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SWR2 MANUSKRIPT
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Fußball – ein Spiegel der Gesellschaft
Eine kleine WM-Geschichte
Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza

Fußball ist heute vor allem Geschäft – ein Spiegel unserer Gesellschaft unter dem Diktat der
Ökonomie. Allerdings ging es in der Geschichte der Fußball-WM noch nie um Sport alleine.

Sendung: Dienstag, 12. Juni 2018
(Sendung der Erstfassung, 10. Juni 2014)
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Maria Ohmer
Produktion: SWR 2014/2018

Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.

MANUSKRIPT

Sprecher:
Am 13. Juli 1930 pfiff der uruguayische Schiedsrichter Domingo Lombardi die erste
Fußball-Weltmeisterschaft der Geschichte an – im Estadio Pocitos in Montevideo.
Vor gut 4.000 Zuschauern trafen in der Hauptstadt Uruguays die Mannschaften
Frankreichs und Mexikos aufeinander.
Die olympischen Fußball-Turniere 1924 und 1928 waren zu großen
Publikumserfolgen geworden – und so hatten die Herren des Fußball-Weltverbandes
FIFA beschlossen, alle vier Jahre eine Weltmeisterschaft auszurichten. Dazu durften
auch Profi-Kicker antreten – was für die FIFA ein wichtiges Argument war.
Fußballhistoriker und Buchautor Dietrich Schulze-Marmeling erzählt:

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O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Profis waren nicht zugelassen zu Olympischen Fußball-Turnieren. Der Fußball war
aber in vielen Ländern professionalisiert, wurde in professioneller Form betrieben,
also wollte man die besten Fußballespieler weltweit bei einem Turnier spielen lassen,
damit bedurfte es einer Veranstaltung neben den Olympischen Spielen, die nicht
dem Amateurgedanken folgte.

Ansage:
Fußball – ein Spiegel der Gesellschaft. Eine kleine WM-Geschichte.
Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza.

Sprecher:
Bei den Fußball-Weltmeisterschaften spielten in den ersten Jahrzehnten fast
ausschließlich europäische und südamerikanische Mannschaften gegeneinander.
Lange Zeit beachtete die FIFA kaum, dass auch in anderen Erdteilen gekickt wurde.
Erst nach und nach wurde die Fußball-WM zu einer der größten und bedeutendsten
Sportveranstaltungen weltweit. Doch das ging mit einer ungebremsten
Kommerzialisierung einher, die massive wirtschaftliche und soziale Folgen hatte, vor
allem für die ausrichtenden Länder.

Uruguay, das Land der ersten WM, stand 1930 wirtschaftlich gut da und feierte
außerdem 100 Jahre Unabhängigkeit. Die Regierung erhoffte sich durch das Turnier
weltweite Aufmerksamkeit, denn der kleine Staat an der Atlantikküste Südamerikas
galt vielen nur als Hinterhof Argentiniens.
51 Mitgliedsverbände hatte die FIFA damals, aber nur 13 Nationalmannschaften
traten zur ersten Weltmeisterschaft an. Europa litt noch unter den Folgen der
Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre. Die Seereise nach Uruguay war den
meisten Teams zu teuer und beschwerlich. Fast alle großen europäischen
Fußballnationen sagten ab. Nur die Mannschaften von Frankreich, Belgien,
Rumänien und Jugoslawien reisten nach Südamerika. Und die deutsche Elf?

O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Auch der DFB hat das abgelehnt, diese Fußballweltmeisterschaft, im DFB, das muss
man dazu sagen, war der Internationalismus damals nicht besonders verbreitet.
Hinzu kam beim DFB auch wieder die Frage von Professionalismus versus
Amateurismus, der DFB gehörte ja zu einem der letzten Verbände in Europa, die am
Amateurprinzip festhielt, auch das stand einer Teilnahme an einer Fußball-
Weltmeisterschaf entgegen.

Sprecher:
Alle WM-Spiele wurden in der Hauptstadt Montevideo ausgetragen. Im Finale schlug
Gastgeber Uruguay sein Nachbarland Argentinien mit 4:2. Das gigantische, neu
errichtete Centenario-Stadion war mit 90.000 Zuschauern ausverkauft. Und während
das uruguayische Konsulat in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires nach dem
Finale mit Steinen beworfen wurde, versetzte der WM-Sieg ganz Uruguay in eine
nationale Euphorie: Das kleine Land hatte seinen Platz auf der Weltkarte gefunden.

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Musikakzent

Sprecher:
Die folgenden Weltmeisterschaften, 1934 in Italien und 1938 in Frankreich, wurden
von den faschistischen Machthabern in Deutschland und Italien korrumpiert. Schon
als die FIFA 1932 die Weltmeisterschaft an Italien vergab, befürchteten viele, dass
Benito Mussolini sie als Propagandaschau missbrauchen würde. Doch der
Weltfußballverband beharrte darauf, von politischer Einflussnahme frei zu sein und
ignorierte die Folgen.
Der „Duce“ tat alles, um „seiner“ Nationalelf den WM-Sieg zu ebnen. Er ließ das
Gerücht verbreiten, so berichtete die Süddeutsche Zeitung 2010 …

Zitator:
Bei Misserfolg würden die Spieler hingerichtet. Auch die Schiedsrichter wurden
eingeschüchtert. Italiens Weg ins Finale war mit zweifelhaften Entscheidungen
gepflastert.

Sprecher:
Dem Weltmeistertitel der „Squadra azzurra“ stand nichts mehr im Wege – und sie
gewann ihn ebenso erwartungsgemäß wie zweifelhaft. Die junge deutsche Elf, vom
sogenannten Reichstrainer Otto Nerz betreut, überraschte mit dem dritten Platz.

Im März 1938 annektierten die Nationalsozialisten Österreich. Die Alpenrepublik, die
sich bereits für die WM qualifizierte hatte, musste vom Spielplan gestrichen werden.
Hitler befahl eine „großdeutsche“ Fußballmannschaft aus deutschen und
österreichischen Spielern. Sepp Herberger, der Otto Nerz 1936 als Reichstrainer
abgelöst hatte, war skeptisch. Ersatztorhüter Fritz Buchloh erinnerte sich später an
das WM-Debakel.

O-Ton Fritz Buchloh:
Die Österreicher spielten noch den offenen, fröhlichen, freien Fußball über das ganze
Feld hinweg, wie sie immer gespielt hatten, und wir hingen schon ein bisschen an
dem englischen Fußball, und das haute auf Anhieb einfach nicht hin.

Sprecher:
Schon in der Vorrunde schied die viel beschworene „großdeutsche“ Elf gegen die
Schweiz aus. Durch die Hochrüstung und Kriegstreiberei der Nazis herrschte Angst
in Europa. Die Mannschaft Herbergers, die dem französischen Publikum den
„deutschen Gruß“ entbot, wurde mit Flaschen und Eiern beworfen. Weltmeister
wurde wiederum Italien, dieses Mal durchaus verdient.

Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus schloss die internationale
Fußballgemeinschaft den Deutschen Fußball-Bund zunächst aus ihren Reihen aus.
Bei der WM im Sommer 1950 in Brasilien durfte die bundesdeutsche Elf noch nicht
antreten.

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Doch der Austragungsort dieser WM signalisierte einen Machtzuwachs
südamerikanischer Fußballverbände innerhalb der FIFA. Lateinamerikaner hatten
1938 heftig protestiert, als mit Frankreich wiederum ein europäisches Land den
Zuschlag erhalten hatte.

Musikakzent

Sprecher:
Das Finale mündete in einer großen Überraschung: Die Elf Uruguays schlug die
Nationalmannschaft des Gastgeberlandes im neu erbauten Maracana-Stadion vor
200.000 Zuschauern 2:1. In Rio hatten die Wetten 1.000 zu eins für Brasilien
gestanden. Die Niederlage stürzte das fünftgrößte Land der Welt in ein kollektives
Stimmungstief – und gab dem kleinen Uruguay abermals gewaltigen Auftrieb.
Erst im September 1950 nahm die FIFA den DFB wieder auf.

Reportage – Finale 54:
Aus, aus, aus! Aus, das Spiel ist aus, Deutschland ist Weltmeister.

Sprecher:
Millionen Deutsche verfolgten die Reportagen vom Finale der Weltmeisterschaft
1954 am Radio. Und viele drückten sich auch an den Schaufenstern von
Elektrogeschäften die Nasen platt, um die Spiele im Fernsehen zu sehen. Erstmals
wurde ein WM-Finale live übertragen.

Die Verbandsspitze des DFB, fast ausnahmslos Funktionäre, die schon in den 30er-
und 40er-Jahren die Geschicke des DFB gelenkt und sich den Nazis angedient
hatten, reagierte auf ihre Art. Präsident Peco Bauwens bezeichnete das Finale als
„Endkampf“ und bejubelte den Sieg in nationalistischen Tönen als „Repräsentanz
besten Deutschtums im Ausland“.

O-Ton Peco Bauwens:
Da haben die Jungens es wirklich gezeigt, was ein gesunder Deutscher, der treu zu
seinem Lande steht, zu leisten vermag.

Sprecher:
Als der oberste DFB-Funktionär gar dem „Führerprinzip“ huldigte, unterbrach der
Bayerische Rundfunk kurzerhand seine Live-Übertragung der Rede Bauwens aus
dem Münchener Löwenbräu-Keller und sendete Tanzmusik.

Musikakzent

Sprecher:
Nationalismus und Chauvinismus waren in der Bundesrepublik auch 1958 noch nicht
überwunden. Im Halbfinale der Weltmeisterschaft traf die Mannschaft des DFB auf
Gastgeber Schweden, das den Titelverteidiger mit Unterstützung seiner
aufgepeitschten Fans 3:1 besiegte.

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Reportage:
Wie soll das weitergehen, Fritz Walter draußen, verletzt, Juskowiak hinausgestellt
und Horst Eckel aus Kaiserslautern am Ball. Acht Abwehrspieler der Schweden
decken das eigene Tor. Szymaniak, was soll er machen, er müsste acht Schweden
umspielen, das kann er nicht.

Sprecher:
Viele Bundesdeutsche zeigten sich als schlechte Verlierer. Schwedischen Touristen
wurden die Autoreifen zerstochen, an deutschen Tankstellen erhielten sie kein
Benzin mehr. „Schwedenplatten“ wurden von den Speisekarten gestrichen. Die
Saarzeitung schäumte:

Zitator:
„Das offizielle Schweden hat hämisch genießend zugelassen, dass rund 40.000
Repräsentanten dieses mittelmäßigen Volkes, das sich nie über nationale oder
völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat, den Hass über uns auskübelte, der
nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommt. Es ist der Hass eines Volkes, dem man
das Schnapstrinken verbieten muss, weil es sonst zu einem Volk von maßlosen
Säufern würde.“

Atmo Fußballstadion

Sprecher:
Die FIFA verzeichnete unterdessen einen stetigen Anstieg an Mitgliedsverbänden.
Anfang der 60er-Jahre hatten europäische Kolonialherren viele afrikanische Staaten
in die Unabhängigkeit entlassen. Dadurch waren 30 afrikanische Fußballverbände
der FIFA beigetreten. Dennoch reservierte der Fußball-Weltverband dem Schwarzen
Kontinent keinen einzigen der 16 WM-Endrundenplätze. Afrikanische Staaten fühlten
sich zu Recht herabgesetzt und boykottierten die Weltmeisterschaft 1966 in England.
Die bundesdeutsche Mannschaft indes gelangte bis ins Finale und spielte gegen die
Gastgeber.

Reportage – Wembley-Tor:
Da kommt eine Flanke nach innen, die Engländer haben eine Schusschance, und –
kein Tor, kein Tor. Der Linienrichter hat die Fahne nicht hoch. Der Ball prallt von der
Querlatte ab, das war wieder Glück. Hurst hatte geschossen, der Ball schien im Netz,
Höttges hat seinen Fehler – Nein, der Linienrichter gibt Tor, der Linienrichter gibt Tor,
er hat den Ball im Netz gesehen.

Sprecher:
Mit dem bis heute umstrittenen „Wembley-Tor“ ging der Sieg der Weltmeisterschaft
schließlich an England.

Musikakzent

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Sprecher:
Schon bald zeigte der geschlossene Boykott afrikanischer Staaten Wirkung. Für die
folgenden Weltmeisterschaften gestand die FIFA ihnen einen der 16
Endrundenplätze zu. Zur WM 1970 in Mexiko qualifizierten sich die Kicker des
Königreichs Marokko, vier Jahre später, in der Bundesrepublik, war Zaire mit von der
Partie.
Mit der mexikanischen WM hatte das Fernsehen begonnen, Spiele in Farbe in alle
Welt zu übermitteln.

Bei der WM 1974 in der Bundesrepublik lieferten von jedem Spiel bereits sechs
Kameras Bilder in 112 Länder. 900 Millionen Zuschauer saßen weltweit vor den
Bildschirmen. Die FIFA hatte die Fernsehrechte für 18 Millionen D-Mark an ARD und
ZDF verkauft. 20 Millionen D-Mark brachte allein die vier Jahre zuvor zum ersten Mal
erprobte Bandenwerbung ein. Der Deutsche Fußball-Bund – ein vorbildlicher
Organisator – machte schließlich 10 Millionen D-Mark Gewinn.
Schon in der Vorrunde kam es zu einer brisanten, politisch aufgeladenen Begegnung
zwischen den beiden deutschen Teams. Für die Auswahl der DDR war es die erste
und letzte Teilnahme an einer WM-Endrunde.

Reportage – WM 74 DDR-BRD 1:0 (DDR-Radio, W. Eberhard):
Dann kommt ein langer Pass in den Raum zu Sparwasser, nimm den Ball mit Jürgen
und jetzt schieß, und Tor, und Tor und er schießt das 1:0, und es jubeln im
Hamburger Volksparkstadion nicht nur DDR-Bürger, meine Hörer, das möchte ich
festhalten.

Sprecher:
Die DFB-Elf verlor 0:1. Insgesamt ließen ihre Leistungen in der Vorrunde sehr zu
wünschen übrig. Die Spieler rebellierten.
Nach der verlorenen Prestigebegegnung gegen die DDR ergriff eine kleine Gruppe
um Franz Beckenbauer die Initiative und diktierte dem zaghaften Bundestrainer
Helmut Schön die Mannschaftsaufstellung. Mit Erfolg – die bundesdeutsche Elf
gelangte ins Finale und schlug die Niederlande 2:1.

O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Beckenbauer und Breitner, Hoeneß sind absolute Vollprofis. Spielen fürs Vaterland,
das spielt keine große Rolle mehr. Das ist schon eine ganz andere Generation als 54
gewesen, eben Berufsfußballer, die auch versucht haben rund um die WM,
zumindest einige, möglichst viel Geld für sich individuell dabei herauszuschlagen,
aber das waren eben die neuen Zeiten.

Sprecher:
Beim Festbankett kam es zum Eklat. Der DFB hatte die Spielerfrauen nicht
eingeladen, woraufhin Gerd Müller und Paul Breitner ihren sofortigen Rücktritt aus
der Nationalelf erklärten.

Musikakzent

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Sprecher:
Während der WM 1978 in Argentinien war die Unterkunft der deutschen Spieler mit
Stacheldrahtzaun umgeben und von der eigens eingeflogenen GSG 9 Anti-Terror-
Einheit bewacht. Die FIFA und DFB-Präsident Hermann Neuberger hofierten das
grausame Unrechtsregime der argentinischen Militärjunta, das Menschenrechte mit
Füßen trat und Oppositionelle zu Tausenden ermorden und verschwinden ließ.
Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling meint:

O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Die Fifa und namentlich Hermann Neuberger haben diesen Militärputsch seinerzeit
begrüßt, Menschenrechtverletzungen etc. haben überhaupt nicht interessiert,
sondern nur, dass man einen durchsetzungsstarken Partner hatte.

Sprecher:
Während den Spielerfrauen der Zutritt zum Quartier ihrer Ehemänner verwehrt blieb,
gewährte der DFB-Präsident und vormalige Wehrmachtsoffizier Neuberger einem
Kameraden aus alten Zeiten ausdrücklich den Besuch der Mannschaft – dem in
Argentinien untergetauchten ehemaligen Nazi-Oberst Hans Ulrich Rudel.
Und wenig rühmlich präsentierte sich auch die DFB-Elf auf dem Spielfeld. Schon
frühzeitig schied sie gegen den Dauerrivalen Österreich aus.

Reportage – WM 1978:
Da kommt Krankl, Tooor, Tor, Tor, Tor, Tor, Tor! I werd narrisch, Krankl schießt ein,
3:2 für Österreich, wir fallen uns um den Hals, der Kollege Repel, der
Diplomingenieur Posch, wir busseln uns ab, 3:2 für Österreich durch ein großartiges
Tor unseres Krankl.

Sprecher:
Weltmeister wurde 1978 Gastgeber Argentinien.
Der bundesdeutsche Fußball hingegen geriet in die Krise. Unansehnliches
defensives Gekicke und grobes Foulspiel bestimmten in den 80er-Jahren das
Geschehen auf dem Rasen. Die Zuschauerzahlen in den Bundesligastadien gingen
rapide zurück.

Als Höhepunkt des oft abstoßenden Ballgeschiebes galt vielen das Vorrundenspiel
zwischen Deutschland und Österreich während der WM 1982 in Spanien. Als sei es
abgesprochen, wurde nach dem 1:0 der Deutschen der Ball im Mittelfeld hin und her
gespielt. Das Ergebnis reichte beiden Teams zum Weiterkommen. Die überraschend
starken Algerier, die ihr Gruppen-Spiel gegen Deutschland gewonnen hatten, waren
ausgebootet.

Reportage – WM 1982:
Also, wenn dieses Match nicht geschoben ist, dann kenn ich mich im Fußball nicht
mehr aus. Das, was hier geboten wurde, ist schlicht und einfach eine Schande und
ich bin schon der Meinung, dass der Deutsche Fußball-Bund eine Erklärung schuldig
ist, denn der Schaden, der dem deutschen Fußball zugefügt wurde, der ist erheblich.

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Sprecher:
Die DFB-Elf erreichte schließlich unter großen Mühen das Endspiel, verlor aber
gegen Italien 1:3.

Ende der 80er-Jahre war die FIFA auf 170 Mitgliedsverbände gewachsen. Davon
meldeten sich 112 für die Qualifikation zur WM 1990 in Italien an. Der Zuwachs an
Mitgliedsverbänden brachte der FIFA nicht nur mehr Sponsoren und noch höhere
Werbeeinnahmen – auch die Zahl der Zuschauer stieg weiter an. Zu den WM-
Spielen 1990 in Italien drängten zweieinhalb Millionen Fans in die Stadien.

Atmo Fußballstadion

Reportage – WM-Finale 1990 Deutschland / Argentinien:
Jetzt ist der Ball freigegeben worden, rechter Fuß und Tooor, Tor für Deutschland,
Elfmetertor durch Andreas Brehme.

Sprecher:
Deutschland war Weltmeister. Der verwandelte Elfmeter reichte zum Finalsieg über
Titelverteidiger Argentinien. Teamchef Franz Beckenbauer, der 1986 Bundestrainer
Jupp Derwall abgelöst hatte, verstieg sich angesichts des Könnens seiner
Mannschaft und der gerade vollzogenen deutschen Einheit sogar zu der Prognose:

O-Ton Franz Beckenbauer:
Jetzt kommen die Spieler aus Ostdeutschland noch dazu. Ich glaube, dass die
deutsche Mannschaft über Jahre hinaus nicht zu besiegen sein wird.

Sprecher:
Weit gefehlt: Schon bei den folgenden beiden Weltmeisterschaften, 1994 in den USA
und 1998 in Frankreich, enttäuschte die deutsche Elf und schied vorzeitig aus.

Hatte 1994 Brasilien seinen vierten WM-Titel gewonnen, wurde 1998 das
multikulturelle Team Frankreichs Weltmeister. Das ballkünstlerische Ensemble des
Gastgebers aus Immigranten um den Weltfußballer Zinedine Zidane, dessen Eltern
marokkanische Berber waren, zelebrierte eine neue Kultur des Kurzpassspiels,
zeigte technische Brillanz und kollektive Disziplin.

Musikakzent

Sprecher:
Überschattet wurde die WM 1998 durch brutale Ausschreitungen deutscher
Hooligans. In Lens traten sie so heftig auf den französischen Polizisten Daniel Nivel
ein, dass er nur knapp überlebte und sein Leben lang behindert bleiben wird.

Im Zuge der politischen Umbrüche in den 90er-Jahren erhielt die FIFA erneut starken
Zulauf. Der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens ließ neue souveräne Staaten
entstehen. Zugleich suchte der Weltverband nach neuen Märkten.

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So wurde die Fußball-Weltmeisterschaft 2002 zum ersten Mal nach Asien vergeben,
und zwar gleich an zwei Länder – an Japan und Südkorea. Schon 1998 hatte die
FIFA das Feld der Endrundenteilnehmer erneut vergrößert, von 24 auf 32
Mannschaften. Und es gab einen neuen Verteilungsschlüssel für die Startplätze. Zur
WM nach Japan und Südkorea durften die Europäer 15, Afrika und Südamerika
jeweils fünf und Asien gleich vier Teams schicken. Nord-, und Mittelamerika und die
Karibik konnten drei Teilnehmer endsenden.

Erstmals in der WM-Geschichte schaffte mit Südkorea ein asiatisches Team den
Einzug ins Halbfinale, das die Südkoreaner jedoch knapp mit 0:1 gegen die deutsche
Elf unter Bundestrainer Rudi Völler verloren.

Mit wiedererstarktem Teamgeist, ihrem hervorragenden Torhüter Oliver Kahn und mit
viel Glück hatten sich die deutschen Kicker ins Endspiel gegen Brasilien gekämpft.
Dort wuchs das Team über sich hinaus, zeigte sein bestes Turnierspiel und verlor
ohne den gesperrten Mannschaftkapitän Michael Ballack unglücklich mit 0:2.

Reportage – WM 2002 Finale Deutschland / Brasilien:
Rivaldos Schuss, Kahn hält, der Ball rutscht raus, und Tor für Brasilien, Tor für
Brasilien, Ronaldos Nachschuss bringt das 1:0 für Brasilien.

Sprecher:
Der große spielerische Umbruch und der Anschluss zur Weltspitze gelang der
deutschen Nationalelf erst 2006 – zur WM im eigenen Land.

Musikakzent

Sprecher:
Nachdem die deutsche Elf bei der Europameisterschaft 2004 bereits in der Vorrunde
ausgeschieden war, hatte Jürgen Klinsmann das Amt des Bundestrainers
übernommen. Er führte moderne Trainingsmethoden ein und widersprach
altersstarren Hierarchen. Punktgenau zur WM in Deutschland begeisterte die
Nationalelf mit beherztem und erfolgreichem Angriffsfußball. Der Traum vom Fußball-
Sommermärchen begann.

Reportage – WM 2006 Viertelfinale Deutschland / Argentinien:
Jens Lehmann hält den Elfmeter von Esteban Cambiasso, und die deutsche Fußball-
Nationalmannschaft schreibt ein neues Kapitel im Fußball-Märchen – Deutschland
einig Fußball-Land! Die deutsche Mannschaft schafft das schier Unmögliche und
zieht mit einem Erfolg mit 4:2 im Elfmeterschießen ins Halbfinale der Fußball-
Weltmeisterschaft ein.

Sprecher:
Doch die „Mission Titelgewinn“ misslang. Die deutsche Elf erreichte nur Platz drei.
Aber mit ihrem erfrischenden Offensivfußball waren die geschlagenen Helden zu
Weltmeistern der Herzen geworden.

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Finanziell war die WM in Deutschland ein voller Erfolg. Das deutsche
Organisationskomitee um Franz Beckerbauer verbuchte 106 Millionen Euro
Überschuss. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellte allerdings fest,
dass von der WM im eigenen Land keine „nennenswerten konjunkturellen Impulse“
ausgegangen seien. Geradezu weltmeisterlich war hingegen der Gewinn der FIFA
mit rund 1,6 Milliarden Euro.

Atmo Fußballstadion

Sprecher:
Klinsmann-Nachfolger Jogi Löw führte die deutsche Fußball-Offensive fort. Bei der
WM 2010 in Südafrika begeisterte die deutsche Elf erneut die Fußballwelt. Erst im
Halbfinale unterlagen Özil, Neuer, Klose und Co. einer noch perfekter
kombinierenden Elf, dem späteren Weltmeister Spanien.

Rund um diese WM, die erste auf dem afrikanischen Kontinent, wurde die Kritik an
der ständig steigernden Profitorientierung der FIFA und ihres Präsidenten Sepp
Blatter immer lauter. Wer eine Weltmeisterschaft ausrichten will, muss dem
Weltverband unter anderem Steuerfreiheit zusichern, erklärt Fußball-Historiker
Dietrich Schulze-Marmeling:

O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Wenn man nicht den steuerpolitischen Vorteilen der FIFA folgt, bekommt man nicht
die WM. Und offensichtlich ist diese WM den ausrichtenden Staaten, ob die
Südafrika heißen oder Deutschland heißen, derart wichtig, dass sie vor der FIFA in
dieser Frage einknicken und das bestärkt die FIFA nur in ihrem Glauben, namentlich
Leute wie Herr Blatter, dass sie eine Art Weltregierung sind, dass sie mächtiger sind
als die mächtigsten Politiker der Welt.

Musikakzent

Sprecher:
Umgerechnet 3,2 Milliarden Euro hatte der südafrikanische Staat in Stadien und
Infrastruktur investiert. Doch der versprochene große wirtschaftliche Schub blieb aus.
Nahezu alle durch die WM entstandenen Arbeitsplätze waren nach den Wettkämpfen
wieder verschwunden. Die FIFA jedoch verzeichnete 2,6 Milliarden Euro steuerfreie
Einnahmen.

O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Im Prinzip ist es allein die FIFA, die an einer WM verdient, oder sie ist zumindest der
Hauptverdiener. Das ausrichtende Land, das bleibt in der Regel auf immensen
Kosten sitzen und bei einigen Fällen auch noch auf „weißen Elefanten“ oder Stadien,
die über die WM hinaus überhaupt keinen Nutzen haben.

Sprecher:
Das Mbombela-Stadium etwa, im Osten Südafrikas, bot während der WM 41.000
Fußballfans Platz. Heute steht die Arena an 350 Tagen im Jahr leer. Die
Unterhaltung kostet die Stadt dennoch jährlich fast eine halbe Million Euro.

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Musikakzent

Sprecher:
Vier Jahre später protestierten Hunderttausende Brasilianer zum ersten Mal massiv
gegen die kostspielige Ausrichtung einer WM. Armenviertel wurden von
Polizeihundertschaften geräumt, um Platz für neue Stadien zu schaffen. Fünf
Menschen kamen bei Straßenschlachten ums Leben, Tausende wurden verletzt.

O-Ton Dietrich Schulze-Marmeling:
Leute wie Blatter, die sind ja gar nicht mehr von dieser Welt. In Sachen Brasilien sagt
er diesen unfassbaren Satz: Fußball ist wichtiger als alle sozialen Querelen. Soziale
Querelen ist ja erstmal eine absolute Verharmlosung der sozialen Probleme, die da
existieren. Das stimmt nicht.

Sprecher:
Mehr als 8 Milliarden Euro hatte das Land für die WM ausgegeben. Viele
brasilianische Bundesstaaten und Kommunen, die neue Spielstätten bauten, sind
inzwischen hoch verschuldet. Überdimensionierte Stadien verrotten, sind für den
Spielbetrieb gesperrt und stehen leer.

TV-Reportage – Finale Argentinien / Deutschland:
Und jetzt kommen sie nochmal, die Deutschen, über die linke Seite, Ball kommt in
die Mitte rein, Möglichkeit für Götze, und Tooooooor, Toor für Deutschland …

Sprecher:
Bundestrainer Yogi Löw und seine Mannschaft belohnten sich in Brasilien für ihren
attraktiven Offensivfußball der letzten Jahre und wurden Weltmeister. 1:0 gewann die
Elf um Lahm, Kroos und Schweinsteiger im Endspiel gegen Argentinien. Im
Halbfinale hatten sie Gastgeber Brasilien mit einem unglaublichen 7:1 Sieg aus dem
Turnier gekickt. So erlebten die fußballverrückten Brasilianer auch sportlich ein
Fiasko.

Musikakzent

Sprecher:
Die Vergabe der Weltmeisterschaften an Russland und 2022 an das Emirat Katar
standen von Anfang an unter Korruptionsverdacht. Justizbehörden in der Schweiz
und in den USA ermitteln. Einige FIFA-Funktionäre sind bereits verurteilt. Andere
wurden intern suspendiert, darunter auch Verbandschef Sepp Blatter und sein
engster Vertrauter, Generalsekretär Jérôme Valcke. Unter Blatters Nachfolger Gianni
Infantino herrschen aber weiterhin Korruption und Vetternwirtschaft.

O-Ton Gunter Gebauer:
Die FIFA hat ja auch sehr gerne die Spiele, die Fußball-WM nach Russland gegeben.
Putin ist eigens mit einem Flieger eingeflogen und hat darauf hingewirkt, dass
Russland auf jeden Fall die Spiele vor Katar bekommt.

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Sprecher:
Erklärt der Sportphilosoph Gunter Gebauer.

Dass es in Russland keine Medien- und Versammlungsfreiheit gibt, dass
Homosexuelle diskriminiert und verfolgt werden, dass ständig Menschenrechte
verletzt werden, interessiert die FIFA ebenso wenig wie die völkerrechtswidrige
Annexion der Krim durch Putins Truppen. Auch dass die Weltantidoping-Agentur
unter anderem der gesamten russischen Fußball-Nationalelf staatlich gelenktes
Doping nachwies, ignoriert der Weltverband.

2013 hatte der damalige Generalsekretär Jérôme Valcke das Credo des
Weltverbandes so erklärt:

Zitat:
„Manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. Wenn es ein
starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt, vielleicht wie Putin sie 2018
hat, ist es für uns Organisatoren leichter.“

                                        *****

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