Stadt der Zukunft II: Perspektiven der Zürcherinnen und Zürcher zwischen 30 und 39 Lebensjahren

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Stadt der Zukunft II: Perspektiven der Zürcherinnen und Zürcher zwischen 30 und 39 Lebensjahren
Schlussbericht 13. Dezember 2018

    Stadt der Zukunft II: Perspektiven der Zürcherinnen
    und Zürcher zwischen 30 und 39 Lebensjahren

    PD Dr. Dipl. Arch. Gabriela Muri Koller, Projektleiterin und Dozentin

    Sonja Kubat, Master of Arts UZH, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Im Auftrag von
Stadt Zürich
                                                                    Stadtentwicklung
                                                                    Integrationsförderung
                                                                    Stadthausquai 17
                                                                    8001 Zürich

                                                                    Tel. +41 44 412 37 37
                                                                    Fax +41 44 412 37 42
                                                                    www.stadt-zuerich.ch/integration

Zürich, im Februar 2019

Einblicke in Alltagsrealitäten

Unter dem Begriff Stadt der Zukunft greift die Dienstabteilung Stadtentwicklung wichtige
Trends und Treiber der wirtschaftlichen, sozialen und räumlichen Stadtentwicklung auf.

Mit «ZRH3039» wurde eine Altersgruppe in den Fokus genommen, die in der Stadt Zürich
nicht nur zahlenmässig an Bedeutung gewinnt. Im Lebensalltag dieser Altersgruppe ak-
zentuieren sich gesellschaftliche Megatrends wie Mobilität, Migration und Tertiarisierung
in besonderem Masse. Das zeigt ein nüchterner Blick in die Statistik.

Der für «ZRH3039» verantwortlichen Projektgruppe war es von Anfang an ein zentrales
Anliegen, neben nüchternen Daten ebenso Erfahrungen, Sichtweisen und Lebensrealtä-
ten sichtbar zu machen. Das Motto «nicht über, sondern mit» 30- bis 39-Jährigen zu
sprechen war eine wichtige Leitlinie bei der Konzipierung der verschiedenen Vorhaben
im Rahmen von «ZRH3039».

Es war deshalb eine zwingende Konsequenz, die eigenen Recherchen um eine stadteth-
nografische Studie zu erweitern. Der Anspruch war dabei, die Altersgruppe in ihrer Viel-
schichtigkeit sichtbar zu machen. In den vielfältigen Lebensrealitäten zeigen sich den-
noch Gemeinsamkeiten. So erweist sich etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
und die teils fehlenden politischen Mitsprachenmöglichen für viele Befragten als dringen-
des Thema. In hohem Masse geschätzt wird ferner die gesellschaftliche Vielfalt in der
Stadt. Gleichzeitig stellen die Befragten fest, dass sie sich selbst teils in einer «Bubble»
bewegen. Das sind Themen, die ebenso städtische Institutionen beschäftigen und be-
schäftigen müssen.

Die vorliegende Studie erfolgte im Auftrag von Stadtentwicklung Zürich. Sie gibt die Mei-
nung der Autorinnen wieder. Weitere Dokumente und Informationen sowie den zusam-
menfassenden Schlussbericht «ZRH3039» finden sich unter www.stadt-zu-
erich.ch/zrh3039.

Michael Bischof und Natalia Huser
Co-Projektleitung ZRH3039

Präsidialdepartement
Inhaltsverzeichnis

Abkü rzungsverzeichnis ................................................... 3
1.        In Kü rze – Zusammenfassung .......................... 4
2.        Theoretische Zugä nge: Begriffe und
          Debatten .................................................................... 7
3.        Methoden und Vorgehen .................................... 8
4.        Wer sind die 30- bis 39-Jä hrigen in der
          Stadt Zü rich?......................................................... 10
5.        Wo leben die 30- bis 39-Jä hrigen? ............... 11
6.        Soziale Netzwerke .............................................. 15
7.        Sample Interviews ............................................. 16
8.        Auswertung Interviews nach Kategorien . 19
8.1.      Wohnen – Quartier – Vernetzung ................ 19
8.2.      Mobilitä t im Alltag.............................................. 22
8.3.      Lebens-/Haushaltsform/Alltagsfü hrung.. 23
8.4.      Arbeiten .................................................................. 24
8.5.      Freizeit .................................................................... 26
8.6.      Digitalisierung ..................................................... 27
8.7.      Herausforderungen/Stress............................. 29
8.8.      Familiengrü ndung/Vereinbarkeit ............... 30
8.9.      Rush Hour of Life/Biografische Entscheide
          .................................................................................... 33
8.10. Altersgruppe 30- bis 39-
      Jä hrige/Wertvorstellungen ............................ 35
8.11. Gemeinschaft/Netzwerk/Engagement ..... 37
8.12. Vertreten durch Politik/Interesse an
      Politik ...................................................................... 39
8.13. Medienkonsum und Informiertheit ............ 41
8.14. Partizipation/Miteinbezug ............................. 43
8.15. Visionen und Wü nsche ..................................... 45
9.        Fazit und Handlungsempfehlungen ............ 49
Literatur-/Quellenverzeichnis................................... 53

2
Abkürzungsverzeichnis

W = Weiblich
M = Mä nnlich

Kind* = werdende Eltern

AUT = OÖ sterreich
CH = Schweiz
COL = Kolumbien
DE = Deutschland
GR = Griechenland
IT = Italien
PRT = Portugal
SRB = Serbien
USA = Vereinigte Staaten von Amerika

Kx = Stadtkreis

Anmerkung Seiten 19-48
- Aus Grü nden der Lesbarkeit und Verstä nd-
  lichkeit wurde bei wenigen Zitaten die Frage,
  welche im Interview gestellt wurde, in den
  farbigen Kä stchen ebenfalls aufgefü hrt.

3
1.    In Kürze – Zusammenfassung                         und ö ffentlich zugä ngliche Bevö lkerungsdaten
                                                         (Stadtentwicklung Stadt Zü rich 2018) mit explo-
„weil ab 40 ist man definitiv alt und settled,           rativen sozialrä umlichen Analysen und lebens-
keine Ahnung, an Day Raves gehen, irgend-                weltlichen Interviews verbindet. Im Zentrum
welche lustigen Tabletten einwerfen.“                    der Erhebungen stand ein qualitativer Zugang
W/33/1 Kind/CH/K4                                        mit dem Ziel, die Perspektiven, Herausforderun-
                                                         gen und Potentiale dieser Altersgruppe mittels
Zü rcherinnen und Zü rcher zwischen 30 und 39          konkreten Aussagen aufzuzeigen. Zwischen Mit-
Lebensjahren sind die grö sste 10-Jahres-               te Juni und Ende Juli 2018 wurden leitfadenge-
Alterskohorte in der Stadt und seit 1993 durch           stü tzte Interviews mit 18 in Zü rich lebenden
internationale Zuwanderung stetig gewachsen.             Personen zwischen 30 und 39 Jahren durchge-
Die Mehrheit ist im Ausland geboren (55%). Sie           fü hrt. Die fü nfzehn dem Interviewleitfaden zu-
sind geografisch sehr mobil und machen einen             grundeliegenden Kategorien betreffen zum ei-
hohen Anteil der Zu- und Wegziehenden aus. Sie           nen die Lebensbedingungen und den Alltag der
haben mehrheitlich einen Tertiä rabschluss und          Befragten im Wohnquartier, ihre Mobilitä t und
arbeiten in einem akademischen Beruf. Sie sind           Fragen zur alltä glichen Lebensfü hrung sowie
hä ufiger mit ihrer Wohnung und der Wohnum-             Arbeit, Freizeit und die Rolle der Digitalisierung
gebung unzufrieden und fü hlen sich ö fter „ü ber-    im Alltag. Theoretische Konzepte und Schlü ssel-
haupt nicht gut“ durch den Stadt- und Gemein-            begriffe dienten zudem dazu, spezifische Her-
derat vertreten, beinahe die Hä lfte hat denn           ausforderungen dieser Altersgruppe zu identifi-
auch kein Stimm- und Wahlrecht (Stadtentwick-            zieren, so der Begriff der Rush Hour of Life bzw.
lung Stadt Zü rich 2018).                               die biographische Situation, in der Ansprü che in
                                                         Privatleben, Karriere und Freizeit sich verdich-
                                                         ten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Die Perspektiven der 30- bis 39-Jährigen im
                                                         sowie bei den meisten Befragten der Zuzug aus
Fokus
                                                         anderen Regionen der Schweiz oder dem Aus-
Im Fokus der vorliegenden Studie stehen daher            land. Aufgrund statistischer Daten und der Be-
Perspektiven, Interessen, Herausforderungen              vö lkerungsbefragung 2015 (Stadtentwicklung
und Potentiale der 30- bis 39-Jä hrigen: Was            Stadt Zü rich 2018) wurden schliesslich Fragen
zeichnet diese Gruppe aus? Welchen Einfluss hat          nach politischen Interessen, Medienkonsum,
die besondere Situation in einer Lebensphase, in         Partizipation und Visionen fü r die Zukunft ge-
der bedeutsame Lebensentscheidungen anste-               stellt.
hen und Mehrfachbelastungen in Beruf und Fa-
                                                         Der gewä hlte Zugang ermö glicht es, ein differen-
milie auftreten? Welches Bild der Altersgruppe
                                                         ziertes und heterogenes Bild zu Alltagsfü hrung,
lä sst sich im Hinblick auf Lebensqualitä t, Identi-
                                                         Interessen, Herausforderungen, Identifikation,
fikation, Zugehö rigkeit, Teilhabe und Innovati-
                                                         gesellschaftlicher und politischer Beteiligung,
onskraft in der Stadt Zü rich zeichnen? Wie las-
                                                         Zugehö rigkeit sowie Anliegen dieser Alters-
sen sich die Bedü rfnisse dieser Altersgruppe
                                                         gruppe zu zeichnen. Unsere Auswertungen und
definieren? Wie kann die Stadt Zü rich schliess-
                                                         Analysen dienten daher der Ordnung und Ver-
lich in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren
                                                         mittlung der empirischen Ergebnisse, ohne den
ihre Perspektiven und Strategien auf diese Al-
                                                         Anspruch, ü ber die Aussagen hinaus objekti-
tersgruppe hin fokussieren?
                                                         vierbare Erkenntnisse zu generieren. Die Ergeb-
                                                         nisse bildeten schliesslich zusammen mit der
Schlüsselbegriffe, Methoden und Vorgehen                 Datenauswertung die Grundlage, um aus Sicht
Basis der Studie bildet eine stadtethnographi-           der Forschenden Handlungsstrategien und Emp-
sche Forschungsperspektive, die die Auswertung           fehlungen in Bezug auf die Bedü rfnisse der Al-
bestehender Sekundä rdaten aus der Bevö lke-           tersgruppe zu entwickeln.
rungsbefragung der Stadt Zü rich, Daten der
Schweizerischen Arbeitskrä fteerhebung (SAKE)
4
Wohnen, Mobilität und Lebensqualität                   ten und Genossenschaften anlegen mü ssen oder
Die Aussagen der 18 interviewten Personen              aber einen Immobilienmakler anheuern, um
zeichnen in vielen Aspekten ein positives Bild         eine Wohnung zu finden. Die Suche nach einer
der Stadt Zü rich als Lebens- und Wohnort: Plä t-    geeigneten Familienwohnung wird explizit auch
ze, an denen man sich „einfach so aufhalten“ und       als einer der Grü nde genannt, um Zü rich zu ver-
zufä llig Leute treffen kann, gibt es im Stadtzent-   lassen. Zü rich als internationale, urbane und gut
rum wie in den Quartieren aus Sicht der Befrag-        erreichbare Stadt ist fü r Personen aus dem Aus-
ten, wenn diese teilweise auch als zu „aufge-          land als Arbeitsort und kurzfristige Zwischensta-
rä umt“ und „hip“ bezeichnet werden. Das Ange-        tion beliebt. Besonders geschä tzt werden neben
bot an Kultur, Partys und Gastronomie wird sehr        den Karriereangeboten die vielfä ltigen Freizeit-
geschä tzt und auch rege genutzt. Die meisten         mö glichkeiten, die Lebhaftigkeit der Stadt und
bewegen sich in ihrem Alltag mit ö ffentlichen        die abwechslungsreichen Naherholungsmö g-
Verkehrsmitteln, Mobility oder Fahrrad und             lichkeiten. Der grö sste Teil der interviewten
wü nschen sich daher besser gekennzeichnete,          Neuzuzü ger*innen kann sich denn auch vorstel-
ausgebaute und sicherere Fahrradwege. Die              len oder plant bereits lä ngerfristig in der
ü berwiegende Mehrheit der befragten 30- bis          Limmatstadt zu bleiben. Als negative Faktoren
39-Jä hrigen lebt gerne in einem urbanen Umfeld,      werden jedoch die unzeitgemä ssen Bedingungen
schä tzt Zü rich als Stadt der kurzen Wege, in der   in Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von
Vieles in Gehdistanz erreichbar ist. Im Gegensatz      Beruf und Familie sowie die hohen Wohn- und
zu denjenigen, welche in den Kreisen 6, 7, 11          Lebenskosten genannt.
wohnen, sind die Befragten aus den Kreisen 3, 4,
5 und 12 deutlich weniger mobil und bewegen            Arbeit, Freizeit und Digitalisierung
sich in ihrem Alltag und der Freizeit hä ufiger
                                                       Fü r die ü berwiegende Mehrheit der 18 Befrag-
innerhalb der angrenzenden Quartiere.
                                                       ten soll die Arbeit sinn- und identitä tsstiftend
Die beschriebenen Formen der Vernetzung be-            sein – sie ist ein bedeutender Aspekt der Selbst-
stä tigen denn auch das eher ü berraschende Bild     verwirklichung und die Anforderungen an den
einer im Nahumfeld vernetzten Bevö lkerung, die       Job sind daher sehr hoch. Die Arbeitstä tigkeit
gerne in einem stä dtischen, heterogenen All-         steht jedoch in Konkurrenz zur Freizeit und den
tagsumfeld lebt. Die Verbundenheit mit dem             vielen Optionen der Lebensgestaltung. Erstaun-
eigenen Wohnquartier fä llt unter den Befragten       lich homogen sind die Vorstellungen ü ber die
unterschiedlich aus. Dies liegt zum einen daran,       Freizeitgestaltung. Haushaltsarbeiten, Aktivitä -
dass die Mehrheit der Befragten im Ausland o-          ten mit dem/der Partner*in sowie Freunden,
der in anderen Regionen der Schweiz aufge-             Events und Sport mü ssen neben dem Beruf ge-
wachsen ist. Es hat zum anderen damit zu tun,          pflegt werden und fü hren zur Erfahrung einer zu
dass die Auswahl des Wohnquartiers aufgrund            ausgefü llten Freizeit. Freizeit dient fü r viele
des knappen Wohnraumangebots im unteren                nicht der Entschleunigung des Alltags, sondern
und mittleren Preissegment mehrheitlich aus            stellt ein zusä tzlicher Faktor der Zeitverdichtung
pragmatischen Grü nden erfolgt. Ausnahmslos           dar. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Nut-
alle Befragten bezeichnen die Suche nach einer         zung von sozialen Medien. Die Aussagen zur
bezahlbaren, geeigneten Wohnung als grosses            Digitalisierung im Alltag zeichnen ein heteroge-
Problem.                                               nes Bild von Digital Natives, die ohne die unter-
Die Auswertung der Befragungen zeigt, dass die         schiedlichen Unterhaltungs- und Kommunikati-
in Zü rich gut vernetzten, mit hohem kulturellem      onsangebote nicht leben kö nnen, ü ber Personen,
und sozialem Kapital ausgestatten Personen             die sich zunehmend von gewissen Plattformen
einen Vorteil geniessen: Sie gelangen einfacher        distanzieren bis zu sehr kritischen Haltungen,
zu Genossenschaftswohnungen oder gü nstigem           die gesellschaftliche Ungleichheiten als Folge der
Wohnraum ü ber Bekannte. Wä hrend Neuzuzü -         Digitalisierung ins Feld fü hren. Das „rote Ding
ger*innen beispielsweise Tabellen mit Neubau-          auf dem Handy“, das leuchtet, und der Zwang, in

5
sozialen Netzwerken, Bilder von coolen Events,          Dass Zü rich fü r Neuzuzü ger*innen auch eine
Reisen, Restaurantbesuchen und vielen weiteren          kurzfristige Bleibe aber kein Herzensort ist, wi-
Freizeitbeschä ftigungen zu posten, sind bei eini-     derspiegelt sich in der hohen Anzahl Um-, Zu-
gen der Befragten stä ndig prä sent.                  und Wegzü ge. Die vielfä ltigen Begrü ssungsange-
                                                        bote der Stadt fü r Neuzugezogene werden eher
                                                        selten genutzt oder sind wenig bekannt. Eng-
Herausforderungen im Alltag
                                                        lischsprachige Personengruppen aus dem Aus-
Die Befragten als Vertreter*innen der Alters-
                                                        land bemä ngeln, dass sowohl die offiziellen Sei-
gruppe der 30- bis 39-Jä hrigen bezeichnen mit
                                                        ten der Stadtverwaltung als auch nationale Zei-
wenigen Ausnahmen Stress als die Herausforde-
                                                        tungen, Blogs und Netzwerke kaum in Englisch
rung im Alltag: Trotz Trennung in eine Arbeits-
                                                        publizieren. Viele der Befragten bewegen sich
und Freizeitbox fü hren die vielen Mö glichkeiten
                                                        auch aufgrund dieser Sprachbarrieren in digita-
– die selbst auferlegten und die gesellschaftli-
                                                        len Netzwerken ihrer eigenen Community. Die
chen Anforderungen – dazu, dass „man irgend-
                                                        fehlende Mö glichkeit der politischen Partizipati-
wie mit allem beschä ftigt“ ist und man „stä ndig
                                                        on fü r auslä ndische Stadtbewohner*innen ist ein
an zu vielen Sachen gleichzeitig herumrü hrt“.
                                                        dringendes Anliegen. Ausnahmslos alle Befrag-
Die Erfahrung der stä ndigen Optionen verdich-
                                                        ten, welche kein Schweizer Bü rgerrecht haben,
tet sich besonders in dieser Lebensphase, die in
                                                        mö chten nicht ausschliesslich als Arbeitstä tige
der Biografieforschung auch als Rush Hour of
                                                        willkommen sein und zumindest auf kommuna-
Life bezeichnet wird. Die Arbeit verlangt stete
                                                        ler Ebene mitbestimmen, mitreden und ü ber das
Erreichbarkeit. Aufstiegsoptionen und Weiter-
                                                        lokale Geschehen informiert werden. Schliess-
bildungsangebote stehen im Widerstreit mit
                                                        lich begrü sst auch eine grosse Mehrheit der In-
Mö glichkeiten, die Freizeit sinnerfü llt zu nutzen
                                                        terviewten mit Schweizer Bü rgerrecht die Ein-
und an der Selbstoptimierung zu arbeiten. Oft ist
                                                        fü hrung der politischen Mitwirkungsrechte fü r
es eine Lebensphase, in der die Familiengrü n-
                                                        Auslä nder*innen unter bestimmten Bedingun-
dung die Organisation des bereits vorher dicht
                                                        gen. Einige Schweizer Gemeinden kennen be-
gefü llten Alltags auf die Probe stellt.
                                                        reits die politischen Rechte fü r auslä ndische
                                                        Bü rger*innen, dies allerdings unter unterschied-
Netzwerke, Engagement und Mitbestimmung                 lichen Bedingungen: Meist sind sie an eine mi-
Die Mehrheit der achtzehn befragten Personen            nimale Aufenthaltsdauer und/oder eine Nieder-
bewegt sich in sehr homogenen Gruppen und               lassungsbewilligung geknü pft. Fü nf Westschwei-
trifft sich in den gleichen (Frei-)Rä umen oder an     zer Kantone haben das Auslä nderstimmrecht fü r
denselben Events. Das Bild einer Blase, in der          alle Gemeinden des Kantons eingefü hrt (Jura,
diese Altersgruppe lebt, zeigt sich auch bei For-       Neuenburg, Waadt, Freiburg und Genf). Einige
men und Arten, Gemeinschaft und Netzwerke zu            wenige Deutschschweizer Kantone stellen es
pflegen und sich zu engagieren. Der Begriff der         Gemeinden frei, ein solches fakultatives Stimm-
Sinn-Nomaden umschreibt zudem die Suche                 und Wahlrecht einzufü hren (Appenzell Ausser-
zwischen sinnvoller Arbeit und immer neuen              roden, Graubü nden und Basel-Stadt) (EKM
Mö glichkeiten, – Lebensformen, Szenen, Kons-          2016). UÜberdies verfü gen auch Bü rger*innen
umstilen –, die offenstehen, und der Dringlich-         der Europä ischen Union ü ber ein Kommunal-
keit, ein glü ckliches, und abwechslungsreiches        wahlrecht ihres Hauptwohnsitzes, unabhä ngig
Leben zu fü hren. Die Individuen benö tigen hier      davon, in welchem Mitgliedstaat sich dieser be-
auch Ressourcen, finanzielle wie soziale und            findet.
kulturelle, um mit dieser Offenheit umgehen zu
kö nnen. Freiwilliges Engagement erfolgt gezielt,      Visionen und Wünsche
themenorientiert und in der Tendenz kurzfristig.
                                                        Die Visionen und Wü nsche fü r Zü rich bilden
Viele der Befragten wü rden sich gerne stä rker
                                                        schliesslich ein breites Spektrum ab. Zü rich wird
engagieren, wenn es die Zeit zulassen wü rde.
                                                        als attraktive Stadt mit einem reichen Angebot

6
an kulturellen Veranstaltungen, Events, Treff-        Im Zentrum stehen dabei folgende Fragen: Wie
punkten, Gastronomie, Konsum sowie grosszü -         wird der Alltag unter bestimmten Kontextbedin-
gigen und zu Fuss erreichbaren Plä tzen, Frei-       gungen gestaltet? Wie sehen konkrete alltä gliche
rä umen und Naherholungsmö glichkeiten wahr-        Praxen in den Handlungsfeldern Beruf, Hausar-
genommen. Fü r einige ist Zü rich jedoch auch       beit, Care fü r andere, Freizeit, Freundschafts-
eine Stadt, welche „zu homogen und aufgerä umt       und Verwandtschaftsnetzwerke aus? Wie deuten
ist“ oder sich „superfancy“ zeigt. Diversitä t und   und erklä ren die Befragten ihr Handeln?
Vielfalt mü ssten mehr gelebt werden. Neben          Schliesslich ist die Lebensfü hrung eingebettet in
hervorragenden sozialen Institutionen werden          die Lebensbedingungen in der Stadt Zü rich, in
im Asylbereich Verbesserungen gewü nscht.            den Arbeitsmarkt, Leistungssysteme und Infra-
Deutlich wird bei allen Befragten, dass die Ver-      strukturen oder in stadträ umliche Bedingungen,
einbarkeit von Familie und Beruf enorm heraus-        Quartiere und Wohnsiedlungen. Einen wesentli-
fordernd ist und eine zeitgemä sse Familienpoli-     chen Faktor bilden dabei rä umliche und zeitliche
tik dringend erwü nscht wird. Die Limmatstadt        Voraussetzungen der Alltagsfü hrung, die we-
ist teuer im Vergleich zu anderen internationa-       sentlich von einer Stadt beeinflusst werden, aber
len Standorten und schliesst damit viele aus:         aus Sicht der Individuen den Rahmen fü r Optio-
„Wenn man wenig Geld hat, ist es sehr anstren-        nen und Mö glichkeiten bieten.
gend“. Mehr Mut zum Risiko und eine progressi-
vere Politik, welche Trends frü hzeitig erkennt,
                                                      Spricht man von einer Alterskohorte, sind die
wü nschen sich andere – etwas zu versuchen und
                                                      individuellen Biografien immer auch in poli-
auch zu scheitern, wie dies andere europä ische
                                                      tisch-ö konomische und gesellschaftliche Ver-
Stä dte bereits tun.
                                                      hä ltnisse eingebettet. Ein bestimmender Faktor
                                                      bei biografischen Konzepten seit den 1990er-
                                                      Jahren sind zum einen die zunehmenden Optio-
                                                      nen, aus denen gewä hlt werden kann: Sinn-
2.    Theoretische Zugänge: Begriffe                  Nomaden (Beck/Beck-Gernsheim 1994) ist das
      und Debatten                                    Stichwort dazu, weil Akteure aus Sinn-Mä rkten –
„Es ist einfach zuviel auf diese zehn Jahre           Weltdeutungsangeboten, Lebensformen, Szenen,
reingequetscht.“ W/33/1 Kind*/CH/K3                   Lifestyle-Angeboten, Konsumstilen usw. – le-
                                                      bensweltliche Teilorientierungen auswä hlen, die
                                                      oft nur fü r kurze Zeit Gü ltigkeit haben (Prisching
Theoretische Konzepte und Schlüsselbegriffe           2010). Die Individuen werden zu Konstrukteu-
Die vorliegende Studie befasst sich mit dem All-      ren ihres Ichs, zu Gestaltern ihrer Zukunft und
tag, den Perspektiven und Herausforderungen           kö nnen sich zwischen zahlreichen Formen der
einer bestimmten Alterskohorte. Das soziologi-        Selbststilisierung, Rollen und Sinnwelten ent-
sche Konzept der Alltäglichen Lebensführung           scheiden. Dies erfordert jedoch materielle und
ist ein deskriptiv-analytisches Konzept, das den      soziale Ressourcen, aber auch die Fä higkeit, mit
Alltag, die konkreten Praxen, aber auch die Kon-      offenen und ambivalenten Entscheidungen um-
textbedingungen des Handelns mit subjektiven          zugehen (Keupp 1999).
Perspektiven verbindet (Dunkel 2001). Es wur-
de in den 1980er-Jahren entwickelt, um Auswir-
                                                      Zum anderen lä sst sich mit Blick auf die Verdich-
kungen gesellschaftlichen Wandels seit Mitte der
                                                      tung und Gleichzeitigkeit von Anforderungen an
1960er-Jahre zu erfassen. Modernisierungsfol-
                                                      Karriereentwicklung und Familiengrü ndung der
gen in der Arbeitswelt, verä nderte Geschlechter-
                                                      Schlü sselbegriff der Rush Hour of Life als we-
rollen, Digitalisierung und neue Praxen der Mo-
                                                      sentliches Kennzeichen der Lebensfü hrung nen-
bilitä t haben seit Beginn des 21. Jahrhunderts
                                                      nen (BMFSFJ 2006; Bittman/Rice 2000). Die
dazu gefü hrt, dass das Konzept wieder an Aktua-
                                                      Rush-Hour des Lebens bezeichnet in der Sozio-
litä t gewonnen hat (z. B. Zeiher 2017).
                                                      logie die Lebensphase vom Abschluss der Be-

7
rufsausbildung bis zur Lebensmitte, einschliess-     vö lkerung, Altersklassen und Stadtquartieren
lich der Phase der Familiengrü ndung, und be-       sowie Quartieranalysen und dem sozialen Status
schreibt damit wesentliche Herausforderungen         bildete die Grundlage fü r die Bestimmung von
der Lebenspraxis dieser Altersgruppe. Der Be-        stä dtischen Wohnquartiere, in denen die Alters-
griff bringt zum Ausdruck, dass durch spä teren     gruppe anteilsmä ssig ü ber- bzw. unterdurch-
Berufseinstieg/Karrierebeginn einerseits und         schnittlich vertreten ist. Damit konnten typische
weitgehend festgelegtes Ende der Zeit fü r Fami-    Wohn- und Lebenslagen eruiert, die Mehrheits-
liengrü ndung andererseits Berufsaufstieg und       gruppe als Regelfä lle sowie kontrastierende Fä l-
Familiengrü ndung immer ö fter gleichzeitig in     le identifiziert werden. Im Zentrum des For-
kü rzerer Zeitspanne zu bewä ltigen sind. Das      schungsprojektes stand ein qualitativer Zugang
Balance- und Vereinbarkeitsmanagement wird           mit dem Ziel, die Perspektiven, Interessen, Her-
zu einer zentralen Herausforderung, die im Falle     ausforderungen und Potentiale dieser Alters-
von Lebensformen mit Kindern je nach Ressour-        gruppe mittels konkreter Aussagen aufzuzeigen.
cen sowie geschlechterbezogen unterschiedlich
akzentuiert ist (Jurcyk 2007; Jurcyk et al. 2009:
                                                     Zwischen Mitte Juni und Ende Juli 2018 wurden
S. 61). Die beschriebenen Konzepte und Schlü s-
                                                     leitfadengestü tzte Interviews mit 18 in Zü rich
selbegriffe waren neben anderen Faktoren fü r
                                                     lebenden Personen zwischen 30 und 39 Jahren
die Entwicklung des Interviewleitfadens mass-
                                                     durchgefü hrt. Auf Basis der rund einstü ndigen
gebend.
                                                     Interviews wurden in Anlehnung an Verfahren
                                                     der Grounded Theory in drei Auswertungspha-
                                                     sen Perspektiven, Interessen und Herausforde-
                                                     rungen dieser Altersgruppe mittels konkreter
3.    Methoden und Vorgehen                          Aussagen erarbeitet.
                                                     Die fü nfzehn dem Interviewleitfaden zugrunde-
Basis der Studie bildet eine stadtethnographi-       liegenden Kategorien dienten dabei dazu, das
sche Forschungsperspektive, die die Auswertung       Interview inhaltlich zu strukturieren. Die Kate-
bestehender Sekundä rdaten aus der Bevö lke-       gorien betreffen zum einen die Lebensbedin-
rungsbefragung der Stadt Zü rich, Daten der         gungen und den Alltag der Befragten im Wohn-
Schweizerischen Arbeitskrä fteerhebung (SAKE)       quartier, ihre Mobilitä t und Fragen zur alltä gli-
und ö ffentlich zugä ngliche Bevö lkerungsdaten   chen Lebensfü hrung sowie Arbeit, Freizeit und
(Stadtentwicklung Stadt Zü rich 2018) mit explo-    die Rolle der Digitalisierung. Die beschriebenen
rativen sozialrä umlichen Analysen und lebens-      theoretischen Konzepte und Schlü sselbegriffe
weltlichen Interviews verbindet. In einem ersten     dienten dazu, spezifische Herausforderungen
Schritt ermö glichten eine Literaturrecherche zu    dieser Altersgruppe zu identifizieren: Erfahrun-
zentralen Konzepten und die Analyse demogra-         gen von Stress im Alltag, die biographische Situ-
fischer, ö konomischer und sozialer Merkmale        ation, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
eine UÜbersicht ü ber wesentliche Faktoren, wel-    sowie bei den meisten Befragten die besondere
che die Altersgruppe der 30- bis 39-Jä hrigen       Lebenslage als aus anderen Regionen der
auszeichnen.                                         Schweiz oder dem Ausland Zugezogene. Auf-
                                                     grund statistischer Daten und der Bevö lke-
Die explorative Auswertung von Statistiken, Stu-     rungsbefragung 2015 der Stadt Zü rich (Stadt-
dien und Szenarien zu Lebensfü hrung, Arbeits-      entwicklung Stadt Zü rich 2018) wurden
und Haushaltsformen, Familiengrü ndung und zu       schliesslich Fragen nach politischen Interessen
sozialen Netzwerken fokussierte auf einer zwei-      bezü glich der Stadt Zü rich, Medienkonsum, Par-
ten Untersuchungsebene auf Herausforderungen,        tizipation und Visionen fü r die Zukunft gestellt.
so zum Beispiel die Frage der Vereinbarkeit von      Die Interviewtranskripte wurden in einem
Berufs- und Familienleben. Die Auswertung be-        mehrstufigen Verfahren individuell ausgewertet.
stehender kleinrä umlicher Daten zur Wohnbe-        Die in einem ersten Schritt anhand einer offenen

8
Codierung eruierten Themen und Kategorien            Qualitative Forschung hat hier nicht den An-
wurden in einem zweiten Schritt im Rahmen            spruch, statistisch relevante Aussagen ü ber die-
einer vergleichenden Analyse im For-                 se Altersgruppe zu erheben, sondern Lebenswel-
schungsteam mit dem Ziel ausgewertet, eine           ten „von innen heraus“ aus Sicht der Befragten
verdichtete Narration zu Kernkategorien, – zum       zu beschreiben (Flick/Kardoff/Steinke 2005:
Beispiel was diese Altersgruppe auszeichnet –,       14). Qualitative Forschung ist dabei „nä her dran“
zu erzä hlen (z. B. Gö tzö 2014). Die im Rahmen   am Alltag und an den Bedü rfnissen der Befrag-
der Auswertung vorgestellten Ergebnisse folgen       ten und erö ffnet eine unbekannte Sicht auf sta-
zwar den fü nfzehn fü r den Interviewleitfaden     tistisch bestimmbare Bevö lkerungsgruppen.
definierten Kategorien, sollen jedoch ein hetero-    Dieser Zugang ermö glicht es, ein umfassendes
genes Bild der Altersgruppe zeichnen, das auch       und gleichzeitig differenziertes und heterogenes
Einzelfä lle und spezifische Perspektiven der       Bild zu Alltagsfü hrung, Interessen, Herausforde-
Befragten reprä sentiert. Durch das kontinuierli-   rungen, Identifikation, gesellschaftlicher und
che Vergleichen der Kategorien und achtzehn          politischer Beteiligung, Zugehö rigkeit sowie
Fallbeispiele wird damit eine komplexe und va-       Anliegen und Visionen der Befragten zu zeich-
riationsreiche Darstellung der Aussagen er-          nen. Die Ergebnisse bildeten zusammen mit der
reicht, die sich in den Zitaten und „Alltagstheo-    Datenauswertung die Grundlage, um Hand-
rien“ der Befragten selbst verdichtet. Die Aus-      lungsstrategien und Empfehlungen in Bezug auf
wertung und Analysen der Forschenden dienten         die Bedü rfnisse der Altersgruppe entwickeln.
dabei der Ordnung und Vermittlung der empiri-
schen Ergebnisse ohne den Anspruch, ü ber die
Aussagen hinaus abschliessende oder gar objek-
tivierbare Erkenntnisse aus Sicht der Forschen-
den zu generieren oder widersprü chliche Aus-
sagen zu werten.

Grafik 1: Anteile 20-29, 30-39 und 40-49-Jährige,
1993, 2004, 2017 und 2025 (mittleres Szenario)

Eigene Berechnung auf Basis: Statistik Stadt Zü-
rich, Bevölkerung seit 1993, Bevölkerungs-
szenarien

9
4.    Wer sind die 30- bis 39-                         (2013/2015/2017) miteinbezogen. Die Auswer-
      Jährigen in der Stadt Zürich?                    tungen dieser vier Sekundä ranalysen beziehen
                                                       sich nicht ausschliesslich auf die Altersgruppe
                                                       der 30- bis 39-Jä hrigen, dienen jedoch der Kon-
Zü rcherinnen und Zü rcher zwischen 30 und 39        textualisierung der Erkenntnisse und stellen
Lebensjahren sind die grö sste 10-Jahres-             wichtige Ergä nzungen dar, welche fü r die Ausar-
Alterskohorte in Zü rich. Ihr Anteil machte im        beitung des qualitativen Interviewleitfadens und
Jahr 2017 rund 21.1 Prozent (89‘315 Personen)          Samples erforderlich waren.
der Gesamtbevö lkerung (423‘310 Personen) aus
(Statistik Stadt Zü rich 2017).
                                                       Soziodemografische Merkmale
Seit 1993 ist diese Altersgruppe durch internati-
                                                       - Grö sste 10-Jahres-Alterskohorte in der Stadt
onale Zuwanderung stetig gewachsen und seit
                                                         Zü rich, Wachstum der Alterskohorte aus-
2009 bilden die im Ausland geborenen Zü r-
                                                         schliesslich durch Zuwanderung
cher*innen mit ü ber 55% die Mehrheit in dieser
                                                       - 55% ist im Ausland geboren, 5.5% sind seit
Alterskohorte. Im Vergleich mit den rund 40%
                                                         Geburt in Zü rich
Anteil auslä ndischer Bü rger*innen in der Ge-
                                                       - 36.8% sind aus dem Ausland direkt nach
samtbevö lkerung der Stadt Zü rich ist dies eines
                                                         Zü rich gezogen, wä hrend 57.7% aus der
der charakteristischen Merkmale der 30- bis 39-
                                                         Schweiz nach Zü rich gezogen sind (inklusive
Jä hrigen (Stadtentwicklung Stadt Zü rich 2018).
                                                         Foreign Born)
Gemä ss mittlerem Bevö lkerungsszenario fü r das
                                                         (Quelle: Stadtentwicklung Stadt Zürich 2018)
Jahr 2025 wird der Anteil der 30- bis 39-
Jä hrigen in der Stadt Zü rich zwar erstmals seit
1993 marginal abnehmen (-0.3%), hingegen               Sozioökonomische        Merkmale       &   Arbeits-
wird anteilsmä ssig die Alterskohorte der 40- bis       markt
49-Jä hrigen leicht zunehmen (+1.1 %).                - Stä rkste Einbindung in den Arbeitsmarkt:
                                                         92% Erwerbstä tige, im Vergleich mit der Ge-
Was zeichnet diese Gruppe aus? Der Blick auf             samtbevö lkerung findet sich in der Altersko-
die Datenauswertungen der Stadtentwicklung               horte der grö sste Anteil mit Tertiä rabschluss
Zü rich zeigt, dass eine Mehrheit der 30- bis 39-       (67%)
Jä hrigen Zü rcher*innen eine eigene Migrations-     - Ca. 49% arbeiten in einem akademischen
geschichte hat, als Akademiker*innen in hohem            Beruf oder sind Fü hrungskrä fte, ca. 15%
Masse in den Arbeitsmarkt integriert sind, je-           Techniker*innen oder gleichrangig, ca. 12%
doch aufgrund einer auslä ndischen Staatsange-          Fü hrungskrä fte, ca. 10% Bü rokrä fte, ca. 10%
hö rigkeit beinahe die Hä lfte von der demokrati-      Dienstleistungsberufe, ca. 5% Handwerksbe-
schen Mitsprache in der Schweiz ausgeschlossen           rufe,      ca.      2%     Fachkrä fte       Land-
ist (Stadtentwicklung Stadt Zü rich 2018).              /Forstwirtschaft
                                                         (Quelle: Stadtentwicklung Stadt Zürich 2018)

Die wichtigsten Erkenntnisse der unverö ffent-
lichten Datenauswertung der Projektgruppe              Haushaltsformen, Familiengründung, Haus-
„Stadt der Zukunft II“, welche als Faktenbasis fü r   arbeit und Kinderbetreuung
die vorliegende Studie dient, werden im Folgen-        - 55% leben in Ein- oder Zweipersonenhaus-
den zusammengefasst dargestellt. Im Hinblick              halten ohne Kinder
auf Haushaltsformen, Familiengründung, Haus-            − 30% leben in einem Haushalt mit Kindern
arbeit und Kinderbetreuung sowie Zuwanderung,          - 10% leben in kollektiven Haushaltsformen
Nationalitätenmix und Aufenthaltsdauer wurden             (Wohngemeinschaften)
zudem Erkenntnisse aus der Studie des Bundes-             (Quelle: Stadtentwicklung Stadt Zürich 2018)
amts fü r Statistik (2017) sowie Datenauswer-
tungen      der      Statistik    Stadt    Zü rich

10
- In der Stadt Zü rich beträ gt das durchschnitt-    - Die weitaus grö sste Gruppe der Zuziehenden
   liche Alter der Mutter bei Geburt des ersten          kommt aus Deutschland (ca. 25.3% im Ver-
   Kindes 32-34 Jahre                                    gleich zu allen Zuziehenden)
- Generelle stä dtische Entwicklungen: Einper-        - Die Mehrheit der Zuzü ger*innen ist zwischen
   sonenhaushalte abnehmend, Familienhaus-               20 und 35 Jahre alt
   halte zunehmend                                     - Die neun hä ufigsten Nationalitä ten sind: Ita-
 − Patchwork-Haushalte sind (noch) selten –              lien, Portugal, Spanien, OÖ sterreich, Frank-
   Familien, die getrennt in zwei Wohnungen              reich, Grossbritannien, Serbien, Tü rkei, Indi-
   leben, werden statistisch nicht als Einheit er-       en
   fasst                                               - Ca. 60% der Zuzü ger*innen leben we-
- Familieninterne Kinderbetreuung: leichte               niger als 3 Jahre in der Stadt Zü rich
   Zunahme Anteil der Vä ter und Betreuung               (Quelle: Statistik Stadt Zürich 2013/Statistik
   durch beide Elternteile                                Stadt Zürich 2017)
 − Rund 80% der Familien nutzen familienex-
   terne Kinderbetreuung; bei rund 62% der
                                                       Politische Partizipation, (Un-)Zufriedenheit
   Familien ü bernehmen Mü tter hauptsä chlich
                                                       und Wünsche
   die Hausarbeit
- Paare mit (einem) Kleinkind leben hä ufig           - Knapp 50% hat kein Stimm- und Wahlrecht
   zentraler als Ehepaare mit mehreren und ä l-       - Das lokale Politikinteresse der 30- bis 39-
   teren Kindern                                         Jä hrigen ist verhä ltnismä ssig tief; sie fü hlen
   (Quelle: Statistik Stadt Zürich 2013/Statistik        sich ö fter «ü berhaupt nicht gut» durch Stadt-
   Stadt Zürich 2015)                                    und Gemeinderat vertreten
                                                       - Grü nde dafü r finden sich bei fehlenden poli-
                                                         tischen Rechten als Auslä nder*innen sowie
- In der Schweiz liegt die Anzahl Kinder tiefer          dass «zu wenig» fü r die Integration getan
  als die in jungen Jahren gewü nschte Anzahl           werde
- Dies gilt spezifisch fü r Frauen mit Tertiä rab-   - Politikfelder, welche in der Altersgruppe eine
  schluss und Karriereabsichten                          ü berproportionale Unzufriedenheit im Ver-
− Stä rkste beeinflussende Aspekte bei Ent-             gleich mit der Gesamtbevö lkerung aufzeigen:
  scheid fü r ein Kind: Qualitä t der Beziehung,       Stadt engagiert sich «zu wenig» fü r: Fö rde-
  Arbeitsbedingungen, Kinderbetreuungsmö g-             rung des Velofahrens (56%), Gleichstellung
  lichkeiten und Aufteilung der Kinderbetreu-            (39%), Integration (38%), verkehrsberuhi-
  ung                                                    gende Massnahmen (35%), Verbesserung
  (Quelle: Bundesamt für Statistik 2017)                 Umweltsituation (35%)
                                                         (Quelle: Stadtentwicklung Stadt Zürich 2018)
Zuwanderung, Nationalitätenmix und Auf-
enthaltsdauer
- Die Alterskohorte ist geografisch hoch mobil
- 30% der Umzü ge innerhalb der Stadt und                 5. Wo leben die 30- bis 39-
  30% der Wegzü ge aus der Stadt Zü rich erfol-             Jährigen?
  gen durch 30- bis 39-Jä hrige
- Ausgeglichener Wanderungssaldo: Zu- und
  Wegwanderung halten sich die Waage                   Die Bevö lkerungsbefragung 2015 von rund
  (Quelle: Stadtentwicklung Stadt Zürich 2018)         2‘500 in der Stadt wohnhaften Personen ab 18
                                                       Jahren zeigt, dass die tiefe Zufriedenheit mit der
- Rund 85% aller in die Stadt Zü rich Zuziehen-       aktuellen Wohnung ein besonderes Merkmal
  den stammen aus einem europä ischen Land            innerhalb dieser Altersgruppe ist. Grü nde dafü r
                                                       sind die Grö sse der Wohnung, die dicht bebaute
                                                       Wohnumgebung und das Preisniveau. Der Anteil,

11
welcher in gemeinnü tzigen Wohnungen lebt, ist         Zentrumsangebote, der Grü n- und Freirä ume
in der untersuchten Alterskohorte deutlich ge-          sowie der kurzen Distanzen zu Verkehrs- und
ringer im Vergleich zur Gesamtbevö lkerung und         Dienstleistungen sehr beliebt.
beinahe 60% wü nschen sich, dass mehr Wohn-
raum in der Stadt Zü rich geschaffen wird. Ein
                                                        Wohnraum ist knapp
Drittel hat denn auch konkrete Umzugsabsichten
                                                        Die aufgefü hrten Wohnlagen werden jedoch
(Stadtentwicklung Stadt Zü rich 2018).
                                                        vielfach nicht anhand von Angebot und Nachfra-
                                                        ge gewä hlt. Der soziale Status, die Familiensitua-
Trendquartiere werden bevorzugt                         tion, das Einkommen, individuelle Lebensstile
Die Auswertung der Wohnbevö lkerung nach               und Erwartungen bestimmen, wie man leben
Altersklassen und Stadtkreisen zeigt deutlich,          mö chte. In der Mehrheit der durchgefü hrten 18
dass die Altersgruppe der 30- bis 39-Jä hrigen         Interviews wird das knappe Wohnraumangebot
ü berdurchschnittlich stark in den Trendquartie-       im unteren und mittleren Preissegment in der
ren der Stadtkreise 3, 4 und 5 vertreten ist. An        Stadt Zü rich als grosse Problematik hervorgeho-
der Spitze findet sich das Quartier Escher Wyss         ben, welche die Wahlmö glichkeiten wesentlich
mit einem Anteil von knapp 33%, dicht gefolgt           einschrä nkt. Auffallend ist zudem, dass Umzü ge
von den Quartieren Langstrasse (30.8%), Werd            in Aussenquartiere hä ufig auf die Familiengrü n-
(28.7%), Sihlfeld (26.9%), Gewerbeschule                dung folgen oder parallel dazu verlaufen. Paare
(26.7%) und schliesslich Alt-Wiedikon (26.2%).          mit einem Kleinkind leben laut Statistik Zü rich
Der Blick auf die 10 Stadtquartiere mit den tiefs-      hä ufig zentraler als Ehepaare mit mehreren und
ten Anteilen der 30- bis 39-Jä hrigen verdeutlicht     ä lteren Kindern. Demzufolge findet sich eine
die relativ starke rä umliche Konzentration und        rä umliche Konzentration von Familien mit Kin-
anteilsmä ssig grossen Unterschiede zwischen           dern im Vorschulalter unter 5 Jahren in den
den einzelnen Quartieren und Kreisen.                   Quartieren Escher Wyss, Langstrasse, Alt-
                                                        Wiedikon, Familien mit Kindern zwischen 5 und
                                                        12 Jahren leben hingegen vergleichsweise hä ufi-
Wie eine jü ngst durchgefü hrte Analyse auf Basis
                                                        ger in den Stadtrandquartieren Friesenberg,
von Daten der Statistik Stadt Zü rich zeigt, ist der
                                                        Leimbach, Fluntern, Witikon sowie in den Stadt-
Anteil der 30- bis 39-Jä hrigen seit 1993 insbe-
                                                        kreisen 11 und 12 (Statistik Stadt Zü rich 2015).
sondere in den vier Quartieren Escher Wyss
(Kreis 5), Langstrasse (Kreis 4), Gewerbeschule
(Kreis 5) und Sihlfeld (Kreis 3) stark angestie-
gen. Der Anteil der 30- bis 39-Jä hrigen im Quar-
tier Escher Wyss ist beispielsweise von knapp
19% auf 33% angestiegen, dies entspricht einem
Wachstum von 14% innerhalb von 25 Jahren.
Gleichzeitig ist der Anteil der unter 20-Jä hrigen,
der 20- bis 29-Jä hrigen und ü ber 70-Jä hrigen in
den Trendquartieren stark gesunken und Aus-
lä nder*innen, insbesondere Personen aus dem
Balkan, Sri Lanka, Italien, Spanien und der Tü r-
kei, sind vermehrt in andere Stadtkreise umge-
zogen (Feller 2017). Dies ist zum einen auf die
Aufwertung dieser Quartiere, den Neubau von
Wohnungen und dem damit zusammenhä ngen-
den Anstieg der Mietzinse zurü ckzufü hren. Zum
anderen sind die Stadtkreise 3, 4 und 5 bei der
Altersgruppe der oft einkommensstä rkeren 30-
bis 39-Jä hrigen aufgrund der hö chst attraktiven
12
Grafik 2: Wohnbevölkerung nach Altersklasse,
Stadtkreis und Stadtquartier 2017 und 2025
(mittleres Szenario), höchste und tiefste Anteile in
Stadtquartieren

Eigene Berechnungen auf Basis: Statistik Stadt
Zürich,    Bevölkerungsszenarien/Alterskohorte
nach Quartier: Indikator 30- bis 39-Jährige

13
Typische Wohnquartiere: Was zeichnet sie                  zen. Damit fö rdern sie lokale Akteursnetze (ebd.,
aus?                                                      76–91).
Die Auswahl eines Wohnquartiers und die
Wohnzufriedenheit erfolgt jedoch nicht allein             Mit Blick auf die Quartiere, in denen die Alters-
aus pragmatischen Grü nden. Wertvorstellungen            gruppe ü berdurchschnittlich vertreten ist bzw.
und Prä ferenzen zur Lage, Infrastruktur, Versor-        im Fall der Stadtrandgebiete nach einer Famili-
gung und Konsum, kulturellen und sozialen An-             engrü ndung hinzieht, lassen sich drei Typen
geboten, die Qualitä t des unmittelbaren Woh-            unterscheiden:
numfelds und die Vernetzung mit dem Stadt-
zentrum und Naherholungsrä umen sind eben-
                                                          1. Trendquartiere, in denen verschiedene
falls wesentliche Faktoren fü r die Wohnzufrie-
                                                          Milieus aufeinandertreffen: Escher Wyss,
denheit (vgl. Friedrich/Muri/Santin 2010).
                                                          Langstrassenquartier, Gewerbeschule
                                                          Akteure der Kreativwirtschaft und Gentrifizie-
Im Rahmen des Schweizerischen Nationalen
                                                          rungsprozesse haben dazu beigetragen, dass
Forschungsprogramms ‚Neue urbane Qualitä t’
                                                          Trendquartiere fü r Milieus mit hö herem ö ko-
(NFP 65/ETHZ) wurden Merkmale gegenwä rti-
                                                          nomischen Kapital interessant geworden sind.
ger urbaner Qualitä ten anhand von drei Fallstu-
                                                          Im Gebiet Langstrasse, das die Stadtkreise 4 und
dien in der Metropolitanregion Zü rich unter-
                                                          5 verbindet, ü berlagern sich Alltags- und Frei-
sucht (vgl. Kretz/Kueng 2016). Ausgewä hlte
                                                          zeitnetze zahlreicher Akteursgruppen. Dabei
Ergebnisse dienen im Folgenden als Grundlage
                                                          kö nnen fü r das Gebiet drei zentrale Gruppen
fü r eine qualitative Einordnung von fü r die Al-
                                                          unterschieden werden (Murer/Bellmann 2012:
tersgruppe typischen Wohnquartieren sowie
                                                          8). Die Locals stammen aus unterschiedlichen
urbane Funktionen und Qualitä ten im Alltag.
                                                          Milieus und ihre Alltagsnetze konzentrieren sich
Hier soll nur auf einige Funktionen verwiesen
                                                          wesentlich auf die Kreise 4 und 5. Dazu gehö ren
werden, die in den qualitativen Befragungen
                                                          alteingesessene Gewerbetreibende und Men-
unserer Studie mehrfach genannt wurden.
                                                          schen in prekä ren Lebenssituationen, aber auch
                                                          junge urbane Trendsetter*innen, die im Quar-
Zentralitä t im Wohnquartier fö rdert zum Bei-          tier leben und das vielfä ltige Angebot an Kon-
spiel die Aufenthaltsqualitä t: Identifikation er-       sum- und Freizeitmö glichkeiten schä tzen. Zuzü-
hä lt hier die Funktion, sich den Raum als eige-         ger*innen aus Milieus mit hohem ö konomisch-
nen anzueignen, so zum Beispiel bei der Orien-            kulturellem Kapital stehen hingegen fü r Gentri-
tierung von Zuzü ger*innen in Agglomerationen            fizierungstendenzen. Akteurstypen, die als Ex-
zum Flughafen statt zu lokalen Quartierzentren            ternals bezeichnet werden kö nnen, nutzen das
(vgl. Kretz/Kueng 2016). Aus Alltagsperspektive           Quartier sporadisch als Quartierliebhaber, weil
bedeutet dies, dass die Alltagsnetze – Arbeits-           es fü r ungewö hnliche Ladenkonzepte und Le-
wege, Versorgung, Schulwege, Interaktionen im             bensstile bekannt ist: „Wenn Zü rich urban ist,
ö ffentlichen Raum – und Freizeitnetze – Wege            dann hier. Urban heisst, wenn man machen
zum Sport, zu Events, der Besuch von Freunden             kann, was man will. (...) Ich finde es per se
– sich rä umlich und zeitlich dicht und auf vielfä l-   scharf hier zu sein.“ Galerist Langstrasse (Bibas-
tige Weise ü berlagern. Eine grosse Vielfalt an          sis 2010: 15)
Konsumangeboten wiederum fü hrt dazu, dass
die Akteure in unmittelbarer Nä he ihres Arbeits-
                                                          2. Mischgebiete mit Entwicklungsdruck:
und Wohnstandortes einkaufen gehen und damit
                                                          Werd, Sihlfeld, Alt-Wiedikon, Letzi
das Interaktionspotential steigt. Die Kleinlä den
                                                          Mischgebiete wie Wiedikon sind von spezifi-
in Innenstadtquartieren wie beispielsweise im
                                                          schen Wandlungsprozessen betroffen, die einer-
Raum Langstrasse werden oft langjä hrig von
                                                          seits als Urbanisierung im Sinne einer positiven
gleichen Besitzern gefü hrt, die die Kunden ken-
                                                          moderaten Urbanitä t und andererseits als Gent-
nen und die Geschä fte auch als Treffpunkte nut-
14
rifizierung mit negativen Folgen fü r urbane All-      am Wohnort mitzugestalten. Dabei kö nnen ver-
tagsqualitä ten bezeichnet werden kö nnen             schiedene Dimensionen von sozialen Netzwer-
(Blumer/Schö ni 2011: 8). Grosse Teile der Be-         ken relevant sein. Dazu gehö ren Freunde, Be-
vö lkerung schä tzen zwar die neuen urbanen           kannte, Nachbar*innen, soziale Medien, Vereine
Qualitä ten, tragen jedoch wenig zur Diversitä t      oder Organisationen. Die Arten der Vernetzung
des Konsumangebots bei, weil sie fü r ihren All-       spiegeln jedoch auch die hohe Mobilitä t im All-
tagsbedarf nicht beim Hä ndler um die Ecke ein-        tag und die Frage, ob Freundschaften im Nahum-
kaufen. Die Entwicklungsgebiete stehen an der           feld oder in globalen Netzwerken von Bedeutung
Schwelle zum Trendquartier mit spezifischen             sind. Die Formen der Vernetzung zeichnen denn
Konsumprä ferenzen: „Wiedikon ist ein Multikul-        auch das eher ü berraschende Bild einer im Nah-
tiquartier. Man hat viele Latinos, Brasilianer und      umfeld vernetzten Bevö lkerung, die gerne in
Italiener. (...) Der Grund war die Lage und nicht       einem stä dtischen, heterogenen Alltagsumfeld
der Preis (...) Ich kann alles zu Fuss erreichen.       lebt. Eine typisch mobile Alltagsorganisation mit
(...) Ich kann aus dem Haus gehen, 20 bis 30            hohen Pendeldistanzen fü r Arbeit und Freizeit
Meter laufen, und erreiche eine Auswahl von             schliesst dabei nicht aus, dass ein formelles En-
drei bis vier Bistros. Ich weiss, dass ich immer        gagement oder eine freiwillige Tä tigkeit gezielt
bis 21.00 Uhr einkaufen gehen kann.“ Akteurs-           im Quartier ü bernommen wird.
typ „Frischling“ Wiedikon.
                                                        Soziale Vernetzung in der Stadt Zürich
3. Wohngebiete am Stadtrand mit Entwick-                Eine Zusatzauswertung der Bevö lkerungsbefra-
lungsdruck und Ersatzneubauten: Seebach,                gung 2011 zur sozialen Vernetzung in der Stadt
Schwamendingen                                          Zü rich (Brunner 2011) lieferte dazu folgende
                                                        Befunde:
Kennzeichnend fü r Stadtrandquartiere wie
Schwamendingen sind die zunehmend hetero-               Rund 56% der Gesamtbevö lkerung sind in ei-
gene Zusammensetzung der Bevö lkerung und              nem Verein oder einer Organisation aktiv und
entsprechend unterschiedliche Netzwerke, die            wenden im Monat rund 10 Stunden fü r diese
im Quartieralltag jedoch nicht zusammenfinden.          Tä tigkeiten auf. Mit Blick auf die Altersgruppe
Verschiedene Akteursgruppen stehen vor dem              der 30- bis 39-Jä hrigen wurde festgestellt, dass
Hintergrund unterschiedlicher Lebenssituatio-           diese unterdurchschnittlich in religiö sen und
nen und Erwartungen im Alltag, hier beispiel-           kirchlichen Vereinen vertreten ist. Rund 33%
haft die Aussage eines neu Zugezogenen: „Ich            der untersuchten Alterskohorte sind als infor-
habe viel mehr erwartet. (...) Schwamendingen           mell Freiwillige in der Nachbarschaft und dem
ist nicht Teil der Stadt. Es ist hinter dem Hü gel.“   Quartier tä tig, sie wenden dafü r ca. 7.5 Stunden
Architekt (May/Ronchetti 2013: 20). Diese Er-           pro Monat auf. Zum Vergleich: die 60- bis 69-
kenntnis zeigt sich auch in den Aussagen von im         Jä hrigen wenden beinahe doppelt so viele Stun-
Rahmen der vorliegenden Studie Befragten aus            den auf. Freiwillige Tä tigkeiten werden bei den
Schwamendingen.                                         30- bis 39-Jä hrigen grundsä tzlich eher von
                                                        Frauen ausgefü hrt. Dabei ergibt sich folgende
                                                        Verteilung:
                                                        - 21% Organisation von Treffen/Veranstalt-
                                                          ungen: überdurchschnittlich besserverdie-
6.    Soziale Netzwerke                                   nende Männern bzw. Akademiker
                                                        - 24% persönliche Hilfeleistungen: überdurch-
                                                          schnittlich ältere, alleinstehenden Personen
Ein wesentlicher Faktor fü r die Identifikation
                                                          mittlerer Einkommenslage
mit einer Stadt und die Erfahrung von Zugehö -
                                                        - ca. 42% Kinder hüten: junge und Frauen
rigkeit ist die Vernetzung mit anderen Menschen
                                                          mittleren Alters mit Familie
und die Mö glichkeit, die eigene Lebensqualitä t

15
Hinsichtlich der räumlichen Organisation der        Internet (soziale Medien und Blogs) am häufigs-
Vernetzung in der Gesamtbevölkerung der Stadt       ten für die Freizeitorganisation, Diskussionsteil-
Zürich sind Freundes- und Bekanntenkreise im        nahmen und Vereinsaktivitäten nutzt. Kulturelle
Generellen territorial an die Stadt oder den Kan-   Tätigkeiten als Anlass zur Gemeinschaftsbildung
ton gebunden. Sie sind abhängig von Lebenszyk-      und Kultureinrichtungen werden eher von bes-
lus, Migration, Wohnort, Schule oder Arbeits-       serverdienenden Personen mit höherem Bil-
platz. Der Quartierbezug ist hingegen vor allem     dungsniveau genutzt. Der Vernetzungseffekt ist
für jüngere und ältere Altersgruppen relevant.      gegenüber formellen und informellen Tätigkei-
Betrachtet man die Verteilung der Wohnorte der      ten kleiner. Bei den 30- bis 39-Jährigen sind
Freundes- und Bekanntenkreise der untersuch-        Kino, Kunsthaus, Galerien und Konzerte die prä-
ten Altersgruppe, ergibt sich folgendes Bild:       ferierten kulturellen Tätigkeiten (Brunner
- ca. 41 % Stadt Zürich, davon 5% gleiches          2011).
   Quartier
- ca. 25% Kanton Zürich
- ca. 13% Ausland
- ca. 11% ganze Schweiz
                                                    7.    Sample Interviews
Nachbarschaftliche Netzwerke
Nachbarschaftsbeziehungen als soziale Netz-         Das Sample der im Rahmen dieser Studie durch-
werke sind grundsätzlich weniger vom Ge-            gefü hrten Interviews umfasst 18 Personen. Da-
schlecht bestimmt, jedoch abhängig vom Zeit-        bei war ein wesentliches Kriterium der Auswahl
punkt des Zuzuges, des Einkommens, dem Ar-          von Interviewpartner*innen, dass typische de-
beitspensum, dem Alter und den Haushaltsty-         mografische Merkmale der in Zü rich wohnhaften
pen, wobei Singles weniger private Interaktio-      30- bis 39-Jä hrigen berü cksichtigt werden. Hier-
nen pflegen. Die Altersgruppe der 30- bis 39-       fü r dienten die Erkenntnisse aus der Datenaus-
Jährigen findet Aussagen «kann man vertrauen»,      wertung der Stadtentwicklung Zü rich (Stadt-
«eng miteinander verbunden» sowie «Leute            entwicklung Stadt Zü rich 2018), der Statistik
helfen einander aus» mehrheitlich eher zutref-      Stadt Zü rich (2013/2015/2017) sowie ö ffentlich
fend, jedoch weniger stark ausgeprägt im Ver-       zugä ngliche Bevö lkerungsdaten als Grundlage.
gleich zu allen älteren Alterskohorten. Die nach-
barschaftlichen Austauschformen der 30- bis         Der homogene Anteil des Sample garantierte
39-Jährigen werden wie folgt bewertet: Kinder       demnach, dass die Mehrheit der Altersgruppe
aufpassen (fast nie), gemeinsames Essen (sel-       mit ä hnlichen Merkmalen wie Ausbildungsgrad,
ten), auf die Wohnung aufpassen (selten), über      Berufstä tigkeit, Wohnquartier, Familiensituation
persönliche Angelegenheiten sprechen (selten-       und Geschlecht reprä sentiert ist. Mit Blick auf
manchmal), bei kleinen Problemen helfen (sel-       Tertiä rabschlü sse weist die Altersgruppe im
ten-manchmal). Es wird deutlich, dass diese         Vergleich mit der Gesamtbevö lkerung den grö ss-
Alterskohorte im Vergleich weniger soziale In-      ten Anteil auf. Im Sample sind Personen mit ei-
teraktion mit Nachbar*innen pflegt. Trotzdem        nem Tertiä rabschluss allerdings geringfü gig
nehmen sie am häufigsten von allen Altersko-        ü berreprä sentiert.
horten wahr, «dass Leute in der Nachbarschaft       Gleichzeitig wurde auf eine differenzierte Abbil-
mit vorwiegend unterschiedlichen Hintergrün-        dung der Unterschiede innerhalb der Altersgrup-
den und Lebensvorstellungen» leben (ca. 62%)        pe geachtet und es sind Personen vertreten, die
(Brunner 2011).                                     eine singulä re Sichtweise vertreten. Die hetero-
                                                    gene Sampling-Strategie widmete sich zudem
Digitale Vernetzung                                 kontrastierenden Fä llen als Ergebnis der zu-
Bezüglich der digitalen Vernetzung sind die 30-     grundeliegenden Konzepte und durchgefü hrten
bis 39-Jährigen die Altersgruppe, welche das        Analysen:

16
a) Wohnquartier Typ A (Trendquartiere, zent-            Idaplatz (Kreis 3)
   rumsnah, durchmischt)                                Josefswiese (Kreis 5)
b) Wohnquartier Typ B (Mischgebiet mit Ent-             Langstrasse (Kreis 4/5)
   wicklungsdruck, hoch verdichtet)                     Milchbuck (Kreis 12)
c) Wohnquartier Typ C (Wohnquartier Stadt-              Oerlikon (Kreis 11)
   rand)                                                Schwamendingen (Kreis 12)
d) Neuzuzü ger*innen deutschsprachig vs. nicht         Wiedikon (Kreis 3)
   deutschsprachig
e) Haushalts- und Lebensformen: Singles, Paare
   ohne Kinder, Familiengrü ndung als Thema,        Lebensform der Interviewpartner*innen:
   Familien, Alleinerziehende                          Alleinerziehend = 1 Interview
f) Arbeitsform und Berufsbiografie: langfristig,       Alleinstehend = 5 Interviews
   kurzfristig in Zü rich; Ausbildung, Weiterbil-     Eltern = 3 Interviews
   dung, Berufserfahrung                               In Beziehung = 6 Interviews
g) Milieus, Lebensstile, Wertvorstellungen: Per-       Werdende Eltern = 3 Interviews
   sonen ä hnlicher bzw. verschiedener Wertori-
   entierungen; Netzwerke innerhalb Zuzü ger-
   gruppen vs. Vernetzung im Quartier usw.           Wohnhaft in Zü rich (mit Unterbrü chen)
                                                       5 – 11 Monate = 3 Interviews
                                                       1 – 4.9 Jahre = 4 Interviews
Übersicht der 18 Interviewpartner*innen                5 – 6.9 Jahre = 2 Interviews
                                                       7 – 9.9 Jahre = 1 Interviews
                                                       10 – 15 Jahre = 6 Interviews
♀ =9 ♂=9
                                                       Lä nger als 30 Jahre = 2 Interviews

Nationalitä ten der Interviewpartner*innen:
                                                     Frü here Wohn- und Lebensorte der Inter-
  Deutschland = 3 Interviews
                                                     viewpartner*innen:
  Italien = 1 Interview
                                                        Aarau, Athen
  Kolumbien-Griechenland = 1 Interview
                                                        Barcelona, Belgrad, Berlin, Bern, Bü lach
  Portugal = 1 Interview
                                                        Chur
  Schweiz = 9 Interviews
                                                        Dublin, Duisburg
  Schweiz-OÖ sterreich = 1 Interview
                                                        Essen
  Serbien = 1 Interview
                                                        Florida
  Vereinigte Staaten = 1 Interview
                                                        Glarus
                                                        Hamburg, Hawaii, Hedingen
                                                        Kolumbien, Kö ln
Wohnquartiere und/oder genannte Bezugsorte
                                                        London, Los Angeles, Luzern
der Interviewpartner*innen:
                                                        Madrid, Morges, Montreal
   Albisrieden (Kreis 9)
                                                        New Delhi, New York, Niederhasli, Nü rnberg
   Altstetten (Kreis 9)
                                                        Paris
   Aussersihl (Kreis 4)
                                                        Rom
   Bä ckeranlage (Kreis 4)
                                                        Samedan, Seon, St. Gallen, Stallikon, Stuttgart
   Berninaplatz (Kreis 11)
                                                        Toronto
   Bullingerhof (Kreis 4)
                                                        Wallisellen, Wien, Wohlen, Wuppertal
   Enge (Kreis 2)
   Fritschiwiese (Kreis 3)
   Hallwylplatz (Kreis 4)
   Helvetiaplatz (Kreis 4)
   Hottingerplatz (Kreis 7)
17
Arbeitspensum der Interviewpartner*innen:
  50 – 69% = 3 Interviews
  70 – 89% = 4 Interviews
  90 – 100% = 11 Interviews

Ausbildungsstufen, Mehrfachabschlü sse und
Weiterbildungen der Interviewpartner*innen:
     KV.
     Auto-Ingenieur.
     Master in Wirtschaft.
     Bachelor und Master in Architektur.
     KV/Multimedia Engineer HTW Chur.
     Master in Betriebswirtschaftslehre UZH.
     Master in Soziologe, PhD in Bioethik ETH.
     Lizentiat in Psychologie/Psychotherapie UZH.
     Tourismusfach/Master in Business Administration.
     Master in Englisch und Spanisch/Hö heres Lehramt.
     Studium Ingenieurwissenschaften und Architektur.
     Master in Umweltpolitik und Rechtswissenschaften.
     Detailhandelslehre BMS/Bachelor in Sozialer Arbeit.
     Lehre als Bä cker/Konditor/Bachelor in Architektur FH.
     Studium Stadt- und Regionalplanung/Doktorat ETH/Professur.
     KV Tourismusfach/Hotelfachschule/Yogalehrerin/Fashion Assistant STF.
     Kommunikationswissenschaften/Master in Sozialer Verantwortung/CAS in Menschenrecht.
     Politikwissenschaften, Geschichte, Vö lkerrecht UZH/Hö heres Lehramt /CAS Projektmanagement.

18
8.    Auswertung Interviews nach
      Kategorien

8.1. Wohnen – Quartier – Vernetzung

„Es gibt ein Siedlungsleben, finde ich. Aber
kein Quartierleben.“ W/39/2 Kinder/CH/K3

Wohnzufriedenheit äussert sich nicht nur in der
                                                    Ich bin in diesem Sinne wirklich eine Städterin.
Art des persönlichen Wohnkonzepts, sondern
                                                    Ich habe gerne viele Menschen. Klar bin ich
auch in der Einstellung zur urbanen Qualität des    froh, ist es jetzt nicht so super laut. Aber ich
Alltagsumfelds, zur räumlichen Mobilität und        habe auch nichts gegen Hochhäuser. Für mich
der Bewertung des Wohnumfeldes, der Nach-           darf eine Stadt urban sein und zur Urbanität
barschaftskontakte und des Angebots für Kon-        gehören auch Menschen. Ich finde da Zürich
sum und Kultur. Die meisten Befragten schätzen      sehr erträglich. W/30/Single/CH/K4
ein urbanes Umfeld mit einem möglichst vielfäl-
tigen Konsumangebot, sie wünschen sich Klein-
läden mit internationalen und lokalen Speziali-
täten. Nur eine Person nennt den Dichtestress            Das ist mir tatsächlich wichtig. Auch wenn man
als negatives Merkmal, während einige andere             mal sagt, ‘hey was braucht ihr’. (...) mal mit dem
Befragte die Dichte und den teils hohen Lärmpe-          Blumengiessen in der Ferienzeit oder einfach
gel erwähnten, dies jedoch nicht als negativ oder        nur mal auf das Kind aufpassen. (...) Gerade bei
einschränkend empfinden.                                 uns wohnen im Haus alle, die von irgendwo
                                                         herkommen und die Eltern sind nicht im Nach-
Gemäss der Datenauswertung der Stadt Zürich
                                                         barhaus oder in der Nachbarstrasse oder im
nennen 43% der untersuchten Altersgruppe                 Nachbardorf. Es gibt Italiener und dann eben
„Wohnungsprobleme“ als eines der drei gröss-             jemanden aus dem Wallis und die anderen aus
ten Probleme in der Stadt, im Vergleich zu 29%           St. Gallen und da ist es schon praktisch, wenn
in der Gesamtbevölkerung (Stadtentwicklung               man jemanden hat, dem man vertraut.
Stadt Zürich 2018). Dies hängt laut den Aussa-           M/34/1 Kind*/DE/K3
gen der Interviewpartner*innen wesentlich da-
mit zusammen, dass der Wohnungsmarkt die
Auswahl einer genügend grossen und bezahlba-
ren Wohnung erschwert. Die hohen Mietpreise         Ich kannte es schon. Wobei ich manchmal so ein
stellen sich als Belastung für die Befragten her-   bisschen in Zürich den Eindruck hab, weil der
aus und schränken Möglichkeiten zur freien          Wohnungsmarkt einfach recht prekär ist,
Wahl des Wohnortes oder der Wohnform ein.           sucht man sich seine Bleibe gar nicht unbedingt
Dies hat Folgen für die Vernetzung und Identifi-    nach dem Quartier aus, man muss sich arran-
                                                    gieren irgendwie. Ich hatte nie etwas gegen
kation mit dem unmittelbaren Wohnumfeld. Die
                                                    Altstetten, aber auch nicht unbedingt dafür.
Aussage „man muss sich so ein bisschen arran-       M/37/Beziehung/DE/K9
gieren irgendwie“ zeugt von pragmatischen Ent-
scheiden: Wohnen im Wunschquartier ist häufig
nicht möglich. So ist auch die Identifikation und
Verbundenheit mit dem eigenen Wohnquartier
                                                        Und einfach festgestellt, dass in der Stadt Zürich
unter den Interviewten sehr unterschiedlich.
                                                        viel gebaut wird, aber wenig mit 5.5-Zimmern.
                                                        Als das dritte Kind kam, haben wir eine Art Mo-
                                                        nitoring gemacht. Ich habe eine Excel-Tabelle
                                                        angelegt: wann wird welche Siedlung fertig? Wo
                                                        gibt's   überhaupt     5.5-Zimmer-Wohnungen?
                                                        W/40/3 Kinder/DE/K12

                                                    Es gibt ein Siedlungsleben, finde ich. Aber kein
                                                    Quartierleben. W/39/2 Kinder/CH/K3
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