Rinder töten - ohne Stress!
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Fleischrinder Fotos: Krug Wenige Sekunden nach dem Schuss: Das Tier ist zusammengebrochen, ohne vorher Angst und Stress erlitten zu haben. Rinder töten – ohne Stress! Bei ganzjähriger Freiland dustriellen Rinderschlachtung auf bis zu er ideale Zielpunkt für D neun Prozent, bei panischen Tieren dürf- haltung der Rinder kann der te sie sogar noch höher liegen. Dabei den Schuss schreibt die Tierschutzschlachtverord- Kugelschuss auf der Weide nung doch eine Schlachtung vor, bei der eine stressfreie Tötungs- den Tieren „nicht mehr als die unver- Zeichung: Orb meidbare Aufregung, Schmerzen, Leiden methode sein. Wie setzen oder Schäden verursacht“ wird. Praktiker dieses Schlacht Kurz und schmerzlos: Mit dem Kugel- verfahren um? schuss kann das alles vermieden werden. Bei diesem Schlachtverfahren wird direkt auf der Weide mit einem Gewehr ein B ei der ganzjährigen Weidehaltung Kopfschuss auf das Rind abgegeben. Das können Rinder am besten ihr na- Projektil verursacht den sofortigen Hirn- türliches Verhalten ausleben – zu- tod, ohne dass es vorher fixiert werden Für die richtige Betäubung muss genau mindest bis der Tag der Schlachtung muss, wie es beim konventionellen Bol- in die Gehirnhöhle geschossen werden. kommt. Denn dann werden sie zusam- zenschuss nötig ist. Die Tötung des Tieres mengepfercht, verladen und zum durch Entbluten erfolgt direkt im Schlachthof transportiert. Dort ange- Anschluss mittels Hals- oder Bruststich. ist es das schonendste Tötungsverfahren kommen, prasseln unzählige neue Ein- Dann erst wird der Schlachtkörper zum überhaupt“, sagt Lea Trampenau, die sich drücke auf sie ein. Die Stressbelastung ist Schlachtbetrieb gebracht. mit ihrer Firma Innovative Schlacht-Sys- bei dieser Prozedur enorm, nicht selten Das Verfahren bietet viele Vorteile: teme (ISS) auf die Beratung von Behör- geraten sie sogar in Panik. Zum einen entfällt das oft gefährliche den und Landwirten rund um den Kugel- Das hat Konsequenzen für die Schlach- Einfangen und Verladen der Tiere und schuss spezialisiert hat tung: Bereits jetzt schätzt die Bundesre- man kann dadurch Arbeitszeit einsparen. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt gierung die Fehlbetäubungsrate in der in- „Doch auch aus Sicht des Tierschutzes und im November 2011 eine Änderung R 26 top agrar 10/2012
der Lebensmittelhygieneverordnung in Kraft gesetzt, die das Töten auf der Wei- de bei ganzjähriger Freilandhaltung aus- drücklich erlaubt. Mittlerweile praktizie- ren bereits über 100 deutsche Landwirte den Kugelschuss. „Und das Interesse wächst“, so Trampenau. Ämter mischen mit. Wer diese Metho- de anwenden möchte, hat einige behörd- Verladen liche Auflagen zu erfüllen. Will der werden die Landwirt den Schuss selbst durchführen, Tiere mit einem Front- muss er einen Sachkundenachweis lader. Für haben, der ihn zum Töten von Rindern den Trans- sowie zum Umgang mit der Schusswaffe port zum berechtigt. Mehrtägige Kurse, bei denen Schlacht- auch anatomische und lebensmittel- hof gibt es rechtliche Kenntnisse vermittelt werden, spezielle bietet beispielsweise das Landwirtschaft- Anhänger mit Liegevor- liche Bildungszentrum in Echem an. richtungen Als nächstes muss die Genehmigung und Doppel- des zuständigen Veterinäramtes vorliegen. boden. Aus Erfahrung weiß Lea Trampenau, dass es in den Amtsstuben durchaus geteilte Meinungen über den Weideschuss gibt: „Einige Ämter zeigen sich durchaus auf- geschlossen, andere sind eher skeptisch. Ich empfehle daher, die Veterinäre zu ei- ner praktischen Durchführung einzula- den und in die Pläne mit einzubeziehen.“ Ebenfalls vorliegen muss die Erlaubnis vom Ordnungsamt, die Tiere mit einer Schusswaffe töten zu dürfen. Der erste Schuss muss sitzen! Wich- tigster Faktor für den Erfolg der Tötungs- methode Kugelschuss ist der Schütze. Denn für einen sofortigen Hirntod mit tiefer Betäubung muss exakt in die bungswirkung erfolgen: Sofortiges Zu- muss sofort nachgeschossen werden. Erst Gehirnhöhle des Rindes geschossen wer- sammenbrechen, unregelmäßige Atmung dann kann das Tier entblutet werden. den. Diese liegt bei senkrechtem Ein- und keine Augenbewegungen sind ein- schuss ca. zwei Zentimeter über dem deutige Zeichen für den Hirntod des Tie- Nähe zum Schlachter: Eine wichtige Kreuzungspunkt zweier gedachter Lini- res. Ist der nicht eindeutig eingetreten, Voraussetzung für den Weideschuss ist, en zwischen Augen und dem gegenüber- dass sich in der näheren Umgebung liegenden Hornansatz (siehe Zeichnung). ein Schlachtbetrieb findet, der die Tiere „Erfahrung und Können sind alles ent- verarbeitet. Denn laut der tierischen scheidend. Denn ein unplatzierter Schuss Lebensmittel-Hygieneverordnung darf kann dem Rind Leiden zufügen und da- die Transportdauer des Schlachtkörpers mit einen großen Vorteil des Verfahrens höchstens eine Stunde betragen. Anlie zunichte machen“, sagt Trampenau. „Wer ferungstermine und -bedingungen soll- wenig Routine mit dem Schießen hat, ten daher im Vorfeld mit dem Flei- sollte das am Besten von einer erfahrenen scher abgestimmt werden, rät Lea Tram- Person mit entsprechender Qualifikation penau. erledigen lassen.“ Das könnte zum Bei- Bei weiteren Entfernungen zum spiel ein routinierter Jäger sein. Schlachthof kann außerdem die Anschaf- Noch weiter geht der Vorschlag von fung eines speziellen Pkw-Anhängers Katrin Juliane Schiffer, wissenschaftliche sinnvoll sein. Wie der ausgeführt werden Mitarbeiterin im Fachgebiet Agrartech- muss, hängt wiederum von den Auflagen nik an der Universität Kassel Witzenhau- der Behörden ab. So fordern manche Ve- sen. Ihre Idee ist, dass der Kugelschuss als terinärämter einen Wagen, der zum Ent- Dienstleistung von spezialisierten Metz- bluten mit einer Auffangwanne unter der gern angeboten werden könnte. Damit Ladefläche ausgerüstet ist. wäre eine optimale Durchführung der Ob der Schuss auf der Weide wirt- Schlachtung sichergestellt. schaftliche Vorteile gegenüber einer kon- Genauso gewissenhaft wie der Schuss Das Projektil verursacht bei einem plat- ventionellen Schlachtung hat, hängt vor muss auch die Überprüfung der Betäu- zierten Schuss den sofortigen Gehirntod. allem von den betriebsindividuellen Ge- top agrar 10/2012 R 27
Fleischrinder „Nie wieder gebenheiten ab: Wieviel Arbeitszeit kann eingespart werden? Ist ein Schlachtbe- trieb in der Nähe? „Entscheidend ist Bolzenschuss“ auch, ob das Verfahren bei der Direkt- vermarktung eine Rolle spielt und durch den ‚Tierschutz-Pluspunkt’ eventuell hö- here Preise erzielt werden können“, sagt Katrin Juliane Schiffer. Für Erich Degreif sind ganzjährige Freilandhaltung und Kugelschuss Bessere Fleischqualität? Derzeit wird eine ideale Kombination. Denn so können die Rinder naturnah von der Universität Kassel gemeinsam leben und angstfrei sterben. mit dem Beratungs- und Schulungs institut für Tierschutz bei Transport und Schlachtung (bsi) in Schwarzenbek erforscht, ob der Kugelschuss auch zu einer besseren Fleischqualität führt. Zwei Punkte lassen sich laut Schiffer bereits jetzt festhalten: 1. Beim Kugelschuss tritt DFD-Fleisch verfahrensbedingt nicht auf. Bei diesem Qualitätsmangel ist das Fleisch bedingt durch Stress unmittelbar vor der Schlachtung dunkel, fest und trocken, („dark, firm, dry“) und wird daher als minderwertig eingestuft. Erich De- 2. Da die Tiere weder lebend transpor- greif aus dem tiert noch fixiert werden, kommen Blut- brandenbur- gischen Stü- ergüsse am Schlachtkörper ebenfalls cken schießt nicht vor, was besonders bei behornten etwa 40 Tiere Rassen wichtig ist. jährlich auf der Weide. Deutschland als Vorreiter: In Deutsch- land gibt es nun eine eindeutige gesetzli- che Grundlage für den Kugelschuss. „Die Landwirte sollten angesichts der noch herrschenden Skepsis in einigen Veteri- närämtern unbedingt auf eine korrekte und transparente praktische Durchfüh- rung achten, um das Verfahren nicht in Misskredit zu bringen“, betont Katrin Juliane Schiffer. Und weiter: „Dann könnte sich der Kugelschuss in Deutsch- land weiter durchsetzen und vielleicht auch in weiteren europäischen Staaten Schule machen.“ Tjade Gronau Schnell gelesen W ie ein Mahnmal hängt an Erich De- greifs Scheune ein Rinderschädel mit mächtigen Hörnern und völlig zer- den Kugelschuss vor allem aus ethischen Gründen unbedingt ersparen. • Mit dem Kugelschuss ist eine trümmerter Stirn. „Drei Bolzenschüsse Mit ruhiger Hand: Umso wichtiger ist stressfreie Schlachtung für mussten dem Tier gegeben werden, ehe es, dass der Landwirt selbst viel Ruhe Freilandrinder möglich. es endlich betäubt war. Das kann niemals ausstrahlt, wenn er alle ein bis zwei tiergerecht sein“, erzählt er. Wochen ein Rind schießen muss. „Das ist • Die Tiere werden dabei auf Deshalb wendet der Fleischrinderhal- eine Arbeit, die ich am besten alleine der Weide mit einem Gewehr ter aus Brandenburg bei seiner 120 köp- erledige, auch aus Sicherheitsgründen“, getötet und erst dann zum figen Salers-Herde den Kugelschuss als so seine Erfahrung. Ohne Begleitung ist Schlachthof transportiert. Tötungsmethode an. Neben einem artge- er dabei allerdings nicht. Denn das Vete- • Entscheidend ist die Präzision rechten Leben mit ganzjähriger Weide- rinäramt hat ihm zur Auflage gemacht, des Schützen, denn das Rind haltung möchte er den Tieren damit dass bei der Tötung eines Rindes ein sollte beim ersten Schuss in auch einen angstfreien Tod ermöglichen. Tierarzt anwesend sein muss. Dieser den Kopf getötet werden. „Außerdem sind die Salers-Rinder von führt im Vorfeld auch die Lebendbe- Natur aus sehr temperamentvoll und schau durch. Dann beobachtet er aus der • Ein Schlachter sollte in der wahren eine natürliche Distanz“, berich- Distanz, wie Degreif zum Schuss ansetzt. Nähe sein, da die Transport tet Degreif. Sie einzufangen oder zu Dafür nimmt der Landwirt sich Zeit. dauer des toten Tieres transportieren ist mit sehr viel Stress ver- Nur wenn die richtige Schussposition er- gesetzlich begrenzt ist. bunden. Den will er den Tieren durch reicht ist, drückt er ab. Sie ist ideal, wenn R 28 top agrar 10/2012
Fotos: Gronau Die Salers-Rinder sind temperamentvoll. Zu Menschen halten sie, deswegen lassen sie sich nur sehr schwer einfangen. das Tier frontal vor dem es schnell gehen. Er sticht Schützen steht. So bleibt die dem Rind beidseitig in den Kugel im Tierkörper kann Hals und hängt es zum Ent- keine anderen Rinder mehr bluten mit Ketten im Frontla- verletzen. Diese Position zu der seines Schleppers auf. Für erreichen gelingt nicht immer den Transport zur Fleischerei auf Anhieb, denn meistens besitzt Degreif einen Pkw- will Degreif ein bestimmtes Anhänger, den er mit einer Tier ins Visier bekommen. Blutauffangwanne ausgerüs- Ergibt sich der richtige Zeit- tet hat. Auch das ist eine punkt nicht, weil die Herde behördliche Auflage gewesen. unruhig ist, wird der Termin Vermarktet wird das eben verschoben: „So konse- Fleisch über den Schlachter. quent muss man sein. Denn Der verarbeitet das tot ange- die Strafe ist ansonsten ein lieferte Tier nach Degreifs unplatzierter Schuss.“ Angaben übrigens gerne, schließlich wird ihm dadurch Schneller Tod: Hat Erich viel Arbeit abgenommen. Degreif das Rind im Stirnbe- Und auch die Qualität des reich getroffen, sackt es Fleisches sei sehr gut. augenblicklich in sich zusam- Deshalb steht für Erich De- men. Die anderen Tiere greif fest: Seine Salers-Rinder flüchten durch den lauten werden auch in Zukunft nur Knall, kommen aber bald noch mit dem Kugelschuss wieder zur Ruhe. Dann muss getötet. -tg- Verlade- und Transporttechnik: Mit dem Lasthaken für den Frontlader werden die Tiere auf den Anhänger gehoben. top agrar 10/2012 R 29
Fleischrinder Kugelschuss für besseres Fleisch durch relativ kurze Schussdistanzen von 10 bis 20 Metern möglich sind. Optimal ist es, wenn das Rind während des Schus- ses gerade frisst oder liegt. Neben der Präzision des Schützen ist für Henning Bauck auch die Wahl des Kalibers ent- scheidend: „Daran sollte man nicht spa- ren, damit das Tier auch wirklich beim ersten Schuss getötet wird.“ Gute Fleischqualität: Nach der Tötung wird der Schlachtkörper in der nur weni- ge Meter entfernten hofeigenen Schlach- terei verarbeitet. Für den Rinderhalter ist diese Kombination von schonender Tötung und kurzen Wegen bis zur Zer- teilung ideal. „Wir können so eine sehr gute Fleischqualität erzeugen und auf die Wünsche unserer Kunden eingehen“, erklärt er. Der Erfolg gibt ihm Recht: Neben den Privatkunden, die er unter anderem auf Neben Angus-Rindern schießt Henning Bauck auch Bisons, ungarische Steppenrinder Wochenmärkten bedient, beliefert oder Dammwild mit dem Kugelschuss. Bauck auch Feinschmecker-Restaurants. Für dieses Klientel ist die Herkunft der Produkte besonders wichtig. Und dazu Der Kugelschuss ist für Henning Einen bis zwei Tage vorher wird dafür zählt auch, dass die Tiere möglichst scho- eine schlachtreife Gruppe von Rindern nend geschlachtet werden. Deshalb Bauck ein gutes Argument bei auf eine kleine, knapp einen halben Hek- kommt für ihn auch keine andere Tö- der Direktvermarktung seines tar große Weide getrieben. Vor der tungsmethode mehr infrage. Schlachtung sollen sie genug Zeit haben, Was ist sonst noch beim Kugelschuss Bio-Fleisches, denn die Qualität sich an die Umgebung zu gewöhnen und zu beachten? Für Bauck ist die Antwort stimmt. sich zu beruhigen. Und laut Auflage des klar: „Für dieses Schlachtverfahren muss Ordnungsamtes darf auch nur in diesem man Respekt vor dem Geschöpf und ei- eingezäunten Bereich geschossen wer- ne Portion Idealismus mitbringen. Ein- D as Töten der Rinder ist auf dem Be- trieb von Henning Bauck Chefsache. „Denn mit der Arbeit auf Schlachtbetrie- den. Für eine bessere Schussposition steht auf der Weide ein Hochsitz, wo- fach drauf losschießen, das funktioniert nicht!“ -tg- ben bin ich nicht zufrieden gewesen“, begründet der Landwirt aus Lüder bei Uelzen die Entscheidung, seine Freiland- rinder mit dem Weideschuss zu töten. Und auch das Verarbeiten des Schlacht- körpers sowie die Vermarktung der Fleischwaren wird auf dem Biogut Bauck in Eigenregie durchgeführt. Bio bis zum Schluss: Denn nur so ist laut Henning Bauck gewährleistet, dass die Bio-Haltung auch bis zum Schluss konsequent umgesetzt wird. „Spätestens am Schlachthof wird doch sonst kein Unterschied mehr zwischen konventio- nellen und Biorindern gemacht“, gibt er zu bedenken. Fotos: Gronau Etwa 120 Tiere jährlich werden bei Bauck mittels Kugelschuss getötet. Dabei kommen nicht nur Angus-Rinder, Bisons oder ungarische Steppenrinder ins Visier. Gelegentlich wird auch Damwild ge- Der Hochsitz steht auf einer eingezäunten Fläche. Von hier aus werden die Tiere mit schossen. dem Gewehr geschossen. R 30 top agrar 10/2012
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