie“, die in den drei Frames enthalten     16.10.2019) und Klimaschutzpolitik als
ist, mithilfe derer die AfD den Klimaschutz     „Klimahysterie“ (Brandner 18.12.2019),
als ideologisch getriebenes Projekt darstellt   „Klimawahn“ (Padzderski 19.09.2019)
und den Klimawandel als solchen – mehr          oder „ideologiepolitischer Irrweg“ (­Weidel
oder weniger direkt – leugnet. Da diese         18.10.2019) bezeichnet. An mancher S­ telle
Frames nicht inhaltlich argumentieren,          werden Klimaschutzmaßnahmen der Bun-
sondern den Klimawandel an sich und die         desregierung oder der Europäischen Kom-
Notwendigkeit des Klimaschutzes infrage         mission als „grün-sozialistische Ideologie“
stellen und sich in keine der drei Ober-        (Weidel 11.09.2019) geframed und damit
kategorien einordnen lassen, werden sie         an das kollektive Gedächtnis der Deutschen
an dieser Stelle der Vollständigkeit halber     und die negativen Erfahrungen mit dem
nur kurz skizziert.                             „real existierenden Sozialismus“ im Sinne
                                                eines „appreciative system“ ­appelliert.
In einer Pressemitteilung zur Rede der
AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel

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     4.1 Ökonomische Unsicherheit                  AfD u  ­ nterstellt, die Bundesregierung
                                                   beute „unter dem Vorwand des ‚Klima-
     Innerhalb des Themenkomplexes Klima-          schutzes‘ […] die Steuerbürger skrupellos
     und Umweltpolitik thematisiert die AfD        aus“ und nutze die „Klima-Hysterie“, um
     in ihren Pressemitteilungen besonders         Steuer­er­höhungen durchzusetzen (Weidel
     häufig die Energiewende. Alle Aussagen,       18.10.2019). Die AfD stellt fest, dass eine
     die auf die (vermeintlichen) finanziellen     Verteuerung des Autofahrens und der Ener-
     Folgen für die Bürger*innen abzielen und      gienutzung „vor allem die kleinen Leute“
     die Kosten von Energiewende und Kli-          treffe. Aus dieser Kritik an der ungerech-
     maschutz in den Vordergrund rücken,           ten Verteilung von Kosten durch Klima-
     werden unter dem Frame „Bürger*innen          schutzmaßnahmen leitet sie die pauschale
     zahlen Klimaschutz“ (A2) zusammenge-          Folge ab: „Es gibt keine ‚sozial gerechte‘
     fasst. Die AfD stellt die Energiewende als    Klimapolitik.“ (ebd.)
80   „Albtraum“ für die Bevölkerung dar, was
     sich in hohen Stromkosten bemerkbar           Die eigentlichen Ziele und der Sinn der
     mache (Weidel 05.09.2019). Aus diesem         Klimaschutzmaßnahmen, nämlich die
     Grund fordert die AfD, „die Energiewende,     Reduktion von Treibhausgasen und die
     die außerdem zum Verlust von Millionen        damit verbundene Einhaltung von Klima­
     von Arbeitsplätzen führen wird, sofort zu     zielen, werden in den Pressemitteilungen
     beenden“ (Padzderski 19.09.2019). Dabei       nicht thematisiert. Vielmehr werden ­diese
     wird mehrfach behauptet, dass die „ver-       Maßnahmen als ein Selbstzweck oder
     korkste Energiewende“ und der „über-          gar als absichtliche Drangsalierung der
     hastete Kohleausstieg“ die Bürger*innen       Bevölkerung („Klima-Abzocke“; Weidel
     „immer tiefer in die Tasche greifen“ lasse    27.09.2019) dargestellt.
     und die Stromversorgung in Gefahr (A3)
     sei (Gauland 13.03.2019). Durch den           Indem die AfD stets betont, dass sämtliche
     Verweis auf eine drohende Gefährdung          Klimaschutzmaßnahmen zu Lasten der
     der Versorgungssicherheit mit Strom in        „kleinen Leute“, „des kleinen Mannes“,
     Deutschland werden Ängste vor struktu-        der „ganz normalen Leute“ oder der „Nor-
     rellen Veränderungen adressiert und das       malbürger“ gingen, adressiert sie explizit
     Projekt der Energiewende diskreditiert.       die Bevölkerungsschichten, die, wie oben
                                                   festgestellt, in den letzten beiden Jahrzehn-
     Neben der Energiewende werden sämt-           ten Lohnstagnation oder -verluste erlebt
     liche Klimaschutzmaßnahmen stets als          haben. Sie appelliert an die Abstiegsängste,
     zusätz­liche Kosten für „die ganz nor­malen   die soziale Verunsicherung und das Gefühl
     Leute“ gerahmt (Weidel 27.09.2019). Die       des „Ausgeliefertsein“ der Menschen, die,

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wie Kohlrausch (2018) zeigt, ein wesent­      Klimaschutz“ sei „ein Programm zur Indus-
licher Treiber der Entscheidung sind, AfD     trie- und Arbeitsplatzvernichtung“ (Weidel
zu wählen.                                    11.09.2019) und der „Klimaaktionismus
                                              der Bundesregierung“ nichts anderes als
Diese Ängste versucht die AfD zu schüren,     „eine dramatische Wettbewerbsverzer-
indem sie Klimaschutz als Gefährdung          rung für unsere hei­mische Wirtschaft“
von Wohlstand und Arbeitsplätzen (A1)         (­Protschka 20.09.2019). „Wirtschaftssadisti-
rahmt. Mit ihrer „absurden Klimapolitik“      sche Ökoideo­logen“ gefährdeten Wachstum
trage die Bundesregierung „entscheidend       in Deutschland und die „über Jahrzehnte
zur w
    ­ eiteren Verarmung der Mittelschicht     hinweg mühsam aufgebaute Automobil-
bei“ und treibe Wirtschaft und Arbeits-       industrie und Zuliefererbetriebe“ würden
markt „noch tiefer in die Krise“, sagt        durch „meinungsprägende Ökopopulisten“
AfD-­Fraktions­vor­sitzende Alice Weidel      für deren „vorgeblich grünes Gewissen“
(27.09.2019). Damit knüpft sie an das         zerlegt (Meuthen 22.01.2019). Die „Auto­         81
Gefühl vieler Menschen an, gesellschaft-      mobilindustrie als Motor der Industrie“
lichen Abstieg zu erfahren und von dem        werde „mutwillig im Namen des Klima-
Wirtschaftswachstum der letzten Jahre         wahns beschädigt“ (Weidel 16.10.2019) und
nicht zu profitieren.                         tausende Arbeitsplätze durch die „indus-
                                              triefeindliche Grünen-Politik der Klima-­
Sehr häufig wird die Gefährdung des           Aktivisten“ vernichtet (Kalbitz 06.08.2019).
Wirtschaftsstandorts Deutschland und
der deutschen Automobilindustrie durch        Neben der Sorge vor gesellschaftlichem
Klimaschutzmaßnahmen betont. Die AfD          Abstieg adressiert die AfD mit diesen
appelliert damit an das „appreciative sys-    Horrorszenarien die Angst vieler Men-
tem“ des in Deutschland tief ver­ankerten     schen, insbesondere der traditionellen
Stolzes auf die Automobil­industrie als Ar-   Arbeiter*innenschaft, vor einem (durch die
beitsplatzgarant und Motor für Wohlstand      Globalisierung bedingten) Struktur­wandel.
und Wirtschaftswachstum: Der „pseudo-­        Es wird versucht, die ökonomischen

"
                   Es wird versucht, die ökonomischen
    ­Globalisierungsverlierer*innen gegen ­Klimaschutz
     aufzubringen, indem ­dieser für Ungerechtigkeiten
          und ­möglicherweise ­drohende ökonomische
                 Verluste ­verantwortlich gemacht wird.

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     ­G lobalisierungsverlierer*innen gegen        und Inbegriff kosmopolitischer Werte und
      Klimaschutz aufzubringen, indem dieser       Lebensweisen fungieren hierbei Mitglieder
      für Ungerechtigkeiten und möglicherweise     und Anhänger*innen der Partei Bündnis
      drohende ökonomische Verluste verant-        90/Die Grünen. Indem AfD-Parteivize
      wortlich gemacht wird. Besonders deutlich    Georg Padzderski behauptet, „die ­Grünen
      wird dies bei einer Pressemitteilung im      schwimmen im linksliberalen Mainstream
      Namen von Alexander Gauland, in der der      der Elite und üben die kulturelle Hege­
      AfD-Fraktionsvorsitzende insinuiert, „dass   monie aus“ (Padzderski 11.06.2019), zielt er
      nun tausende Kohlekumpel vom Ruhrpott        auf den mit dem kulturellen L ­ iberalismus
      bis in die Lausitz keine Zukunft mehr ha-    verbundenen Wertewandel („silent revolu-
      ben und von Armut bedroht sind“, sei „den    tion“) ab und befeuert den oben beschrie-
      Grünen egal“ (Gauland 15.09.2019). Hier      benen kulturellen ‘Backlash‘ der eher tra-
      werden die berechtigten Zukunftssorgen       ditionalistisch eingestellten Bevölkerung.
82    der alten Industriearbeiter*innenschaft
      instrumentalisiert, um die Notwendigkeit     Unter Verweis auf die globale Konkurrenz
      des Klimaschutzes infrage zu stellen. Die    stellt Padzderski fest, dass über Deutsch-
      an dieser Stelle vorgenommene Gegen-         lands Zukunft „keine CO2-Steuer, ­keine
      überstellung der Interessen von Menschen     Biotonne, kein Radfahrweg und kein
      in ländlichen Industrieregionen und den      Verbot von Fleisch“ entscheide (ebd.).
      politischen Forderungen der (meist als       Klimaschutz wird hierdurch reduziert
      kosmopolitisch assoziierten) Grünen leitet   auf die Verteuerung von Konsum, als ein
      zur nächsten Oberkategorie über.             Angriff auf die persönliche Freiheit und als
                                                   kultureller Imperativ im Konflikt mit tra-
                                                   ditionellen Lebensweisen. Im Zusammen-
     4.2 Kultureller Wertewandel                   hang mit der Debatte um eine CO2-Steuer
                                                   betont die AfD stets die Auswirkungen auf
     In mehreren Pressemitteilungen der Bun-       Berufspendler*innen, also insbesondere
     despartei kontrastiert die AfD die „nor-      Bewohner*innen ländlicher Regionen, von
     malen Leute“ mit dem Feindbild einer          Kleinstädten und Vororten, und adressiert
     „großstädtischen Elite“. Indem sie auf        damit die „alte Mittelklasse“, die sich in
     Unterschiede zwischen den Werten und          ihrer Lebensweise und Werten von der
     Lebensweisen dieser beiden Gruppen            kosmopolitischen und oftmals urbanen
     verweist, zielt sie explizit auf die neue     „neuen Mittelklasse“ unterscheidet (vgl.
     gesellschaftliche Konfliktlinie zwischen      Reckwitz 2017: 274ff.). Den Gegensatz
     (städtischen) Kosmopolit*innen und Kom-       zwischen einer moralisierenden und
     munitaristen*innen (A5) ab. Als Feindbild     „abgehobenen Elite“ und den „einfachen

     Umwelt und Gesellschaft                                              SOZIOLOGIEMAGAZIN
POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ

Leuten“ (A6) betont Gauland in einer           rahmen und den Schutz der „heimatlichen
Stellungnahme zum Grünen-Parteitag             Umwelt“ dieser entgegenzustellen. Der
2019, indem er deren Beschlüsse als „eine      erneuerbare Energieträger der Windkraft-
Mischung von Schizophrenie und mora-           anlagen steht hier als Inbegriff für diesen
lischer Überheblichkeit, die alle zulasten     konstruierten Gegensatz zwischen Klima
der Bürger gehen“ beschreibt (Gauland          und Umwelt, indem behauptet wird, dass
18.11.2019). Der „moralisierende grüne         durch Windkraftanlagen in Deutschland bis
Zeigefinger“ werde überall schmerzhaft         zu 100.000 Vögel und bis zu 200.000 Fleder-
zu spüren sein, unter anderem dadurch,         mäuse pro Jahr stürben und „Lebensraum
dass sich Autofahren und Fleischkonsum         für F­ auna und Flora und Kultur­landschaften
verteuere (ebd.). Diese Warnung vor der        in unvorstellbarer Größe vernichtet“ ­würde
Verteuerung einer bestimmten – meist           (ebd.). Die AfD macht hier also eine andere
eher als kommunitaristisch gelesenen –         Abwägung auf: Die (sichtbar und lokal)
Lebensweise illustriert beispielhaft, dass     ­sterbenden Vögel aufgrund von Windkraft-        83
kulturelle und ökonomische Erklärungen          anlagen sind ihnen wichtiger als (global)
miteinander verschränkt sein können und         sterbende Tierarten aufgrund des Klima-
von autoritär-populistischen Akteur*innen       wandels.
diskursiv in ein und demselben Argument
verarbeitet werden.                             Diese Betonung des Nationalen und der
                                                Heimat wird im Sinne der kulturellen Er-
Anstelle des Klimaschutzes versucht die         klärung als Abwehrreaktion auf eine sich
AfD in zahlreichen Pressemitteilungen den       verändernde, globalisierte Welt verstanden.
Umweltschutz positiv zu besetzen und als        Das Narrativ der zu schützenden Heimat
Alternative ins Spiel zu bringen (A8). Das      adressiert die sogenannten „Somewheres“,
„appreciative system“, das diesem Frame zu-     die oftmals aufgrund geringerer Bildung
grunde liegt, ist die semantisch eng mit dem    und finanzieller Ausstattung stärker an
Begriff der Heimat verbundene Umwelt. So        lokale oder regionale Strukturen g­ ebunden
plädiert die AfD für „eine Umweltpolitik,      sind (vgl. Goodhart 2020). Durch die
die nicht alleine der Klimaindustrie dient,    ­prognostizierte Vernichtung der heimat-
sondern unsere Heimat, ihre Menschen und        lichen Umwelt sollen die Ängste derjenigen
ihre Natur schützt“ (Padzderski 19.09.2019).    geschürt werden, die Veränderung ohnehin
Die eigens dafür gestartete Kampagne            eher ablehnen.
„­Grüne stoppen – Umwelt schützen!“
mit eigener Kampagnen-Website verfolgt
das Ziel, (grüne) Klimaschutzpolitik als
interessen­gesteuerte „Klimaindustrie“ zu

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POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ

     4.3 Politische Entfremdung                    Energieträger und eine höhere Bepreisung
                                                   fossiler Energieträger die EU-Mitglieds-
     In diesem Zusammenhang werden die so-         staaten bis 2050 klimaneutral machen
     genannten „Anywheres“ als Feindbild kon-      will, sei „ein Sammelsurium an totalitären
     struiert. Tendenziell eher kosmopolitisch     Maßnahmen, die ein Diktator nicht hätte
     eingestellte Entscheidungsträger*innen        toppen können“ (ebd.). Dadurch wird
     werden als „E-Auto-Planungsbürokraten         versucht, das Gefühl der Menschen, nicht
     in Brüssel und Berlin“ dargestellt (Weidel    ausreichend von den nicht-majoritären
     13.12.2019). Dieses Framing der Entschei-     Institutionen repräsentiert zu werden, zu
     dungsträger*innen suggeriert, dass sich       nutzen, um die EU-Klimaschutzpolitik als
     Politiker*innen in Deutschland und der        undemokratisch darzustellen.
     EU der demokratischen Kontrolle ent­
     zogen hätten („Planungsbürokraten“) und       Limmer beklagt in diesem Zusammen-
84   in den Zentren der Macht (insb. Brüssel       hang die „eigenmächtige Kompetenz­
     und Berlin) über das Leben der Mehrheit       erweiterung durch die Kommission“ und
     entscheiden und dabei Partikularinteressen    unterstellt, dass „die Kommission sogar in
     (hier: E-Auto) verfolgen würden.              den Haushalt der Nationalstaaten einzu-
                                                   greifen und Steuern umzulenken“ gedenke
     Heftige Kritik wird an den nicht-majo-        (ebd.), was weder in dem Green Deal der
     ritären Organisationen (A7) in der EU         EU-Kommission vorgesehen noch in den
     geübt. In einer Pressemitteilung zum Green    EU-Verträgen rechtlich geregelt ist. Die
     Deal, der im Dezember 2019 von der der        politische Erklärung führt an, dass die
     EU-Kommission beschlossenen wurde,            gesunkene Responsivität des politischen
     nennt AfD-Bundesvorstandsmitglied             Systems gegenüber den Präferenzen der
     ­Sylvia Limmer diesen Maßnahmenplan           stärker kommunitaristisch eingestellten
      für eine nachhaltigere EU-Wirtschaft den     Gesellschaftsschichten eine der Ursachen
      „größte[n] und schwerwiegendste[n] An-       für den Aufstieg des autoritären Populis-
      griff auf die freie Gesellschaft in Europa   mus ist (vgl. Zürn 2018: 12). Dieses Gefühl
      seit dem Fall der Berliner Mauer“ (Limmer    der Machtlosigkeit und politischen Exklu-
      13.12.2019). Damit versucht Limmer, die      sion wird hier instrumentalisiert, um den
      Klimaschutzpolitik der EU als undemo-        Green Deal zu delegitimieren.
      kratische Maßnahme darzustellen und
      Assoziationen mit Freiheitsberaubungen       Dasselbe Gefühl der Machtlosigkeit be-
      in der DDR hervorzurufen. Der Green          dient auch das Narrativ der stillen Mehrheit
      Deal der EU-Kommission, der unter an-        (A9), das sich die AfD zu eigen macht,
      derem durch Investitionen in regenerative    wenn Parteivorsitzender Jörg Meuthen in

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einer Pressemitteilung zum Green Deal          4.4 Quantitative Auswertung:
beklagt, dass die EU-Bürger*innen „immer       Häufigkeit der Frames
größere Summen an Steuern für ihre eigene
Entmündigung, Entrechtung und Ent-             Die quantitative Auswertung der Häufigkeit
eignung“ zahlten (Meuthen 11.12.2019).         des Auftretens der Kategorien zeigt, dass
Meuthen stellt hier die Bevölkerung der        die Frames innerhalb der Ober­kategorie
EU-Mitgliedsstaaten als stille Mehrheit dar,   „ökonomische Unsicherheit“ mit insgesamt
die die „ökosozialistische Umgestaltung        35 Kodierungen deutlich häufiger auftreten
unseres Kontinents“ zu bezahlen hätte und      als die Frames innerhalb der Oberkategorie
keinerlei Einfluss auf politische Entschei-    „politische Entfremdung“ (14) und „kul-
dungen nehmen könne. In diesem Sinne           tureller Wertewandel“ (12). Die Frames
ruft Limmer zum Widerstand auf: „Wenn          innerhalb der zusätzlichen Oberkategorie
wir als Bürger nicht geschlossen dagegen       „Klimahysterie“ kommen mit 24 Kodierun-
vorgehen, wird dies das Ende der freien        gen ebenfalls häufig vor (siehe Abbildung 1).    85
Gesellschaft sein, wie wir sie kennen.“
(Limmer 13.12.2019)                            Die Positionierung der AfD zu klimapoli­
                                               tischen Fragen rückt damit besonders häufig
Während die AfD einerseits das koor-           Argumente in den Vordergrund, die sich
dinierte Vorgehen der EU ablehnt, be-          innerhalb der ökonomischen Erklärung zum
zweifelt sie im Zusammenhang mit dem           Erstarken des autoritären Populismus ver­
Klimapaket der Bundesregierung, „dass          orten lassen. Der abschließende Kodierungs-
dieser nationale ‚Klimaschutz-Alleingang‘      durchlauf hat gezeigt, dass sich die meisten
der Bundesregierung in einer global ver-       Argumente klar einer der Kate­gorien inner-
netzten Welt auch nur die kleinste Aus-        halb der Oberkategorien zu­ordnen lassen.
wirkung auf das Weltklima haben wird“          Wenn innerhalb eines Satzes verschiedene
(Protschka 20.09.2019). Die Begrenztheit       (Ober-)Kategorien auf­t auchten, wurde dies
der deutschen Klimaschutzmaßnahmen             durch eine Mehrfachzuordnung dieser Text-
und die Kontrastierung des nationalen          bestandteile berücksichtigt.
Handelns mit dem globalen Klimawandel
(A7) nutzt die AfD an mehreren Stellen,        Die Auswertung der innerhalb der Ober­
um die Maßnahmen an sich infrage zu            kategorien induktiv entwickelten Kate­
stellen. Auch hier bedient sie das Gefühl      gorien zeigt, dass der Frame „Gefährdung
der Machtlosigkeit in einer globalisierten     von Wohlstand und Arbeitsplätzen“ be-
Welt, um im selben Atemzug die eigenen         sonders häufig auftritt (17), gefolgt von
nationalen Interessen über gemeinsame          dem Frame „Bürger*innen zahlen Klima-
globale Interessen zu stellen.                 schutz“ (15). Der Frame „Nicht-majoritäre

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POPULISMUS UND KLIMASCHUTZ

                                        Häufigkeit Oberkategorien
               40

               35
                           35
               30

               25
                                                                             24
               20

               15
                                                              14
               10                              12

                5

                0
                       Ökonomisch           Kulturell      Politisch   "Klimahysterie"

86   Abbildung 1: Häufigkeit des Auftretens der deduktiven Oberkategorien

     Oberkategorie 1: Ökonomische Unsicherheit
     Code             Kategorienname                                              Häufigkeit
     A1               Gefährdung von Wohlstand und Arbeitsplätzen                 17
     A2               Bürger*innen zahlen Klimaschutz                             15
     A3               Stromversorgung in Gefahr                                   3

     Oberkategorie 2: Kultureller Wertewandel
     Code             Kategorienname                                              Häufigkeit
     A4               Umwelt statt Klima                                          5
     A5               Kosmopolit*innen vs. Kommunitarist*innen                    5
     A6               Elite vs. einfache Leute                                    2

      Oberkategorie 3: Politische Entfremdung
      Code             Kategorienname                                             Häufigkeit
      A7               Nicht-majoritäre Organisationen                            8
      A8               National vs. Global                                        4
      A9               Stille Mehrheiten                                          2

      Oberkategorie 4: „Klimahysterie“
      Code             Kategorienname                                             Häufigkeit
      A10              Vernunft statt Ideologie                                   16
      A11              Klimawandel-Leugnung                                       6
      A12              Sozialismus-Vorwurf                                        2

     Tabellen 1 bis 4: Häufigkeit der Frames innerhalb der Oberkategorien

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­ rganisationen“ innerhalb der politischen
O                                              ­ etonung ökonomischer Auswirkungen des
                                               B
Oberkategorie kommt ebenfalls vergleichs-      Klimaschutzes auf die Bevölkerung steht
weise häufig vor (8). Die beiden kulturellen   im Zentrum der Positionierung der AfD.
Frames „Umwelt statt Klima“ und „Kosmo­        Den Kern dieser Argumentation bilden
polit*innen vs. Kommunitarist*innen“           Horrorszenarien, die die Gefährdung des
(je 5) werden in den Pressemitteilungen        Wirtschaftsstandorts Deutschland und der
etwa so oft aufgegriffen wie der politische    Autoindustrie sowie horrende zusätzliche
Frame „National vs. Global“. Etwas weniger     (Strom-)Kosten für die „einfachen Leute“,
oft sind die Frames „Stromversorgung in        Autofahrer*innen und Pendler*innen pro-
Gefahr“ (3) sowie „Elite vs. einfache Leute“   gnostizieren. In ihren Stellungnahmen zum
und „Stille Mehrheiten“ (je 2) vertreten.      Thema Klima adressiert die AfD besonders
                                               häufig die Angst vor ökonomischen Ein-
                                               bußen und soziale Abstiegsängste, die in
5. Fazit und Diskussion                        Deutschland insbesondere in den unteren          87
                                               Gesellschaftsschichten, aber auch darüber
Dieser Beitrag hatte zum Ziel, zu unter­       hinaus weitverbreitet sind (vgl. Kohlrausch
suchen, inwiefern die AfD mit ihrem            2018: 5). Steigende Ungleichheit, Lohn­
Klima­d iskurs populistisches Protest­         stagnation und -verluste sowie eine zuneh-
potenzial adressiert. Dafür wurde unter Be-    mende Prekarisierung bilden die Grundlage
zug auf verschiedene aktuelle Arbeiten aus     dafür, dass das AfD-Narrativ vom Klima-
der Populismusforschung, der Politischen       schutz als milliardenschweres Arbeitsplatz-
Soziologie und der Politischen Theorie         und Industrievernichtungsprogramm, das
ein theoretisches Framework entwickelt.        von den „einfachen Leuten“ bezahlt werden
Die drei deduktiven Oberkategorien der         müsse, auf fruchtbaren Boden fällt.
ökonomischen Unsicherheit, des kultu-
rellen Wertewandels und der politischen        Der AfD-Klimadiskurs zielt darüber hi-
Entfremdung strukturierten die induktive       naus auch auf die neue gesellschaftliche
Kategorienbildung der Inhaltsanalyse.          Konfliktlinie zwischen Kosmopolit*innen
                                               und Kommunitarist*innen ab, die von der
Die quantitative Auswertung der Häufigkeit     kulturellen und der politischen Erklärung ins
des Auftretens der Kategorien zeigt, dass      Zentrum der Analyse gerückt wird. Klima­
die Frames innerhalb der Ober­kategorie        schutzmaßnahmen werden von der AfD als
„ökonomische Unsicherheit“ etwa dreimal        Angriff auf traditionelle Lebensweisen und
häufiger verwendet w ­ erden als die Fra-      als großstädtisches Elitenprojekt gerahmt. Als
mes der beiden anderen Oberkategorien,         Feindbild dient insbesondere die Partei der
die etwa gleich häufig vorkommen. Die          Grünen. Der Schutz der positiv ­konnotierten

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     "
               Wie können Klima­                   ­ iskurs überrascht es nicht, dass die AfD
                                                   D
                schutzmaßnahmen                    dieses Thema zur neuen Hauptaufgabe der
                                                   Partei ausgewählt hat. Der Klimaschutz
                  sozial gerecht ­aus­             und der damit verbundene Strukturwandel
             gestaltet ­werden, um                 sind mit einschneidenden Veränderungen
                   die ­Angriffsfläche             verbunden. Daher bietet sich das Thema
                    des ökonomisch                 an, um an die Ängste der Bevölkerung
                                                   vor sozialem Abstieg und Veränderung
                 ­motivierten­ ­popu­              zu appellieren. In diesem Politikfeld fallen
             listischen ­Protests zu               ökonomische, kulturelle und politische
                          ­verringern?             Konflikte zusammen und werden von der
                                                   AfD über verschiedene Frames adressiert.
     und eng mit dem Begriff der Heimat verbun-    Die Untersuchung hat gezeigt, dass allen
88   denen (lokalen) Umwelt wird dem (globalen)    drei Ansätze der Populismusforschung –
     Klima­schutz vorgezogen. Damit adressiert     zumindest in Bezug auf Klimaschutz und
     die AfD eher lokal gebundene „Somewheres“,    das Framing der AfD als autoritär-populis-
     denen mehr am Schutz der heimatlichen         tischer Partei in Bezug auf dieses das Poli-
     Umwelt als an globalen Maßnahmen zum          tikfeld – Erklärungskraft innewohnt. Durch
     Schutz des Weltklimas liegt.                  die Berücksichtigung jeder der drei Erklä-
                                                   rungsmuster wurden die ver­schiedenen
     In diesem Zusammenhang werden die             Dimensionen des AfD-Klima­diskurses und
     Klimaschutzmaßnahmen nicht-majoritärer        dessen Vielschichtigkeit sichtbar.
     Organisationen wie der EU-Kommission
     als undemokratisch und als Eingriff in die    Im Sinne der eingangs angesprochenen
     nationalstaatliche Souveränität gerahmt.      demo­k ratisierenden Funktion popu­
     Damit zielt die AfD explizit auf das Gefühl   listischen Protests als Ausdrucksform
     der politischen Exklusion und Machtlosig-     marginalisierter Interessen (vgl. Laclau
     keit eher kommunitaristisch eingestellter     2018; Mouffe 2018) lassen sich aus die-
     Bevölkerungsschichten. Der Frame der          sen Ergebnissen drei zentrale Heraus­
     schweigenden Mehrheit illustriert ex-         forderungen für eine Klimaschutzpolitik
     emplarisch, wie das von der politischen       ableiten, die verschiedene Interessen be-
     Erklärung ausgemachte populistische           rücksichtigt und in möglichst hohem Maße
     Protestpotenzial adressiert wird.             Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt:
                                                   Wie können Klimaschutzmaßnahmen
     Vor dem Hintergrund der vielen Anknüp-        sozial gerecht ausgestaltet werden, um die
     fungspunkte für einen ­p opulistischen        Angriffsfläche des ökonomisch motivierten

     Umwelt und Gesellschaft                                              SOZIOLOGIEMAGAZIN
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