Seite 5-7 Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung - Mieterverband
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Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 www.mieterverband.ch Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung Seite 5–7
Editorial Inhaltsverzeichnis Liebe Leser*innen Politik Wohnpolitische Abstim- mungen in Bern und Genf 3 Aktuell Neue Zahlen zur Umverteilung bei den Mieten 5 Interview Grosse finanzielle Ungleichheit im Alter 8 Welchen Anteil Ihres Einkommens geben Sie für die Miete aus – 20 Prozent, oder 30? Je nachdem, wie Zürich Der MV spannt mit hoch Ihr Einkommen ist, könnte der Anteil sogar bei der Urban Equipe zusammen 11 über 40 Prozent liegen. Die Wohnkosten sind für die meisten Menschen in der Schweiz der mit Österreich Wohnpolitischer Abstand grösste fixe Budgetposten. Ein Grund dafür ist, dass viele Mietzinse höher sind, als das Gesetz Reformstau im Nachbarland 15 es erlaubt. Das zeigt eine aktuelle Studie des Miete- Haushalt Besser als die Pfanne – rinnen- und Mieterverbands, die wir für Sie zu sammengefasst haben (Seite 5 – 7). Im letzten Jahr Wasserkocher im Test 16 summierten sich die zu viel bezahlten Mietzinse auf über 10 Milliarden Franken. Dieses Geld fliesst zu Verlosung Gewinnen Sie das Unrecht von den Taschen der Mieter*innen in die neue Buch von Milena Moser 17 Taschen der Vermieter*innen. Zu Unrecht deshalb, weil unser Mietrecht eine Begrenzung der Rendite Miettipp So klappt es vorsieht, die Letztere mit ihren Wohnungen erzielen dürfen. bei der «Züglete» 18 Weil aber diese Begrenzung von niemandem Hotline Mein Backofen wird kontrolliert wird, wird sie auch nicht eingehalten. Die Folge davon: Die Mieten sind viel höher, als nicht repariert 21 es das Gesetz erlaubt, und sie steigen stetig weiter. Der MV fordert darum dringend die Einführung einer Kontrolle der Renditen. Es darf nicht sein, dass unser Mietrecht – und unsere Verfassung –, welche die Mietenden vor überrissenen Mieten schützen sollten, derart missachtet werden. Das Geld, das die Mietenden zu viel für ihre Mieten zahlen, fehlt ihnen anderswo. Zum Beispiel in der Altersvorsorge: Wenn mit der Pensionierung Herausgeber Druck Mieterinnen- und Mieterverband Stämpfli AG, Bern plötzlich das Einkommen sinkt, fallen die Wohn- Deutschschweiz Beglaubigte Auflage kosten noch mehr ins Gewicht als vorher. Und wer 127 679 Exemplare Redaktion Erscheinen während des Arbeitslebens kein grosses Vermögen Andrea Bauer 6-mal pro Jahr aufbauen konnte oder geerbt hat, kommt allein m+w@mieterverband.ch Abonnementspreis mit der Rente bald einmal nicht mehr über die www.mietenundwohnen.ch Fr. 40.–/Jahr Administration und Adressverwaltung Inserate und Beilagen Runden. Die Belastung ist jedoch sehr unterschied- Mieterinnen- und Mieterverband Katanja Schwander lich gross, wie in einer kürzlich erschienenen Deutschschweiz katanja.schwander@mieterverband.ch Publikation nachzulesen ist: Während vor allem Bäckerstrasse 52, 8004 Zürich T 043 243 40 40 T 043 243 40 40 alleinstehende Rentner*innen über 40 Prozent für info@mieterverband.ch die Miete ausgeben, sind es bei Ehepaaren mit www.mieterverband.ch hohem Einkommen im Schnitt nur 10 Prozent. Wir Mitarbeit Walter Angst, Esther Banz, Ernst Feurer, haben mit der Co-Autorin Nora Meuli über ihr Buch Manuela Gallati, Urs Geiser, Fabian «Ungleichheit im Alter» gesprochen (Seite 8 – 10). Gloor, Stefan Hartmann, Natalie Imboden, Patric Sandri, Reto Schlatter, Carlo Sommaruga www.facebook.com/Mieterverband Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre! Gestaltungskonzept twitter.com/Mieterverband Andrea Bauer Hubertus Design GmbH, Zürich www.instagram.com/mieterinnenverband Layout Atelier Bläuer, Joel Kaiser, Bern Titelbild Patric Sandri Gedruckt in der Schweiz Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 2
Aktuell Text von Andrea Bauer Einmal haushoch, einmal hauchdünn Am 13. Februar stimmten Bern und Genf über wohnpolitische Vorlagen ab. Während diejenige in Bern haushoch gewonnen wurde, ging die in Genf hauchdünn verloren. Für die Vermietung über Plattformen wie Airbnb gelten in der Berner Altstadt künftig bestimmte Regeln. Foto: Wikimedia Commons Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 3
Zuerst die gute Nachricht: Mit fast 82 Prozent der Stimmen haben die Stimmberechtigten der Stadt Bern am 13. Februar klar Ja gesagt zu einer Regulierung der Nutzung von Zweitwohnungen in der Altstadt. Der Mieterinnen- und Mieterverband Bern hatte die Vor- lage begrüsst. Künftig dürfen Zweitwohnungen in jenen Stock werken der Berner Altstadt, die dem Wohnen zugeteilt sind, nicht wiederholt für kurze Zeit und nicht mehr als 90 Nächte pro Kalenderjahr vermietet werden. Weiterhin erlaubt ist es, die selber bewohnte Wohnung für einzelne Tage oder Wochen – ebenfalls während maximal 90 Tagen pro Jahr – über eine Buchungsplatt- form unterzuvermieten. Die neue Regelung ist vergleichsweise mild, so gilt etwa eine Besitzstandsgarantie: Wer bereits heute seine Zweitwohnung auf diese Weise vermietet, kann dies weiterhin tun. Trotzdem ist die hohe Zustimmung an der Urne ein klares Zeichen gegen die zu- letzt zunehmende Tendenz, Wohnungen in der Unesco-Altstadt aus kommerziellen Gründen nur noch kurzzeitig an Tourist*innen zu vermieten. «Durch diese Praxis geht Wohnraum für die lokalen Bewohner*innen verloren. So wird das Angebot an Wohnungen in der Stadt Bern noch knapper, als es ohnehin schon ist», sagt die Präsidentin des MV Bern, Edith Siegenthaler. Gleichzeitig schade es dem Zusammenhalt und der Lebensqualität im Quartier, wenn Wohnungen zunehmend nur noch an Tourist*innen vermietet würden. Unsoziales und diskriminierendes Gesetz Wenig erfreulich ist der Ausgang der Abstimmung über das ge- änderte Wohngesetz in der Stadt Genf. Mit einem hauchdünnen Ja von 50,69 Prozent ging das Referendum verloren, das der lokale Mieterinnen- und Mieterverband (Asloca) zusammen mit der Caritas und dem Centre Social Protestant ergriffen hatte. Konkret ging es bei der Änderung um eine Verschärfung der Kriterien, gemäss denen Einwohner*innen der Stadt Genf Zugang zu einer Sozialwohnung erhalten. Neu muss eine Person seit mindestens vier Jahren ohne Unterbruch ihren Wohnsitz in Genf haben. Bisher reichten zwei Jahre als Voraussetzung. Zurzeit sind im Kanton fast 8000 Gesuche um eine subventionierte Wohnung hängig. Die Wartezeit beträgt zwei bis vier Jahre. Der systematische Kampf der Rechten und der Immobilien- branche gegen die Schaffung von ausreichend günstigem und so zialem Wohnraum werde zur Folge haben, dass die Zahl der unerledigten Gesuche weiter steigt, schreibt die Asloca in einer Mitteilung. Die Genfer Regierung, die sich ebenfalls gegen die Verschärfung ausgesprochen hatte, bedauert den Entscheid der Stimmbevölkerung. Während die Rechte sich damit brüste, die Wartelisten zu verkleinern, werde durch das Gesetz keine einzige zusätzliche Sozialwohnung entstehen, sagte der zuständige Regie- rungsrat Antonio Hodgers gegenüber der Zeitung «Le Temps». Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 4
Aktuell Text von Andrea Bauer Höher als vom Gesetz erlaubt Mieter*innen zahlen Monat für Monat zu viel für ihre Wohnungen. Jetzt gibt es neue Zahlen dazu. Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 5
Wer in einer durchschnittlichen Miet- erhöhen, und zwar selbst dann, wenn die Verstoss gegen Verfassung und Gesetz wohnung lebt, hat letztes Jahr pro Monat Kosten gesunken sind. Zweitens wurden Mit solchen Renditen werden seit fast 370 Franken zu viel Miete bezahlt. die fünf Senkungen des Referenzzins- Jahren sowohl unsere Verfassung als auch Auf das gesamte Jahr gerechnet sind das satzes zwischen 2006 und 2021 nur in unser Mietrecht verletzt. Die Bundes 4440 Franken. Auf alle Wohnungen einem von sechs Mietverhältnissen von verfassung besagt, Bund und Kantone hochgerechnet ergibt das insgesamt über den Vermieter*innen in Form einer müssten sich dafür einsetzen, «dass Woh- 10 Milliarden Franken, die 2021 zu Mietzinssenkung an die Mieter*innen nungssuchende für sich und ihre Familie Unrecht von den Mieter*innen an die weitergegeben. eine angemessene Wohnung zu tragbaren Vermieter*innen flossen. Die so ständig steigenden Mietzinse Bedingungen finden können». Das Miet- Diese Zahlen liefert eine aktuelle bescheren vielen Eigentümer*innen mitt- recht konkretisiert diesen Grundsatz mit Studie, die das Büro für arbeits- und so lerweile satte Renditen in der Höhe von dem Prinzip der Kostenmiete plus: Ver- zialpolitische Studien (BASS) im Auftrag 6 oder 7 Prozent, bei den grossen Immo- mieter*innen sollen mit den Mietein- des Mieterinnen- und Mieterverbands biliengesellschaften erreichen die Ren- nahmen ihre Kosten decken und eine be- erstellt hat. Untersucht wurde, um wie diten sogar den zweistelligen Bereich. schränkte Rendite machen können. Die viel die Mieten zwischen 2006 und 2021 Gemäss der BASS-Studie betrug die Mieter*innen sind durch die Beschrän- gemäss Mietrecht hätten ansteigen durchschnittliche Nettorendite im unter- kung der Rendite vor zu hohen Mieten dürfen und wie stark die Aufschläge tat- suchten Zeitraum 6,2 Prozent. Im Ver- geschützt. Das Bundesgericht, das im sächlich waren. gleich mit anderen Anlagen ist das sehr Streitfall die konkrete Höhe dieses Ren- Dass die Mieten stärker angestiegen hoch – und höher, als das Gesetz es ditedeckels bestimmen muss, setzte die sind, als eigentlich zulässig wäre, vermag erlaubt. maximal zulässige Rendite lange Zeit bei nicht mehr gross zu erstaunen. Gigan- 0,5 Prozentpunkten über dem gültigen tisch sind hingegen die konkreten Zahlen, Referenzzinssatz fest. 2020 erhöhte es sie welche die Studie liefert: In den letzten in einem Leiturteil auf maximal 2 Pro- 16 Jahren haben sich die zu viel bezahlten zentpunkte über dem Referenzzinssatz. Mieten auf 78 Milliarden Franken sum- Aktuell darf eine Rendite gemäss Gesetz miert. Und die Tendenz zeigt nach oben. also maximal 3,25 Prozent betragen. Das bedeutet: Die oben erwähnte Durch- Die Gründe für den Anstieg schnittsrendite von 6,2 Prozent ist um Dabei hätten die Mietzinsen während fast 3 Prozentpunkte zu hoch. Viele Ren- des untersuchten Zeitraums um gut diten sind demzufolge also gesetzes- 10 Prozent sinken müssen. Für den Der Mietwohnungsmarkt gilt als widrig. krassen Unterschied zwischen den ei- grösster Markt der Schweiz. Ende gentlich zulässigen und den tatsächlich 2021 umfasste er 2,3 Millionen Warum wird das Gesetz nicht durchgesetzt? bezahlten Mieten gibt es gemäss der Wohnungen im Wert von 1000 Mil Nun gibt es in der Schweiz leider BASS-Studie vor allem zwei Gründe: liarden Franken. Die jährlich be- kaum ein Gesetz, das so wenig durchge- Erstens werden Wechsel der Mieter- zahlten Mietzinse betragen setzt wird wie das Mietrecht in Bezug schaft oft dafür genutzt, die Mieten zu 40 Milliarden Franken. auf den Renditedeckel. Bis heute gibt es keinen Mechanismus, mit dem seine Entwicklung der jährlichen Umverteilung zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen: Einhaltung kontrolliert werden könnte. Die Summe der zu viel bezahlten Mietzinse nimmt jedes Jahr zu, 2021 waren es schon über Vielmehr beruht das Mietrecht in seiner 10 Milliarden Franken. heutigen Ausgestaltung auf der Bekämp- fung von Missbräuchen durch die Mie- in Millionen Franken ter*innen selber. Oder anders gesagt: 11 000 10 421 Es liegt an den Einzelnen, ihre zu hohe 10 000 9720 Miete einzuklagen oder die Weitergabe 9000 8714 8845 der Referenzzinssenkungen einzufordern. 8000 7367 7723 Nur tun sie dies sehr selten. Und zwar 7000 6480 weil sie entweder gar nichts davon wissen 6000 6033 (wer kennt schon das Mietrecht im Detail 4895 respektive die Praxis des Bundesgerichts?) 5000 oder Angst haben, die Wohnung zu 4000 3674 verlieren, wenn sie sich mit der Vermie- 3000 2554 terschaft anlegen. Fechten die einzelnen 2000 1467 Mietenden zu hohe Mieten aber nicht 1000 311 775 an, erhöht sich das generelle Mietzins –292 11 niveau mehr und mehr, wie es auch 0 –1000 die vorliegenden Zahlen der BASS-Studie 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 zeigen. Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 6
Die finanzielle Umverteilung von den Kommentar Mieter*innen zu den Vermieter*innen wird so zunehmend grösser. Das ist na- türlich einerseits für die Mietenden selber Stopp dem schlecht. Denn die Wohnkosten sind mit Abstand der grösste Ausgabeposten in Raubzug! den Schweizer Haushaltsbudgets, und die Ärmsten müssen mittlerweile mehr als 40 Prozent ihres Einkommens dafür aus- geben (siehe Interview S. 8). Daneben bleibt kaum mehr etwas zum Sparen übrig, etwa für die Altersvorsorge. Die Umverteilung ist aber auch aus volkswirt- schaftlicher Sicht katastrophal. Denn wenn den Menschen immer mehr Geld Es ist ein echter Skandal: Die gleichen im Portemonnaie fehlt, sinkt auch ihre Leute, die sich heftigst gegen finanzielle Kaufkraft. Massnahmen zugunsten der besonders von der Covid-Krise betroffenen Menschen Eine Kontrolle muss her! wehrten, praktizieren seit Jahren einen per- Die Mieten sind viel zu hoch und der manenten, gigantischen Raubzug auf die Grundsatz im Mietrecht, wonach die Mieter*innen dieses Landes. Mehr als einzelnen Mietenden selber gegen zu 78 Milliarden Franken flossen zwischen hohe Mieten vorgehen müssen, funktio- 2006 und 2021 zu Unrecht aus den Taschen niert ganz offensichtlich nicht. Wenn der Mietenden in die Taschen der Vermie- wir die gigantische Umverteilung stoppen ter*innen, weil diese sich weigerten, die wollen, müssen wir darum das Mietrecht gesetzlich vorgeschriebenen Mietzinssen- anpassen. Denkbar sind einerseits eine kungen zu gewähren, und beim Abschluss Pflicht, wonach Mietzinsänderungen bei neuer Mietverträge die Mieten missbräuch- einem Wechsel der Mieterschaft be- lich erhöhten. gründet werden müssen, anderseits eine Allein im Jahr 2021, während sich die regelmässige Überprüfung der Mieten. Immo-Lobby im Parlament darauf ver- Letzteres fordert eine parlamentari- steifte, den Schutz der Mietenden weiter zu sche Initiative, die letztes Jahr von Carlo verringern, kassierte die Vermieterseite in Sommaruga im Ständerat sowie von diesem Land 10 Milliarden Franken zu viel. Jacqueline Badran im Nationalrat einge- Während bei den einkommens- reicht wurde. Die beiden fordern eine schwächsten Haushalten hierzulande periodische Revisionspflicht für Vermie- bereits fast jeder zweite Franken des ter*innen mit mehreren Wohnungen. Einkommens in die Miete fliesst, lehnen Ihre Renditen sollen regelmässig von Guy Parmelin, unser Minister für Woh- einer unabhängigen Stelle überprüft nungswesen, die Mehrheit des Bundesrates werden. Dieses unbürokratische Konzept und die Mehrheit von SVP, FDP und der ist von der AHV sowie der Mehrwert- «Mitte» jegliche gesetzliche Änderung ab, steuer her bereits bekannt und anerkannt. die diesem massiven unrechtmässigen Die Verantwortung für die Umsetzung Vermögenstransfer von den Mietenden könnte dem Bundesamt für Wohnungs- zum Immobilienkapital ein Ende setzen wesen übertragen werden. oder ihn zumindest bremsen könnte. Es gäbe bereits heute einfache Mittel, Mehr zur Studie: um die Mieten zu kontrollieren. Zum Bei- www.mieterverband.ch/wir-mieter-innen spiel mittels der Buchprüfung bei Unter- nehmen, wie sie das Obligationenrecht vor- sieht. Die Nicht-Einführung einer Kontrolle der Renditen und damit der Mieten ist darum umso mehr Ausdruck der sozialen Unverantwortlichkeit der Investoren und der bürgerlichen Mehrheit in unserem Land. Carlo Sommaruga, Präsident MV Schweiz Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 7
Gespräch Interview von Andrea Bauer «Bei den Mieten ist die Ungleichheit gross» Die Wohnkosten sind der grösste fixe Budgetposten der meisten Menschen in der Schweiz. Wenn nach der Pen sionierung das Einkommen sinkt, fällt er entsprechend mehr ins Gewicht. Aber nicht bei allen. Ein Gespräch mit Nora Meuli über Ungleichheit im Alter. Frauen sind viel häufiger als Männer von Altersarmut betroffen, weil sie sich mehr um die Hausarbeit, die Kinderbetreuung und die Betreuung von fragilen Angehörigen kümmern. Foto: Reto Schlatter Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 8
bezahlten Jobs über die Pensionierung einen Viertel des Einkommens ausmachen. hinaus weiter. Fast die Hälfte ihres Bei vielen Rentner*innen liegen sie also Einkommens sind keine Renten. weit darüber. Wo machen sie Abstriche? Das wissen wir nicht. Wir wissen aber, Wie verändern sich die Ausgaben der dass 16 % der Bezugsberechtigten keine Menschen mit der Pensionierung? Ergänzungsleistungen (EL) beziehen und Foto: zVg Die grossen Ausgabeposten verändern damit zum Beispiel auch keine Unter- Nora Meuli ist Ökonomin und Sozialwissen- sich kaum. Miete und Krankenkassen stützung für die Miete erhalten. Aber schaftlerin und forscht an der Hochschule prämien fallen aber deutlich mehr ins Ge- auch die EL decken nur das Existenz für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nord- wicht: Wenn man plötzlich 40 Prozent minimum. Wenn man mit noch weniger westschweiz (FHNW). Sie beschäftigt sich weniger einnimmt, machen sie einen viel lebt, ist der finanzielle Spielraum sehr, hauptsächlich mit gesellschaftspolitischen grösseren Teil des Budgets aus. Die sehr klein. Fragen rund um das System der sozialen Sicherheit in der Schweiz. Sie ist Co-Autorin Steuern sind zwar abhängig vom Ein- des Buches «Ungleichheit im Alter. Eine kommen, aber unter Umständen kann Den Ärmsten 20 Prozent bleiben gemäss Analyse der finanziellen Spielräume älterer man im Alter auch weniger Abzüge Ihren Berechnungen gerade noch Menschen in der Schweiz», erschienen 2021 machen. Als Rentner*in zahlt man des- 500 Franken pro Monat für Essen, Kleider bei Seismo. halb relativ viel Steuern, dessen sind oder Freizeit. Wie ist das überhaupt zu sich viele nicht bewusst. schaffen? Als wir diese Zahlen erstmals be- Apropos Miete: Stimmt es, dass vor allem rechnet hatten, konnten wir es selber Rentner*innen Wohneigentum besitzen kaum glauben. Dabei handelt es sich und kaum Hypothekarzinsen zahlen? notabene noch um einen Durchschnitt, Frau Meuli, Sie haben sich mit der finan Das ist so. Über 60 % der Rentner*in- es gibt also Menschen, die mit noch ziellen Lage von älteren Menschen befasst: nen besitzen Wohneigentum, gegenüber weniger auskommen müssen. Stimmt das Bild von den «reichen Alten», 27 % der 34- bis 45-Jährigen. Bei den das aktuell grad in der Rentenreform aktuell tiefen Zinsen lebt man so entspre- wieder bemüht wird? chend günstig. Aber auch bei den Mieten Was stimmt an diesem Klischee, ist, gilt: Die Ungleichheit ist gross. Die dass Rentner*innen im Schnitt über einen leben seit 30 Jahren in derselben viel mehr Vermögen verfügen als die Wohnung mit entsprechend tiefem Jungen. Der Grund dafür ist, dass Ver- Mietzins, die anderen müssen mit 70 mögen vor allem ab fünfzig aufgebaut eine neue Wohnung suchen und bezahlen und vor allem unter älteren Menschen dann entsprechend viel mehr. vererbt und verschenkt werden. Das heisst aber nicht, dass alle Rentner*innen Was bedeutet das konkret fürs Budget reich sind. Reich sind nur die obersten der älteren Menschen? 20 Prozent, ganz besonders das oberste Die Wohnkosten sind der grösste fixe 1 Prozent. Budgetposten für die älteren Menschen. Nora Meuli, Carlo Knöpfel: Die Belastung ist aber sehr unterschied- Ungleichheit im Alter. Eine Analyse Dafür haben Rentner*innen im Schnitt lich. Die ärmsten Mietenden müssen über der finanziellen Spielräume älterer weniger Einkommen als die Jüngeren. 40 % des Einkommens für die Miete auf- Menschen in der Schweiz. Genau. Es besteht aber auch hier eine wenden, Ehepaare mit hohem Ein- Seismo, 2021. grosse Ungleichheit zwischen den oberen kommen dagegen nur 10 %. Das Buch kann auch als PDF 20 Prozent und dem Rest. Erstere gene- heruntergeladen werden unter: rieren sehr viel Einkommen aus ihrem Das Bundesamt für Wohnungswesen sagt, www.seismoverlag.ch/de/daten/ Vermögen und arbeiten oft in sehr gut die Ausgaben fürs Wohnen sollten maximal ungleichheit-im-alter/ Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 9
Unser Steuersystem sollte ausgleichend Irgendwann kommen viele Rentner*innen Wer mehr hat, erhält keine EL mehr. Das wirken. Sie zeigen in Ihrer Studie aber, dass nicht mehr ohne Betreuung und Pflege aus, trifft vor allem Menschen im Pflegeheim, die Ungleichheit nach Abzug von Miete, manche ziehen in ein Pflegeheim. Die die der Mittelschicht angehören. Neu Prämien und Steuern sogar noch grösser ist Kosten dafür sind regional sehr unter- müssen sie bis auf 100 000 Franken alles als vorher – warum ist das so? schiedlich, gibt es keine nationale Regelung aufbrauchen. Mit den verbleibenden Die umverteilende Wirkung von Miete für die Tarifsetzung? 100 000 Franken muss immer noch ein und Krankenkassenprämien ist offen- Nur für die Pflegetaxen, für die Be- relativ grosser Teil der Pflegekosten selber sichtlich so gross, dass unser Steuer- treuung und Unterbringung im Pflege- bezahlt werden. Und falls irgendwann system dies nicht mehr kompensieren heim dagegen nicht. Und der Födera- etwas zum Vererben übrig bleibt, müssen kann. lismus kennt bei diesem Thema keine die Erben davon die EL zurückzahlen. Grenzen. In Zürich etwa kostet der Auf- Was können wir gegen die grosse Ungleich- enthalt in einem städtischen Pflege- Die EL müssen zurückbezahlt werden? heit im Alter tun? heim die Bewohner*innen rund 92 000 Ja. Mit der EL-Revision wurde quasi Gegen die Altersarmut hilft nur eine Franken pro Jahr, in Bellinzona zahlt die- durch die Hintertür eine Erbschaftssteuer Erhöhung der AHV-Renten. Heute sind selbe Person dagegen nur 38 000 Franken. für eine ganz spezifische Gruppe einge- diese alles andere als existenzsichernd, führt: für Angehörige der Mittelschicht was vor allem alleinstehenden Frauen, die Wie können diese Unterschiede erklärt mit einem kleinen bis mittleren Ver- viel häufiger als Männer nur von der AHV werden? mögen, die das Pech haben, ins Pflege- leben, zum Verhängnis wird. Armuts Sie sind das Ergebnis politischer Ent- heim zu müssen. Gleichzeitig ist es hier- betroffene ältere Menschen können zwar scheide. In Bellinzona etwa sind die Pfle- zulande undenkbar, eine Erbschaftssteuer Ergänzungsleistungen beantragen, aber geheimtarife vermögensabhängig, ent- für wirklich vermögende Personen viele von ihnen tun dies nicht und leben sprechend zahlen Bewohner*innen mit einzuführen. entsprechend mit sehr wenig finanziellem kleinem Einkommen sehr wenig. In Zü- Spielraum. Gleichzeitig müsste man die Steigert die Politik durch diese hohe Kos- rich zahlen dagegen alle gleich viel. Ein grossen Vermögen der älteren Menschen tenbeteiligung den Anreiz, so lange wie Mittelschichtseinkommen reicht in den stärker besteuern, insbesondere Erb- möglich zuhause zu wohnen und sich am meisten Kantonen nicht, um die lau- schaften. Zudem müsste in der berufli- besten noch von den Angehörigen betreuen fenden Pflegeheimkosten zu bezahlen. chen Vorsorge endlich auch aus der unbe- zu lassen? zahlten Care-Arbeit ein Rentenanspruch Werden diese Kosten über die Ergänzungs- Ja. Diese Strategie – ambulant vor entstehen. Dass Frauen viel häufiger als leistungen bezahlt? stationär – ist sogar explizit formuliert. Männer von Altersarmut betroffen sind, Ja, sobald jemand auf Anspruch auf EL Man bedient sich dabei relativ freimütig ist vor allem darauf zurückzuführen, hat. Mit der Revision, die Anfang Jahr an der freiwilligen Care-Arbeit und vor dass Frauen sich mehr um die Hausarbeit, in Kraft trat, können aber nur noch Per- allem an den Kapazitäten von Frauen. die Kinderbetreuung und die Betreuung sonen EL beziehen, die über weniger Diese können dadurch weniger Erwerbs- von fragilen Angehörigen kümmern. als 100 000 Franken Vermögen verfügen. arbeit leisten und weniger in die Alters- vorsorge einzahlen, was wiederum zu mehr Armut im Alter führt. Ich zweifle je- doch daran, dass die heute 30- bis 45-Jäh- Unterschiedliche Belastung: Während die unterste Einkommensgruppe für Miete und rigen dereinst noch bereit sein werden, Krankenkasse 60 Prozent des Einkommens ausgibt, sind es bei der obersten Gruppe diese Gratisarbeit zu leisten. Wir werden gerade einmal 15 Prozent. uns deshalb in den nächsten Jahren noch vermehrt mit dem Thema auseinander- setzen müssen. Alleinstehende Paarhaushalte 100 % 40 54 61 70 81 54 68 73 77 84 Müssten in der Konsequenz nicht auch die 80 % Übriges Budget Wohnbedingungen für ältere Menschen Krankenkasse verbessert werden? Der häufigste Grund für einen Eintritt 60 % Wohnen 17 in ein Pflegeheim ist, dass jemand stürzt 13 und nicht mehr ohne Betreuung zuhause 40 % 19 43 11 bleiben kann. Auf Bundesebene wird 33 28 8 13 11 zurzeit ein politischer Vorstoss diskutiert, 20 % 26 22 5 19 9 5 der verlangt, dass Ergänzungsleistungen 16 14 14 10 unabhängig von der Wohnform geleistet 0% werden. Damit könnten sich nicht mehr 1. Q 2. Q 3. Q 4. Q 5. Q 1. Q 2. Q 3. Q 4. Q 5. Q nur Vermögende betreutes Wohnen Einkommensquintil Einkommensquintil leisten, sondern auch Armutsbetroffene. Quelle: Meuli/Knöpfel (2021), BFS Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 10
Zürich Text von Manuela Gallati Gemeinsam im Einsatz für eine solidarische Stadt Um gegen Leerkündigungen anzutreten, spannt der MV Zürich seit vergangenem Jahr mit der Urban Equipe zusammen. Der Zürcher Verein für zivilgesellschaftli- ches Engagement in der Stadtentwick- Antonia Steger (links) lung zieht eine erste Bilanz. und Sabeth Tödtli von der Urban Equipe. Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 11
Leerkündigungen nehmen zu – in der plexe städtische Planungsinstrumente, Von Wohnung zu Wohnung weitergereicht Stadt Zürich in besorgniserregendem machen Wissen zugänglich – und vieles Die Urban Equipe nimmt seither zu- Ausmass. Und die Entwicklung steht erst mehr. Das Handbuch mit dem Titel sammen mit dem MV Zürich Kontakt mit an ihrem Anfang, denn noch stehen die «Organisiert euch!», das die Urban betroffenen Mieter*innen auf, die sich grossen Verdichtungen bevor. Findet die Equipe 2021 zusammen mit dem Wiener melden. «Wir befassen uns mit jeder ein- Verdrängung in den zentraleren Quar- Kollektiv Raumstation herausgegeben zelnen Meldung. Es ist hart, die Einzel- tieren mit einst kleinen, günstigen Woh- hat (siehe Kasten), wurde von der Fach- schicksale dahinter zu erleben», sagt nungen aufgrund von Gentrifizierungs- zeitschrift «Hochparterre» jüngst mit Antonia Steger. Manche «Verdrängungs- prozessen schon länger statt, ist es jetzt dem «Silbernen Hasen» gewürdigt. orte» seien gross, andere klein, erzählt sie. auch in den Aussenquartieren so weit. An manchen Orten seien privilegiertere Also genau dort, wo in Siedlungen aus der Einsatz für bezahlbaren Wohnraum Menschen betroffen, aber oft auch sehr Nachkriegszeit besonders viele vulnerable Seit letztem Jahr verbringen Antonia vulnerable. Viele Betroffene fänden Menschen leben, insbesondere auch Steger und Sabeth Tödtli auch viel Zeit schlichtweg keine Wohnung in derselben ältere. Das zeigt das sozialräumliche mit Mieter*innen. Denn der MV Zürich Grösse zu einem ähnlichen Mietpreis und die Urban Equipe sind 2021 eine und müssten aus der Stadt wegziehen, Kooperation eingegangen, um gegen die obwohl sie das nicht wollten. Nicht we- «Es wird in diesen Quartieren zunehmenden Leerkündigungen anzu- nige müssten zum wiederholten Mal kein Stein auf dem anderen treten. Walter Angst vom MV Zürich wegen Sanierung oder Abriss umziehen: bleiben.» erzählt: «Die Urban Equipe bringt viel Er- «Meistens sagt die Verwaltung bei der fahrung in städtebaulichen Fragen und Vertragsunterzeichnung nichts, auch der Initiierung von Partizipationspro- wenn bereits klar ist, dass in absehbarer Monitoring, mit dem die Stadtentwick- jekten mit. Mit diesem Wissen ergänzen Zeit saniert oder abgerissen wird. So ist es lung die Bevölkerungsdaten mit der aktu- sie unsere Expertise im Mietrecht und der mehreren ergangen, die sich bei uns ge- ellen Bau- und Zonenordnung (BZO Wohnpolitik ideal, um das Thema Leer- meldet haben.» So zum Beispiel auch 2016) überlagert. «Es wird in diesen Quar- kündigungen und Verdrängung mehr in einer jungen Frau mit Beistand. Bevor sie tieren kein Stein auf dem anderen die öffentliche Wahrnehmung zu rücken.» vergangenen Herbst eine neue Wohnung bleiben», fasst Antonia Steger von der Die Zusammenarbeit mit der Urban bezog, sei sie wiederholt von Wohnung Urban Equipe die zu erwartende Ent- Equipe ermöglicht es dem MV Zürich, zu Wohnung weitergereicht worden – im wicklung zusammen. mehr Betroffenen zu zeigen, wie sie sich wahrsten Sinne des Wortes. «Und nur Steger hat Kulturanalyse und Lingu- für ihre Rechte einsetzen können. Aus- zwei Monate nach Einzug», erzählt istik studiert. Sie und Sabeth Tödtli, löser für die «Partnersuche» des MV Steger, «erhielt sie erneut die Kündigung Architektin und Urbanistin, haben ge- Zürich war ein Aufruf Ende 2020 an Mie- – zwei Tage vor Silvester. Die Verwaltung meinsam mit anderen den Verein Urban ter*innen, die von einer Leerkündigung hatte bei der Vertragsunterzeichnung Equipe gegründet, mit dem sie sich be- bedroht waren oder fürchteten, damit längst gewusst, dass eine Sanierung reits seit einigen Jahren für vielstimmige, konfrontiert zu werden. Es meldeten sich ansteht.» solidarische Städte einsetzen. Aktuell viele. Walter Angst: «Wir wurden regel- Dabei gäbe es viele gute Alternativen sind sie im Kernteam zu viert und ar- recht geflutet mit Nachrichten und haben zur gängigen Praxis der Leerkündigung: beiten alle hundert Prozent. Von einem schnell gemerkt, dass wir eine starke zum Beispiel ein vorübergehender kleinen Büro in einem zwischenge- Partnerin brauchen.» Für die Urban Auszug, ein etappierter Umbau oder ein nutzten ehemaligen Kinderheim im Zür- Equipe kam die Anfrage zur rechten Zeit: Wiedereinzugsrecht. «Neben der Mo cher Sihlfeld-Quartier aus initiieren «Wir hatten schon länger den Wunsch, bilisierungsarbeit bei den Mieter*innen sie partizipative Prozesse für Quartier uns konkreter für bezahlbaren Wohnraum suchen wir darum auch das Gespräch entwicklungen, vertiefen sich in kom- einzusetzen», sagt Sabeth Tödtli. mit den Eigentümer*innen. Es sind zwar Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 12
bisher nur die wenigsten bereit, sich mit an den Verhandlungstischen. Da, wo Ent- uns an den Tisch zu setzen. An den lau- scheidungen getroffen werden. Auch fenden Gesprächen bleiben wir jedoch Architekt*innen müssen neue Praktiken weiter dran und sind gespannt, wo diese entwickeln – zum Beispiel mutiger darin uns hinführen», berichtet Antonia Steger. «Nebst der Verhinderung unnötiger Kündigungen ist es uns auch ein Anlie- «Wir brauchen ein breites gen, dass die Bewohner*innen bei Sanie- Bekenntnis dafür, nicht mehr rungs- oder Neubauprojekten von Anfang einfach alles abzureissen und an durch die Eigentümerschaft offen und transparent informiert werden. Es ist Neues hinzustellen.» einfach ein ungutes Gefühl, wenn man nicht weiss, was wann geschehen wird. werden, bestehende Bausubstanz zu Es geht für die Menschen um einschnei- transformieren und ihre eigene Berufs- dende Veränderungen.» rolle neu zu fassen. Wir brauchen ein breites Bekenntnis dafür, nicht mehr ein- Gesellschaftliches Umdenken anstossen fach alles abzureissen und Neues hinzu- Dieser für die ganze Gesellschaft ge- stellen, sondern an einer solidarischen fährlichen Entwicklung der zuneh- Stadt mit Wohnraum für alle weiterzu- menden Verdrängung durch Leerkündi- bauen.» Und Antonia Steger ergänzt: gungen will die Urban Equipe entgegen- «Das Bedürfnis der Menschen, mit denen wirken. Das ist eines der dringenden Ziele wir in Kontakt sind, ist eigentlich sehr des Vereins, nachdem Antonia Steger einfach verständlich: Sie möchten in einer und Sabeth Tödtli in den vergangenen für sie bezahlbaren Wohnung wohnen, Monaten an vielen Orten direkt gesehen die ihnen Freiheit für verschiedene Nut- haben, was läuft. Und nachdem sie jetzt zungsmöglichkeiten gibt und wo sie nicht «noch besser verstehen, wie die Immo ständig Angst haben müssen, dass ihnen bilienbranche funktioniert», so die gekündigt wird.» beiden Frauen. Denn: «Ja», ergänzt Sa- Die direkte Zusammenarbeit zwi- beth Tödtli, «ich bin in Zürich geboren, schen dem MV Zürich und der Urban aber diese Stadt befremdet mich zuse- Equipe soll denn auch weitergehen. hends – ich will nicht an einem Ort leben, Und auch wenn ein erstes Finanzierungs an dem so viele und immer mehr Aus- gesuch dafür kürzlich gescheitert ist – schlüsse produziert werden. Abgesehen die Urban Equipe bleibt dran an der Idee Buch «Organisiert euch!» davon können wir uns das Leben in eines «Mieten-Mobils», mit dem sie die Herausgegeben von der Urban Equipe und Zürich eh bald selbst nicht mehr leisten, Mieter*innen dort kontaktiert und in dem Wiener Kollektiv Raumstation, ver- ganz ehrlich gesagt.» ihren Rechten unterstützen kann, wo sie sammelt das Handbuch «Organisiert Die Urban Equipe erhofft sich, dass sind: bei sich zu Hause. euch!» auf 350 Seiten Tipps und Anleitun- mit den zahlreichen aufkeimenden Mitarbeit: Esther Banz gen zu partizipativen Prozessen. Konkrete Anleitungen und Vorlagen zum Herunter- Diskussionen ein gesellschaftliches Um- laden helfen bei der Arbeit als engagierte denken angestossen wird. Sabeth Tödtli: www.mieterverband.ch/mv-zh/mieteraktionen Gruppe – für Anfänger*innen und Fort «Es braucht ein neues Bewusstsein, bei geschrittene. Erhältlich unter www.urban- allen Beteiligten, auch in den Ämtern und equipe.ch/equipment/handbuch Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 13
Bezieht Ihre Tochter oder Ihr Sohn die erste Mietwohnung? Hat Ihr Göttikind dauernd Probleme mit der Vermieterschaft? Oder ziehen Ihre Eltern vom Einfamilienhaus in eine kleinere Mietwohnung? Schenken Sie ihnen eine Mitgliedschaft beim Mieterinnen- und Mieterverband! www.mieterverband.ch/schenken Schimmel? Solarstrom? Überwachen Sie das Raumklima mit einem Balkonkraftwerk «ADE!geranium» Temperatur- und Feuchte-Datenlogger! einstecken und unabhängiger Jetzt 20 % Rabatt* für Mitglieder des werden! Mieterinnen- und Mieterverbands auf einen MSR84 Datenlogger. Gutscheincode: MV_MSR84 *Angebot gültig bis 31.03.2022 Jetzt Gutschein einlösen im www.datenlogger.shop www.adegeranium.ch Haben Sie Mietprobleme? HOTLINE 0900 900 800 Wir vermitteln Ihnen (CHF 4.40/Min.) tatkräftige Arbeitshilfen für Unterstützung im Haushalt, Für Nichtmitglieder und Mietende, die es eilig haben. Wohnungsreinigung, -räumung, -wechsel, Entsorgungen, Gartenarbeiten, Versand, Auf der Hotline beantworten Fachjurist*innen Ihre miet- Lagerarbeiten usw. rechtlichen Fragen. www.etcetera-zh.ch Werktags 9 bis 12.30 Uhr, montags bis 15 Uhr Dietikon 044 774 54 86 Thalwil 044 721 01 22 Legen Sie vor dem Anruf allfällige Unterlagen (Mietvertrag, Glattbrugg 044 403 35 10 Zürich 044 271 49 00 Kündigung usw.) bereit. Ein Angebot des SAH ZÜRICH Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 14
Österreich Text von Andrea Bauer Eine Mitgliederumfrage des Mietervereins Österreich zeigt den wohnpolitischen Reform- stau, unter dem unser Nachbarland leidet. Explodierende Wohnkosten Fast gleichzeitig mit dem MV Schweiz Gemäss Statistik Austria waren 2019 be- Alleinerziehende oft schon deutlich über- haben der Mieterverein Österreich reits 22 Prozent aller bestehenden Miet- schritten, erklärt der MVÖ-Präsident (MVÖ) und die Gewerkschaft vida letzten verträge in Österreich befristet (inklusive Georg Niedermühlbichler in «Fair Herbst ihre Mitglieder zu aktuellen der in aller Regel unbefristet vermieteten Wohnen»: «Wenn heute selbst ein durch- Aspekten rund um die Themen Mieten Gemeinde- und Genossenschaftswoh- schnittliches Einkommen für einen und Wohnen befragt. Ende Jahr präsen- nungen), 2010 waren es erst 14,5 Prozent. grossen Anteil der Wohnungen am pri- tierte der österreichische Schwester Im privaten Segment ist bei einem vaten Mietsektor nicht mehr ausreicht, verband des MV Schweiz in seiner Mit- Neuabschluss eine Befristung gemäss während auf der anderen Seite die Immo- gliederzeitung «Fair Wohnen» die MVÖ heute sogar die Regel. bilienwirtschaft satte Gewinne feiert, Resultate der Umfrage. Die Antworten dann ist der sogenannte freie Wohnungs- zeigen die grossen Probleme und den Recht auf Wohnen markt ganz offenbar aus den Fugen Reformstau der österreichischen Wohn- MVÖ und vida fordern angesichts geraten.» politik auf. dieser Resultate von der Bundesregierung Das österreichische Mietrecht kennt ein Entlastungspaket für die unteren und zwar Obergrenzen für Mieten und einen Mehrheit von Preisanstieg betroffen mittleren Einkommensklassen. Das Kündigungsschutz, aber nur für einen Teil Am meisten springt ins Auge, dass Paket müsse gesetzliche Massnahmen der privaten Wohnungen. So entscheiden 58 Prozent der Befragten angaben, persön- zur Eindämmung der Spekulation, Preis historisch entstandene Stichtage, ob ein lich von den Preissteigerungen der letzten obergrenzen, eine Mietrechtsreform, Mietverhältnis dem Mietrechtsgesetz Jahre «sehr betroffen» oder «ziemlich be- sozial gerecht gestaltete Massnahmen unterliegt oder nicht. Konkret gilt die troffen» zu sein. Dafür verantwortlich ma- gegen den Klimawandel sowie Mass- Mieten-Obergrenze dadurch praktisch chen 67 % der Befragten die «Spekulation nahmen gegen Armut durch zu hohe nur für Altbauten, die vor 1945 errichtet mit Immobilien», die Hälfte sieht die Energiekosten umfassen. wurden. Das betrifft in Österreich nur Verantwortung dafür auch in der Politik. Im Kampf gegen die ausufernde Im- rund 40 Prozent aller privaten Mieten. Tatsächlich sind die Mieten in Öster- mobilienspekulation fordern die Ver- Und da sich der Zeitpunkt nicht ver- reich gemäss dem wirtschaftsnahen bände dringende Massnahmen gegen die schiebt, nimmt die Anzahl der betrof- Thinktank Agenda Austria zwischen 2010 steigenden Grundstückspreise. Wohnen fenen Liegenschaften wegen Abbrüchen und 2020 um satte 44 Prozent ange- müsse in der österreichischen Verfassung stetig ab – gemäss einer von der Arbeiter- stiegen. Dabei sind sowohl Wohnungen als Grundrecht verankert werden, und kammer durchgeführten Studie waren in Privatbesitz berücksichtigt als auch soziale sowie gesellschaftspolitische As- es im Jahr 2009 noch 54 Prozent, aktuell Genossenschaften und Gemeindewoh- pekte im Bereich Wohnen müssten ge- wie erwähnt noch 40. Für die restlichen nungen, welche den Durchschnitt nach genüber der Wettbewerbsfreiheit und 60 Prozent der Wohnungen gibt es weder unten ziehen dürften. Dieser Anstieg ist Profitgier eindeutigen Vorrang erhalten. eine Mietzins-Obergrenze noch andere mehr als doppelt so hoch wie die Teue- Regelungen etwa zu Ablösen, Neben- rung im gleichen Zeitraum (19,8 Prozent). MVÖ fordert «Mietrecht für alle» kosten oder zur Behebung von Schäden. Ein grosses Problem sind die zuneh- Die Belastungsgrenzen seien längst menden Befristungen bei Mietverträgen. erreicht und für junge Familien und Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 15
Haushalt Text von Stefan Hartmann, Topten Foto: 123RF Energie sparen beim Wasserkochen Wasserkocher haben die Herdpfanne schon lange abgelöst. Sie sind schneller und hand licher – und senken den Energieverbrauch um bis zu 50 Prozent. Aber nicht alle Modelle sind gleich gut. Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 16
Die Hauptbotschaft zum Kauf eines Wasserkochers ist einfach: Immer nur so viel Wasser erhitzen wie nötig. So lässt sich am Gewinnen Sie ein Buch! meisten Energie sparen. Darum sollte man zuerst die Menge Wasser abmessen, die es für eine Tasse Tee, Kaffee oder Suppe braucht. Das sind meist nur etwa zwei Deziliter. Wichtig ist, dass das Gerät eine kleine Minimalfüllmenge hat und auch bloss zwei Deziliter Wasser erhitzen kann. Erwärmt man in der Regel In Kooperation mit dem Verlag nur kleine Mengen Wasser, reicht ein Gerät mit der Gesamt Kein & Aber verlosen wir füllmenge von einem halben Liter. Ein Wasserkocher kann aber nicht nur für das Kochen von drei Exemplare des Romans Tee- oder Kaffeewasser verwendet werden. Wer häufig Pasta «Mehr als ein Leben» von kocht, braucht regelmässig eine grosse Menge kochendes Milena Moser. Wasser. Am effizientesten erhitzt man das Spaghettiwasser im Wasserkocher und schüttet es dann in den Topf um. Einen Liter Schreiben Sie uns bis zum 31. März 2022 ein Wasser zu erhitzen dauert in der Regel 3 bis 4 Minuten. Mail mit dem Betreff «Buchverlosung» an: verlosung@mieterverband.ch Oft reichen 80 Grad Oft muss das Wasser gar nicht kochend heiss sein. Für Grüntee etwa oder für eine Bettflasche reichen schon 80 Grad. Dafür ist es ideal, wenn man die Temperatur beim Wasserkocher individuell einstellen und auf die gewünschte Wassertemperatur absenken kann. Weitere Tipps: Eine Warmhaltefunktion im Was- serkocher ist wenig sinnvoll, denn das braucht unnötig Energie. Besser, man erhitzt die noch warme Restmenge von neuem. Gut zu wissen Topten empfiehlt zwei Dutzend Wasserkocher, die getestet wurden. Es handelt sich durchwegs um energieeffiziente Ge- räte. Ist der Wasserkocher in Betrieb, sollten andere leistungs- starke Geräte wie Kaffeemaschine oder Staubsauger nicht eingeschaltet werden, da der Kocher viel Leistung beansprucht, in der Regel 2000 Watt bei 10 Ampere. Die von Topten ge- Milena Moser: Mehr als ein Leben. prüften Geräte verfügen über eine einstellbare Temperaturwahl Hardcover, 560 Seiten, CHF 35.— und über eine gut sichtbare Wasserstandsanzeige. Ob die Öff- nung genügend gross zum problemlosen Befüllen und Reinigen Helens Kindheit ist keine unbeschwerte. Ihre Mutter ist, wurde beim Test ebenfalls berücksichtigt. verarbeitet die Trennung von Helens Vater Luc vor- nehmlich mit Alkohol, während sich dieser eher seinem Hülle: Verbrennungsgefahr Reporter-Job und seinen wechselnden Freundinnen Beim Kauf des Wasserkochers sollte man ein Modell mit widmet, als sich seiner Verantwortung zu stellen. So wärmeisolierter Hülle bevorzugen, was den Wärmeverlust, lernt Helen früher, als ihr lieb ist, wie man sich allein letztlich aber auch die Verbrennungsgefahr senkt. Beim Auf- für den Kindergarten bereit macht und die Ausbrüche heizen sind zwar alle Geräte top, doch bei den meisten wird der Mutter vor den schaulustigen Nachbarinnen ver- gleichzeitig das Gehäuse heiss, und zwar bis zu 70 Grad. Dieser tuscht. Glücklicherweise wohnt da auch die Familie Sicherheitsmangel kann, gerade wenn Kinder im Haushalt sind, Esposito mit Sohn Frank, der Helens Hand hält und eine Gefahr darstellen. Es genügt nicht, wenn die Bedienungs- sein Lunchpaket mit ihr teilt. Als Luc eines Tages anleitungen nur vor heissen Stellen warnen. das Sorgerecht beansprucht, steht Helen vor einer grundlegenden Entscheidung. Welchen Lauf wird ihr Material: Kein Plastik Leben nehmen? Wird sie erfolgreich sein, verheiratet Ein weiterer Punkt, auf den es zu achten gilt, ist die Beschaf- mit ihrer Sandkastenliebe, aber belastet mit einer fenheit des Materials bei der Innenverkleidung des Wasser Schuld, die das Familienglück trübt? Oder will sie nur kochers. «Kassensturz» und «Saldo» haben kürzlich acht Was- weit weg, endlich unabhängig sein, sich ausprobieren serkocher mit Temperatureinstellungen zwischen 40 und und neu erfinden? Man lebt schliesslich nur einmal – 100 Grad getestet. Die Modelle waren innen ausschliesslich aus oder? Glas oder Metall, denn bei Geräten aus Plastik können sich beim Erhitzen kleinste Kunststoffteilchen lösen. Milena Moser liest im März an verschiedenen Orten in der Schweiz aus «Mehr als ein Leben»: Link zur Produkteliste von Topten (samt Angaben der Preise www.keinundaber.ch/veranstaltungen und Verkaufsstellen): www.topten.ch/wasserkocher Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 17
Miettipp Text von Fabian Gloor Illustration: Patric Sandri 18
Gut vorbereitet ist halb umgezogen Am offiziellen Umzugstermin Ende März werden viele Mieter*innen zügeln. Nach Kistenschleppen und Boden- schrubben folgt mit der Rückgabe der Wohnung die Kür einer erfolgreichen «Züglete». Mit der richtigen Vorbereitung meistern Sie auch diese souverän. Hugo Hugentobler lässt einen letzten gründlich reinigen. Gefordert ist ein Storen sowie das Schamponieren der prüfenden Blick durch das leere Wohn- Grossputz. Das gilt notabene auch dann, Teppichböden. zimmer seiner ehemaligen Wohnung wenn der Vertrag keine Details zur Rei gleiten. Alles blitzt und glänzt und der nigung enthält. Der kleine Unterhalt Geruch von Putzmittel steigt ihm in die Weil Hugentobler nichts dem Zufall Nase. Hugentobler ist zufrieden. Er hat überlassen will, hat er auch an den «Besenrein» ist nicht wörtlich zu verstehen sämtliche Böden und Kacheln in Küche, Einige Mietverträge – vorwiegend in «kleinen Unterhalt» gedacht. Als Mieter Badezimmer und Toilette feucht auf der Nordwestschweiz – verlangen nur muss er diesen nämlich vor der Woh- genommen, Schränke, Kühlschrank, eine «besenreine» Abgabe. Die Vermieter- nungsabgabe erledigt haben. Zum Kochherd, Backofen und sämtliche sani- schaft hat in solchen Fällen aber das kleinen Unterhalt gehören Kleinrepara- tären Anlagen gründlich gereinigt und Recht, eine sogenannte Reinigungspau- turen, die handwerklich normal begabte entkalkt, Poster und Selbstklebeetiketten schale zu verlangen. Diese beträgt in der Mieter*innen ohne spezielles Fachwissen entfernt, alle Wohnräume gestaubsaugt, Regel sechs Franken pro Quadratmeter. selbst ausführen können. Dass Hugen sämtliche Spannteppiche schamponiert Klingt fair, doch Putzmuffel freuen sich tobler als ausgebildeter Schreiner über- und den Keller sowie den Balkon nass jetzt zu früh: Die Formulierung «besen- durchschnittliche handwerkliche Fähig- aufgewischt. rein» ist nicht wörtlich zu verstehen. keiten besitzt, spielt deshalb keine Rolle. Zu dieser Putzaktion hat sich Hugen- Rasch mit dem Besen durch die Woh- Unter den kleinen Unterhalt fallen bei- tobler nicht freiwillig hinreissen lassen. nung zu wirbeln reicht nicht aus. Selbst spielsweise das Auswechseln von Glüh- Als Mieter ist er verpflichtet, am Ende der wenn im Mietvertrag nur eine «besen- birnen oder Sicherungen, der Austausch Mietdauer die Wohnung in einem gerei- reine» Abgabe vereinbart wurde, wird von eines Duschschlauchs oder das Ent- nigten Zustand seinem Vermieter zurück- Mieter*innen verlangt, dass sie Küche stopfen des Siphons beim Lavabo, sofern zugeben. Wie sauber die Wohnung vor und Bad gründlich reinigen, die Teppiche sich dieser mit einfachen Handgriffen dem Auszug zu sein hat, richtet sich zu- saugen und die Böden nass aufnehmen. abschrauben lässt. nächst nach dem Mietvertrag. Darin Streng rechtlich könnte man diese Anfor- Besonderes Fachwissen ist dagegen in werden oft Formulierungen wie «sorg- derungen an eine «besenreine» Abgabe der Regel bei Reparaturen technischer fältig gereinigt» oder «in einem sauber als zu hoch einstufen und hinterfragen, in Geräte erforderlich, insbesondere wenn gereinigten Zustand» verwendet. Das der mietrechtlichen Praxis jedoch sind sie sicherheitsrelevante Aspekte zu beachten heisst: Mieter*innen müssen Wohnung leider anerkannt. Immerhin spart man sind, wie zum Beispiel bei einer elektrisch und Nebenräume (z. B. Keller und Garage) sich das Fensterputzen, die Reinigung der betriebenen Anlage. Ob eine Fachperson Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 19
beizuziehen ist, kann sich auch aus der muss hier die Altersentwertung berück- Bedienungsanleitung des Geräts ergeben. sichtigt werden. Beim Wechseln der Backofenglühlampe etwa wird oft dazu geraten. Auch das Die Altersentwertung berechnen Streichen von Wänden und Decken ge- Beim Würzen eines Spiegeleis ist Hu- hört nicht zum kleinen Unterhalt. gentobler vor einiger Zeit der Salzstreuer aus der Hand gefallen und auf dem Glas- Verwirrende Kostengrenze keramikkochfeld gelandet. Dieses weist Früher ging man davon aus, dass Re- seither einen Spalt auf – ein Klassiker. paraturkosten von bis zu 150 Franken zum Wie viel schuldet Hugentobler beim kleinen Unterhalt gehören und deshalb Auszug seinem Vermieter für dieses Miss- von der Mieterschaft zu berappen sind. geschick? Hier lohnt sich ein Blick in die Paritätische Lebensdauertabelle Diese Faustregel gilt heute nicht mehr. «paritätische Lebensdauertabelle», die Die paritätische Lebensdauertabelle Die Kostengrenze ist nur noch beim Er- auch online verfügbar ist (siehe rechte von Mieterinnen- und Mieterver- band und Hauseigentümerverband satz von Bestandteilen wie zum Beispiel Spalte). Gemäss dieser Tabelle hat ein ist online verfügbar und kann als einem fehlenden Backblech oder einer Keramikkochfeld eine Lebensdauer von 15 Broschüre bestellt werden unter kaputten Kühlschrankschublade relevant. Jahren. Pro Jahr vermindert sich die von www.mieterverband.ch/url/ Rechnungen von Handwerker*innen den Mietenden zu entrichtende Entschädi- lebensdauer können dagegen nicht auf dieser Basis be- gung um 6,66 Prozent: Nach 15 Jahren ist urteilt werden. Denn wenn eine Fach- es durch die monatlichen Mietzins- person notwendig ist, liegt ja per se kein zahlungen der Mieterschaft bereits voll- kleiner Unterhalt mehr vor, selbst dann ständig abbezahlt und abgeschrieben. nicht, wenn die Rechnung weniger als Hugentobler ist vor 12 Jahren in die Woh- 150 Franken beträgt. nung eingezogen. Das Glaskeramik- Was ist mit der Altersentwertung – kochfeld war damals nicht neu, sondern muss Hugentobler die Kosten für den bereits 2 Jahre alt. Insgesamt hat das Ersatz des alten Duschschlauchs von Kochfeld demnach bereits 14 Jahre auf anno 2010 vollumfänglich selber tragen? dem Buckel. Massgebend ist das effektive Ja, denn im Bereich des kleinen Unter- Alter des Einrichtungsgegenstands. Wie halts spielt die Altersentwertung keine lange die Mieterschaft in der Wohnung Rolle. Doch keine Regel ohne Ausnahme: gelebt hat, ist dagegen unerheblich. Das Auszug und Einzug Muss der Vermieter nach Hugentoblers Glaskeramikkochfeld hätte also noch ein «Antworten auf alle mietrechtlichen Auszug beispielsweise den Kühlschrank Jahr lang seinen Dienst verrichten Fragen rund um den Ein- und Aus- zug» (32 Seiten mit Mängelliste), altershalber komplett auswechseln, so müssen. Folglich schuldet Hugentobler herunterladen oder bestellen unter muss Hugentobler die gespaltene Gemü- nach Adam Riese nur noch 6,66 Prozent www.mieterverband.ch/shop seschublade nicht selber ersetzen. des Preises eines neuen Glaskeramikfeldes. Für welche Schäden haften Mieter*innen? Cool bleiben Das Leben hinterlässt Spuren. So auch Nun kann nicht mehr viel schiefgehen. in Hugentoblers Wohnung. Dass diese am Die letzte Stolperfalle könnte allenfalls Ende der Mietdauer gewisse Gebrauchs- das Wohnungsabgabeprotokoll sein. spuren aufweist, ist darum völlig normal. Hugentobler weiss, dass er dieses nicht Für normale Abnutzungsschäden wie unterschreiben muss, sollte er mit dem beispielsweise die «Schatten» von Möbeln Inhalt nicht vollkommen einverstanden und Bildern an den Wänden, abgetretene sein. Versucht ihn die Vermieterschaft Spannteppiche oder den kleinen Kratzer dazu zu drängen, indem sie sich beispiels- im Parkett haftet Hugentober nicht. An- weise weigert, die Schlüssel entgegenzu- ders sieht es hingegen bei Schäden aus, nehmen, weil er das Protokoll nicht die wegen eines Missgeschicks oder auf- unterschreiben will, kennt Hugentobler grund exzessiven Gebrauchs entstanden einen altbewährten Trick: die Schlüssel sind. Dazu zählen zum Beispiel Wasser- mit eingeschriebenem Brief an den schäden auf dem Parkett, zerrissene Vermieter zurückschicken. Tapeten, ein Sprung im Lavabo, aber auch Nikotinablagerungen an den Wänden infolge Rauchens. Für solche Schäden sind Mieter*innen entschädigungs- pflichtig, jedoch nur anteilsmässig. Denn im Gegensatz zum kleinen Unterhalt Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 20
Hotline Die Vermieterin Darf ich die Wohnung meiner reagiert nicht Tochter zur Verfügung stellen? Mein Backofen hat den Geist auf Ich miete seit 2 Jahren eine Untermieterin. Entsprechend gegeben. Sofort habe ich meine Ver- 2-Zimmer-Wohnung. Meine kommt die Regel, wonach die Fabian Gloor beantwortet Ihre mieterin mit eingeschriebenem 19-jährige Tochter hat bisher in Vermieterschaft der Untermiete Fragen Brief darüber informiert und sie einer WG gelebt. Nun beginnt sie zustimmen muss, hier nicht aufgefordert, ihn zu reparieren. Sie mit dem Studium. Deshalb zum Tragen. Ob es sich um eine hat bisher nicht reagiert und ich möchte ich ihr meine Wohnung unentgeltliche Gebrauchsleihe muss seit zwei Monaten auf meine unentgeltlich zur Verfügung handelt, welche die Vermie geliebten Tiefkühlpizzas verzichten. stellen und mir eine andere Woh- terschaft unter bestimmten Wie weiter? nung suchen. Als meine Vermie- Umständen tatsächlich verbieten terin davon erfuhr, drohte sie mir könnte, spielt im vorliegenden Ihr Unmut ist nachvollziehbar. mit einer ausserordentlichen Kün- Fall ebenfalls keine Rolle. Denn Leider gibt es auch in der Gilde der digung. Sie stellt sich auf den Sie haben die Wohnung nicht Vermieter*innen schwarze Schafe. Standpunkt, ich hätte den Miet- irgendjemandem überlassen, Ein defekter Backofen ist ein klas vertrag verletzt. Zu Recht? sondern Ihrer Tochter in Ausbil- sischer Mietmangel. Gemäss Artikel dung. Deshalb kommt hier 256 OR ist die Vermieterschaft Vermieterschaft und Mieter- nicht das Mietrecht, sondern das verpflichtet, Ihnen das Mietobjekt schaft können vereinbaren, wie Kindsrecht zur Anwendung. in einem «zum vorausgesetzten das Mietobjekt zu gebrauchen Gemäss Art. 276 ZGB müssen die Gebrauch tauglichen Zustand» zu ist. Die Vertragsparteien können Eltern für den Unterhalt des übergeben und in diesem zu er- also definieren, ob die Räum Kindes sorgen. Dazu gehören halten. Da der Backofen zum Miet- lichkeiten beispielsweise als neben den Kosten für Erziehung, objekt gehört, muss er einwandfrei Wohnung, Lager, Büro oder Ate- Ausbildung und Nahrung auch funktionieren. Um Ihre Vermieterin lier gebraucht werden dürfen. diejenigen für die Unterkunft. zum Handeln zu motivieren, rate Vertraglich können sogar weitere Und zwar auch über den Zeit- ich Ihnen, den Mietzins bei der Modalitäten des Gebrauchs fest- punkt der Mündigkeit des Kindes Mietschlichtungsbehörde zu hin- legt werden, etwa dass die Woh- hinaus, sofern dieses noch keine terlegen. Vorab sollten Sie unbe- nung persönlich bewohnt angemessene Ausbildung abge- dingt einige Formalitäten beachten. werden muss. Wurde im Miet schlossen hat und es für die In einem eingeschriebenen Brief vertrag hingegen nichts Der Eltern finanziell zumutbar ist. müssen Sie der Vermieterin den artiges vereinbart, so gilt der Wenn Sie also Ihrer Tochter Ihre Mangel noch einmal melden und «übliche» Gebrauch. Zum übli- gemietete Wohnung unentgelt- Ihr eine angemessene Frist zur chen Gebrauch einer Wohnung lich zur Verfügung stellen, gehört Behebung setzen. Im selben Brief gehört es, Partner*innen, Kinder dies zum normalen Gebrauch müssen Sie die Hinterlegung oder andere nahestehende Per- der Wohnung. Eine ausserord- androhen, sollte der Mangel nicht sonen wie etwa Freunde bei sich entliche Kündigung des Mietver- innerhalb der Frist behoben sein. zu beherbergen. Da Ihnen Ihre trags mangels persönlichen Bleibt die Vermieterin untätig, Tochter nichts für die Wohnung Gebrauchs wäre daher unwirk- können Sie den Mietzins auf ein bezahlen muss, ist sie nicht sam. Sperrkonto bei der Schlichtungsbe- hörde einzahlen. Machen Sie das Der Backofen gehört zum Mietobjekt und muss deshalb einwandfrei funktio unbedingt fristgerecht. Als nieren, andernfalls liegt ein klassischer Mietmangel vor. Nächstes müssen Sie die Vermie- terin über die Hinterlegung infor- mieren. Nach der Einzahlung haben Sie 30 Tage Zeit, ein Schlichtungs- verfahren einzuleiten. Im Rahmen der Schlichtungsverhandlung ge- lingt es in der Regel, Vermieter*in- nen in die Pflicht zu nehmen. Neben dem Recht auf Mängelbehebung haben Sie auch das Recht auf eine ©123RF angemessene Mietzinsreduktion. Mieten + Wohnen Nr. 1, Februar 2022 21
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