LAG - MAGAZIN DISKRIMINIERUNG AUFGRUND SEXUELLER ORIENTIERUNG - LERNEN AUS DER GESCHICHTE
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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Zur Diskussion Bildung verqueeren................................................................................................................ ..5 Sexuelle Vielfalt in den Geschichtsunterricht! Geschichtsdidaktische Überlegungen zu geschlechterpolitischen Auseinandersetzungen um Bildungspläne................................................................................................................11 Homosexuellenverfolgung in Bayern......................................................................................16 Unerzählte Geschichten - Verfolgung und Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechterrollen als Thema der internationalen historisch-politischen Jugendbildungsarbeit.............................................................................................................20 Die Wanderausstellung „Die Ausgestoßenen“ von Richard Grune in der Erlangener Orangerie. – Ein homosexueller KZ-Häftling verarbeitet seine Erfahrungen aus der Gefangenschaft. .....................................................................................................................24 Empfehlung Fachbuch Lieben, lügen, leben. Biografien und Erinnerungen zwischen (Un-)Sichtbarkeit und Agency. Selbstbestimmung gleichgeschlechtlich L(i)ebender von den fünfziger Jahren bis heute...28 Sex and the Weimar Republic. German homosexual emancipation and the rise of the Nazis..........................................................................................................................................31 Empfehlung Podcast „Wenn deine Liebe nicht sein darf“........................................................................................34 Empfehlung Web Beratungsangebote zu geschlechtlicher und sexueller Identität im Internet....................... 36 Berliner Stadtrundgänge des Queer History Month..............................................................38 Empfehlung Zeitschrift Homosexualität im Nationalsozialismus – Zwei Leseempfehlungen....................................42 Magazin vom 30.01.2019 2
Einleitung Liebe Leser_innen, Verfolgung homosexueller Männer in Bay- wir begrüßen Sie zur ersten Ausgabe des ern vom Kaiserreich bis in die Nachkriegs- LaG-Magazins im Jahr 2019. Die vorlie- zeit. gende Edition ist gemeinsam mit unserem Luiza Kuhlenkampff, Klaas Opitz und Anne langjährigen Kooperationspartner, dem Schieferdecker berichten über internatio- Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, nale Jugendseminare zu geschlechtlicher entstanden. Mit dem Titel „Diskriminierung und sexueller Vielfalt, die der Volksbund aufgrund sexueller Orientierung“ wollen wir Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit jungen einerseits darauf aufmerksam machen, dass Teilnehmenden aus Bosnien, Polen und die Benachteiligungen aufgrund der indivi- Deutschland durchgeführt hat. Gleichzeitig duellen sexuellen Ausrichtung oder der ge- gibt der Beitrag einen Ausblick auf einen schlechtlichen Verortung längst nicht über- neuen Projektzyklus, der in diesem Jahr wunden sind. Im Gegenteil. In Zeiten einer stattfinden soll. allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsdrift Der Antifaschist und Zeichner Richard Gru- werden auch genderpolitische Errungen- ne wurde von den Nationalsozialisten auf- schaften zunehmend infrage gestellt. Gleich- grund seiner Homosexualität verfolgt und zeitig möchten wir Ihnen Anregungen für in verschiedene Konzentrationslager ver- die eigene Bildungspraxis geben, um diese, schleppt. Mit der Ausstellung „Die Ausge- wie die Autor_innen des Eingangstextes es stoßenen“ verarbeitete Grune seine Lager- nennen, zu „verqueeren“ und somit inklusi- erfahrungen und wollte zur Aufklärung über ver zu gestalten. das NS-System beitragen. Anna Levandovs- Der Titel des Essays von Anna Dienerowitz ka geht auf Stationen des Lebensweges des und Stefan R. Schmid ist Programm. Die Künstlers ein. beiden Autor_innen geben praktische Anre- Unser Dank geht an alle Autor_innen, die gungen dafür, wie LSBTIAQ* im Unterricht mit ihren Beiträgen diese Ausgabe ermög- und Schulalltag thematisiert werden können licht haben. und stellt verschiedene queere Projekte vor. In eigener Sache Nina Reusch befasst sich mit dem geschlech- Am 18.Februar wird unser Lernort Keibel- terpolitischen Rollback, der von der AfD straße von Bildungssenatorin Sandra Schee- und anderen extrem rechten Gruppierun- res eröffnet. Ab dem 19.Februar ist es mög- gen forciert wird. In ihrem Beitrag appel- lich, diesen nach Terminvereinbarung zu liert sie für kritische Interventionen seitens besuchen. Unsere Bildungsangebote finden der Geschichtswissenschaft und -didaktik in Sie auf der Webseite des Lernorts. Wir freu- diesen rückschrittlichen Diskurs. en uns auf Ihren Besuch! Das nächste LaG-Magazin erscheint am 27. Albert Knoll gibt einen Überblick über die Februar 2019. Die Ausgabe dokumentiert Magazin vom 30.01.2019 3
Einleitung Vorträge, Gespräche und Diskussionen der Vernetzungsfachtagung „Was noch erinnert werden kann - Aufarbeitung lokaler NS-Ge- schichte in Brandenburg mit Jugendlichen“, die am 13. und 14. Dezember 2018 vom Lan- desjugendring Brandenburg gemeinsam mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstät- ten veranstaltet wurde. Ihre LaG-Redaktion Magazin vom 30.01.2019 4
Zur Diskussion Bildung verqueeren Benachteiligung und Unterdrückung les- bischer, schwuler, bisexueller, asexueller, Von Anna Dienerowitz und Stefan R. Schmid trans*, intergeschlechtlicher und weiterer „Schwul“ ist immer noch eines der meist- queerer Menschen (LSBTIAQ*) mitschwingt verbreiteten Schimpfwörter auf deutschen (Eribon 2004: 79). Eine Geschichte, die sich Schulhöfen. Das hat die Antidiskriminie- durch verschiedenste wissenschaftliche rungsstelle des Bundes in einer repräsenta- Disziplinen zieht, ihr Extrem im Holocaust tiven Umfrage 2017 herausgefunden. Trotz fand und sich in den darauffolgenden Jahr- der zahlreichen Fortschritte in der Gleich- zehnten fortsetzte. Der Themenkomplex stellungspolitik und der gestiegenen Akzep- LSBTIAQ* spielt also nicht nur eine Rolle tanz unter Menschen, deren bei der Geburt im Alltagsleben zahlreicher Schüler_innen zugeschriebenes biologisches Geschlecht und ist auf Schulhöfen in Form von Dis- mit ihrer geschlechtlichen Identität über- kriminierung präsent, er findet sich in ei- einstimmt (cis) und die Menschen eines ner Vielzahl schulischer Fächer wieder und anderen Geschlechts lieben und begehren hat eine Geschichte, die bis heute auch auf (hetero), besteht also noch immer eine nicht Schulhöfen fortwirkt. Die Behandlung des zu unterschätzende Feindlichkeit gegenüber Themas durch Lehrkräfte kann nicht nur LSBTIAQ*. Und sie zeigt sich nicht zuletzt Schüler_innen in ihrer Selbstfindung und im schulischen Umfeld und damit in einer Selbstbestimmung stärken, sondern auch persönlich äußerst prägenden Lebensphase einen Beitrag dazu leisten, die vielfach er- besonders stark. höhten Suizidraten unter queeren Jugendli- chen zu senken. Dass die Liebe zweier Menschen zueinander etwas Schlechtes sein könnte ist keineswegs Dieser Artikel versucht deshalb mit einigen ein Gedanke der Schüler_innen angeboren Anregungen aufzuzeigen, wie LSBTIAQ* ist, sondern ein Gedanke der erlernt wird. im Unterricht und Schulalltag thematisiert Nicht wenige Kinder dürften ihre Eltern werden können. Wir wollen dabei auch die eher verschämt fragen, was „schwul“ eigent- Gelegenheit nutzen, queere Aufklärungs- lich bedeutet, nachdem sie es erstmalig als projekte vorzustellen und ihre Möglichkei- Schimpfwort in einem negativen Zusam- ten und Grenzen zu beleuchten. menhang gehört haben. Fragt man den Du- In der Vermittlung queerer Themenkom- den ist „schwul“ – ähnlich wie „behindert“ plexe gibt es in erster Linie zwei Strate- – in seiner überwiegenden Verwendungs- gien, welche sich gegenseitig ergänzen. weise keineswegs ein Schimpfwort, sondern Zum einen kann mithilfe einer Dramati- vielmehr eine menschliche Eigenschaft wie sierung die Sichtbarkeit von LSBTIAQ*- eben auch “klein” und “braunäugig”. Als Menschen erhöht werden, wodurch für das Schimpfwort funktioniert diese Bezeich- Thema notwendige Grundinformationen nung nur weil in ihr eine Geschichte der vermittelt sowie der Grundstein für einen Magazin vom 30.01.2019 5
Zur Diskussion respektvollen Umgang mit dem Thema ge- Begriffe, hinterfragen Geschlechterrollen, legt werden. Zum anderen kann anhand Vorurteile und Klischees und stehen den einer Normalisierung, also dem gelegentli- Schüler_innen für Fragen zur Verfügung. chen Erwähnen, die Selbstverständlichkeit Durch diesen Wissenserwerb soll die sexu- des Themas gezeigt und eine eigentlich all- elle und geschlechtliche Selbstbestimmung tägliche Realität nebenbei vermittelt wer- der Schüler_innen gestärkt werden, die Ak- den. Beide Bausteine sind für sich genom- zeptanz von LSBTIAQ* erhöht und Gewalt men wichtig: Ohne eine Normalisierung präventiv verhindert werden. Die Teamer_ kann die Dramatisierung zur Exotisierung innen selbst sind überwiegend LSBTIAQ* verkommen, sodass queere Menschen und und es wird viel Wert darauf gelegt, dass ein Handlungen gleich Exponaten zu lebens- möglichst breites Spektrum an Identitäten fremden Erscheinungen verkommen, wo- von den eingesetzten Teamer_innen abge- durch weitere Vorurteile und Diskrimi- deckt und repräsentiert wird. nierung verstärkt werden können. Ebenso Das Vorgehen folgt dabei der Kontakthy- wenig entschuldigt eine einmalige Behand- pothese, welche besagt, dass ein einzelner lung des Themas das Ignorieren queeren positiver Kontakt mit einer Minderheit die Lebens im Schulalltag. Im Gegenzug kann Vorurteile gegenüber dieser Gruppe im All- auch eine Normalisierung ins Leere lau- gemeinen stark verringert (Klocke 2016: 5). fen, wenn Missverständnisse und Vorurtei- Außerdem wird auf den Peer-Ansatz gesetzt, le nicht mithilfe einer Dramatisierung aus also der Altersunterschied zu den Schüler_ dem Weg geräumt werden und ein notwen- innen möglichst gering gehalten, um eine diges Wissensfundament gelegt wird. Identifikation der Schüler_innen mit den Dramatisierung als Strategie Teamer_innen zu erleichtern und eine of- In Lehrplänen und Runderlassen vieler fene Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Zu- Bundesländer wurde bereits die Thematisie- träglich ist hierbei auch, wenn die Lehrer_ rung geschlechtlich-sexueller Identität vor- innen den Einheiten nicht beiwohnen oder geschrieben und damit eine Dramatisierung zumindest auf eine Einmischung verzichten, durch die Lehrkräfte veranlasst. Neben Ver- sodass eine Öffnung der Schüler_innen er- einigungen queerer Lehrer (z. B. AG Schwule leichtert wird. Das bedeutet jedoch nicht, Lehrer GEW) sowie zahlreichen Materialien dass die Lehrkräfte über Inhalte im Dunkeln und Informationsangeboten, die Lehrer_in- gelassen werden: den Einheiten gehen enge nen bei der Dramatisierung unterstützen Absprachen mit den Lehrer_innen voraus. können, gibt es vielerorts queere Bildungs- Diese Gespräche helfen auch den Teamer_ projekte, welche sich für die Vermittlung in innen, die Situation richtig einzuschätzen, Schulen einsetzen und für Unterrichtsein- auf die Klassendynamik und etwaige heikle sätze zur Verfügung stehen. Die Teamer_in- Themen angemessen zu reagieren. nen behandeln in ihren Einheiten zentrale Magazin vom 30.01.2019 6
Zur Diskussion Methodisch hat sich in den vergangenen verschiedenen Vorurteilen auseinanderset- Jahren ein breites Repertoire herausgebil- zen möchten. Die Teamer_innen antworten det, das thematischen Schwerpunkten so- mit persönlichen Erlebnissen oder Erfah- wie zeitlichen und räumlichen Umständen rungen von Freund_innen, erklären, dass angepasst werden kann. Während die meis- Erfahrungen von Person zu Person sehr un- ten Anfragen an die Projekte aufgrund der terschiedlich sein können und versuchen, Pubertät für achte bis zehnte Klassen ge- gesellschaftliche Strukturen deutlich zu ma- stellt werden, ist eine Anpassung für sehr chen. Die Aktivität der Schulklassen ist hier- viel jüngere oder ältere Schüler möglich. bei natürlich sehr unterschiedlich und auf Je früher Kinder und Jugendliche mit dem eine geringere Aktivität kann gut mit ande- Themenkomplex schulisch in Kontakt kom- ren Methoden reagiert werden. Zumeist rei- men, desto einfacher ist es, Vorurteilen ent- chen die häufig vorgegebenen 90 Minuten gegen zu wirken. Hinzu kommt, dass Kinder allerdings nicht aus, um das Interesse der oftmals weit vor ihrer Pubertät bemerken, Schüler_innen vollständig zu stillen. Mithil- dass sie trans*, homo- oder bisexuell (bzw. fe von Feedbackrunden werden die Projekte -romantisch) sind und nach einem Begriff ständig evaluiert, verbessert und zielgrup- für ihre Andersartigkeit und einen Umgang pengerecht angepasst. damit suchen. Auch aufgrund der politisch 2011 hat sich der Bundesverband Quee- aufgeladenen Atmosphäre sei hier nochmals re Bildung e. V. gegründet, um Bildungs- betont, dass diese Projekte keine Sexual- projekte in diesem Bereich zu vernetzen, kunde, sondern Antidiskriminierungs- und die Bildungsarbeit und den Methodenpool Aufklärungsarbeit betreiben. So kann es bei auszubauen und Qualitätsstandards für die jüngeren Altersstufen in erster Linie um die Projekte zu entwickeln. Auf der Homepage Frage gehen, was Menschen zum Glück- des Vereins können die Standards eingese- lich sein brauchen, dass für viele Liebe und hen werden, zu denen die sich die beteilig- Partnerschaft wichtig sind und dass manche ten Bildungsprojekte verpflichtet haben, um Menschen eben auch Menschen des eigenen ihre Arbeit zu verbessern und um mit dem Geschlechts lieben. Vertrauen von Schulen und Politik verant- In den höheren Klassen ist in der Gestaltung wortlich und transparent umzugehen. Teil der Einheiten neben der Begriffsklärung ein der Qualitätsstandards sind unter anderem zentraler Bestandteil, den Schüler_innen die fachliche und didaktische Schulung der ausreichend Raum für (anonyme) Fragen Teamer_innen, Maßnahmen zum Kinder- zu lassen, oft auch sehr persönlich auf die und Jugendschutz sowie die Altersange- Biographie der Teamer_innen bezogen. Die messenheit von Antworten auf Fragen zu Schüler_innen haben es damit selbst in der Sexualität. Die 35 beteiligten Initiativen Hand, ob sie sich vor allem mit den Themen sowie 37 weitere Projekte sind in nahezu Liebe, Coming-Out, Diskriminierung oder allen Winkeln Deutschlands vertreten und Magazin vom 30.01.2019 7
Zur Diskussion können auf der Homepage des Bundesver- können sehr vielfältige Workshopteams auf- bands gefunden werden. Hervorzuheben gestellt und viele Schulen in England und seien an dieser Stelle auch die Initiativen teilweise Schottland erreicht werden. Bald des SCHLAU-Netzwerks, welches mit rund werden 100.000 Schüler_innen einen DRM 400 Ehrenamtlichen jährlich bis zu 18.000 Workshop mitgemacht haben. Eine Zahl, die Schüler_innen in fünf Bundesländern er- umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, reicht. dass in Großbritannien noch bis 2003 die Blick nach Großbritannien Section 28 in Kraft war, die es Gemeinden, Schulen und Kommunen verbot positiv über Eine besonders hohe Professionalisierung Homosexualität zu berichten. Dieses 1988 der Arbeit queerer Aufklärungsprojekte unter Thatcher verabschiedete Gesetz führ- kann in Großbritannien beobachtet werden. te zu großer Verunsicherung darüber, ob Anna Dienerowitz arbeitet zurzeit bei Di- und wie in Schulen über Homosexualität versity Role Models (DRM) in London, eine geredet werden kann und somit größten- Organisation deren Aufgabe die Aufklärung teils dazu, dass nichts bzw. nichts Positives und Weiterbildung zu queeren Themen an darüber gesagt wurde und homofeindliches Schulen ist. DRM verfolgt hier einen ganz- Mobbing ungeahndet blieb. Insofern sind heitlichen Ansatz, d. h. es werden nicht nur die Projekte einer Organisation wie Diversi- Workshops für Schüler_innen durchgeführt, ty Role Models umso beachtlicher. sondern auch für Lehrkräfte, die Schullei- tung und die Elternschaft. Somit kann da- Normalisierung als Strategie für gesorgt werden, dass die ganze Schulge- Auch wenn das Einladen eines queeren meinde zu LSBTIAQ* aufgeklärt ist und für Schulprojekts vielfältige Vorteile bringt, ist Selbstbestimmtheit und Vielfalt einstehen es gleichzeitig wichtig, dies nicht als einmali- kann. Wie auch in Projekten in Deutsch- ge und einzige Erwähnung queerer Themen land ist ein großer Teil der Workshops den stehen zu lassen. Es geht nicht nur darum persönlichen Erfahrungsberichten einzel- queere Themen ausdrücklich und spezifisch ner LSBTIAQ* oder allies (Unterstützer_in- zu behandeln, sondern auch darum, queere nen) und der Möglichkeit für Fragen seitens Themen als Ausdruck der Vielfalt unserer der Schüler_innen gewidmet. Gleichzei- heutigen Gesellschaft im allgemeinen und tig werden mit Hilfe der Workshopleitung alltäglichen Unterricht mitzudenken und die Begriffe LSBTIAQ* erarbeitet und über -behandeln. Einige nicht aufwendige Mög- homo-/bi- und transfeindliche Sprache dis- lichkeiten wären die Folgenden: kutiert. Durch eine anonyme Umfrage zu • Die queere Identität von historischen Fi- Beginn und zu Ende lassen sich hier schon guren sowie Künstler_innen und Wissen- häufig neue Erkenntnisse bzw. Verhal- schaftler_innen mit erwähnen, wenn diese tensänderungen der Schüler_innen erken- im Unterricht behandelt werden. nen. Mit fast 480 freiwilligen Role Models Magazin vom 30.01.2019 8
Zur Diskussion • In Beispielaufgaben oder -sätzen auch Möglichkeiten finden sich z.B. auf der Web- queere Menschen mit einbeziehen. site der Bildungsinitiative Queerformat. Die • Im Politik- und Geschichtsunterricht die Thematisierung muss dabei nicht zwingend Entwicklung der Rechte für LSBTIAQ* in ausführlich sein. Kurze Erwähnungen kön- der Welt betrachten, lesbische Vorkämp- nen bereits viel bewirken. ferinnen für Feminismus (z. B. Anita Aug- Beide Strategien zusammengenommen spurg) oder Vorkämpfer für LSBTIAQ*- können die Sichtbarkeit von LSBTIAQ* er- Rechte (z. B. Magnus Hirschfeld) und die höhen, Diskriminierung verringern und Verfolgung von LSBTIAQ* durch das Nazi- die Schüler_innen in ihrer Persönlichkeit regime behandeln. stärken. Der Schutz von LSBTIAQ*-Per- • In den verschiedenen Sprachunterrichten sonen ist nicht nur ein moralisches Gebot, Bücher auswählen, welche auch queere Au- sondern auch ein bedeutender Teil der De- tor_innen oder Charaktere haben bzw. dies mokratieerziehung in einer pluralistischen kurz thematisieren sowie in den Fremdspra- Gesellschaft. Daher kann auch der beste chen LSBTIAQ* Vokabeln lernen. Unterricht nicht ersetzen, was selbstver- ständlich gefordert ist: Zivilcourage - auch • Im Deutschunterricht problematisieren, dann, wenn “schwul” scheinbar harmlos als dass Thomas Mann seine Novelle “Der Tod Schimpfwort verwendet wird. in Venedig” als Abschied von seiner eigenen Homosexualität betrachtete. Literatur- und Linkliste • In Geographie Bevölkerungsbewegungen AG Schwule Lehrer GEW. Hinweise zu Be- von LSBTIAQ* vom Land in die Stadt unter- ratungsgesprächen mit lesbischen Schüle- suchen. rinnen und schwulen Schülern. Online ver- fügbar unter: https://www.schwulelehrer. • In Sport Kampagnen wie “Fußballfans ge- de/lehrer/. gen Homophobie” thematisieren. Antidiskriminierungsstelle des Bundes • In Biologie auf homosexuelle Verhaltens- (2007). Einstellungen gegenüber Lesben, weisen bei Tieren eingehen und bei der Schwulen und Bisexuellen in Deutschland. Sexualaufklärung darauf aufmerksam ma- Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentati- chen, dass es nicht nur heterosexuelle, va- ven Umfrage. ginale Sexualkontakte gibt und beim Thema Verhütung auf die Bedeutung von HIV-Tests Bildungsinitiative Queerformat. Materiali- und -Behandlung sowie PrEP (Prä-Exposi- en Schule. Online verfügbar unter: https:// tions-Prophylaxe) eingehen. www.queerformat.de/category/material- schule/. Dies sind nur einige wenige Ideen für eine leicht umsetzbare Inklusion quee- rer Thematiken im Unterricht. Weitere Magazin vom 30.01.2019 9
Zur Diskussion Bundesverband Queere Bildung. Der Bun- desverband. Online verfügbar unter: http:// queere-bildung.de/ueber-uns/der-bundes- verband.php. Eribon, Didier (2004). Insult and the Ma- king of the Gay Self. Klocke, Ulrich (2016). Homophobie und Transphobie in Schulen und Jugendeinrich- tungen: Was können pädagogische Fach- kräfte tun?. Informations- und Dokumen- tationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. (Hrsg.). SCHLAU NRW. Bildungs- und Antidiskri- minierungsarbeit zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Online verfügbar unter: https://www.schlau.nrw/infos/. Über die Autor_innen: Anna Dienerowitz hat Deutsch, Französisch und Englisch auf Gymnasiallehramt in Leipzig studiert. Ihre Staatsexamensarbeit schrieb sie über die Situation Trans*Jugendlicher an Berliner Schulen. Stefan R. Schmid hat im Bachelor Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften in Halle (Saale) studiert und macht nun seinen Politik-Master in Leipzig. Als Teamer war er in queeren Bildungs- projekten in Hamburg und Sachsen-Anhalt tätig. Magazin vom 30.01.2019 10
Zur Diskussion Sexuelle Vielfalt in den intergeschlechtlichen Menschen (LSBTTI) Geschichtsunterricht! in Sachsen-Anhalt“, das 2015 verabschiedet wurde. Dieses Aktionsprogramm beinhal- tet unter anderem bildungspolitische Maß- Geschichtsdidaktische Überlegungen zu nahmen und formuliert als Zielperspektive geschlechterpolitischen für allgemein- und berufsbildende Schulen: Auseinandersetzungen um „LSBTTI-Themen finden sich im Schulall- Bildungspläne tag und in Schulmaterialien repräsentiert. Schulen bieten sowohl für homo- und bise- Von Nina Reusch xuelle, transgender, transsexuelle und inter- Die Bildungspolitik geschlechtliche Lehrer_innen als auch für als Austragungsort Schüler_innen eine offene, wertschätzende geschlechterpolitischer Kämpfe Atmosphäre.“ (Ministerium für Justiz und Gleichstellung Sachsen-Anhalt 2015: S. 15) „Wir wenden uns gegen alle Versuche des Staates, in die Erziehungshoheit der Eltern Die AfD ist nur eine von vielen Akteur_in- einzugreifen, die natürlichen Vorstellungen, nen, die in den letzten Jahren mit einer die sich unsere Kinder von Familienleben reaktionären und homophoben geschlech- und Geschlechterrollen bilden, systema- terpolitischen Agenda in die Bildungspoli- tisch zu verunsichern und unsere Kinder tik eingreifen. Auslöser waren die Vorstöße in dem Glauben zu erziehen, die Ehe sei verschiedener Bundesländer, im Rahmen nur eine beliebige Form des Zusammenle- von Antidiskriminierungspolitiken die Ak- bens, die gleichwertig neben allen anderen zeptanz für Vielfalt als fächerübergreifendes Formen steht. Insbesondere lehnen wir die Ziel schulischer Bildung in die Lehrpläne herrschende ‚Antidiskriminierungspolitik‛ hineinzuschreiben. Kinder und Jugendliche ab, die sich einseitig an den angeblichen sollen „ein offenes, diskriminierungsfreies Lebensvorstellungen sexueller Minderhei- und wertschätzendes Verständnis für die ten ausrichtet. Die traditionelle Familie soll Verschiedenheit und Vielfalt der partner- Vorbild bleiben. Sie gehört zum Kern der schaftlichen Beziehungen, sexuellen Orien- deutschen Leitkultur.“ (AfD-Fraktion Sach- tierungen und geschlechtlichen Identitäten sen-Anhalt 2016) in unserer Gesellschaft“ erwerben, wie es etwa im „Lehrplan zur Sexualerziehung“ des Mit diesen Worten meldete sich die AfD- Landes Hessen formuliert ist. (Hessisches Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt im Kultusministerium 2016: S.3) November 2016 mit der „Magdeburger Er- klärung zur Frühsexualisierung“ zu Wort. Die Einführung dieses neuen Lehrplans Hintergrund war das „Aktionsprogramm für provozierte in Hessen im Sommer 2017 die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bise- heftige Proteste. Die Argumentationsstra- xuellen, Transgendern, Transsexuellen und tegien waren bereits zwei Jahre zuvor in Magazin vom 30.01.2019 11
Zur Diskussion Baden-Württemberg eingeübt worden, wo die sogenannte „Gender-Ideologie“. (vgl. 2015 ein breites Bündnis mittels Demons- Demo für Alle 2018, Petition zum Bildungs- trationen, einer Petition und einer breiten plan 2015) öffentlichen Kampagne die Verabschiedung An diesen Beispielen der jüngsten Zeit wird eines progressiven Entwurfs für den Bil- zweierlei deutlich. Zum ersten ist die Bil- dungsplan verhinderte. dungspolitik momentan ein wichtiger Ort Hinter den Kampagnen in Hessen und Ba- des Ausfechtens gesellschaftspolitischer den-Württemberg stehen verschiedene In- Kämpfe. Zum Zweiten zeigt sich in den oben itiativen und Bündnisse wie das „Aktions- beschriebenen Protesten eine enge Ver- bündnis Ehe und Familie“, die Initiative schränkung von bildungspolitischer und „Besorgte Eltern Baden-Württemberg“ oder geschlechterpolitischer Argumentation: Die das das Bündnis „Demo für Alle“, das unter aufgeregten Debatten über Bildungspoli- dem Motto „Ehe und Familie vor! Stoppt tik sind Teil rechter geschlechterpolitischer Gender-Ideologie und Sexualisierung un- Strategien. serer Kinder“ agiert. Diese Bündnisse, die Sexualität und Geschlecht als den Kampf gegen eine Vielfalt bejahende Themen des Geschichtsunterrichts Bildungspolitik mit Demonstrationen und Was hat all das nun mit Geschichte und his- Petitionen sehr öffentlichkeitswirksam füh- torischer Bildung zu tun? Und wie kann die ren, setzen sich aus verschiedensten christ- historische Bildungsarbeit zur Akzeptanz lich-fundamentalistischen, konservativen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bei- und rechten Verbänden zusammen und sind tragen und sich an den bildungspolitischen teilweise eng personell mit der AfD verfloch- Auseinandersetzungen um Geschlechter- ten, werden aber auch von anderen konser- verhältnisse beteiligen? vativen Politiker_innen unterstützt (vgl. Teidelbaum 2015: S. 6-8). Die Geschichtswissenschaft und Geschichts- didaktik kann und muss sich in diese De- Die Argumentationsstrategien sind in allen batten einmischen, so meine erste These. Fällen dieselben: Die angebliche Frühsexu- Allein, dass konservative und rechte Bünd- alisierung von Kindern wird kritisiert, die nisse vordergründig mit Biologie und Mo- Sexualpädagogik der Vielfalt unter Verdacht ral argumentieren, sollte Historiker_innen der geistigen Nähe zur Pädosexualität ge- geradezu herausfordern: denn ist es nicht stellt und das alleinige Erziehungsrecht der ihr Kerngeschäft das vermeintlich Natürli- Eltern gefordert. Es gelte die traditionellen che als historisch zu erweisen, und Moral- und christlich fundierten Formen von Ehe, und Wertvorstellungen zu historisieren? Familie und Geschlechterrollen zu schützen. In diesem Fall zum Beispiel die „traditio- Die Argumentationen sind in der Regel of- nelle“ Familie und Ehe, die Konservative fen homophob und transphob und wettern und Rechte gern schützen möchten: dieses gegen Gender-Mainstreaming und gegen Magazin vom 30.01.2019 12
Zur Diskussion Familienideal kann historisch als bürgerli- sein sollten. ches Ideal der Moderne kontextualisiert wer- Solche historischen Lernprozesse tragen zur den, das in Deutschland als wirklich gelebte Kenntnis über und Akzeptanz von Vielfalt gesellschaftliche Alltagspraxis maximal in bei und können eine Reflexion über alltägli- den 1950er und 1960er Jahren Bestand hat- che homo- und transphobe Diskriminierun- te (und das auch nur in Westdeutschland). gen (die ja auch unter Jugendlichen nicht Und selbst in dieser Hochphase wurde das selten sind) vor einem historischen Kon- Ideal im Alltag immer wieder gebrochen – text der Diskriminierung und Verfolgung so etwa durch Frauen und Männer, die in von LSBTIQ anstoßen. Zugleich liefert eine gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebten Auseinandersetzung mit Geschlechter- und oder gleichgeschlechtliche sexuelle Kontak- Sexualitätengeschichte Anstöße zur eigenen te pflegten. geschlechtlichen und sexuellen Orientie- Wenn die Schule ein Ort sein soll, an dem rung und Identitätsfindung von Jugendli- Schüler_innen sich fächerübergreifend mit chen (vgl. Reusch 2019). Vielfalt im Allgemeinen und sexueller und Bezugnehmend auf die anfangs zitierte geschlechtlicher Vielfalt im Besonderen „Magdeburger Erklärung“ der AfD kann zur auseinandersetzen, so ist die Thematisie- Rolle des Geschichtsunterrichts also festge- rung von Geschlecht und Sexualität nicht halten werden: Ja, der Geschichtsunterricht nur Sache der Sexualkunde, sondern auch soll die angeblich „natürlichen“ Vorstellun- des Geschichtsunterrichts. Wir brauchen ei- gen von Geschlecht dekonstruieren, und er nen Geschichtsunterricht, so meine zweite soll Kindern und Jugendlichen zeigen, dass These, der positive Auseinandersetzungen außer der heterosexuellen Ehe noch andere mit Diversität und Vielfalt fördert. Dies ist Formen des Zusammenlebens möglich sind. möglich, indem geschlechtliche und sexuel- Und nicht zuletzt soll der Geschichtsunter- le Vielfalt historisch und im Zusammenhang richt nationalistische und heteronormative von Geschlechter- und Sexualitätsgeschich- Vorstellungen einer „deutschen Leitkultur“ te betrachtet werden. dekonstruieren. Geschlecht und Sexualität sind historisch, Ein Praxisbeispiel: Das Queer sie sind wandelbar. Geschlechtliche und se- History-Projekt in Berlin xuelle Vielfalt, Abweichungen von heterose- Wie eine Einbindung von geschlechtlicher xuellen und zweigeschlechtlichen Normen und sexueller Vielfalt in den Geschichts- hat es zu jeder Zeit gegeben. Und auch diese unterricht praktisch aussehen kann, Normen selbst unterliegen dem historischen möchte ich am Beispiel des Queer Histo- Wandel. Das sind die wichtigsten Erkennt- ry-Projekts in Berlin kurz aufzeigen. Das nisse, die ein Ziel einer Thematisierung von Projekt startete 2011 mit dem Vorhaben, Geschlecht und Sexualität im Geschichtsun- sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den terricht und der historischen Bildungsarbeit Magazin vom 30.01.2019 13
Zur Diskussion Geschichtsunterricht und in die universitäre Selbstreflexion und ist selbst nicht frei von Lehrer_innenbildung hineinzutragen. Ungleichheitsverhältnissen – so wird aktu- Gemeinsam mit Lehramtsstudierenden ell im bislang sehr weiß geprägten Netzwerk wurden Unterrichtsmaterialien entwickelt, diskutiert, wie der Queer History Month auf die von der rechtlichen Situation homosexu- personeller wie inhaltlicher Ebene intersek- eller und transgeschlechtlicher Menschen, tionaler und vor allem weniger weiß gedacht über Empfängnisverhütung, vergeschlecht- und umgesetzt werden kann. lichte Arbeitsmigration bis hin zu einem Sowohl auf institutioneller bildungspoliti- geschlechterhistorischen und postkolonia- scher als auch auf praktischer Ebene, das len Blick auf den osmanischen Harem ver- wird deutlich, gibt es viele Möglichkeiten, schiedene Themen umfassen (vgl. Marzin- sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den ka/Reusch 2018: S. 2). Die Materialien sind Unterricht einzubinden. Der Geschichts- Planungen einzelner Unterrichtseinheiten unterricht kann und sollte ein Ort sein, der samt dazugehöriger Quellen und Arbeits- für vielfältige Lebensweisen und gegen den aufträge und können von Lehrkräften auf bildungs- wie geschlechterpolitischen Back- dem Portal queerhistory.de frei herunterge- lash der letzten Jahre eintritt: indem er ver- laden und im Unterricht eingesetzt werden. meintlich Natürliches dekonstruiert, indem Zudem wurde gemeinsam mit der Berliner er die Vielfalt von Geschlecht und Sexualität Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und in der Geschichte sichtbar macht und indem Wissenschaft und der Agentur für Bildung er den Schüler_innen Instrumente an die – Geschichte, Politik und Medien e.V. der Hand gibt, die Geschlechternormen ihrer Queer History Month ins Leben gerufen, der eigenen Gesellschaft kritisch zu reflektieren. von einem Netzwerk aus verschiedenen Bil- Literatur dungseinrichtungen und Archiven getragen AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-An- wird. Inspiriert wurde er vom Black History halt (2016): Magdeburger Erklärung zur Month, hat allerdings im Gegensatz zu die- Frühsexualisierung, https://cdn.afd.tools/ sem nur eine regionale Reichweite und ist sites/75/2016/11/16180505/Magdeburger- allein auf schulische Bildung bezogen. Hier Erkl%C3%A4rung-Initiatoren.pdf . können Schüler_innen sich, unterstützt von Demo für Alle (2018): Petition Übergriffige Bildungseinrichtungen, in eigenen Projek- „Sexualpädagogik der Vielfalt“ stoppen!, ht- ten mit sexueller und geschlechtlicher Viel- tps://www.citizengo.org/de/ed/165423-ue- falt in der Geschichte auseinandersetzen bergriffige-sexualpaedagogik-der-vielfalt- (vgl. ebd., S. 2f.). Der Queer History Month stoppen. ist als offenes Format gedacht, in dem Ar- chive ihre Türen öffnen, Lesungen, Podien oder andere Veranstaltungen stattfinden können. Das Netzwerk lebt dabei auch von Magazin vom 30.01.2019 14
Zur Diskussion Hessisches Kultusministerium (2016): Reusch, Nina (2019): Von der Pluralisierung Lehrplan Sexualerziehung für allgemein- historischer Subjekte zur Historisierung von bildende und berufliche Schulen in Hessen, Geschlecht, Sexualität und Körper: Sexuelle https://kultusministerium.hessen.de/sites/ und geschlechtliche Vielfalt in der histori- default/files/media/hkm/lehrplan_sexual- schen Bildungsarbeit. In: Oliver Musenberg erziehung_formatiert_neu.pdf. et al.: Historische Bildung inklusiv. Zur Re- Marzinka, Birgit/ Reusch, Nina (2018): konstruktion, Vermittlung und Aneignung Queer History – von der Hochschullehre in vielfältiger Vergangenheiten, Bielefeld: die Schulpraxis. In: Freie Universität Ber- transcript [im Erscheinen]. lin. Toolbox Gender und Diversity in der Teidelbaum, Lucius (2015): "Kein Bildungs- Lehre. URL: www.genderdiversitylehre.fu- plan unter der Ideologie des Regenbogens". berlin.de/toolbox/_content/pdf/Marzinka- Homo- und transphobe Straßenproteste ge- Reusch-2018.pdf. gen den Entwurf eines neuen Bildungsplans Ministerium für Justiz und Gleichstellung in Stuttgart. In: Lucie Billmann (Hg.): Un- Sachsen-Anhalt (2015): Aktionsprogramm heilige Allianz. Das Geflecht von christlichen für die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Fundamentalisten und politisch Rechten Bisexuellen, Transgendern, Transsexuel- am Beispiel des Widerstandsgegen den Bil- len und intergeschlechtlichen Menschen dungsplan in Baden-Württemberg, S. 6-14, (LSBTTI), https://mj.sachsen-anhalt.de/ https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_up- themen/geschlechtlich-sexuelle-vielfalt/ loads/pdfs/Materialien/Materialien8_Un- aktionsprogramm-fuer-die-akzeptanz-von- heilige_Allianz.pdf. lsbtti/. Petition zum Bildungsplan (2015): Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungs- plan 2015 unter der Ideologie des Regen- bogens, https://www.openpetition.de/ Über die Autorin: petition/online/zukunft-verantwortung- Dr. Nina Reusch hat Neuere und Neueste Ge- schichte, Gender Studies und Soziologie studiert. lernen-kein-bildungsplan-2015-unter-der- Sie arbeitet seit November 2016 als wissenschaft- ideologie-des-regenbogens. liche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte der FU Berlin und ist Vorstands- mitglied bei der Agentur für Bildung - Geschichte, Politik und Medien e.V. Magazin vom 30.01.2019 15
Zur Diskussion Homosexuellenverfolgung in verhört, ihre Wohnungen wurden durch- Bayern sucht, bis die Sittenpolizei Briefe fand. Sie verglich die Namen mit den Eintragungen in Von Albert Knoll der „Rosa Liste“, in der alle Homosexuellen Seit Beginn der Machtergreifung waren ho- registriert wurden. Die Sitte triumphierte: mosexuelle Männer Zielscheibe nationalso- wieder konnte sie ein „schwules Nest“ aus- zialistischer Verfolgungspolitik. Die Behör- heben. den konnten sich dabei auf die Bereitschaft Der §175 RStGB, der seit 1872 in Kraft war, der Bevölkerung zur Denunziation verlassen. bestrafte „Widernatürliche Unzucht“ un- Die Polizeirazzien nahmen in Bayern ihren ter Männern mit Gefängnis, auch wenn der Anfang, so dass München auch hinsichtlich Sexualakt einvernehmlich und unter Er- der Homosexuellenverfolgung ihrem Ruf als wachsenen ausgeübt wurde. Hugo Kalb, der „Hauptstadt der Bewegung“ gerecht wurde. häufig im neuen Medium Radio zu hören Nach 1945 galten homosexuelle Männer als war, gab sich den Künstlernamen „Welle“. vergessene Opfergruppe und waren weiter Er trat den Verfolgungsbehörden anfangs der Verfolgung ausgesetzt. sehr selbstbewußt entgegen. In die Hand- Homosexuellenverfolgung seit schriftenprobe des polizeilichen Personal- dem Kaiserreich befragungsbogens schrieb er „ich bin ho- Hugo Kalb stammte aus Würzburg, 1,70 m mosexuell und fühle mich sehr wohl dabei, groß, schlank, geboren im November 1896, hoffentlich bringt uns die neue Zeit unsere Sohn der Kaufmannseheleute Hugo und Freiheit“. Die 1920er Jahre versprachen Anna. Als ihm Würzburg etwas zu klein und Wandlung. provinziell wurde, zog er nach München, Doch sie führten auch zum Aufstieg des Na- um dort Schauspieler zu werden. Der auf- tionalsozialismus. Schon früh (1928) schrieb geweckte junge Mann war homosexuell. Im die Nazipartei in ihre Statuten, dass, wer Hochsommer 1922 feierte er mit Freunden „mannmännliche oder weibweibliche Liebe“ in Schwabing. Auf der Party gab es Alko- praktiziere, ihr Feind sei. hol, Schnaps und Schwedenpunsch, wie es Verschärfung der später im Polizeiprotokoll hieß. Die jungen Verfolgung nach 1933 Männer kamen sich näher, berührten sich, einige entkleideten sich. Um halb zwei Uhr Gleich nach dem Tag der nationalso- nachts riefen die Nachbarn die Polizei: oben zialistischen Machtübernahme setz- im 4. Stock, seien „Päderasten“. („Päderast“ ten Verfolgungsmaßnahmen auch gegen wurde landläufig diffamierend für „Homo- Homosexuelle ein. Die sexualpolitische Re- sexueller“ verwendet.) Die jungen Leute formbewe-gung der Weimarer Zeit wurde wurden auf Verdacht der „Widernatürli- zerschlagen, Treffpunkte wurden überwacht chen Unzucht“ festgenommen. Sie wurden und Ziel brutaler Anschläge. Im Februar Magazin vom 30.01.2019 16
Zur Diskussion 1933 erließ der preußische Innenminister und auf Bedürfnisanstalten. Die Gäste der ein Verbot aller Homosexuellenlokale, bald beiden Schwulenloka¬le "Schwarzfischer" darauf mussten zahlreiche Publikationen und "Arndthof" wurden abtransportiert. ihr Erscheinen einstellen. Die Polizeidi- Insgesamt wurden mehrere hundert Per- rektion Nürnberg-Fürth meldete, dass sie sonen festgenommen, davon 145 allein in „schon seit Mitte des Jahres 1933 strenge München. 39 von ihnen wurden in Schutz- Maßnahmen gegen das Unwesen der Homo- haft genom¬men und in das KZ Dachau ge- sexuellen ergriffen hatte.“ Im Februar 1934 bracht. Vergleichbare Aktionen folgten auch erfolgte die Einführung der vorbeugenden in anderen deutschen Großstädten. Gleich- Polizeihaft für sogenannte Berufsverbre- zeitig mit der Razzia in Lokalen und Treff- cher; dazu zählten alle Personen von über 21 punkten der schwulen Szene wurde eine Jahren, die Sexualkontakte mit unter 16jäh- Reihe von Homosexuellen anhand der seit rigen hatten. Die Maßnahme wurde gerecht- dem Kaiserreich bestehenden und in der fertigt, um die präventive Wirkung der kri- Weimarer Zeit fortgeführten „Rosa Liste“ minalpolizeilichen Tätigkeit zu stärken. festgenommen. Bis zum 30. Juni 1934 gab es in Bayern al- Gauleiter Adolf Wagner war mit dem Er- lenfalls gezielte Einzelaktionen gegen Ho- gebnis jedoch nicht zufrieden und hegte mosexuelle. Das änderte sich schlagartig als Zweifel, ob die Polizeibehör¬den mit allem die SA-Elite beseitigt wurde. Ernst Röhm Nachdruck bei der Sache gewesen seien. als SA-Chef fiel einem internen Macht- Insbesondere die hohe Zahl von Arbeitern kampf zum Opfer. Seine homosexuelle Ver- unter den Festgenommenen lief Wagners anlagung hatte bis dahin bei Kritikern die Intention zuwider, mit dieser Aktion gleich- gesamte nationalsozialistische Bewegung zeitig einen Schlag gegen die Intellektuellen in die Nähe gleichgeschlechtlicher Affinität zu führen, da er der Überzeugung war, dass gerückt. Nun distanzierte sich Hitler von „wie allgemein bekannt diese Verirrung seinem einstigen Duzfreund und ließ ihn er- menschlichen Trieblebens, hauptsächlich in morden. den Kreisen der sog. Intelligenz und einer Wenige Tage nach der „Nacht der langen gewissen übersättigten Bürgerlichkeit ver- Messer“, wurde eine großangelegte Raz- breitet ist.“ zia ange-kündigt, bei der „ein schlagar- Im Einklang mit den Razzien wurde eine sys- tiges Vorgehen in ganz Bayern beabsich- tematische Erfassung von Homosexuellen tigt“ war. Gauleiter Adolf Wagner befahl in Rosa Listen vorangetrieben. Das betraf die Durchführung am Abend des 20. Ok- auch Hugo Kalb. 1935 nahm ihn die Würz- tober 1934. Allein in München waren bei burger Polizei erneut fest und verhängte dieser Aktion mehr als 50 Polizei¬beamte eine mehrwöchige Schutzhaft über ihn. Als im Einsatz. Die Razzia erstreckte sich auf er im darauffolgenden Jahr im Münchner Parkanlagen wie den Engli¬schen Garten Volkstheater in dem Bauernschwank „Wer Magazin vom 30.01.2019 17
Zur Diskussion zuletzt lacht“ die Hauptrolle übernehmen unter dem Leiter Josef Meisinger damit be- sollte, schritt die Stapo-Leitstelle München schäftigt, den inkriminierten Personenkreis ein und forderte, dass sein Auftritt im Hin- möglichst lückenlos zu erfassen. Nach vier blick auf seine homosexuelle Veranlagung Jahren Arbeit hatte die als oberste Polizei- verhindert werden müsse. Kalb erhielt Be- behörde tätige Reichszentrale 41.000 Daten rufsverbot. von Männern gespeichert, die als homose- Verfestigung der xuell bestraft worden waren oder als solche Verfolgungsinstanzen verdächtigt wurden. Es vergingen nur wenige Monate, bis die ver- Homosexuelle wurden schließlich zu Staats- schärfte Verhaftungspraxis (mit anschlie- feinden erklärt. So entwarf der Reichsfüh- ßender Sicherungsverwahrung) juristisch rer SS, Heinrich Himmler, anlässlich der untermauert wurde. Mit der im Juni 1935 Gruppenführerbesprechung in der SS-Elite- beschlossenen Strafgesetzbuchänderung schule in Bad Tölz am 18. Februar 1937 das wurde der zu strafende Tatbestand „wider- Zerrbild einer sich seuchenartig ausbrei- natürliche Unzucht“ ausgeweitet. Von nun tenden Homosexualität und beschwor den an waren nicht mehr nur „beischlafähnliche Untergang des Deutschen Reiches: ”Es gibt Handlungen“ zwischen Männern strafwür- unter den Homosexuellen Leute, die stehen dig, sondern jedes homosexuelle Verhalten. auf dem Standpunkt: was ich mache, geht In dieser Fassung blieb der Paragraph bis niemandem etwas an, das ist meine Privat- 1969 bestehen. angelegenheit. Alle Dinge, die sich auf dem geschlechtlichen Sektor bewegen, sind je- Im Zuge derselben Strafgesetznovelle wurde doch keine Privatangelegenheit eines ein- auch der sogenannte Analogieparagraph er- zelnen, sondern sie bedeuten das Leben und lassen, der es jedem Richter überließ, nach das Sterben des Volkes.“ Die Homosexuel- dem „gesunden Volksempfinden“ zu ent- len führen in den Augen Heinrich Himmlers scheiden. Der §175 war jetzt zu einem beson- zum Untergang Deutschlands. Die NS-Be- ders gut einsetzbaren Strafverfolgungsmit- völkerungspolitik indoktrinierte, dass jeder, tel gegen missliebige Kreise geworden, die der nicht für die optimale Reproduktionsfä- in den Jugendbünden, der katholi¬schen higkeit sorge, Deutschlands Feind sei. Kirche oder der Wehrmacht vermutet wur- den. Die Anzahl der nach § 175 Verurteilten Homosexuelle Männer in stieg von 1933 bis 1938 um das zehnfache Konzentrationslagern auf 8.500 im Jahr. Die „Homosexuellenfra- Im November 1934 also wenige Tage ge“ wurde zu einer politischen Frage stili- nach Einlieferung der bei der Razzia fest- siert. genommenen Homosexuellen trat Ru- Die Reichszentrale zur Bekämpfung von Ab- dolf Höß als Block und Rapportführer treibung und Homosexualität war seit 1936 in die Wachtruppe des KZ Dachau ein. Magazin vom 30.01.2019 18
Zur Diskussion Nach Kriegsende behauptete der spätere daß nur Helden in Dachau gestorben sind... Lagerführer von Auschwitz, die Isolierung Sie müssen sich daran erinnern, daß viele der schwulen Häftlinge und die erschwerten Verbrecher und Homosexuelle in Dachau Haftbedingungen seien auf seine Initiative waren. Wollen Sie ein Ehrenmal für solche hin geschehen, um sie umzuerziehen. Leute?“ Von 1933 bis 1944 wurden etwa 50.000 bis Die sozialliberale Koalition ent¬schärfte den 63.000 Männer wegen Homosexualität ab- §175, einvernehmlicher Sexualkontakt zwi- geurteilt. Viele - die Schätzungen liegen bei schen erwachsenen Männern wurde straf- 5.000 bis 10.000 - erhielten im Anschluss an frei. Doch erst 1994 wurde der Paragraph die Gefängnisstrafe unbefristet Schutzhaft. vollständig aufgehoben. Erst im Jahr 2002 Im Konzentrationslager waren sie wehrlo- konnte sich der Bundestag dazu entschlie- se Opfer der SS-Willkür. Ausgrenzung und ßen, die Urteile nach §175 der Jahre 1933 mangelnde Solidarität der Mithäftlinge auf- bis 1945 aufzuheben. Dazu konnten sich grund von Vorurteilen führten dazu, dass die Parlamentarier_innen hinsichtlich der mehr als die Hälfte die Haft nicht überlebte. Nachkriegsurteile erst 2017 entschließen, Kontinuität der Verfolgung als nur noch eine Minderheit der ca. 50.000 in der Nachkriegszeit Betroffenen am Leben war. Der §175, der einvernehmliche Sexuali- tät zwischen erwachsenen Männern unter Strafe stellte, existierte in seiner 1935 ver- schärften Form noch bis 1969 weiter. Die Verfolgungsquote nahm nach 1945 stetig zu und die Zahl der Anklagen erreichte im Jahr Über den Autor: 1959 einen neuen Höchststand von 8.737 in Der Historiker Albert Knoll arbeitet als Ar- der Bundesrepublik Deutschland. Homose- chivar der KZ-Gedenkstätte Dachau und ist xuelle KZ-Gefangene kamen bald nach ihrer Vorstand des Vereins Forum Homosexualität München. 2015 erschien von ihm das Buch „Der (vermeintlichen) Befreiung durch alliierte Rosa-Winkel-Gedenkstein: Die Erinnerung an Kräfte wieder in ein Gefängnis die Homosexuellen im KZ Dachau“. Diese Stimmung der restaurativen Nach- kriegsära verdeutlicht ein Interview, das der englische Journalist Llew Gardner mit dem damaligen Dachauer Bürgermeister Hans Zauner geführt hat. So standen 1960 im Londoner „Sunday Express“ folgende Worte des Stadtoberhauptes zu lesen: „Bitte, ma- chen Sie nicht den Fehler und glauben Sie, Magazin vom 30.01.2019 19
Zur Diskussion Unerzählte Geschichten - sich auch in der historisch-politischen Bil- Verfolgung und Diskriminie- dungsarbeit in Deutschland wider und mo- rung aufgrund von sexueller tivierte uns, gemeinsam mit unserem lang- Orientierung und Geschlechter- jährigen Projektpartner IPAK (‚Trotzdem‘), rollen als Thema der interna- einer Jugendorganisation aus dem bosni- tionalen historisch-politischen schen Tuzla, und der polnischen Organisa- Jugendbildungsarbeit tion Efekt Domina zwischen 2016 und 2017 das dreiteilige Projekt „The Right to Love“ Von Luiza Kulenkampff, Klaas Opitz und durchzuführen. Dieses widmete sich zum Anne Schieferdecker einen der historischen Perspektive und zum Schon seit 1953 veranstaltet der Volksbund anderen der Wahrnehmung und Würdigung Deutsche Kriegsgräberfürsorge internatio- geschlechtlicher und sexueller Vielfalt heu- nale Workcamps und Jugendbegegnungen te. Jede der drei beteiligten Organisationen an Kriegsgräberstätten und Gedenkorten, war einmal Gastgeberin und setzte durch ihr die unter dem Motto „Gemeinsam für den jeweiliges Profil unterschiedliche Schwer- Frieden“ stehen. Sie dienen der kritischen punkte. Auseinandersetzung mit der Geschichte und Ein Recht auf Liebe? – fördern Begegnung und Dialog zwischen Projektzyklus 2016/2017 jungen Menschen. Somit sind die Jugend- begegnungen und Workcamps sowohl eine In Polen lag der Fokus auf der Formierung Form der internationalen Jugendbildungs- eines “sicheren Raumes”, in dem sich die arbeit, als auch ein außerschulisches For- Teilnehmer_innen in einer vertrauensvol- mat des historisch-politischen Lernens. Als len Atmosphäre kennenlernten und einen solches haben sie zum Ziel, dass junge Men- Zugang zum Thema fanden. Zentrale Be- schen gemeinsam aktuelle, gesellschafts- griffe wurden erörtert und Mechanismen politische Themen und Herausforderungen von Diskriminierung reflektiert. Die Teil- aus ihren Lebenswelten im Spiegel der his- nehmenden setzten sich in Kleingruppen torischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts mit der rechtlichen Situation in ihren Län- reflektieren. dern auseinander. Gibt es Antidiskriminie- rungsparagraphen in den jeweiligen Ver- Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt fassungen? Lässt sich ein “Recht zu lieben” als Thema für internationale Jugend- formulieren? In verschiedenen Diskussions- begegnungen runden und auch im Abgleich mit der All- Erst in den letzten Jahren gewann die Aufar- gemeinen Erklärung der Menschenrechte, beitung und Beschäftigung mit dem Thema konnten hier spannende Denkanstöße ge- Verfolgung aufgrund von sexueller Orientie- wonnen werden. Ein Besuch bei der NGO rung in der NS-Zeit zunehmende Aufmerk- Lambda Warszawa erlaubte uns einen Ein- samkeit in der Öffentlichkeit. Das spiegelt blick in den Arbeitsalltag von LGBTIQ*- Magazin vom 30.01.2019 20
Zur Diskussion Aktivist_innen und die damit verbundenen Beide betreuen und beraten junge Menschen, Schwierigkeiten und Herausforderungen. die sich selbst als schwul, lesbisch, bisexuell, Mit unserem handlungsorientierten Ansatz trans*, inter* oder queer bezeichnen. Dass stellten wir uns “Hate Speech” und übten die Vereine auf Klingelschilder verzichten, Strategien ein, mit dieser Form der Diskri- verhängte Fenster und Hinterausgänge ha- minierung im Alltag umzugehen. ben, um ihren Klient_innen auch einen In Deutschland befassten wir uns vor allem wirklichen Schutzraum bieten zu können, mit der Diskriminierung in der Vergangen- verdeutlichte uns wie herausfordernd und heit. Die Verfolgung von Homosexuellen wichtig diese Arbeit ist. Für eine besonders nach §175 und dessen Verschärfung durch tiefe Auseinandersetzung nutzten wir in der das NS-Regime prägten die Auseinanderset- pädagogischen Arbeit die Ausdrucksform zung. Bei Führungen und Workshops wurde des Forumtheaters nach Augusto Boal. Mit die Situation der Betroffenen und ihr Kampf dem „Theater der Unterdrückten“ und ins- um Anerkennung im Zuge der Aufarbeitung besondere dem Forumtheater fühlten sich der Schrecken des NS-Regimes beleuchtet. die Teilnehmenden in Menschen mit Dis- An Gedenkstätten und Denkmälern für die kriminierungserfahrung ein und suchten so Opfer des Nationalsozialismus in Berlin nach Handlungsoptionen, Formen von Dis- befassten wir uns mit Formen der Erinne- kriminierung und Unterdrückung heute zu rungskulturen. Auch war das biografische überwinden. Lernen ein wesentlicher Bestandteil unserer Das positive Feedback der Teilnehmenden Arbeit, der uns einen persönlichen, greif- sowie eine breite öffentliche Anerkennung baren Zugang zur Geschichte ermöglichte: zeugen vom Erfolg des Projektes und zeigen Während einer Exkursion nach Hamburg, die Relevanz des Themas für die historisch- wo insbesondere in den Stadtteilen St. Ge- politische und die internationale Jugend- org und St. Pauli Stolpersteine an Menschen bildung. Hier möchten wir anknüpfen und erinnern, die aufgrund ihrer sexuellen Ori- haben einen weiteren Projektzyklus aus- entierung und/oder geschlechtlichen Iden- geschrieben, der die Ergebnisse von „The tität verfolgt wurden, beschäftigten wir uns Right to Love“ aufgreift und einzelne Ele- intensiv mit konkreten Schicksalen. mente stärker in den Fokus rückt. Wie relevant und nötig das Werben für eine Auf der Suche nach den unerzählten offene, vielfältige Gesellschaft noch heute Geschichten – Projektzyklus 2019 ist, erfuhren wir insbesondere während des Im Folgeprojekt „Stories untold“ betonen dritten Projektteils in Bosnien. Hier tra- wir die historische Perspektive noch ein- fen wir Aktivist_innen der Organisationen mal stärker und betrachten die Entwick- Sarajevski Otvoreni Centar und Tuzlan- lung der sozialen und rechtlichen Situation ski Otvoreni Centar, die für die Rechte von von LGBTIQ* in Polen, Deutschland und LGBTIQ*-Personen kämpfen. Magazin vom 30.01.2019 21
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