Zu Gast auf Erden 2021/22 - Friesenkapelle.de

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Zu Gast auf Erden 2021/22 - Friesenkapelle.de
WINTER
        2021/22
                                                                Zu
                                                               Gast
                                                                auf
                                                               Erden

Was es heißt, ein Gast zu sein
// Editorial
Kritische Töne
// von Henning Sieverts
Fotostory                        JOURNAL DER KIRCHENGEMEINDE NORDDÖRFER
// Drehort Friesenkapelle
Zu Gast auf Erden 2021/22 - Friesenkapelle.de
Weisheit
Unsere Themen                                                                    des MOMENTS
                                                                       Im tiefsten W
                                                                                     inter fand ic
3    EDITORIAL                                                              dass ich tief           h heraus,
                                                                                           in mir einen
                                                                         unsterbliche
5    NACHRICHTEN                                                                         n Sommer tr
                                                                                                       ug.
                                                                                    Albe       rt Camus
6    DIE STILLEN HELFER: Tania Langmaack
9    6 FRAGEN AN: Die FSJler
12   FOTOSTORY: Dreharbeiten in der Kirche                  Impressum
16   IM GESPRÄCH: Fritz Hermann                             Herausgeber:          Kirchengemeinderat Norddörfer // Bi Kiar 3
                                                                                  25996 Wenningstedt-Braderup
20   WAS MACHT EIGENTLICH...                                                      www.friesenkapelle.de
24   IM INTERVIEW: Henning Sieverts                                               norddoerfer-kirchenbuero@t-online.de
                                                            Redaktion:            Imke Wein // imke@fofftein.net
29   IMMER WIEDER                                                                 Tel. 0162 1000925
30   DER CLUB: Die jungen Seiten                            Autoren:              Rainer Chinnow // Imke Wein
                                                            Layout & Produktion: Anja Buchholz
32   EIN KESSEL BUNTES
                                                            Ansprechpartner:      Rainer Chinnow
33   TERMINE                                                                      Tel. 04651 889 25 00 // 0170 207 52 27
                                                                                  Kathrin Wenzel
                                                                                  Tel. 04651 836 29 64 // Fax 04651 889 25 22
                                                            Fotos:                Niklas Freudewald // Maike Hüls-Graening //
                                                                                  Frank-Uwe Hermann // Ralf Meyer // Sabine
                                                                                  Priebe // Tini Schluck // Wolfgang Schmidt //
                                                                                  Lars Schmidt // Oliver Strempler // Imke Wein //
                                                                                  Kathrin Wenzel // Katrin Wenzel-Lück //
                                                                                  shutterstock.com
                                                            Druck & Verarbeitung: Eurodruck, Hamburg,
                                                                                  www.eurodruck.org

                                   Norddörfer Kirchengemeinde:                   Stiftung „Üüs Serk“
     Spendenkonten                 IBAN DE79 2179 1805 0000 2209 30              IBAN DE90 2179 1805 0000 0009 30
                                   BIC GENODEF1SYL                               BIC GENODEF1SYL

                        Bi Serk – das Journal der Norddörfer Kirchengemeinde erscheint im Frühjahr und im Winter mit einer
                        Auflage von 3.000 Stück, im Sommer umfasst die Auflage 4.000 Exemplare. Bi Serk wird zudem als E-Jour-
                        nal elektronisch versandt und steht zum Download auf der Webseite www.friesenkapelle.de bereit.
Zu Gast auf Erden 2021/22 - Friesenkapelle.de
Liebe Freunde der
Norddörfer Kirchengemeinde!
ZU GAST AUF ERDEN
Es war weihnachtlich geschmückt in            den Aperitif des Hauses. „Wo hast du den
unserem Lieblingsrestaurant. Es roch nach     Spruch denn her?“ fragte Isabelle. „Von
frischen Tannen. Wichtel standen auf den      Martin Luther. Dachte, das passt, wenn wir
Tischen. Kerzen brannten. Am Eingang          in einer Runde mit einem evangelischen
wurden wir herzlich begrüßt, strahlende       Pastor zusammensitzen!“ Stefan lächelte.
Augen, ein breites Lächeln. Endlich wieder
zuhause!                                      Als die Getränke an den Tisch kamen,
Wir, das waren mein Kindergartenfreund        ergriff Isabelle das Wort: „Auf einen fröhli-
Stefan und meine Kindergartenfreundin         chen Abend mit uns drei Erdengästen!“
Isabelle. Wir hatten uns dank des Internets   Die Gläser klangen, wir tranken. Und
nach Jahrzehnten vor ein paar Jahren an       Stefan sah Isabelle an: „Erdengäste, das
einem Dezemberabend wiedergetroffen.          klingt jetzt aber nicht besonders fröhlich.     Unbewohnt. Und ist es nicht das, was das
Seither war das Adventstreffen zu einem       Höre ich da Wehmut raus?“                       Wort Gast sagt?“
festen Termin im Jahreskalender geworden.     Isabelle schaute uns beide an und begann
                                              zu erzählen. „In den letzten anderthalb         „Ja“, sagte Stefan, „das ist das Wesen des
Stefan hatte es als Arzt in die Schweiz                                                       Gastes: Dort, wo er verweilt, ist er nur
verschlagen. Nahe Zürich lebte er mit sei-    Gastfreundschaft                                vorübergehend. Ein Urlauber, ein Zugereis-
ner Frau in einem Haus mit Seeblick. Das      besteht aus                                     ter, ein Fremdling, der nicht dazugehört. So
jüngste Kind studierte noch in den USA,       ein wenig Wärme,                                geht es mir und meiner Frau manches Mal
die drei anderen lebten glücklich in Van-
couver, Hongkong und München. Isabelle
                                              ein wenig Nahrung                               noch immer in der Schweiz. Obwohl wir
                                                                                              schon seit fast dreißig Jahren dort wohnen,
war nach dem Psychologiestudium erfolg-       und großer Ruhe.                                Freundschaften geschlossen haben, ist da
reiche Unternehmensberaterin geworden.        – Ralph Waldo Emerson                           eine Distanz. Wir bleiben die Deutschen.
Sie war gerade zurückgekehrt von einer                                                        Meine Frau denkt jetzt, da der Ruhestand
Auszeit, die sie sich nach der Trennung von   Jahren habe ich mich häufig als Gast            immer näher rückt, ernsthaft darüber nach,
ihrem Partner genommen hatte.                 gefühlt. Als Norbert mich verlassen hat,        zurück in den Norden zu gehen. Aber
                                              blieb ich im Haus wohnen. Er hat mir alles      das ist ja noch etwas anderes, als sich im
„Man sollte den Gästen einen guten            dagelassen. Nur einen Koffer gepackt            eigenen Haus fremd zu fühlen. Bist du das
Trunk geben, damit sie fröhlich werden!“      und ist zu seiner Neuen gezogen. Als ich        Gefühl inzwischen losgeworden?“
sagte Stefan und bestellte für uns drei       allein im Haus war, fühlte es sich fremd an.
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4                                 EDITORIAL

Isabelle antwortete: „Das Gefühl Gast,         Ralph Waldo Emerson sagen: ,Gastfreund-         uns im Herzen berührt, ist für mich eine
eigentlich heißt es richtig: Gästin zu sein,   schaft besteht aus ein wenig Wärme, ein         Erinnerung an dieses ,Wir sind zu Gast auf
ist nicht einfach verschwunden.“               wenig Nahrung und großer Ruhe.‘ Das             Erden!‘“
„Jetzt hör aber auf. Das Wort Gästin           haben mir meine Freunde gegeben. Und
gibt es doch gar nicht! Da willst du uns       sie haben sich Zeit genommen.“                  Isabelle nickte leicht. Das Essen wurde
beiden Männer doch nur gendermäßig                                                             serviert. Getränke nachgefüllt. Stefan
provozieren“, unterbrach Stefan. Isabelle      „Hat es dich wieder zu dir selbst finden        stand auf und nahm das Glas. „,Gast-
lächelte. „Wenn es so wäre, hätte ich bei      lassen? Oder hast du dich weiterhin wie         freundschaft ist die Kunst, seine Besucher
Dir schon mal Erfolg gehabt. Tatsächlich       eine Fremde gefühlt?“                           zum Bleiben zu veranlassen, ohne sie am
aber ist „Gästin“ über Jahrhunderte die        Isabelle stockte. „Ich glaube, das sind für     Aufbruch zu hindern.‘ So lasst uns denn
weit verbreitete weibliche Bezeichnung         mich Alternativen, keine Fragen mehr.           nach so viel Tiefsinn die Stunden als Gäste
des Wortes Gast gewesen. Selbst im             In den letzten Monaten konnte ich endlich       und Gästin miteinander genießen.“
Grimmschen Wörterbuch von 1878 findet          reisen. Ich war in Kroatien und Italien. Vor
es sich wieder. Erst danach verschwindet es    drei Monaten dann bin ich eine Strecke          Und so war es. Wir haben viel gelacht,
im Sprachgebrauch.“                            des Jakobsweges gelaufen. Es hat mich tief      geredet, hin und wieder sogar eine Träne
                                               berührt. Und mehr als je zuvor habe ich         vergossen.
„Okay, okay“, murmelte Stefan. „Ich habe       das Gefühl, eine Erdengästin zu sein! Und
gegen das Gefühl, Gästin zu sein, ange-        ich bin damit einverstanden.“                   Viele Momente, in denen Ihr Euch
lebt“, begann Isabelle ihre Geschichte         Stefan schwieg. Isabelle schaute mich an.       willkommen fühlt und andere will-
fortzusetzen, „Ich habe fast das ganze         „Kannst du mich verstehen, Rainer?“             kommen heißt, wünscht Euch
Haus renoviert, fast alle alten Möbel          „Vielleicht. Ja. Es trifft mein Gefühl, dass
verkauft, verschenkt oder entsorgt. Neu        wir hier auf Erden nur zu Gast sind. Unsere
eingerichtet. Es sieht jetzt sehr gut aus.     eigentliche Heimat ist bei Gott. Wir sind
Wie eine Bewerbung für schönes und             seine Kinder. Er hat uns mit unserer Geburt
modernes Wohnen. Dann habe ich mich            hier auf Erden eine Zeitspanne Leben            Pastor Rainer Chinnow
eingeladen bei Freunden und Bekannten.         geschenkt. Wir Menschen sind Gäste.
Viele haben mir abgesagt wegen Corona.         Keine Urlauber. Aber irgendwie bleiben wir
Doch einige Freunde haben mir sehr gut         gefühlt Fremdlinge, weil wir – mal mehr,
getan.“                                        mal weniger – wissen, dass wir diese
                                               Erde einst verlassen müssen. Dann kehren
Ich fragte: „Fühltest du dich dort aufgeho-    wir wieder zu Gott in die ewige Heimat
ben oder hattest du auch dort das Gefühl,      zurück. So hat er es selbst in Jesus Christus
nur Gästin zu sein?“                           auch getan: Er ist vom Himmel auf die
Isabelle antwortete: „Ich will es mit          Erde herabgekommen und zurück in den
Worten des Philosophen und Schriftstellers     Himmel aufgestiegen. Jeder Abschied, der
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NACHRICHTEN                                  5

                                                        Trauungen
                                                        Andreas Paul Treusch von Buttlar
                                                        und Anna Katharina Viessmann, München
                                    Taufen              Keyawasch und Jana Ghodrati, geb. Bitenc, Dortmund
                                                        Jesse und Jana-Charlotte Schmuck,
    Lucian Vincent Matteo Krebber, Baden Baden          geb. Michel-Weidenthal, Flensburg
                     Chiara Schubert, Sylt / Tinnum     Stefan Dörge und Julia Dörge-Ortlepp,
Maximilian Carl Victor Silverkant, Oslo (Norwegen)      geb. Brandes, Hildesheim
                               Jakob Roth, Rösrath      Johanna und Oliver Zlobinski, geb. Kröger, Stuhr
                    Robin McGowan, Schauenburg          Jan und Nathalie Carlsen, geb. Neumann, Kiel
                    Matti Henrik Prestel, Uhingen       Dr. Götz und Dörthe Friederike Kawalla, geb. Dyck, Gifhorn
                Simona Maria Schwarz, Nickenich
               Justus Frederik Schäfer, Bad Soden
                            Lara Bartzen, Hamburg       Segnungen
          Alexander Laurin Kunstmann, Rellingen         Hans-Joachim Reier und Martina Melville, Berlin
                 Lotta Mathilda Heinsen, Kampen         Dr. Andreas und Claudia Horn, Göppingen
                      Leni Maria Behrens, Hörnum
                Oscar Emil Kawalla, Braunschweig        Goldene Hochzeit:
             Fiona Luisa Henkel, Horgen (Schweiz)       Frank und Karin Heutger, Wächtersbach
                                                        Claus und Ingrid Albrecht, Aalen
                                                        Hartmut und Marianne Böhme, Bamberg
                            Todesfälle
           Annegret Schier, 82 Jahre, Wenningstedt
         Barbara Koch, 77 Jahre, Sylt OT Westerland
            Birgit Lanz, 76 Jahre, Sylt OT Westerland
           Kurt Schulz, 93 Jahre, Sylt OT Westerland
              Karin Leißner, 87 Jahre, Wenningstedt
          Karin Jürgensen, 80 Jahre, Wenningstedt
          Mike Nissen, 47 Jahre, Sylt OT Westerland
          Brigitte Smiatek, 68 Jahre, Landesbergen
     Anna Echterhoff, 100 Jahre, Sylt OT Westerland
     Herbert Roßmann, 89 Jahre, Sylt OT Westerland
       Holger Sieverts, 80 Jahre, Sylt OT Westerland
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6                    DIE STILLEN HELFER

 TANIA LANGMAACK VOM „CAFÉ WIEN“

„Diese Gemeinde
 ist ein Stück Heimat“
 Tania Langmaack, ihre Mutter Ingrid und ihre

                                                        U
 drei Kinder Tom, Bent und Janna passen ganz
                                                                    nd da sind wir schon bei der Schnittmenge dieses
 wunderbar in diese Ausgabe, denn sie widmen
                                                                    Sylter Unternehmens und der Institution der
 einen Großteil ihres Lebens der Aufgabe, gute                      Norddörfer Kirchengemeinde. Die Mitarbeiter
 Gastgeber zu sein. In ihrem Unternehmen, dem                       schaffen es beiderorts mit viel Herzblut, anderen
 „Café Wien“ in Westerland und der Schokola-            einen Ort zu schenken, an dem sie sich aufgehoben und
 denmanufaktur in Tinnum, praktizieren sie Will-        wahrgenommen fühlen.
 kommenskultur vom Feinsten. Nämlich so, dass
 man sich hier, in einem öffentlichen Gastraum,         Auch in vielen anderen Belangen ist die Beziehung zwischen
 zuhause fühlt, auch wenn man gleich wieder             Kirche und „Café Wien“, aber auch zwischen Wirtin und Pastor,
                                                        bedeutsam: „Als Jugendliche bin ich, ehrlich gesagt, lieber bei
 weg muss.
                                                        den Freizeiten des Westerländer Sportvereins mitgefahren als bei
 Der Drei-Generationen-Betrieb beschert dieses
                                                        denen der evangelischen Kirchengemeinde“, gibt die gebürtige
 seltene Gefühl von Beheimatung all denen, die          Westerländerin gerne zu.
 dafür empfänglich sind. Unabhängig davon, wo
 sie herkommen oder hingehen. Ob sie Sylter             Eine innige Beziehung zur Pastorenfamilie und auch zur Kirche
 sind oder Urlauber. Das gelingt dem Betrieb seit       entstand bei ihr erst Ende der 90er Jahre, als die Chinnows neu
 55 Jahren mit konstanter Freude an der großen          waren im Dorf und Tania mit ihrer Familie an die Wenningstedter
 Aufgabe und immer neuen Ideen. Das Seelen-             Hauptstraße zog. „Cora, die jüngste Tochter von Rainer, und mein
                                                        Bent waren gut befreundet. Es entstand eine Freundschaft unter
 wärmer-Repertoire auf der Karte, die Tees, die
                                                        Eltern und Nachbarn. Heute ist Rainer einer meiner loyalsten
 40 verschiedenen Torten, die 330 Schokosorten,
                                                        und zuverlässigsten Freunde, die ich habe. Er ist immer da, wenn
 die Pralinen, die deftigen Gerichte und all die        ich ihn brauche. Manchmal noch bevor ich es selber weiß. Er ist
 anderen guten Dinge tun ihr Übriges. Kein Wun-         auch meine letzte Instanz, wenn ich Rat benötige oder mir mal
 der, dass so viele Menschen von überall her die-       der Kopf gewaschen werden muss“, formuliert Tania Langmaack
 ses Gesamtpaket suchen.                                ihre ganz besondere Beziehung zu Pastor Chinnow.
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7

Da sie selbst zwar die Rituale, die         Kirche ist für sie ein Stück dörfliche    Zu einem der Rituale zwischen den
Werte und die Gemeinschaft stiftende        Kultur,     lebendiges     Miteinander    Langmaacks und dem Pastor gehört,
Wirkung der christlichen Kirche schätzt,    und Einkehr. „Heiligabend ohne            dass Rainer sich partout erst an die
sich aber als „kritische Agnostikerin“      Gottesdienst in der Friesenkapelle,       Anzahl der Akteure erinnert, wenn der
bezeichnet, steht und fällt für sie die     das ist für keinen von uns denkbar. Ich   Gottesdienst schon angefangen hat.
Qualität von Gemeindearbeit mit             glaube, dass die großen christlichen      „Tom fährt dann immer los und besorgt
dem Faktor Mensch. Und in diesem            Kirchen nur dann eine Zukunft haben,      noch schnell die Tüten. Das ist mal aus
speziellen Fall ganz klar mit dem Spirit,   wenn sie sich wie hier bei uns in         einem Vergessen entstanden und hat
den Rainer Chinnow und sein Team            Wenningstedt als Gemeinschaft der         sich inzwischen zu einem Running-Gag
am Dorfteich kultiviert haben. „Hier        christlichen Werte verstehen – ohne       entwickelt“, meint Tania, die immer für
begegnet man sich auf Augenhöhe             jedes Dogma.“                             alles zu haben ist, was nicht der Norm
und stets mit Gutem im Sinn. Eine                                                     entspricht. Wenn es an irgendetwas
Gemeinschaft, in der alle gleichwertig      Und jetzt mal zu Tania Langmaacks         mangelt, wenn eine Trauergesellschaft
sind – trotz aller Verschiedenheit.         Engagement in der Gemeinde. „Das ist      nicht so gut bei Kasse ist oder sonst
Das mag ich sehr“, versichert die           doch gar nicht der Rede wert“, meint      schnell ein Geschenk fehlt, sind die
Unternehmerin, die die Philosophie der      sie dazu bescheiden. Doch, ist es wohl,   Langmaacks mit ihrem Riesensortiment
Toleranz und der Herzenswärme auch          finden wir. Jedes Jahr spendiert das      sofort am Start. „Die ganze Familie
in ihrem Unternehmen lebt.                  „Café Wien“ zum Beispiel den Akteuren     besitzt diese Großzügigkeit, die von
                                            des Krippenspiels eine Präsent-Tüte.      Herzen kommt und eine große Freude
                                                                                      an Spontanität. Das passt so gut zu
                                                                                      dem, wie es hier bei uns so läuft. Nicht
                                                                                      immer perfekt, aber schön lebendig“,
                                                                                      sagt der Pastor dankbar. Er hat alle
                                                                                      drei Langmaack-Kinder getauft, als
                                                                                      die Uroma Anfang der 90er Jahre
                                                                                      noch lebte und als Oliver Strempler als
                                                                                      Kirchenmusiker ganz neu war in der
                                                                                      Kapelle am Dorfteich. Einschulungen,
                                                                                      Konfirmationen – Bilder aus der
                                                                                      Friesenkapelle sind eine feste Größe in
                                                                                      der Langmaackschen Familienchronik.
                                                                                      Als Jugendliche waren die drei Jüngsten
                                                                                      natürlich auch liebend gern mit von der
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8   DIE STILLEN HELFER

Partie auf den Fahrten nach Polen und
nach Lech.

Als Familienoberhaupt Willi, Tanias
Vater, 2018 verstarb, war Rainer sofort
zur Stelle, um die Angehörigen zu
trösten. Den Trauergottesdienst konnte
er dann zu seinem großen Bedauern
nicht halten, weil er zur Synode musste.
„Mein Vater vertrat ja immer voller
Überzeugung, dass man dort zur Kirche
gehört, wo man lebt. Für ihn war es
daher bestimmt nur konsequent, dass
er in Morsum von der damals neuen
Pastorin Christiane Eilrich beerdigt
wurde. Das war alles ganz wunderbar,
so, wie es war.“ Fast alle Inselpastoren
waren und sind übrigens Stammgäste
in ihrem Caféhaus in der Strandstraße
– einschließlich der katholischen und
der dänischen Geistlichen. „Das ist
ein großes Kompliment. Aber wenn
es darum geht, wo ich ein seelisches
Zuhause gefunden haben, dann ist es
die Norddörfer Kirchengemeinde –
denn das Gefühl ist selten. Ich spüre es
nur an wenigen Orten auf der Welt.“
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6 FRAGEN   9

…AN DIE „ZIVIS“

Ein
Fall
für
Zwei
Svea Mauer und Lena Westermann
sind seit dem Sommer „unterwegs
im Namen des Herren“. Das starke
Frauen-Duo hilft älteren Gemein-
demitgliedern beim Einkauf, bei
Behördengängen      und     zuhause,
richtet den Gemeindesaal für alle
Veranstaltungen her, begleitet die
außerordentlichen Gemeinde-Pro-
jekte und hilft auch am Sonntag
bei den Gottesdiensten, wann im-
mer Hilfe gebraucht wird. Die bei-
den Abiturientinnen sind die aktu-
ellen „Zivis“ (eigentlich heißt es
natürlich schon lange FSJlerinnen)
der Kirchengemeinde und machen
einen verdammt guten Job… Wir
haben ihnen getrennt voneinander
ein paar Fragen gestellt.
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10                                   6 FRAGEN

Was ist an Sylt so ganz an-                 SVEA: Natürlich muss man sich erstmal       sonst nicht weiterkommt. Oft muss ich
ders, als Ihr erwartet habt?                an vieles gewöhnen und manche Sa-           mich daran erinnern, eins nach dem
                                            chen neu lernen, aber genau das ist es,     anderen zu erledigen und zu akzeptie-
Lena: Die Insel ist noch familiärer, als    was auch Spaß macht und mich erfüllt.       ren, dass man nicht überall gleichzeitig
ich dachte. Schnell kennt man viele Ein-    Das Zusammenleben in der WG klappt          helfen und auf alle Wünsche eingehen
heimische und wird miteingebunden           super und wir meistern auch die vol-        kann. Aber auch das ist in den letzten
und integriert. Da ist es gleich noch       leren Arbeitstage zusammen sehr gut         zwei Monaten schon sehr viel besser
viel schöner, einkaufen zu gehen und        und haben dabei wirklich viel Spaß. Ich     geworden.
immer mal wieder auf einen Schnack          persönlich weiß es sehr zu schätzen,
stehen zu bleiben.                          dass wir den Alltag zu zweit angehen        Und was ist die größte
                                            dürfen. Außerdem hat das Team, was          Freude?
SVEA: Quasi alles und nichts. Also einer-   wir hier haben, sehr dabei geholfen,
seits ist natürlich vieles neu und auch     sich direkt wohl zu fühlen und sich so-     Lena: Die familiäre Gemeinschaft im
unerwartet, andererseits fühle ich mich     mit auch schneller einzugewöhnen. Der       Team und der liebevolle Umgang mit-
hier so wohl, dass es mir vorkommt, als     liebevolle Umgang zwischen allen trägt      einander. Jede*r ist für jede*n da. Es
wäre das genau das, was ich mir vorge-      einen durch den Tag!                        macht mich selbst total glücklich, wenn
stellt oder erwartet habe, als ich mich                                                 ich andere Menschen, zum Beispiel die
hier beworben habe. Allerdings hat          Was ist an Eurer neuen                      Senioren, mit einem gemeinsamen Ein-
tatsächlich vieles meine Erwartungen        Lebenssituation die größte                  kauf, glücklich mache. Ich habe mich
übertroffen!                                Herausforderung?                            hier von Anfang an zuhause gefühlt
                                                                                        und schätze das Miteinander sehr!
Ihr meistert nicht nur                      Lena: Am Anfang musste man erst ein-        SVEA: Der direkte Kontakt zu den
Euren ersten Ganztages-                     mal einen Rhythmus für die Arbeit und       Menschen. Es macht mich total glück-
Job, Ihr lebt auch erstmals                 den Haushalt finden und überlegen,          lich, wenn ich sehe, dass man durch
selbstständig und mitei-                    wann man was organisatorisch am             Ausflüge oder Gespräche mit den Se-
nander in einer WG. Wie                     besten macht, aber der Rhythmus kam         nioren deren ganzen Tag verändern
funktioniert das für Euch?                  dann mit der Zeit und jetzt ist auch die-   kann! Außerdem ist der Umgang hier
                                            se Herausforderung keine mehr.              mit allen total liebevoll und man lernt
Lena: Es funktioniert super! Wir sind                                                   viele interessante und wunderbare
innerhalb kürzester Zeit zu einem Team      SVEA: Manchmal ist es für mich noch         Menschen kennen! Nicht zu vergessen
geworden, ergänzen uns, halten zu-          schwierig, nicht immer das große Gan-       ist natürlich die Strandnähe, die einem
sammen, helfen uns gegenseitig und          ze, also alle zu erledigenden Aufgaben      ermöglicht, nach einem vollen Arbeits-
lachen ganz viel!                           der Woche im Kopf zu haben, sondern         tag noch einen Strandspaziergang zu
                                            Schritt für Schritt vorzugehen, weil man    machen, egal bei welchem Wetter.
11

Habt Ihr schon eine ganz                                        Vergesst die Gastfreundschaft nicht.
klare Vorstellung von dem,
                                                          Durch die haben manche, ohne es zu wissen,
was Ihr nach Eurem Sylt-
Jahr machen wollt?                                            Engel beherbergt. – Aus der Bibel // Hebräer, 13: 1-2

Lena: Ich habe noch keine ganz klare       und darf nun auch mal „hinter die        hier verbringen zu können. Es ist natür-
Vorstellung, möchte aber auf jeden         Kulissen“ dieser Insel schauen. Man      lich ein anderes Gefühl, als hier Urlaub
Fall in den sozialen Bereich gehen und     nimmt sich selbst nun nicht mehr als     zu machen, weil viele Orte eben nicht
mit Menschen zusammen arbeiten. Ich        Urlauberin, sondern als Einheimische     für Freizeitaktivitäten, sondern für die
kann mir gut vorstellen, Richtung Reli-    wahr. Es ist super spannend zu sehen,    Arbeit angefahren werden. Aber trotz-
gionspädagogik oder katholische Theo-      wie vernetzt die Insel ist.              dem nehme ich Sylt immer noch als
logie zu gehen und später als Lehrerin     Besonders spannend ist es, wenn mir      einen Ort der Entspannung wahr. Dazu
und / oder in der Gemeindearbeit tätig     die Senioren erzählen, wer mit wem       kommt, dass es spannend ist, beispiels-
zu werden.                                 verwandt ist und ich oft das Gefühl      weise von den Senioren so viel über
                                           bekomme, dass die Insel eine große       die Geschichte der Insel und der Ein-
SVEA: So gerne ich auch jetzt schon hier   Familie ist.                             heimischen zu erfahren, dass man sich
bleiben möchte, habe ich vor, Germa-                                                wirklich einheimisch fühlt und man die
nistik und Philosophie zu studieren. Da-   SVEA: Ich genieße es sehr, dieses Jahr   Gemeinschaft untereinander spürt!
nach würde ich beruflich gerne in den
journalistischen Bereich gehen, aber
ich habe noch keine genauere Vorstel-
lung. Außerdem möchte ich im Moment
auch einfach gucken, was so auf mich
zukommt und wie sich meine Interes-
sen vielleicht auch noch verändern oder
erweitern, egal, ob während des Jahres
hier oder während des Studiums.

Wie empfindet Ihr die
Insel Sylt, wenn man hier
arbeitet und lebt?

Lena: Ich habe eine ganz andere Vor-
stellung vom Inselleben bekommen
12                DIE FOTOSTORY

DIE DREHARBEITEN ZUM KRIPPENSPIEL-FILM

„Und Action!“
Wenn es nicht so laufen kann wie gewohnt, dann machen wir es eben anders…
Das Prinzip Improvisation – das haben viele Menschen in den letzten 20 Monaten zur Perfektion
gebracht. Kirchenmusiker Oliver Strempler übte sich unter Pandemiebedingungen ganz besonders
in dieser Kunst.
Mit ein paar technischen Neuanschaffungen hat er seit dem ersten Lockdown Videoandachten aufge-
nommen, geschnitten und in die Welt geschickt, die sich hinter keinem Anspruch verstecken müssen.
Die Idee, auch das Krippenspiel in Form eines Films zu inszenieren und dann online zu zeigen, erwies
sich vergangenen Winter als vorausschauend: Denn am Ende gab es am Heiligabend 2020 keine
Gottesdienste. Für die Weihnachtsbotschaft und schöne Stimmung sorgte in vielen Familien unter
anderem das zauberhafte Spiel der Vorkonfirmanden – aufgezeichnet bereits im September. Auch
in diesem Jahr machten sich die „neuen Konfis“ mit der Unterstützung von Jugendarbeiterin Tini
Schluck und Oliver Strempler als Regisseur rechtzeitig daran, einen Krippenspielfilm zu drehen. Wenn
auch dieses Jahr am Heiligabend hoffentlich wieder gemeinsam in der Kirche gefeiert werden wird.
Aber: Sicher ist sicher. Am zweiten von zwei Drehtagen war Bi-Serk-Autorin Imke Wein für die finale
Szene im Stall mit von der Partie beim Dreh in der Friesenkapelle.

                                                                Um dieses kleine Bündel dreht es sich alles
                                                                in der Weihnachtsgeschichte: In der Friesen-
                                                                kapelle hat sich eine konventionelle Baby-
                                                                puppe in moderner Sternen-Windel in der
                                                                Rolle des Mini-Jesus seit Jahren bewährt.
13

                                                                            Bei der Anprobe: Yul, Ben und Levi
                                                                            stimmen sich mit einer angenehmen
                                                                            Portion Spaß an der Freude auf ihre
                                                                            Rollen als Hirte bzw. Engel ein.

Vor jeder Szene bespricht Regis-
seur Oliver Strempler mit seinen Ak-
teuren, worum es in der nächsten
Szene auch atmosphärisch gehen
wird. „Ersatz-Wirtin“ Jule geht den
Text durch und die beiden einigen
sich auf die passende Intonation,
wenn Jule dann gleich das Jesus-
Kind, Maria und Josef im Stall besu-
chen wird. Eigene Regie-Ideen der
Konfis? Jederzeit willkommen!

                                                                 Puh – Dreharbeiten sind mühsam und erfor-
                                                                 dern vor allem auch Geduld. Einen realen Ein-
                                                                 blick in den Alltag von Filmschauspielern beka-
                                                                 men die Vor-Konfirmanden bei diesem Projekt.
                                                                 Wirtin und Hirte üben ihren Weg zur Krippe bei
                                                                 einer Stellprobe.

                                       Stimmt der Ton?
                                       Liegt das Mikro richtig? Ist alles gut ausgeleuchtet? Bevor die finale Sze-
                                       ne im Krippenspiel abgedreht werden kann, sind reichlich Vorarbeiten
                                       nötig. Hinten links: Niklas Freudewald, FSJler a.D., ist extra gekommen,
                                       um bei den Dreharbeiten zu assistieren. Er ist der Aufnahmeleiter, springt
                                       aber bei der Stellprobe flugs auch mal für einen Akteur ein.
14                   DIE FOTOSTORY

                              Nach dem fünften Anlauf ist
                              die Szene im Kasten. Mega ge-
                              macht: Luke-Paul alias Josef und
                              Pauli als Maria waren textsicher
                              und haben ihre Rollen glaubhaft
                              verkörpert. Völlig verständlich,
                              dass es für Jung-Schauspieler
                              manchmal gar nicht so einfach
                              ist, die Contenance zu wahren,
                              wenn man stundenlang auf
                              Strohballen an einer Krippe mit-
                              ten in der Kirche sitzt.

                                                                 Der Rest des Ensembles hat sich inzwischen
                                                                 so gut es geht die Zeit des Wartens auf ihren
           „So, Leute!                                           Einsatz vertrieben. Beispielsweise mit Grimas-
        Fast geschafft.                                          sen schneiden. Vieles ist am Drehort möglich –
Jetzt brauchen wir nur                                           Hauptsache es erzeugt keine Geräusche, damit
    noch den musikali-                                           die Dreharbeiten nicht gestört werden. Heraus-
schen Abschluss, dann                                            forderung souverän bewältigt.
    ist der Film fertig.“
Niklas erweist sich als
     Motivations-Genie
            erster Güte.

                            Für den Schlusspart des Films
                            machen Oliver und Niklas die
                            Technik startklar. Performed wird
                            „Kommet Ihr Hirten!“… aber so
                            ganz anders als man es klassisch
                            erwarten würde. Das hochverehr-
                            te Publikum am heimischen Bild-
                            schirm darf gespannt sein.           Der Chor probt seinen Part auf der Empore.
15

Oliver Strempler weist das Ensemble                        Gar nicht so einfach: Schnippen, klatschen
in den Verlauf des musikalischen Finales ein.              und den richtigen Einsatz im Refrain finden.

                                                                                      Wo kann man den
                                                                                      Krippenspielfilm
                                                                                      anschauen?
                                                                                      Zu sehen ist der Krippenspiel-
                                                                                      film Vol. 2 kurz vor Heiligabend
                                                                                      auf dem Youtube-Channel der
                                                                                      Friesenkapelle. Live wird es das
                                                                                      Krippenspiel am 4. Advent bei
                                                                                      der Kinderkirche geben und bei
                                                                                      einem der Gemeindenachmitta-
                                                                                      ge im Advent. Wie immer hängt
                                                                                      aber alles von den dann gültigen
                                                                                      Covid-Bestimmungen ab. Auch in
                                                                                      diesem Jahr sind noch kurzfristige
                                                                                      Entscheidungen gefragt!

Halleluja…
der Song ist im Kasten! Jetzt wird Oliver sich daran machen, die Resul-
tate aus neun Drehstunden an zwei Herbstnachmittagen zu schneiden
und zu einem exzellenten Krippenspiel zusammenzuführen.
16                       IM GESPRÄCH

KIRCHENGEMEINDERAT FRITZ HERMANN

Zu-Gast-sein
hat viele Gesichter

Mit Wenningstedts Küster a.D. Fritz
Hermann ist es stets eine Freude,
über das Leben zu philosophieren.
                                      G              anz erheblich beschäf-
                                      tigt ihn das Thema des Vergängli-
                                      chen, des Zu-Gast-Seins auf dieser
                                                                              war. Sie war voller Dankbarkeit für
                                                                              ihre erfüllte Zeit als Gast auf dieser
                                                                              Welt, für unsere Familie und auch für
Zum Thema dieser Ausgabe –            Welt, weil Fritz Hermann im Mai         unsere 59 gemeinsamen Ehejahre.
„Zu Gast auf dieser Welt“ – ist der   Witwer geworden ist. Mit seiner         Natürlich schmerzte es, diese Erde
                                      geliebten Frau Elise tauschte er sich   zu verlassen, wenn man so gerne
Austausch in seinem lichtdurch-
                                      immer wieder und auch noch ganz         lebte wie Elise. Aber sie wusste, dass
fluteten Wohnzimmer besonders
                                      am Ende ihres Lebens intensiv über      sie sterben musste – und sie ist den
anregend und berührend, weil es       die Kostbarkeit des Daseins auf die-    Weg bewusst gegangen. Ohne zu
aus gleich drei Gründen sehr viel     ser Erde aus. „Elises Abschied von      verdrängen. Dadurch, dass sie in
mit ihm und mit seiner jüngsten       dieser Welt war so vorbildlich, wie     ihrem Glauben so unerschütterlich
Lebenssituation zu tun hat.           sie es in allen Belangen des Lebens     war, hatte sie kaum Angst. Denn sie
17

war sicher, in den Himmel zu gehen“,         immer die kalte Schulter. Wahrschein-       heirateten, als sie Mitte 20 waren und
berichtet Fritz voller Liebe und Respekt.    lich auch, weil mein Ruf nicht der Aller-   führten dann ein pralles Leben als
                                             beste war“, gesteht Fritz lachend.          Gastgeber, als Hausverwalter, Eltern,
Ohne seine starke, liebe- und verständ-                                                  Großeltern, als Freunde, Ehrenamtler
nisvolle Frau weiterzuleben, ist für Fritz   Er half schon damals viel in der Kirche,    und Fritz natürlich auch als Küster und
eine Herausforderung. „Aber ich weiß         baute als angehender Tischler einen         Kirchengemeinderat der Norddörfer.
genau, dass Elise es nicht gut gefun-        Tresen für das Pastorat, läutete schon      „Wir führten hier ein offenes Haus und
den hätte, wenn ich jetzt in Traurigkeit     mit 13 die Kirchenglocken. In seiner        auch eine tolerante Ehe. Als Elise die
versinken würde. Wir haben uns so            freien Zeit ging er furchtbar gerne tan-    letzte Woche ihres Lebens in der Nord-
innig voneinander verabschiedet – es         zen. „Zum Beispiel in das Lokal ,Schau-     seeklinik lag und wir alle wussten, dass
ist nichts offen geblieben zwischen          insland’ in Wenningstedt. Dahin kamen       sie bald sterben würde, habe ich sie
uns. Das ist bei aller Trauer ein gutes,     auch immer die jungen Mädchen, die          auch nochmal gefragt, ob sie mir ver-
ein reines Gefühl.“ Gern erzählt Fritz       eine Kur auf Sylt machten. Das war          zeihen könnte, wenn ich nicht immer
davon, wie er schon als Jugendlicher         Elise bestimmt ein Dorn im Auge, dass       alles richtig gemacht hätte. Sie antwor-
ein Auge auf das stolze Mädchen aus          ich dort verkehrte“, meint Fritz augen-     tete darauf, wir hätten doch immer alle
Kampen geworfen hatte. „Sie war an-          zwinkernd.                                  Konflikte bis zum Zubettgehen gelöst.
ders als die anderen, nicht zuletzt auch                                                 Es gäbe nichts, was sie mir verzeihen
äußerlich – durch ihre dunklen Haare.        Aber der junge Tischler ließ sich von       müsste“, erinnert Fritz jenes wichtige
Wir trafen uns tatsächlich zunächst in       ihrer Haltung nicht wirklich abschre-       Gespräch.
der Jugendgemeinschaft der Norddör-          cken und umgarnte Elise nach allen
fer Gemeinde im Pastorat. Dort war sie       Regeln der Kunst, bis sie seinem Wer-       Obwohl Elise mit ihrer fortschreitenden
mir aufgefallen. Aber Elise zeigte mir       ben irgendwann nachgab. Die beiden          Krebserkrankung eigentlich gerne zu-
18                        IM GESPRÄCH

                                           geschenkt hätte. Sie hatte immer eine       Hunger, getrennte Familien, sterbende
                                           sehr eigene Haltung, war darin aber         Menschen und Familienangehörige, die
                                           durchaus kompromissbereit. Auch dass        sie zurücklassen mussten. „Ich glaube,
                                           ihre letzte Zeit durch die Pandemie be-     dass wir nicht daran zerbrochen sind,
                                           schränkt war, hat sie nicht gestört. Sie    hat gerade auch damit zu tun, dass vie-
                                           hat sich gefreut, dass wir in der Zeit so   le Kinder, die bis dahin eine glückliche
                                           viel miteinander draußen waren wie          Zeit hatten, unter einem besonderen
                                           eigentlich noch nie“, beschreibt Fritz      seelischen Schutz stehen“, vermutet
hause sterben wollte, hatte das Leben      den Charakter seiner lieben Frau. Er        Fritz, der sich heute in der Rückschau
andere Pläne: Sie wurde in ihren letzten   war deutlich der extrovertierte Part des    trotz aller Tragik vor allem an die Ges-
Tagen im Krankenhaus versorgt, weil es     Ehepaars, sieht genau das als wichtigs-     ten der Menschlichkeit auf der Flucht
medizinisch die beste Wahl war. „Ich       te Komponente für das Funktionieren         und auch beim Ankommen auf Sylt
möchte mich nochmal bei der Klinik be-     ihrer Ehe. „Wir waren einfach ein Su-       erinnert. „Meine beiden Brüder haben
danken. Das war wirklich eine sehr lie-    perteam“, meint er lächelnd und sagt        die Flucht nicht überlebt. Mein Vater
be- und würdevolle Sterbebegleitung.       damit alles. Sich als Gast auf dieser       war als Soldat gefallen. Wir waren auf
Wir alle, meine drei Jungs, deren Fami-    Welt zu fühlen, schließt für Fritz auch     engstem Raum in den Baracken an der
lien und ich konnten uns ganz auf Elise    ein, nichts für selbstverständlich zu       Segelfliegerschule in Wenningstedt
konzentrieren und nicht auf die Pflege     nehmen, den Moment zu genießen und          untergebracht. Es gab nichts zu essen.
– das war wunderbar“, beschreibt Fritz.    mit Freude und Demut das Geschenk           Elise ging es ähnlich – bloß eben in den
                                           des Lebens zu nutzen.                       Baracken von Kampen. Trotzdem domi-

                                           V
Um die beeindruckende Stärke und                                                       nierte die Hoffnung und die Freude. Ich
Geradlinigkeit seiner Frau zu beschrei-                   erbunden hat das Ehe-        habe Sylt, den Sandknust in der Nord-
ben, erzählt er auch davon, wie sie mit                   paar Hermann auch ein        see, sogar ziemlich schnell als mein Pa-
ihrer Erkrankung umgegangen ist, als                      wenig ihr Schicksal. Sie     radies erlebt“, beschreibt Fritz. Für ihn
sie davon erfuhr. „Sie wollte zunächst                    beide verließen ihre         bekam der vorübergehende Status als
alle klassischen Krebstherapien ab-        Heimat in Pommern bzw. Ostpreußen           Geduldeter, als Geflüchteter – schnell
lehnen, hat sich dann aber doch auf        im dramatischen Kriegsgeschehen             eine neue Qualität. Er fühlte sich zu-
einiges eingelassen und gerade in den      1945. Auf der jeweiligen Flucht sa-         hause. Sylt wurde sein Anker. Und auch
letzten Tagen oft gesagt, dass ihr die     hen sie als Kinder vieles, was Kinder       die Insulaner, vor allem auch die Sylter
Medizin noch drei wunderschöne Jahre       niemals erleben dürften. Brutalität,        Kinder, respektierten die Geflüchteten
19

                                                                                          Ein Gast im Haus,
                                                                                              Gott im Haus.
                                                                                                                    – aus polen

                                                                                         was es heißt, gute Gastgeber zu sein
schnell und man teilte das Wenige, das       Strand gegangen sind, mit denen wir         und einen fließenden Übergang herzu-
es gab. So existierte zwar eine große        uns geschrieben haben, die wir auch         stellen zwischen Gast sein und sich zu-
Rivalität und echte Bandenkriege zwi-        zuhause besuchten“, erzählt Fritz. Aus      hause zu fühlen. Der wichtigste Aspekt
schen Wenningstedt und Kampen, aber          Nächstenliebe und als Akt der Versöh-       dieser Gemeindepartnerschaft ist der,
nicht zwischen Flüchtlingskindern und        nung haben die Hermanns zusammen            Völkerverständigung und -versöhnung
Insulanern. „Ich genieße die Schönheit       mit anderen Syltern schon in den 80er       zu leben, kulturelle und menschliche
dieses Ortes immer noch ganz bewusst         Jahren humanitäre Hilfe in Polen geleis-    Bereicherung zu erfahren, sich wirklich
– es ist nicht selbstverständlich, so viel   tet. Aus diesen Einsätzen hat sich auch     zu helfen auf den unterschiedlichsten
Glück zu haben wie wir. Ich war auf Sylt     die intensive Partnerschaft zur evange-     Ebenen, Verständnis füreinander zu
,zu Gast‘, dann ist die Insel meine zwei-    lischen Gemeinde im masurischen Sor-        schaffen und dadurch kriegerische Kon-
te Heimat geworden.“                         quitten entwickelt. Auf beiden Seiten       flikte aller Art in Zukunft unmöglich zu

G
                                             zeigt man seit Jahrzehnten vorbildlich,     machen.
                  erade, weil sie am ei-
                  genen Leibe gespürt        FRITZ HERMANn, DER „EWIGE“ KÜSTER, WIRD VOn den beiden pastoren gesegnet.
                  haben, wie wichtig es
                  ist, sich willkommen
zu fühlen, haben die Hermanns immer
ein offenes Haus geführt, in dem Freun-
de und Gäste sich wohl fühlen durften.
„Natürlich waren die Urlaubsgäste
auch wirtschaftlich wichtig für uns,
aber sie sind oft auch unsere Freunde
geworden, mit denen die Jungs an den
20        WAS MACHT EIGENTLICH?

Frische News von ...
Eine Rubrik mit dem Titel „Was              für die Menschen existentiell bedeut-      ßen C‘s ist alles wunderbar auf dem
macht eigentlich?“ ist nicht un-            same und berührende Momente. Diese         Weg. Clara, die Älteste, studiert Wirt-
sere Erfindung. Sie war schon vor           besonderen Begegnungen vermisse            schaftspsychologie in Hamburg. Mein
                                            ich schon. Unsere Ex-Küster Hartmut        Nesthaken Claas hat letztes Jahr Abi
Jahrzehnten im „Stern“ ein Dau-
                                            und Fritz sind mir besonders ans Herz      gemacht und absolviert jetzt ebenfalls
erbrenner. Aber dieses Format ist
                                            gewachsen. Ihnen nicht mehr täglich        in Hamburg ein duales Studium bei der
einfach ideal, um in unbestimm-             zu begegnen, das fehlt mir. Aber Leben     Commerzbank. Und Clemens – er hat
ten Abständen Menschen nach-                ist ja Veränderung. Ich fühle mich jetzt   damals eine Ausbildung zum Luftver-
zuspüren, die vielen Mitgliedern            auch sehr wohl mit meinem Job und          kehrskaufmann auf dem Sylter Flugha-
und Freunden der Kirchenge-                 überhaupt läuft es gerade rund in mei-     fen abgeschlossen und arbeitet inzwi-
meinde ein Begriff sind, weil sie           nem Leben“, erzählt Alexandra Fricke.      schen in Zürich bei einer kleinen und
durch ihr Engagement, ihre Mitar-                                                      sehr feinen Schweizer Fluggesellschaft.
beit und ihre Persönlichkeit einen          Die „Lebenssäule“ Arbeit war nach          Sie machen genau das, was sie immer
                                            ihrem Ausscheiden aus dem Pastorat         wollten“, resümiert die Mama die ak-
festen Platz in den Herzen haben.
                                            zunächst etwas schief. Sie versuchte       tuellen Lebensbezüge ihrer prachtvol-
                                            zwei Jobs, die am Ende beide nicht zu      len Kinder.
(1)                                         ihr passten. Alexandra verbucht diese
Alexandra Fricke                            Erfahrung heute in der Abteilung: „Um-     Wäre dann da noch die Frage nach der
                                            wege erhöhen die Ortskenntnis.“ Inzwi-     Liebe? Wie sieht es denn da aus, liebe
Die Wenningstedterin hat acht Jahre         schen hat sie aber die Arbeit gefunden,    Alexandra? „Mit dem Herrn Doktor,
lang den Herrn Pastor gemanagt und          die sie erfüllt. Beim Inneneinrichtungs-   also Alex Cegla, bin ich jetzt sechs
das Vorzimmer, die Schaltzentrale des       Spezialisten „Homestories“ in Wester-
Pastorats, organisiert. Sie löste Kathrin   land hat sie einen maßgeschneiderten
Wenzel auf diesem Posten ab, um ihn         Platz im Kreativ-Team gefunden. „Das
dann im März 2019 wiederum an Kath-         ist genau mein Ding. Ich fühle mich pu-
rin Wenzel zu übergeben. Mit nordisch-      delwohl“, resümiert sie.
trockenem Humor und viel Herzens-
wärme hat sie dieser Schlüsselaufgabe       Seit 25 Jahren gilt ihr größtes Augen-
im bunten Gemeindeleben immer eine          merk ihren drei Kindern, die sie über
gewisse Leichtigkeit verliehen. „In un-     viele Jahre alleinerziehend ins Leben
serer Kirchengemeinde gibt es so viele      begleitet hat. „Bei meinen drei gro-
21

                                             Patchwork-Gedöns um jeden Preis – zu
                                             uns hat das nicht gepasst und zu unse-
                                             ren Kindern auch nicht. Darum hat je-
                                             der von uns sein Zuhause behalten. Da-
                                             durch ist jede unserer Begegnungen bis
                                             heute etwas Besonderes geblieben.“

                                             Was wohl wird, wenn der Herr Doktor
                                             im Januar 2022 offiziell seine Wen-
                                             ningstedter Praxis übergibt? „Es ist
                                             so viel möglich, was wir jetzt vielleicht
                                             noch gar nicht ahnen. Ich bin sehr ge-
Jahre zusammen. Krass irgendwie. So          spannt auf die Zukunft. Das Leben hat       für sie eine weitere Essenz des Alltags.
lange schon. Und es wird immer bes-          uns ja gerade in der Covid-Krise ge-        „Wie schön, dass das jetzt wieder un-
ser mit uns“, meint sie strahlend. Das       zeigt, wie wenig berechenbar es ist.“       beschwerter möglich ist. Für die schö-
Alex & Alex-Couple hat sich für eine         Die liberale und menschlich großzügige      nen Begegnungen schätze ich auch die
sehr bewusste Form von Beziehung             Alexandra hält nicht viel von starren       Friesenkapelle und das Gemeindele-
entschieden, die sich stetig verändert       Lebenskonzepten. Wege entstehen,            ben – auch ohne gläubig zu sein. Die
und ganz darauf verzichtet, klassischen      indem man sie geht. „Werte und Ide-         Gemeinschaft ist für mich die größte
Vorstellungen nachzueifern. Die beiden       ale sind mir natürlich wichtig. Aber das    Qualität meiner Kirchengemeinde, für
haben eine individuelle Form von Mit-        Festhalten an Dogmen – das bin ich gar      die ich wirklich gerne gearbeitet habe.“
einander gefunden. „Wir beide hatten         nicht“, meint sie.
schon ein komplexes Leben, als wir uns                                                   Als Rainer Chinnow ihr zu ihrem letzten
kennenlernten. Unsere Kinder genießen        Glücksmomente erlebt sie in den klei-       Geburtstag einen Blumenstrauß vor-
darin absolute Priorität. Wir wollten kein   nen Dingen des Alltags: Dazu gehört         beibrachte, hat sie sich riesig gefreut.
                                             für sie, draußen zu sein, das Meer zu       „Das empfinde ich als große Wert-
                                             erleben. „Oft ist es einfach das größte     schätzung.“ Die „nachhaltigste“ und
                                             Glück, mit meinen Hunden über den           intensivste Verbindung aus ihrer Ära
                                             Wenningstedter Holzsteg Richtung            im Pastorat hat sie mit Flo Albinger,
                                             Norden zu laufen. Für mich war der          dem „Zivi“ von 2014 und 2015, der
                                             erste Lockdown mit seiner Stille vor al-    vielen noch wegen seiner umwerfend
                                             lem ein großes Naturerlebnis. Was nicht     positiven Energie in Erinnerung geblie-
                                             heißt, dass ich die Sorgen und Nöte um      ben sein wird und dem wir jetzt hier in
                                             mich herum ausgeblendet hätte“, sagt        der „Was macht eigentlich?“-Rubrik
                                             sie. Begegnungen mit Menschen sind          ebenfalls ein Kapitel widmen…
22        WAS MACHT EIGENTLICH?

                                            mich von klassischen Idealen gelöst        keitsarbeit. Er zog mit seinem Freund,
(2)                                         und in jeder Hinsicht entdeckt, wer        einem TV-Koch, zusammen. Die beiden
Florian Albinger                            ich wirklich bin, was ich gut kann und     entwickelten ein Konzept für private
Der fröhliche Hesse war einer der FSJ-      wofür mein Herz schlägt.“ Flo Albinger     Dinnerabende bei sich zuhause: Sein
ler in der Kirchengemeinde, die ihre        entdeckte seine Freude an Tourismus,       Liebster als Meister der Kulinarik und
Dienstzeit mal eben um ein halbes Jahr      Marketing und Gastronomie, hatte sein      er als Gastgeber.
verlängerten, weil er sich so pudelwohl     „Comingout“ und hat privat wie beruf-
fühlte – mit seiner Arbeit, in der Ge-      lich seinen Weg gefunden.                  Heute sind die zwei nicht mehr zusam-
meinschaft und auf der kleinen, munte-                                                 men, realisieren ihr Dinner-Format aber
ren Insel in der Nordsee. Für Florian Al-   Nach seiner Sylt-Zeit absolvierte er ein   weiterhin gemeinsam. Eine krasse Le-
binger erwies sich Sylt als der perfekte    duales Studium. Die Ausbildung mach-       bensveränderung bedeutet für ihn die
Nährboden. „Gerade die Betreuung der        te er theoretisch in Freiburg und prak-    Corona-Zeit aus vielen Gründen. „Ich
alten Damen, die Verantwortung, die         tisch in einem Design-Erlebnis-Hotel in    war im Homeoffice und konnte das erst
wir da übernehmen für deren Wohl, die       Fulda. Dort eroberte er sich mit seiner    wirklich genießen. Aber irgendwann
Gespräche auf Augenhöhe, die man mit        kommunikativen Art schnell Aufgaben        fällt einem dann auch die Decke auf
gestandenen Frauen führt, die haben         im Marketing. Nach dem Studium be-         den Kopf“, resümiert der gesellige Flo-
mich unglaublich wachsen lassen und         gann seine leicht „spießige Phase“,        rian. Doch die Krise entpuppte sich für
ganz stark geprägt fürs Leben“, for-        wie er es selber nennt, mit „Klischee-     ihn als Chance. Die Wirtschaftsförde-
muliert Florian es anerkennend aus der      Krawatte“ und allem, was dazugehört.       rung der Region Fulda wurde auf seine
Retrospektive. Vielen seiner „Omis“,        Er machte für ein Kongress-Hotel in        exzellente Marketing-Arbeit aufmerk-
wie er immer liebevoll sagt, richtete       Fulda die Werbung, betreute den So-        sam und beauftragte ihn mit einem
er WhatsApp auf dem Handy ein und           cial Media Auftritt und die Öffentlich-    Projekt im Online-Marketing.
blieb stets im engen Kontakt.
Mit seiner Herzenswärme, der zupa-
ckenden Art, seiner Empathie und Tat-
kraft passte Florian ganz wunderbar
zur Kirchengemeinde und umgekehrt
passte das freilassende und dennoch
familiäre Szenario eben auch zu ihm.
Ihn machte seine Aufgabe als „Zivi“
definitiv stark für alles, was dann folg-
te. „Als ich nach Sylt kam, wollte ich
noch Zahnarzt werden und hatte eine
Freundin zuhause in Fulda. Während
meiner 1,5 Jahre auf der Insel habe ich
23

                                           wurde es nichts mit dem Treffen mit
                                           Musk, weil der plötzlich absagte. Für
                                           die Gründer hat sich der Besuch trotz-
                                           dem gelohnt, denn ihr Bohrer war in
                                           aller Munde.

                                           Nach diesem spektakulären Arbeits-
                                           ausflug in die Wüste bei Las Vegas ist
                                           Florian jetzt wieder zurück in Fulda und
                                           füllt neue Projekte mit Leben. „Das ist
                                           einfach ein Traumjob“, meint er begeis-
                                           terungsfähig wie eh und je.
Das setzte der in Fulda so perfekt ver-
netzte junge Mann so gut um, dass          Jetzt im späten Herbst ist es für ihn
der Oberbürgermeister ihn fragte, ob       zeitlich drin, seine Lieblings-Insel zu
er nicht komplett einsteigen wollte als    besuchen, den Wind zu genießen und          Florian hat seine Sylter Erinnerungen
Leiter der Kommunikationsabteilung         seine Freunde zu treffen. Wohnen tut        ganz brav in Fotoalben festgehalten.
der Wirtschaftsförderungsgesellschaft.     er stets bei Alexandra Fricke im Mittel-    Beim Durchblättern entsteht Sehnsucht —
                                                                                       nach sylt und seinen freunden vor ort.
„Wir unterstützen Startups dabei, mit      weg. „Das ist wie nach Hause kommen.
ihrem Geschäftsmodell am Markt er-         Zwischen Alexandra und mir ist es trotz
folgreich zu werden“, beschreibt Flo-      des Altersunterschiedes ein Verhältnis
rian die Aufgabe seiner Institution. Ein   wie zwischen Freunden. Das ist ein be-
glamouröses Beispiel seines Jobs aus       sonderes Geschenk, sich so zu gut zu
der nahen Vergangenheit: Ein Grün-         verstehen.“ Auch den Pastor trifft er
derteam aus Fulda und Umland ent-          bei jedem Besuch und bewundert ihn
wickelte eine Tunnelbohrmaschine, an       im Stillen dafür, dass er immer für alle
der alsbald Supermilliardär Elon Musk      Sorgen ein offenes Ohr hat und sich die
Interesse zeigte. Mit den jungen Ingeni-   Zeit nimmt, um zuzuhören. Ein Leben
euren reiste Florian sogar in die Wüste    auf Sylt – kann Florian sich das vorstel-
von Nevada, um die Supererfindung          len? „Ich habe mir gesagt, als ich weg-
vorzustellen. Das Medieninteresse war      ging, irgendwann komme ich zurück
riesig und Florian bediente alle Kanäle    und werde Kurdirektor. Die Vorstellung
– er schrieb Pressemitteilungen, führte    finde ich nach wie vor sehr attraktiv“,
Interviews und bediente die Social-        meint er in seiner umwerfend fröhli-
Media-Kanäle mit Inhalten. Am Ende         chen Florian-Art.
24   IM INTERVIEW
25

TOURISMUSDIREKTOR HENNING SIEVERTS

„Es gibt dicke
 Bretter zu bohren!“
Mit der Redewendung von den dicken Brettern, die es zu
bohren gilt, umschreibt Tourismusdirektor Henning Sieverts
die großen Herausforderungen, vor denen die Insel steht.
Im Interview für das Gemeindejournal BI SERK sprachen wir
zudem über die von der Amtskirche angekündigten Stellen-
streichungen auf Sylt.
26                       IM INTERVIEW

          s gibt eine außerordent-                Sylt von sechs auf drei kürzen. Die
          lich harmonische Zusam-                 Norddörfer Kirchengemeinde wäre
          menarbeit zwischen der                  davon natürlich auch betroffen.
          Kirchengemeinde und                     Pastor Chinnow wehrt sich gegen
dem Tourismus-Service Wenning-                    die Kürzungen mit guten Argumen-
stedt-Braderup. Auf welchen Ebe-                  ten. Für seine resoluten Aussagen
nen sind die Institutionen mitein-                ist er in einem Zeitungsinterview
ander verbunden?                                  in der Sylter Rundschau von seinen
HENnING SIEVERTS: Bevor das „Haus am              Vorgesetzten harsch gerügt wor-
Kliff“ und unser „kursaal³“ vor sieben Jah-       den. Wie denkst Du darüber?
ren eingeweiht wurde, waren wir mit all           HENnING SIEVERTS: Ich halte den von Seiten
unseren Veranstaltungen im Pastorat und in        des Kirchenkreis-Rates mit viel Nachdruck
der Kirche zu Gast – und stets willkommen.        vertretenen Ansatz der Pfarrstellenstrei-
Auch heute kooperieren wir sehr eng im            chung hier auf der Insel für eine strate-
Kultur-, Event- und Veranstaltungsbereich.        gische Fehlentscheidung. Man schwächt
Aus der Zusammenarbeit auch in vielen             Kirche ausgerechnet dort, wo kirchliche
anderen dörflichen Belangen hat sich für          Gemeinschaft noch funktioniert und auch
mich eine echte Freundschaft mit Pastor           Menschen über die Gemeindemitglieder im
Rainer Chinnow entwickelt. Außerdem fühle         engeren Sinn hinaus, sprich Urlaubsgäste
ich mich als evangelischer Christ sehr auf-       und Zweitwohnungsbesitzer, erreicht. Der
gehoben in einer Kirchengemeinde, in der          nunmehr beschlossene Weg ist in meinen
Gemeinschaft so gelebt wird wie hier. Jeder       Augen nicht Aufbruch und Umkehr aus der
ist willkommen, unabhängig von seiner Her-        Krise, sondern Fortschreibung und Verstär-
kunft, seinem sozialem Status, von seinem         kung von Fehlern der Vergangenheit und
Ursprungsglauben. Der gemeinsame Nenner           Beschleunigung des eigenen Niedergangs.
sind die christlichen Werte. Jeder, der möch-
te, erfährt hier ein liebevolles und herzliches   Es ging in der Sache jedoch noch
Miteinander – und auch Rat und Tat, wenn          einen Schritt weiter…
er das braucht. Wenn Gemeinschaft überall         HENnING SIEVERTS: Genau. Als sich der Pas-
so funktionieren würde, wären wir auf der         tor öffentlich, in einem Interview, gegen die
Welt ein ganzes Stück weiter.                     Sparmaßnahmen und die Diskussionskultur
                                                  in dem Zusammenhang aussprach, wurden
Der Kirchenkreis will 2030 die An-                ihm in der Folge disziplinarische Konse-
zahl der Pastor*innen-Stellen auf                 quenzen angedroht. Vielleicht waren Rainer
27

Chinnows Aussagen in der Sylter Rund-
schau nicht besonders diplomatisch –
                                            dem Thema „Zu Gast sein auf
                                            dieser Welt“. Wenn sich allein
                                                                                         Mi casa es tu casa.
gerade die Überschrift hatte es in sich.    auf dieser Insel jeder wie ein               Mein Haus ist Dein Haus.
Aber ich finde die Reaktion seitens des     Gast fühlen und entsprechend                      – Standard-Satz in Spanien und
Propstes auf die Äußerungen unseres         verhalten würde, gäbe es wahr-                    Südamerika, um bedingungslose
Pastors ein Armutszeugnis. Er mag die       scheinlich nicht so viel Unmut                    Gastfreundschaft zum Ausdruck
das Gesagte nicht gutheißen, aber von       zwischen Besuchern und Be-                                            zu bringen
einer Führungskraft erwarte ich mehr        wohnern wie aktuell.
Souveränität und von einem Vertreter        In der Kirchengemeinde wird
                                                                                        me Interessen zwischen Einheimischen
des christlichen Glaubens mehr Barm-        gezeigt, wie das geht. Ist das
                                                                                        und Gästen waren, ist inzwischen eine
herzigkeit. Er hätte in den Dialog treten   Verhältnis zwischen Bewoh-
                                                                                        Konkurrenzsituation entstanden. Die
sollen anstatt mit der Androhung dis-       nern und Besuchern aufgrund
                                                                                        Zweitwohnung des einen nimmt den
ziplinarischer Maßnahmen zu agieren.        des überall empfundenen
                                                                                        Wohnraum des anderen. Wo gestern
Das ist ein Zeichen von Schwäche und        „Zuviels“ insular endgültig in
                                                                                        noch der Gast die eigene Immobilie
zeugt nicht davon, dass innerhalb der       den Brunnen gefallen?
                                                                                        finanziert hat, ist der Zweitwohnungs-
Kirche auch das gelebt wird, was man        HENnING SIEVERTS: Ich denke, um die ak-
                                                                                        besitzer heute derjenige, der die Preise
den Gläubigen von den Kanzeln pre-          tuellen Spannungen zu verstehen, muss
                                                                                        für den einheimischen Arbeitnehmer in
digt. Ich habe so etwas schon einmal        man sich die historische Entwicklung
                                                                                        unerreichbare Höhen treibt. Da tröstet
in meiner Heimatgemeinde in Bielefeld       des Tourismus auf Sylt ansehen: Früher
                                                                                        auf Dauer auch kein Schwimmbad oder
erlebt: Da hat die Amtskirche nach ei-      haben viele Einwohner vom Tourismus
                                                                                        andere touristische Infrastruktur drüber
ner Kirchenschließung Gläubige mit          mehrfach profitiert: Über die eigene Ar-
                                                                                        hinweg. Zumal die Kapazitätsgrenzen
Sicherheitsdienst aus der Kirche tragen     beitsstelle, eine verbesserte Infrastruk-
                                                                                        der Verkehrsinfrastruktur für alle wahr-
lassen...                                   tur, vor allem aber auch die Möglich-
                                                                                        nehmbar längst überschritten sind, also
                                            keit der Refinanzierung einer eigenen
                                                                                        auch hier aus Sicht vieler nicht mehr die
Wie wird der Kirchengemein-                 Immobilie über Ferienvermietung. Vor
                                                                                        Vorteile des Tourismus überwiegen.
derat sich zu dem Thema posi-               allem Letzteres ist heute nicht mehr
tionieren?                                  möglich. Die immer schon hohen Im-          Und es sieht nicht so aus, als
HENnING SIEVERTS: Das kann ich nicht        mobilienpreise auf der Insel sind nicht     würden die nächsten Sommer
sagen, das besprechen wir noch. Klar        zuletzt auch verstärkt durch die Nie-       ruhiger verlaufen. Überall wird
ist aber, dass alle hinter unserem Pastor   drigzinspolitik der EZB und den enor-       gebaut. Es entstehen insular
stehen.                                     men Nachfragedruck auf dem Immobi-          viele weitere Ferienobjekte.
                                            lienmarkt in unerreichbare Höhen ge-        Auf der anderen Seite herrscht
Diese Ausgabe des Gemeinde-                 stiegen. Mit allen Konsequenzen auch        ein eklatanter Fachkräfte- und
journals beschäftigt sich mit               für die Mietpreise. Wo früher gemeinsa-     Wohnraummangel. Rousseau
28                         IM INTERVIEW

hat mal gesagt: „Der Zustrom               nicht nur auf Sylt, sondern bundesweit
von Gästen zerstört die Gast-              ein Thema sein sollte. Für eine wirkliche
freundschaft.“ Drastisch ge-               Lösung des Problems gilt es also, dicke
fragt: Gibt es noch eine Rettung           Bretter zu bohren…
für Sylt?
HENnING SIEVERTS: Das Schwierige ist       Hier in Wenningstedt wurde
ja, dass man beide Seiten verstehen        vor wenigen Jahren gemein-
kann: Die Sicht von Einheimischen, die     schaftlich ein Slogan entwi-
einfach nicht mehr in dem Maß wie          ckelt, der zusammenfasst, um
früher vom Tourismus profitieren, son-     was es hier im Tourismus gehen
dern persönlich inzwischen auch unter      soll. Wie heißt Euer Leitsatz
den Folgen leiden, ist verständlich, der   und was bedeutet er?
Urlaubs- und Immobilienkaufwunsch          HENnING SIEVERTS: Im Rahmen meh-
der Gäste auch. Um von kommunalpo-
litischer Seite wirksam gegenzusteuern,
                                           rerer Workshops mit Beteiligung von
                                           Gemeindevertretern und Bürgern
                                                                                         Mini-Vita
gibt es meines Erachtens zu wenige         entstand als Quintessenz dieser Satz:         Die Ururgroßeltern von Henning
Instrumente. Die Schaffung von Dauer-      „Wenningstedt-Braderup – Das Zuhau-           Sieverts stammen aus Morsum.
                                                                                         Sein jüngst verstorbener Vater
wohnraum ist sicherlich eins, das auch     se für Familienmenschen in Sylts golde-
                                                                                         wuchs auf der Halbinsel Eider-
erfolgreich angewendet wird, aber, wie     ner Mitte“. Darin synthetisieren sich die
                                                                                         stedt auf. Henning Sieverts, Vater
ich denke, nicht reicht. Das Angebot       Qualitäten des Ortes als vitales Dorf in
                                                                                         zweier kleiner Kinder, studierte
von eigentumsähnlichen Rechten an          privilegierter Lage. Daraus leitet sich für
                                                                                         internationale Betriebswirtschaft,
Grundstücken, z. B. auf Erbpachtbasis,     uns der Anspruch ab, diesen Gedanken
                                                                                         auch in Dublin und in Málaga.
kann ein weiterer Baustein sein. Im        touristisch auf allen Ebenen mit Leben
                                                                                         Bevor er in Wenningstedt als
Bereich der Bauleitplanung lässt sich      zu füllen, so wie man es beispielsweise       Tourismusdirektor seine erklärte
das Rad vielfach nicht ohne Schadener-     beim Dorfteichfest erleben kann, wenn         Lieblingsaufgabe fand, arbeitete
satzrisiken für die Gemeinden zurück-      Einheimische, Gäste und Zweitwohner           er unter anderem als Geschäfts-
drehen, wenn es um die Sicherung von       gemeinsam bei der Norddörfer Kir-             führer bei einer Tochtergesell-
Dauerwohnraum geht. Hier sehe ich          chengemeinde arbeiten und feiern. Ge-         schaft des renommierten Arma-
Lösungen nur auf Bundesebene, auch         rade in der aktuellen, teils polarisierten    turen-Herstellers „Dornbracht“.
wenn es grundsätzlich darum geht,          Stimmung, ist der persönliche Kontakt         Henning Sieverts ist Mitglied im
den Erwerb der Erstwohnimmobilie im        und das wechselseitige Verständnis            Kirchengemeinderat. Die christ-
Vergleich zur Zweitimmobilie stärker zu    noch wichtiger. Hierfür gilt es, weitere      liche Gemeinschaft am Dorfteich
fördern, was, meiner Auffassung nach,      Gelegenheiten zu schaffen.                    liegt ihm sehr am Herzen.
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