FITT Forschungsbericht 3/2013 - Tiergestützte Therapie: Gestern und heute. Rainer Wohlfarth

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FITT Forschungsbericht 3/2013 - Tiergestützte Therapie: Gestern und heute. Rainer Wohlfarth
FITT  Forschungsbericht 3/2013
              Aktuelle Ergebnisse aus der Projektarbeit des
               Freiburger Instituts für tiergestützte Therapie

Tiergestützte Therapie: Gestern und
heute.

Rainer Wohlfarth
Mit der Publikation von Forschungsberichten will das Freiburger Institut für tiergestützte Therapie der
interessierten Fachöffentlichkeit Einblick in seine laufenden Arbeiten geben. Die Berichte sollen aber
auch den Praktiker und Praktikerinnen, wie Forscherinnen und Forschern einen unkomplizierten und
raschen Zugang zu neuen Informationen über tiergestützte Therapie verschaffen.
Vor allem Berichte aus Experimentalpsychologischen Praktika, aber auch Bachelor- und Masterarbei-
ten, welche in Kooperationen mit dem Psychologischen Institut der Universität Freiburg (Frau Prof.
Ulrike Halsband) und der Pädagogischen Hochschule Freiburg (Dr. Rainer Wohlfarth) entstanden
sind, bilden die Basis der Reihe.

Herausgeber
Freiburger Institut für tiergestützte Therapie
Zum Litzfürst 8a
79194 Gundelfingen

Autor
Rainer Wohlfarth1,2
1: Freiburger Institut für tiergestützte Therapie
2: Fachbereich Public Health & Health Education, Pädagogische Hochschule Freiburg

Rechte
Nachdruck - auch auszugsweise -
nur mit Genehmigung des Freiburger Instituts für tiergestützte Therapie gestattet
Tiergestützte Therapie: Gestern und heute                            3

Inhaltsverzeichnis

1   Die Frühzeit .......................................................................................................................................... 5
2   Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten................................................................................................ 6
3   Der Beginn der modernen tiergestützten Therapie ............................................................................... 7
4   Die wissenschaftliche Erforschung beginnt ......................................................................................... 9
5   Erste Organisationen entstehen .......................................................................................................... 10
6   Stand heute?! ...................................................................................................................................... 11
7   Literatur .............................................................................................................................................. 14
4   Tiergestützten Therapie: Gestern und heute
Tiergestützte Therapie: Gestern und heute     5

1   Die Frühzeit
Der Beginn der tiergestützten Arbeit kann nicht genau datiert werden. Die ersten Zeugnisse der
positiven Wirkung von Mensch-Tier-Beziehungen stammen aus Gheel in Belgien, wo bereits im 9.
Jahrhundert Tiere eingesetzt wurden, um das Wohlbefinden von Menschen mit psychischen
Beeinträchtigungen zu fördern. Um den Einsatz von Tieren in dieser Frühphase verstehen zu können,
muss man sich vor Augen halten, dass psychisch kranke oder körperlich behinderte Menschen im
Mittelalter in Verließe oder Gefängnisse gesperrt oder als Aussätzige behandelt wurden.

Das Bewusstsein, dass es sich bei Menschen, die psychischen Störungen leiden, um Kranke handelt,
die einer eigenen Versorgung bedürfen, hat sich historisch erst langsam entwickelt. In vielen Städten
des Mittelalters existierten Spitälern, die von Orden, Stiftungen oder Städte betrieben wurden und
Alte, «Gebrechliche» und «Sieche» versorgten. Die „Restkategorie“ von Fürsorgebedürftigen, die sich
aus Straffälligen, psychisch kranken und anderweitig pflegebedürftigen Personen zusammensetzte,
wurde zumeist nicht in die bürgerlichen Hospitäler oder Stadtasyle aufgenommen, sondern als
Außenseiter der bürgerlichen Gesellschaft gemeinsam in Armen- oder Zuchthäusern untergebracht.

Es existieren einige frühe Beispiele einer humaneren Unterbringung psychisch Kranker wozu auch
Gheel in Belgien gehört. Dort setzte man eine „therapie naturelle“. Gmeint

ein, die vor allem sozioökonomisch benachteiligten Menschen eine bessere Lebensbasis und –
zufriedenheit geben sollte. Dazu zählten die Landarbeit und die Versorgung von Tieren (Bustad,
1995).

Ähnliche Erfahrungen wiederholten sich im 18. und 19. Jahrhundert in angelsächsischen und
deutschen Krankenhäusern Literatur unterschiedlich dargestellt. Ein Beispiel ist die Psychiatrie York
Retreat, die 1792 von der Society of Friends einer englischen Quäker Gruppe mit ihrem Leiter
William Tuke gegründet wurde (Serpell, 1990).

Es sollte ein Ort geschaffen werden, in dem psychisch kranke Menschen respektiert und wertgeschätzt
werden. Die Bewohner wurde ein möglichst selbstständiges Leben ermöglich und sie bekamen die
Möglichkeit, sich um Gartenanlagen und Tiere zu kümmern. Durch das Leben in der Natur mit den
Tieren sollten ihre Selbstheilungskräfte gestärkt werden.

Um 1860 setzte auch Florence Nightingale Tiere ein: „a small pet animal is often an excellent
companion for the sick˝ (Johnson 2002, 317)

Ein weiteres Beispiel für die Integration von Tieren in den Heilungsprozess ist die 1867 gegründete
Heil- und Pflegeanstalt für Menschen mit Epilepsie in Bethel bei Bielefeld. Die Heilanstalt wurde auf
einem Hofgut errichtet, sodass die Menschen mit Epilepsie im Umgang mit den Tieren von ihrer
Erkrankung abgelenkt wurden und dadurch Heilung erfahren sollten.

1947 gründete die Familie Ross auf einer Farm in der Nähe von New York „Green Chimneys”, ein
Internat für verhaltensgestörte, behinderte und missbrauchte Kinder, die im Umgang mit Tieren und
deren Pflege emotionale Gesundheit, Wohlbefinden und Selbstständigkeit erlangen sollen. Diese
Institution hat sich bis heute als erfolgreiches Langzeitprojekt bewährt.
6       Tiergestützten Therapie: Gestern und heute

    Anfangs wurden Tiere also eher unbewusst eingesetzt und man begnügte sich mit Alltagsbeobachtung,
    dass die Anwesenheit von Tieren kranken Menschen Ablenkung und Freude brachte. Dabei standen
    nicht konkrete therapeutische Zielsetzungen im Vordergrund, sondern die allgemeinen Wirkungen, die
    auch ein Haustier besitzt. Durch die Tiere wurde den Patienten das Gefühl vermittelt, trotz ihrer
    Beeinträchtigungen und Benachteiligungen eine Aufgabe zu haben und gebraucht zu werden.

    1942 wurde in New York das Army Air Force Convalescent Hospital gegründet, das aus dem Krieg
    heimgekehrten traumatisierten Soldaten Möglichkeiten für die Aufarbeitung ihrer Kriegserlebnisse
    bot. Das Zusammenleben mit den Tieren und deren Versorgung war ebenso Teil der Therapie wie
    wissenschaftlich anerkannte Therapieformen.

    Man kann festhalten, dass alle diese Ansätze aus heutiger Sicht keine tiergestützte Therapie im
    engeren Sinne darstellen, sondern der Umgang mit Haus- bzw. Nutztieren wurde genutzt, um
    Menschen zu beschäftigen, zu beruhigen und so das allgemeine Wohlbefinden zu erhöhen. Heute
    würde man eher von „Farmtherapie“ oder „Green Therapy“ sprechen.

    2      Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten
    “The use of animals to assist human therapeutic activities has a long history, but extensive,
    documented, and organized use is relatively new” (Fine 2000, S.22). Erst Mitte des vergangenen
    Jahrhunderts wurde begonnen, die Wirkungen von Tieren auf Menschen systematisch zu
    dokumentieren.

    Einer der ersten wissenschaftlichen Artikel, in dem mögliche therapeutische Wirkungen von Tiere für
    den Menschen beschrieben wurden, stammt von Arline Siegel aus dem Jahr 1962. Der Titel ihres
    Artikels lautete: „Reaching the Serverly Withdrawn through pets“. Zwar war zu dieser Zeit die
    positiven Wirkungen von Hunden, Katzen oder anderen Tieren schon bekannt, doch lagen bis zu
    diesem Zeitpunkt keine systematischen empirischen Arbeiten dazu vor. So verweist auch Siegel auf
    die Erfahrungen im Heim York Retreat. Sie beschreibt aber auch, dass seit einigen Jahren im Speyer
    Hospital for Animals in New York, einer Tierklinik und einem Tierheim, die positiven Wirkung von
    Tieren auf Menschen mit körperlichen und psychischen Krankheiten aufgefallen seien. Besonders bei
    Menschen, die depressiv und sogar suizidal waren, hätten sich beachtliche Effekte gezeigt. Siegel
    schreibt, dies habe dazu geführt, dass Ärzte ihren Patienten empfehlen ein Tier aus diesem Tierheim
    aufzunehmen, um das sie sich dann kümmern können

    Siegel vermutete, dass die Tiere vor allem dadurch wirken, dass sie vorurteilsfrei auf die Menschen
    zugehen: “The animal does not judge but offers a feeling of intense loyality to persons who need that
    feeling. It is not frightening or demanding, nor does it expose its master to the ugly strain of constant
    criticism. It provides its owner with the chance to feel important knowing that the pet`s dependency is
    on him” (Siegel, 1962, S.1046).

    Dieser von Siegel in den sechziger Jahren postulierte Wirkmechanismus, wird heute noch häufig zur
    Erklärung der förderlichen Wirkungen des Mensch-Tier-Kontaktes herangezogen. Durch die Reaktion
    des Gegenübers, hier des Tieres, erfährt der Mensch ein Gefühl des Angenommenwerdens, was frei ist
    von Ich- bezogenen Zweifeln und Ängsten (Olbrich, 2003, S. 65ff).
Tiergestützte Therapie: Gestern und heute       7

3    Der Beginn der modernen tiergestützten Therapie
Der Beginn der modernen tiergestützten Therapie kann auf das Jahr 1962 datiert werden. Damals
erschien das Buch „The dog as a Co-Therapist“ („Der Hund als Co-Therapeut“). Autor war der
amerikanische Kinderpsychotherapeut Boris Levinson.

Levinson, der heute als Pionier der tiergestützten Therapie gilt, entdeckte per Zufall, dass ein Tier ein
Katalysator für menschliche Interaktionen sein kann. Um zu verdeutlichen wie ein Tier einen
Therapieprozess unterstützen kann, wird folgende Schlüsselgeschichte von Levinson in seinem Buch
berichtet:

„Die Eltern eines Jungen, der lange Zeit erfolglos behandelt wurde, baten Levinson, die Behandlung
ihres Sohnes zu übernehmen. Daraufhin lud er sie zu einem Gespräch in seine Praxis ein. Die völlig
verzweifelten Eltern erschienen bereits eine Stunde vor dem verabredeten Termin. Zu dieser Zeit war
zufällig Levinsons Hund Jingles in der Praxis. Auf die stürmische Begrüßung durch Jingles reagierte
der Junge nicht ängstlich, sondern drückte und streichelte das Tier. Nach einer Weile fragte das Kind,
ob wohl alle Kinder, die in seine Praxis kamen, mit dem Hund spielen dürften. Auf die zustimmende
Antwort des Psychologen erklärte der Junge, dann auch wiederkommen zu wollen, um mit dem Hund
zu spielen. Dies tat er dann einige Sitzungen lang, ohne Levinson selbst Beachtung zu schenken.
Allmählich wurde dieser aber in das Spiel mit einbezogen. Langsam entwickelten die beiden eine gute
Arbeitsbeziehung, an deren Ende die Rehabilitation des Jungen stand“ (Levinson, 1962, S.105).

Nach dieser Erfahrung setzte Levinson nun auch bei seinen anderen Patienten Jingles als „Eisbrecher“
ein und erreichte so, dass sich die Kinder ihm mehr als je zuvor öffneten, ihre Reserviertheit und
Feindseligkeit ihm gegenüber aufgaben. Doch Levinson wies auch darauf hin, dass Tiere nicht nur auf
psychisch labile Kinder, sondern auch auf eine gesunde emotionale Entwicklung im Kindesalter
positive Auswirkungen haben kann

Boris Levinson wählte dann 1969 den Terminus „Heimtiertherapie“ („pet therapy“), um den Einsatz
von Tieren bei der Behandlung von psychischen Störungen bei Kindern zu beschreiben. Von vielen
seiner Fachkollegen wurde Levinson zunächst belächelt oder sogar heftig verspottet.

However, his promotion of “pet-therapy” or “pet-oriented child psychotherapy” or “human/
companion animal therapy” (all terms that he coined for his work) was met with cynicism and disdain
by many colleagues. It was reported that one member of a professional audience to which Levinson
presented his thesis asked: ‘Do you share your fee with the dog?’ (Fine 2000; S.xxviii)

In seinem Buch über “pet-oriented child psychotherapy” aus dem Jahr 1969 konstatiert Levinson: „It
has by no means been the intention of this writer to indicate that pets are a panacea for all the ills of
society or for the pain involved in growing up and growing old. However, pets are both an aid to and a
sign of the rehumanization of society. They are an aid in that they help to fill needs which are not
being met in other, perhaps better ways, because society makes inadequate provision for meeting
them. In the meantime, animals can provide some relief, give much pleasure and remind us of our
origins” (p.3).

Durch Levinson rücken die Tiere als therapeutische Begleiter in das wissenschaftliche Bewusstsein
verschiedenster Disziplinen. Erste wissenschaftliche Abhandlungen und Studien sind in der Folge
8    Tiergestützten Therapie: Gestern und heute

    durch die Psychologen Sam und Elisabeth Corson, die Soziologin Erika Friedmann und den Mediziner
    Aaron H. Katcher durchgeführt worden.

    In den 1970iger Jahren bauten Sam und Elizabeth O’Leary Corson an der Psychiatrischen Klinik der
    Ohio State University ein Tierversuchslabor auf, in dem sie das Verhalten von Hunden in
    unterschiedlichen Settings beobachten wollten. Sie hatten die Vorstellung, dass das Verhalten der
    Hunde ihnen einen Einblick in das Verhalten von Kindern und Jugendlichen erlauben würde. Da der
    Zwinger, in dem die Hunde gehalten wurden, nicht lärmgeschützt war, hörten die Patienten in der
    Jugendlichen-Abteilung die Hunde bellen. Schon bald fragten Jugendliche, die bisher schweigsam
    waren und sich in sich zurückgezogen hatten, ob sie bei der Versorgung der Hunde mithelfen könnten
    und ob sie sich nicht intensiver um die Hunde kümmern dürften.

    Die Reaktion der Jugendlichen auf die Hunde regten die Corsons an ein Forschungsprojekt zu starten,
    das zeigen sollte, welche Effekte Hunde auf psychiatrische Patienten haben können. Ausgewählt
    wurden vor allem solche Patienten, die bisher nicht auf die herkömmlichen Behandlungsmethoden
    angesprochen hatten. Das fast unglaubliche Ergebnis dieser Pilotstudie war eine dramatische
    Verbesserung bei 28 von 47 Patienten (Corson, Corson & Gwynne, 1974): „ ... most of the patients
    became less withdrawn, answering a therapist’s questions sooner and more fully. Subjectively, the
    patients appeared happier…” (Beck 2000; S.24)

    Das Forscherehepaar kam zu dem Schluss: „This assumption of responsibility for the safety and care
    of the dogs serves to develop self-confidence in the patients and gradually transformed them from
    irresponsible, dependant psychologic invalids into self-respecting responsible individuals”. (Corson et
    al. 1977, 65). Sie schlussfolgerten, dass sich aufgrund der Anwesenheit der Hunde auf der Station, es
    den Jugendlichen leichter falle, soziale Kontakte zu knüpfen. Auch breite sich durch die Interaktion
    zwischen Patienten, Hunden und Therapeuten ein „erweiternder Kreis aus Wärme und Zustimmung”
    aus (Corson et al. 1977, 65).

    Die Verbesserungen, welche durch den Umgang mit den Hunden erzielt wurden, erklärten Elisabeth
    und Samuel Corson damit, dass sich Kinder und Jugendliche zu Tieren hingezogen fühlen, unabhängig
    davon, ob sie in der Lage sind, zu Erwachsenen eine Beziehung aufzubauen. Jugendliche seien bereit,
    so die Corsons, Tieren Vertrauen entgegenzubringen, da sie entweder noch keine Erfahrungen mit
    ihnen gemacht haben oder sogar positive. Viele Kinder und Jugendliche fühlten beim Umgang mit den
    Hunden Sicherheit, da die Tiere einen untergeordneten Status haben (Corson et al. 1977, 64f)

    1975 wechselte das Ehepaar Corson mit ihrem Projekt zur tiergestützten Therapie in ein
    Altenpflegeheim. Auch dort konnten sie Tiere erfolgreich einsetzen. Erst in dieser Zeit begannen die
    Corsons systematisch die körperlichen, psychologischen und sozialen Wirkungen von Tieren zu
    beschreiben. Die Vorstellung, dass tiergestützte Therapie als therapeutische Intervention ähnlich der
    Musik- oder Kunsttherapie genutzt werden sollte, hat in dieser Arbeit der Corsons ihre Wurzeln.

    Fast zeitgleich erschien ein Aufsatz „Ein Kaninchen auf Rezept“ von Marina Doyles, der die positive
    Wirkung eines Kaninchens in einer psychiatrischen Klinik aufzeigte. Durch die Anwesenheit des
    Tieres wurde die Atmosphäre entspannter, es gab mehr Gespräche und die Patienten bauten eine
    Beziehung zum Tier auf, welche zugleich eine Verbindung zur äußeren Realität war.
Tiergestützte Therapie: Gestern und heute      9

4   Die wissenschaftliche Erforschung beginnt
Damit hatten mehrere Therapeuten übereinstimmend von wachsendem Selbstwertgefühl, stärkere
körperliche und geistige Aktivität, steigender Verantwortungsbewusstsein und sozialer Kompetenz
durch Kontakt mit Tieren berichtet. Jedoch sind diese Befunde nicht auf andere Situationen
übertragbar. Die Fallstudien und Beobachtungen aus den frühen sechziger und siebziger Jahre, die oft
zitiert wurden, besitzen zwar viel Plausibilität, jedoch fehlt ihnen eine wissenschaftlich empirische
Evidenz. Die Levinson wie das Ehepaar Corson haben darauf hingewiesen, dass mehr Forschung
notwendig ist, um das Phänomen, wie Tiere Menschen in therapeutischen Situationen positiv
beeinflussen können, notwendig sind.

Bei einer Untersuchung darüber, welche Faktoren die Prognose bei Herzinfarktpatienten positiv
beeinflussen, stellte die Soziologin Erika Friedmann in den 1980er Jahren zu ihrem eigenen Erstaunen
fest, dass den entschieden günstigsten Einfluss der Besitz eines Haustieres darstellte.

Erika Friedmann und Mitarbeiter führten Erhebungen bei 96 Patienten durch, die einen Herzinfarkt
erlitten hatten oder an einer Angina pectoris erkrankt waren, durch. Ziel der Arbeit war, Faktoren zu
ermitteln, die Auskunft über die Überlebensrate nach der Krankenhausentlassung geben. Erika
Friedmann widmete sich bei ihrer Erhebung besonders zwei Faktoren: Der sozialen Isolation und dem
Nutzen von Kontakten und Partnerschaft für eine Genesung der Infarktpatienten. Die Auswertung der
Daten erbrachte jedoch ein erstaunliches Ergebnis: Die meisten der Patienten, die überlebt hatten,
besaßen ein Haustier. Weitere Analysen zeigten, dass keine Rolle spielte, um welche Tierart es sich
handelt.

“Only 5,7% of the 53 pet owners compared with 28,2% of the 39 patients who did not own pets died
within 1 year of discharge from a coronary care unit (p >.05). The effekt of pet ownership on survival
was independent of the severity of the cardiovascular disease” (Friedmann 2000; S.42).

Diese und andere Studien regten die Wissenschaft an, sich intensiver mit der Frage zu beschäftigen,
warum und wodurch Tiere eine positive Wirkung das körperliche und seelische Wohlbefinden des
Menschen haben können.

Alan Beck, Direktor des Center for Applied Ethology and Human-Interaction am Veterinarian Centre
at Purdue University und Aaron Katcher, Psychiater und Dozent an der University of Pennsylvania,
trugen ebenso maßgeblich zum Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung bei. So postulierten Beck und
Katcher 1983, dass Tiere die körperliche und psychische Gesundheit fördern können, als täglicher
Begleiter des Menschen soziale Unterstützung bieten und auch therapeutisch wirken können. In der
zweiten Auflage ihres Buches im Jahr 1996 belegten sie mit zahlreichen Forschungsarbeiten ihre Vor-
stellung, dass Tiere nicht für uns notwendige Begleiter sind, sondern dass sie auch einfach in die psy-
chotherapeutische Arbeit mit Menschen integriert werden können (Beck & Katcher, 1996).

In Deutschland war Prof. Bergler und die Forschungsgruppe Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung
wesentlich an der wissenschaftlichen Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung beteiligt. Die bisheri-
gen theoretischen wie empirischen Forschungsergebnisse wurden seit 1986 in zahlreichen Monogra-
phien, Zeitschriftenartikeln und Kongressbeiträgen publiziert. So erschien zum Beispiel 1986 das
Buch „Mensch und Hund“.
10       Tiergestützten Therapie: Gestern und heute

     5      Erste Organisationen entstehen
     Ende der 70er Jahre gründeten Mediziner, Psychologen, Gerontologen, Psychotherapeuten und Ver-
     haltensforscher aus den USA und England eine Organisation, - die „Human Animal Companion
     Bond“ – welche die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung zur Aufgabe hat. Aus diesen Anfängen
     bildete sich im Laufe der Jahrzehnte eine große Anzahl von Institutionen, die sich mit der Mensch-
     Tier-Beziehung befassen:

     1977 gründete sich in Portland/Oregon die Stiftung „Delta Socitey“, die mit ihrem sogenannten »Pet
     Partner Programm „Pet facilitated Therapy“« flächendeckend in den USA verbreitete. In 2012, Delta
     Society changed its name to Pet Partners in order to convey more clearly its mission. Nach über 35
     Jahren änderte die Delta Society 2012 ihren Namen in »Pet Partners«. Wichtigstes Ziel der Organisa-
     tion ist weiterhin die Verbesserung der Gesundheit von Menschen durch die positive Interaktion mit
     Therapie-, Service- und Haustieren (englisch: therapy, service and companion animals).

     1990 wurde die internationale Dachorganisation „International Association of Human-Animal Interac-
     tion Organizations“ (IAHAIO) mit Hauptsitz in Renton (Washington, D.C.) gegründet. Als Folge des
     internationalen Zusammenschlusses aller Institutionen, die sich mit dem Thema Mensch-Tier-
     Beziehung beschäftigen, ist die IAHAIO in Organisationen weltweit untergliedert, z. B. in Großbri-
     tannien (z.B. Society für Companion Animal Studies), in Deutschland (z.B. Forschungskreis Heimtie-
     re in der Gesellschaft, Hamburg), in Japan (z.B. Society for the Study of Human Animal Relations).

     Der von der Delta Society (heute Pet Partners) ausgelösten Boom vor allem Hunde in Therapien aber
     auch im Rahmen von Besuchsdiensten in den USA einzusetzen, führte auch im deutschsprachigen
     Raum zur Gründung unterschiedlichster Organisationen. Angelehnt an dir Vorgaben und das Vorge-
     hen der Delta Society organisierten sich zunächst kleine Gruppen von Interessierten.

     In Österreich organisierte 1985 die Biologin Dr. Gerda Wittmann erste Initiativen zur tiergestützten
     Therapie. Frau Wittmann hatte während ihres langjährigen Aufenthaltes in Australien die Gelegenheit
     gehabt, die tiergestützte Therapie kennenzulernen. Nach ihrer Rückkehr setzte sie es sich zum Ziel,
     diese auch in Österreich einzuführen. Frau Wittmann und einige freiwillige Helferinnen, die von ihrer
     Idee überzeugt waren, gelang es - allen Schwierigkeiten zum Trotz - ein Tierbesuchsprogramm im
     Gartenareal des Pflegeheims Lainz, dem heutigen Geriatriezentrum am Wienerwald, einzuführen.
     1991 wurde dann der Verein Tiere als Therapie gegründet.

     Der Verein initiierte Studien über tiergestützte Therapie am Geriatriezentrum am Wienerwald unter
     der Leitung von Prim. Dr. Eva Fuchswans und am psychiatrischen Krankenhaus Baumgartner Höhe
     von Prim. Dr. Tölk, Frau Dr. Djalilian und Prof. Hermann Bubna-Littitz.

     Seit August 1997 hat der Verein seinen Sitz an der Veterinärmedizinischen Universität Wien mit dem
     Ziel, seine Intentionen einem größeren Personenkreis zugänglich und bekannt zu machen. Um die
     Qualität der Arbeit des Vereins weiter zu verbessern, wurden ab diesem Zeitpunkt spezielle Ausbil-
     dungskurse für Therapiebegleithunde, die einen großen Teil der Therapiebegleittiere stellen, entwi-
     ckelt und abgehalten.
Tiergestützte Therapie: Gestern und heute       11

In Deutschland wurde 1987 der Verein "Tiere helfen Menschen e.V." gegründet. Initiatorin war die
Tierärztin Dr. Brigitte von Rechenberg. Sie brachte die Idee aus den Vereinigten Staaten von Amerika
mit.

Nachfolgend entstanden vielfältige Organisationen, Vereine und Initiativen, die sich mit tiergestützter
Therapie im weitesten Sinne beschäftigten. In der Schweiz war es der Verein Therapiehunde Schweiz,
in Österreich unter anderem die Vereine Tiere als Therapie und Tiere helfen Leben. In Deutschland
war der Verein Tiere helfen Menschen maßgeblich an der Entwicklung beteiligt. Während sich vor
allem in Österreich sehr schnell eine gut organisierte Struktur entwickelte, zersplitterte in Deutschland
die Bewegung in sehr viele unterschiedlichste Vereine, Verbände und Interessengemeinschaften

Während die Initiativen zunächst den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in der praktischen Umsetzung sa-
hen, zeigte sich bald, dass ohne die Entwicklung von systematischen Aus- und Weiterbildungen sowie
der Einführung zumindest von minimalen Qualitätsstandards eine Weiterentwicklung nicht möglich
war. Daher wurden nach und nach Ausbildungsinstitute geschaffen, welche eine fundierte Aus- und
Weiterbildung gewährleisten sollten. Aber auch hier findet sich vor allem in Deutschland eine kaum
übersehbare Vielfalt mit unterschiedlichsten Ausbildungsstandards und Qualitätsansprüchen.

Im Oktober 2004 wurde ESAAT - European Society for Animal Assisted Therapy - Verein zur Erfor-
schung und Förderung der therapeutischen, pädagogischen und salutogenetischen Wirkung der
Mensch/Tier-Beziehung mit Sitz in Wien an der Veterinärmedizinischen Universität Wien gegründet.
Die Hauptaufgaben der ESAAT sind die Erforschung und Förderung der tiergestützten Therapie sowie
die Ausbildung auf dem Gebiet der tiergestützten Therapie einheitlicher zu gestalten und EU-weit zu
vereinheitlichen. Ein weiteres Anliegen der ESAAT ist die Erreichung der Anerkennung der tierge-
stützten Therapie als anerkannte Therapieform sowie die Schaffung eines eigenen Berufsbildes.

Jedoch kam es bald zu Unstimmigkeiten über die Qualitätsstandards und vor allem über die Ausbil-
dung der Therapiebegleittiere. Daraufhin spaltete sich die International Society of Animal Assisted
Therapy (ISAAT) ab, so dass derzeit zwei (konkurrierende) Organisationen bestehen.

Erst 2005 kam es zu einer ersten gemeinsamen Tagung von Wissenschaftlern und Praktikern unter der
Federführung des Forschungskreises „Heimtiere in der Gesellschaft“. Weitere Tagungen folgten.

6    Stand heute?!
Man kann also festhalten, dass das Feld der tiergestützten Interventionen aus der Praxis entstanden
und durch sie wesentlich geprägt ist (Fine 2010; Greiffenhagen& Buck-Werner 2007; Olbrich& Ot-
terstedt 2003). Der bisherige Entwicklungsverlauf zeigt den typischen Verlauf einer sogenannten
‚Graswurzelbewegung‘. Dies hat dazu geführt, dass das Feld der tiergestützten Interventionen zumin-
dest in Deutschland durch eine ausgeprägte Heterogenität der Angebote, der Strukturen und der Ak-
teure gekennzeichnet ist.

Hieraus resultiert eine seit vielen Jahren andauernde und kontrovers geführte Diskussion um den Be-
darf, die Zielgruppen, die Inhalte, die Methodik und die Wirksamkeit der Maßnahmen. So ist umstrit-
ten, ob eine Haustierhaltung, wenn etwa ein selbstunsicherer Jugendlicher einen Hund bekommt, eine
tiergestützte Intervention darstellt. Auch ist nicht festgelegt, ab wann beispielsweise bei der Mitarbeit
12    Tiergestützten Therapie: Gestern und heute

     eines delinquenten Jugendlichen auf einem Bauernhof von tiergestützter Pädagogik gesprochen wer-
     den kann. Ebenso umstritten ist die Frage, ob Tiere für alle Arten der tiergestützten Interventionen
     speziell ausgebildet sein müssen (Vernooij & Schneider 2008; Saumweber 2009).

     Es darf dabei nicht vergessen werden, dass die ersten Jahrzehnte tiergestützter Therapie meist aus un-
     professionellen Versuchen bestand, Tiere bei meist sonst als „untherapierbaren“ geltenden Patienten
     einzusetzen. „Im Mittelpunkt standen stets die Menschen, denen geholfen werden sollte, die Tiere
     waren allein ein Mittel zum Zweck, das ausgetauscht werden konnte, wenn es eben diesen Zweck
     nicht zufriedenstellend erfüllte. Die Entscheidung darüber, welche Tiere man einsetzte, [beruhte] häu-
     fig weniger auf gezielten Überlegungen hinsichtlich einer Passung zwischen Tier und dem Klienten
     oder Patienten, bei welchem das Tier zum Einsatz kommen sollte, sondern vielmehr auf räumlichen,
     organisatorischen, finanziellen und/ oder personellen Gegebenheiten“ (Niepel 1998; S.60).

     Zudem fehlen einige weitere Voraussetzungen für die Akzeptanz wirkungsvoller tiergestützter Inter-
     vention wie ein überdisziplinäres Grundverständnis, eine konzeptionelle Fundierung, die strukturelle
     Verankerung des Bereichs und die Erprobung und Evidenzbasierung von Interventionen (Saumweber
     2009). Obwohl einige Versuche unternommen wurden, wenigsten einen Teil dieser Mängel zu beseiti-
     gen (Schwarzkopf & Olbrich 2008; Vernooij & Schneider 2008; Otterstedt 2007; Saumweber 2009),
     haben diese Versuche nur begrenzt Eingang in die Praxis gefunden. Die aktuelle Praxis ist der Theorie
     weit voraus, was dazu führt, dass der therapeutische Einsatz von Tieren nicht empirisch fundiert ist.
     Dadurch werden in der Praxis Tiere häufig als „Wundermittel“ angesehen, jedoch muss konstatiert
     werden, dass die Möglichkeiten und Chancen wie auch die allgemeine Wirksamkeit von vielen sehr
     enthusiastischen Praktikern wahrscheinlich überschätzt wird.

     Ein weiterer Aspekt ist festzuhalten. In den Anfangsjahren der tiergestützten Therapie wurden Tiere
     noch häufig funktionalisiert und instrumentalisiert. Sie wurden gleichsam als Pille oder Therapiemate-
     rial betrachtet. Erst nach und nach setzte sich sowohl bei Praktikern wie Wissenschaftlern die Er-
     kenntnis durch, dass Tiere in der Therapie als Partner angesehen werden müssen und nicht als Werk-
     zeug, das nur ausgebeutet wird (Zamir, 2006).

     Auch heute gilt, dass trotz aller Versuche immer noch keine ausreichende empirische Basis und prak-
     tische Grundlage für tiergestützte Therapie geschaffen wurde: „Zum einen herrscht ein Mangel an klar
     durchstrukturierten Arbeitskonzepten, in denen das Fachwissen verschiedenster Professionen gebün-
     delt wird zu eindeutigen Handlungsanleitungen für den Einsatz von Tieren/Hunden in den je spezifi-
     schen Institutionen mit je spezifischen Klientel. Zum anderen [werden] ethische und tierschutzrechtli-
     che Fragen nicht nur nicht beantwortet, sondern meist erst gar nicht gestellt“ (Niepel 1998; S.71).

     Trotz aller Erfolge muss abschließend festgehalten werden, „insgesamt dominieren im deutschen
     Sprachraum gegenwärtig noch immer die individuellen Handlungsansätze, mit der Konsequenz man-
     gelnder Informationsweitergabe, mangelnden fachlichen Austausch, mangelnder Bündelung von Res-
     sourcen und Potentialen, in der Folge auch einer entsprechend geringen politischen Durchsetzungs-
     kraft. Erst in jüngerer Zeit gibt es gemeinsame Symposien, die den fachlichen Austausch in Gang set-
     zen wollen” (Beetz, 2000; S.9). Und dies ist heute im Jahr 2011 nicht anders als im Jahr 2000 als An-
     drea Beetz dieses Statement formulierte.
Tiergestützte Therapie: Gestern und heute   13
14       Tiergestützten Therapie: Gestern und heute

     7      Literatur
     Beck, A. & Katcher, A. (1996). Between pets and people: The importance of animal companionship
       (Rev. ed.). West Lafayette: Purdue University Press.
     Beck A.M., Katcher, A.H. 1983. Between Pets and People: The Importance of Animal Companion-
       ship, GP Putnam's Sons, New York. Perigee Books, New York, paperback, 1984
     Bustad, L. K. (1995). The role of Pets in Therapeutic Programms. Historical Perspectives. In I. Robin-
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