Unterrichtsplanung in der Wirtschaftsdidaktik - Jens Klusmeyer Matthias Söll Hrsg.
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Edition Fachdidaktiken Jens Klusmeyer · Matthias Söll Hrsg. Unterrichtsplanung in der Wirtschaftsdidaktik Aktuelle theorie-, empirie- und praxisbasierte Beiträge
Edition Fachdidaktiken
Die Reihe ‚Edition Fachdidaktiken‘ reagiert auf die inter- und multidisziplinär wachsenden Diskurse, die sich in den Schnittmengen fachwissenschaftlicher und erziehungswissenschaftlicher Zusammenhänge verdichten. Fachdidaktiken stehen mehr und mehr im Dialog und es zeichnen sich innovative und moderne Formen zunehmender Kommunikation und Kooperation ab. Die Buchreihe will diese Forschungsentwicklung fördern und eine wissenschaft- liche Publikationsfläche bieten, auf der Fachdidaktiken aller Disziplinen eine interdisziplinäre Öffnung in fachübergreifenden Arbeitskontexten ermöglichen. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16243
Jens Klusmeyer · Matthias Söll (Hrsg.) Unterrichtsplanung in der Wirtschaftsdidaktik Aktuelle theorie-, empirie- und praxisbasierte Beiträge
Hrsg. Jens Klusmeyer Matthias Söll Universität Kassel Universität Kassel Kassel, Deutschland Kassel, Deutschland ISSN 2524-8677 ISSN 2524-8685 (electronic) Edition Fachdidaktiken ISBN 978-3-658-26619-6 ISBN 978-3-658-26620-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26620-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Laux Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhaltsverzeichnis Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie, Empirie und Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Jens Klusmeyer und Matthias Söll Unterrichtsplanung aus theoretisch-konzeptioneller Perspektive Unterrichtsplanung im Kontext bildungstheoretischer Grund- annahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Holger Reinisch Unterrichtsplanung im Kontext kompetenzbezogener Reflexionen. . . . . . 35 Karl Wilbers Unterrichtsplanung im Kontext lernpsychologischer Überlegungen. . . . . 61 Bettina Greimel-Fuhrmann und Richard Fortmüller Unterrichtsplanung aus empirisch-konzeptioneller Perspektive Entwicklung eines wirtschaftsdidaktischen Unterrichtsplanungs- modells auf Grundlage der Basisdimensionen lernförderlichen Unterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Jens Klusmeyer Die Modellierung von Unterrichtsplanungskompetenz – Ein Ansatz zur Differenzierung wirtschaftsdidaktischer und allgemeiner pädagogischer Begründungsmuster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Matthias Söll V
VI Inhaltsverzeichnis Design wirtschaftsberuflicher Lernumgebungen: Ein Ansatz zur Förderung und Analyse von Unterrichtsplanungskompetenz bei Studierenden der Wirtschaftspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Carmela Aprea, Viola K. Deutscher und Jürgen Seifried Ein E-Portfolio-Lehr-/Lernkonzept zur Förderung reflexiver Unterrichtsplanung unter Einsatz (meta-)kognitiver Prompts . . . . . . . . . 195 Serap Uzunbacak Unterrichtsplanung aus Perspektive der Lehrkräfte und des Lehralltags Unterrichtsplanung im Kontext bildungspolitischer und curricularer Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Peter F. E. Sloane Lernfeldunterricht gemeinsam entwickeln. Kooperative Unterrichtsplanung im Kontext der Lernfelddidaktik als diskursiver Orientierungs- und Planungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Tade Tramm und Marc Casper Herausforderungen bei der Gestaltung schulischer Transfer- und Implementationsprozesse im Kontext einer schulübergreifend-kooperativen Curriculum- und Unterrichtsentwicklung für berufliche Bildungsgänge. . . . . . . . . . . . . . . . 291 Laura Büker und Nicole Naeve-Stoß Unterrichtsplanung in der Ausbildung berufs- und wirtschafts- pädagogischer Professionals im Universitätsschulkonzept. . . . . . . . . . . . . 329 Karl-Heinz Gerholz und Karl Wilbers
Autorenverzeichnis Prof. Dr. Carmela Aprea, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Universität Mannheim, 68161 Mannheim, aprea@bwl.uni-mannheim.de Laura Büker, Professur für Wirtschaftspädagogik, Universität zu Köln, Herbert- Lewin-Str. 2, 50931 Köln, laura.bueker@uni-koeln.de Dr. Marc Casper, Fachbereich Wirtschaftspädagogik, Universität Hamburg, Sedanstraße 19, 20146 Hamburg, marc.casper@uni-hamburg.de Prof. Dr. Viola K. Deutscher, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Universität Mannheim, 68161 Mannheim, deutscher@bwl.uni-mannheim.de Prof. Dr. Richard Fortmüller, Institut für Wirtschaftspädagogik, Wirtschaftsuni- versität Wien, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien (Österreich), richard.fortmueller@ wu.ac.at Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz, Institut für Wirtschaftspädagogik, Otto-Fried- rich-Universität Bamberg, Kärntenstraße 7, 96052 Bamberg, karl-heinz.gerholz@ uni-bamberg.de Prof. Dr. Bettina Greimel-Fuhrmann, Institut für Wirtschaftspädagogik, Wirt- schaftsuniversität Wien, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien (Österreich), bettina. fuhrmann@wu.ac.at Prof. Dr. Jens Klusmeyer, Fachgebiet Wirtschaftsdidaktik, Universität Kassel, Henschelstraße 2, 34127 Kassel, klusmeyer@uni-kassel.de Prof. Dr. Nicole Naeve-Stoß, Professur für Wirtschaftspädagogik, Universität zu Köln, Herbert-Lewin-Str. 2, 50931 Köln, nicole.naeve-stoss@uni-koeln.de VII
VIII Autorenverzeichnis Prof. Dr. Holger Reinisch, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Friedrich- Schiller-Universität Jena (im Ruhestand) Prof. Dr. Jürgen Seifried, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Universität Mannheim, 68161 Mannheim, seifried@bwl.uni-mannheim.de Prof. Dr. Peter F. E. Sloane, Department Wirtschaftspädagogik, Universität Paderborn, Warburger Str. 100, 33098 Paderborn, lehrstuhl.sloane@campus.upb.de Dr. Matthias Söll, Fachgebiet Wirtschaftsdidaktik, Universität Kassel, Henschel- straße 2, 34127 Kassel, matthias.soell@uni-kassel.de Prof. Dr. Tade Tramm, Fachbereich Wirtschaftspädagogik, Universität Hamburg (im Ruhestand) Serap Uzunbacak, Fachgebiet Wirtschaftsdidaktik, Universität Kassel, Henschel- straße 2, 34127 Kassel, s.uzunbacak@uni-kassel.de Prof. Dr. Karl Wilbers, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalent- wicklung, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg, karl.wilbers@fau.de
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie, Empirie und Praxis Jens Klusmeyer und Matthias Söll Zusammenfassung Die Planung von Unterricht wird in diesem Editorial als zentraler Gegen- standsbereich der Wirtschaftsdidaktik konzeptualisiert, deren H auptaufgaben die Erarbeitung und Reflexion einschlägiger Forschungserkenntnisse sowie die Ableitung schlüssiger Entscheidungshilfen für die Praxis des institutionalisierten Lehrens und Lernens im Bereich Wirtschaft und Verwaltung bilden. Das hier im Fokus stehende Thema wird nachfolgend im Überschneidungsbereich mit der Allgemeinen Didaktik und der empirischen Lehr-Lern-Forschung verortet. Anschließend erfolgt die Systematisierung der Beiträge im Hinblick auf deren theoretisch-konzeptionelle, empirisch-konzeptionelle und lehrkräfte- bzw. -lehralltagsbezogene Perspektiven sowie deren Zusammenfassung. Einerseits liefert der Sammelband für die Scientific Community einen aktuellen Überblick über Arbeiten zu Modellierungen, Förderansätzen und Forschungskonzepten zur Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements. Andererseits sind aufgrund der Breite der bisherigen Bemühungen in der Wirtschaftsdidaktik noch zu wenige systematische, empirisch abgesicherte Erkenntnisse zur Unterrichtsplanung vor- handen. Deshalb ist die Forcierung entsprechender Forschung, auch im Hinblick auf multidisziplinäre und -perspektivische Kooperationen, dringend angezeigt. J. Klusmeyer (*) · M. Söll Universität Kassel, Kassel, Deutschland E-Mail: klusmeyer@uni-kassel.de M. Söll E-Mail: matthias.soell@uni-kassel.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 1 J. Klusmeyer und M. Söll (Hrsg.), Unterrichtsplanung in der Wirtschaftsdidaktik, Edition Fachdidaktiken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26620-2_1
2 J. Klusmeyer und M. Söll Schlüsselwörter Begleitforschung · Bildungstheorie · Fachdidaktik · Kognitionspsychologie · Kompetenzorientierung · Lehrerinnen- und Lehrerbildungsforschung · Modellierung · Unterrichtsplanung · Unterrichtsplanungskompetenz · Wirtschaftsdidaktik 1 Unterrichtsplanung in der Wirtschaftsdidaktik – aktuelle theorie‐, empirie‐ und praxisbasierte Beiträge „Planung ersetzt den Zufall durch Irrtum.“ Äußerungen wie diese werden immer wieder genutzt, um die Sinnhaftigkeit planerischer Tätigkeiten infrage zu stellen (vgl. bspw. Koob und Schmutte 2017, S. 221 f.; Selzam 1983, S. 749). Während der Erfolg bzw. der Misserfolg unbewusst Agierender allerdings nicht durch die Akteurinnen und Akteure selbst bewertet, erklärt und beeinflusst werden kann, ist ebendies hinsichtlich entsprechender Zielstellungen, Grundannahmen und Aktivi- täten bewusst Handelnder möglich. Vor diesem Hintergrund offenbart sich der hohe Stellenwert der Unterrichtsplanung für eine Wirtschaftsdidaktik, denn sie intendiert ein zielgerichtetes, erkenntnisgeleitetes Vorgehen professioneller Lehrerinnen und Lehrer bei der Gestaltung und Umsetzung von Lehr-Lern- Arrangements sowie deren Optimierung durch eine entsprechende Evaluation (vgl. Aprea 2014, S. 47; Seifried 2009a, S. 179 ff.; Söll und Klusmeyer 2018, S. 73). Die Hauptaufgaben der Wirtschaftsdidaktik als verstehende, erklärende und angewandte Sozialwissenschaft bilden die Erarbeitung und Reflexion zentraler Forschungserkenntnisse sowie die Ableitung schlüssiger Entscheidungs- hilfen für die Praxis des institutionalisierten Lehrens und Lernens im Bereich Wirtschaft und Verwaltung (vgl. Achtenhagen 1981, S. 275; Kron et al. 2014, S. 53 ff.). Darüber hinaus nimmt die Unterrichtsplanung eine Schlüsselstellung bei der Umsetzung von Reformen und der Verbreitung von Innovationen ein, denn mit ihrer Hilfe können diese zu neuen Konzepten integriert werden, die sich dann im Unterrichtshandeln von Lehrerinnen und Lehrern und somit im Schul- alltag niederschlagen (vgl. Aprea 2018, S. 3 f.). Bei der Nachzeichnung des Dis- kurses zur Planung von Unterricht in der wirtschaftsberuflichen Didaktik kommt Reinisch (2017, S. 12) trotz deren hohen Bedeutung allerdings zu dem Ergebnis, dass seine Zusammenschau „[…] in Teilen auch als Geschichte des langsamen Verschwindens dieses Themas aus der didaktischen Forschung der betrachteten Domäne gelesen werden [kann; E. d. A.].“ (vgl. auch Aprea 2007, S. 36 ff.; Seifried 2009b, S. 128 ff.)
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie … 3 Die Modellierung der Unterrichtsplanung ist auch ein zentrales Aufgabengebiet der Allgemeinen Didaktik. Die Ende der 1950er Jahre konzipierten und sukzessive weiterentwickelten Modelle von Klafki (1958) und Heimann (1962) sind in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung nach wie vor weit verbreitet (vgl. Arnold und Zierer 2015, S. 9 ff.). Um deren Stellenwert als primären disziplinären Kern zu verdeutlichen, bilden aktuelle Weiterentwicklungen, Integrationen, Alternativen sowie empirische Studien zu Teilaspekten der Planung von Unterricht den Auf- takt der Reihe „Jahrbuch für Allgemeine Didaktik“ (vgl. Arnold et al. 2011, S. 9). Im Zuge der empirischen Wende der Erziehungswissenschaft in Deutschland und damit einhergehender Entwicklungen einiger Fachdidaktiken, insbesondere in den Bereichen der Mathematik und der Naturwissenschaften, wird allerdings eine abnehmende Orientierungsleistung traditioneller Didaktikmodelle – und damit der Allgemeinen Didaktik insgesamt – zugunsten von Erkenntnissen der pädagogisch- psychologischen Lehr-Lern-Forschung konstatiert (vgl. Reusser 2008, S. 219 ff.; Terhart 2002, S. 77 ff.). Seel und Aprea (2014, S. 4 f.) sowie Wernke und Zierer (2017, S. 7 ff.) weisen in Bezug auf die deutsche Professionalisierungsforschung zudem darauf hin, dass sich diese fast ausschließlich auf die Unterrichtsdurchführung konzentrierte. In zahlreichen empirischen Studien zur Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern wurde die Unterrichtsplanung von der Forschung eher „als Nebenprodukt“ (Seel und Aprea, 2014, S. 4) betrachtet bzw. schenkte ihr nur „unterschwellig Beachtung“ (Wernke und Zierer, 2017, S. 7). Erstgenannte Autorinnen sehen in der Herausgabe eines Heftes zum Thema „Planungskompetenzen“ im Jahr 2014 ein Indiz dafür, dass dieser Gegenstand zunehmend in den Fokus der empirischen Lehr-Lern- Forschung rückt (vgl. Seel und Aprea, 2014, 4f.). Letztgenannte Autoren führten auf der Grundlage der aufgezeigten Desiderate im Jahr 2016 die Konferenz „Die Unter- richtsplanung: Ein in Vergessenheit geratener Kompetenzbereich?!“ durch. Die in einem gleichnamigen Tagungsband mit dem Untertitel „Status Quo und Perspektiven aus Sicht der empirischen Forschung“ veröffentlichten Beiträge zeigen die zahl- reichen inhaltlichen und methodischen Dimensionen auf, mit denen sich Bildungs- forscherinnen und -forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Bezug auf die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements unterschiedlicher Schulstufen und -formen auseinandersetzen (vgl. Wernke und Zierer 2017, S. 12 f.). Die bisherigen Erkenntnisse verdeutlichen die Aktualität des Forschungs- gegenstandes der Unterrichtsplanung. Sie zeigen zugleich, dass sich mit diesem Thema Fachdidaktiken wie die Wirtschaftsdidaktik, die Allgemeine Didaktik sowie die empirische Lehr-Lern-Forschung auseinandersetzen. Die Themen- bearbeitung eröffnet die Möglichkeit, sich der disziplinären Grenzziehungen zu vergewissern und diese zu überwinden. (vgl. Blömeke et al. 2007, S. 355 ff.;
4 J. Klusmeyer und M. Söll Reusser 2008, S. 219 ff.). Hierbei wird die jeweilige Ausrichtung der Forschung zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung an theoretischen und normativen oder empirischen Paradigmen und Erkenntnissen ersichtlich, deren Entgrenzung von Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaftsdidaktik gefordert wird (vgl. Achtenhagen 2006, S. 591; Aprea 2013, S. 1 ff.; Reinisch 1999, S. 1 ff.) Fach- didaktiken können diese integrative Wirkung entfalten, denn ihnen „kommt die Aufgabe zu, die allgemeinen Reflexionen über Lehren und Lernen im Blick auf einen bestimmten Inhaltsbereich, im Blick auf ein bestimmtes Fach, im Blick auf einen bestimmten Lern- und Kompetenzbereich umzusetzen […].“ (Terhart 2002, S. 84; vgl. auch Zabeck 1992, S. 137 ff.) Im Zuge des Aufbaus eines Arbeitsschwerpunktes zur Modellierung, Förderung und Erforschung von Unterrichtsplanungskompetenz am Fachgebiet Wirtschaftsdidaktik der Universität Kassel nahmen wir frühzeitig im Jahr 2015 die Herausgabe eines entsprechenden Sammelbandes in den Blick. Insbesondere Berichte über die seltene Fokussierung des Gegenstandes in empirischen Studien ließen uns anfänglich noch zögern, denn wir wollten mit keinem überholten Ansinnen an die Scientific Community herantreten. Ermutigt von sich mehrenden Ausführungen zur hohen Relevanz des Themas für die Lehrerinnen- und Lehrer- bildung sowie deren Untersuchung und motiviert durch die von Wernke und Zierer initiierte Tagung skizzierten wir die Unterrichtsplanung als zentralen Gegenstand der Wirtschaftsdidaktik auf dem Forum „Didaktik der beruflichen Bildung – Selbstverständnis, Zukunftsperspektiven und Innovationsschwer- punkte“ der Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz (AG BFN) im Jahr 2016 in Hamburg (vgl. Söll und Klusmeyer 2018). Nachdem der Kasseler Arbeitsschwerpunkt durch das Voranschreiten zweier im Rahmen der Quali- tätsoffensive Lehrerbildung geförderten Projekte Konturen annahm (vgl. bspw. Söll 2019; Söll und Klusmeyer 2018; Uzunbacak und Klusmeyer 2018, 2019)1, 1Die Planung von Unterricht steht im Fokus der Projekte „Förderung professionellen (Planungs-)Handelns – Anchored Instruction“ und „Portfolioarbeit als Brücke zwischen der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung“ (Laufzeit: 09/2015 bis 12/2018) sowie deren Folgeprojekte „Förderung professionellen wirtschaftsdidaktischen (Planungs-) Handelns in schulpraktischen Studien – Anchored Instruction“ und „Der Einsatz von E-Portfolios und Prompts zur Förderung der Unterrichtsplanungskompetenz in der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung“ (Laufzeit: 01/2019 bis 09/2021). Die diesem Bericht zugrunde liegenden Vorhaben wurden und werden im Rahmen der gemeinsamen „Quali- tätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen 01JA1505 und 01JA1805 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie … 5 setzten wir den Sammelband wieder auf unsere Agenda und recherchierten Wirt- schaftsdidaktikerinnen und Wirtschaftsdidaktiker, die sich in einschlägigen Ver- öffentlichungen mit der Planung von Unterricht auseinandersetzen. Aufgrund der „schweren Abgrenzbarkeit und Zugänglichkeit des Forschungsgegenstandes“ (Seel 2011, S. 32) – zwar findet sich der Terminus der Unterrichtsplanung in den Titeln entsprechender Arbeiten (vgl. Seifried 2009a), es wird aber auch von der Gestaltung von Situationen (vgl. Sloane 1999) oder von aufgaben- orientiertem Coaching in Designprozessen (vgl. Aprea 2007) gesprochen – war dazu ein guter Überblick über die eigene Disziplin und die Hilfe unserer Kolleginnen und Kollegen nötig. Es erfreute uns sehr, dass sämtliche Anfragen positiv beantwortet wurden. Der vorliegende Sammelband macht einen Großteil aktueller wirtschaftsdidaktischer Forschungsprojekte zur Unterrichtsplanung in der Scientific Community sichtbar. Ein Austausch auf dem Symposium „Unter- richtsplanung: Ein ‚Stiefkind‘ der wirtschaftsdidaktischen Unterrichts- und Lehr- professionalitätsforschung“, das wir zusammen mit Aprea auf der Jahrestagung der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Jahr 2019 ausrichteten, zeigte allerdings, dass wir trotz intensiver Suche einige Fachvertreterinnen und -ver- treter übersahen, wofür wir uns bei allen nicht angesprochenen Kolleginnen und Kollegen entschuldigen. Da der Sammelband aber auch zur Forcierung der Bearbeitung des Themengebietes der Unterrichtsplanung sowie zur Zusammen- arbeit – auch über die Grenzen der Wirtschaftsdidaktik hinaus – anregen soll, freuen wir uns auf einen entsprechenden Austausch und zukünftige Kooperationen. Aus der Sichtung der wirtschaftsdidaktischen Arbeiten zur Planung von Unterricht wurden drei Perspektiven abgeleitet, mit deren Hilfe die Bei- träge systematisiert werden können: theoretisch-konzeptionelle, empirisch- konzeptionelle und lehrkräfte- bzw. lehralltagsbezogene Abhandlungen. Im Folgenden geben wir durch die Zusammenfassung der Beiträge einen kurzen Überblick zu den Themen des Sammelbandes. 2 Unterrichtsplanung aus theoretisch- konzeptioneller Perspektive Im Abschnitt ‚Unterrichtsplanung aus theoretisch-konzeptioneller Perspektive‘ wirft Holger Reinisch einen systematischen Blick auf den zentralen Gegenstand dieses Sammelbandes, indem er die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements vor dem Hintergrund bildungstheoretischer Grundannahmen reflektiert. Ausgehend von Unterricht als gesellschaftlichem, pädagogischem Phänomen verschränkt
6 J. Klusmeyer und M. Söll er im Hinblick auf dessen Planung bildungstheoretische und didaktische Ent- wicklungen. Anschließend wird gezeigt, wie die bildungstheoretischen Modelle nach Weniger und Klafki und die lerntheoretischen Modelle nach Heimann, Schulz und Otto auf Prämissen der Bildungstheorie rekurrieren. Der Beitrag schließt im Hinblick auf die Dominanz der kompetenzorientierten, empirischen Lehr-Lern-Forschung mit Anmerkungen zum wirtschaftsdidaktischen Dis- kurs über die Unterrichtsplanung und einem Plädoyer für bildungstheoretische Reflexion in der Didaktik. Karl Wilbers greift die Kompetenzorientierung in seinem Beitrag als eine moderne Maxime zur Unterrichtsplanung auf. Ausgehend von theoretischen Implikationen zum Kompetenzbegriffsverständnis und zu Kompetenzmodellvarianten stellt er deren Zusammenhänge mit der Planung beruflichen Unterrichts dar. Bei dem daraus resultierenden Planungszyklus müssen Kompetenzerwartungen festgelegt, Kompetenzstände diagnostiziert und Kompetenzentwicklungen beobachtet und evaluiert werden. Im Rahmen dieser bisher selten konzeptualisierten Integration können die Erkenntnisse der Kompetenzforschung wichtige Hilfestellungen liefern. Der Autor zeigt abschließend, dass es sich bei der Kompetenzorientierung um einen notwendigen, aber nicht hinreichenden Ansatz zur Gestaltung von Lehr- Lern-Arrangements handelt, denn sie kann zur Gestaltung zentraler Unterrichts- dimensionen wie den Inhalten, den Methoden oder den Medien kaum einen Beitrag leisten. Bettina Greimel-Fuhrmann und Richard Fortmüller beschäftigen sich mit der Unterrichtsplanung im Kontext lernpsychologischer Überlegungen. Sie gehen in ihrem Beitrag davon aus, dass didaktische Entscheidungen, die für eine stimmige, zielführende Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements notwendig sind, von den anzuvisierenden Zielen, den zu behandelnden Inhalten und insbesondere den Annahmen zum Lernen bzw. zum Wissenserwerb abhängig sind. Letztgenannter Aspekt wird durch die Darlegung von Theorien der Kognitionspsychologie, ins- besondere dem informationsverarbeitungstheoretischen Ansatz, fokussiert. Aus diesen Erkenntnissen werden drei Bedingungen effektiven Lernens (d. h. die Darstellung von Lehr-Lerninhalten, die Bearbeitung von Problemstellungen und die Rückmeldung) abgeleitet, in drei Kernelemente der Unterrichtsplanung und -durchführung transferiert und in ein Gesamtkonzept des Unterrichts eingebettet. Die Illustration der Ausführungen erfolgt anhand eines konkreten Planungsbei- spiels.
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie … 7 3 Unterrichtsplanung aus empirisch- konzeptioneller Perspektive Im Abschnitt ‚Unterrichtsplanung aus empirisch-konzeptioneller Perspektive‘ konzipiert Jens Klusmeyer ein wirtschaftsdidaktisches Unterrichtsplanungs- modell für Studierende der Wirtschaftspädagogik. Dabei wird von dem Defizit ausgegangen, dass Unterrichtsplanungsmodelle in der Lehrerinnen- und Lehrer- bildung zwar eine bedeutende Rolle einnehmen, in ihren klassischen Formen aufgrund fehlender Bezüge zu Fachdidaktiken und zu empirischen Erkennt- nissen der Unterrichtsforschung allerdings kaum Einfluss auf reale unterricht- liche Planungsprozesse ausüben. Vor diesem Hintergrund entwirft der Autor auf Basis theoretisch-normativer Grundüberlegungen einen Ansatz, der wirtschafts- didaktische Unterrichtsanforderungen mit Ergebnissen empirischer Studien zu den Basisdimensionen lernförderlichen Unterrichts integriert. Die Modellierung zielt auf eine Abkehr von Oberflächen- hin zu Tiefenstrukturmerkmalen lern- förderlichen Unterrichts ab, um den Einfluss didaktischer Modelle auf das Planungshandeln von künftigen Lehrerinnen und Lehrern wieder zu erhöhen. Ferner soll der Beitrag als Diskussionsvorschlag die Weiterentwicklung wirtschaftsdidaktischer Planungsmodelle wiederbeleben. Matthias Söll knüpft an die Desiderate hinsichtlich der Modellierung, Förderung und Erforschung der Kompetenz zur Planung von Unterricht an und entwirft in seinem Beitrag ein Kompetenzstruktur- und -niveaumodell der Unterrichtsplanung. Entsprechende Modelle werden aktuell vor allem im Hin- blick auf professionelles Wissen als wichtigem Aspekt beruflicher Handlungs- kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern entwickelt. Sie bilden zusammen mit der Konturierung des zur Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements in der wirtschaftsberuflichen Bildung notwendigen wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftsdidaktischen Wissens die Basis des vorliegenden Modells. Es differenziert zwischen den Dimensionen der Ziele, Inhalte, Methoden, Medien, Lernendenvoraussetzungen und deren Interdependenzen sowie zwischen deklarativem, prozeduralem und metakognitivem Planungswissen. Mit dieser holostischen Konzeption kann bei der Planung von Unterricht zwischen eher wirtschaftsdidaktischen und eher allgemeinen pädagogischen Begründungs- mustern unterschieden werden, um einen Beitrag zur Verortung von Unterrichts- planungskompetenz zwischen den Facetten professionellen Lehrerinnen- und Lehrerwissens zu leisten. Carmela Aprea, Viola K. Deutscher und Jürgen Seifried nutzen die Metapher des ‚Stiefkindes‘, um den Stand der Unterrichtsplanung insbesondere in der
8 J. Klusmeyer und M. Söll wirtschaftsdidaktischen Unterrichts- und Lehrprofessionalitätsforschung zu beschreiben. Die Autorinnen und der Autor fokussieren die Konzeptualisierung sowie die empirische Untersuchung eines Ansatzes zur Förderung von Unter- richtsplanungskompetenz: Der Ansatz zum „Design wirtschaftsberuflicher Lernumgebungen“ basiert auf der Analogie zwischen der Gestaltung von Lehr- Lern-Arrangements und Designaufgaben in Designprofessionen. Während das Konzept auf professionstheoretische Befunde der Designforschung, fachdidaktische Anforderungen des Lernfeldkonzepts und kognitions- und handlungspsycho- logische Ansätze rekurriert, greift der forschungsmethodologische Zugang auf das Design-Based Research zurück. Evaluationsergebnisse bei Studierenden der Wirt- schaftspädagogik an der Universität Mannheim zeigen, dass der Aufbau von Unter- richtsplanungskompetenz mit dem Ansatz effektiv unterstützt werden kann. Im Ausblick werden künftige Entwicklungs- und Forschungsaktivitäten skizziert, um den Ansatz zu optimieren und in weitere Bildungsstufen und -bereiche zu transferieren. Serap Uzunbacak beleuchtet in ihrem Beitrag ebenfalls einen Ansatz zur Förderung von Unterrichtsplanungskompetenz. Mithilfe kognitiver und meta- kognitiver Prompts, die im Rahmen eines E-Portfolio-Lehr-Lernkonzepts bei Masterstudierenden der Wirtschaftspädagogik an der Universität Kassel ein- gesetzt werden, sollen diese insbesondere für die bei der Planung notwendige, kritisch-reflexive Haltung sensibilisiert werden. Ausgehend von der Offen- legung der Relevanz der Reflexion bei der Gestaltung von Unterricht wird auf- gezeigt, wie entsprechende Anlässe in universitären Lehrveranstaltungen mithilfe der E-Portfolio-Arbeit auf der Plattform Mahara initiiert werden können. Die Autorin stellt ferner das Konzept der Begleitforschung zur Entwicklung der Unterrichtsplanungs- und Reflexionskompetenz vor. Die Daten wurden mittels eines Vignettentests zu den hier im Fokus stehenden Kompetenzfacetten erhoben. Die Auswertung erfolgt durch qualitative Inhaltsanalysen, deren Kategorien- systeme sich an fachdidaktischen Modellierungen sowie Stufenmodellen der Reflexionstiefe orientieren. Erste Ergebnisse geben einen Ausblick auf die Fort- führung des Forschungsprojektes. 4 Unterrichtsplanung aus Perspektive der Lehrkräfte und des Lehralltags Im Abschnitt ‚Unterrichtsplanung aus Perspektive der Lehrkräfte und des Lehr- alltags‘ beschreibt Peter F. E. Sloane in seinem Beitrag die Strukturen und Prozesse der kooperativen Bildungsgangarbeit im Rahmen einer Bildungs- gangdidaktik. Durch bildungspolitische und curriculare Vorgaben werden
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie … 9 estaltungsspielräume eröffnet, die Lehrerinnen und Lehrer in Teams bei der G Entwicklung von Bildungsgangkonzeptionen, bei der Analyse von Ordnungs- mitteln, bei der Aufstellung von didaktischen Jahresplanungen, bei der Gestaltung und Sequenzierung von Lernsituationen, bei deren Einbettung in komplexe Lehr-Lernarrangements sowie bei der Evaluation von Lehr-Lernprozessen aus- füllen müssen. Die Darstellungen konzentrieren sich auf diese Phasen des Prozessmodells und werden anhand eines Designprojekts zur Implementation des Bildungsgangs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement konkretisiert. Am Ende erfolgt die Ableitung der Lehrerinnen- und Lehrerkompetenzen, die zur erfolgreichen Umsetzung dieses spezifischen Planungsansatzes erforderlich sind. Auch Tade Tramm und Marc Casper fokussieren in ihrem Beitrag Grund- annahmen, Strategien und Problembereiche kooperativer Unterrichtsplanung. Sie beziehen sich im Kontext lernfeldstrukturierter Rahmenlehrpläne in der wirt- schaftsberuflichen Bildung insbesondere auf die schulische Mesoebene. Zentral sind bspw. Fragen nach der breiten Einbindung von Lehrkräften in Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse, nach der Einigung auf normative und didaktisch- konzeptionelle Grundüberzeugungen, nach gemeinsam akzeptierten, curricularen Argumentations- und Entwicklungslogiken oder nach der Gestaltung kontinuier- licher Verbesserungsprozesse. Die Autoren veranschaulichen ihre Ausführungen anhand des Netzwerkes KaBueNet, in dem sieben Oberstufenzentren in Berlin den Bildungsgang Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement neu gestalten. Dabei werden die theoretischen Grundlagen, auf denen die curricularen Ent- wicklungsprozesse basieren, erläutert. Schließlich erfolgt die Reflexion von Gelingensbedingungen der komplexen Realität der Gestaltung von Lehr-Lern- Arrangements, indem die Schnittstelle zwischen systematischer Bildungsgang- arbeit und pragmatischer Unterrichtsplanung in den Blick genommen wird. Laura Büker und Nicole Naeve-Stoß beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit der Planung von Unterricht im Hinblick auf schulnahe und unterrichtliche Rahmenbedingungen. Sie konzentrieren sich auf die netzwerkbasierte, schulüber- greifende Zusammenarbeit, die Innovationspotenziale, Lern- und Entwicklungs- potenziale, Qualitätspotenziale, Synergieeffekte und Promotorenpotenziale in sich birgt. Anhand des bereits erwähnten Zusammenschlusses KaBueNet werden Herausforderungen, welche sich auf den Transfer und die Implementation der Ergebnisse und Produkte in den einzelnen Schulen auswirken, illustriert. Bei der Beantwortung der Frage, wie und in welchen Ausgestaltungen die Entwicklungen aus der schulübergreifenden Netzwerkarbeit die Lehrerinnen und Lehrer an den einzelnen Schulen erreichen, werden schulorganisatorische Gesichtspunkte fokussiert. Die Autorinnen kommen zu der Erkenntnis, dass entsprechende
10 J. Klusmeyer und M. Söll Prozesse bereits zu Beginn der Curriculum- und Unterrichtsentwicklungsarbeit mitgeplant und gestaltet werden müssen, um den Herausforderungen der Netz- werkarbeit begegnen und deren Potenziale nachhaltig nutzen zu können. Karl-Heinz Gerholz und Karl Wilbers zeigen in ihrem Beitrag, wie Studentinnen und Studenten im Rahmen des Universitätsschulkonzepts Unter- richt planen und die dazu notwendigen Kompetenzen entwickeln. Der Ansatz orientiert sich an der universitären Ausbildung von angehenden Medizinerinnen und Medizinern, in der Theorie und Praxis durch die Kooperation zwischen Universitäten und Universitätskliniken aufeinander bezogen wird. Analog dazu erlaubt die Zusammenarbeit von Universitäten mit Universitätsschulen in der ersten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eine theoriegeleitete und gleich- sam praxisbezogene Unterrichtsplanung, -durchführung und -reflexion. Durch die Kooperation können Unterschiede der beteiligten Institutionen produktiv genutzt werden, um den Professionalisierungsprozess der Studierenden zu unter- stützen. Die Autoren stellen die konkreten Implementationen des Konzepts an den Universitäten Bamberg und Erlangen-Nürnberg vor und vergleichen diese abschließend u. a. im Hinblick auf hochschuldidaktische Erarbeitungs-, Sequenzierungs-, Durchführungs-, Begleitungs- und Forschungsformen. 5 Ausblick Die Zusammenschau der Beiträge macht die unterschiedlichen Ziele, Perspektiven und Herangehensweisen, die bei der Auseinandersetzung von Wirtschafts- didaktikerinnen und Wirtschaftsdidaktikern mit dem Thema der Unterrichtsplanung handlungsleitend sind, in der Scientific Community sichtbar. Es offenbaren sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Bearbeitung des Themas sowie zahl- reiche Forschungsdesiderate, die zur Intensivierung und Vertiefung des Austauschs sowie zu Kooperationen bei der Beschäftigung mit der Gestaltung von Lehr-Lern- Arrangements auffordern. Die Forcierung entsprechender wirtschaftsdidaktischer Forschung ist dringend angezeigt, um bei der Planung von Unterricht unbewusstes Agieren durch bewusstes Handeln zu ersetzen. Aufgrund der Breite der bis- herigen Bemühungen sind in der Wirtschaftsdidaktik noch zu wenige theoretisch und empirisch abgesicherte Erkenntnisse zur Unterrichtsplanung vorhanden, um auf Basis deren Reflexion schlüssige Entscheidungshilfen für die Praxis des institutionalisierten Lehrens und Lernens in der wirtschaftsberuflichen Bildung ableiten zu können. Sowohl die Aktualität der Projekte als auch das Engagement der Autorinnen und Autoren unseres Sammelbandes zur Planung von Unterricht
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie … 11 sprechen allerdings gegen die eingangs aufgeworfene These des langsamen Ver- schwindens des Gegenstandes aus der wirtschaftsdidaktischen Forschung. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine anregende und erkenntnis- bringende Lektüre! Jens Klusmeyer und Matthias Söll Literatur Achtenhagen, F. (1981). Theorie der Fachdidaktik. In W. Twellmann (Hrsg.), Hand- buch Schule und Unterricht: Band 5.1 Schule und Unterricht unter dem Aspekt der didaktischen Bereiche (S. 275–294). Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann. Achtenhagen, F. (2006). Lehr-Lern-Forschung. In R. Arnold & A. Lipsmeier (Hrsg.), Handbuch der Berufsbildung (S. 586–609). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- schaften. Aprea, C. (2007). Aufgabenorientiertes Coaching in Designprozessen: Fallstudien zur Planung wirtschaftsberuflicher Lernumgebungen. Wirtschaftspädagogische Studien zur individuellen und kollektiven Entwicklung: Bd. 6. München: Hampp. Aprea, C. (2013). Lehr-Lernforschung als Grundlage der Didaktik beruflicher Bildung. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 24, 1–21. https://www.bwpat.de/aus- gabe24/aprea_bwpat24.pdf. Zugegriffen: 22. Sept. 2020. Aprea, C. (2014). Unterrichtsplanung als Designaufgabe. Journal für LehrerInnenbildung, 14(4), 47–50. Aprea, C. (2018). Instructionsdesign und Unterrichtsplanung. In H. Niegemann & A. Wein- berger (Hrsg.), Lernen mit Bildungs technologien: Praxis orientiertes Handbuch zum intelligenten Umgang mit digitalen Medien (S. 1–19). Wiesbaden: Springer. Arnold, K.-H., & Zierer, K. (2015). 1. Teil: Vom Wert der Primärliteratur. In K.-H. Arnold & K. Zierer (Hrsg.), Die deutsche Didaktik-Tradition: Grundlagentexte zu den großen Modellen der Unterrichtsplanung (S. 9–30). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. Arnold, K.-H., Bohl, T., & Zierer, K. (2011). Einführung in den Thementeil. In K. Zierer (Hrsg.), Jahrbuch für Allgemeine Didaktik: Entwicklung und Weiterentwicklung all- gemeindidaktischer Modelle der Unterrichtsplanung (S. 9–10). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Blömeke, S., Herzig, B., & Tulodziecki, G. (2007). Zum Stellenwert empirischer Forschung für die Allgemeine Didaktik. Unterrichtswissenschaft, 35(4), 355–381. Heimann, P. (1962). Didaktik als Theorie und Lehre. Die Deutsche Schule, 54(9), 407–428. Klafki, W. (1958). Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung. Die Deutsche Schule, 50(10), 450–471. Koob, C., & Schmutte, A. M. (2017). Strategisches Management: Die Richtung fest- legen. In P. F.-J. Niermann & A. M. Schmutte (Hrsg.), Managemententscheidungen: Methoden, Handlungsempfehlungen, Best Practices (S. 221–262). Wiesbaden: Springer. Kron, F. W., Jürgens, E., & Standop, J. (2014). Grundwissen Didaktik. München: Reinhardt.
12 J. Klusmeyer und M. Söll Reinisch, H. (1999). Zum Verhältnis von Lehr-Lern-Forschung und Didaktik: Bemerkungen zu Entwicklung und Stand in der Wirtschaftspädagogik. Jenaer Arbeiten zur Wirtschaftspädagogik. Reihe A: Kleine Schriften, 8, 1–21. Reinisch, H. (2017). Prinzipien und Orientierungen ohne Ende – Notizen zur Ent- wicklung des Diskurses zur Unterrichtsplanung in der wirtschaftsberuflichen Didaktik. In S. Matthäus, C. Aprea, D. Ifenthaler, & J. Seifried (Hrsg.), Profil 5: Entwicklung, Evaluation und Qualitätsmanagement von beruflichem Lehren und Lernen. Digitale Festschrift für Hermann G. Ebner (S. 1–18). https://www.bwpat.de/profil-5/reinisch. Zugegriffen: 12. Jan. 2021. Reusser, K. (2008). Empirisch fundierte Didaktik – didaktisch fundierte Unterrichts- forschung Eine Perspektive zur Neuorientierung der Allgemeinen Didaktik. Perspektiven der Didaktik: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. In M. A. Meyer, M. Prenzel, & S. Hellekamps (Hrsg.), Sonderheft (Bd. 9, S. 219–237). Wiesbaden: VS Ver- lag für Sozialwissenschaften. Seel, A. (2011). Wie angehende Lehrer/innen das Planen lernen: Empirische Befunde zur ausbildungsbezogenen Unterrichtsplanung. In K. Zierer (Hrsg.), Jahrbuch für All- gemeine Didaktik: Entwicklung und Weiterentwicklung allgemeindidaktischer Modelle der Unterrichtsplanung (S. 31–45). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Seel, A., & Aprea, C. (2014). Editorial. Journal für LehrerInnenbildung, 14(4), 4–6. Seifried, J. (2009a). Unterrichtsplanung von (angehenden) Lehrkräften an kaufmännischen Schulen. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik: ZBW, 105(2), 179–197. Seifried, J. (2009b). Unterricht aus der Sicht von Handelslehrern. Konzepte des Lehrens und Lernens: Bd. 16. Frankfurt a. M.: Lang. Selzam, J. (1983). Der Schulenwicklungsplan fiir berufliche Schulen. In L. Heimerer (Hrsg.), Berufliche Bildung im Wandel: Beiträge zur Geschichte des beruflichen Schul- wesens in Bayern von 1945 bis 1982 (S. 749–761). Bad Homburg vor der Höhe: Gehlen. Sloane, P. F. E. (1999). Situationen gestalten: Von der Planung des Lehrens zur Ermög- lichung des Lernens. Paderborn: Eusl. Söll, M. (2019). Sprachsensible Planung von Fachunterricht mit Hilfe der Methode des Drehbuchschreibens für Anchored-Instruction-Filme. Eine Konzeption am Beispiel der wirtschaftsberuflichen Bildung. In C. Caruso, J. Hofmann, A. Rohde, & K. Schick (Hrsg.), Sprache im Unterricht. Ansätze, Konzepte, Methoden (S. 211–226). Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier. Söll, M., & Klusmeyer, J. (2018). Unterrichtsplanung als zentraler Gegenstand der Wirt- schaftsdidaktik – Konzeption eines hochschuldidaktischen Ansatzes. In T. Tramm, M. Casper, & T. Schlömer (Hrsg.), Berichte zur beruflichen Bildung: Bd. 22. Didaktik der beruflichen Bildung – Selbstverständnis, Zukunftsperspektiven und Innovationsschwer- punkte (S. 73–88). Bielefeld: Bertelsmann. Terhart, E. (2002). Fremde Schwestern: Zum Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und empirischer Lehr-Lern-Forschung. Zeitschrift für pädagogische Psychologie, 16(2), 77–86. Uzunbacak, S., & Klusmeyer, J. (2018). Elaborierte Unterrichtsplanung mittels E-Portfolio und Prompts. In B. Getto, P. Hintze, & M. Kerres (Hrsg.), Digitalisierung und Hoch- schulentwicklung (S. 177–185). Münster: Waxmann.
Unterrichtsplanung im Fokus wirtschaftsdidaktischer Theorie … 13 Uzunbacak, S., & Klusmeyer, J. (2019). E-Portfolio-Arbeit mit Mahara zur reflexiven Unterrichtsplanung. Bildung und Beruf, 10, 332–337. Wernke, S., & Zierer, K. (2017). Die Unterrichtsplanung – Ein in Vergessenheit geratener Kompetenzbereich?! In S. Wernke & K. Zierer (Hrsg.), Die Unterrichtsplanung – Ein in Vergessenheit geratener Kompetenzbereich?!: Status Quo und Perspektiven aus Sicht der empirischen Forschung (S. 7–16). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Zabeck, J. (1992). Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin (S. 24). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren (Wirtschaftsdidaktik, Berufsbildung und Konsumentenerziehung).
Unterrichtsplanung aus theoretisch- konzeptioneller Perspektive
Unterrichtsplanung im Kontext bildungstheoretischer Grundannahmen Holger Reinisch Zusammenfassung Die Fähigkeit, „guten Unterricht“ zu planen, gehört zum Kern der Professionalität angehender und praktizierender Lehrkräfte. Dabei beziehen sich bildungstheoretische Reflexionen vornehmlich auf die Maximen, an denen Lehrerinnen und Lehrer ihr pädagogisches Handeln ausrichten sollen. Diese bilden die Basis der Techniken der Unterrichtsplanung, bspw. im Hin- blick auf die inhaltliche Strukturierung oder die Zeitplanung. Bildungstheorie und Didaktik sind somit untrennbar aufeinander bezogen. Vor diesem Hinter- grund bildet die Diskussion bildungstheoretischer Bezüge ausgewählter didaktischer Modelle den Schwerpunkt des vorliegenden Aufsatzes. Diese ist eingebettet in die Konturierung von Unterricht als gesellschaftlichem und pädagogischem Phänomen sowie in die Beschreibung der Genese der Bildungstheorie im Hinblick auf deren Beziehungen zum didaktischen Denken und Handeln. Anmerkungen zu Entwicklungen in der Didaktik des wirt- schaftsberuflichen Unterrichts schließen die Ausführungen ab. Schlüsselwörter Bildungstheorie · Didaktik · Didaktische Modelle · Didaktische Reflexion · Unterricht · Unterrichtsplanung · Wirtschaftsdidaktik H. Reinisch (*) Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik, Grömitz, Deutschland E-Mail: Holger_Reinisch@gmx.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 17 J. Klusmeyer und M. Söll (Hrsg.), Unterrichtsplanung in der Wirtschaftsdidaktik, Edition Fachdidaktiken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26620-2_2
18 H. Reinisch 1 Einleitung Heute über Unterrichtsplanung und dann noch im Zusammenhang mit Bildungs- theorie zu schreiben, wirkt in Zeiten der Dominanz des Kompetenzbegriffs und der Fokussierung des unterrichtstheoretischen Diskurses auf Lernen statt auf Lehren ziemlich aus der Zeit gefallen. Gleichwohl zählt die Planung des Lehrens nach wie vor zu den alltäglichen Aufgaben der Lehrkräfte und muss daher Gegen- stand der didaktischen Reflexion sein. Schließlich versteht sich die Didaktik vor- nehmlich als die Berufswissenschaft von Lehrenden. Wenn nun – wie im Titel dieses Beitrags angezeigt – nach Beziehungen zwischen didaktischen Modellen zur Unterrichtsplanung und bildungs- theoretischen Grundannahmen gesucht werden soll, dann läge die Konzentration auf die bildungstheoretische Didaktik von Erich Weniger und Wolfgang Klafki nahe. Dies wäre jedoch eine Engführung des Themas, der hier nicht gefolgt werden soll. Stattdessen wird das Thema angesichts der Komplexität und der langen Geschichte von Unterricht und Bildungstheorie in drei Schritten bearbeitet. Zuerst wird Unterricht als gesellschaftliches und pädagogisches Phänomen betrachtet (siehe Abschn. 2), um dann auf Entwicklungen in der Bildungstheorie mit Blick auf deren Beziehungen zum didaktischen Denken und Handeln einzugehen (siehe Abschn. 3). Im dritten Schritt wird an Hand aus- gewählter didaktischer Modelle diskutiert, inwieweit bildungstheoretische Grund- annahmen in diese Modelle eingeflossen sind (siehe Abschn. 4). Thematisiert werden dabei ausschließlich Modellbildungen aus der allgemeinen Didaktik. Anmerkungen zur Entwicklung in der Didaktik des wirtschaftsberuflichen Unter- richts (vgl. dazu ausführlicher auch Reinisch 2017) schließen die Betrachtung ab (siehe Abschn. 5 und 6). 2 Problemhorizont: Unterricht als gesellschaftliches und pädagogisches Phänomen Zweifellos sind Lehren und Lernen Tätigkeiten, die seit Beginn der menschlichen Gattung existieren und heute ebenso wie in der Vergangenheit als auch in der Zukunft das ganze Leben der Angehörigen unserer Gattung begleiten, begleitet haben und begleiten werden. Damit wird nicht behauptet, dass Lehren und Lernen ausschließlich der menschlichen Gattung eigen ist, aber es kennzeichnet das Leben des einzelnen Menschen und der menschlichen Gesellschaften in besonderer Weise und dieser Mechanismus ist die Grundvoraussetzung der
Unterrichtsplanung im Kontext bildungstheoretischer Grundannahmen 19 sozialen Evolution und der Stabilität und Entwicklung der Kulturen. Über- wiegend vollzieht sich Lernen – mit oder ohne vorausgegangenes Lehren – in der unmittelbaren Lebenspraxis mittels Kommunikation und Beobachtung. In pädagogischer und dabei insbesondere didaktischer Hinsicht ist jedoch von besonderem Interesse, wenn Lehren und Lernen als Einheit auftreten. Dabei wird eine Tätigkeit einer Person nur dann als Lehren bezeichnet, wenn jemand erstens etwas in der Absicht tut, eine Wirkung zu erzielen, wenn dieser also eine Handlung in der Relation „Intention – Handlung – (erhoffte) Wirkung“ vollzieht und zweitens die Intention darin besteht, einer anderen Person oder mehreren anderen Personen zum Lernen zu verhelfen und jene beim Lernen zu unter- stützen. Als Lehren wird mithin eine an Zielen ausgerichtete, planvolle, auf Rück- meldung und Kontrolle verwiesene und medial, z. B. durch Sprache, vermittelte Handlung einer Person bezeichnet. Ein für die soziale und kulturelle Evolution höchst bedeutsamer Schritt, den wohl nahezu sämtlich heute noch existierenden menschlichen Gemeinschaften und Gesellschaften irgendwann einmal gegangen sind, wird dadurch markiert, dass die Einheit von Lehren und Lernen nicht mehr nur zufällig in der alltäglichen Lebenspraxis geschah, sondern auf Dauer gestellt und aus der alltäglichen Lebenspraxis in eine gesonderte Institution ausgelagert wurde. Bekanntermaßen bezeichnen wir diese Institutionen als Schule und die dort stattfindende oder zumindest stattfindenden sollende Einheit von Lehren und Lernen als Unterricht. Auch wenn beispielsweise Protz (2004, S. 1031) auch das zufällige, in der Alltagspraxis stattfindende Lehren und Lernen als eine Form des Unterrichts ansieht, wird hier unter Unterricht ausschließlich „als durch Lehren initiiertes – geplantes, systematisches, methodisches und zielgerichtetes – Lernen innerhalb eines bestimmten institutionellen und beruflichen Rahmens zum Zwecke der Erweiterung dieses Lernens“ (Protz, ebd.) verstanden. Unterricht ist also ein von den alltäglichen Lebensvollzügen getrennte Ver- anstaltung, womit sich unmittelbar zwei Fragen stellen: Warum ist diese Aus- lagerung erfolgt und was wird mit dieser Auslagerung bezweckt oder um die zweite Frage ökonomisch auszudrücken, warum sind Gesellschaften bereit, die mit dieser Auslagerung verbundenen Kosten zu tragen? Zur Beantwortung der ersten Frage wird in der einschlägigen schultheoretischen Literatur (vgl. z. B. Kemper 1997 und 2004) gemeinhin darauf verwiesen, dass die erwachsenen Mit- glieder einer menschlichen Gemeinschaft der Meinung gewesen seien und bis heute sind, dass es im Kanon des von ihnen geteilten Wissens oder in ihrer Kultur zumindest bei einigen ihrer Mitglieder vorhandenen Wissens erstens einige Bestandteile geben würde bzw. gibt, deren Tradierung an die nachwachsenden Mitglieder der Gemeinschaft erforderlich sei, dieser Kanon jedoch zweitens nicht mehr ausschließlich im alltäglichen Lebensvollzug zu lehren und zu lernen sei,
20 H. Reinisch ohne dass eben dieser alltägliche Lebensvollzug gestört würde. In dieser Aussage finden sich mithin drei Motive, die immer schon, aber eben auch in den heutigen öffentlichen Debatten um Schule und Unterricht eine zentrale Rolle gespielt haben bzw. spielen: 1. geht es um die Frage, was den eigentlich die Angehörigen der nach- wachsenden Generation lernen sollen, also um die Inhalte des zu erlernenden Kanons, 2. um die Frage, ob dieser Kanon für sämtliche Angehörige der nachwachsenden Generation gleich sein soll oder Differenzierungen in inhaltlicher Hinsicht etwa nach den Kriterien Geschlecht, Alter, Lernfähigkeit und sozialer Her- kunft vorgenommenen werden sollen, sodass an die verschiedenen Arten des Schulbesuchs und des Unterrichts unterschiedliche Berechtigungen geknüpft werden können, 3. um den von der Generation der Erwachsenen für erforderlich gehaltenen Grad an zeitlicher und inhaltlicher Entlastung von Erziehungsaufgaben bezüglich der eigenen Kinder; man denke hier nur an die Debatten um die Bedeutung öffentlicher frühkindlicher Erziehung und die Einführung von Ganztagsunter- richt oder aktuell um die Auseinandersetzungen um den Schulbesuch der Kinder und Jugendlichen in den Zeiten der Corona-Pandemie, in der das „Ent- lastungsargument“ eine überaus prominente Rolle spielt. In ständisch-feudalen Gesellschaftsordnungen, in denen der Lebensweg und die Position in der gesellschaftlichen Hierarchie durch den Geburtsstand fest- gelegt ist und der zu erlernende Kanon sich somit funktional an den Erforder- nissen des jeweiligen Standes orientiert, sind die genannten drei Aspekte relativ konfliktfrei zu lösen. Demgegenüber basiert die bürgerlich-demokratische Gesellschaftsordnung auf dem zentralen Versprechen, dass auf der Basis der rechtlichen Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder die soziale Stellung der Mitglieder der Gesellschaft und damit ein möglicher sozialer Aufstieg von der individuellen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Individuen abhängig sind. Angesichts der daraus resultierenden Kontingenz des Lebenswegs der Mit- glieder der Gesellschaft bedarf es rechtlicher und institutioneller Regelungen, um die Reproduktion der Gesellschaft im funktionalen Sinne zu gewährleisten. Die zentrale Rolle kommt dabei dem Bildungssystem als „Institution der gesellschaftlich kontrollierten und veranstalteten Sozialisation“ (Fend 1980, S. 2) zu. Reproduktion der Gesellschaft bedeutet im Sinne der hier herangezogenen
Unterrichtsplanung im Kontext bildungstheoretischer Grundannahmen 21 struktur-funktionalistischen Schultheorie (vgl. insb. ebd.), dass dem Bildungs- system die Aufgaben zukommen, das Beschäftigungs- und Wirtschaftssystem mit den benötigten Qualifikationen zu versorgen (Qualifikationsfunktion), das seitens der Gesellschaft gewünschte Maß an Ungleichheit durch Selektion auf- recht zu erhalten (Selektionsfunktion) und gleichwohl dafür Sorge zu tragen, dass die nachwachsende Generation an die Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit der zentralen Versprechen der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft, wie sie sich im Falle Deutschlands in den ersten neunzehn Artikeln des Grundgesetzes finden, glauben (Legitimationsfunktion). Dass diese Aspekte hinsichtlich ihrer materialen Ausgestaltung im Zeitablauf immer wieder neu diskutiert werden und dabei inhaltlich höchst unterschiedliche Positionen vertreten werden, muss hier nicht näher erläutert werden. Den Hintergrund für diese seit Beginn der Aufklärung im 18. Jahrhundert anhaltenden Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Bildungswesens und damit der oben angesprochenen Motive bildet der Tatbestand, dass die drei genannten Funktionen des Bildungswesens keineswegs in einem konfliktfreien Verhältnis zueinander stehen. Schließlich soll das Bildungswesen sowohl der Reproduktion der Gesellschaft in sozialer, kultureller und ökonomischer Hin- sicht als auch der Förderung der Entwicklung der nachwachsenden Generation zu eigenständigen Persönlichkeiten dienen. Dabei läuft der pädagogische Grundsatz der Förderung der individuellen Entwicklung unter anderem auf die Forderung hinaus, ein für sämtliche Mitglieder der Gesellschaft offenes, durchlässiges und für die Individuen kostenfreies Bildungswesen zu schaffen. Demgegenüber folgt einerseits aus der Selektionsfunktion, dass ins Bildungssystem Barrieren ein- gebaut werden müssen, um einen Teil der nachwachsenden Generation von höheren Bildungsabschlüssen und den zugehörigen Qualifikationsniveaus fern zu halten und aus der Qualifikationsfunktion andererseits, dass nicht die Förderung der individuellen Entwicklung der Persönlichkeit sondern der gesellschaft- liche Bedarf an Qualifikationen als maßgeblich für die Bestimmung des zu erlernenden Kanons erachtet werden. Dies könnte allerdings dazu führen, dass die an diesen Barrieren gescheiterten Jugendlichen den gesellschaftlichen Ver- sprechen auf Chancengleichheit nicht mehr trauen; mithin stehen Selektions- und Legitimationsfunktion prinzipiell in einem konfliktären Verhältnis. In demokratisch verfassten Gesellschaften ist dieses konfliktäre Verhältnis prinzipiell nicht auflösbar, sondern allenfalls mit dem Ziel bearbeitbar, einen Konsens zu finden, der die Ansprüche sämtlicher gesellschaftlicher Gruppen an das Bildungswesen zumindest temporär zufrieden stellt. Der Prozess der Konsensfindung umfasst dabei drei Ebenen:
Sie können auch lesen