Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER

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Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
Wissenschaftliche Karriere
und Partizipation
            Wege, Irrwege, Auswege

                ÖSTERREICHISCHER
                WISSENSCHAFTSRAT
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
Impressionen von
der Jahrestagung
des ÖWR
            Fotos: Michael Nagl
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
03

Inhalt                                            Vorwort/Editorial

  Zur Einführung . . . . . . . . . 4              Wissenschaftliche Karriere und Partizipation – was hat
                                                  das eine mit dem anderen zu tun? Die Frage sollte um-
  Sackgassen
                                                  gekehrt lauten: Lassen sich wissenschaftliche Karriere
  und Auswege . . . . . . . . . . 6
                                                  und Partizipation – gemeint ist die Beteiligung an Pro-
  Good Governance –                               zessen in einer Institution, in der die Karriere stattfin-
  die notwendige Verbindung                       det – voneinander trennen? Und die Antwort ist einfach:
  von Karriere und                                gewiß nicht. Wissenschaft ist nicht nur eine besondere
  Partizipation. . . . . . . . . . . 14           Denk- und Forschungsform, sondern stets auch eine
                                                  Institution, die ihrerseits Einfluss auf die wissenschaft-
  Österreichische
                                                  liche Denk- und Forschungsform nimmt. Also gehören
  Karrierewege . . . . . . . . . . 15
                                                  auch wissenschaftliche Karriere und Partizipation in
  Podiumsdiskussion,                              den Grenzen der Universität, in der der wesentliche Teil
  Ausblicke in                                    einer wissenschaftlichen Karriere seinen Ort hat, zu-
  Schlaglichtern . . . . . . . . . 17             sammen. Aber wie? Taugen die alten Mitbestimmungs-
                                                  strukturen noch? Sollten sie durch neue Strukturen des
  To care about ... . . . . . . . . 19
                                                  Miteinander in der Universität ersetzt werden?

                                                  Diesen und anderen Fragen geht der Österreichische
                                                  Wissenschaftsrat in seiner Arbeit nach. Er tut dies in
                                                  Form von Stellungnahmen und Empfehlungen gegen-
Impressum:
                                                  über der Politik und den Vertretern von Wissenschaft
Herausgeber: Österreichischer Wissenschaftsrat
Liechtensteinstraße 22a                           und Forschung. Nicht nur. Mit seinen jährlichen Herbst-
1090 Wien                                         tagungen wendet er sich auch an ein größeres, an Wis-
Tel.: 01 / 319 49 99 - 0
                                                  senschaft, Forschung und Universität interessiertes
Fax.: 01 / 319 49 99 – 44
Mail: office@wissenschaftsrat.ac.at                Publikum. In diesem Jahr ging es um die Jungen in der
Web: www. wissenschaftsrat.ac.at                  Wissenschaft, um ihre Karriere und um ihre Stellung im
Generalsekretärin: Dr. Ulrike Plettenbacher
                                                  Universitätssystem – ein Thema, das auch die österrei-
Sachbearbeiterin: Katharina Führer
                                                  chische Universitätspolitik bewegt.
Konzept & Gestaltung:
communicom, film & text
                                                  Die Wiener Zeitung berichtet – wie schon im vergan-
Bernd Matouschek, Norbert Regitnig-Tillian
Produktion:                                       genen Jahr zum Tagungsthema „Kooperation und Wett-
Wiener Zeitung GmbH,                              bewerb“. Der Wissenschaftsrat freut sich über dieses
Wiedner Gürtel 10, 1040 Wien
                                                  Engagement, in dem sich zu zentralen Themen die
Geschäftsführer: Mag. Karl Schiessl
Marketing: Wolfgang Renner, MSc                   wissenschaftliche Reflexion mit der gesellschaftlichen
Grafik & Layout: Richard Kienzl                    Reflexion verbindet, und über Reaktionen aus einem
                                                  weitgefächerten, neuen Leserkreis.
Druck: Berger Druck, 3580 Horn

Photocredit Cover: „Rowing World Championships,   Jürgen Mittelstraß
Photo by Richard Heathcote, Getty Images
                                                  Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrates
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
04   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

     Zur Einführung

                                                         K
                                                                   aum eine Veränderung innerhalb der
                                                                   neueren Universitätsgeschichte ist
                                                                   so scharf ausgefallen wie diejenige,
                                                          die den wissenschaftlichen Nachwuchs be-
                                                          trifft. Während noch bis in die Mitte des vergan-
                                                          genen Jahrhunderts der universitätspolitische
                                                          Akzent mehr oder weniger ausschließlich auf
                                                          der professoralen Verfasstheit der Universität
                                                          ruhte, diese sich quasi über das Institut des
                                                          Professors definierte, sehen die Dinge heute
                                                          ganz anders aus. Die wissenschaftliche und
                                                          die wissenschaftspolitische Welt sind auf das
                                                          Thema wissenschaftlicher Nachwuchs fixiert,
                                                          Forschungsprogramme konzentrieren sich
                                                          immer nachdrücklicher auf diesen Sektor,
                                                          Graduiertenkollegs, Schmieden des wissen-
                                                          schaftlichen Nachwuchses, dürfen heute in
                                                          keinem Entwicklungsplan und in keiner Exzel-
                                                          lenzinitiative mehr fehlen.

                                                          Dahinter steht die Einsicht, dass nur mit den
                                                          Jungen die Wissenschaft jung bleibt, aber
                                                          auch ein institutioneller Wandel der Universi-
                                                          tät selbst. Universitäten sind heute von ehe-
                                                          mals relativ kleinen Einrichtungen, in denen
                                                          die Vertretung eines Faches durch einen

                                                    Professor JÜRGEN MITTELSTRASS
                                                    ist Vorsitzender des Österreichischen
                                                    Wissenschaftsrates
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
Wege, Irrwege, Auswege     05

„Die universitäre Struktur ächzt, und sie muss sich verändern,
wenn demnächst nicht von verlorenen (Wissenschafter-)
Generationen gesprochen werden muss.“

einzigen Wissenschafter nichts Ungewöhn-         rewege: das Erreichen einer Professur. Tatsächlich hat
liches war, zu Großbetrieben geworden, die       sich heute bereits ein Flaschenhals zwischen Gradu-
wohl noch von Einzelnen geführt, nicht aber      iertenkolleg (der Promotion als erster Stufe auf der wis-
länger durch diese in Forschung und Lehre        senschaftlichen Karriereleiter) und Nachwuchswissen-
repräsentiert sein können. Aus Wissenschaft      schafterstatus gebildet. Die universitäre Struktur ächzt,
als Berufung weniger ist Wissenschaft als        und sie muss sich verändern, wenn demnächst nicht
Beruf vieler geworden. Lehre ist nicht länger    von verlorenen (Wissenschafter-)Generationen gespro-
durch ein Meister-Schüler-Verhältnis charak-     chen werden muss und sich Lehre und Forschung, vor
terisierbar, Forschung nicht länger durch das    allem, wenn man sie in Humboldtschem Geiste zusam-
forschende Subjekt. Aus nahezu ‚privaten‘        menzuhalten sucht, laufend verschlechtern.
Formen des Lehrens ist ‚die‘ Lehre geworden,
aus forschenden Individuen ‚die‘ Forschung       Ein Stichwort dafür lautet ‚Partizipation‘. Den Hinter-
(nicht zufällig daher auch auslagerbar in au-    grund bildet eine Mitbestimmungsstruktur, die in eine
ßeruniversitäre Einrichtungen). Und da nicht     Sackgasse geführt hat, insofern eine Gruppen- oder
alle und sofort Professoren sein können –        Kurienstruktur den universitären Willen institutionell
dieser Stand definierte und definiert sich mit     teilt bzw. zu einem gemeinsamen Willen, den heute die
gutem Grund über lange Ausbildungs- und          Universität dringender denn je benötigt, unfähig ist. Viel-
Leistungswege, um zur Pflege und zum Fort-        leicht war schon der Begriff der Mitbestimmung falsch
schritt der Wissenschaft beizutragen –, be-      gewählt. Er geht von der Zuständigkeit aller in allen Din-
völkern heute die Universität Wissenschaft-      gen aus und übersieht, dass jedenfalls auf dem Felde
ler ganz unterschiedlichen Ausbildungs- und      der Wissenschaft, bezogen auf Forschung und Lehre,
Qualitätsstandes. Wissenschaft als Beruf.        unterschiedliche Dinge, z.B. wiederum Forschung und
                                                 Lehre, unterschiedliche Voraussetzungen mit sich füh-
Und zu dieser personellen und Ausbildungs-       ren, die unter Organisationsgesichtspunkten nicht ein-
vielfalt gehört auch der wissenschaftliche       fach vernachlässigt werden dürfen. Partizipation sollte
Nachwuchs, der sein Nachwuchsleben oft           hier weniger unter Entscheidungsgesichtspunkten als
schon mit Lehr- und Forschungsaufgaben           unter Kommunikationsgesichtspunkten gesehen wer-
(meist im engen, oft auch noch fremdbe-          den. Das entspricht in der Regel auch den Erwartungen
stimmten Projektrahmen) führt, ohne den          der Jungen, des wissenschaftlichen Nachwuchses, wie
die Universität neuer Art gar nicht existieren   der Alten. Der eigentliche Sinn von Mitwirkungsstruk-
könnte. Nur folgt daraus noch nicht automa-      turen liegt, so könnte man sagen, in der Universalität
tisch eine Mehrung der beruflichen Chancen.       von Beratungsprozessen und der Teilnahme an diesen
Fast möchte man sagen: im Gegenteil. Je grö-     Prozessen, nicht in der Partikularität von Abstimmungs-
ßer die Zahl der (geförderten) Nachwuchs-        und Entscheidungsprozessen und der Teilnahme an
wissenschafter wird, desto schmaler wird         diesen. Wäre das nicht auch eine Perspektive für eine
der Weg zum Ziel aller universitären Karrie-     neue Gemeinsamkeit in Universitätsdiskursen?
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
06   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

                                                                                                                  Foto: Universität Innsbruck
       Sackgassen
      und Auswege
     Wissenschaftliche Karrieren sind von einem hohen Grad an Unsicherheit ge-
     prägt. Steile Hierarchien, befristete Arbeitsverhältnisse und mangelnde Betei-
     ligung an den relevanten Entscheidungen innerhalb der Universität lassen den
     Weg junger Forscher und Forscherinnen zu einer Professorenstelle oftmals in
     die Demotivation oder gar in eine Karrieresackgasse münden. Experten und
     Expertinnen referierten auf der Tagung des Österreichischen Wissenschafts-
     rates über den Status Quo und suchten nach Antworten und Auswegen.

     W
                  enn der Schweizer Historiker Caspar Hir-      gewünschten Effekte erzielt. Im Gegenteil:
                  schi, 36, über Karrierechancen junger For-    Weil sich Universitäten mehr und mehr über
                  scher und Forscherinnen im deutschspra-       Drittmittel zu finanzieren haben, ist die Zahl
     chigen Raum spricht, dann gebraucht er dafür schon         der durch die gängigen Projektstrukturen be-
     mal den Begriff „Himmelfahrtskommando“. Denn er-           fristeten Jobs stark angestiegen. Die Zahl der
     stens entscheide sich sehr spät, ob man an der Uni-        unbefristeten Stellen in Lehre und Forschung,
     versität überleben werde, und zweitens ist die Wahr-       vor allem die der begehrten Professorenstel-
     scheinlichkeit, dass man überlebt, in den letzten Jahren   len, stagniere aber. Die wissenschaftliche
     noch geringer geworden. „Universitätskarrieren werden      Karriere, seit jeher mit hohem Risiko behaftet,
     zunehmend unattraktiver“, sagt Hirschi. „Wenn die Uni-     wird so für den einzelnen zum immer riskan-
     versitäten nicht neue Wege einschlagen, fallen ihnen       teren Hazardspiel.
     ganze Kohorten hochqualifizierter Forscher aus dem          Karriere-Nadelöhr Vor allem in Deutsch-
     System.“                                                   land, der Schweiz und Österreich, wo eine
     Hirschi, einer der Redner auf der Tagung des Österrei-     ordentliche Professur erst mit Habilitation und
     chischen Wissenschaftsrates (ÖWR) mit dem Thema            aufwändigem Berufungsverfahren vergeben
     „Wissenschaftliche Karriere und Partizipation“, zählt zu   wird, ergibt sich so für den wissenschaftlichen
     den pointiertesten Kritikern des universitären Karriere-   Nachwuchs ein immer enger werdendes Kar-
     systems im deutschsprachigen Raum. Für ihn haben           riere-Nadelöhr. Auch Erfolg versprechende
     die „neoliberalen Reformen“ der letzten Jahre, die New     Karrieren, die mit Promotion, Postdoc-Stelle
     Public Management, Wettbewerb, Innovation und Ex-          und Assistenz begannen, können so zwi-
     zellenz an die Universitäten bringen sollten, nicht die    schen dem 35. und 45. Lebensjahr ihr jähes
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
Wege, Irrwege, Auswege                         07

Ende finden. Wen kein Ruf an einen Lehrstuhl              samen Forschens und Denkens von Betreuern und
ereilt, dem bleibt oft nur der Weg auf den au-           Doktoranden sind konkrete Arbeitsverhältnisse oft weit
ßeruniversitären Arbeitsmarkt. Hochspeziali-             entfernt. „Doktorväter“ und „Doktormütter“ betreuen oft
siert und oft schwer vermittelbar.                       10 bis 20 und mehr Doktorarbeiten parallel, die Pro-
So wie Hirschi nehmen auch andere Experten               motionsdauer ist lang, das Promotionsalter hoch. Statt
und Expertinnen Probleme im Spannungsfeld                „strukturierter Promotion“, mit Zwischenbewertungen,
von wissenschaftlicher Karriere und Partizi-             Training und konstruktivem Feedback, gibt es - vor
pationsmöglichkeiten im universitären Raum               allem in den Geisteswissenschaften - noch immer häu-
wahr. Margret Wintermantel, Präsidentin der              fig isoliertes Arbeiten, fernab von Universität und For-
Deutschen Hochschulrektorenkonferenz, sieht              schungseinrichtung. Manches Mal, so Wintermantel,
die Probleme schon beim Einstieg in die For-             könne man sich nicht des Eindruckes erwehren, dass
scherkarrieren. Denn vom Ideal des gemein-               „Doktoranden wie Champignons im Keller gehalten

                                                                                                                   Foto: Peter Schmidt
 Neue Wege der wissenschaftlichen
 Nachwuchsförderung 1

 Zukunftskolleg Konstanz
  Am Zukunftskolleg an der Universität Konstanz ver-      bei“, sagt Galizia. Partizipation wird im Zukunfts-
  sucht man jungen Talenten ein interdisziplinäres        kolleg groß geschrieben. Jede Woche wird ein Jour
  Umfeld zu geben und sie schon früh zur Selbstän-        fixe veranstaltet, bei dem Mitglieder ihre Arbeit prä-
  digkeit zu führen. „Wir führen dabei einen Balance-     sentieren. Fellows sind in Gremien eingebunden
  akt in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung        und wirken auch im Vorstand des Zukunftskollegs
  durch“, sagt der Direktor des Zukunftskollegs, Gio-     mit. Fellows organisieren gemeinsam wissenschaft-
  vanni Galizia. Insgesamt werden jedes Jahr fünf Fel-    liche Workshops oder nehmen an strategischen
  lows aufgenommen, die in einem dreistufigen Ver-         Überlegungen im Rahmen der Exzellenzinitiative
  fahren aus 100 bis 200 Bewerbungen ausgewählt           teil. Kriterium für den Weiterverbleib im Zukunfts-
  werden. Wer diese kommissionelle Hürde schafft,         kolleg ist nach zwei Jahren die erfolgreiche Einwer-
  hat die Möglichkeit, in seinem Fachgebiet frei zu       bung von Drittmitteln für die eigene Forschung. Das
  forschen, eine Gruppe aufzubauen und erste wis-         führte schon zu Kritik unter den Mitgliedern. Galizia:
  senschaftliche Sporen zu verdienen. Das Zukunfts-       „Bis jetzt konnten aber selbst die schärfsten Kritiker
  kolleg, das 2007 im Rahmen der Exzellenzinitiative      spätestens dann überzeugt werden, wenn ihr An-
  gegründet wurde, ist prinzipiell offen für Postdocs     trag positiv erledigt wurde.“ Der herzeigbare Erfolg
  und Senior Fellows aus den Natur-, Geistes- und         des Zukunftskollegs: Mittlerweile wirken bereits 17
  Sozialwissenschaften. „Gerade diese Mischung hält       von bisher 35 Zukunftskolleg-Mitgliedern als Pro-
  den kreativen interdisziplinären Diskurs in Schwung     fessoren und Professorinnen an europäischen Uni-
  und trägt zur Entwicklung neuer Forschungsfelder        versitäten.
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
08   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

                                                                                                                          Foto: Jörg Lipskoch
       Neue Wege der wissenschaftlichen
       Nachwuchsförderung 2

       Die Junge Akademie
        Die Junge Akademie ist eine Initiative der Berlin-        weisen können. Dabei sind auch junge Künstler und
        Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften             Künstlerinnen willkommene Mitglieder. Wichtiges
        und der Deutschen Akademie der Naturforscher              Merkmal der Jungen Akademie, so Wolf: „Sie ist
        Leopoldina, gegründet im Jahre 2001. Als Ziele            autonom in der Gestaltung ihrer inhaltlichen Arbeit
        und Aufgaben setzte sich die Junge Akademie, so           und organisiert sich selbst.“ Derzeit existieren neun
        Robert Wolf, Professor für Anorganische Chemie            Arbeitsgruppen, die Themen von „Ethik in der Pra-
        an der Universität Regensburg und Mitglied der            xis“ über „Grenzen der Quantentheorie“ bis hin zu
        Jungen Akademie, „den interdisziplinären wissen-          „Nachhaltigkeit“ und „Kunst als Forschung“ behan-
        schaftlichen Diskurs zu fördern und sich auf insti-       deln und deren Ergebnisse auch immer wieder zu
        tutioneller Ebene gegen paternalistische Geronto-         Publikationen führen. Einen weiteren Schwerpunkt
        kratie und die Verlustbilanz von Spezialisierung zu       der Jungen Akademie bilden Themen aus der Wis-
        positionieren“. Insgesamt, so Wolf, sind 50 junge         senschaftspolitik, indem die Mitglieder Standpunkte
        Forscher und Forscherinnen Mitglied in der Jungen         zu Themen wie „Berufungsverfahren“, „Zukunft
        Akademie. Die Mitgliedschaft beträgt fünf Jahre. Je-      von Forschungsratings“ oder „Europäische Karri-
        des Jahr scheiden zehn Mitglieder aus und werden          erewege im Vergleich“ erarbeiten. Projekte an der
        zehn neue Mitglieder nach einem kommissionellen           Schnittstelle zur Gesellschaft sind unter anderem
        Auswahlverfahren aufgenommen. Mitglieder kön-             Themen wie der Ideenwettbewerb „UniGestalten“
        nen prinzipiell alle jungen Postdocs werden, die drei     oder eine jährlich durchgeführte „Preisfrage“, die
        bis sieben Jahre nach einer herausragenden Pro-           sich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen be-
        motion noch zusätzlich eine exzellente Arbeit vor-        schäftigt.

     werden“. „Sie werden von der Forschercommunity erst                  Erfahrungen und Kompetenzen im Lebens-
     gar nicht wahrgenommen.“ Von Partizipation und Kom-                  lauf, die für die weitere akademische Karriere
     munikation keine Spur.                                               ausschlaggebend sind.
     Ein ähnliches Ergebnis brachte auch die vom European
     Council of Doctoral Candidates and Junior Researches                 Mangelnde Einbindung, mangelnde
     (Eurodoc) durchgeführte Studie, bei der man mehr als                 Motivation        Dass Einbindung in For-
     7.000 Doktoratsstudierende in zwölf europäischen Län-                schungsaktivitäten und Mitbestimmung in der
     dern befragte: Nur eine Minderheit der Doktoranden ist               Institution Universität eine zentrale Rolle für
     in die Planung neuer Forschungsprojekte eingebunden,                 die Motivation von Forschern und Forsche-
     schreibt Drittmittelanträge und Papers, organisiert und              rinnen spielen, darüber sind sich die Experten
     besucht Konferenzen und ist in Entscheidungsprozesse                 einig. Denn bei allem Bekenntnis zu Manage-
     der Institutspolitik eingebunden.                                    mentstrukturen, Exzellenz und Qualitätsoffen-
     Ein veritabler Nachteil, der sich spätestens bei der Be-             siven sei eines klar: Universitäten sind keine
     werbung um eine Postdoc-Stelle herausstellt. Denn fehlt              „Konservendosenfabriken“, die nach einem
     die frühzeitige und vielfältige Partizipation im universi-           einfachen Muster ihrer Arbeitsabläufe funktio-
     tären Forschungsbetrieb, so fehlen genau diejenigen                  nieren. „Man kann wissenschaftliche Karriere
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
Wege, Irrwege, Auswege   09

und Partizipation nicht getrennt diskutieren“,         die Institution möglicherweise den falschen Leuten.“
sagt Walter Berka, stellvertretender Vorsitzen-        Ob man Partizipation dabei mehr im formalen Sinne
der des ÖWR und Professor für Verfassungs-             oder mehr über informelle Kommunikationszusammen-
und Verwaltungsrecht an der Universität                hänge reguliert, darüber gibt es freilich verschiedene
Salzburg. Prinzipiell, so Berka, müssten allen         Ansichten.
Forschern und Forscherinnen Partizipations-            Rein auf universitätsrechtlicher Basis, so der Grazer
möglichkeiten und Mitspracherechte geboten             Verfassungsjurist Christian Brünner, lassen Partizipa-
werden.                                                tionsrechte für wissenschaftliche Mitarbeiter zu wün-
Jürgen Mittelstraß, Vorsitzender des ÖWR,              schen übrig. Während in den Universitätsorganisations-
hebt die Bedeutung von Partizipation an den            gesetzen aus den Jahren 1975 und 1993 überzogene
Universitäten besonders hervor, wenn er sagt:          Mitbestimmungsrechte, weitestgehend losgelöst von
„Die Universität ist eine Institution und damit        jeder Qualifikation, festgeschrieben waren, stelle das
eine gesellschaftliche Veranstaltung. Wir müs-         geltende Universitätsgesetz 2002 das andere Extrem
sen den jungen Forschern und Forscherinnen             dar. „Da ist von der Mitbestimmung nicht sehr viel übrig
das Gefühl vermitteln, nicht nur für Lehre und         geblieben“, sagt Brünner. In Paragraph 2 des UG kön-
Forschung, sondern auch für die Institution,           ne man zwar von der Mitsprache der Studierenden le-
für ihre Institution verantwortlich zu sein.“          sen. „Nirgends lesen Sie aber über die Mitsprache der
Wenn das nicht gelinge, so „überlassen sie             wissenschaftlichen Mitarbeiter. Das Gesetz signalisiert,

            „Keine Kollegialität in Entscheidungsprozessen“
            Kollegialität in
            Entscheidungsprozessen                Top-down Managementstil
            (Antworten in Prozent:                   (Antworten in Prozent:
            trifft zu/trifft nicht zu)                 trifft zu/trifft nicht zu)
       IE
                                                                                     Eine Befragung des wissen-
                                                                                     schaftlichen Personals euro-
      UK                                                                             päischer Universitäten zeigt,
                                                                                     dass in Österreich der Ma-
      AT                                                                             nagementstil an österreichi-
                                                                                     schen Universitäten – auch
      NL                                                                             im Vergleich mit anderen
                                                                                     Ländern – sehr stark als „Top
      PL                                                                             down-Stil“, mit wenig „Kol-
                                                                                     legialität in Entscheidungs-
       FI
                                                                                     prozessen“, wahrgenommen
      PT                                                                             wird.

                                                                                     ■ Seniors Kollegialität
     CH

      DE                                                                             ■ Juniors Kollegialität
                                                                                     ■ Seniors top down
      HR
                                                                                     ■ Juniors top down
            0                            50                                    100
 Quelle: CAP Survey 2010/2011
Wissenschaftliche Karriere und Partizipation - WISSENSCHAFTSRAT ÖSTERREICHISCHER
10   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

                                                                                                      Im Unterschied zum US-
        „Steile und flache Hierarchien“                                                                amerikanischen System gibt
                                  Stammpersonal: Statusgruppen                                        es in Österreich im Stamm-
                                                Quantitative Relationen                               personal der Universitäten
                                                                                                      steile Hierarchien zwischen
                         Österreich                                          USA                      den Statusgruppen. Das
                                                                                                      lässt sich auch an den quan-
                                                                                                      titativen Verhältnissen ab-
                        ProfessorInnen                                    Full Professors
                                                                                                      lesen. In Österreich ist die
                             2.055                                            217.000                 Gruppe der „Professoren“ im
                                                                                                      Unterschied zu Habilitierten
                                                                                                      und „nicht Habilitierten“ re-
                           Habilitierte                              Associate Professors             lativ klein. Die Gruppen von
                             3.125                                         151.000                    „Full Professors“, „Associate
                                                                                                      Professors“ und „Assistant
                                                                                                      Professors“ sind in den USA
                        nicht Habilitierte                            Assistant Professors
                              9.423                                         174.000                   annähernd gleich groß, es
                                                                                                      gibt kein strukturelles Karri-
                                                                                                      ere-Nadelöhr auf dem Weg
        Quelle: iff, H. Pechar, uni:data 2009                                                         zum „Professor“.

     dass die Mitbestimmung unbedeutend ist.“                                           versität Innsbruck, spricht aus, was zur Zeit
                                                                                        wohl viele junge Forscher und Forscherinnen
     Für Elmar Pichl, stellvertretender Leiter der Hochschul-                           denken: „Wenn das Klima am Institut passt
     sektion im Wissenschaftsministerium, geht es vor allem                             und die Menschen miteinander können, dann
     darum, dass die Universitäten in ihren Satzungen Par-                              hat man ohnehin ein Mitspracherecht. Dann
     tizipationsmöglichkeiten festschreiben und das Instru-                             braucht man dazu nicht noch ein Meeting und
     ment der „Personalentwicklung“ anwenden. Inwiefern                                 noch einen offiziellen Sitzungstermin.“ Dass
     dies geschehe, darüber gebe es aber noch keine umfas-                              es freilich auch Institute gebe, wo die Atmo-
     senden Studien. Sieht man sich die in den Satzungen                                sphäre anders sei, sei ihr auch klar.
     österreichischer Universitäten festgeschriebenen Parti-                            Oft fehlt es einfach an ausreichend finan-
     zipationsmöglichkeiten an, so könnte man feststellen,                              zierten Postdoc-Stellen, auf denen junge For-
     dass diese „durchaus unterschiedlich“ geregelt seien.                              scher und Forscherinnen früh die Möglichkeit
     Dies reicht von einigen wenigen Hinweisen in der Prä-                              erhalten, selbstständig eine Gruppe aufzu-
     ambel bis hin zu Beschreibungen von Beiratsstrukturen.                             bauen und Meriten in der Forschung zu erwer-
     „Organisationspläne sagen freilich wenig darüber aus,                              ben. Vielen „Postdocs“ bleibt oft nur die Mög-
     wie sie in der Realität mit Leben erfüllt werden“, so Pi-                          lichkeit, über drittmittelfinanzierte Projekte in
     chl.                                                                               der Forschung zu bleiben. Das hohe Risiko:
     Für den wissenschaftlichen Nachwuchs, den es nach                                  Wer nach Abschluss des einen Projektes kein
     der Promotion in die Forscherkarriere zieht - in Österrei-                         weiteres ergattert, fällt aus dem System.
     ch sind das nur 15 Prozent aller Promovierten -, scheint
     dabei ein formal nicht festgeschriebenes Mitsprache-                               Graduiertenkollegs Möglichkeiten für
     recht häufig das kleinere Problem zu sein. Die junge                                eine strukturierte Karriereentwicklung wür-
     Forscherin und START-Preisträgerin Barbara Kraus,                                  den die „Graduiertenkollegs“ bieten, wie
     Assistenzprofessorin am Institut für Physik an der Uni-                            etwa das „Zukunftskolleg“ an der Universität
Wege, Irrwege, Auswege    11

                                                                               Während Research Universities
   „So manches steht auf dem Kopf“                                             die kleine, aber feine Spitze des
                        Segmente des Hochschulsystems                          US-amerikanischen Universitätssy-
                    hierarchische Stufung, quantitative Relationen             stems bilden, sind die österreichi-
                                                                               schen Universitäten in ihrer Gesamt-
                   Österreich                            USA                   heit als Forschungsuniversitäten
                                                                               definiert, obwohl sie gleichzeitig
                                                                               auch Ausbildungsagenden für den
                                                       Research                außeruniversitären       Arbeitsmarkt
                                                      Universities             übernehmen. Dies wird in den USA
                    Forschungs-
                    universitäten                                              durch die breitere Basis der Compre-
                                                    Comprehensive              hensive Universities und Community
                                                     Universities              Colleges erfüllt. Der Bereich der be-
                                                                               rufsbezogenen Ausbildung, der Be-
                                                                               reich der Fachhochschulen (FH) und
                          FH
                          PH                          Community                Pädagogischen Hochschulen (PH),
                                                       Colleges                ist hierzulande weitaus kleiner. „In
                                                                               Österreich“, so der Hochschulfor-
                                                                               scher Hans Pechar, „steht da so
  Quelle: iff, H. Pechar, 2011                                                 manches auf dem Kopf.“

Konstanz (siehe Kasten auf Seite 7). Das                     bei einer kleinen Minderheit unbefristet beschäftigter
Zukunftskolleg nimmt sich gerade Forschern                   Forscher und Forscherinnen: den Professoren (und weit-
und Forscherinnen auf dem Weg zur Karrie-                    aus weniger Professorinnen). Sie stellen in Deutschland
restufe des „senior researchers“ an, sagt der                gut zehn Prozent des wissenschaftlichen Personals, in
Direktor des Kollegs, Giovanni Galizia, und                  Österreich und der Schweiz rund sieben Prozent. Die
bietet ihnen die Möglichkeit, ihren eigenen                  Mehrheit der restlichen Lehrpersonen – und das sei das
Forschungsschwerpunkt aufzubauen, zu pu-                     eigentlich Spezifische – ist den Professoren unterstellt
blizieren und zu habilitieren. Diese struktu-                und wird von den Universitäten meist mit befristeten
rierten Angebote sind freilich nicht die Regel,              Verträgen angestellt.
sondern bilden derzeit noch eher die – wenn                  Dass man Universitätssysteme auch ohne solch struk-
auch rühmliche – echte Ausnahme.                             turelle Karriere-Nadelöhre erfolgreich organisieren
Der Regelfall sieht anders aus: Karriere an                  kann, zeigt das angloamerikanische Modell. Während
deutschsprachigen Universitäten zu machen,                   in deutschsprachigen Ländern die „Selektion“ erst in
heißt trotz aller Exzellenz- und Qualitätsbemü-              späten Jahren durch Habilitation und Berufungsverfah-
hungen für die einzelnen Forscher und For-                   ren für einen der raren Professorenposten ein „dickes
scherinnen noch immer lange Abhängigkeit                     Ende“ erfährt, wird im angelsächsischen System schon
von professoralen „Patrons“, Karrieresack-                   am Eintritt in die Forscherkarriere gesiebt: „Wer in die
gassen durch steile Hierarchien, und nur in                  Forschung will“, so Catharine Stimpson, Bildungsex-
Ausnahmefällen gelingt es, durch ein erfolg-                 pertin von der New York University, „muss sich um die
reich abgeschlossenes Berufungsverfahren                     Aufnahme in ein PhD-Programm an einer Research-
zu einer ordentlichen Professur zu gelangen.                 University bemühen.“ Wer das strenge Auswahlverfah-
Hauptkennzeichen dieser Flaschenhalsstruk-                   ren meistert, hat dafür Aussicht auf beste Betreuung,
tur ist – wie Symposiumsteilnehmer meinen                    frühzeitige Einbindung in die Research Community und
– die Konzentration der akademischen Macht                   zügig vorangehende Promotion.
12   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

                                                                                                        Tenure Track, Laufbahnkarrieren For-
                                                                                                        scher und Forscherinnen erhalten im angloa-
                                                                                                        merikanischen Modell zudem bereits mit der
                                                                       Europäische Charta
                                                                       für Forscher                     Promotion die Lehrbefugnis, Habilitationen
                                                                       Verhaltenskodex
                                                                       für die Einstellung              sind unbekannt. Dafür können sich junge Post-
       Europäische Charta                                              von Forschern
                                                                                                        docs um eine „Tenure Track“-Stelle („Assis-
       für Forscher
                                                      www.europa.eu.int/eracareers/europeancharter
                                                                                                        tant Professor“) bewerben, die nach sechs bis

                                          EUR 21620
       Gut, aber                                                                                        sieben Jahren - bei entsprechender Leistung
                                                                                                        - in eine unbefristete Stelle umgewandelt wer-
       unbekannt                                                                      HUMANRESSOURCEN

                                                                                                        den kann. Geht alles gut - rund 70 bis 80 Pro-
                                                                                                        zent erhalten eine Entfristung ihres Postens
       Die Europäische Charta für Forscher, auch Charta
       der Wissenschaft genannt, ist ein von der Europä-                                                -, kann ein junger Forscher oder eine junge
       ischen Kommission herausgegebener Verhaltensko-                                                  Forscherin auf ein und derselben Stelle vom
       dex, der die Rechte und Pflichten für Forscher und                                                „Assistance Professor“ über den „Associate
       Forscherinnen und ihrer Förderungsinstitutionen um-                                              Professor“ bis hin zum „Full Professor“ auf-
       reißt. Zudem werden Prinzipien für die Einstellung                                               steigen - eine in Österreich bis jetzt undenk-
       von Forschern und Forscherinnen und die Vergabe
                                                                                                        bare Situation. Denn auch mit der hierzulande
       von Forscherstellen und Förderungen formuliert.
                                                                                                        mit dem Kollektivvertrag gesetzlich ermöglich-
       Für Walter Berka, stellvertretender Vorsitzender des
       ÖWR, „stellt die Charta eine sympathische Vision dar,                                            ten Einrichtung von „Laufbahnstellen“ endet
       die ein beflügelndes Bild einer hierarchiefreien For-                                             die Karriere maximal bei einem „Assoziierten
       schungsuniversität malt“. Wichtige Grundsätze der                                                Professor“. Dieser darf, so eine weitere Be-
       Charta sind, dass alle Forscher und Forscherinnen,                                               sonderheit des österreichischen Laufbahn-
       die eine entsprechende Laufbahn eingeschlagen ha-                                                modells, an der Universität laut Gesetz auch
       ben, als Angehörige einer Berufsgruppe anzusehen
                                                                                                        keine Leitungsfunktion von Organisationsein-
       sind – vom Doktoratsstudierenden bis zum Lehr-
       stuhlinhaber. Unterscheidungen werden nur noch                                                   heiten übernehmen. Dafür ist weiterhin eine
       zwischen jüngeren und erfahreneren Forschern und                                                 „ordentliche Professur“ notwendig - mit Habili-
       Forscherinnen gemacht. Für Nachwuchsforscher                                                     tation und aufwändigem Berufungsverfahren.
       und Nachwuchsforscherinnen wird unter anderem                                                    Dass ein angloamerikanisches Karrieremodell
       eine vertraglich festgehaltene Betreuungs- und Ar-                                               mit flachen Hierarchien und flexiblen Depart-
       beitsbeziehung eingefordert. Ausdrücklich kritisiert
                                                                                                        mentstrukturen auch an deutschsprachigen
       wird der Trend, Wissenschafter und Wissenschafte-
                                                                                                        Universitäten möglich wäre, darüber sind sich
       rinnen nur noch über kurzfristige Arbeitsverträge zu
       beschäftigen. Einstellungsverfahren sollen von Insti-                                            Experten und Expertinnen einig. Wie wahr-
       tutionen und Forschungsförderern zudem so festge-                                                scheinlich eine Änderung ist, das ist freilich
       legt werden, dass sie transparent, offen und interna-                                            eine andere Frage: Denn die stabilen Hierar-
       tional vergleichbar sind.                                                                        chien verdanken sich, so Hirschi, „dem Me-
       Zwar haben sich bereits einige europäische Uni-                                                  chanismus, dass jene Wissenschafter, die das
       versitäten und Rektorenverbände, darunter auch
                                                                                                        Nadelöhr zur Professur passiert haben, kein
       die Österreichische Universitätenkonferenz, für die
       Umsetzung der Charta ausgesprochen. In der Pra-                                                  strategisches Interesse mehr haben, an den
       xis scheint sie aber noch so gut wie unbekannt. Bei                                              bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern.“
       der EURODOC-Befragung von 7.000 Doktorats-Stu-                                                   Nächstes Jahr tritt auch Hirschi eine Profes-
       dierenden und jungen Postdocs gaben mehr als 90                                                  sur für Allgemeine Geschichte an der Univer-
       Prozent an, noch nie etwas von der Charta gehört                                                 sität St. Gallen an. Hirschi mit einem Schuss
       zu haben. Nur bei einer Gruppe von 1,6 Prozent der
                                                                                                        Selbstironie: „Es kann gut sein, dass auch ich
       Dienstverhältnisse stellte die Charta einen Teil des
                                                                                                        dann andere Aufgaben zu erledigen habe, als
       Vertrages dar.
                                                                                                        weiterhin das Karrieresystem zu kritisieren.“
Wege, Irrwege, Auswege   13

Prozent der DoktorandInnen, die Förderungen bekommen
100%

                                                                                               ■ Österreich
50%                                                                                            ■ Deutschland
                                                                                               ■ Finnland
 0%                                                                                            ■ Niederlande
          Geistes-           Natur-           Sozial-         Technik-         Bildung
       wissenschaften    wissenschaften   wissenschaften   wissenschaften

 Während zwei Drittel der Studierenden im Bachelor/Master/Diplom-Studium 2009 verschiedene Formen von
 finanzieller Förderung erhielten, bekam nur ein Drittel der Doktoranden und Doktorandinnen finanzielle Un-
 terstützung. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern rangiert die Anzahl der österreichischen Dokto-
 randen und Doktorandinnen, die überhaupt eine Förderung erhalten, im untersten Segment. Im Durchschnitt
 verfügen Doktoratsstudierende in Österreich über ein Budget von ungefähr 1.300 bis 1.500 Euro brutto. Vor
 allem im naturwissenschaftlichen Bereich verdienen Personen mit Studienabschluss (Diplomingenieur, Ma-
 ster etc.) in außeruniversitären Einrichtungen wesentlich mehr.                         Quelle: EURODOC 2011

                        Vernunft und Unvernunft im Universitätssystem

                        „Wir produzieren virtuose Antragskünstler“
                        Auf den ersten Blick, so Jan-      nünftig ist, erfolgreich zu sein und die Ressourcen
                        Hendrik Olbertz, Präsident der     zu sichern, die man in der Bibliothek und im Archiv
                        Humboldt-Universität zu Berlin,    braucht. Langfristig verändere sich damit die Wissen-
                        seien Vernunft und Unvernunft      schaft.
                        in der Wissenschaft einfacher      Hellhörig habe ihn, Olbertz, die Antwort eines Alt-
                        zu behandeln als in Bezug auf      philologen gemacht, der auf die Frage, wie man ihn
 das Universitätssystem. Von Immanuel Kant stamme          am besten fördern könnte, antwortete: „Am besten
 aber auch die schöne Bemerkung: „Die Notwendig-           förderten Sie mich, wenn Sie mich in Ruhe ließen.“
 keit, zu entscheiden, reicht weiter als die Fähigkeit,    Doch wie gießt man diesen Wunsch in eine Antrags-
 zu erkennen.“ Damit ist Unvernunft – genau genom-         struktur?
 men Unverstand – gleichsam unausweichlich, wenn           Es ist ein ernst zu nehmender Unterschied, ob Ent-
 man in der Erkenntnis voranschreiten will; sie ist der    scheidungen über Schwerpunkte, Gegenstände und
 Weg zur Vernunft. Und gerade dieser Unvernunft            vor allem Methoden der Wissenschaft rationalen Ab-
 könne man im Universitätssystem immer wieder be-          leitungen aus den jeweiligen Forschungsfragestel-
 gegnen.                                                   lungen folgen oder dem Anspruch, in einem Wett-
 Wenn sich Universitäten am Exzellenz-Wettbewerb           bewerb um Geld erfolgreich zu sein, der zwischen
 beteiligen, um das damit verbundene Geld einzuwer-        unterfinanzierten Universitäten ausgetragen wird.
 ben, dann kann das durchaus „vernünftig“ sein. Die        Forscher und Forscherinnen verbringen mittler-
 Fixierung auf drittmittelfinanzierte Forschung zeige       weile jedenfalls schon die Hälfte ihrer Zeit mit dem
 dabei aber auch ihre „unvernünftigen“ Seiten: „Wird       Formulieren von Forschungsanträgen und nicht mit
 von der Wissenschaftspolitik Clusterbildung verlangt,     Forschen. Langfristig wird diese Fixierung auf Er-
 verlassen selbst die Altgermanisten die Bibliotheken      folgsmeldungen beim Einwerben von Drittmitteln, so
 und Archive, um sich zu vernetzen.“ Die Frage, ob         Olbertz, Auswirkungen auf die Wissenschaft haben:
 das von der Forschungslogik aus betrachtet vernünf-       „Wir produzieren damit nicht Forscher, sondern virtu-
 tig sei, wird überlagert von der Einsicht, dass es ver-   ose Antragskünstler.“
14   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

     Good Governance – die
     notwendige Verbindung von
     Karriere und Partizipation
     Universitäten sollen die Entwicklung von Karriere- und Partizipationsmöglich-
     keiten verstärkt als Führungsaufgabe auf allen Ebenen verstehen.

     W
                  alter Berka, stellvertretender Vorsitzender      schiedliche Funktionen im Wissenschaftsma-
                  des ÖWR, sieht die „Faculty-Diskussionen“,       nagement.“
                  die in den vergangenen Jahren geführt wur-       Eine weiterführende Diskussion der Themen
     den, zu sehr auf die Kurienverhältnisse und das dienst-       Mitverantwortung und Mitbestimmung müsste
     rechtliche Laufbahnmodell konzentriert. „Die Bezugnah-        jedenfalls die Partizipationsfrage mit der Aus-
     me auf anglo-amerikanische „Faculty-Modelle“ war eher         gestaltung wissenschaftlicher Karrierewege
     irreführend und missverständlich.“ Das Anliegen, eine         verknüpfen und sich die Frage stellen, wie Ent-
     verstärkte Partizipation der wissenschaftlichen Mitarbei-     scheidungs- und Verantwortungsstrukturen
     ter und Mitarbeiterinnen an den Universitäten zu schaf-       einer Universität („Governance“) insgesamt
     fen, sei „weiterhin legitim und wissenschaftsadäquat.“        beschaffen sein sollten. Dabei wären neben
     Eine Reihe von Dokumenten, die sich der Ausformulie-          den Entscheidungsstrukturen auf der zentra-
     rung von Rechten und Pflichten von Forschern anneh-            len Ebene (Senat, Universitätsleitung) ver-
     men, unterstreichen mittlerweile die Wichtigkeit verstärk-    stärkt die nachgeordneten Organisationsein-
     ter Mitbestimmungsrechte. Die „Europäische Charta für         heiten (Fakultäten, Departments, Institute) in
     Forscher“ geht dabei von einem einheitlichen Berufsbild       den Blick zu nehmen. „Die motivierende, lei-
     des Forschers aus, der sich früh in die wissenschaftliche     stungsfördernde Kraft von mitbestimmungs-
     Selbständigkeit entwickeln kann. Was die Mitbestim-           freundlichen Strukturen ist gerade auf der
     mung im organisatorischen Gefüge der Wissenschaft             Ebene der einzelnen Forschungseinheiten
     betrifft, müsste man freilich stärker differenzieren. „Das,   zu mobilisieren, und sie hängt von dem Aus-
     was man als angemessene Partizipationschancen an-             maß an innerer Autonomie ab, die diesen
     zusehen hat, kann man nicht losgelöst von der wissen-                             zukommt.“ Genau diese
     schaftlichen Qualifikation, den Erfahrungen und der un-                            Bedingungen zu schaf-
     terschiedlich gestalteten Einbindung in die universitäre                          fen, sei, so Berka, „eine
     Organisation sehen.“                                                              zentrale    Führungsauf-
     Das Kurienmodell der früheren Gruppenuniversität sei                              gabe der Universitätslei-
     jedenfalls nicht mehr geeignet, um für „Verantwortung“                            tung auf allen Ebenen“.
     im Organisationsgefüge einer modernen Universität das
     Richtmaß zu liefern. „Die starren Hierarchien ständisch
     organisierter Gruppen entsprechen nicht mehr der Wirk-
     lichkeit des heutigen Wissenschaftsbetriebs“, so Berka.         WALTER BERKA ist stellvertretender
                                                                     Vorsitzender des Österreichischen
     „Heute gibt es differenzierte Karriereverläufe, abgestufte
                                                                     Wissenschaftsrates
     Grade wissenschaftlicher Selbstständigkeit und unter-
Wege, Irrwege, Auswege     15

Österreichische
Karrierewege
Die rechtliche Stellung und die Arbeitsbedingungen des akademischen Personals
haben sich durch die Hochschulreformen im letzten Jahrzehnt stark verändert.

I
   n den letzten zehn Jahren hat sich die Uni-     „Insider-Outsider“-Problem entstand: Wer bereits im Sys-
   versität durch Dienstrechtsnovelle (2001),      tem „drinnen“ war, wurde pragmatisiert, wer draußen war,
   Universitätsgesetz (2002) und Kollektivver-     wurde ungeachtet seiner Leistungsfähigkeit in oft prekäre
tragsregelungen in Sachen Dienstrecht zum Teil     Dienstverhältnisse abgedrängt. Für den globalen Exzel-
völlig neu aufgestellt: Keine Pragmatisierungen    lenzwettbewerb entstand damit eine nicht zielführende
mehr, dafür privatrechtliche Dienstverhältnisse,   Situation: eine wachsende Zahl an „Systemerhaltern“ blo-
eine wachsende Zahl an befristeten Stellen und     ckierte Stellen für Personen jüngerer Jahrgänge mit Po-
Drittmittelposten und eine in Relation klein ge-   tential zur Spitzenforschung.
bliebene Gruppe von Ordentlichen Professoren       Die Dienstrechtsnovelle 2001 unterbrach den alten
und Professorinnen, die durch die Gruppe von       Karriereautomatismus und übernahm weitgehend das
Assistenz- und Assoziierten Professoren und        deutsche Stufenmodell, das unterhalb der Professur nur
Professorinnen ergänzt wird. So könnte, kurz       befristete Dienstverhältnisse kennt. Damit wurde aber nur
gesagt, die veränderte personelle Situation an     ein altes Problem durch ein neues ersetzt: Durch die Kom-
Österreichs Universitäten gekennzeichnet wer-      bination mit der gesetzlichen Beschränkung von Ketten-
den.                                               verträgen führte die strikte Stellenbefristung zu Karriere-
Bis in die späten 1990er Jahre befand sich, so     sackgassen. Bei Ende der Frist bestand durch das krasse
der Hochschulforscher Hans Pechar, ein hoher       Ungleichgewicht von vielen Mittelbau- und wenigen Pro-
Anteil des akademischen Personals der öster-       fessorenstellen keine realistische Möglichkeit, die Lauf-
reichischen Universitäten auf unkündbaren Be-      bahn auf einer höheren Stelle – als Professor oder Profes-
amtenstellen. Dies wurde durch einen Karriere-     sorin – fortzusetzen. Nicht nur in Deutschland sahen sich
automatismus im alten Dienstrecht verursacht,      hochqualifizierte Forscher und Forscherinnen gezwun-
der „Überleitungen“ von befristeten zu „proviso-   gen, ihre Uni-Laufbahn – und häufig jede Art beruflicher
rischen“ und schließlich „definitiven“ Dienstver-   Forschung – zu beenden.
hältnissen vorsah. Erfolgskriterium für zeitlich   In Österreich wurde die Befristung unterhalb der Profes-
befristete Verträge war das Doktorat, für pro-     sorenstellen zwar nicht so rigoros gehandhabt. Habili-
visorische Dienstverhältnisse die Habilitation.    tierte Assistenten bekamen dauerhafte Stellen. Die steilen
Mit der unbefristeten Assistentenstelle endete     Hierarchien und das Lehrstuhlprinzip führten aber auch
der Karriereautomatismus; die nächste Stufe,       hier zu langen Abhängigkeiten von nicht habilitierten As-
die Professur, erlangte man nur über ein Beru-     sistenten, die sich häufig bis ins vierte Lebensjahrzehnt
fungsverfahren.                                    ziehen.
Verwerfungen im System ergaben sich, als ab        Mit dem seit 2009 geltenden Kollektivvertrag wurde die
Ende der 1980er Jahre eine wachsende Zahl          Möglichkeit von Laufbahnstellen geschaffen. Das an das
nicht-habilitierter Assistenten und Assisten-      angloamerikanische „Tenure Track-Modell“ angelehnte
tinnen definitiv gestellt wurde. Ein typisches      Dienstverhältnis sieht die Möglichkeit einer Entfristung
16   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

     nach einigen Jahren vor, insofern die wissenschaftliche                         vor, bis zu einer vollen Professur aufzusteigen.
     Qualifikation positiv beurteilt wird. Diese Vereinbarung gilt                    Die kontinuierliche Laufbahn endet mit dem
     aber nur als Empfehlung und ist nicht rechtlich bindend.                        „Assoziierten Professor“, der Aufstieg zum „Or-
     Im Gegensatz zum nordamerikanischen Modell sieht das                            dentlichen Professor“ ist weiterhin nur über ein
     österreichische Laufbahnmodell auch keine Möglichkeit                           Berufungsverfahren möglich.

        Universitäre Mitbestimmung im Wandel
        Wie sich universitäre Strukturen veränderten

        Ordinarienuniversität                          Universitätsmitglieder 1960: 485 Professoren, 1624 Assistenten, 38533 Studierende

                        Parlament
                                                                        Das Hochschulorganisationsgesetz 1955 (HOG 55) regelte die „Ordi-
          Senat                              ProfessorInnen             narienuniversität“. Alle Gremien wurden von ProfessorInnen besetzt.
                                                                        AssistentInnen waren den Lehrstühlen zugeordnet. Sie besaßen, so
                                                      AssistentInnen
          Fakultätskollegium                                            wie Studierende, kein Mitspracherecht. Studienpläne und Universi-
                                                      Studierende       tätsbudget wurden im Parlament beschlossen, ein Wissenschaftsmi-
          Fakultätskollegium     Lehrstuhl                              nisterium existierte noch nicht.

        Gruppenuniversität                                     Universitätsmitglieder 1980: 1589 ProfessorInnen, 4883 AssistentInnen,
                                                               115616 Studierende
               Wissenschaftsministerium

          Universitätsdirektor

          Rektor                 Senat                                         ProfessorInnen
                                                    1/3 Parität
                                                     in allen                  AssistentInnen
          Dekan                  Fakultätskollegium                                                          Personal aus
                                                     Gremien
                                                                                                           Teilrechtsfähigkeit
          Institutsvorstand      Institutskonferenz                            Studierende                   nach UOG 93

        Durch das Hochschulorganisationsgesetz 1975 (UOG 75) wurde die Ordinarienuniversität zur „Gruppenuniversität“. Gremien werden
        drittelparitätisch von ProfessorInnen, AssistentInnen und Studierenden besetzt. Lehrstühle werden aufgelöst. Rektor, Dekan und
        Institutsvorstand („monokratische Organe“) bekommen von den jeweiligen Gremien Vorgaben. Das von Ministerin Herta Firnberg
        geschaffene Wissenschaftsministerium bestimmt Planstellen und das jährliche Universitätsbudget bis auf die Institutsebenen hinunter.
        Mit dem UOG 93 erhalten die Universitäten Teilrechtsfähigkeit und dürfen Personal über Drittmittel anstellen, die an der Universtiät
        aber kein Mitspracherecht besitzen.

        New Public Management Universität                       Universitätsmitglieder 2010: 2232 ProfessorInnen (inkl. Kunstuniversitäten),
                                                                31964 AssistentInnen, DozentInnen und drittmittelfinanzierte MitarbeiterInnen,
               Wissenschaftsministerium                         265030 Studierende

                                 Unirat                                ProfessorInnen
          Rektorat                                            50%
                                                                       DozentInnen
                                 Senat                                 AssistentInnen
                                                                       Studierende
             Weitere Mitbestimmungsstrukturen auf
          Fakultäts- und Institutsebene können von den                 Allgemeines Unipersonal
           Universitäten autonom beschlossen werden.

        Mit dem Universitätsorganisationsgesetz 2002 (UG 2002) werden Universitäten vollrechtsfähige juristische Personen. Sie handeln
        alle drei Jahre mit dem Wissenschaftsministerium ein Globalbudget aus und können ihre innere Organisation zum großen Teil au-
        tonom durch Satzungen regeln. Vorgeschriebene Entscheidungsorgane sind nur mehr der Universitätsrat, das Rektorat/der Rektor
        und der Senat. Der Unirat ist dabei einem Aufsichtsrat vergleichbar. Er wird von Senat und Bundesregierung beschickt und wählt (auf
        Senatsvorschlag) den Rektor, der wiederum das Vorschlagsrecht für mehrere Vizerektoren hat. Im Senat haben die ProfessorInnen
        nun anders als in der „Gruppenuniversität“ die absolute Mehrheit. Allerdings sind die Kompetenzen des Senats durch aufgewertetes
        Rektorat und durch den Unirat kleiner geworden.
                                                                                                             Quelle: ÖWR, Regitnig/Matouschek
Wege, Irrwege, Auswege     17

Podiumsdiskussion,
Ausblicke in Schlaglichtern

Akademische Karrieren einst und jetzt:                         Nachwuchs –
„Ich habe meinen akademischen Lehrer als eine ganz             Probleme, Mangel, Ausbeutung:
starke Hilfe erlebt, und zwar im Sinne einer patriarcha-       „Unsere Absolventen haben durchaus die char-
lischen Fürsorge, und wusste, er würde das Möglichste          mante Alternative, in die Wirtschaft zu gehen,
tun, damit ich in der Karriere weiter tun kann.“ Brünner       aber die ganze Veterinärmedizin krankt, auch
                                                               europäisch gesehen, daran, wissenschaftli-
„Wie man Nachwuchs fördern kann, das ist durchaus              chen Nachwuchs zu finden, zu halten und zu
individuell verschieden. Ich geh da mit sehr viel Bauch-       entwickeln.“ Hammerschmid
gefühl heran. Man muss mit den Leuten reden und man
muss die Leute kennen lernen.“ Blatt                           “Wenn am Beginn einer Laufbahn Wettbewerb,
                                                               Internationalität, Mobilität gefordert wird, dann
„Ich hatte es ungleich leichter, als es jeder heute hat. Die   müssen aber auch Rahmenbedingungen ge-
Bedingung dafür, dass meine Stelle entfristet wird, war        geben sein. Und dann darf es auch den Sach-
eine Habilitation. Und das war weiß Gott keine Bedin-          verhalt der strukturellen Ausbeutung nicht ge-
gung, vor der man sich gefürchtet hat.“ Kratky                 ben, etwa den, dass auf einer Karrierestelle
18   Wissenschaftliche Karriere und Partizipation

     und mit einer Qualifizierungsvereinbarung nur eine Halb-     tung übernimmt, und wo das ganze dann in
     zeitstelle vergeben wird.“ Brünner                          Partikularinteressen abgehandelt wird. Das ist
                                                                 nicht Partizipation, das ist Lähmung.“ Meixner
     „Ein Physikinstitut wird nie einen ernsthaften Physiker     (Publikum)
     bekommen, der bereit ist, für einen halben Lohn zu ar-
     beiten. Aber wenn Sie natürlich in den Bereich der So-      „Wir brauchen auch institutionelle Siche-
     zialwissenschaften, der Psychologie schauen, wo viele       rungen, institutionelle Vorkehrungen, der Wis-
     Dissertationen völlig unbezahlt sind ...“ Kratky            senschaftsrat nennt dies „formalisierte Verfah-
                                                                 ren“, ein gewisses Maß an Mitbestimmung,
     Informelle Mitbestimmung –                                  die abgestuft sein muss im Hinblick auf die
     Eine Frage der Kommunikation?                               Qualifikation und im Hinblick natürlich auch auf
     „Man sollte einfach dort mitbestimmen, wo man etwas         die Dauer der Verbindung mit der Universität.“
     bewirken kann. Da braucht man keine fixen Regeln für         Brünner
     die Kommunikation einzuziehen, da muss man einfach
     den gesunden Menschenverstand walten lassen.“ Kraus         Partizipation an und Identifizierung
                                                                 mit der Institution:
     „Es liegt immer an den Menschen, die bestimmen, wie         „Was kann getan werden, damit eine Person
     das Miteinander funktioniert. Natürlich kann man im Rek-    des wissenschaftlichen Nachwuchses auch an
     torat einiges an Möglichkeiten schaffen, damit die Kom-     die Institution gebunden werden kann, dass sie
     munikation besser funktioniert.“ Hammerschmid               auch eine gewisse Identität mit dieser Einrich-
                                                                 tung verbindet. Weil nur dann, wenn sich diese
     „Wenn wir den Standpunkt vertreten, Kommunikation,          Person vorstellt, ich bin Teil dieses Ganzen, die
     Mitwirkung und Mitbestimmung, da liegt es nur an den        Motivation zu Höchstleistungen und die Bereit-
     Menschen, ob die das tun oder nicht, dann plädier ich       schaft, Verantwortung zu übernehmen, gege-
     gleich dafür, dass man das Arbeitsrecht und die Arbeits-    ben sein wird.“ Brünner
     gerichte abschafft, denn dann liegt es einfach an den
     Menschen, wie die das tun. Selbstverständlich kann ich      „Wir sollten die Autonomie von ihren Kernauf-
     Kommunikation nicht verordnen, aber ich kann sie auch       gaben her leben, von der Lehre und von der
     einfordern, ich kann sie zur Führungsaufgabe machen.“       Forschung. Aber wir sollten auch nicht verges-
     Brünner                                                     sen, dass die Universität auch eine Institution
                                                                 ist und dass wir für diese Institution verantwort-
     „Wir kennen alle in der Universität die Arroganz, mit der   lich sind.“ Mittelstraß
     manchmal gesagt wird, darum kümmere ich mich nicht –
     für mich ist Forschung und Lehre alles. Dann überlässt
     man möglicherweise die Institution den falschen Leuten,
     die nicht von der Wissenschaft, nicht von der Lehre und
     von der Forschung her denken, sondern einem reinen
     Managerideal folgen. Das ist gefährlich.“ Mittelstraß
                                                                 *Legende: Prof. Rainer Blatt (Österreichischer Wissen-
                                                                 schaftsrat), Prof. Christian Brünner, Vorsitzender der Wis-
     Formalisierte Mitbestimmung –                               senschaftlichen Steuerungsgruppe der AQA (Universität
     Notwendigkeit oder zu vermeidendes Übel?:                   Graz), Prof. Christoph Kratky, Präsident des Österreichi-
                                                                 schen Wissenschaftsfonds, Dr. Sonja Hammerschmid,
     „Man sollte nicht mit neuen Begriffen die kuriale Mitbe-    Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität, Ass.-Prof.
     stimmungsuniversität wiederaufleben lassen. Ich brau-        Dr. Barbara Kraus, START-Preisträgerin (Universität Inns-
                                                                 bruck), Prof. Jürgen Mittelstraß, Vorsitzender der Öster-
     che kein von Gruppen zusammengesetztes Gremium,
                                                                 reichischen Wissenschaftsrates, Prof. Wolfgang Meixner
     das keine Entscheidungsgewalt hat, keine Verantwor-         (Vizerektor, Universität Innsbruck).
Eine Standortbestimmung 2010     19

To care about ...
Universitäre Zukunftsstrategien für die Nachwuchsförderung

 E
        in gut ausgebildeter wissenschaftlicher    dass sie - sofern sie an ihren Traditionen festhalten wol-
        Nachwuchs gehört zum Wertvollsten,         len - nicht umhin kommen, Konzepte für parallele Karrie-
        das die Universitäten - insbesondere       rewege zu entwickeln, die unterschiedlichen Regeln und
 die öffentlich finanzierten - neben der Ausbil-    Standards gehorchen. Während sich der akademische
 dung der Studierenden der Gesellschaft zu-        Arbeitsmarkt nach internationalen Normen richtet, die
 rückgeben können, sozusagen als Return on         nicht mehr von den einzelnen Ländern, sondern von ei-
 Investment. Die Frage, die im Zusammenhang        ner weltweiten wissenschaftlichen Community definiert
 mit der Förderung des wissenschaftlichen          werden, befinden sich neuartige und moderne PhD-
 Nachwuchses in den letzten Jahren allerdings      Konzepte für den nicht-akademischen Arbeitsmarkt erst
 immer häufiger gestellt wurde, ist diejenige       in Entwicklung.
 nach der besten Förderung und insbesonde-         Damit Karrieren gelingen, sind klare Spielregeln und
 re danach, wie sich im Rahmen der Bologna-        realistische Perspektiven eine Voraussetzung. Damit
 Reformen die PhD-Programme als dritter und        gekoppelt ist auch eine intensive Auseinandersetzung
 letzter Studienabschnitt entwickeln sollen. Auf   der Fakultätsmitglieder mit den jungen PhD-Studenten
 diese Frage gibt es keine einfache Antwort:       und Studentinnen, ein Unterstützen und Motivieren
 Die Förderung des wissenschaftlichen Nach-        der jungen Leute, um ihnen den anspruchsvollen und
 wuchses muss bereits auf Doktoratsstufe           schwierigen Weg etwas zu vereinfachen. Denn sind die
 differenziert angegangen werden, denn eine        Spielregeln und Perspektiven klar, kann sich der Nach-
 typische, öffentlich finanzierte Universität in    wuchs darauf einstellen, Planbarkeit ist gegeben und
 Kontinentaleuropa befindet sich hier in einem      Frustrationen werden vermieden. Diese Verantwortung
 Dilemma! Dieses besteht in erster Linie darin,    kann den Universitären und Fakultäten nicht abgenom-
 dass die meisten Universitäten sowohl promo-      men werden!
 vierte Nachwuchskräfte für den akademischen
 Arbeitsmarkt als auch für den nicht-akade-
 mischen Arbeitsmarkt ausbilden müssen. Der
 Grund für diese Parallelität ist in der europä-
 ischen Tradition zu suchen, die dafür verant-
 wortlich ist, dass in vielen Ländern Europas
 der Doktortitel bzw. die Promotion immer noch
 eine Bedingung ist, um höchste Führungspo-
 sitionen in Wirtschaft und Gesellschaft wahr-
 nehmen zu können. Im Vergleich zu den Ver-
 einigten Staaten, wo die Eliteuniversitäten der
 Ivy-League im Wesentlichen nur für den aka-
 demischen Arbeitsmarkt ausbilden, gestaltet         Professor ANDREA SCHENKER-WICKI
                                                     ist Mitglied des Österreichischen
 sich diese Aufgabe in Europa komplexer. Für         Wissenschaftsrates
 unsere Universitäten bedeutet dies konkret,
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