Tarantel Nr. 84 - Ökologische Plattform
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Nr. 84 Tarantel Zeitschrift der Ökologischen Plattform bei der Partei März I/2019 Schwerpunkt: EU-Politik Landwirtschaft Klima- und Energiepolitik Bücherecke
Editorial / Impressum Liebe Leserin, lieber Leser, wie alle wissen, stehen die Europawahlen vor der Tür. Ein guter Grund für unseren Schwerpunkt Europapolitik. Natürlich werden wir bei unserem Kernthema bleiben, und uns hier vor allem um die ökologischen Aspekte kümmern. Das ist nicht zu wenig, denn die EU-Landwirtschaftspolitik spielt eine besondere Rolle, insbesondere auch aus ökologischer Sicht: Neben der Absicherung der Ernährungsgrundlagen in der EU hat die aktuelle landwirtschaftliche Produktionsweise auch große Auswirkungen auf die Welternährung, auf Grundwasser, Klima, Insektensterben usw.. Der Agrarsektor nimmt (trotz leicht sinkender Tendenz) mit 41% den größten Anteil der EU- Ausgaben ein und hat damit auch finanzielle Auswirkungen auf unser Leben. Das ist für uns Grund genug, die EU-Politik zum großen Teil aus Sicht der Landwirtschaft zu behandeln ‒ wobei die Klima- und Energiepolitik der EU selbstverständlich nicht unter den Tisch fallen. Gerade beim Klimaschutz können wir nicht mehr warten ‒ weder auf die EU-Politik, noch auf die Regierung in Deutschland. Die Jugendlichen, die Freitags für ihre Zukunft demonstrieren, haben das begriffen. Aber DIE LINKE ist auf ihrem Europaparteitag zwar einige Schritte vorwärts gegangen, doch es fehlt weiter der große Wurf. Auf dem Parteitag hatten wir auch beantragt, endlich die Klimapolitik ins Zentrum der Parteipolitik zu stellen. Es geht jetzt nicht mehr „nur“ um die politische Taktik; es geht auch nicht mehr „nur“ um Programme und Beschlüsse. Es geht darum, faktischer Akteur zu werden. DIE LINKE insgesamt und jedes einzelne Mitglied müssen für sich bestimmen, welche Position sie im praktischen Verhältnis zu sozialen Bewegungen einnehmen, wozu sie bereit und in der Lage sind. Die wirklichen Veränderungen werden auf der Straße erstritten. In der Bücherecke geht es noch einmal um die Landwirtschaft, um die Grenzen der Demokratie und um die theoretischen Grundlagen praktischen Handelns. Wir hoffen, dass die Lektüre anregend ist und freuen uns wie immer über Reaktionen darauf. Die Redaktion Impressum Herausgeber: Sprecher*innenrat der Ökologischen Veröffentlichte Beiträge, auch einzelner Autoren der Plattform; ISSN 2195-027X Ökologischen Plattform, spiegeln nicht in jedem Fall Redaktion: tarantel@oekologische-plattform.de die Auffassung der Ökologischen Plattform als (ausschließlich für Belange der Tarantel) Ganzes wider. Kontakt: Ökologische Plattform bei der Partei DIE Beiträge ohne weitere Quellenangabe stammen von LINKE; Kleine Alexanderstr. 28, 10178 Berlin den Autoren, Beiträge ohne Autorenangaben in der E-Mail: oekoplattform@die-linke.de, Internet: Rubrik IN EIGENER SACHE von der Redaktion. www.oekologische-plattform.de Geplanter Redaktionsschluss für die nächste Die ÖPF ist ein anerkannter Zusammenschluss DER Ausgabe:15.5.2019 LINKEN und bundesweit aktiv. Elektronische Fassungen dieser und älterer Redaktionsschluss: 15.2.2019 Ausgaben unter Beiträge, Leserbriefe, Buchempfehlungen bitte www.oekologische-plattform.de/publikationen/ möglichst in maschinenlesbarer Form per E-Mail tarantel einsenden oder das Formular auf https:// Bestellung/Adressänderung: www.oekologische-plattform.de/publikationen/ kontakt@oekologische-plattform.de oder https:// tarantel/ benutzen. Ein Anspruch auf Rückgabe www.oekologische-plattform.de/mitgliedschaft/ unverlangt eingesandter Beiträge in Papierform Spenden für die „Tarantel“ und ÖPF: Partei DIE LINKE; wird ausgeschlossen. Über eine Veröffentlichung IBAN: DE38 1009 0000 5000 6000 00; entscheidet der Sprecher*innenrat, der sich BIC: BEVODEBB; Verwendungszweck: Ökologische sinnwahrende Kürzungen und ggf. Plattform – Spende Umformulierungen vorbehält. 2 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
In eigener Sache Kurzbericht vom Koordinierungsrat am 9.2.2019 Der Koordinierungsrat stellte fest, dass es eventuell nicht mehr gelingt, die geplante Umweltkonferenz in diesem Jahr durchzuführen. Die AG Wirtschaftspolitik will eine eigene wirtschaftspolitische Konferenz veranstalten. Für das Bundestreffen wurden die Themen festgelegt (s.u.). Weiterhin wurde festgestellt, dass Repressionen gegen Ökoaktivisten Teil der versuchten Einschüchterung der Linken insgesamt ist. Außerdem wollen wir Anträge an den Bundesausschuss und/oder den Parteivorstand stellen, in denen die „Materialschlacht bei Wahlen“ verurteilt und auf die Nutzung von OpenSource Software orientiert wird. Einladung zum Bundestreffen 2019 Zeit Ort 4. und 5.5.2019 Jugendherberge Kassel Beginn 10 Uhr Schenkendorfstr. 18 Ende am Sonntag ca. 12 bis 13 Uhr 34119 Kassel Themen „sozial-ökologischer Umbau und Verkehr“ „lokale umweltpolitische Probleme“ „Strategie der Linken und der ÖPF in und außerhalb DER LINKEN „Weiterentwicklung der ÖPF“ (Struktur und Form der Zusammenarbeit) Erfahrungen der Kommune Niederkaufungen ( Abendveranstaltung) Weitere Informationen und das Anmeldeformular finden sich auf unserer Internetseite https://www.oekologische-plattform.de/2018/10/bundestreffen-2019/ ÖPF und Strategiediskussion von Gilbert Siegler Ich komme immer mehr zu dem Eindruck, dass die Wo ist die Strategie, die trotzdem Veränderungen Ignoranz weiter Teile DER LINKEN gegenüber dem anstrebt ‒ unter Berücksichtigung der heute gegebe- Kampf um den Erhalt der natürlichen Lebensgrund- nen gesellschaftlichen Verhältnisse? Wir haben es seit lagen nicht nur daran liegt, dass es sich vermeintlich etwa vier Jahrzehnten mit einer Politik der Privatisie- um Randfragen ("Nebenwidersprüche") handelt, rung, Liberalisierung und Deregulierung zu tun, in der sondern dass massive strategische Defizite DER das Finanzkapital eine immer größere Rolle spielt, und LINKEN genauso ursächlich sind. die zu einer immer schnelleren Zerstörung der natürli- Es gibt in unserer Partei die Ansicht, wir müssten nur chen Lebensgrundlagen und der sozialen Strukturen bei jeder Wahl etwas hinzugewinnen, und dann wird es führt. Die ökonomischen und politischen Machtzentren schon. Das ist, mit Verlaub, der Abschied von einer dieser Politik im neoliberalen Kapitalismus sind die Politik, die diese Gesellschaft grundlegend verändern großen Finanz-, Industrie und Dienstleistungskonzerne. will. Und wir sind daneben der Meinung, weil sich alle Eine Politik, die diese Entwicklung stoppen und mittel- Probleme immer weiter zuspitzen, müsse nun schleu- fristig umkehren will, eine linke Politik, muss diese nigst der Sozialismus her - wofür es aus meiner Sicht Machtzentren des neoliberalen Kapitalismus in den keinerlei erkennbare Grundlage gibt. Zu anderen Zeiten Fokus nehmen mit dem Ziel, mit vielen Bündnis- wäre von rechtem und linkem Opportunismus geredet partner*innen zusammen ihre Macht einschränken worden. und langfristig zu überwinden. Dafür brauchen wir Heft I-2019 Tarantel Nr. 84 3
In eigener Sache starke Fraktionen in den Parlamenten, aber die ent- eine Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse scheidenden Auseinandersetzungen werden „auf der schafft, also eine schrittweise Einschränkung der Macht Straße“ stattfinden. Aufgabe von Parlamentsfraktionen der Konzerne (s. o.). (Zwischen-)Ergebnis ist nicht der muss es folglich sein, außerparlamentarische Kräfte zu demokratische Sozialismus, aber eine Form des unterstützen. Kapitalismus, in der die Herrschenden nicht mehr so Dabei wird es immer wieder wichtig sein, deutlich zu souverän agieren können wie jetzt und in der es mehr machen: Privatisierung und Deregulierung führen Klassenkampf von unten gegen den von oben gibt. gleichermaßen zu Armut und sozialer Verunsicherung Ansätze gab es dafür durchaus schon. Die Bewegung wie auch zu dramatischen Klimaveränderungen und gegen CETA usw. war z. B. ein breites Bündnis, das zum Artensterben. Diese Erkenntnis ist in manchen sich gegen Konzernmacht richtete. Unsere Partei hat außerparlamentarischen Bewegungen stärker vertre- diese Bewegung außerhalb der Großdemonstrationen ten als in DER LINKEN. weitgehend links liegen gelassen und im letzten Was heißt das nun für unsere aktuelle Auseinanderset- Bundestagswahlkampf ganz "vergessen" ‒ die linken zung? Zunächst einmal stecken wir in einem dramati- Ökos übrigens auch. schen Dilemma: Wir wissen, dass ein konsequenter In unseren konkreten Projekten sollten wir stets deut- Klimaschutz samt der drastischen Maßnahmen, die lich machen, wo die Ursachen, wer die Verursacher, eigentlich schon gestern notwendig gewesen wären, im wer die Gegner sind, wer also gleichzeitig an der Ver- neoliberalen Kapitalismus nicht durchzusetzen sind. Das nichtung unserer natürlichen und der sozialen Lebens- ist auch unsere politische Alltagserfahrung. Wir leben grundlagen schuld ist. Es muss um konkrete Ziele als aber nicht in einer vorrevolutionären Situation. Es ist Zwischenschritte gehen und um die Bildung breiter also nicht damit zu rechnen, dass wir es in kurzer Zeit Bündnisse. mit einer ‒ na, sagen wir mal: nachkapitalistischen ‒ Zu guter Letzt: Es ist wohl notwendig, auf einen Gesellschaft zu tun haben. wesentlichen Unterschied zwischen dem Kampf um Daran werden auch die besten Beschlüsse des Partei- soziale Rechte, für Frieden, Demokratie, gegen Rassis- vorstandes (die wir nicht haben) und die besten mus usw. einerseits und dem Kampf gegen die globale Absichten von Parteitagen nichts ändern. Es gibt in Erhitzung und Artenschwund hinzuweisen: Die DER LINKEN den weit verbreiteten Irrtum, gute ersteren können gewonnen werden, sobald die gesell- Beschlüsse würden Gesellschaft verändern. Natürlich schaftlichen Kräfteverhältnisse dafür reif sind, in fünf, müssen wir wissen, wo wir hin wollen, welche Ziele wir zehn oder 20 Jahren. Der Kampf zur Verhinderung der haben. Aber reale gesellschaftliche Veränderungen Klimakatastrophe hat diese Zeit nicht mehr. Jedes sind nur durch reale gesellschaftliche Kämpfe zu errei- 1/10 Grad Temperaturerhöhung ist irreparabel, die chen. Die lassen sich weder durch Parteitagsbe- Überschreitung eines „Kipppunktes" hat unwider- schlüsse noch durch Beschlüsse und Anträge von rufliche Folgen, die nicht durch spätere Maßnahmen Fraktionen ersetzen. rückgängig gemacht werden kann. Wir brauchen also ‒ gerade auch gegen globale Erhit- Wollen wir als linke Ökos oder Ökosozialisten eine zung und schwindende Biodiversität ‒ eine Strategie, größere Rolle in DER LINKEN spielen, dann müssen wir die ‒ anders als bisher nun nicht mehr völlig unzulängli- diese Strategiediskussion führen und Wege aufzeigen, che, sondern effektive! ‒ Schritte in die richtige Rich- wie es zu breiten Bündnissen und stärkeren außerpar- tung durchsetzt und dabei zugleich Voraussetzungen für lamentarischen Kämpfen kommen kann. 4 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
In eigener Sache Wie entwickeln wir DIE LINKE. zur Sprachrohr der Klimabewegung? von Christoph Podstawa Die gesellschaftlichen Widersprüche nehmen enorm Anders in Brandenburg. Dort besetzen einige Tage zu. Lösungen werden nicht nur in Parlamenten, son- zuvor Aktive von Ende Gelände, der IL (inter ventionisti- dern vor allem in linken sozialen Bewegungen disku- sche Linke) und Robin Wood – ich bin im Bundesvor- tiert. Mit politischen Aktionen erzeugen Bewegungen stand von Robin Wood – einen Kohlebagger und ver - öffentliche Aufmerksamkeit und verleihen Forderungen weigerten die Abgabe ihrer Personalien. Anschließend Nachdruck. Dies setzt nicht nur Regierende und Kon- wurden sie einige Tage in Gewahrsam genommen, drei zerne unter Druck, sondern auch uns als linke und sich Besetzer*innen befanden sich am 23.2.2019 immer als bewegungsnah verstehende Partei. Nutzen wir den noch in Gewahrsam. Anstatt sich zu solidarisieren, Druck, um DIE LINKE inhaltlich und strategisch weiter- wurde die Aktion durch DIE LINKE Brandenburg als zuentwickeln. Davon würden beide Seiten – DIE LINKE destruktiv kritisiert. Kein hörbares Wort der Entrüstung als Partei und die Klimabewegung – profitieren. über das Vorgehen der Polizei! Das hat unserem Ruf in Die Klimabewegung sorgt gerade für Furore. Zwar sind der Klimabewegung enorm geschadet. ihre Positionen weder einheitlich, noch endgültig aus- Nach einer Aktion vor dem Büro der LINKEN gearbeitet, Klimagerechtigkeit aber ist wichtig genug, Brandenburg ruderten die Genoss*innen zurück und um inhaltliche Unterschiede zu überwinden. Das stärkt relativierten ihre Position. Nichtsdestotrotz zeigt es, den Kampf, dem wir uns anschließen sollten. Die wie weit wir noch davon entfernt sind, von der Klima- Klimabewegung wächst rasant, wird politischer und bewegung als verlässliche bzw. IHRE parlamentarische gewinnt zunehmend an Einfluss. Auch deswegen ist sie Stimme wahrgenommen zu werden. Um dieses Ziel zu zunehmender Repression ausgesetzt, ihre Forderungen erreichen, müssen wir unser klima- und grundrechts- stellen Gerechtigkeit in den Vordergrund, was auch politisches Profil schärfen und sollten einige Profite einflussreicher Konzerne gefährdet. Aber genau prominente Positionen der Klimabewegung in unser das macht sie zu einem natürlichen Bündnispartner. Programm übernehmen. Das „Lex Hambi“ aus NRW – speziell die Möglichkeit Menschen aufgrund von sogenannter Gefahrenabwehr (!) mehrere Tage in Gewahrsam zu behalten – zeigt, dass sich die Polizeiverschärfungen gegen politisch aktive und unbequeme Menschen richtet. Die Sicherheitsor- gane sind mit weitreichenden juristischen Mitteln ausgerüstet. Aus meiner Sicht müssen wir folgende Positionen übernehmen bzw. innerhalb der Partei stärken, um gemeinsam mit außerparlamentarischen Initiativen die Repression und Kriminalisierung zurück- zudrängen: Solidarität vor inhaltlichen und strategischen Differenzen Protest von Klimaaktiven vor einem Büro der Linkspartei Bei Repression gegen Aktivist*innen der Klimabewe- in Brandenburg gung – wie auch bei Repression gegen antifaschisti- sche Initiativen und Proteste, gegen antimilitärische Das ist leider noch nicht überall angekommen. Zwei Bündnisse, usw. – sind wir bedingungslos solidarisch. unterschiedliche Ereignisse belegen dies: In NRW Inhaltliche und strategische Unterschiede werden wurde nach einer Besetzung eines Kohlebaggers sofort akzeptiert und in entsprechenden Rahmen diskutiert. das neue Polizeigesetz – inzwischen von vielen Aktiven Sie stehen Solidarität nie im Wege! zu „Lex Hambi“ umgetauft – angewendet und die Akti- Ablehnung jeglicher Erweiterung ven wurden aufgrund ihrer Personalverweigerung meh- rere Tage in Gewahrsam gehalten. Die LINKE in NRW polizeilicher Befugnisse solidarisierte sich umgehend und startete eine tolle Wir lehnen jegliche Erweiterung polizeilicher Befug- Kampagne. nisse als Strategie der Protestbekämpfung ab. Mit den Heft I-2019 Tarantel Nr. 84 5
In eigener Sache aktuellen Polizeigesetzen wird die Sicherung des Solidarität mit der Klimabewegung fällt leichter, wenn Status quo zunehmend militarisiert. Sie sind ein inhaltliche Anknüpfungspunkte und Überschneidungen aggressiver staatlicher Angriff auf unsere Demokratie vorliegen. Die Klimabewegung ist bunt, doch immer und Grundrechte. Wir begrüßen, dass DIE LINKE in mehr Akteure entwickeln ein antikapitalistisches Profil. Thüringen bisher keine Polizeiverschärfungen vorge- Wir sollten hier ansetzen und in solidarischen Aus- nommen und nach dem NSU-Skandal als bisher einzi- tausch kommen. Wenn wir, DIE LINKE, die Partei des ges Bundesland auf die Nutzung von V-Leuten sozial-ökologischen Umbaus werden wollen, sollten wir verzichtet. Wir fordern DIE LINKE in Brandenburg auf, die Parolen der Klimabewegung ernst nehmen und in zumindest Verschärfungen ihrer Polizeigesetze zu unser Wahlprogramm übersetzen – und umgekehrt, verhindern. dafür sorgen, dass die Klimabewegung soziale Aspekte in ihre Positionen integriert und sozialistische Position einnimmt. Polizei und Justiz sind bei Protestbekämpfung auffällig aktiv Sofortiger Kohleausstieg ist nicht nur Eine pauschale personelle, finanzielle und materielle notwendig, sondern wäre nur ein erster Aufstockung der Polizei und Justiz lehnen wir ab. Zu Schritt sehr agierten beide als Instrument zur Protestbe- kämpfung, zu sehr werden rechtsextreme Netzwerke Laut Kohlekommission soll in Deutschland bis 2038 und Einstellungen innerhalb der Polizei relativiert und Kohle verstromt werden dürfen. Dabei ist Deutschland zu sehr leiden politisch Aktive unter Repression durch Exporteur von Strom. Die Kohlekommission sichert Polizei und Justiz. Wieso schaffen es Polizei und Justiz, den Konzernen ihre Profite. Wenn wir die ohnehin trotz angeblichen Personalmangels so stark auf die wenig ambitionierten Pariser Klimaziele erreichen Bekämpfung der Klimabewegung zu fokussieren? Hier wollen, braucht es nicht nur die CO2-Einsparungen braucht es eine Analyse und Umstrukturierung der durch einen sofortigen Kohleausstieg, sondern sofor- Sicherheitsbehörden und Justiz. Und eine Stelle, die tige CO2-Einsparungen in weiteren Bereichen wie Ver- bei Bedarf neutral gegen die Polizei ermittelt. Wir kehr, Landwirtschaft usw. Die aktuelle Klimapolitik ist wollen eine Polizei und eine Justiz, die die Sicherheit ein Verbrechen an zukünftigen Generationen, die die der Menschen garantiert, Prävention in den Vorder- Folgen ausbaden bzw. aushalten müssen. Zudem grund stellt, gute Arbeitsbedingungen bietet und deren werden andere Aspekte wie Artensterben ausge- Auftreten und Aufrüstung verhältnismäßig sind. Wir blendet. Um die Folgen der aktuellen (Wirtschafts-) stellen uns gegen jede Militarisierung der Polizei und Politik einzudämmen, brauchen wir einen breiten Instrumentalisierung der Justiz. gesellschaftlichen Umbau. 6 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
In eigener Sache Nennen wir das Kind beim Namen: oder auf die unteren Klassen ausgelagert werden. Es braucht eine sozial-ökologische Beispiel: Menschen mit geringen Einkommen leben an Revolution. viel befahrenen Straßen und haben die Folgen der Verkehrspolitik zu tragen. Diese Analyse können wir Um notwendige Klimaziele zu erreichen, das Arten- auf viele weitere Bereiche übertragen – sowohl auf sterben zu beenden und um ein gutes Leben für alle zu bundes- als auch kommunalpolitischer Ebene. ermöglichen, müssen Gesellschaft und Wirtschaft vom Technische Innovationen nur fürs Kopf auf die Füße gestellt werden. Die Wirtschaft hat die Versorgung Aller und nicht die Profite Weniger zu Allgemeinwohl garantieren. Es braucht ein neues Verständnis von Mit technischen Innovationen soll die Menschheit Wohlstand. Ein kleiner, aber wachsender Teil der Kontrolle über die Auswirkungen des Klimawandels Weltbevölkerung konsumiert auf Kosten anderer und gewinnen. „Geoengineering“ soll den Klimawandel der Zukunft. Das führt jedoch nicht zwangsläufig zu technisch lösen oder abschwächen. Die Ideen reichen Glück und Wohlbefinden. Wohlstand müssen wir neu von Einlagerung von CO2 bis zur Entsorgung auf dem verstehen – mehr Freizeit, mehr Selbstverwirklichung, Mars. Absurd, aber diese Strategie ist vor allem bei mehr Gesundheit, eine hervorragende öffentliche Menschen beliebt, die nichts bis wenig ändern wollen. Daseinsvorsorge usw. Haben wir den Mut zu diskutie- Daher sollten wir solche Positionen ablehnen. Techni- ren, wo unsere Wirtschaft – oder anders gesagt: wo sche Innovation ist begrüßenswert, wenn sie im Dienst die Ausbeutung der Natur und von Menschen – des Allgemeinwohls steht – das heißt auch: Wir lehnen schrumpfen muss und wie wir zukunftsfähigen einen „grünen“ Kapitalismus ab. Einsparungen von CO2 Wohlstand für ALLE schaffen. und Ressourcen, die durch technische Innovationen bisher erreicht wurden, wurden durch die Fokussie- Es gibt keine Arbeitsplätze auf einem rung auf Wachstum negiert. Kurz: Bisher beschleunigt toten Planeten technische Innovation in Kombination mit Wirtschafts- Arbeitsplätze sind das bekannteste Argument zur wachstum die Zerstörung unserer Lebensgrundlage! Verteidigung des Status quo. Die Zahlen werden je Auch „grüner“ Kapitalismus führt in die Barbarei! nach politischer Lage hochgeschraubt. Wie genau Sexistische Diskussionskultur diese entstehen, wird selten hinterfragt. Zudem wird zu wenig diskutiert, wie viele Arbeitsplätze und wie viel entlarven Wohlstand der Klimawandel vernichtet. Wir brauchen Als Schlecker ein neues Verhältnis zu Arbeit – und ihrer Verteilung. geschlossen wurde, Die Menschen sollen nur so viel (lohn-) arbeiten müs- hatte die Politik eine sen, wie gesellschaftlich notwendig ist und die Arbeit einfache Lösung: Die muss gerecht verteilt werden. Es braucht eine Entkop- „Schleckerfrauen“ pelung von Arbeit, Wohlstand und gesellschaftlicher sollten zu Erzie- Teilhabe. Auf einem toten Planeten sind die Fachkräfte her*innen und Pfle- nicht arbeitslos, sondern tot! Die Klimabewegung ger*innen umge- verteidigt unsere Lebensgrundlage – wir sollten mit schult werden. Bei ihnen für eine sozial-ökologische Revolution kämpfen. Frauen scheint die Berufswahlfreiheit nicht so wichtig und ohnehin durch das Geschlecht vorbestimmt zu Nichts ist so teuer wie die aktuelle sein! Umso wichtiger scheint die Berufswahlfreiheit Politik beim männlichen Facharbeitern zu sein?! Wieso Das zweite beliebte Argument neben Arbeitsplätzen übertragen dieselben Politiker*innen ihre Forderungen lautet: zu teuer! Als Kommunalpolitiker streite ich für gegenüber der „Schleckerfrauen“ nicht auf den flächendeckenden und ticketfreien Nahverkehr. Diese Strukturwandel? Keine Frage, wir sollten dies auch Forderung lösen außerhalb von Wahlkampfzeiten bei ablehnen. Die Berufswahlfreiheit ist ein wichtiges allen anderen Parteien Kopfschütteln aus, danach folgt Element einer freien Gesellschaft und sollte auch nicht der Verweis auf den Haushaltsplan, der angeblich beim Facharbeiter relativiert werden. Die aktuelle keine Spielräume zulässt. Wir sollten uns den Klima- Diskussion zeigt aber, wie verlogen die Diskussion um wandel nicht als Sachzwang verkaufen lassen! Nichts die Zukunft der Facharbeiter ist und wie sehr wir uns ist so teuer wie die aktuelle (Verkehrs-) Politik. Die um die Aufwertung sozialer und pflegerischer Berufe Kosten aber werden kaschiert, weil sie entweder in die einsetzen sollten. Und um die Schaffung echter Zukunft, in den globalen Süden, in andere Bereiche beruflicher Perspektiven für alle Menschen! Heft I-2019 Tarantel Nr. 84 7
Erfahrungen und Perspektiven Mehr als zwei Jahrzehnte Ökodorf Sieben Linden Nachhaltig gut leben mit kleinem ökologischen Fußabdruck Von Marko Ferst Einsam in weiter Flur stand 1997 nur ein Gehöft mit ein ökologisches Leben vor Ort aussehen kann. Von Stallflügel in verfallenem Zustand. Sonst gab es nur einem abgekoppelten Gegenmodell mauserte sich das monotone Felder und einzelne Waldstücke. Inzwischen Projekt zu einem Teil des größeren gesellschaftlichen breitet sich an diesem Platz in der Altmark eines der Wandels. Man hat es nicht mit einer abgeschotteten Vorzeigeprojekte der deutschen Ökoszene aus. Zu Insel zu tun, auch im Gemeinderat oder im Kreistag sind Zeiten, als Rudolf Bahro in den 90er Jahren noch an Ökodörfler*innen aktiv. Die Öffnung zur übrigen Gesell- der Humboldt-Universität Sozialökologie lehrte, lagen schaft ebnete den Erfolg, so äußert Dieter Halbach, dort beispielsweise die Konzeptpapiere für das einer der Mitbegründer. Ökodorf Sieben Linden aus. Schon damals ließ sich erkennen, die Initiatoren besaßen recht präzise Vorstellungen von ihrem Zukunftsprojekt. Die ersten Planungen reichten bis in das Jahr 1989 zurück. In Groß Chüden befand sich seit 1993 als Vorläufer ein erster Ökohof. Besucht man heute das Areal, trifft man auf eine Ökosiedlung, wo neben zwölf zumeist Mehr familien- häusern, auch noch an die 50 Bauwagen mit metallenen Heizungsschornsteinen auf Wiesen stehen. Rund 150 Bewohner, darunter 40 Kinder wohnen an diesem Ort. Statt einer Kirche findet man ein Meditationshaus, überdies einen Naturwarenladen. Zäune gibt es nicht, nur die riesigen Gartenanlagen werden abgeschirmt, damit Rehe und Schwarzröcke Im Zentrum steht die Siedlungsgenossenschaft, die nichts plündern. Die Siedlung selbst umfasst knapp Eigentürmerin vieler Häuser ist und alle wichtigen sechs Hektar, zusammen mit Wald, Acker- und Entscheidungen in die Wege leitet. Jede*r hat bei der Gartenflächen ist die Fläche inzwischen auf über 100 Genossenschaft das gleiche Stimmrecht und das Hektar angewachsen. Projekt wird nicht gefährdet, wenn jemand aus- Jeden ersten Sonntag im Monat außer im Januar und scheidet. Eine Gemeinschaft ist ihnen wichtig, die auf August gibt es ab 13.30 Uhr eine informative Führung einer Kultur des Vertrauens gründet. Entscheidungen durch das Gelände. Ein Vortrag oder kultureller Beitrag werden inzwischen durch ein Rätesystem aufbereitet, folgt mit traditionellem Sonntagscafé. Selbst für über- welches versucht, Basisdemokratie und menschliche raschende Gäste liegt alltags ein selbsterklärendes wie fachliche Kompetenzen miteinander zu verknüpfen. Exkursionsheft bereit, an jeder Station des Rundgangs Die Verantwortung wird in sieben Fachgruppen dele- mit Erläuterungen ausgestattet. Jedes Jahr veranstaltet giert, damit Entscheidungen leichter und effizienter zu Sieben Linden ein großes Sommercamp mit vielen treffen sind. Der Beitrag von Eva Stützel1 zeigt, wie Workshops und Gästen. Seminare zu Permakultur, schwierig sich der Weg dorthin gestaltete. Am Anfang Strohhaus-Achitektur, Mitarbeitswochen oder For- fehlte das Wissen und das Gespür für die praktische schungstage finden verteilt über das ganze Jahr statt. und rechtliche Dimension des Projekts, man musste Zum 20. Geburtstag bereitete man die eigenen Erfahrun- sich mit Bebauungsplänen und Gemeindebeschlüssen gen, Reflexionen auf und zog Resümee. All dies findet in beschäftigen. Ein völlig neues Dorf anzulegen ist dem Band „20 Jahre Ökodorf Sieben Linden“ seinen heutzutage alles andere als einfach. Niederschlag. Man wollte nicht warten, bis eine Regie- Eine Studie über das Dorf in den Bereichen Ernährung, rung in Deutschland eine grundlegende ökologische Wohnen und Mobilität ergab, dass hier nur ein Viertel Wende einleitet, sondern selbst schon beginnen, wie so des Bundesdurchschnitts an CO2-Aquivalenten aus- 1 20 Jahre Ökodorf Sieben Linden. Erfahrung, Reflexion und Resümee, 136 Seiten, Eurotopia-Buchversand, A4 mit zahlreichen Farbfotos, 15 €, www.eurotopiaversand.de mehr Information: https://siebenlinden.org/de/start/ 8 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
Erfahrungen und Perspektiven gestoßen wird. Im Bereich Wohnen und Heizen sind es Wer die Häuser betrachtet, wird nicht auf die Idee kom- sogar nur zehn Prozent. Prägend für den Ort sind die men, dass diese zu großen Teilen aus Strohballen gebaut langgezogenen überdachten Holzmieten. Freilich, wenn sein könnten, Holzkonstruktionen und Lehm fallen eher alle nur mit Holz heizten in Deutschland, würden die auf. Sogar ein dreistöckiges Haus wurde so errichtet. Die Wälder schnell übernutzt, so schätzen sie selbst ein. In Zimmerin Bettina Keller gibt dazu einen Überblick und der Mobilität dagegen unterschied man sich kaum von verweist darauf, in Frankreich werden jedes Jahr so viele der übrigen Bevölkerung. Das liegt auch am niedrigen Strohballenhäuser gebaut, wie in Deutschland in den Altersdurchschnitt. Rentner sind zumeist weniger letzten 20 Jahren. Für die Strohballenhäuser bedurfte es unterwegs, zudem befindet sich der Ort abseits von einer eigenen Zulassung im deutschen Baurecht. Alle Bahnstrecken etc. Das Dorf selbst ist autofrei, die Baustoffe sollten unmittelbar aus der Region kommen Fahrzeuge werden untereinander geteilt. ohne große Transportaufwände. Stahl, Beton, Aluminium Auf dem Wunschzettel steht noch eine Biogasanlage und problematische Kunststoffe wollte man auf ein für das benötigte Kochgas, Abfälle dafür gäbe es Minimum reduzieren. Eines der großen Projekte, die für genug, berichtet Christoph Strünke in seiner Öko- die Zukunft geplant sind, ist das neue Seminarzentrum bilanz. Mit 500 Kilowattstunden an Strom pro Person mit über 40 Übernachtungsplätzen. und Jahr komme man aus. Es werden keine Elektro- Einige Jahre gab es auch den Club 99, der mit einem herde, Trockner und Warmwasserbereiter genutzt. Zehntel des heutigen Energie- und Materialverbrauches Kühl- und Gefriergeräte liegen in gemeinsamer Ver - auskommen wollte, alternative Lebens- und Liebes- wendung. Zwei Drittel des Stroms im Ökodorf wird modelle gehörten dazu. Davon berichtet Silke Hag- selbst erzeugt, Solaranlagen findet man auf jedem maier. 2001 entstand die Villa „Strohbunt“, fast kom- Dach, an guten Sonnentagen gibt es sogar Vollversor- plett gebaut aus recycelten Materialien, die von gung. Mit 60 Liter pro Person liegt der Wasserbedarf Abrisshäusern gewonnen wurden bzw. Holz aus dem dank moderner Komposttoiletten nur halb so hoch wie Wald mit Pferden herangeholt. Immerhin führte genau üblich. Pflanzenkläranlagen bereiten das Wasser auf. dieses Experiment zum Einsatz von Stroh beim Es gibt immer mehr Arbeitsplätze im Dorf, insbeson- Hausbau weit über das Ökodorf hinaus. dere im Bildungsbetrieb, zwei oder drei im Waldkinder- Sieben Linden oder das ökologische Stadtviertel garten, aber auch im Hausbau und mit deren Unterhalt Vauban in Freiburg, wie auch andere Projekte, geben verbundenen Diensten. Der Wald muss bewirtschaftet einige Anstöße dafür, wohin die Reise gehen könnte. werden, der große Gemüsegarten. Es gibt Selbstän- Dirk C. Fleck implantierte in seinen Roman „Das Tahiti- dige und eigene Betriebe vom Hausbau in Strohballen- Projekt“ modellhaft, wie die Südseeinsel zu einer Bauweise, über Wildkräuterversand, die Obstbaum- ökologischen Zukunftsrepublik umgestaltet wird. In schule bis hin zum Buchverlag und der Schneiderei. vielen ökonomisch aufstrebenden Staaten baut man Die Wertschöpfung soll möglichst im Dorf verbleiben. zumeist das alte fossile Industriemodell nach, obwohl Andere Menschen arbeiten außerhalb als Arzt, Alternativen leichter möglich wären als hierzulande, Lehrer*in, Psycholog*in, in der Sozialarbeit u.a. Nur nicht nur mit solar erzeugtem Strom im Dorf. Deutsch- wenige sind arbeitslos. Seit dem Anfang absolvierten land ruht in umweltpolitischen Blockaden, dank immer über 100 junge Menschen ihr Freiwilliges Ökologi- neuer Merkel-Regierungen, von amerikanischen Ver- sches Jahr in diesem experimentellen Projekt. hältnissen ganz zu schweigen. Da darf es nicht wun- 80 Prozent der Bewohner leben zwar unter der offiziel- dern, dass die globale Konzentration an Klimagasen len Armutsquote, jedoch kommt man hier mit 600 € rasant ansteigt, die Klimaziele von Paris sehr im Monat gut aus. Es gibt eine Verschenke-Ecke, wo wahrscheinlich völlig verfehlt werden. Die nächsten Bücher, Kleidung u.a. ihre Besitzer*innen wechseln. Es Generationen dürften sich in chaotischen gesell- werden viele Dienstleistungen getauscht und geteilt schaftlichen Umbrüchen wiederfinden. Noch unter - ohne Finanzen. Tanz- und Musikunterricht wird so wandert ökologischer Pioniergeist nicht die Zentren günstiger. Jede Woche gibt es einmal Kino an der unserer Plutokratien. Aber eines ist gewiss: Großleinwand frei, Sauna ist möglich. Viel Energie, Die heutigen modernen Lebensstile werden in den Plastikmüll und Geld wird gespart, wenn das gemein- absehbaren klimatischen und gesellschaftlichen schaftliche Essen genutzt wird, schmackhaft überdies, Krisenprozessen in diesem Jahrhundert hochgradig wie sich der Autor überzeugen konnte. Der Selbstver- verwundbar. Sehr schnell könnten die Regionen sozial- sorgungsgrad mit Gemüse und Kartoffeln liegt bei 70 ökonomisch auf sich selbst zurückgeworfen sein. So Prozent. Die prächtigen roten Paprika im Gewächshaus dürfte es klug sein, rechtzeitig Ideen zu sammeln, konnten beim Rundgang schon beeindrucken. welche Strategien dann tauglich sind. Heft I-2019 Tarantel Nr. 84 9
Schwerpunkt EU-Politik EU-Agrarpolitik: Reform für Äcker, Ställe und Natur gesucht! von Christian Rehmer Weinberge in Frankreich, weidende Schafe in Irland, Jahr 267 Euro – in Deutschland sind es ca. 280 Euro. riesige Getreidefelder in Ostdeutschland und kleine Wegen der unterschiedlich großen Betriebe führt diese Bauernhöfe in Bayern. Europas Landwirtschaft ist Regelung dazu, dass EU-weit 80 Prozent der Gelder an vielfältig. Sie ist von ökologischen Gegebenheiten, nur 20 Prozent der Begünstigten gehen. In Deutsch- Kultur und Geschichte, Politik und ökonomischen land gehen 69 Prozent der Gelder an die 20 Prozent Entwicklungen geprägt. Bewirtschaftet wird die Fläche größten Agrarbetriebe. Oder noch deutlicher: 1 Pro- von etwas über zehn Millionen Betrieben. Ein Drittel zent der Betriebe bekam im Jahr 2016 20 Prozent der davon liegt in Rumänien. Während die durchschnitt- Direktzahlungen. liche Betriebsgröße dort bei etwas über drei Hektar Die zweite Säule umfasst nur 25 Prozent und heißt liegt, kommen die Betriebe in Tschechien auf 133 „Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwick- Hektar und in Deutschland auf 60 Hektar (Ost: 224 lung des ländlichen Raums“. Daraus werden die Pro- Hektar und West: 47 Hektar). gramme für Ökolandbau, zur Unterstützung der Land- Kein anderer Wirtschaftsbereich ist in der Europäi- wirtschaft in benachteiligten Gebieten und für andere schen Union so stark durch gemeinschaftliche Regeln Umwelt-, Klima- und Naturschutzmaßnahmen finan- geprägt wie die Landwirtschaft – sie unterliegt der ziert. Obgleich es die zweite Säule ist, die die gesell- Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz „GAP“. Ihre Ziele und schaftlichen Leistungen der EU-Landwirtschaft ent- Aufgaben wurden erstmals 1957 festgelegt. Die lohnt, will die Kommission genau dieses Budget in der anfangs aus nur sechs Ländern bestehende Gemein- kommenden Förderperiode um rund 27 Prozent schaft wollte die Menschen im zerstörten Nachkriegs- zusammenstreichen. Die erste Säule hingegen würde europa mit genügend Nahrungsmitteln zu angemes- nach den aktuellen Vorschlägen nur um etwa elf senen Preisen versorgen. Daher sollten die Produktivi- Prozent gekürzt. tät in der Landwirtschaft gefördert, die Märkte stabili- Natur, Klima, Umwelt: siert und der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung gesichert werden. Es gibt viel zu tun Das Ziel der Selbstversorgung hat die GAP innerhalb Die GAP hat jetzt und auch in Zukunft mehr als genug kürzester Zeit erreicht. Schon in den 1970er-Jahren zu tun. Sie hat ihr Ziel der Produktivität mehr als produzierten die Bäuerinnen und Bauern mehr Nah- erreicht und muss sich neuen Herausforderungen stel- rungsmittel, als gebraucht wurden. Die Verlockungen len: Noch nie haben so wenig Bäuerinnen und Bauern sicherer Preise und Einkommen zeigten ihr negatives und die weiteren landwirtschaftlichen Arbeitskräfte so Gesicht: Die Zeit der Butterberge, Milchseen und billig so viele Produkte hergestellt. Trotzdem reichen Obstvernichtungen begann. Zugleich sorgten Export- die Einkommen auf vielen landwirtschaftlichen subventionen für eine künstliche Verbilligung, um die Betrieben nicht, um die nachfolgende Generation zur Waren auf dem Weltmarkt loszuschlagen. Fortführung der Höfe zu gewinnen. Und die durch die EU-Agrarpolitik verursachten Schäden an Umwelt, Jede*r zahlt 114 Euro pro Jahr Natur bzw. Biodiversität, an Nutztieren, an den Ent- Derzeit stehen für die Finanzierung der GAP etwa 38 wicklungsländern und für die ländliche und dörfliche Prozent des EU-Budgets zur Verfügung. Das sind 58 Struktur sind gravierend, obwohl klare Schutzziele und Milliarden Euro im Jahr – 114 Euro pro Kopf. Auch Vereinbarungen vorliegen. Drei Beispiele: wenn die GAP der größte EU-Haushaltsposten ist, sinkt 1. Biodiversität: Die Tierwelt in der Europäischen ihr prozentualer Anteil seit Jahren. 1988 waren es 55 Union steht unter starkem Druck. Der Status von Prozent, 2027 sollen es nur noch 27 Prozent sein. 60 Prozent der Arten und 77 Prozent der Die GAP besteht aus zwei Teilen, den sogenannten Lebensräume wird als „ungünstig“ eingestuft. Die Säulen. Die erste Säule verfügt über 75 Prozent des Zahl der Feldvögel ist seit 1980 um 56 Prozent GAP-Geldes und heißt „Europäischer Garantiefonds für zurückgegangen, und es gibt fast 35 Prozent die Landwirtschaft“. Daraus werden die pauschalen weniger Grünland-Schmetterlinge als 1990. Im Jahr Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe 2001 haben sich die EU-Mitgliedsstaaten dazu ver- gezahlt: die Flächenprämien (72 Prozent). Im Durch- pflichtet, den gravierenden, in den Agrarlandschaf- schnitt gibt es in der ganzen EU für jeden Hektar pro ten stark von der Landwirtschaft verursachten 10 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
Schwerpunkt EU-Politik Biodiversitätsrückgang bis zum Jahr 2010 zu men, Strukturwandel, Hofabgabe) sowie gesamtgesell- stoppen und umzukehren und bis dahin auch für schaftliche Beispiele (Gesundheit, Tierwohl, Ernäh- die Wiederherstellung verloren gegangener rung) erweitern. Auch die Frage, ob Agrarpolitik ver - Habitate zu sorgen. fehlte Sozialpolitik (durch erschwingliche Lebensmit- 2. Gewässerschutz: Zwischen 2012 und 2015 über- telpreise) ausgleichen sollte, wäre wichtig, kann hier schritten EU-weit 13,2 Prozent der Grundwasser- aber nicht näher ausgeführt werden. Messstationen den Trinkwasser-Grenzwert. In den Unzureichende Vorschläge aus Brüssel großen EU-Ländern Deutschland (28%) und Spa- nien, aber auch im kleinen Inselstaat Malta sind die Die aktuelle Förderperiode begann 2014 und endet im Nitratwerte besonders hoch. Ist der Grenzwert Dezember 2020. Wie die GAP danach aussehen wird, überschritten, kann es zu ökologischen, ökonomi- wird gerade diskutiert. Im Sommer 2018 legte EU- schen und gesundheitlichen Schäden kommen. Um Agrarkommissar Phil Hogan Vorschläge zur Zukunft die Oberflächengewässer und das Grundwasser der GAP auf den Tisch. Der Ire präsentierte Verord- von schädlichen Nährstoffeinträgen aus der Land- nungsentwürfe, mit welchen er die GAP einfacher und wirtschaft freizuhalten, haben sich die EU und die moderner machen möchte. Mitgliedstaaten auf eine Reduzierung von Nähr- Dabei hält die Kommission grundsätzlich an der stoffüberschüssen für Nitrat-Stickstoff und Phos- bisherigen GAP-Struktur fest. Sie favorisiert weiterhin phat verständigt. Zudem verpflichtet die EU-Nitrat- eine Aufteilung in eine große erste Säule und die richtlinie die Mitgliedstaaten, die Einhaltung des wesentlich schwächer ausgestattete zweite Säule. Neu Grenzwertes von 50 mg/l Nitrat im Grundwasser ist ihr Vorschlag, von jedem Mitgliedstaat die einzuhalten und einen Wert von maximal 25 mg/l Erarbeitung und Vorlage eines GAP-Strategieplans für anzustreben. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie ver- beide Säulen zu verlangen. Die EU-Kommission will pflichtet die Mitgliedstaaten, auch bezüglich der viele Festlegungen über Maßnahmen, Kontrolle und Phosphat-Einträge einen guten Zustand der Gewäs- Sanktionen nicht mehr auf EU-Ebene im Detail treffen, ser zu erhalten bzw. wiederherzustellen. sondern dies den Mitgliedstaaten überlassen. Darüber 3. Klimaschutz: Auch die Landwirtschaft trägt zum hinaus hat sie Entwürfe für eine Verordnung über die Klimawandel bei. Bei der Düngung werden große einheitliche Gemeinsame Marktorganisation und für Mengen Lachgas freigesetzt, bei der Rinderhaltung eine Horizontale Verordnung über die Finanzierung, entsteht Methan. Weltweit ist die Landwirtschaft Verwaltung und Überwachung der GAP präsentiert. Mit für ein Viertel aller Emissionen von Treibhausgas den neuen GAP-Strategieplänen sollen die Mitglied- verantwortlich. In Europa ist der Agrarsektor nach staaten neun zentrale Ziele verfolgen. Dafür schlägt der Energieerzeugung und dem Verkehr die die EU-Kommission basierend auf drei allgemeinen drittgrößte Quelle und trägt etwa zehn Prozent zu Zielen je drei wirtschaftliche, ökologische und soziale den Gesamtemissionen bei. Diese Emissionen Ziele vor. kommen zu 38 Prozent aus den Böden und dem Umweltpolitisch interessant ist, dass die EU- Einsatz von Düngemitteln und zu 61 Prozent aus Kommission eine neue „grüne Architektur“ für die GAP der Tierhaltung – drei Viertel davon entstehen vorschlägt: Das bisherige Greening1 soll abgeschafft durch den Verdauungsprozess von Wiederkäuern bzw. in die neue Liste an Grundanforderungen aufge- und ein Viertel durch Mist und Gülle. Um das nommen werden. Weiterhin sind in der zweiten Säule globale Klima zu stabilisieren und die Auswirkun- Agrarumwelt- und –klimamaßnahmen vorgesehen. Neu gen des Klimawandels zu minimieren, müssen ist, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollen, diese Emissionen drastisch reduziert werden. Auf nun auch in der ersten Säule eine gezielte Förderung der Pariser Klimakonferenz 2015 haben sich 196 von besonders umwelt- und klimaschonenden Maß- Länder darauf geeinigt, sich dafür nationale Ziele nahmen anzubieten. Dieses neue Förderinstrument zu setzen. So hat sich die EU verpflichtet, ihre trägt den etwas irreführenden Namen „Öko- Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu senken und Regelungen“ (Eco-Schemes). die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupas- Alle Verordnungsentwürfe befinden sich derzeit in der sen, ohne die Produktion einzuschränken. Diskussion innerhalb des Europäischen Parlaments Diese drei umweltpolitischen Ziele ließen sich noch und dem Rat der Agrarminister*innen der beliebig um wirtschaftliche Beispiele (stabile Einkom- Mitgliedstaaten (also bei uns: Julia Klöckner). Im 1 Landwirte erbringen mit der Erfüllung der seit 2015 gültigen Greening-Auflagen weitere Zusatzleistungen für Natur und Umwelt und sorgen dadurch für einen ökologischen Mehrwert. Heft I-2019 Tarantel Nr. 84 11
Schwerpunkt EU-Politik Europaparlament gingen über 5.000 Vorschläge zur schaftlichen Betriebe steht vor der Aufgabe, bisherige Änderung der Strategieplan-Verordnung ein. Das Wirtschaftsweisen in der Flächennutzung und in der Bundeslandwirtschaftsministerium hat mit der Tierhaltung erheblich zu verändern, um die negativen Erarbeitung des GAP-Strategieplans für Deutschland Auswirkungen auf Umwelt, biologische Vielfalt und begonnen (und der dafür notwendigen und von Brüssel Tierschutz zu beenden. Zudem steht in der Tierhaltung verlangten SWOT-Analyse2). Mit einem Abschluss der für viele Betriebe der Umbau zu tierschutzgerechten Debatten und der Einigung im Trilog3 zwischen EU- Haltungssystemen und -verfahren an. Auf diese Mitgliedstaaten, Europaparlament und EU-Kommission Betriebe kommen teure Veränderungen zu. ist nicht vor Sommer 2020 zu rechnen. Die Betriebe, die bereits solche gesellschaftlich gewünschten Leistungen erbringen, müssen darin Für jeden Euro muss gelten: bestärkt werden, dies weiterhin zu tun. Beispielsweise „Öffentliches Geld für öffentliche im Ökolandbau. Die Bundesregierung möchte 20% im Leistungen“ Jahr 2030 in Deutschland auf den Äckern und Wiesen haben (aktuell ca. 8,2%). Das staatliche Thünen-Institut Die anstehende GAP-Reform muss dafür genutzt und sechs weitere Forschungsorganisationen haben werden, die Agrarbetriebe mit Förderprämien für Leis- die Leistungen von Ökolandbau und konventioneller tungen zum Schutz von Umwelt, Klima, Biodiversität Landwirtschaft für Umwelt und Gesellschaft und zur Verbesserung der Nutztierhaltung zu honorie- verglichen. Dafür werteten sie über 500 Studien mit ren. Das bedeutet, dass die derzeitige pauschale mehr als 2.000 Vergleichen zwischen Bio und Flächenprämie Schritt für Schritt reduziert und zugun- Konventionell aus. Das Ergebnis stellten sie im Januar sten anderer Prämien zum Ende der Förderperiode 2019 vor: Öko ist in fast allen Punkten besser und eine abgeschafft werden muss (Der Entwurf des Wahlpro- Schlüsseltechnologie für umweltgerechte Landwirt- gramms4 der Partei DIE LINKE ist an dieser Stelle schaft.5 Daher ist es sehr wichtig, dass die zukünftigen reichlich unpräzise). Die von der EU-Kommission GAP-Gelder dafür genutzt werden, das 20%-Ziel für vorgeschlagenen „Eco Schemes“ würden sich für einen 2030 finanziell abzusichern. Dafür wären etwa 830 solchen Transformationsprozess anbieten. Dafür muss Millionen Euro pro Jahr notwendig. ihnen EU-weit ein verbindliches Mindestbudget zuge- Alles neu macht der Mai? wiesen werden (30 Prozent der Ersten Säule für 2021, danach ansteigend). Es zeigt sich bereits, dass das, was die Vorschläge der Die Bundesregierung muss sich in Brüssel für eine EU-Kommission an inhaltlicher Substanz aufweisen, ambitionierte GAP-Reform einsetzen. Dabei hätte sie stark unter Druck steht. Umso mehr sind Umwelt-, durchaus Rückenwind. 76% der Befragten sagten in Tierwohl-, Agrar-, Verbraucher- und alle anderen einer Forsa-Umfrage für den Agrar-Atlas 2019, dass zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgerufen, sich sie den Strukturwandel negativ sehen. 73% forderten, intensiv in diese Debatte einzumischen. Die Wahl zum dass der Staat mehr gegen das Höfesterben tun sollte. Europäischen Parlament im Mai 2019 ist ein wichtiger Gefragt nach den Subventionen sagten nur 5%, dass Moment, um die Bedeutung der GAP-Reform, ihrer die Landwirtschaft überhaupt kein Geld vom Staat Ausrichtung und ihrer konkreten Ausgestaltung zum erhalten sollte. Hingegen forderten 39%, dass es nur Gegenstand der öffentlichen Diskurse zu machen. noch Geld für besondere Leistungen der Agrarbetriebe Literaturhinweis: geben darf. Dieser Artikel basiert auf Artikeln aus dem „Agrar-Atlas Der politische Handlungsdruck ist groß. Die gesell- 2019“ und dem „Kritischer Agrarbericht 2019“ sowie schaftliche Aufforderung ist vorhanden. Und der Stellungnahmen der „Verbände-Plattform“ aus dem Jahr wirtschaftliche Druck ist ebenfalls zu spüren, denn 2018, nachlesbar auf www.bund.net und auf unter der aktuellen Agrarpolitik leiden vor allem Bäue- www.kritischer-agrarbericht.de. Detaillierte „Fragen und rinnen und Bauern. Der Großteil der landwirt- Antworten“ (FAQ) zur GAP ebenfalls auf: www.bund.net 2 Die SWOT-Analyse (engl. Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken)) ist ein Instrument der strategischen Planung. 3 Trilog: paritätisch zusammengesetzte Dreiertreffen zwischen den in den gesetzgebenden Prozess der EU involvierten Institutionen – der Europäischen Kommission, dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament, wobei die Europäische Kommission eine moderierende Funktion übernimmt. 4 https://www.die-linke.de/fileadmin/download/parteivorstand/2018-2020/beschluesse/185_Europawahlprogramm_- _Auszug_aus_Antragsheft_I.pdf 5 https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen_Report_65.pdf 12 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
Schwerpunkt EU-Politik Für eine gemeinwohlorientierte Agrarpolitik ab 2020 in den ländlichen Räumen LINKE Positionen zur Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) nach 20201 Ein gescheitertes Agrarmodell Eine gemeinwohlorientierte Landwirtschaft Die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, des Exportes, der Versorgungssicherheit und der DIE LINKE setzt sich dagegen klar für eine generatio- Einkommensstabilisierung von Landwirt*innen2 sind nen- und geschlechtergerechte Agrarpolitik ein. Wir Ziele, die bis heute mit der Gemeinsamen Agrarpolitik wollen eine Land- (GAP) verfolgt werden. Sowohl die Wettbewerbsorien- wirtschaft, die sich tierung als auch die Exportstrategie bringen diverse strategisch an regio- negative Folgen mit sich. Das Ziel stabiler landwirt- naler Produktion, schaftlicher Einkommen wurde nicht erreicht. Das Verarbeitung, Ver- derzeitige Fördermodell belohnt vor allem diejenigen marktung und Ver- Betriebe, die sich ohne zusätzliche ökologische sorgung orientiert Maßnahmen rein am Markt orientieren und über und nicht am Export Arbeitskrafteinsparung ihre Gewinne maximieren. und der Gewinnma- Landwirt*innen wollen nachhaltig wirtschaften, wer- ximierung von Kon- den jedoch durch ihre schwindende Marktmacht zernen und Inves- gegenüber großen Verarbeitungs- und Handelskonzer- tor*innen. Wir brau- nen zum Gegenteil gezwungen. EU-Agrarexporte chen eine Land- belasten zudem regionale Märkte in anderen Ländern wirtschaft, die Wert- mit Dumpingpreisen. Preise deutlich unter den Erzeu- schöpfung in die gungskosten bewirken, dass mensch immer öfter von Region bringt und landwirtschaftlicher Produktion allein nicht leben Nahrung produziert. kann. Das ganzheitliche Leitbild eines multifunktiona- Und wir brauchen len Landwirtschaftsbetriebs, in dem Pflanzen- und vor allem die Land- Tierzucht miteinander verwoben sind, der ortsgebun- wirt*innen, die die den wirtschaftet und vor Ort Arbeitsplätze bietet, ver- Flächen durch schwindet. Stattdessen versuchen Betriebe ihre Exis- Ackerbau, Weide- tenz im Zweifel durch Produktion jenseits der einhei- haltung oder Mahd mischen Nachfrage und Produktionsmaximierung zu bewirtschaften. Innerhalb der Erzeuger*innenkette sichern, was Erzeuger*innenpreise weiter unter Druck muss es eine faire Risiko- und Gewinnverteilung geben. setzt und auf Kosten von Mensch und Natur geht. Dass Landwirt*innen das größte Produktionsrisiko tra- Landwirtschaftsfremde Investor*innen, die landwirt- gen, aber dafür den geringsten Gewinn erwirtschaften schaftliche Fläche als reines Spekulationsobjekt auf- und dazu nicht einmal kostendeckend produzieren kaufen und Landwirtschaftsbetriebe aus der Ferne können, ist inakzeptabel. Damit es in der Erzeu- steuern, mit möglichst wenig Arbeitskosten maximale ger*innenkette gerecht zugeht, muss die sozial unge- Profite anstreben, verschärfen den Verdrängungswett- rechte und ökologisch schädliche Subventionspolitik bewerb. Die unzureichende Regulierung des Boden- der GAP beendet werden. Landwirt*innen müssen markts und EU-Agrarsubventionen fördern dieses selbst von ihrer Arbeit leben, aber auch ihre Beschäf- Geschäftsmodell, das letztendlich auch auf Kosten der tigten fair bezahlen und wichtige gemeinwohlorien- Lebensqualität im ländlichen Raum geht, wo Land- tierte Investitionen realisieren können. Diese umfassen wirtschaft nie nur ein Produktions-, sondern auch ein beispielsweise die Bereiche Tierwohl, Umwelt und Lebensmodell war. Klimaschutz oder bessere Arbeitsbedingungen. Das 1 erarbeitet von der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, den agrarpolitischen Sprecher*innen der Bundestags – und den Landtagsfraktionen, Cornelia Ernst, Martina Michels und Helmut Scholz als Mitglieder der Delegation DIE LINKE. im Europäischen Parlament und unter der Mitwirkung der Bundesarbeitsgemeinschaft »Agrarpolitik und ländlicher Raum« beim Parteivorstand DIE LINKE 2 Landwirt*innen meint auch Bäuer*innen. Heft I-2019 Tarantel Nr. 84 13
Schwerpunkt EU-Politik Geschäftsmodell landwirtschaftsfremder Inves- die Minimierung des Pestizid- und Nährstoff- tor*innen entspricht diesem Ziel nicht, deshalb wollen einsatzes wir sie vom Landkauf und aus der Agrarförderung strukturreiche Landschaft mit Landschafts- ausschließen. elementen DIE LINKE fordert eine gemeinwohlorientierte Agrar- bodenschonende und erosionsmindernde politik, die sowohl sozial als auch ökologisch und Bodenbearbeitung tiergerecht ist. Die flächengebundene Tierhaltung ist Erhalt und Förderung von sensiblen und für uns ein Schlüssel dazu. Ein weiterer ist die Struk- geschützten Gebieten tur vielfalt in der Landwirtschaft durch Landschafts- differenzierte Bewertung von ertragsschwachen- elemente wie Hecken, Kleingewässer oder Trocken- und Gunststandorten und ihre Berücksichtigung bei mauern und durch eine vielfältige Anbaustruktur. Der Ausgleichszahlungen Erhalt und die Förderung von besonderen Standorten Aufnahme der Teichwirtschaft in den Förder- wie Trockenrasen und Mooren sind uns wichtig. Den katalog ökologischen Landbau wollen wir stärken. DIE LINKE Aufnahme von Sozialkriterien in die Direktzahlun- setzt sich auch im Bereich der Landwirtschaft für die gen, um die sozialen Leistungen von Arbeit- Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Develop- geber*innen, wie die Schaffung von sozialver- ment Goals - SDG) der Vereinten Nationen ein. Die sicherungspflichtigen Arbeits- und Ausbildungs- Landwirtschaft ist eine wichtige Partnerin wenn es um plätzen, zu honorieren die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele geht. Einführung einer Weidetierprämie für die flächen- Von einer Agrarpolitik, die DIE LINKE für notwendig gebundene Haltung vor allem von Schafen, Ziegen, hält, sind wir leider weit entfernt. Es wird immer noch aber auch von Rindern (schon vor 2020 möglich) über die Höhe von Subventionen und über die einzel- als Ausnahme der Entkopplung der EU-Agrar - nen Säulen in der GAP diskutiert. Die exportorientierte förderung und profitmaximierende Ausrichtung der Gemeinsa- Fortsetzung der Förderung von Jungland- men Agrarpolitik, die einer wirklich sozialökologischen wirt*innen, um den Wirtschaftszweig vor Entwicklung vollkommen entgegensteht, wird nicht Überalterung zu schützen angefasst. Um in der aktuellen Debatte zur GAP nach einfache, praxisnahe und rechtssichere Durchfüh- 2020 einen klaren LINKEN Kontrapunkt zu setzen, rungsregelungen, um gemeinwohlorientierte Maß- legen wir im Folgenden Vorschläge der LINKEN im nahmen auch in Zukunft attraktiv für Antragstel- bestehenden Agrarsubventionssystem der EU vor. ler*innen zu gestalten und weniger Anlastungs- risiko bei gleichbleibender sozial-ökologischer Eine neue Gemeinsame EU-Agrarpolitik Qualität von Leistungen Die Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe Stärkung von Betrieben, die ortsgebunden wirt- werden auch nach 2020 einen Großteil des EU- schaften, die regionale Wirtschaft befördern und Haushalts ausmachen. Daher ist es umso wichtiger, Arbeitsplätze vor Ort schaffen dass eine Bewirtschaftung, die für mehr Artenvielfalt, aktiven Landwirt*innen den Zugang zu landwirt- Gewässer- und Klimaschutz sorgt und auch die schaftlichem Boden sichern sozialen Fragen nicht außer Acht lässt, attraktiv für kostenlose Beratung für Landwirt*innen zu Landwirtinnen und Landwirte wird. Neben einem gemeinwohlorientierten Maßnahmen ordnungspolitischen Rahmen wird dafür eine geeignete Sicherung der Teilhabe von Frauen an Agrarförder- Förderpolitik gebraucht. programmen europäische Agrarpolitik muss die globale Armuts- Dieses Positionspapier bezieht sich vor allem auf die und Hungerbekämpfung unterstützen Direktzahlungen an die Betriebe (sogenannte Erste unter der Voraussetzung, dass Umwelt- und Sozial- Säule). Dies umfasst folgende Förderziele: kriterien erfüllt und landwirtschaftsfremde Investo- konsequente Bindung an Umwelt- und Klima- rinnen und Investoren von der Förderung ausge- kriterien, die ökologisch hochwertige Maßnahmen schlossen werden, soll keine Kappung oder für mehr Artenvielfalt, eine vielfältige Agrarstruktur, Degression erfolgen, da eine gemeinwohl- besseren Wasser-, Boden-, Arten- und Klimaschutz orientierte Landwirtschaft nicht von Betriebs und eine ausgewogene Verteilung von tierhal- größen abhängt tenden Betrieben honoriert. Der Schutz von Wasser keine Diskriminierung originär ostdeutscher Agrar- und Boden, Tier, Mensch und Natur soll erreicht strukturen werden durch: 14 Tarantel Nr. 84 Heft I-2019
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