Handreichung Diversity - VIELFALT GESTALTET Handreichung zu Diversity in Schule und Berufsvorbereitung
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VIELFALT GESTALTET Handreichung zu Diversity in Schule und Berufsvorbereitung Handreichung Diversit
Impressum Herausgeber Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin – »Walter May« Rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, Sitz Berlin. Anerkannt durch die Senatsverwaltung für Justiz. Sie unterliegt nach dem Berliner Stiftungsgesetz der Stiftungsaufsicht Berlins. Der Gerichtsstand der Stiftung ist Berlin. Verantwortlich im Sinne des Pressegesetztes Hartmut Brocke, Vorstandsvorsitzender/Direktor E-Mail: info@stiftung-spi.de Redaktion Texte Ann-Sofie Susen, Rufus Sona, Sandra Wille, Carl Chung Redaktionelle Berabeitung Carmen Krikau VIELFALT GESTALTET - für Toleranz und Demokratie und Mobiles Beratungsteam »Ostkreuz« für Demokratieentwicklung, Menschenrechte und Integration Voltairestr. 3 10179 Berlin Telefon: 030.41 72 56 28 Fax: 030.41 72 56 30 E-mail: ostkreuz@stiftung-spi.de Internet: http://www.stiftung-spi.de/ostkreuz Gestaltung Hedwig Ruf, www.ruf-gestalten.de Copyrights Die Stiftung SPI behält sich sämtliche Rechte auch an der Gestaltung und Struktur der Broschüre vor. Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit Angabe der Quelle und vorheriger Information und Freigabe durch die Redaktion gestattet. Alle Urheberrechte liegen bei der Stiftung SPI, sofern nicht anderes angegeben ist. Druckversion für die mobile Beratung
Inhalt Inhalt I. Einleitung Was bedeutet Diversity in Theorie und Praxis? 03 II. Das Modellprojekt VIELFALT GESTALTET – eine Bilanz 07 III. Diversity, Partizipation und Identität im Test – Anregungen für die Praxis 16 IV. Kleines ABC: Tipps, Handlungsempfehlungen und Erläuterungen 20 V. Weiterführende Literatur, Internetadressen, Projekte und Einrichtungen 40
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Einleitung I. Einleitung An Pädagoginnen und Pädagogen werden von Wirtschaft, Sozialwissenschaften, Politik, Verwaltung und nicht zuletzt Eltern und Schüler/innen selbst hohe Erwartungen gestellt, auch zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen. Schulstrukturreform – Pisa und Bologna – „fördern und fordern“ – Rechtsextremismusbekämpfung – Hartz IV – JüL – Inklusion und Exklusion – Gebetsräume – Patchworkfamilien – sind nur einige Schlagworte, in denen sich die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre widerspiegeln. Zunehmend wird zum Umgang mit den Auswirkungen dieser Herausforderungen im Schul-/ Einrichtungsalltag auch Unterstützung und Hilfe bei externen Partner/innen gesucht, die passgenaue Beratungen, Fortbildungen, Prozessbegleitungen, Materialien usw. bieten. Neben Angeboten zu Demokratietrainings, Menschenrechten, Antidiskriminierung und Rechtsextremismusbekämpfung hat in den letzten Jahren der Diversity-Ansatz14Einzug in die pädagogische Praxis gehalten. Wichtige Impulsgeber zur Entwicklung und Erprobung solch neuer pädagogischer Konzepte sind nicht zuletzt Modellprogramme auf Bundes- und Länderebene. Vor diesem Hintergrund arbeiten bei der Stiftung Sozialpädagogisches Institut »Walter May« (kurz: Stiftung SPI) seit 2001 in Berlin auch das Mobile Beratungsteam »Ostkreuz« und sei- ne Teilprojekte. Eines davon ist das Projekt VIELFALT GESTALTET – für Toleranz und Demokratie, gefördert durch das Bundesprogramm „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“. Das Projekt VIELFALT GESTALTET hat eine längerfristige Prozessbegleitung für Schulen und Ausbildungseinrichtungen entwickelt und intensiv exemplarisch erprobt. Das Projekt basiert auf der konzeptionellen Weiterentwicklung des Managing Diversity-Ansatzes, angepasst an die Anforderungen und Bedarfe von Schulen und Ausbildungseinrichtungen. Zentrale Frage war dabei: Wie lassen sich Vielfalt und Verschiedenheit in der Praxis eigentlich konkret gestalten? Vorweg Es gibt kein Rezeptbuch, und ein solches wäre auch wenig sinnvoll. Jede Schule, jede Einrich- tung ist anders. Daher sollte, wenn möglich, immer eine externe Beratung hinzugezogen werden, um der jeweiligen Schule oder Einrichtung passgenaue Empfehlungen zur Umsetzung zu geben bzw. sie bei der Entwicklung von Maßnahmen zu unterstützen. Insofern ist die vorliegende Broschüre mehr als Anregung mit Hinweisen und Tipps zu ver- stehen, denn als standardisierte Anleitung mit feststehendem Maßnahmenkatalog. Die- se Handreichung hat vielmehr zum Ziel, Pädagog/innen, Schulleitungen, Mitarbeiter/innen in Ausbildungsbetrieben und Interessierten eine erste Vorstellung davon zu vermitteln, wie Schulen und Einrichtungen in die Themenbereiche Diversity, Partizipation und Identität einsteigen können. 1 Mehr zum Diversity-Ansatz lesen Sie sowohl in der Einleitung im folgenden Punkt als auch im Glossar unter Diversity. Einleitung 3
D Dazu stellen wir, neben einer Vorstellung und Bilanz des Modellprojekts VIELFALT GESTALTET, zu jedem der Bereiche Diversity, Partizipation und Identität einen Ausschnitt des Fragenka- talogs zur Verfügung, mit dem wir auch in unserer Projektpraxis gearbeitet haben und der durch die Erfahrungen mit den Einrichtungen kontinuierlich gewachsen ist. Die Fragen sollen skizzieren, was Indikatoren für gelebte Mitbestimmung und Vielfalt in einer Einrichtung sein können, ein Gefühl für den Ist-Stand in der eigenen Einrichtung geben und Ideen für Maßnah- men vermitteln. Es ist keine „Check-Liste der umzusetzenden Maßnahmen“ an jeder einzelnen Einrichtung, sondern eine Möglichkeit der Annäherung an das Themenfeld mit praktischen Hinweisen als Anregungen, wo in der Praxis angesetzt werden kann. Das dem Fragenkatalog folgende Glossar ist mit Bezug auf die zugrundeliegende Projektidee von VIELFALT GESTALTET – für Toleranz und Demokratie entstanden und nicht als lexikalische Artikel zu lesen. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versucht allge- meine Begriffe aus dem Antidiskriminierungs-, Migrations- und Diversitybereich mit unserer Projekterfahrung an Schulen und Ausbildungseinrichtungen zu verknüpfen und dadurch ihre Relevanz im Projektkontext deutlich zu machen. Wer sich darüber hinaus informieren will, findet in einer ausführlichen Literatur- und Link- liste am Schluss der Handreichung weiterführende Literatur, Internetadressen, Projekte und Einrichtungen. Aber zunächst folgt eine kleine Einführung in das Thema Diversity und die Relevanz für den Bereich Schule/Ausbildung beziehungsweise für Sie als Pädagoginnen und Pädagogen. Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen das VIELFALT GESTALTET-Team Sandra Wille, Ann-Sofie Susen, Rufus Sona 4 Einleitung
Diversity Was verbirgt sich hinter Diversity-Ansätzen? Und was hat das mit uns zu tun? Der Diversity-Ansatz Der Diversity-Ansatz trägt gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung, die mit komplexer und heterogener werdenden Milieus, kollektiven und individuellen Identitätsentwürfen einher- gehen. Diese Tendenzen spiegeln sich auch in Schüler/innenschaften, Arbeitnehmer/innen- schaften resp. Kollegium, Elternschaft, örtlichen Gemeinden, Vereinen, Stadtbevölkerungen usw. widerspieg eln. Sie produzieren Uneindeutigkeiten und fordern von der Gesellschaft insgesamt - und von Pädagog/innen besonders - ein hohes Maß an Kompetenzen im Umgang mit diesen alten und neuen Differenzen. Hierauf reagiert der Diversity-Ansatz. Seine Leitgedanken lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wahrnehmung der Vielfalt von Identitäten und Identitätskonstruktionen und ihre Verbin- dungen mit den komplexen Realitäten der Gesellschaft und bestehenden Machtverhältnissen Sensibilisierung für Diskriminierungen und Infragestellung der diesen zugrunde liegenden Normsetzungen Gesellschaftliche Vielfalt wird als Potential begriffen und aufgewertet Pauschale Abwertung wird durch differenzierte Anerkennung abgelöst Dabei spielen sowohl die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Merkmale (Geschlecht, ethnische Herkunft, Hautfarbe, Alter, Beeinträchtigung/Behinderung, sexuelle Orientierung und Religion bzw. Weltanschauung) als auch weitere wie Familienstand, Elternschaft, Ausbildung, beruflicher Werdegang usw. eine besondere Rolle. Die Sichtbarkeit dieser Merkmale und ihre gesellschaftliche Anerkennung sind Teil des Diversity-Ansatzes (siehe auch unter „Diversity“ im Glossar). Organisationale Dimension Funktion/Einstufung ÄußereDimension Geografische Lage Management- Familienstand Einkommen Arbeits- Innere Dimension status inhalte/-feld Alter Eltern- Gewohn- schaft Hautfarbe Geschlecht heiten Persönlichkeit Ethnische Sexuelle Auftreten Freizeit- Zugehörig- Orientierung verhalten keit Physische Gewerk- Fähigkeiten Abteilung schaftszu- Berufs- Einheit Religion gehörigkeit erfahrung Gruppe Ausbildung 4 Arbeitsort Dauer der Zugehörigkeit 2 Quelle: nach Marilyn Loden/Judy Rosener, „Workforce America“, 1991. Einleitung 5
Bei der Arbeit mit dem Diversity-Ansatz geht es nicht um das Einüben von Toleranz, sondern um gegenseitige Anerkennung und das Erlernen eines aktiven Umgangs mit Differenz. Dass dazu auch Selbstreflexion und das kritische Hinterfragen der persönlichen Normalitätsvorstellungen gehören, B wird deutlich in der englischen Redewendung „Diversity is not about the others – it is about you“: Bei Diversity geht es nicht um die Anderen – es geht um Dich! Wofür wollen Diversity-Ansätze sensibilisieren? Was sind Diversity-Kompetenzen? Ein wichtiger Bestandteil eines jeden Diversity-Prozesses oder -Trainings ist die Sensibilisie- rungsphase, da, wer neue Denk- und Handlungsweisen erlernen möchte, sich zuerst seine/ihre bestehenden vergegenwärtigen sollte. Diversity-Ansätze zielen auf die Sensibilisierung für Schubladen-Denken und Diskriminierungen Anerkennung von verschiedenen Identitätskonstruktione Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum Perspektivwechsel Wahrnehmung von Dominanz- und Unterordnungsstrukturen Erkennen der Ungleichgewichtigkeit verschiedener sozialer Klassifikationen Konfliktfähigkeit Diversity-Kompetenz ist keine Sonderkompetenz im Sinne einer Gebrauchsanweisung zum Umgang mit „Fremden“. Sie ist vielmehr eine allgemeine soziale Kompetenz, Menschen nicht als Stellvertreter/innen für eine bestimmte Gruppe zu behandeln, sondern sie als Individuen wahr- und ernst zu nehmen. Welchen Nutzen kann ich für mich persönlich und für meine Schule/Einrichtung von einem Diversity-Prozess erwarten? Die individuelle Handlungsfähigkeit der Einzelnen zum produktiven Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit wird gestärkt. Die Grundsätze des AGG werden praktisch umgesetzt. Diversity-Kompetenz ermöglicht Handlungssicherheit bei sachlich begründeter Unter- scheidung und Ungleichbehandlung. Neue Potentiale der Jugendlichen, Eltern, Pädagog/innen und Mitarbeitenden werden entdeckt und genutzt. Die Personalentwicklung kann gezielter darauf ausgerichtet werden, dass sie den Bedarfen aller Nutzer/innen der Schule/Einrichtung entspricht. Ein wertschätzender Umgang mit Vielfalt bedeutet eine Verbesserung der Arbeitsatmo- sphäre und des sozialen Klimas: Jugendliche, Pädagog/innen und Mitarbeitende kommen gerne in die Schule/Einrichtung. Fehlzeiten verringern sich. Das Image der Schule/Einrichtung verbessert sich. Es ist nachvollziehbar, dass Pädagog/innen nicht selten aus Angst vor zusätzlicher Arbeit davor zurückschrecken, sich auf neue Konzepte und Projekte einzulassen. Letztendlich bedeutet aber eine Verbesserung des Schulklimas weniger Stress und weniger Arbeit, also besseren Output, selbstständigere und demokratiegeübte Schüler/innen. Wie viel Zeitaufwand in einem Diversity-Prozess auf eine Schule/Einrichtung als Ganzes und die einzelnen Akteure tatsächlich zukommen kann, wird im nächsten Kapitel, der Darstellung und Bilanz des Modellprojekts VIELFALT GESTALTET, deutlicher. 6 Einleitung
Bilanz II. Das Modellprojekt VIELFALT GESTALTET eine Bilanz Vielfalt gestalten – Teilhabe fördern – Identität entwickeln Das Konzept Schule und Einrichtungen der Berufsvorbe- beim Veränderungsprozess mit dem Fokus reitung sind Orte, an denen Kinder, Jugendli- auf Managing Diversity zu begleiten. che und Pädagog/innen mit verschiedensten Hintergründen zusammen kommen, vonein- Auf folgende Herausforderungen sind wir ander lernen und in Konflikt miteinander während der Konzeption des Projekts VIEL- geraten. Schule und berufsvorbereitende FALT GESTALTET und bei der praktischen Arbeit Einrichtungen haben die Aufgabe und die gestoßen: Chance, vorhandene Bildungsungleichheiten Diskriminierende und menschenverach- auszugleichen, Kindern, Jugendlichen und tende Sprache und Verhaltensweisen im jungen Erwachsenen Teilhabe im Alltag zu Schul- bzw. Projektalltag in Einrichtungen ermöglichen und sie so auf die Mitwirkung der Berufsvorbereitung (zwischen Jugend- am gesellschaftlichen Leben vorzubereiten. lichen, aber auch gegenüber Lehrer/innen Dafür brauchen Schulen/Einrichtungen Un- und Mitarbeitenden sowie von Pädagog/ terstützung – die wenigsten Pädagog/innen innen ausgehende Diskriminierungen, dis- fühlen sich vorbereitet auf die vielfältigen kriminierende Deutungsmuster und Äuße- Lebensweisen und Identitätskonstruktionen rungen) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Von Lehrer/innen und Mitarbeitenden Interkulturelle Pädagogik und Diversity- geäußerter Fortbildungsbedarf für den ge- Kompetenzen kommen in der Lehrkräfteaus- fühlt zunehmend schwierigen Umgang mit bildung oft nur am Rande vor. Auch die Lei- meist männlichen, bildungsbenachteilig- tungsebene wird häufig nur unzureichend ten, demokratiedistanzierten Jugendlichen auf zunehmende Managementaufgaben und Konfliktlinien zwischen Schüler/innengrup- -anforderungen vorbereitet.3 4 pen und Gruppen junger Erwachsener in Ausbildungseinrichtungen werden stärker Vor diesem Hintergrund ist 2007 das Mo- Resignation, Ratlosigkeit und Angst von dellprojekt VIELFALT GESTALTET – für Toleranz Lehrenden, die sich teilweise direkt aufs und Demokratie entwickelt worden. Es Schulklima übertragen wurde vom Bundesministerium für Familie, Unsicherheit, Ratlosigkeit und Frustration Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen in der Arbeit mit Eltern, meist von deutsch des Bundesprogramms „VIELFALT TUT GUT. stämmigen Pädagog/innen geäußert, spezi- Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demo- fisch in Bezug auf Eltern mit Migrations- kratie“ und dem Integrationsbeauftragten hintergrund Berlins für drei Jahre finanziert. Ziel war es, Unsicherheit, Ratlosigkeit und Frustration Schulen und Ausbildungseinrichtungen so- von Eltern gegenüber diskriminierendem, wie Einrichtungen der Berufsvorbereitung stereotypisierendem Verhalten von Lehren- den und Mitarbeitenden. 3 Diese Einschätzung beruht auf Berichten und Erfahrungen aus unserer Projektpraxis. Bilanz 7
VIELFALT GESTALTETist kein Projekt, welches an einzelnen dieser Herausforderungen und Problematiken separiert arbeitet und Work- mit allen Beteiligen. Zwar sind nie alle im selben Ausmaß an den gleichen Prozessen beteiligt. Aber für das Gelingen des Projekts K shops mit „den schwierigen Jugendlichen“ VIELFALT GESTALTET ist ein deutliches Signal der oder „den Eltern mit Migrationshintergrund“ Mehrheit des Kollegiums/Teams nötig, dass anbietet. der Veränderungsprozess gewollt ist und Stattdessen unterstützt und begleitet das (mit-)getragen wird. Alle Akteursgruppen Projekt VIELFALT GESTALTET Einrichtungen bei sollten einbezogen werden: Pädagogisches einem Veränderungsprozess des Umgangs Personal, Lehrkräfte, Leitung, Eltern, Ange- und der Haltung der Akteure mit dem Ziel, stellte wie z.B. Hausmeister/in, Kioskverkäu- gemeinsam einen Ort zu schaffen, an dem fer/in, Personal der Schulküche und nicht alle Beteiligten: zuletzt die Jugendlichen. Außerdem ist die sich gegenseitig respektieren und wert- aktive Unterstützung der Leitungsebene schätzen nötig. Nicht nur weil es Maßnahmen und sich wohl und sicher fühlen Veränderungen geben wird, die der Zustim- sich mit dem Profil der Einrichtung identi- mung der Leitung bedürfen, sondern auch fizieren (können) ob der Signalwirkung, dass der Prozess von ihre Potentiale einbringen (können) oben gewollt und unterstützt wird, auch in Verantwortung für die Einrichtung über Form von zeitlichen Ressourcen der Mitarbei- nehmen (wollen) tenden/des Kollegiums. zu einem Klima gelebter Gleichwertigkeit Eine in diesem Zusammenhang häufig ge- beitragen äußerte Befürchtung ist, dass ein Diversity- mit Konflikten ohne diskriminierendes Ver- Prozess vor allem Mehrarbeit und eine Zu- halten, Stereotypisierung und pauschale satzbelastung darstellen würde: „Wir haben Zuschreibungen umgehen schon das Mädchenprojekt, die Behinderten und die Sprachförderung für Migranten- Das hört sich sehr abstakt und „weich“ an kinder, und jetzt sollen wir auch noch Diver- – vor allem neben den Anforderungen an sity!?“ Anfangs, und so auch hier, bedeutet Schule, die Jugendlichen zu guten Abschlüs- Veränderung tatsächlich einen zusätzlichen sen zu bringen bzw. an Einrichtungen, die Aufwand. Doch das Prinzip von Managing Teilnehmer/innen bestmöglich auf den ersten Diversity besteht hauptsächlich darin, das, Arbeitsmarkt zu vermitteln. Aber ohne die- was ohnehin bereits gemacht wird, nämlich se Voraussetzungen wird es immer schwie- im Schul-/Einrichtungsalltag mit vielen ver- riger werden, Jugendliche zu erreichen, schiedenen Menschen umzugehen, auf eine zu lehren, mit ihnen statt gegen sie zu ar- andere Art und Weise zu tun. Entsprechend beiten. Auch zählen Interkulturelle und findet der Lernprozess mit VIELFALT GESTALTET Diversity-Kompetenz als Fähigkeit, sich in nicht abgespalten von allem anderen statt, ein divers zusammengesetztes Team einzu- sondern setzt an der alltäglichen Arbeit und fügen oder auf die Ansprüche einer vielfäl- den hauseigenen Prozessen und Abläufen an tigen Kundschaft angemessen reagieren zu und erleichtert diese. können, mittlerweile zu den Schlüsselqualifi- kationen auf einem globalisierten Arbeits- markt. Bei einer Begleitung durch das Projekt VIEL- FALT GESTALTET geht es um eine Veränderung der ganzen Schule/Einrichtung, als System, 8 Bilanz
Konzept „Vielfalt gestalten – Teilhabe fördern – Iden- tität entwickeln“: Im Verlauf der Erprobung unseres Modellprojekts kristallisierte sich heraus, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist. In diesem Dreiklang steckt viel Potential. Die folgende Tabelle zeigt übersichtlich Ziele, Vorgehen und Maßnahmen der jeweiligen Dimensionen auf sowie die sich daraus ergebenden übergreifenden Punkte. Ziele Vorgehen Maßnahmen Diversity Wahrnehmung von Auseinandersetzung mit Diversity-Training, Nut- Gemeinsamkeiten der eigenen Identität und zung des vorhandenen und Unterschieden, Normalitätsvorstellun- Potentials, Umgang mit Anerkennung des gen, Sensibilisierung und diskriminierendem Ver- Gegenübers, Vielfalt Einübung eines aktiven halten, Maßnahmen zum als Potential begreifen Umgangs mit diskriminie- Nachteilsausgleich, vielfalts- und nutzen rendem Verhalten, aktives orientierte Personalent- Gestalten von Vielfalt wicklung Partizipation Vermittlung und Teilhabemöglichkeiten Beteiligungsverfahren und Einübung demokrati- anbieten, Beteiligungskul- -strukturen etablieren: scher Kompetenzen tur aufbauen und pflegen, Diskussionsrunden, Umfra- Einbeziehung aller rele- gen, Räte, Abstimmungen, vanten Akteure Wahlen… Identität Identität entwickeln Mögliche Identitätspunkte artizipative Leitbild- und und stärken ausmachen, verhandeln Programmentwicklung, und anbieten Namensfindung, Events, Symbolik usw. »»»»» Inklusion und Fortlaufende Qualitätsmanagement, Gleichheit in der Organisations- ggf. externe Beratung, Verschiedenheit entwicklung Coaching Um Inklusion und Gleichheit in der Verschie- denheit zu erreichen, ist eine kontinuierliche Organisationsentwicklung nötig. Dieser Prozess beinhaltet kurzfristige Angebote wie Diversity- Trainings oder Schulprojekttage sowie länger- fristige Maßnahmen in den Bereichen Personal- entwicklung und Qualitätsmanagement. Bilanz 9
Praxis Vielfalt gestalten – Teilhabe fördern – Identität entwickeln Die Praxis S In den drei Jahren Projektlaufzeit haben wir zeitintensive Begleitung der Einrichtungen vier Einrichtungen aus den Bezirken Fried- vorsieht, um an der jeweiligen spezifischen richshain-Kreuzberg, Mitte und Lichtenberg Ausgangssituation anzusetzen und Bestehen- begleitet, darunter einen Träger der Jugend- des einzubeziehen, wurden die Einrichtun- berufshilfe, einen Träger, der u.a. berufsvor- gen nacheinander begleitet, um sich in der je- bereitende Maßnahmen durchführt, eine weils intensivsten Projektphase voll auf eine Aktivierungshilfe und eine Realschule. Da das Einrichtung konzentrieren zu können. Projekt VIELFALT GESTALTET eine sehr enge und Um gemeinsam mit der Schule/Einrichtung passgenaue Maßnahmen und Vorgehensweisen in- nerhalb dieses Veränderungsprozesses zu entwickeln, geht das Projekt folgendermaßen vor: Bestandsaufnahme: Interviews mit Personen aus den verschiedenen Akteurs- Kennenler- gruppen, Hospitationen bei Dienstbespre- nen der Einrichtung mit ihrer chungen, Unterricht, Arbeitstagen, Doku- Geschichte und ihrem Selbstverständnis, mentenanalyse (Leitbild, Berichte, etc.), vielschichtiges Bild zum Umgang mit Vielfalt Diversity-Training und Verschiedenheit, Partizipation und Identi- tät, Einbeziehung der Erfahrungen, Wün- sche und Bedarfe der verschiedenen Akteure Präsentation der Bestandsanalyse und Handlungsempfehlungen – gemeinsame Entscheidung über weiteres Vorgehen: Gemeinsame Maßnahmeplan mit kurz-, mittel- und lang- Reflexion und Diskussion, Kennen- fristigen Zielen lernen der verschiedenen Perspektiven sowie der Gemeinsamkeiten, Aufbruchstimmung für weiteren Prozess Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung von Kompetenzen im wert- schätzenden und konstruktiven Umgang Verbessertes mit Vielfalt und Verschiedenheit sowie zu Arbeitsklima und darüber verbesserte Partizipation und Identität Leistung, veränderter Umgang mit Konflikten Wie das Schaubild zeigt, verläuft der Prozess ten liegen Entscheidungsmomente, in denen in der Abfolge: Bestandsaufnahme, Präsen- gemeinsam der weitere Verlauf des Prozesses tation der Bestandsanalyse, Umsetzung von beschlossen wird. Maßnahmen. Zwischen den einzelnen Schrit- 10 Bilanz
Schritt 1 Schritt 1: Bestandsaufnahme Die Bestandsaufnahmephase in einer Einrich- verständnis kennenzulernen, die Wahrneh- tung sieht Interviews mit Personen aus den mungen und Wünsche der Beteiligten zu verschiedenen Akteursgruppen, Hospitatio- erfahren sowie ihren Umgang mit Diversity, nen bei Dienstbesprechungen, Unterricht, Partizipation und Identität zu erkennen. Arbeitstagen, Dokumentenanalyse (Leitbild, Diese Erhebungsergebnisse werden in der Berichte, etc.) vor. Es geht darum, die Einrich- Analyse zusammengeführt, strukturiert und tung mit ihrer Geschichte und ihrem Selbst- durch Reflexionsfragen ergänzt. Ein Beispiel In den Gesprächen mit Lehrkräften der Wie werden Eltern als eigene Interes begleiteten Schule wurden immer wieder sengruppe wahrgenommen? Wie wird ihr Schwierigkeiten mit Eltern mit Migrations- Mitbestimmungsrecht gesehen? hintergrund benannt, wie zum Beispiel, Findet ein Austausch über unterschied- dass sie ein sehr geringes Interesse an ihren liche Erwartungen an Schule (Sozialisati- Kindern und der Schule zeigten. Im Laufe onsauftrag etc.) statt? der Erhebung wurde jedoch deutlich, dass Ist Elternarbeit ein Thema im Kollegium? die meisten Schüler/innen jeden Tag ei- Gibt es Kenntnisse über Unterstützungs- nen weiten Weg aus dem angrenzenden angebote (z.B. bezüglich Übersetzung- Stadtteil zu dieser Schule auf sich nehmen, en)? weil diese Schule ein besonderes fachliches Die Fragen und die daran anschließende Profil und einen guten Ruf als saubere und Diskussion setzten ein Potential für eine sichere Schule hat. Auch die Elternsprech- veränderte Wahrnehmung, Haltung und abende und Informationsveranstaltungen Verhalten frei. In den Handlungsempfeh- (z.B. „Tag der offenen Tür“) waren im Erhe- lungen wurde der Punkt Elternbeteili- bungszeitraum sehr gut besucht. Es stellt gung folgendermaßen wieder aufge- sich also die Frage, warum die offensicht- nommen: lich vorhandene Bildungsorientierung der Ziele von Elternarbeit im Kollegium Eltern von Seiten der Lehrenden nicht als klären und kommunizieren solche wahrgenommen wurde. Mit folgen- Eltern als eigene Interessengruppe wahr- den Reflexionsfragen wurde den Lehrkräf- nehmen und stärken ten diese Widersprüchlichkeit gespiegelt: Aufbau einer Übersetzer/innen- und Ver- Was wünscht sich das Kollegium von den mittler/innengruppe Eltern? Kontakt zwischen Eltern stärken/fördern Wie findet eine Kommunikation darüber statt? Mögliche Aktivitäten sind Schulfest unter Mitorganisation der Regelmäßige Elternversammlungen, die Eltern von einer Elternvertreter/in geleitet Thematische Elternabende werden Wiedereinführung des Elternfrühstücks Bilanz 11
Die Handlungsempfehlungen müssen gar nicht besonders spektakulär oder neu sein. Oft entstehen sie aus den Erzählungen gu- Zusammenarbeit der Pädagog/innen unter- einander zu verbessern und die Übertragung von erfolgreichen Vorgehensweisen zu ge- S ter Praxis der Kolleg/innen. Austausch und währleisten, ist eines der Projektziele. Vernetzung zu ermöglichen, um auch die Ein weiteres Beispiel aus der Bestandsanalyse eines begleiteten Werte im Prinzip mit den Anforderungen Projekts: der Schule übereinstimmen, aber sich die Die Reaktion eines Lehrers auf unsere Schüler/innen nicht an diesen Wertekanon Frage nach einer zersplitterten Glastür im halten, solange sie in der Schule sind. Eingangsbereich der Schule lautete: „Ja, Mit folgenden Fragen kontrastierten wir das Schulklima. Es sollte mal eine Elternver- die anonymisierte Aussage in der Bestands- sammlung einberufen werden, um ihnen aufnahme: zu sagen, was an der Schule nicht geht. Stellt der Koran für die Schüler/innen und Nicht frech sein zu den Lehrern, pfleglicher deren Eltern das wichtigste Regelwerk Umgang mit der Schule, Regeln einhal- dar? ten, das steht ja auch bei Mohammed und Wenn ja, für welche Schüler/innen und Allah.“ Eltern? Eine solche Aussage ist ein Hinweis auf Welche Regeln sind für alle Schulangehö- die stereotype Sicht auf eine Gruppe: Der rigen bindend? Lehrer nimmt an, dass die Schüler/innen, Welche erzieherischen Leistungen er- die die Tür zerstört haben und frech zu den warten wir von den Eltern? Lehrer/innen sind, Muslime sind. Er geht Welchen Beitrag zur Erziehung der weiterhin davon aus, dass die islamischen Jugendlichen wollen wir leisten? Mit diesen Fragen wollten wir eine Ausein- In den Handlungsempfehlungen wurde dies- andersetzung im Kollegium anstoßen zu der bezüglich unter dem Punkt „Sensibilisierung Frage: Warum wird auf den Koran verwiesen, und aktiver Umgang mit Verschiedenheit“ der an der Schule keinerlei Relevanz hat, und aufgenommen: nicht die Möglichkeit genutzt, durch Ein- „Verschiedenheit nicht als Störung und Defi- beziehung der Jugendlichen ein für sie an der zit, sondern als Potential einer weltoffenen, Schule geltendes „Regelwerk“ zu etablieren? toleranten Schule im urbanen Raum wahr- nehmen“ Mögliche Aktivitäten ihren Wohnbezirk/Kiez vor, Biografie- Kennenlernen der und Auseinanderset- Workshop usw. zung mit den Lebenswelten der Schüler/ Interkulturelle Kompetenzen stärken, innen (soziale Lage, familiäre Situation, Diversity-Training, außerschulische An- urbanes Umfeld, ggf. Migrationsgeschich- gebote nutzen te, religiöse Zugehörigkeit, jugendkultu- Ggf. bei Neueinstellungen Diversity- relle Zuordnung usw.) => z.B. Schüler/innen Kriterien berücksichtigen stellen dem Kollegium beim Wandertag Steuerungsgruppe einrichten 12 Bilanz
Schritt 2 Schritt 2: Präsentation der Bestandsanalyse Die Bestandsanalyse wird, wenn möglich, Maßnahmen und Zielen erstellt. Mitarbeiter/ in einem ganz- oder halbtägigen Workshop innen und Kolleg/innen können sich einzel- dem Kollegium/Team vorgestellt, um durch nen Handlungsfeldern, AGen oder auch kurz- die gemeinsame Reflexion und Diskussion fristigen Maßnahmen zuordnen. eine „Aufbruchsstimmung“ für die Umset- In allen begleiteten Einrichtungen haben zung von Maßnahmen zu erzeugen. Oft hat Handlungsempfehlungen bezüglich Partizi- die Präsentation der Bestandsanalyse positi- pationsmöglichkeiten eine große Rolle ge- ves Erstaunen über die eigenen Stärken und spielt. Um die Einbeziehung und Teilhabe die bereits geleistete Arbeit hervorgerufen aller Anwesenden zu ermöglichen, sind aus und Energie für die gemeinsamen Visionen den Bereichen Identität und Diversity die und Wünsche freigesetzt. Sie gibt Raum für Aspekte Vermeidung defizitärer Wahr- den Austausch von Wahrnehmungen, kon- nehmung, Sensibilität für Verschiedenheit troverse Diskussion, Kritik und die gemein- und Gemeinsamkeiten (ohne pauschale Zu- same Auswahl von Handlungsempfehlun- schreibungen) sowie die Anerkennung der gen. Vor dem Hintergrund der von VIELFALT besonderen Individualität jedes Menschen GESTALTET vorgestellten Handlungsempfeh- notwendig und greifen somit ineinander. lung entstehen häufig weitere eigene Ideen Durch Maßnahmen im Partizipationsbereich oder Abwandlungen der Vorschläge. Es wird werden wiederum Identitätsfacetten der ein Aktionsplan mit kurz- und langfristigen Einzelnen sichtbar. Vorgeschlagene und diskutierte Maßnahmen waren zum Beispiel Vereinbarung von Regeln Respekt, religiöse Zugehörigkeit, sexuel- Bestehende Regeln mit Inhalt füllen und le Orientierung, Identität, nicht nur situa- gut sichtbar aushängen tionsbezogen bei Konflikten Gemeinsame Raumgestaltung Thematische Schüler/innengruppen bzw. SV bzw. „Betriebsrat“ (als Übungsfeld) Teilnehmer/innenteams zum Austausch Gruppendiskussionen zu Themen wie und Peerlearning Unter dem Stichwort Diversity wurden u.a. folgende Handlungsempfehlungen ausge- sprochen und diskutiert: Für das Team Bewusstmachen der Teamkonstellation beim Sommerfest für den Grill zuständig, Vorurteilsbewusstsein entwickeln wer bringt den Salat mit?) Persönliche Vielfalt wahrnehmen und Kooperation mit diversitysensiblen oder „einsetzen“ (Bsp.: Ein Pädagoge kann als identitätsspezifischen Projekten (Anlauf- Mann und Vater ein wichtiger Ansprech- stellen, Praktikumsstellen) partner für männliche Jugendliche sein, Visualisierung von Vielfalt über Poster, die selber Kinder haben.) Infomaterial, Bücher, Events usw. Kriterien für geschlechtsspezifische Ar- Trägerinterne Reflexion, Erfahrungsaus- beitsteilung überprüfen (Bspw.: Wer ist tausch, Vernetzung Bilanz 13
Für die Jugendlichen Diversity-Trainings und andere Projekte Z Vielfalt bei Schüler/innen bzw. Teilneh- Auseinandersetzung mit vielfältigen Ber- mer/innen wahrnehmen und stärken liner Lebenswelten als integraler Be- Reflexion mit Schüler/innen bzw. Teilneh- standteil der Berufsvorbereitung mer/innen über eigene Vorurteile, Rol- Aus den genannten Maßnahmen und Vor- lenvorstellungen, Umgang mit Diversity schlägen dürfte deutlich geworden sein, im privaten und beruflichen Kontext dass sich die Bereiche Partizipation, Iden- Abgestimmter Umgang mit diskrimi- tität und Diversity nicht klar voneinander nierenden Äußerungen, Verhaltenswei- trennen lassen, sondern ineinander greifen. sen usw. Schritt 3 Schritt 3: Umsetzung von Maßnahmen Das Modellprojekt VIELFALT GESTALTET unter- Die positive Erfahrung der gemeinsamen stützt die Umsetzung einzelner Maßnahmen Diskussion und Gestaltung der Regeln führte durch Beratung, Reflexion, Koordination, auf zu der Vereinbarung, in regelmäßigen Wunsch Moderation und Vermittlung von Abständen die Diskussion zu wiederho- Kooperationspartnern. len und Regeln und Sanktionen auf die Folgendes Beispiel illustriert die Entwick- Bedürfnisse bzw. Vorkommnisse in der lung von passgenauen Maßnahmen aus den Gruppe abzustimmen. Wichtig bei einem Handlungsempfehlungen in Verbindung mit solchen Prozess ist, dass den Jugendlichen der einem Partizipationsangebot an die Teil- Spielraum ihrer Einbeziehung transparent nehmer/innen: und klar sein muss – sie können weder be- Uns war aufgefallen, dass die Regeln für den schließen, dass der Arbeitstag erst um 11:00 Umgang miteinander in der Einrichtung in Uhr anfängt, noch dass Drogen konsumiert einem wenig ansprechenden Format und werden dürfen. Es gibt Regeln, die außerhalb Ort präsentiert wurden. Die Anregung, die ihres Verhandlungsrahmens liegen. Inhalte der Regeln in einer Diskussion ge- meinsam mit den Teilnehmer/innen weiter zu Die enge Begleitung einer Einrichtung entwickeln, grafisch zu gestalten und sie gut endet nach circa einem Jahr. Danach ist/war sichtbar anzubringen, wurde aufgegriffen während der Projektlaufzeit des Modell- und umgesetzt. Anlass für diesen Diskussions- projektes eine punktuelle Unterstützung prozess war ein massiver Regelverstoß von auf Anfrage möglich, wie zum Beispiel zur mehreren Teilnehmenden (Drogenkonsum), Moderation von Steuerrunden oder Quali- der eine gute Möglichkeit bot, die Sankti- tätszirkeln, zur Beratung der Entwicklung des onierung von unerwünschtem Verhalten Leitbildes, Moderation eines Klausurtags zu bzw. allgemein den Umgang miteinander zu Teilnehmer/innenpartizipation sowie gele- thematisieren. gentliche Beratungsgespräche zur nachhal- tigen Verankerung des Managing-Diversity- Ansatzes. 14 Bilanz
Zwischenbilanz Zwischenbilanz Als Bilanz des Modellprojekts VIELFALT Gruppen geklärt zu haben. Es ist kontrapro- GESTALTET , d.h. eines sich mit der Erfahrung duktiv, mit Eltern z.B. an ihren Wünschen entwickelnden Projekts, lassen sich folgende und Bedarfen gearbeitet zu haben, wenn die Gelingensbedingungen festhalten: Lehrkräfte/Mitarbeitenden nicht bereit sind, Die Leitung muss sichtbar und deutlich spür- diese einzubeziehen. bar hinter dem Prozess stehen. Günstig sind Einrichtungen mit einer Größe, Das Projekt muss von der Mehrheit des Kol- die Anonymisierungen zulassen, und noch legiums/der Mitarbeiter/innen gewollt und wichtiger, in denen Personalentwicklungs- getragen werden. Dafür muss es verstanden ideen nicht eindeutig und klar an einzelne sein – das braucht Zeit! Das Projekt VIELFALT Personen und deren Perspektive geknüpft GESTALTET ist komplex und reagiert auf eine sind. D.h. wenn in einem 4er Frauen-Team mit differenzierte Ausgangslage – das lässt sich großteils männlicher Klientel eine geschlecht- nicht in zehn Minuten als einer von 15 TOPs lich paritätische Besetzung gefordert wird, ist in einer Dienstbesprechung erläutern. die persönliche Angst um die eigene Stellung Der Ansatz von VIELFALT GESTALTET bricht mit deutlich spürbar und kann den gedanklichen alten Denkmustern, fordert sie heraus. Die Prozess blockieren. Auseinandersetzung damit sollte möglichst Während des Verlaufs des dreijährigen Pro- nicht nur kognitiv geführt werden, sondern jekts und der Begleitung der vier Einrichtun- in Formen, bei denen das Kollegium/Team gen ist immer deutlicher geworden, wie ele- sequenziell Erfahrungen machen kann. Auch mentar die aktive Gestaltung von Vielfalt und dafür müssen zeitliche Ressourcen vorhanden Verschiedenheit ist. Wichtig ist dabei, dass sein, zum Beispiel in Form von Klausurtagen. sich das System Schule mit allen Beteiligten Denn anders als bei anderen Projekten geht und in seinen Strukturen verändert. Deutlich es nicht um „die Anderen“ und das Erlernen wurde auch, wie groß der Bedarf nach exter- eines „richtigen Verhaltens“ oder das „Ein- ner Begleitung eines solchen Prozesses ist, um üben“ von Toleranz, sondern es geht um eine die schulinternen Akteure beim Umgang mit Auseinandersetzung mit den eigenen Werten den verschiedenen Herausforderungen zu und ein Hinterfragen von persönlichen Vor- unterstützen. stellungen von Normalität. Die Einbindung des Ansatzes von VIELFALT In der Phase der Bestandsaufnahme sollte GESTALTET in einen umfassenden Schulentwick- unbedingt ein Diversity-Training, mindestens lungsprozess bzw. Qualitätsentwicklungs- von Leitung und Kollegium/Team absolviert prozess wäre sehr von Vorteil. Auch die Ein- werden, um das Verständnis für die Perspek- bindung in Regelstrukturen der Bildungs- tive von VIELFALT GESTALTET und die Bestands- verwaltung ist wünschenswert, nicht nur aufnahme mit ihren Handlungsempfehlun- bezüglich der Finanzierung solch wichtiger gen zu schaffen. Im dreijährigen Projektver- Prozesse, sondern auch wegen der Signalwir- lauf entwickelte sich das Diversity-Training kung bzw. Anerkennung der Wichtigkeit ei- von einer Empfehlung zu einer Bedingung nes aktiven Umgangs mit den Vielfältigkeiten für das Angebot von VIELFALT GESTALTET . dieser Stadt. Besonders wenn Schulreform Auch wenn im günstigsten Fall alle Akteurs- und Schulentwicklung in die Richtung gehen, gruppen der Einrichtung zeitgleich an dem Schule als zentrale Sozialisations- und Integ- Veränderungsprozess beteiligt sein sollen, ist rationsinstanz des Gemeinwesens einer plu- es wichtig, mit Leitung und Kollegium/Team ralen und herkunftsheterogenen Gesellschaft den Rahmen der Beteiligung der anderen herauszubilden. Bilanz 15
Praxisanregung III. Diversity, Partizipation und Identität im Test – Anregungen für die Praxis Der Fragenkatalog will zum Nachdenken über den eigenen Alltag in der Schule/Einrichtung anregen und kann ein erster Einstieg für eine Bestandsaufnahme zu den Themenfeldern Diver- sity, Partizipation und Identität sein. Die Bögen können unabhängig voneinander bearbeitet werden, die Reihenfolge ist nicht festgelegt. Die Antworten auf die einzelnen Fragen werden vermutlich recht unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob sie vor oder nach dem Lesen des Glossars bearbeitet werden, da wir dort einige der hier genannten Punkte genauer ausführen Fragebogen Diversity Wie beschreiben die Personen selbst ihren (Migrations-)Status, welche Bezeichnung (wenn überhaupt) wählen sie (Migrationshintergrund, People of Colour, türkischstämmig, türkei- stämmig, Araber…)? Wie ist das Verhältnis zwischen ost- und westdeutsch sozialisierten Jugendlichen, Pädagog/innen, Mitarbeiter/innen? Wie sieht die altersmäßige Verteilung im Kollegium/unter den Mitarbeiter/innen aus? Wie ist die Zusammenarbeit zwischen den Generationen? Welche religiösen und weltanschaulichen Zugehörigkeiten unter den Jugendlichen, Pädagog/innen, Mitarbeiter/innen sind bekannt und wie ist die Verteilung? Wie viele Jugendliche an Ihrer Schule/Einrichtung haben einen besonderen Förderbedarf aufgrund von Lernschwierigkeiten oder Behinderungen? Welche Jugendkulturen sind an Ihrer Schule/Einrichtung vertreten? Stehen die verschiedenen Jugendkulturen gleichberechtigt nebeneinander? Wie ist das prozentuale Verhältnis von Mädchen und Jungen unter den Jugendlichen bzw. Männern und Frauen im Kollegium/bei den Mitarbeiter/innen? Wie viele Jugendliche sind von staatlichen Transferleistungen abhängig? Gibt es eine starke (bewusste oder unbewusste) Stereotypisierung von Jugendlichen, Päda gog/innen, Mitarbeiter/innen zu bestimmten Gruppen? Welche Vorurteilsmuster bestehen? Wird die Selbstzuschreibung/ -identifikation der Einzelnen anerkannt oder wird viel mit Fremdzuschreibung gearbeitet? 16 Praxisanregungen
Wurden/werden Jugendliche, Pädagog/innen, Mitarbeiter/innen aufgrund ◆◆ ihrer ethnischen Herkunft ◆◆ ihres sozialen Status ◆◆ ihrer Herkunftssprache, ihres Dialekts oder wegen einer Sprechstörung ◆◆ ihrer Religion/Weltanschauung ◆◆ ihrer sexuellen Orientierung ◆◆ ihres Aussehens ◆◆ ihres Geschlechts ◆◆ ihrer Beeinträchtigung/Behinderung gehänselt, beschimpft, ignoriert, bedroht, körperlich angegriffen? Welche Schimpfwörter benutzen die Jugendlichen? Welche die Pädagog/innen und Mitarbeiter/innen? Wie wird mit Diskriminierungen umgegangen (Sanktionen, Konfliktlotsen...)? Erleben die Jugendlichen, Pädagog/innen und Mitarbeiter/innen die Schule/Einrichtung als sicheren, angstfreien Raum, in dem sie sich wohlfühlen können? Gibt es für alle zugängliche Informationsmaterialien zu Unterstützungsangeboten bei Fragen oder Problemen in Bezug auf Beeinträchtigung/Behinderung, Geschlecht, ethnische Her- kunft, rassistische Diskriminierung, sexuelle Orientierung, Religion/Weltanschauung, sozialen Status? Ist ihre Schule/Einrichtung barrierefrei? Wenn ja, woran macht sich das fest? Sind besondere Sprachangebote für Jugendliche mit Deutsch als Zweitsprache vorhanden? Wird auf eine geschlechtersensible Pädagogik geachtet (z.B. Verwendung von geschlechter gerechter Sprache, Hinterfragen von traditionellen Rollenbildern und praktisches Einüben von ungewohnten, geschlechtsuntypischen Aufgaben oder Tätigkeiten)? Gibt es für die Jugendlichen eine Ansprechperson für Fragen, die die sexuelle Orientierung betreffen? Gibt es eine wertschätzende Haltung gegenüber unterschiedlichen politischen, religiösen oder jugendkulturellen Haltungen? Wenn ja, wie drückt sie sich aus? Welche Möglichkeiten für gruppenspezifische Angebote gibt es – wie sieht die „Vermitt- lung“ in solche spezifischen Angebote aus? Wie werden die Interessen der Beteiligten ermittelt und berücksichtigt (wird z.B. davon ausgegangen, dass Mädchen lieber tanzen und Jungen lieber Fußball spielen, oder werden sie gefragt)? Spiegelt sich die Vielfalt der Jugendlichen im Personal der Schule/Einrichtung wider? Wurde an Ihrer Schule/Einrichtung ein Diversity-Training durchgeführt? Wer hat daran teilgenommen? Wird die Vielfalt der Herkünfte, sozialen Hintergründe, Wertorientierungen und Lebens- welten eher als Potential oder als eher hinderlich für die „eigentliche“ Arbeit begriffen? Praxisanregungen 17
Fragebogen Partizipation Gibt es funktionierende Vertretungsgremien an Ihrer Schule/Einrichtung (SV, Elternver- sammlung und -vertretung, Gesamtkonferenz, Betriebs-/Personalrat, erweiterte Schulleitung, Sprecher/innenrat, Kinder- und Jugendparlament usw.)? Wird der Aufbau solcher Gremien von der Leitung und den Mitarbeiter/innen aktiv unter- stützt? Werden Fortbildungen zur Etablierung solcher Gremien genehmigt und finanziert (z.B. Workshops zu Rechten und Pflichten der SV)? Wie werden Minderheiten berücksichtigt? Wird die Vielfalt der Jugendlichen, Eltern, Pädagog/innen und Mitarbeiter/innen in den Vertretungsgremien angemessen repräsentiert? Gibt es jenseits dieser formalen Gremien Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Jugendlichen und ggf. die Eltern? Welche praktischen Gestaltungsräume gibt es faktisch für die Jugendlichen (Einrichtung, Wandbemalung, Feste, Internetauftritt usw.)? Beteiligen Sie sich an U-18-Wahlen oder vergleichbaren demokratiefördernden Projekten? Finden regelmäßig Projekttage oder ähnliches statt? Gibt es eine Schüler/innenzeitung, Clubzeitung oder ähnliches? Wie werden Eltern und ihre Interessen aktiv einbezogen? Wie werden im Alltag Aushandlungsprozesse eingeübt? Wie wird mit Entscheidungen oder Wünschen der SV/Teilnehmer/innenvertretung um- gegangen? Werden sie ernst genommen? Gibt es Streitschlichter/innen, Konfliktlotsen oder ähnliches? Erleben die Pädagog/innnen ihre Interessen gegensätzlich zu den Interessen der Jugend- lichen? Und zu den Interessen der Eltern? Sehen sich die Pädagog/innen als Einzelkämpfer/innen oder als Team? Wird in den Klassen/Jugendgruppen bewusst eine Beteiligungskultur gepflegt (z.B. Klassenrat)? Gibt es Patenschaften ◆◆ zwischen jüngeren und älteren Jugendlichen? ◆◆ von externen Personen, Projekten oder Organisationen (oder für sie)? Wurde unter Beteiligung aller relevanten Akteure an der Schule/Einrichtung ein gemeinsames Leitbild in der Vergangenheit entwickelt? 18 Praxisanregungen
Fragebogen Identität Hat die Schule/Einrichtung einen Namen? Ist der Hintergrund des Namens allen bekannt? Welches besondere Profil hat die Schule/Einrichtung? Gibt es ein Leitbild oder Programm? Wird dieses regelmäßig partizipativ fortgeschrieben, überarbeitet und bekannt gegeben? Ist dieses allen bekannt? Wie viel Zeit verbringen die Jugendlichen täglich im Schnitt an der Schule/Einrichtung? Sind die Jugendlichen, Eltern und Pädagog/innen stolz auf ihre Schule/Einrichtung? Fühlt sich die Schule/Einrichtung für die meisten Jugendlichen wie ein zweites Zuhause an? Gibt es Schul-T-Shirts oder Club-Basecaps? Können die Jugendlichen ihren Fähigkeiten bei besonderen Anlässen Ausdruck verleihen (Sportfeste, Theateraufführungen, Foto- und Kunstausstellungen usw.)? Wurden der Schule/Einrichtung in der Vergangenheit besondere Auszeichnungen verliehen? Hat die Schule den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ erworben? Wird kontinuierlich und aktiv an einer Identitätsbildung der Schule/Einrichtung von allen gearbeitet? Praxisanregungen 19
Kleines ABC IV. Kleines ABC: Tipps, Handlungs- empfehlungen und Erläuterungen Das folgende Kapitel erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch ist es ein Glossar im klassischen Sinne. Stattdessen erläutern wir Begriffe, die wir im Rahmen des Projektes häufig verwendet haben. Wir beschränken uns dabei aber nicht auf eine reine Begriffsklärung, son- dern versuchen den Bezug zur Schule/Einrichtung aufzuzeigen. In einigen Passagen machen wir Vorschläge oder stellen Fragen, um zum Nachdenken über die eigene Praxis anzuregen und Möglichkeiten zu eröffnen, wie Probleme angegangen werden können. A Die „Anderen“ Antisemitismus „Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegen- innen gibt oder nicht, besteht Handlungsbedarf. Wenn ein Be- griff wie „jüdisch“ bzw. „Jude“ als Beschimpfung gebraucht Als Fallstrick ist uns in der Pra- über Juden ausdrücken kann. und also deutlich mit Negativem xis immer wieder der Umstand Der Antisemitismus richtet sich verknüpft benutzt wird, ist dies begegnet, dass die Wahrneh- in Wort oder Tat gegen jüdische ein herabsetzendes und dis- mung und Anerkennung von oder nicht-jüdische Einzelperso- kriminierendes Verhalten, das Anderen in ihrem Anderssein nen und/oder deren Eigentum thematisiert werden sollte, weil dazu führen kann, sie genau sowie gegen jüdische Gemein- es mit einem wertschätzen- auf diese Identitätsmerkmale deinstitutionen oder religiöse den Umgang mit Vielfalt nicht zurückzuwerfen oder zu redu- Einrichtungen.“4 vereinbar ist. Auch ist der In- zieren. „Anders“ ist eine Zu- Judenfeindlichkeit hat verschie- halt der Beschimpfung nicht schreibung, die meist aus der dene Dimensionen: Vom christ- gleichgültig, denn auch wenn Perspektive der Mehrheit, der lich begründeten Antijudaismus „jüdisch“, „schwul“, „Opfer“ „Normalen“, vorgenommen, über den rassistischen Antise- oder „behindert“ häufig aus- aber oft von den als „anders“ mitismus bis hin zum heutigen tauschbar zur Abwertung einer Bezeichneten nicht geteilt wird. sekundären Antisemitismus, der Person oder Sache verwendet Ein Beispiel ist die Bezeichnung bspw. den Holocaust relativiert werden, stehen dahinter unter- eines Jugendlichen als „Aus- oder Juden unterstellt, den schiedliche Problemlagen (Anti- länder“ oder „Türke“. Damit Holocaust aus Eigennutz zu semitismus, Schwulenfeindlich- wird ihm ein Anders-Sein unter- instrumentalisieren. keit, Behindertenfeindlichkeit), stellt, das er selbst als jemand, In einigen Schulen/Einrichtun- die einer gesonderten Bearbei- der in Deutschland aufgewach- gen ist „Du Jude!“ ein gängi- tung bedürfen.5 sen ist, nicht automatisch so ges Schimpfwort. Unabhängig empfinden muss: In Abwand- davon, ob die/der Beschimpfte Allgemeines Gleichbe- lung eines Zitats der Feministin tatsächlich jüdisch ist oder es an handlungsgesetz Simone de Beauvoir ließe sich der Schule/Einrichtung jüdische Das Allgemeine Gleichbehand- sagen: Menschen werden nicht Jugendliche oder Pädagog/ 5 �������������������������������������� Unterstützung zum Umgang mit Antisemi- als Andere geboren, sondern tismus bieten beispielsweise die Kreuzberger 4 European Monitoring Centre on Racism Initiative gegen Antisemitismus (www.kiga- dazu gemacht. and Xenophobia (EUMC) (2008): Arbeitsde- berlin.org) oder das Anne Frank Zentrum Ber- finition „Antisemitismus“. lin (www.annefrank.de). 20 kleines ABC
lungsgesetz (AGG) wird um- gangssprachlich auch Antidis- kriminierungsgesetz genannt. Das AGG ist im Sommer 2006 B Barrierefreiheit offen stehen?7 Beeinträchtigung Eine Eigenschaft der physischen in Kraft getreten, es ist ein Bun- Barrierefreiheit beschreibt im und/oder psychischen Bedin- desgesetz, das Benachteiligun- engeren Sinne die uneinge- gungen (in) einer Person.8 gen aus Gründen der „Rasse“6, schränkte Zugänglichkeit zur der ethnischen Herkunft, des Nutzung von Gebäuden, Ein- Behinderung Geschlechts, der Religion oder richtungen, Gegenständen und Behinderung entsteht, wenn Weltanschauung, einer Behin- Medien für Menschen mit Be- Menschen mit Beeinträchti- derung, des Alters oder der se- einträchtigungen. Zwar ist in gungen auf Barrieren oder/und xuellen Identität verhindern und den letzten Jahren viel für die negative Einstellungen treffen, beseitigen soll. Zur Verwirkli- Barrierefreiheit getan worden, die ihnen die gleichberechtigte chung dieses Ziels erhalten die aber noch längst sind nicht Teilhabe am gesellschaftlichen durch das Gesetz geschütz- alle Gebäude, öffentlichen Leben erschweren oder verun- ten Personen Rechtsansprü- Verkehrsmittel oder Alltagsge- möglichen. Solche negativen che gegen Arbeitgeber/innen genstände wie Briefkästen für Einstellungen sind – nicht nur und Private, wenn diese ihnen Menschen mit Beeinträchtigun- unter Jugendlichen – ziemlich gegenüber gegen die gesetz- gen uneingeschränkt nutzbar. verbreitet, was sich in der ab- lichen Diskriminierungsverbote Damit werden Menschen in fälligen Bezeichnung miss- verstoßen. ihrer Teilhabe am gesellschaftli- liebiger Personen oder auch Die neue Qualität dieses Geset- chen Leben eingeschränkt oder Gegenstände als „behindert“, zes liegt darin, dass nicht mehr faktisch von ihr ausgeschlos- „Spast“ oder „Mongo“ aus- allein der Staat gesetzlich zur sen. Daher sollte Barrierefreiheit drückt. Dass eine körperliche Gleichbehandlung verpflich- grundsätzlich angestrebt und oder geistige Abweichung von tet ist, sondern nun auch die nicht erst im Bedarfsfall zum dem, was die nicht-behinderte Bürgerinnen und Bürger un- Thema werden. Mehrheit „normal“ oder „ge- tereinander angehalten sind, Im weiteren Sinne ist aber auch sund“ nennt, als Anlass für sich nichtdiskriminierend zu über Barrieren im Kopf, Haltun- Abwertung genommen wird, verhalten. Insofern erlangt die gen und Einstellungen nach- zeigt deutlich, wie Idealvor- Kompetenz, mit Differenz an- zudenken: Wie offen ist die stellungen von Schönheit und erkennend umgehen zu kön- Schule/Einrichtung eigentlich Leistungsfähigkeit im Schul-/ nen, in alltäglichen, sozialen für Jugendliche, Eltern, Kolleg/ Einrichtungsalltag durchgesetzt und beruflichen Kontexten eine innen mit Beeinträchtigungen? werden. Häufig werden dabei zunehmende Bedeutung und Sind die vielfältigen Formen von körperliche Einschränkungen sollte entsprechend in der Beeinträchtigungen bekannt? mit geistigen gleichgesetzt – Familie, Schule und Jugendfrei- Werden Menschen mit Beein- aus der Mehrheitsperspektive zeit eingeübt werden. trächtigungen unter Jugendli- ist eben beides einfach eine Ab- 6 ����������������������������������������� Zu dem Begriff wird in der Antidiskrimi- chen, Eltern und Kolleg/innen weichung von der Norm. Für nierungsrichtlinie der EU, die den Anstoß als Belastung für die Schule/ die Betroffenen bedeutet das zum AGG gab, angemerkt: „Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht Einrichtung empfunden oder einmal mehr die Reduzierung wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung als selbstverständlich dazuge- des Begriffs »Rasse« […] impliziert nicht hörig? Gibt es eine bewusste 7 Informationen, wie sich z.B. die Schul-/ die Akzeptanz solcher Theorien.“ (aus der Einrichtungswebseite barrierefrei gestalten Präambel der Richtlinie 2000/43/EG). Das Entscheidung für eine aktive lässt, finden sich unter www.einfach-fuer- Deutsche Institut für Menschenrechte spricht alle.de und unter www.barrierefrei-kommu- sich für die Streichung des Begriffs „Rasse“ Gestaltung des Schulraums nizieren.de in Gesetzestexten aus. http://www.institut- fuer-menschenrechte.de/de/publikationen/ und -alltags, so dass allen die 8 Entlehnt aus dem Index für Inklusion, schutz-vor-rassismus.html gleichen Teilhabemöglichkeiten S. 116. kleines ABC 21
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