Geht's besser - Netzwerk Ländliche Räume
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Magazin für Ländliche Räume AUSGABE 2.19 Sommerfrische Schwarzatal _ 38 Innovatives Schlachten _ 40 Den ländlichen Osten aufgeben? _ 44 Zusam geht's men besser Bürger und Kommune Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums: Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete.
INHALT Inhalt Seite 38 Seite 40 Seite 44 Sommerfrische Schwarzatal Innovativ schlachten: Extrawurst Den ländlichen Osten aufgeben? Für das Netzwerk Im Fokus INSIDE EINFÜHRUNG 05 DVS-Newsletter 10 INTRO 05 Kooperationsgesuche KOMMUNALE ROLLEN 05 Landwirte gesucht 12 Bürger, Kommunen und Verwaltung: neue Perspektiven? DAS WAR 14 Bürger beteiligen! 06 Kirche und LEADER 15 Bürgerkredite für Kommunen 06 LEADER: einfacher in Gegenwart und Zukunft? 16 Größe allein ist nicht alles 07 Zusammenarbeit für die Agrarumwelt 17 Gebietsreformen zerschlagen das Ehrenamt – 07 Stallbau und Tierwohl Interview 08 EIP in motion WENN BÜRGER MITMISCHEN DAS KOMMT 18 Lokale Räte, interkommunales Konzept 09 Schichtwechsel in Braunkohlerevieren 20 Kommunikation und Selbstbestimmung Fotos: Zukunftswerkstatt Schwarzatal e.V. , WDnet/ iStock, Mattis Kaminer/ iStock 09 Gemeinsam regionale Demokratie stärken 22 Wir reden hier über Geld 09 LEADER für internationale Gäste 24 Auf Augenhöhe 27 Die Zukunft malen 28 Zusammenarbeit dank Mitmachamt 30 Neue Region: das Ruhner Land 33 Vorbild Schweiz? – Interview 2 LandInForm 2/2019
ab Seite 10 Im Fokus: Viele aktuelle Probleme wie der demografische Wandel sind komplex: Um sie zu lösen, gilt es, unterschiedliche Sichtweisen und Kenntnisse zu berücksichtigen. Häufig arbeiten dazu Kommunen und Bürger zusammen. Wie gelingt das? Und was braucht es dazu? Aus der Praxis Perspektiven 34 Vor dem Hauptfilm POLITIK UND GESELLSCHAFT 35 Zwölf Minuten Licht 44 Den ländlichen Osten aufgeben? – Zwei Interviews 36 Mobile Demenz- und Sozialberatung Das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle empfiehlt in seiner Studie „Vereintes Land – 38 Mehr als ein Urlaubsgefühl drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall“, die Das Schwarzatal in der thüringischen LEADER-Region ostdeutsche ländliche Wirtschaft nicht länger zu Saalfeld-Rudolstadt erhält die ortsbildprägende fördern. Wie ökonomisch wäre das – und wie sozial? Sommerfrische-Architektur und stärkt damit die Identität der Menschen in der Region. 46 Mehr Umweltschutz durch Digital Farming? – Interview PARTNER UND EXPERTEN Forschung trifft Praxis 48 Von Landengeln und Dorfkümmerern 40 Extrawurst: Stressfrei schlachten Das EIP-Projekt „Innovative Schlachtverfahren“ erprobt, welche Fortschritte ein Schlachtmobil für BILDUNG UND FORSCHUNG die tiergerechtere Schlachtung, die Fleischqualität 50 Raus aus der Fläche, rein ins Netz? und den Arbeitsschutz bringen könnte. 52 Ökonomie versus Gemeinwohl? – Interview Prozesse und Methoden Service 42 Schwarmintelligenz für gute Projektanträge 53 Die Position 54 angelesen 55 angekündigt Foto: Adrian Buck / Alamy Stock Photo 56 Termine LandInForm 2/2019 3
EDITORIAL Impressum LandInForm – Magazin für Ländliche Räume Erscheinungsweise: vierteljährlich Auflage: 10 000 / ISSN: 1866-3176 Herausgeber: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Bonn Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume (DVS), Redaktion: Andrea Birrenbach, Dr. Juliane Mante, Anja Rath Liebe Leserinnen und Leser, Dr. Jan Swoboda (V.i.S.d.P.) Redaktionelle Unterstützung: aktive Bürger haben meist viele Hüte auf. Wo Nachbarschaftshilfe geleistet wird, neues handeln GmbH freiwillige Feuerwehr, Sportverein und Festkomitees vom selben Personenkreis getragen werden, wollen viele Menschen nicht noch mehr schultern. Die Selbst Titelbild: David Davies/Alamy Stock Fotos, organisation im Dorf hat also Grenzen und funktioniert nur dort, wo einigermaßen twinsterphoto/iStock stabile Verhältnisse den Rahmen bilden. Menschen in stark von Abwanderung betroffenen und wirtschaftsschwachen Regionen haben weniger Möglichkeiten. Grafik: MedienMélange: Kommunikation! Wenn sich dort Gruppen organisieren, kann sich ihr Engagement auch gegen die Rückseite: ThomasFluegge/iStock Situation in ihrer Region richten. Die Politik spricht trotzdem auch dann noch Gestaltung: MedienMélange: Kommunikation! gerne vom umtriebigen und pflichtbewussten Ehrenamt – eine Sichtweise, die www.medienmelange.de für die Leute vor Ort unglaubwürdig wirkt. Druck: Bonifatius GmbH Dorfakteure, die unsere Veranstaltungen besuchen, nennen vor allem in Gedruckt auf Recyclingpapier Abwanderungsgebieten Problemfelder, die auch dieses Heft aufgreift: „Übersetzt“ sind das mangelnde Finanzausstattung und geringe finanzielle Bezugsadresse und Redaktionsanschrift: Freiräume für bürgerwirksame Projekte, wenig Mitsprache bei der Gestal- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung tung des direkten Lebensumfelds, da politische Entscheidungen weiter Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume weg getroffen werden und zu „ertragen“ sind. Das schwächt auch die Deichmanns Aue 29, 53179 Bonn Telefon: 0228 6845-3435, -3081, -3461 Bereitschaft der Bürger, für ihren Ort einzustehen. Fax: 030 1810 6845-3361 E-Mail: landinform@ble.de In den vergangenen Jahren sind viele neue Themenfelder wie die Energie- www.netzwerk-laendlicher-raum.de wende und Projekte zur Integration hinzugekommen: Die potenziellen „Engagementfelder“ werden dadurch umfangreicher, haben Bezüge Bezug: kostenfrei, LandInForm als PDF-Datei unter zueinander, schaffen aber auch Konflikte. Auch für neue Mitmachformate www.land-inform.de wie Bürgerkredite, Ortsteil- oder Regionalbudgets muss Beteiligung organisiert werden. Die Kenntnisse und vor allem die Zeit, solche Anmerkungen der Redaktion: Prozesse regional zu verankern und zu organisieren, können nicht ein- Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung fach gefordert werden. Dorfkümmerer, Mitmachamt oder Dorfgesprä- der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte che sind zwar Angebote, die Selbstwirksamkeit schaffen, aber wieder und Abbildungen wird keine Haftung übernommen. Die Urheberrechte liegen beim Herausgeber. Eine Genehmigung die Qualifikation und die Zeit der Macher vor Ort voraussetzen. zur Zweitverwertung auch in Auszügen in Wort, Schrift und Bild erteilt die Redaktion gern gegen Nennung der Quelle und Wenn Strukturen nicht funktionieren, muss gegengesteuert werden. Belegexemplar. Auch wenn es teuer ist: Vor 50 Jahren wurden Bäche begradigt, heute werden sie renaturiert. Auch in besser ausgestattete Verwaltungen, Als Zugeständnis an die Lesbarkeit der Texte verzichten wir auf neue Kooperationsformen und vielleicht auch die Rücknahme Doppelformen bei den Geschlechtern. von Zusammenlegungen im Zuge von Gebietsreformen könnte man investieren. In diesem Kontext fände ich den Slogan gut: LandInForm wird durch den Bund und die Europäische Union „Weil es der ländliche Raum wert ist.“ im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) gefördert. Zuständige Verwaltungsbehörde: Bundesministerium für Ernährung Viele Anregungen beim Lesen wünscht und Landwirtschaft (BMEL) Kürzel der DVS-Autoren: Andrea Birrenbach: abb, Jan Freese: jaf, Isabell Friess: isf, Nina Jürges: nkj, Stefan Kämper: stk, Simon Keelan: sik, Moritz Kirchesch: mok, Irene Lange: ila, Isabella Mahler: ima, Juliane Mante: jum, Stephanie Müller: stm, Dagmar Nitsch: dan, Natascha Orthen: nao, Sofia Oxencroog: soo, Jost Pütz: jop, Anja Rath: arh, Bettina Rocha: ber, Susanne Schniete: sus, Jan Swoboda: jas, Anke Wehmeyer: awr 4 LandInForm 2/2019
FÜR DAS NETZWERK Inside Für das Netzwerk KENNEN SIE SCHON DEN DVS-NEWSLETTER? Service: Wissen, was das Land bewegt: Unser Newsletter Download und Abonnement unter: „landaktuell“ liefert Ihnen relevante Neuigkeiten www. landaktuell.de zu Förderpolitik, Wettbewerben, Veranstaltungen Noch mehr News: und Projekten vor Ort. Die Publikation erscheint Die DVS ist auch bei Twitter und Facebook sechs bis acht Mal im Jahr und kann kostenlos https://twitter.com/dvs_land abonniert werden. [jop] www.facebook.com/dvs.laendlicher.raum KOOPERATION BEI KULTURFESTIVAL Die österreichische LAG Mühlviertler Kernland sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Kooperationspartner aus dem LEADER-Bereich für die Kunst- und Kulturfestivalwoche „Vivid Frei- stadt“. Ziel ist es, das Festival internatio naler zu machen. Es soll Ende Juli oder im August 2020 stattfinden. Das Projekt wurde beim Programm „LEADER trans- national Kunst“ eingereicht und ist KONTAKT: von der Agrarmarkt Austria und dem LAG Mühlviertler Kernland Telefon: 0043 7942 75111 Bundeskanzleramt Österreich bereits LANDWIRTE GESUCHT! genehmigt. [awr] office@leader-kernland.at In der kommenden LandInForm-Ausgabe wollen wir das Verhältnis von Landwirten und Dörfern in den Fokus nehmen. Dabei möchten wir auch Landwirte und Land- wirtinnen porträtieren, die sich in ihrer NEUER NACHBAR: WOLF Dorfgemeinschaft für die Entwicklung vor Ort einsetzen. Sie sind aktiv oder Die französische LAG Belledonne nahe haben eine Geschichte zu erzählen? Die Grenoble ist umgeben von Naturparken, LandInForm-Redaktion freut sich auf in denen der Wolf ein neues Zuhause Rückmeldungen. [arh] gefunden hat. Jetzt sucht sie nach Part- nern zum Erfahrungsaustausch, die sich mit den Folgen der Ansiedlung beschäf- Fotos: DVS, Gunther_Krausz / Photocase, nicolasberlin / photocase, betyarlaca/ iStock tigen und dabei Anwohner, Tourismus KONTAKT: SERVICE: und alles, was die Region ausmacht, Marion Chaumontet Einen etwas ausführlicheren berücksichtigen. [awr] GAL Belledonne Aufruf gibt’s auch als Video auf dem marion.chaumontet@ DVS-Facebook-Kanal (s.o.). espacebelledonne.fr https://enrd.ec.europa.eu > Suche: GAL Belledonne KONTAKT: Redaktion LandInForm Telefon: 0228 6845-3461 SERVICE: landinform@ble.de Weitere Kooperationsgesuche finden Sie auf der DVS-Website: www.netzwerk-laendlicher-raum. de/kooperationen LandInForm 2/2019 5
FÜR DAS NETZWERK Rückblick Das war Gemeinsam auf dem Weg zum Exkursionsziel KIRCHE UND LEADER – WELTEN VERBINDEN UND KRÄFTE BÜNDELN Wie aktiv sind Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände als Akteure in LEADER- Aktionsgruppen? Wie kann die Zusammenarbeit in Zukunft gestärkt werden? Diese Fragen stellten sich über 120 Vertreter Bürger im ländlichen Raum zu aktivieren, über Netzwerkthemen hin zu regionalpoliti- von LEADER-Aktionsgruppen und kirchlichen denn nur die praktische Beteiligung vor Ort schen Forderungen, Kirche und LEADER- Institutionen, die vom 6. bis 8. März in den könne die Menschen von Europa überzeugen. Gruppen mögen doch (noch) aktiver aufein- Westerwald kamen. Mit der Evangelischen ander zugehen. Kirche in Deutschland, dem Deutschen Cari- Kurzvorträge, Praxisforen, Exkursionen und tasverband, der Diakonie Deutschland, der Projekte der Kirchen: Die Teilnehmer lernten Hartmut Berndt von der Bundesarbeitsge- Deutschen Bischofskonferenz und weiteren beispielsweise ein Kirchen-Netzwerk und meinschaft der LEADER-Aktionsgruppen Kooperationspartnern hatte die DVS die Ak- touristische Projekte kennen, sowie solche, betonte, dass soziale Themen stärker in den teure eingeladen, sich besser kennenzuler- deren Fokus auf Jugendengagement oder Fokus der ländlichen Entwicklung gehörten nen, Praxiserfahrungen auszutauschen und in der Gemeinwesenarbeit liegt. Für wichtig inklusive passgenauer Förderung. Superin- zu überlegen, wie die Zusammenarbeit inten- hielten die Diskussionsteilnehmer, dass zwi- tendent Stefan Berk vom Kirchenkreis Witt- siviert werden sollte. schen kirchlichen Akteuren und den LEADER- genstein verwies darauf, dass LEADER jedoch Regionen ein Austausch stattfindet, denn die nicht Ersatz für fehlende Mittel der Sich einmischen, Spielräume nutzen und Kir- Kirche könne nicht nur ihr Engagement ein- Kirchen sein könne. [stk] che im Gemeinwesen verankern, um in Zeiten bringen, sondern auch ihre Strukturen, die des Wandels relevant zu sein, forderte Ralf anderen, kleinen Trägern zugutekommen. Kötter vom Institut für Aus-, Fort- und Wei- terbildung in der Evangelischen Kirche von An Thementischen spannte sich der Bogen Westfalen. Susanne Melior, Mitglied des Eu- von Projektthemen wie Umgang mit Leer- SERVICE: ropäischen Parlaments, betonte, dass LEA- ständen, Nachhaltigkeit konkret, neuen Dokumentation unter: DER auch zukünftig wichtig bleibe, um die Wohnformen in der alternden Gesellschaft www.netzwerk-laendlicher- raum.de/kircheundleader VORMERKEN 12.+13. Bundesweites LEADER-Treffen NOV Merseburg bei Halle LEADER: EINFACHER IN 2019 GEGENWART UND ZUKUNFT? www.netzwerk-laendlicher-raum. de/leadertreffen Unterschiedliche Perspektiven anerken- der Entwicklungsstrategien, eine Öffnung nen, voneinander lernen, die Umsetzung in Richtung Experiment, harmonisierte von LEADER erleichtern: Etwa 50 Teil Regeln für Kooperationsprojekte, Verein- nehmer aus dem Kreis der LEADER-Ver- fachungen für (Klein-)Projekte und eine waltungen, Zahl- und Bewilligungsstellen Kontinuität im Regionalentwicklungspro- sowie Regionalmanagements kamen zu zess über das Ende der Förderperiode einem DVS-Workshop am 26. und 27. März hinaus oder zwischen den Förderperioden. KONTAKT: 2019 in Göttingen. Die LEADER-Referenten verabredeten, Stefan Kämper, DVS gemeinsam aktiv die für LEADER relevanten Telefon: 0228 6845-3722 Für die aktuelle Förderperiode ging es um Passagen des nationalen Strategieplans stefan.kaemper@ble.de verbesserte Umsetzungsbedingungen: die der Gemeinsamen Agrarpolitik zu entwi- Fotos: DVS/Helpap, danabeth555/ iStock Bewertung angemessener Kosten durch ckeln und neue Ideen mit den Zahlstellen Ausschüsse, standardisierte Einheitskos- abzustimmen. Dass LEADER in der ländli- SERVICE: ten sowie Erleichterungen für kleine Pro- chen Entwicklungspolitik gestärkt werden Dokumentation unter: jekte und Kooperationsprojekte. Für die muss, darüber waren sich alle Teilnehmer www.netzwerk-laendlicher- Zukunft wurde klar: Aktionsgruppen wün- einig. [stk] raum.de/umsetzung schen sich eine stärkere Verbindlichkeit 6 LandInForm 2/2019
ZUSAMMENARBEIT FÜR DIE AGRARUMWELT Über den Agrarumweltschutz tauschten sich der Agrarlandschaft effektiv zu schützen, Vertreter von Bund, Ländern und Verbänden müssten 20 Prozent der Flächen extensiv ge- auf Einladung der DVS Mitte Mai in Bonn aus. nutzt werden und weitere zehn Prozent für Zunächst stellte Wolfgang Löhe vom Bundes- Biodiversitätsmaßnahmen zur Verfügung landwirtschaftsministerium den derzeitigen stehen. Die wirksamsten Schutzmaßnahmen Prozess vor, mit dem die Gemeinsame Agrar- im Acker seien Brachen, Blühstreifen und politik reformiert werden soll und der auch Extensivgetreide; im Grünland der Schutz von den Europäischen Landwirtschaftsfonds für Natura-2000-Gebieten, ebenso die extensive SERVICE: die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) Bewirtschaftung und Streuobstflächen. Im Dokumentation unter: betrifft: Anders als bisher wird es nur noch zweiten Teil berichteten die Teilnehmer www.netzwerk-laendlicher- einen Nationalen Strategieplan geben, der jeweils für ihr Bundesland oder ihren Verband, raum.de/aukm die erste und zweite Säule sowie die Entwick- was sie tun, um die Umsetzung der Agrarum- lungsprogramme der Länder zusammenfasst. weltmaßnahmen zu verbessern. Sie waren sich einig, dass begleitende Maßnahmen, wie KONTAKT: Anschließend präsentierte Rainer Oppermann Beratung und Management, sowie die regio- Dr. Jan Freese und vom Institut für Agrarökologie und Biodiver nale Unterstützung der Umsetzung von Agrar Simon Keelan, DVS sität eine Untersuchung zum Agrarumwelt- umweltmaßnahmen förderlich und auch zur Telefon: 0228 6845-3477, -3091 schutz: Um auf Landschaftsebene die Zielarten Zielerreichung nötig sind. [jaf] jan.freese@ble.de simon.keelan@ble.de STALLBAU UND TIERWOHL Ein Transferbesuch führte rund 60 Vertreter aus Beratung, Verwaltung und Forschung sowie vom Verbraucherschutz im März 2019 zu drei hessischen landwirtschaftlichen Betrieben. Dabei ging es um die Frage: Wie lässt sich eine besonders tiergerechte Haltung in Wert setzen? Der dritte Halt beim Transferbesuch: Der Betrieb Sippel in Weilmünster hält rund auf der Weide sind. Bei einigen Kühen sind der Betrieb Jung in Fronhausen mit rund 680 Mastschweine und setzt auf Transparenz. leichte Verletzungen, die Spuren der in einer 4 000 Legehennen in Mobilställen. Er mästet mit hofeigenem Futter, verzichtet Herde üblichen Rangkämpfe erkennbar, auf Gentechnik und Antibiotika. Vom Hofladen die Herde ist aber ruhig. Unter dem Label können Kunden zum Schweinestall hinüber- „Landmarkt“ beliefert der Betrieb zwei REWE- gehen und sich durch ein Fenster im Stall Filialen, die meisten Produkte vermarktet er einen eigenen Eindruck von der Haltung der aber über einen eigenen Kundenstamm von Tiere machen. Die Kunden überzeuge vor rund 2 000 Privathaushalten, die die hofeigene allem die Nähe zum Schlachthaus, sagt der Molkerei per Lieferservice bedient. Dabei Betriebsleiter. Es liegt direkt an der Hofstelle. setzt die Domäne erfolgreich auf ihren Eigen- SERVICE: Auf ein Tierwohl-Label könne er daher ver- namen, das Bioland-Logo ist nur relativ klein Dokumentation zur zichten. Neben dem Hofladen betreibt die abgebildet. Veranstaltung online unter Familie eine Filiale im Nachbarort, die Kom- www.netzwerk-laendlicher- munikation dazu, wie sie ihre Tiere hält und Der Transferbesuch fand im Rahmen der raum.de/stallbau Grafik: Natala Krechetova / iStock, Foto: DVS schlachtet, übernimmt sie komplett selbst. Veranstaltungsreihe „Stallbau und Tierwohl“ statt, die die DVS in Kooperation mit dem Die hessische Staatsdomäne Selgenhof, ein Bundesverband der gemeinnützigen Landge- KONTAKT: Bioland-Hof, hält rund 190 Milchkühe – und sellschaften anbietet. Die Exkursion ergänz- Bettina Rocha, DVS zwar horntragende. Das ist insbesondere ten Vorträge, beispielsweise zur Wirkung von Telefon: 0228 6845-3882 deshalb möglich, weil die Tiere im Sommer Stallbauarchitektur auf Konsumenten. [ber] bettina.rocha@ble.de LandInForm 2/2019 7
FÜR DAS NETZWERK Rückblick Das war Geflügel im Blick: die mobilen Hühnerställe des Betriebs „An der Biopforte“ beim Trans- ferbesuch der Innovations- dienstleister EIP IN MOTION Die DVS vernetzt Akteure aus den Europäischen Innovationspartnerschaften „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-Agri). Was war, ist und kommt. In Deutschland setzen zwölf Bundesländer gut angenommen wird“, sagt Natascha und zum Projekt „Nachhaltige Biomassenut- EIP-Agri um: In Operationellen Gruppen (OGs) Orthen. Etwa 80 Projekte stellten sich auf zung“, das die Pflege der sogenannten Knicks erarbeiten Landwirte, Berater und Forscher dem „Marktplatz“ vor und die Teilnehmer in Schleswig-Holstein ökonomischer macht, gemeinsam Antworten auf praxisnahe For- konnten drei Schulungsangebote wahrneh- schon online. schungsfragen – zu unterschiedlichen Themen- men. Kernanliegen war aber der Austausch. feldern. Die DVS veranstaltet thematische „Die Diskussion zu EIP-Agri in der neuen För- Das kommt Workshops, bei denen sich die Akteure aus- derperiode war kontrovers, beispielsweise In Kooperation mit der Tierärztlichen Hoch- tauschen können. Im Februar 2019 drehte sich darüber, ob es eine 100-Prozent-Förderung schule Hannover und der Landwirtschafts- zwei Tage lang alles um die Eiweißpflanzen. geben soll“, sagt Bettina Rocha, die zweite kammer Niedersachsen lädt die DVS für den EIP-Vernetzerin in der DVS. „Der Austausch 2. und 3. Juli 2019 OGs zum Thema Geflügel- Wenn der Rahmen stimmt hilft dabei, die eigene Rolle zu definieren.“ So haltung ein. Neben dem Austausch stehen Rund 30 Mitglieder von OGs trafen sich dazu habe die Diskussion einen Verwaltungsrefe- Vorträge zu aktuellen Entwicklungen mit kon- im sächsischen Vogtland auf dem Hofgut renten zum Grübeln gebracht: Er wolle seine kreten Beispielen auf dem Programm – sowie Eichigt, das Eiweißpflanzen anbaut. Sieben Haltung nochmals überdenken, sagte er. ein genauerer Blick auf den Tagungsort: Projekte präsentierten sich dort. Dabei wurde Auch Evaluatoren und Vertreter von Zahlstel- Die Veranstaltung findet auf dem Lehr- und deutlich, wie aktuell manche EIP-Agri-Fragen len nahmen an dem bundesweiten Workshop Forschungsgut Ruthe in Sarsted statt. [arh] sind, beispielsweise inwieweit einheimische dabei. „Die Stärke des Formats ist, dass alle Eiweißpflanzen den Ackerbau und die Tier- an EIP-Agri Beteiligten zusammenkommen“, mast verändern können. Ergänzend hielten findet Bettina Rocha. Dazu gehören auch die Experten Vorträge und es stellten sich die Innovationsdienstleister: Einige Länder ha- Netzwerke DemoNet Erbse Bohne, OK NET ben diese Berater etabliert, um ihre OGs zu SERVICE: ecofeet und Legumes Translated vor. „Bei unterstützen. Speziell für die IDLs bietet die Alle Informationen zu EIP gibt es dem Thema passiert auch auf europäischer DVS eigene Workshops an, die sie oft mit online unter: www.netzwerk-laendlicher- Ebene sehr viel“, sagt Natascha Orthen, die Transferbesuchen auf Betrieben verknüpft. raum.de/eip in der DVS für die EIP-Agri-Vernetzung zu- Im April 2019 hat der neunte stattgefunden. ständig ist. Sie findet es gut, wenn möglichst viele Akteure, die in einem Themenbereich Film ab! TIPP: aktiv sind, zusammenkommen. Rund 200 Forschungs-Praxis-Projekte sind Sowie mindestens vier OGs bisher in der Online-Datenbank zu EIP in aus zwei Ländern Bedarf anmelden, Alle Beteiligten zusammen Deutschland, die die DVS betreut, einge- organisiert die DVS einen thematischen Im März 2019 fand der dritte bundesweite speist. Zahlreiche davon sind bereits abge- Workshop. Workshop für OGs und Innovationsdienst- schlossen: Einige stellen ihre Ergebnisse auf leister (IDLs) statt. Etwa 120 Teilnehmer ka- thematisch passenden Portalen vor, bei- men in der Stadtbrauerei im thüringischen spielsweise dem Bundeszentrum für Land- KONTAKT: Arnstadt zusammen, darunter auch Vertreter wirtschaft – zu anderen dreht die DVS aktuell Natascha Orthen und Bettina Rocha, DVS von Verwaltungsbehörden sowie europäische Kurzfilme: Beispielsweise sind die über den Telefon: 0228 6845-3268, -3882 Gäste. „Wir freuen uns, dass das Format so mobilen Schlachthof der OG „Extrawurst“ natascha.orthen@ble.de, bettina.rocha@ble.de Foto: DVS 8 LandInForm 2/2019
Von der Braunkohle zu FÜR DAS NETZWERK Rückblick erneuerbaren Energien: ein Beispiel, was aus einer Braunkohleregion Das kommt werden kann. SCHICHTWECHSEL IN BRAUNKOHLEREVIEREN! Impulse, Austausch, Ideenschmiede und Exkursion am 17. und 18. September 2019 im Helmstedter Revier Was kommt, wenn die Kohle unter der Erde reits in den Revieren passiert. Auf einer Exkursi- bleibt? Diese Frage beschäftigt derzeit nicht nur on erfahren wir zudem, welche Konflikte und die Landes- und Bundespolitik, sondern insbe- Perspektiven es im Braunkohlerevier Helmstedt sondere die Menschen, die in einem der vier gibt und was die Region bereits tut. Am zweiten deutschen Braunkohlegebiete leben. Nicht nur Tag wollen wir in einem kreativen Prozess kon- landschaftlich werden sich diese massiv verän- krete Projektideen und Ansätze der Teilnehmer dern – auch ein großer Arbeitgeber bricht weg. zur Gestaltung des Strukturwandels in Teams weiterentwickeln. Die DVS und die LEADER-Region Grünes Band KONTAKT: im Landkreis Helmstedt wollen den Blick nach Willkommen sind auch Vertreter aus anderen Stephanie Müller, DVS vorne lenken. Gemeinsam mit LEADER-Akteuren, sich stark wirtschaftlich wandelnden Regionen Telefon: 0228 6845-3998 Regionalpartnern und anderen Gestaltern des – denn ein Austausch über die Braunkohlerevie- stephanie.mueller@ble.de Strukturwandels wollen wir beleuchten, was be- re hinaus könnte das Treffen bereichern. [stm] www.netzwerk-laendlicher- raum.de/schichtwechsel GEMEINSAM REGIONALE LEADER IN DEUTSCHLAND DEMOKRATIE STÄRKEN FÜR INTERNATIONALE GÄSTE Für Mitte Oktober 2019 plant die DVS zusam- Kultur, Handwerk und regionale Produkte aus dem men mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaft ehemaligen Grenzgebiet zwischen Thüringen und Bayern: liches Engagement (BBE) zum dritten Mal eine Veranstaltung: Es soll darum gehen, wie das Das bietet die internationale LEADER-Exkursion im Herbst mit gesellschaftliche Miteinander und die demo- Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. kratischen Werte in ländlichen Gebieten ge- stärkt werden können. Dazu schauen wir uns Die DVS lädt gemeinsam mit dem Netz- Außerdem besuchen wir die Arnikastadt zunächst an, wer bereits im Bereich „Demo- werk Zukunftsraum Land aus Österreich Teuschnitz und probieren lokal produ- kratiestärkung“ aktiv ist. Außerdem widmen und der Netzwerkstelle für den ländli- zierte Schokolade. [awe] wir uns der Frage, wie regionale Netzwerke – chen Raum aus Luxemburg zur Exkursion etwa LEADER-Aktionsgruppen und Partner- vom 30. September bis 2. Oktober 2019 schaften für Demokratie (PfDs) – gemeinsam ein. Wie im Vorjahr in Österreich geht es an dem Thema und Projekten arbeiten kön- um beispielhafte LEADER-Projekte und nen. Die Veranstaltung richtet sich an Aktive den internationalen Austausch. SERVICE: in der ländlichen Entwicklung. [stk/ima] Die Teilnehmerzahl ist auf Starten werden wir in der Region Saale- 50 Personen begrenzt. Die An- Orla mit Kultur. Bei einer Rundreise meldung ist ab Mitte Juni 2019 erleben wir eine besondere Bahnfahrt, möglich unter: Geschichte, regionale Fisch- und Käse- www.netzwerk-laendlicher- SERVICE: Spezialitäten sowie traditionelles Hand- Termin und Programminfos ab raum.de/leader-international werk. Auch innovative Ideen zum Umgang Fotos: ArminStautBerlin, GreenTana , unipict/ iStock Mitte Juli: www.netzwerk-laendlicher- mit Ehrenamt und alten Menschen sind raum.de/demokratie Teil des Programms. Nach einer Über- nachtung in der Festung im Landkreis KONTAKT: Kronach, der zweiten LEADER-Region, Anke Wehmeyer und KONTAKT: geht es tropisch weiter: Bananen und Isabell Friess, DVS Stefan Kämper, DVS Kakaofrüchte in Bio-Qualität – die bietet Telefon: 0228 6845-3841, -3459 Telefon: 0228 6845-3722 das Tropenhaus Klein Eden an. anke.wehmeyer@ble.de stefan.kaemper@ble.de isabell.friess@ble.de LandInForm 2/2019 9
IM FOKUS Bürger und Kommune IM FOKUS Bürger und Kommune: Zusammen geht’s besser Viele aktuelle Probleme wie der demografische Wandel sind komplex: Um sie zu lösen, gilt es, unterschiedliche Sichtweisen und Kenntnisse zu berücksichtigen. Häufig arbeiten dazu Kommunen und Bürger zusammen. Wie gelingt das? Und was braucht es dazu?
Fotos: Inimma /iStock, IrynaDanyliuk /iStock, alvarez /iStock, TommL /iStock, Zeichnung: Meike Gerstenberg, Montage: MedienMelange LandInForm 2/2019 IM FOKUS Bürger und Kommune 11
IM FOKUS Bürger und Kommune Bürger, Kommunen und Verwaltung: neue Perspektiven? Für die Zusammenarbeit von Bürgern und Kommunen ist entscheidend, wie die Verwaltungen aufgestellt sind. Denn überlastete Verwaltungsmitarbeiter in überholten Strukturen haben keine Kapazitäten, um Bürgerinitiativen zu unterstützen. [VON JÜRGEN STEMBER] Die ländlichen Räume müssen sich heute demografischen Arbeitszeiten, werden zunehmend relativiert. Es gibt und technologischen Entwicklungen stellen. Diese jedoch dennoch Strategien für den ländlichen Raum, Wandlungsprozesse wirken sich auf das politisch-admi- um Bürgernähe herzustellen und dem Gefühl der staat- nistrative System und damit das Verhältnis zwischen lichen Ab- oder gar Ausgrenzung entgegenzuwirken. Bürgern, Politik und Verwaltung aus. Dabei stehen nicht nur Fragen der Gestaltung und des Zusammenhalts, Kommune als Ordnungs- und Leistungsverwaltung sondern auch der zukünftigen Rolle der Verwaltung auf Auf der Ebene der Kommunalverwaltung als Dienstleis- dem Plan. Welche Rolle kann die Kommune als Ord- ter könnten bislang nicht ausgeschöpfte Kooperations- nungs- und Leistungsverwaltung einnehmen? Wie fun- potenziale erschlossen werden. Wer hierbei instinktiv gieren Verwaltung und Politik als Gestalter? Und wie an Gebietsreformen denkt, liegt grundlegend falsch ermöglichen sie Teilhabe? (siehe dazu auch Beitrag auf Seite 16). Denn dadurch wurden keine entscheidenden Veränderungen bewirkt, In den öffentlichen Verwaltungen und besonders den nur Änderungen der räumlichen Skalierung. Oder um Kommunalverwaltungen der ländlichen Regionen es konkreter zu formulieren: Die Städte, Gemeinden sorgen die demografischen Entwicklungen für eine oder Kreise sind räumlich und institutionell größer Verschärfung der bereits bestehenden Strukturproble- geworden, ihre Dienstleistungsangebote haben sich me. Die Folgen sind drastisch. Es gibt erhebliche Nach- jedoch in den meisten Fällen nicht oder nur marginal wuchsprobleme, einen hohen und weiter steigenden verändert, wodurch sich letztlich die Erreichbarkeit Bedarf an qualifizierten Fachkräften und einen deutlich noch verschlechtert hat. erhöhten Weiterbildungsbedarf. In ländlichen Räumen bieten Verwaltungen ihren Mitarbeitern nicht so viele Wesentlich Erfolg versprechender sind organisatorische Anreize wie in Ballungsräumen, so dass nicht mehr alle Basisveränderungen, wie eine Differenzierung zwischen offenen Stellen besetzt werden können. Aufgaben müs- Front- und Backoffice-Tätigkeiten: Dieses Organisations sen deshalb angepasst oder können in Zukunft gar nicht prinzip ermöglicht die verstärkte Kooperation bei den mehr erledigt werden. Die horizontale und vertikale Arbeiten, die in einer Verwaltung in den Fachabteilungen Konkurrenzsituation zwischen den Verwaltungen um erfolgen und denjenigen Tätigkeiten, die dem Service, die Fachkräfte ist voll entbrannt und die traditionellen etwa dem Kontakt mit dem Bürger dienen. Und die Vorteile einer Verwaltungsbeschäftigung, wie unbefris- verstärkte Kooperation von Städten, Gemeinden und tete Arbeitsverhältnisse und familienfreundliche Kreisen im Backoffice-Bereich erzeugt Effizienzgewinne 12 LandInForm 2/2019
IM FOKUS Bürger und Kommune und neue Kapazitäten, die wiederum in den erweiterten Verwaltung und Politik als Ort der Teilhabe Service, das Frontoffice, fließen können. Und nicht zuletzt wird dadurch die Ebene der Verwal- tung und Politik als Ort der Teilhabe und Partizipation Diese spezielle Form von interkommunaler Kooperation berührt, auf der ebenfalls wichtige und notwendige Im- ist unter dem Begriff der „Shared Services“ im Sinne von pulse gesetzt werden können. Vorhandene Bürgernetz- „gemeinsamen Diensten“ bekannt – und funktioniert werke, Ehrenämter oder Vereine einzubinden und zu auch für die öffentliche Verwaltung. Zwei oder mehrere stärken und neue Initiativen zu gründen, sind keine Verwaltungen greifen dazu auf einen gemeinsam neu Herausforderungen für das politisch-administrative gebildeten, einen bestehenden oder einen ausgelager- System: Die engagierten Bürger sind wichtige Verbünde- ten Organisationsbereich zurück. Durch ein Shared-Ser- te, um Gestaltungswille und -möglichkeiten im Sinne vice-Center werden Ressourcen gemeinsam genutzt, einer demokratischen Festigung insgesamt zu stärken. die vorher auf eine größere Anzahl von Einheiten oder Das klassische Rollenverhältnis zwischen Bürger, Politik Verwaltungen verteilt waren. Dies könnte im Personal- und Verwaltung würde neu definiert, wenn politische bereich, der Beschaffung und den zentralen Diensten Anstöße durch Initiativen oder den Bürgern selbst erfol- funktionieren, kurzum in jedem Bereich, der nicht un- gen. Nicht selten gab es sowohl seitens der Verwaltung mittelbar mit der direkten Bearbeitung der Bürgeranlie- als auch der Politik gegenüber derartigen Initiativen gen zu tun hat. Vorbehalte bezüglich der Professionalität und der de- mokratischen Legitimation. Doch sieht man in einem Eine grundlegende Aufgabenneuordnung sowie der solchen Paradigmenwechsel diese Initiativen nicht als Einsatz von IT, dem E-Government, würde im ländlichen Störung des kommunalpolitischen Alltags, sondern als Raum darüber hinaus neue Service-Qualitäten erschlie- eine wichtige Bereicherung – im Sinne von innovativem ßen. So könnten etwa mobile Verwaltungsmitarbeiter und neuem Denken –, so können sich daraus neue Dienstleistungen in die Dörfer bringen. In multifunktio- Chancen für den ländlichen Raum entwickeln. Die Füh- nalen Service-Läden, die Verwaltungsdienstleistungen rungskräfte der Verwaltung, aber vor allem die Bürger- gemeinsam mit anderen, durchaus auch privaten meister und Landräte könnten und sollten die Initiative Dienstleistungen – wie Post oder Einkaufsmöglichkeiten übernehmen, um diesen Prozess anzustoßen. – ortsnah anbieten, wären vorbereitende Aktivitäten für die Verwaltung möglich. Es ist letztlich wichtig, Verwal- Die neuen Möglichkeiten der Teilhabe, wie Online-Parti- tungsdienstleistungen auf unterschiedlichen Wegen und zipationen und -Abstimmungen, verdeutlichen, dass in innovativen Formen als Multi-Channel-Management sich regionale Demokratie neu erfinden kann. Nicht zu- im ländlichen Raum neu zu strukturieren. In der Kombi- letzt zeigen Pilotprojekte, wie das Projekt „Open- nation wären dies neue Qualitäts- und Service-Gewinne Government-Modellkommunen“ des Bundesinnenmi- für alle Bürger auf dem Land, die durch die Kooperatio- nisteriums, dass es nicht nur wichtig, sondern vor allem nen im Back-Office-Bereich finanziert und ermöglicht auch möglich ist, das Handeln von Politik und Verwal- werden könnten. tungen im ländlichen Raum zu öffnen und transparenter zu machen. Die ländlichen Räume haben zwar gewichti- Verwaltung und Politik als Gestalter ge Entwicklungsnachteile, verfügen jedoch über wesent- Auf Ebene der Verwaltung und der Politik als Gestalter liche Optionen, die eigene Entwicklung in die Hand zu kommt es entscheidend darauf an, spezifische und auf nehmen. Verwaltungen und Politik können dazu einen den jeweiligen Standort bezogene Entwicklungskonzep- wichtigen, wenn nicht sogar entscheidenden Beitrag te zu entwerfen. Denn nur durch nachholende Entwick- leisten, indem sie als Innovationsvorreiter vorangehen lungen können die ländlichen Räume keinen Attraktivi- und wesentliche Gestaltungsfunktionen tätsgewinn gegenüber den Zentren erzielen. Deshalb nicht nur für, sondern vor allem mit gilt es für Politik und Verwaltung, gemeinsam Aktivitä- den Bürgern wahrnehmen. ten und Initiativen zu entwickeln, die auf eigenständige Innovationen im Bereich der Wirtschaft, der Mobilität, SERVICE: der Förderung der lokalen Wirtschaft und der Schaffung Zum Weiterlesen: Joachim Beck und neuer Bildungs- und Kulturangebote abzielen. Denkbar Jürgen Stember: Wie Open Government Grafik: mtitus /istock wären Innovationskonzepte für Existenzgründungen im auf kommunaler Ebene gelingt. In: ländlichen Raum, die frühzeitig mit geeigneten Partnern Innovative Verwaltung, H. 10/2018 aus Wirtschaft und Wissenschaft entwickelt werden und so endogene Potenziale erschließen könnten. KONTAKT: Prof. Dr. Jürgen Stember Hochschule Harz Fachbereich Verwaltungswissenschaften Telefon: 03943 659-419 jstember@hs-harz.de www.hs-harz.de LandInForm 2/2019 13
IM FOKUS Bürger und Kommune Bürger beteiligen! Kommunen können davon profitieren, wenn sich Bürger einbringen. Denn das Engagement und das Wissen vieler hilft, mit den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen besser umzugehen. [VON MICHÈLE MORNER] Für Kommunen wird es aus zwei Gründen wichtiger, ihre Bürger zu fördern. Wichtige Voraussetzungen dafür sind, dass prinzipiell alle beteiligen: Zum einen sind die Herausforderungen unserer Zeit wie mitmachen dürfen, die möchten, und die Beteiligten den Prozess als der demografische Wandel, der Klimawandel und die Migration vor fair wahrnehmen. Des Weiteren bedarf es bestimmter Regeln und Ort komplexe Probleme. Sie können nur dadurch gehandhabt wer- vor allem deren Einhaltung sowie Sanktionen bei Nichteinhaltung. den, dass verschiedene Expertisen, Denkweisen und Perspektiven, Darüber hinaus müssen die Beteiligten eine Sinnhaftigkeit und Nach- etwa der betroffenen Bürger, einfließen. Zum anderen fühlen sich haltigkeit in den Prozessen sehen und sich wertgeschätzt fühlen. Bürger, die sich in Entscheidungsprozesse einbringen können, wahr- genommen und sind von sich aus stärker motiviert, sich in die Wichtig: Austauschmöglichkeiten Weiterentwicklung der Kommune einzubringen. Verständnis für die Werte und Ziele anderer entsteht am ehesten durch häufige Interaktion und Kommunikation. Dafür müssen in Damit in Beteiligungsprozessen die Perspektiven aller Beteiligter zu- Kommunen Räume geschaffen werden, wie etwa Bürgerforen, in sammengebracht werden können, müssen die Bürger allerdings auch denen sich die Teilnehmer austauschen, Kontakte knüpfen und fähig sein, unterschiedliche Argumente zu verstehen. Dies setzt nicht Vertrauen aufbauen. So können sie voneinander oder von Experten nur die Bereitschaft der Kommune voraus, ihnen Handlungs- und lernen und gemeinsame Lösungsansätze entwickeln. Dabei ist es im Entscheidungsspielräume zu geben, sondern erfordert auch, sie dar- Grunde eine gute Ausgangsposition, wenn keiner der Beteiligten auf vorzubereiten, dabei zu begleiten und zu unterstützen. Während allein über genügend Wissen zur Problemlösung verfügt, da sich Foto: 123RF / lauradibiase die Bürger so die Gelegenheit erhalten, Wissen und Meinungen aus- dann der Abstimmungsbedarf von alleine ergibt. Im Idealfall verfügen zutauschen und weiterzugeben, erhalten die Behördenvertreter die die Akteure über gleichwertige Kompetenzen aus verschiedenen Möglichkeit, fachliche und örtliche Expertisen aufzugreifen, Verständ- Bereichen, denn dies ist Voraussetzung dafür, dass sie sich als eben- nis für den rechtlichen Rahmen zu wecken und die Komplexität von bürtige Interaktionspartner verstehen. Abwägungsprozessen darzustellen. So wird Bürgerbeteiligung zu einem Sozialisationsprozess. Wider die Politikverdrossenheit Probleme nicht nur den Verantwortlichen der Kommune zu überlas- SERVICE: sen, sondern stärker zu vergesellschaften, erscheint auch vor dem Zum Weiterlesen: Michèle Morner, Manuel Misgeld: Hintergrund des aktuellen Wertewandels ein Muss. Viele Menschen Governing Public Value. How to Foster Knowledge- verspüren heute einen Wunsch nach Selbstentfaltung und sind Intensive Collaboration in the Public Sector, in: ausreichend gebildet, um sich gewinnbringend zu engagieren; gleich- Studies in Public and Non-Profit Governance, Vol. 2, zeitig hat die Pflicht an Wert verloren. Können Bürger Einfluss auf 2014, Emerald Group Publishing: Bingley, S. 41-57 kommunale Entscheidungen nehmen, steigt ihr Verantwortungsge- fühl für das große Ganze: Im besten Fall sinkt damit auch die Politik- verdrossenheit und sie sind dazu bereit, ihre individuellen Ziele de- KONTAKT: nen der Kommune unterzuordnen. Vor diesem Hintergrund stellt Prof. Dr. Michèle Morner der Sozialwissenschaftler Siegfried Mauch die These auf, dass sich Deutsche Universität für eine bürgerdemokratische Gemeinschaft nur dann entwickeln kann, Verwaltungswissenschaften Speyer wenn Verwaltungen beteiligungsoffen sind und die Bürger gleich- Telefon: 06232 654-276 zeitig von sich aus Interesse an freiwilliger Beteiligung haben. morner@uni-speyer.de www.uni-speyer.de Die Motivationstheorie hat einige Faktoren identifiziert, die solch eine intrinsische Motivation, also ein Handeln aus eigenem Antrieb 14 LandInForm 2/2019
IM FOKUS Bürger und Kommune Bürgerkredite für Kommunen Kommunen können oft nicht selbst entscheiden, wofür sie Geld ausgeben. Das kann sich negativ auf das Demokratieverständnis ihrer Bürger auswirken. Ein Ansatz: Crowdfunding. So könnten Bürger in kommunale Projekte investieren, die sie sinnvoll finden. [VON FLORIAN SCHILLING] 8,7 Milliarden Euro. Mit diesem Über- Kommunale Finanzautonomie sichern gerade auch finanzschwächere Kommu- schuss haben Kommunen statistisch Wie können Kommunen also finanziell nen im ländlichen Raum stärken. das Jahr 2018 abgeschlossen. Das bedeu- stärker werden? Aus Sicht des Deutschen tet aber nicht, dass alle auch tatsächlich Städte- und Gemeindebundes sind vor al- Bürger könnten investieren einen Überschuss erwirtschaften konnten. lem zwei Dinge erforderlich: Zum einen Ein ergänzendes Finanzierungsinstrument Trotz sprudelnder Steuereinnahmen und müsste der Bund mehr kommunale Sozi- für kommunale Investitionen kann in Rekordbeschäftigung gelingt es etlichen Zukunft, gerade auch in kleineren Gemein- Städten und Gemeinden nicht oder nur den, das Crowdfunding darstellen. Im Mit- schwer, ausgeglichene Haushalte zu erzie- telpunkt stünde weniger die Wirtschaft- len. Die über viele Jahre mangelhafte und lichkeit aus Sicht der Kommune. Vielmehr wenig aufgabengerechte Finanzausstat- wäre es eine Möglichkeit, Bürger direkt tung hat zu hohen kommunalen Altschul- mit einzubeziehen. Durch ihr Engagement den und einem massiven Investitionsrück- würden sie sich stärker mit dem Infrastruk- stand von zuletzt rund 159 Milliarden Euro turprojekt identifizieren. So ließe sich auch geführt. Die Schere zwischen finanzstar- sicherstellen, dass nicht am Bedarf vor- ken und -schwachen Kommunen wird beigebaut wird. Am bekanntesten ist der größer. Bürgerkredit. Dabei erhält der Bürger – Gerade finanzschwache Städte und Ge- meinden sind in ihrer Handlungsfähigkeit anders als beim spenden- oder gegenleis- stark eingeschränkt. Zweckgebundene tungsbasierten Crowdfunding – seinen Ausgaben – vor allem Transferleistungen alkosten übernehmen, zum anderen ist finanziellen Beitrag vollständig und ver- im Sozialbereich – steigen. Ihre Höhe die gemeindliche Steuerbasis zu stärken. zinst zurück. Diese schwarmfinanzierten können die Kommunen nicht selbst be- Hierzu gilt es zunächst, die konjunkturun- kommunalen Projekte müssen für die stimmen. Dadurch wird der Spielraum abhängige Grundsteuer zu sichern: Das Bürger einen unmittelbaren Nutzen und für freiwillige Aufgaben kleiner. Spiel- Gesetzgebungsverfahren muss binnen sichtbaren Mehrwert haben. Bei Schulen, plätze, Bäder oder kulturelle Einrichtun- Jahresfrist abgeschlossen sein, ansonsten Bädern und der Feuerwehr trifft das auf gen können nicht mehr errichtet, unter- kann die Grundsteuer bereits ab dem Jahr jeden Fall zu. halten oder bespielt werden. Notwendige 2020 nicht mehr erhoben werden. Weiter- Investitionen in Schulen und Straßen hin ist die Gewerbesteuerpflicht auch auf mussten und müssen teilweise immer Selbstständige auszuweiten. Um die kom- noch aufgeschoben werden. Das wirkt munale Steuerautonomie zu stärken, soll- KONTAKT: sich unmittelbar auf die Lebensqualität te der gemeindliche Umsatzsteueranteil Florian Schilling der Bürger vor Ort aus. Eine mangel- zu Lasten des Bundes beziehungsweise Deutscher Städte- und hafte Finanzautonomie schränkt die der Länder erhöht werden. Dabei sollten Gemeindebund Fotos: ribkhan/iStock kommunale Selbstverwaltung derart ein, die zusätzlichen Umsatzsteuermittel allein Telefon: 030 77307-205 dass eine lebendige Demokratie in den nach der Einwohnerzahl verteilt werden, florian.schilling@dstgb.de Städten und Gemeinden vor Ort massiv auf wirtschaftskraftbezogene Kennzahlen www.dstgb.de gefährdet ist. sollte dabei verzichtet werden. Das würde LandInForm 2/2019 15
IM FOKUS Bürger und Kommune Größe allein ist nicht alles Gebietsreformen sind ein Thema, das Politik, Wissenschaft und Bevölkerung schon seit Jahrzehnten beschäftigt. Was bringen sie? Und wie wirken sie sich auf die Beteiligung aus? [VON GISELA FÄRBER UND KARIN GLASHAUSER] In den 1970er-Jahren ging es los: Während zu Beginn Negative Folgen für die Partizipation dieses Jahrzehnts in den westdeutschen Bundesländern Neueste Studien zeigen zudem, dass sich Gebietsrefor- Gebietsfusionen auf Gemeinde- und Kreisebene statt- men negativ auf das aktive und passive Wahlrecht aus- fanden, schlossen nach der deutschen Vereinigung die wirken. Die Wege für Ehrenamtliche verlängern sich und ostdeutschen Länder zunächst viele ihrer Landkreise das politische Geschehen erscheint ferner, was sich zusammen. Später führten einige von ihnen Territorial- wiederum in Nicht- und Protestwahl äußert. Geringere reformen durch, fusionierten Kreise und kreisten zuvor Zahlen an ehrenamtlichen Kommunalpolitikern, die sich kreisfreie Städte ein. Mecklenburg-Vorpommern weist vor Ort engagieren und die Politikinhalte in die Bevölke- heute die größten Flächenlandkreise der Bundesrepub- rung tragen, führen zu einem geringeren Interesse der lik auf. Seit zehn Jahren werden auch in Rheinland-Pfalz Bevölkerung für die öffentlichen Belange vor Ort. Mit Orts- und Verbandsgemeinden fusioniert. Zumeist wur- dem Gefühl, immer weniger Einfluss zu haben, verrin- den und werden die neuen Gebietskörperschaften tech- gert sich die Identifikation der Menschen mit ihrem Ort. nokratisch über Mindesteinwohnerzahlen und -flächen definiert, die häufig wenig Rücksicht auf gewachsene Insgesamt fehlt es an Forschung, wie sich die Gebietsre- Identitäten vor Ort nehmen. formen auf die regionale und lokale Bevölkerungsent- wicklung und die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort Die Folgen des demografischen Wandels, prekäre kom- tatsächlich ausgewirkt haben. Letztlich scheinen aber munale Haushaltslagen und der Wunsch nach einer ge- die Nachteile die sich kaum einstellenden Vorteile zu Grafik: rbiedermann/iStock.com steigerten Leistungsfähigkeit der Verwaltungen sind Be- überwiegen. Deshalb sollten alternative Lösungen wie gründungen für Gebietsreformen. Man erhoffte sich von Kooperationen zwischen den Kommunen vorangetrie- den Reformen eine Reduzierung der hohen Schulden- ben werden. Eine Trennung in Backoffice und Frontoffice stände einiger Kommunen und ging davon aus, dass wäre denkbar: Administrative, übergeordnete Aufgaben eine vergrößerte Verwaltung leistungsfähiger ist, insbe- könnten von denjenigen getrennt werden, die den Kon- sondere, weil größere Kommunen mehr höher dotierte takt zu den Bürgern erfordern. Stellen für qualifizierteres Personal anbieten können. Keine Einsparungen SERVICE: Die erhofften Einsparungen stellten sich jedoch, wie Hintergrund: Im Rahmen der Bund-Länder- neuere Studien belegen, kaum ein. Das liegt vor allem Initiative „Innovative Hochschule“ des Bundes daran, dass ein Großteil der kommunalen Ausgaben forschungsministeriums betrachtet die Universität Transferleistungen für den Sozialbereich, also zumeist Speyer den „Wissens- und Ideentransfer für Inno- Pflichtaufgaben sind, die sich nicht einsparen lassen. vationen in der Verwaltung“ sowie im Teilprojekt Außerdem ändern sich durch die Fusion vorher selbst- „Kooperation Vorderpfalz“ den Einfluss von ständiger Kommunen nicht die Siedlungsstrukturen, die Gemeindegrößen. die Kosten für die kommunale Infrastruktur langfristig bestimmen. Um bei Abstimmungen Mehrheiten für den kommunalen Haushalt zu gewinnen, müssen zudem alle KONTAKT: neuen Ortsteile bedient werden. Das führte häufig sogar Prof. Dr. Gisela Färber, Karin Glashauser zu höheren Ausgaben. Gleichzeitig bedeuten Gebietsre- Deutsche Universität für formen, dass Gebäude und Liegenschaften sowie Inves- Verwaltungswissenschaften Speyer titionsschulden von den neuen Kommunen übernom- glashauser@uni-speyer.de men werden müssen. www.uni-speyer.de 16 LandInForm 2/2019
IM FOKUS Bürger und Kommune Gebietsreformen zerschlagen das Ehrenamt Werden kleine Gemeinden durch Gebietsreformen zusammengeschlossen, verlieren sie einen Teil ihrer Mitbestimmungsrechte. Die Dorfbewegung Brandenburg will dies ändern. Frank Schütz ist ehrenamtlicher Bürgermeister der Wie können eingemeindete Ortsteile wieder Gemeinde Golzow und Vorstand der Dorfbewegung mehr Handlungsspielraum erhalten? Brandenburg e. V. – Netzwerk Lebendige Dörfer. Wir brauchen mehr Beteiligungsrechte, um in den Wir brauchen www.lebendige-doerfer.de Ortsteilen und selbstständigen kleinen Gemeinden Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Ortsbeiräte mehr Beteiligungs- müssen ein Mitglieds- und Vetorecht in den Gemeinde- räten bekommen. Die ganze Zusammenlegeritis ent- rechte für Herr Schütz, der Druck von kommunaler Ebene steht ja aus Demografieangst. Dabei sollte man die die Ortsteile.“ hat dafür gesorgt, dass eine Gemeindegebietsre- Infrastrukturen stärken, um die Ortschaften attraktiv form in Brandenburg im Jahr 2017 abgesagt wurde. für Einwohner und Zuzügler zu machen. Vor allem im Was wären aus Ihrer Sicht die Konsequenzen Umkreis von Ballungszentren böte das den Gemeinden einer solchen Reform gewesen? Chancen, die auch die Städte entlasten würden, etwa Die Frage ist: Was könnten die entstandenen Ortsteile in Bezug auf knappen Wohnraum. Ortsteilbudgets sind einer Gemeinde dann noch entscheiden? Sie hätten ein weiteres wichtiges Instrument, das zum Beispiel in noch nicht einmal bei der Flächennutzungsplanung der brandenburgischen Gemeinde Storkow sehr gut Vetorecht, geschweige denn bei der Bauleitplanung. funktioniert, da sie je nach Bedarf der Ortsteile und Das Recht auf Trägerschaft für Schulen und Kinder- nach Haushaltslage der Kommune festgelegt werden gärten ginge verloren. Auch Golzow hätte die Träger- (siehe Seiten 20 – 21). So können schnell und unbürokra- schaft für seine Schule abgeben müssen. Die einge- tisch Mängel beseitigt werden. Auch Dorfmoderatoren meindeten Ortsteile werden quasi handlungsunfähig sind als Schnittstelle zwischen Ehrenamtlern und Kom- und würden womöglich innerhalb der Politik einer munalpolitikern wichtig, sie verschaffen den Belangen größeren Gemeinde untergehen, denn die Ortsvorsteher der Ortsteile Gehör. Um den dafür notwendigen Rahmen haben kein Stimmrecht in den Gemeinderäten. Auch der zu schaffen, sind unter anderem die vorhandenen Amtsausschuss besteht in der Regel aus den hauptamt- LEADER-Strukturen gut geeignet. lichen Bürgermeistern der Gemeinden, sie werden nicht in den Ausschuss gewählt, sondern abgeordnet. Eine Wie verschafft die Dorfbewegung Brandenburg zentrale Folge wäre die Zerschlagung des Ehrenamts den Ortsteilen mehr Gehör? in den Ortsteilen, denn die Ortsvorsteher arbeiten Wir bringen uns in die Politik auf Landesebene ein. ehrenamtlich. Wenn sich durch Gebietsreformen immer Kürzlich haben wir eine Stellungnahme zum Abschluss- mehr Handlungsspielraum von der ehrenamtlichen bericht der Enquetekommission zur Zukunft der ländli- auf die Verwaltungsseite verlagert, wird der Bedarf chen Regionen abgegeben und verfolgen genau, was direkt vor Ort nicht mehr erkannt oder zu langsam damit passiert. An der Bildungsstätte Schloss Trebnitz reagiert. Das fördert Politikverdrossenheit. haben wir eine „Akademie der Dorfhelden“ ins Leben gerufen, bei der ehrenamtlich Engagierte zusammen- Können Sie auch einigen Argumenten pro kommen können, nützliche Informationen und Hinweise Gebietsreformen etwas abgewinnen? erhalten, für ihre Arbeit Wertschätzung erfahren und Dass die kommunalen Verwaltungsstrukturen moderni- ihr Wissen weitergeben. Wir kommunizieren außerdem siert werden müssen, ist unumstritten. Unsere Schluss- eng mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, folgerung für Golzow ist aber, dass wir die Zusammen- ich selbst bin Mitglied in der Arbeitsgruppe „Ehrenamt- arbeit zwischen den einzelnen kommunalen Ämtern liche Bürgermeister“, um wichtige politische Akzente verbessern müssen und zielgerichtet moderne Medien für selbstständige Kommunen setzen zu können. nutzen wollen, um die Verwaltung effizienter zu machen. Foto: privat Daran arbeiten wir gerade. Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Juliane Mante. LandInForm 2/2019 17
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