Tätigkeitsbericht des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten - Amtsjahr April 2020 - April 2021
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Tätigkeitsbericht des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten 3. Amtsjahr April 2020 – April 2021
Inhalt Vorwort des Beauftragten 5 Lebenslauf von Prof. Dr. Bernd Fabritius, MdB 6 I. Die Arbeit des Beauftragten unter Pandemie-Bedingungen 7 II. Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler 10 1. Politische Vertretung im Bereich der Aussiedler und Spätaussiedler 10 2. Vorsitz im Beirat für Spätaussiedlerfragen 15 3. A nsprechpartner für Selbstorganisationen der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler 16 4. Vertriebenenpolitik 17 5. Kriegsfolgenrecht 20 III. Deutsche Minderheiten im Ausland 24 1. Deutsche Minderheiten in Staaten der ehemaligen Sowjetunion 26 1.1. D eutsche Minderheit in der Russischen Föderation 28 1.2. D eutsche Minderheit in der Republik Kasachstan 29 1.3. Deutsche Minderheit in der Ukraine 31 1.4. Deutsche Minderheit in der Kirgisischen Republik 33 1.5. Deutsche Minderheit in der Republik U sbekistan 34 1.6. Deutsche Minderheit im Baltikum 35 1.7. Deutsche Minderheit in Georgien 36 2. Deutsche Minderheiten in Europa 36 2.1. Deutsche Minderheit in Ungarn 37 2.2. Deutsche Minderheit in Polen 37 2.3. Deutsche Minderheit in Rumänien 39 2.4. Deutsche Minderheit in anderen Staaten Mittelost- und Südosteuropas 42 2.5. Königreich Dänemark 44 IV. N ationale Minderheiten in Deutschland und Sprachgruppe Niederdeutsch 46 1. Dänische Minderheit 48 2. Friesische Volksgruppe 50 3. Sorbisches Volk 52 4. Deutsche Sinti und Roma 55 5. Regionalsprache Niederdeutsch 59 Impressum 62
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 5 Vorwort des Beauftragten Mit diesem Bericht informiere ich über meine Tätig- ihrer deutschen Muttersprache und ihres tradierten keit in meinem dritten Amtsjahr als Beauftragter der Brauchtums gehört neben der zwischenstaatlichen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale politischen Interessenvertretung zu meinen Haupt- Minderheiten. Im gesamten Berichtszeitraum ist aufgaben. Für die Minderheiten ist ein lebendiger meine Tätigkeit als Bundesbeauftragter stark von der Austausch untereinander unverzichtbar, um ihre kul- weltweiten COVID-19-Pandemie geprägt. turelle Selbstverortung zu leben und an die nächste Generation weiterzugeben. Die COVID-19-bedingten Als Bundesbeauftragter bin ich für die Anliegen und Einschränkungen, beispielsweise Reise- und Präsenz- Politikbereiche von drei unterschiedlichen Personen- veranstaltungsverbote, treffen die deutschen Minder- kreisen zuständig: für die Vertriebenen, Aussiedler heiten daher besonders hart. Als Beauftragter war es und Spätaussiedler, für die deutschen Minderheiten mir wichtig, die Minderheiten darin zu unterstützen, im Ausland und für die vier anerkannten nationalen ihre Projektarbeit auch unter COVID-19-Bedingun- Minderheiten in Deutschland sowie die Sprecher- gen aufrechtzuerhalten. Über das Ergebnis dieser gruppe Niederdeutsch. erfolgreichen Anstrengungen und über beispielhafte Projekte informiere ich auf den nachfolgenden Seiten. In der Aussiedler- und Vertriebenenpolitik konnte ich den Abschluss der kriegsfolgenrechtlichen Anerken- Ähnlich einschneidend ist die COVID-19-Situation nungsleistung für die zivilen deutschen Zwangsarbei- für die in Deutschland traditionell beheimateten ter mit einer symbolischen Aushändigung der letzten nationalen Minderheiten: für die dänische Minder- beiden Bescheide an ein betroffenes Ehepaar mar- heit, für die friesische Volksgruppe, für das sorbische kieren. Damit wurde ein wesentliches Anliegen der Volk und für die deutschen Sinti und Roma, aber auch Vertriebenenverbände und Betroffenen erfolgreich für die Sprecher der Regionalsprache Niederdeutsch. zu Ende gebracht. Von großer aussiedlerpolitischer Hier konnte die Minderheitenarbeit in den Beraten- Dringlichkeit ist für mich auch im dritten Amtsjahr den Ausschüssen, deren Vorsitz ich als Beauftragter die Beendigung der personenkreisspezifischen Be- führe, durch digitale Formate uneingeschränkt nachteiligungen im Rentenrecht für Aussiedler und fortgeführt werden. Zudem ist es den Minderheiten Spätaussiedler. Als Beauftragter habe ich mich dafür gelungen, durch vielfältige, z. B. digitale Projektideen, eingesetzt, auch diese Personenkreise bei der Aus- die ich mit Nachdruck unterstützt habe, ihre eigene gestaltung der sog. Grundrente zu berücksichtigen. sprachliche, kulturelle und geschichtliche Identität Gleichwohl sind damit noch nicht alle rentenrecht- zu befördern. Auch darüber möchte ich nachfolgend lichen Benachteiligungen dieses Personenkreises informieren. beseitigt. Deshalb setze ich mich in allen politischen Verhandlungen, bei denen ich als Beauftragter der Es ist mein Wunsch, Sie mit meinem Bericht nicht nur Bundesregierung für Aussiedlerfragen beteiligt bin, über die vielfältige Aussiedler- und Minderheitenar- für eine flankierende fremdrentenrechtliche Lösung beit des Beauftragten zu informieren, sondern auch ein. Bei den derzeit andauernden Ressortbesprechun- Ihre Begeisterung für den unschätzbaren Reichtum gen um einen sog. „Härtefallfonds“ trete ich dafür zu wecken, der in der sprachlichen, geschichtlichen ein, dass Aussiedler und Spätaussiedler angemessen und kulturellen Identität der von mir als Vertreter der berücksichtigt werden und die bestehende soziale Bundesregierung betreuten Personenkreise liegt. Ungerechtigkeit nicht durch eine schlechte Fonds- Lösung zementiert wird. Hier bleibt noch einiges bis zum Ende der Legislaturperiode zu tun. Ihr Als Beauftragter bin ich auch für die Anliegen der deutschen Volkszugehörigen in den Staaten der ehe- maligen Sowjetunion und in Europa, vor allem in den Staaten Mittelost- und Südosteuropas, verantwortlich. Die Förderung ihrer eigenen kulturellen Identität, Prof. Dr. Bernd Fabritius
6 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 Lebenslauf von Prof. Dr. Bernd Fabritius, MdB Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ■ Prof. Dr. Bernd Fabritius wurde am 14. Mai 1965 im ■ Von 2007 bis März 2014 war Prof. Dr. Bernd Fabriti- siebenbürgischen Agnetheln (Rumänisch: Agnita) us Bundesvorsitzender des Verbandes der Sieben geboren und siedelte 1984 gemeinsam mit Eltern bürger Sachsen in Deutschland e. V. sowie Präsi- und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutsch- dent der weltweiten Föderation der Siebenbürger land aus. Sachsen. Seit 2010 Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, wurde er 2014 zu dessen Präsident ■ Nach dem Studium der „Staatlichen Sozialwissen- gewählt. schaft“ an der Bayerischen Beamtenfachhoch- schule Hof wurde er als Beamter in den Dienst des ■ Seit 2010 ist Prof. Dr. Bernd Fabritius stellvertreten- Freistaates Bayern übernommen und im Bereich der Landesvorsitzender der Union der Vertriebenen der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA) und Aussiedler der CSU und stellvertretender Vor- eingesetzt. sitzender des Bundesvorstands der Ost- und Mittel deutsche Vereinigung von CDU und CSU. Von 2013 ■ Neben dieser Tätigkeit studierte er Politikwissen- bis 2017 gehörte er dem Deutschen Bundestag schaften an der Hochschule für Politik München. an. Am 11. April 2018 wurde er auf Vorschlag des Nach Abschluss dieses Studiums 1991 ließ er sich Bundesm inisters des Innern vom Bundeskabinett als gerichtlich zugelassener Rentenberater (Sozial- als Beauftragter der Bundesregierung für Aussied- rechtsbeistand) nieder. lerfragen und nationale Minderheiten berufen. ■ Von 1991 bis 1994 studierte er Rechtswissenschaft ■ Seit 22.März 2021 ist Bernd Fabritius Mitglied des an der Ludwig-Maximilians-Universität München Deutschen Bundestages. und legte das I. Staatsexamen ab, 1996 absolvierte er das II. Staatsexamen. 2003 wurde er in einem Kooperationsverfahren der Universitäten Tübin- gen und Hermannstadt (Sibiu) im Europäischen Verwaltungsprozessrecht promoviert. Seit 1997 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 7 I. Die Arbeit des Beauftragten unter P andemie-Bedingungen Im Berichtszeitraum war die Tätigkeit des Beauftrag- den durch den Beauftragten betreuten Personen ten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten kreisen ihre A nliegen direkt und unkompliziert sehr stark durch die weltweite COVID-19-Pandemie vortragen konnten. Beispielsweise meldete sich aus geprägt. Eine Vielzahl von Veranstaltungen ist aus- dem westsibirischen Omsk, wo noch heute rund gefallen oder wurde in den digitalen Raum verlegt; 50.000 Russlanddeutsche leben, eine Anruferin und Reisen, insbesondere zu den deutschen Minderheiten schilderte die besonderen Herausforderungen des in Ost- und Mitteleuropa und den Staaten der ehe- Lebens der Deutschen in der sibirischen Diaspora- maligen Sowjetunion, waren aufgrund der allgemei- situation in Zeiten der Pandemie und erkundigte sich nen Reisebeschränkungen nur in Ausnahmefällen danach, ob die sozialen Hilfen der Bundesregierung möglich. Die Pflege der persönlichen Kontakte des trotz der aktuellen Krisensituation weiter geleistet Beauftragten zu den heimatverbliebenen Deutschen werden können. Der Bundesbeauftragte versicherte, und ihren Interessenvertretern ist von großer Wich- dass die Maßnahmen der Bundesregierung für alle tigkeit für die Arbeit des Beauftragten, der sich durch in den Aussiedlungsgebieten verbliebenen Deutschen seine Reisetätigkeit und persönliche Begegnungen ein ohne Einschränkungen aufrechterhalten und auch authentisches Bild vom Leben und der Situation der künftig umgesetzt werden. Des Weiteren bekunde- deutschen Minderheiten vor Ort machen kann und ten mehrere hochbetagte Anrufer ihre Dankbarkeit dort als Ansprechpartner der Bundesregierung für für die Anerkennung ihres kriegsfolgenbedingten unsere Landsleute erreichbar ist. Schicksals durch die Leistung nach der sogenannten „ADZ-Richtlinie“. Andere Anrufer stellten Fragen zur Um den unmittelbaren Kontakt mit den Heimatver- Bekämpfung des Antiziganismus, zur besonderen bliebenen, aber auch mit Spätaussiedlern und Ange- Situation der Altersversorgung von Aussiedlern und hörigen der nationalen Minderheiten in Deutschland Spätaussiedlern oder zu den derzeitigen Einreise- trotz Reisebeschränkungen aufrechtzuerhalten, hat möglichkeiten für Spätaussiedler, die bereits einen Bundesbeauftragter Fabritius mehrere Telefon- gültigen Aufnahmebescheid erhalten haben. sprechstunden eingerichtet, in denen Bürger aus Beauftragter Fabritius im Gespräch
8 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges Das Jahr 2020 ist im Zusammenhang mit dem Im neu geordneten Osteuropa litten die Heimat 75. J ahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges für verbliebenen noch Jahrzehnte nach dem Krieg unter den Beauftragten der Bundesregierung für Aussied- Stigmatisierung und Ausgrenzung. Der Vorwurf der lerfragen und nationale Minderheiten von großer Kollaboration und vielfache Ausgrenzungen zersetz- erinnerungskultureller Bedeutung. ten die Beziehungen zu Angehörigen der jeweiligen Mehrheitsgesellschaften, zu Nachbarn und vormali- Beauftragter Fabritius erinnert zum 75. Jahrestag des gen Freunden. In vielen Ländern wurde der Gebrauch Kriegsendes an das Leid der Heimatvertriebenen und der deutschen Sprache verboten oder anderweitig ein- Heimatverbliebenen: geschränkt. Die Folgen davon wirken auch heute noch in den deutschen Gemeinschaften in Mittel- und Ost- „Es ist nun 75 Jahre her, dass der furchtbringende Ter- europa sowie den Staaten der früheren Sowjetunion ror des nationalsozialistischen Regimes in Deutsch- spürbar nach, kulturelle Identität ist in Bedrängnis. land, Europa und der Welt beendet wurde. Unvorstell- Beschädigte Sprachkompetenz muss mühsam wieder- bare Verbrechen wurden sowohl an die im Namen aufgebaut werden. Deutschlands begangen. Die Erinnerung sowohl an die Shoa als auch an die Verfolgung und Ermordung Erstaunlich und bemerkenswert ist, dass die Heimat- anderer gesellschaftlicher Gruppen – ich erinnere vertriebenen bereits 1950, von Anfang an, in ihrer beispielsweise an die barbarische Verfolgung der „Charta der Heimatvertriebenen“ den Kreislauf von Sinti und Roma in ganz Europa mit geschätzt 500.000 Rache und Vergeltung unterbrochen und stattdessen Todesopfern - muss fortwährende Bemühung von den Blick nach vorn auf ein versöhntes und geeintes Politik und Gesellschaft in Deutschland sein. Europa richteten. Die „Charta der Heimatvertriebe- nen“ ist eines der bedeutendsten Gründungsdoku- Für die Millionen deutscher Vertriebenen, Flücht- mente der jungen Bundesrepublik und ein beacht linge, Deportierten, aber auch für die Heimatverblie- liches Manifest zukunftsweisender Friedensarbeit benen bleibt das Ende des Zweiten Weltkrieges neben und europäischer Verständigung. seiner vielfach befreienden Wirkung leider auch im- mer schmerzhaft mit der Erinnerung an Flucht und Die Bundesregierung bekennt sich uneingeschränkt Vertreibung, an Deportation und Zwangsumsiedlung, zum besonderen Kriegsfolgenschicksal der deutschen an Verfolgung, Entrechtung und Diskriminierung Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen und verbunden. Als Reaktion auf die Verbrechen des Hit- zur Einstandspflicht Deutschlands dafür. ler-Regimes wurden sie allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit kollektiv in die Verantwortung für das Bis heute kommt die Bundesrepublik Deutschland mit begangene Unrecht der Nationalsozialisten genom- der Aufnahme und Wiederbeheimatung von Aussied- men. Menschheitsverbrechen folgte auf Menschheits- lern und Spätaussiedlern, aber auch mittels der identi- verbrechen. Unrecht folgte auf Unrecht. tätsstiftenden Förderung der in ihren traditionellen Siedlungsgebieten verbliebenen deutschen Minder- Millionen Deutsche verloren ihre Heimat und Vieles, heiten ihrer Verantwortung für ihr besonderes Kriegs- was Heimat ausmacht. Millionen Deutsche kamen folgenschicksal nach. Ein besonderes Augenmerk liegt während der ethnischen Säuberungen ums Leben. hierbei auf der Sicherung muttersprachlicher Kompe- tenz, auf einer zukunftsorientierten Jugendarbeit sowie auf einer Stärkung der Brückenfunktion.
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 9 75 Jahre nach Kriegsende befinden wir uns in einer Gelingt dies generationenübergreifend, liegt darin Zeit des Übergangs. Es leben nur noch wenige Zeit- auch ein Sieg über das damalige Nachkriegsunrecht: zeugen, die uns von diesen historischen Ereignissen Wo immer heute russlanddeutsches Plautdietsch berichten können. Ohne persönlichen Bezug droht oder siebenbürgisch-sächsischer Dialekt gespro- Geschichte zu verblassen. Das Unrecht der Nach- chen, L ieder aus Schlesien gesungen oder b öhmische kriegsgeschichte, die ethnischen Säuberungen, Flucht Spezialitäten zubereitet werden, wird d ieser und Vertreibung der Deutschen sowie ihre Entrech- Unrechtsgeschichte etwas entgegengehalten und an tung, Ausgrenzung und Kollektivdiskriminierung in einem Europa des Friedens, der Verständigung und den Staaten des Ostblocks dürfen keine Randnotizen der kulturellen Vielfalt gebaut. Und auch das Fort der Geschichte werden. Daher rufe ich dazu auf, die bestehen der nationalen Minderheit der deutschen Erinnerung daran mahnend und als Grundlage besse- Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland, rer Erkenntnis wachzuhalten. Kultur und Geschichte für das ich sehr dankbar bin, zeigt, dass die ideolo der deutschen Heimatvertriebenen und der Heimat- gischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts nicht das verbliebenen sind auch 75 Jahre nach Kriegsende letzte Wort haben werden.“ identitätsstiftender Teil unserer Gesamtgesellschaft. Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Jahr 1951
10 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 II. Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler 1. Politische Vertretung im Bereich der Aus Im Berichtszeitraum stand die Aufnahme von Spät- siedler und Spätaussiedler aussiedlern unter den Bedingungen der weltweiten COVID-19-Pandemie vor besonderen Herausfor- Mehr als 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler sind seit den derungen. Die Bundesregierung hat hierbei stets 1950er-Jahren nach dem Bundesvertriebenengesetz in mit Blick auf die Verantwortung Deutschlands für der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wor- das Kriegsfolgenschicksal der Aussiedler und Spät- den – davon ca. 2,1 Mio. aus den Staaten Osteuropas aussiedler ihre uneingeschränkte Bereitschaft zur und ca. 2,4 Mio. aus den Staaten der früheren Sowjet- Fortsetzung der Aufnahme betont. Der Bundesbeauf- union. Die Aufnahme und gesellschaftliche Wieder- tragte konnte somit in gemeinsamer Anstrengung beheimatung der Aussiedler und Spätaussiedler ist mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Teil der besonderen Verantwortung Deutschlands Heimat erwirken, dass der Zuzig von Spätaussiedlern für den Zweiten Weltkrieg und seine unmittelbaren durch Ausnahmeregelungen möglich blieb und der Folgen. Dies umfasst auch die Solidarität mit den Gesundheitsschutz von Spätaussiedlern und Bevölke- verbliebenen Deutschen in den Aussiedlungsgebie- rung durch eine gelungene Zusammenarbeit mit den ten, deren leiderfülltes Schicksal im 20. Jahrhundert Ländern und Kommunen vor Ort jederzeit gewähr- durch den Zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Nach leistet war. einer Hochphase von Zuzügen in den Jahren nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/1990, in denen Hierzu Beauftragter Fabritius: „Ich bin sehr erfreut, jährlich Hunderttausende Aussiedler nach Deutsch- dass es uns gemeinsam gelungen ist, in dieser an- land zurückkehrten, hat sich die Zahl der zuziehen- spruchsvollen Zeit das Tor für unsere Landsleute den Spätaussiedler heute auf wenige Tausend pro Jahr offenzuhalten. Dies hat noch einmal in eindrucks- stabilisiert. voller Weise gezeigt, dass die Bundesregierung zu ihren Landsleuten steht und sie auch unter erschwer- ten Bedingungen willkommen heißt. Gleichzeitig möchte ich auch allen eingereisten und einreisenden AUFNAHME VON SPÄTAUSSIEDLERN 2020 Spätaussiedlern meinen Dank für ihr Verständnis bezüglich der Maßnahmen des Gesundheitsschutzes Januar 418 aussprechen.“ Februar 313 Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedler- März 363 fragen und nationale Minderheiten ist für die Aus- siedlerpolitik der Bundesregierung zuständig und April 8 trägt somit die politische Verantwortung für die Mai 97 Aufnahme von Spätaussiedlern. Der Beauftragte ini- tiiert, begleitet und koordiniert die Aussiedlerpolitik. Juni 105 Dabei werden vor allem die gesetzlichen Regelungen Juli 324 des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern und ihrer Angehörigen sowie ihre Ausführung in August 388 der P raxis kontinuierlich evaluiert und gegebenen- falls auf Vorschlag des Beauftragten angepasst. Dafür September 656 wirbt er im politisch-parlamentarischen Raum. Oktober 435 Der Koordination des Aussiedlerzuzugs während November 528 der COVID-19-Pandemie diente insbesondere die gemeinsame Konferenz der Aussiedlerbeauftragten Dezember 674 von Bund und Ländern im Juli 2020 in Hannover, die Gesamt 4.309 auf gemeinsame Einladung des Bundesbeauftragten und der Beauftragten des Landes Niedersachsen für
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 11 stimmung mit den Verantwortlichen vor Ort. Die Einrichtungen zur Transitunterbringung werden als Quarantäne-Einrichtungen betrieben; ein Kontakt der eintreffenden P ersonen mit dem örtlichen Umfeld ist daher weitgehend ausgeschlossen. Nach Quarantä- ne und Negativtestung erfolgt dann eine Aufnahme im GDL Friedland, wo in wenigen Tagen die Aufnah- meverfahren abgeschlossen werden und die Weiter- reise zum neuen Wohnort in Deutschland möglich ist. Im w eiteren Verlauf der COVID-19-Pandemie wurde dieses Verfahren angepasst. Die Beauftragtenkonferenz forderte alle Verantwor- tungsträger in Bund und Ländern auf, bei der Durch- führung der Spätaussiedleraufnahme konstruktiv mitzuwirken. Beauftragter Fabritius mit den Landesbeauftragten Editha West- mann (Niedersachsen), Heiko Hendriks (Nordrhein-Westfalen), Im Oktober 2020 besuchte Beauftragter Fabritius das Margarete Ziegler-Raschdorf (Hessen) und Mitarbeitern des BMI GDL Friedland sowie die Transitunterkunft des Bun- des im Hotel „Rosenthaler Hof“ in Duderstadt, über- zeugte sich vor Ort von der Wirksamkeit der Hygie- Aussiedler und Vertriebene, Editha Westmann, MdL, nekonzepte und informierte sich über die a ktuellen stattfand. Die Beauftragten dankten den Mitarbeitern Abläufe im Registrier- und Verteilungsverfahren für im Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland und allen ankommende Spätaussiedler. Verantwortungsträgern von Bund und Ländern, die notwendige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Aussiedlerzuzugs unterstützt haben. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat berichtete in der Konferenz über das Konzept zur Aufnahme von Spätaussiedlern unter COVID-19- Bedingungen. Demnach begeben sich ankommende Spätaussiedler unmittelbar nach ihrer Einreise in eine Quarantäne, die nach den Landes-Corona-Ver- ordnungen generell für Einreisende aus Drittstaa- ten vorgesehen ist. Aufgrund seiner aus § 8 BVFG resultierenden Verpflichtung zur Unterbringung bis zur Registrierung und Verteilung auf die Länder stellt der Bund eine Transit-Unterbringung (TU) zur Verfügung, in der in aller Regel eine Testung Beauftragter Fabritius mit Mitarbeitern des BVA im Grenzdurch- der eintreffenden Spätaussiedler erfolgt. Zusätzlich gangslager Friedland wird eine Testung am Flughafen Frankfurt, an dem der Großteil der Spätaussiedler in Deutschland an- kommt, eingerichtet. Für die Unterbringung wurden Der Bundesbeauftragte stellte hierzu fest: „Die TU-Plätze in unmittelbarer Nähe des Flughafens wenigen Tage in dieser Einrichtung sowie die ersten Frankfurt, in Braunschweig, in Bad Kissingen, in Erfahrungen mit dem sie aufnehmenden Staat prägen Duderstadt und in Ahrweiler geschaffen. Hierzu den gesamten Prozess der Wiederbeheimatung unse- sind BMI und Bundesverwaltungsamt in enger Ab- rer Landsleute. Daraus erwächst allen Beteiligten in
12 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 Bund und Land eine nicht hoch genug einzuschätzen- Spätaussiedler durchzusetzen. Der Bundesbeauftragte de Verantwortung. Ich danke allen konstruktiv und bekräftigte, dass es neben der Berücksichtigung des mit viel Verständnis für diese gesamtgesellschaftliche besonderen Kriegsfolgenschicksals auch ein Anliegen Aufgabe mitwirkenden Entscheidungsträgern für der Generationengerechtigkeit sei, die personengrup- ihren unermüdlichen Einsatz.“ penspezifischen Benachteiligungen im Rentenrecht für Spätaussiedler weitgehend zu beseitigen. Dafür seien auch flankierende Anpassungen im Rentenrecht erforderlich. Beauftragter Fabritius dankte dem Bayerischen inisterpräsidenten auch für die verlässliche För- M derung der Kultureinrichtungen der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler im Freistaat Bayern. Jüngstes Beispiel ist hierbei die Eröffnung des Su- detendeutschen Museums in München, das durch seine besonders gelungene Ausgestaltung kultur- und erinnerungspolitische Wirkung weit über die Landes- grenzen hinaus entfaltet. In enger Abstimmung ist Beauftragter Fabritius u. a. mit der Arbeitsgruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Er berichtet regelmäßig in Beauftragter Fabritius bei der Besichtigung der Transitunterkunft ihren Sitzungen über aktuelle Themen aus seinem in Duderstadt Tätigkeitsbereich. Mit Vertretern der anderen Fraktio- nen im Deutschen Bundestag befindet sich der Beauf- tragte ebenfalls in stetigem Austausch. Zur Abstimmung und Fortentwicklung der politi- schen Vorhaben im Bereich Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler ist Beauftragter Fabritius mit hochrangigen Verantwortungsträgern aus Bund, Ländern und Kommunen im stetigen Austausch. So hat im Januar 2021 ein intensiver Austausch mit dem Ministerpräsidenten des Freistaat Bayern, Dr. Markus Söder, MdL, stattgefunden. Fabritius dankte dem Bayerischen Ministerpräsidenten für die Unterstützung seiner Bemühungen zur Verbesserung der Rentensituation deutscher Aussiedler und Spät- aussiedler. Fabritius berichtete dem Ministerpräsidenten, dass mit der deutlichen Einbeziehung der Aussiedler und Spätaussiedler in die ab 1. Januar 2021 geltende Grundrente ein wichtiger Schritt zur Abschaffung der Altersarmut unter Spätaussiedlern erfolgt sei. Bei der derzeit in Ausgestaltung befindlichen Härtefalllösung Beauftragter Fabritius mit dem Ministerpräsidenten Bayerns, gelte es, die gerechte Einbeziehung der Aussiedler und Dr. Markus Söder, MdL
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 13 Beauftragter Fabritius mit dem Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen, Spätaussiedler und deutschen Minderheiten, Eckhard Pols, MdB, dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, Peter Weiß, MdB, sowie Christoph de Vries, MdB Soziale Gerechtigkeit für Aussiedler und Spätaussiedler In den 1990er-Jahren hatten gesetzliche Änderungen zu erheblichen Kürzungen von Renten und Renten- ansprüchen bei Spätaussiedlern geführt. Begründet wurden diese u. a. durch unterschiedliche Renten- höhen in Ost- und Westdeutschland. Ihre Anpassung ist seither zwar erfolgt, die niedrigere Bewertung der Aussiedlerrenten wurde jedoch beibehalten. Drohende Altersarmut sowie das Gefühl der Un- gleichbehandlung und Nichtanerkennung von Lebensleistung und Kriegsfolgenschicksal rufen im Personenkreis erhebliches Unrechtsempfinden und Unverständnis hervor.
14 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 Wichtiger Teilerfolg für Aussiedler und Spätaussiedler im Rentenrecht Zum 1. Januar 2021 trat das „Gesetz zur Einführung 2022 hinziehen werden. Es ist aber sichergestellt, der Grundrente für langjährige Versicherte in der dass die erhöhte Leistung automatisch gezahlt wird, gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurch- ohne dass ein eigener Antrag nötig wäre, und dass die schnittlichen Einkommen und für weitere Maßnah- Leistung rückwirkend zum Rentenbeginn, frühestens men zur Erhöhung der Alterseinkommen“ (Grund aber zum 1. Januar 2021, nachgezahlt wird. rentengesetz) in Kraft. Rentner, die mindestens 33 Jahre an „Grundrenten- Mit einem Gesamtpaket an Maßnahmen sollen zeiten“ (mit mind. 30 % des Durchschnittsverdienstes Alterseinkünfte langjährig Rentenversicherter ver im jeweiligen Jahr) haben, können künftig einen bessert werden. individuellen Zuschlag zu ihrer Rente erhalten. Hier- bei fließen auch die nach dem Fremdrentengesetz Dadurch werden auch deutliche Verbesserungen im berücksichtigten Zeiten ein. Im Durchschnitt beträgt Rentenrecht, in der Grundsicherung und beim Wohn- der Zuschlag etwa 75 Euro im Monat. Der maximale geld eingeführt, von denen auch deutsche Aussiedler Zuschlag zur Rente kann rund 418 Euro monatlich und Spätaussiedler profitieren können. Dadurch wer- betragen. den zum Teil die in den 1990er-Jahren beschlossenen Rentenkürzungen ausgeglichen. Es ist sichergestellt, dass die meisten Aussiedler und Spätaussiedler, deren Renten durch die Kürzungen der Ziel dieses Gesetzes ist es, die Lebensleistung von 1990er-Jahre (40-%-Kürzung, Deckelung auf 25/40 Ent- Menschen anzuerkennen, die jahrzehntelang mit geltpunkte) häufig geringer ausfallen, von den Rege- geringem Verdienst gearbeitet und Pflichtbeiträge lungen der neuen Grundrente erfasst werden. zur Rentenversicherung gezahlt haben, wobei die Arbeitszeiten der Aussiedler und Spätaussiedler in den Um sicherzustellen, dass nur von Altersarmut Herkunftsgebieten ausdrücklich in die Regelungen edrohte Rentner von der Grundrente profitieren, b einbezogen werden. Auch die Erziehung von Kindern wird eine automatische Einkommensprüfung durch- und die Pflege von Angehörigen wird berücksichtigt. geführt, jedoch keine Vermögensprüfung. Der Koalition ist es ein Anliegen, dass dabei auch die besonderen Lebenslagen in den neuen Bundeslän- Ergänzend zu den oben genannten Regelungen sollen dern sowie der deutschen Aussiedler und Spätaus- Aussiedler und Spätaussiedler auch in die derzeit in siedler berücksichtigt werden. Die Grundrente wird Ausgestaltung befindliche Fondslösung für Härte- für Bestands- und Neurentner zum 1. Januar 2021 fälle mit Rente in Grundsicherungsnähe einbezogen eingeführt. Die Umsetzung der neuen Berechnungs- werden. programme und die Erteilung der neuen Bescheide an Berechtigte (geschätzt 1,3 Millionen begünstigte Mit der Grundrente ist ein wichtiger Teilschritt zur Personen) stellen die Rentenversicherungsträger vor Rentengerechtigkeit für Aussiedler und Spätaussiedler große Herausforderungen, sodass die Erteilung der getan – auch wenn die punktuelle Rücknahme der Bescheide und die Auszahlungen ab Sommer 2021 Kürzungen durch eine Änderung des Fremdrenten- beginnen und sich voraussichtlich bis Ende des Jahres rechts weiterhin vorrangiges politisches Ziel bleibt.
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 15 Gesellschaftliche Wiederbeheimatung und Gegenstand des Gesprächs war auch die gewichtige christliche Selbstverortung Rolle des Deutschen Ordens für die Geschichte der Deutschen in Ost- und Südosteuropa sowie die Wie- Neben der sozialen Gerechtigkeit liegt dem Aussied- derbeheimatung der deutschen Heimatvertriebenen. lerbeauftragten insbesondere die gesellschaftliche In Deutschland - nach der Säkularisation existierte Wiederbeheimatung der Spätaussiedler am Herzen. der Orden hier nicht mehr - ist der Deutsche Orden Das Amtsverständnis ist überkonfessionell, der Beauf- seit 1945 wieder tätig: So waren es Ordenspriester tragte unterstützt gleichwohl die religiöse Selbstver- aus dem Sudetenland, die mit den Vertriebenen nach ortung der überwiegenden Mehrheit der Spätaussie- Deutschland zogen und diese während der ersten der im Christentum. Jahre in Lagern und mit mobilen Kapellenwagen seel- sorgerisch betreuten. So empfing Beauftragter Fabritius den Hochmeister des Deutschen Ordens, Generalabt Frank Bayard, im Im Anschluss an das Gespräch besuchten Beauftrag- September 2020 in Berlin. ter Fabritius und Hochmeister Bayard gemeinsam das im Aufbau befindliche Ausstellungs- und Doku- mentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Deutschlandhaus. 2. Vorsitz im Beirat für Spätaussiedlerfragen Zentrales Organ der politischen Vertretung in aus- siedlerpolitischen Angelegenheiten ist der Beirat für Spätaussiedlerfragen, der im Jahr 2005 beim Bundes- innenministerium eingerichtet wurde, 16 Mitglieder aus den Bundesländern sowie gesellschaftliche Organisationen umfasst und die Aufgabe erfüllt, die Bundesregierung sachverständig zu beraten. Der Beirat tagt mindestens einmal jährlich unter Vor- sitz des Bundesbeauftragten. Zu den regelmäßig im Beirat diskutierten Themen gehören beispielsweise Beauftragter Fabritius mit Hochmeister Frank Bayard, Abteilungs- Probleme im Aufnahmeverfahren für Spätaussiedler, leiter Dr. Michael Frehse (BMI) und Dr. Gundula Bavendamm, die eine Änderung des Bundesvertriebenengesetzes Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung erfordern, oder Fragen der gesellschaftlichen Wieder- beheimatung der Spätaussiedler. Im konstruktiven und in freundschaftlicher Atmos phäre geführten Gespräch erörterten Fabritius und Hochmeister Bayard die große Bedeutung des seelsorgerischen Engagements der Kirchen für die Wiederbeheimatung der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland. Der Bundesbeauftrag- te dankte den christlichen Kirchen für die Vertriebe- nenseelsorge der letzten Jahrzehnte und betonte die bleibende Bedeutung der personenkreisbezogenen seelsorgerischen Betreuung für das Heimatgefühl und die kulturelle Verortung der deutschen Heimatver- bliebenen, die in Zeiten der Entwurzelung „Heimat in der Kirche“ erlebt und dort Halt gefunden hätten. Digitale Sitzung des Beirats für Spätaussiedlerfragen
16 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 Im Dezember 2020 fand unter Leitung des Beauf- tragter Fabritius zeigte sich erfreut über die sehr gute tragten Fabritius die dritte Sitzung in der vierjährigen Zusammenarbeit mit dem Suchdienst: „Auch mehr Amtsperiode des Beirates für Spätaussiedlerfragen als 75 Jahre nach Kriegsende spielt der Suchdienst des statt. Der Bundesbeauftragte informierte den Beirat Deutschen Roten Kreuzes bei der Schicksalsklärung über die Herausforderungen zur Sicherung einer un- von Angehörigen, die kriegs- oder kriegsfolgen- beschränkten Zuzugsmöglichkeit für Spätaussiedler bedingt gesucht werden, noch immer eine wichtige unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie Rolle und ist zudem ein verlässlicher Partner.“ und skizzierte die zum besonderen Schutz der Spät aussiedler geschaffenen Quarantäneeinrichtungen. Bei der Verschleppung der Rumäniendeutschen in Alle Beiratsmitglieder zeigten sich erfreut, dass die die Sowjetunion wurden vom Januar 1945 bis zum Möglichkeit der Einreise für Spätaussiedler dank Dezember 1949 zwischen 70.000 und 80.000 Men- großer Anstrengungen des Bundes, der Länder und der schen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Kommunen trotz der COVID-19-Pandemie aufrecht- Sowjetunion verschleppt, wo sie zu schwerer Zwangs- erhalten bleibt. Der Beauftragte betonte ebenfalls bei arbeit, überwiegend in Bergwerken und in Schwer- dieser Gelegenheit, dass sich die Bundesregierung auch industriebetrieben, gezwungen wurden. Vor Kurzem in Pandemiezeiten uneingeschränkt zu ihrer besonde- hat Rumänien seine Entschädigungszahlungen auch ren kriegsfolgenrechtlichen Verantwortung für Spät- u. a. auf die Kinder der Betroffenen ausgeweitet. aussiedler bekennt. Vertreter des BVA betonten, dass auch die Erteilung von Aufnahmebescheiden ohne 3. Ansprechpartner für Selbstorganisationen Einschränkung fortgesetzt werden konnte. der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler Schließlich ist der Beauftragte für Aussiedlerfragen Ansprechpartner für sämtliche Selbstorganisationen der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler. Insbesondere steht er mit dem Bund der Vertriebenen, den Aus- siedlerverbänden und Landsmannschaften und ihren jeweiligen Orts-, Kreis- und Landesgruppen sowie ihren Jugend- und Studentenvertretungen in engem Austausch. Der Beauftragte versteht sich hierbei als Bindeglied zwischen Politik und den gesellschaftlichen Orga- nisationen, welche die Interessen der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler vertreten. Zur Wahrung dieser Unterlagen des DRK-Suchdienstes zur Dokumentation der Depor- Funktion steht der Beauftragte in ständigem Kontakt tation Deutscher mit Vertretern der genannten Verbände; sie tragen ihre Anliegen dem Beauftragten vor und werden in die Entwicklung der Aussiedlerpolitik einbezogen. Der Spätaussiedlerbeirat begrüßte die Bereitschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), bei der Nachweis- Von großer Wichtigkeit sind die Beziehungen des führung für Entschädigungszahlungen des rumäni- Bundesbeauftragten zu den Selbstorganisationen der schen Staates an Nachkommen der verschleppten Ru- Aussiedler und Spätaussiedler. mäniendeutschen mit seiner Expertise behilflich zu sein. Um Unterstützung hatten die Selbstorganisatio- Das ist zum einen die Landsmannschaft der Deutschen nen der Deutschen aus Rumänien gebeten. Der Such- aus Russland e.V. (LmDR), welche die Interessen von dienst des DRK hat im Februar 2021 ein Formular zur 2,4 Mio. Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion Verfügung gestellt, das als Suchauftrag an das DRK vertritt, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. nach München geschickt werden kann. Bundesbeauf- Aber auch zum Verband der Siebenbürger Sachsen e. V.,
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 17 Die Jugendarbeit der Verbände ist für den Beauftrag- ten von herausragender Bedeutung. So war Fabritius u. a. Teilnehmer der ersten Internationalen Online- Jugendkonferenz der Jugend-LmDR mit Jugendver- tretern aus der Russischen Föderation, der Ukraine, Georgien, Usbekistan, Kirgisistan und der Republik Moldau. Auch am Forum des Jugend- und Studenten- rings der Deutschen aus Russland e.V. (JSDR) nahm der Beauftragte teil. In beiden Veranstaltungen würdigte der Beauftragte den Beitrag der Jugend zur gegenseitigen Verständi- gung der Völker sowie zum Friedensdialog und forder- te die Jugendvertreter dazu auf, sich gesellschaftlich einzubringen. Fabritius: „Es geht darum, Bedingungen Digitales Grußwort des Beauftragten an das Forum des Jugend- zu schaffen, die eine gleichberechtigte Teilhabe am und Studentenrings der Deutschen aus Russland e.V. wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben erlau- ben, das Bewusstsein für die eigene kulturelle Identität stärken sowie die politische Partizipation in Deutsch- zur Landsmannschaft der Banater Schwaben sowie land ermöglichen: Aussiedlerpolitik ist Heimatpolitik.“ kleineren Selbstorganisationen unterhält Beauftragter Fabritius enge Beziehungen. In mehreren Multiplikatorengesprächen, u. a. in München, in Nürnberg und in Geretsried, informierte So sprach der Bundesbeauftragte auf Einladung der der Bundesbeauftragte aktive Mitglieder der Aussied- LmDR aus Anlass des Jahrestages des sogenannten lerverbände zu aktuellen Entwicklungen und beant- „Stalin-Erlasses“ vom 30.08.1941. Der Bundesbeauf- wortete Fragen, insbesondere zur Rententhematik. tragte erinnerte an die Inhumanität der damaligen staatlichen Repressionen seitens der UdSSR mit 4. Vertriebenenpolitik Deportationen und harter Zwangsarbeit in sogenann- ten „Arbeitsarmeen“, die geschätzt 700.000 Tote zur Einen weiteren Schwerpunkt der Tätigkeit des Beauf Folge hatten und noch heute im kollektiven Gedächt- tragten stellt die Vertriebenenpolitik der Bundes nis der Familien nachwirken. Gleichzeitig bekannte regierung und die Vertretung der Anliegen der Selbst- er sich namens der Bundesregierung zur bleibenden organisationen der deutschen Heimatvertriebenen A nerkennung des besonderen Kriegsfolgenschicksals dar. Schätzungsweise 14 Millionen Deutsche wurden der Russlanddeutschen und forderte die Mehrheits- kriegs- bzw. kriegsfolgenbedingt Opfer von Flucht, gesellschaft dazu auf, sich mit diesem oft vernach Vertreibung und Zwangsumsiedlung. In Deutschland lässigten Aspekt der deutschen Geschichte auseinan- haben sich die Heimatvertriebenen nach dem Krieg derzusetzen. in Landsmannschaften und landsmannschaftlichen Organisationen zusammengeschlossen, um somit Die Landsmannschaften sind zum Großteil regional ein Sprachrohr in die deutsche Politik zu haben und gegliedert und somit vor Ort verankert. Im Oktober die Erinnerung an die verlorene Heimat, das Brauch- 2020 sprach Beauftragter Fabritius mit dem Landes- tum und die Identität zu wahren. Ihre Kultur geben vorsitzenden der LmDR in Schleswig-Holstein, Viktor sie fortwährend an ihre Nachkommen weiter, die Pretzer, und der schleswig-holsteinischen Ministerin sich weiterhin zur angestammten Heimat bekennen für Inneres, ländliche Räume und Integ ration, Sabine (sogenannte Bekenntnisgeneration). Die Landsmann- Sütterlin-Waack, über verstärkte Bemühungen zur schaften sind heute zudem wichtige Brückenbauer zu gesellschaftlichen Wiederbeheimatung der Russland- den außerhalb Deutschlands verbliebenen deutschen deutschen in ihren neuen Heimatregionen. Minderheiten.
18 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 Beflaggung des Bundeskanzleramtes am 70. Jahrestag der Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen Von herausragender vertriebenenpolitischer Bedeu- in Stuttgart-Bad Cannstatt verkündet. Die Charta tung war im Berichtszeitraum der 70. Jahrestag der benennt „Pflichten und Rechte“ der Flüchtlinge und Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1949 am 5. August 1950. die deutschen Ostgebiete und andere Länder Ost- und Südosteuropas verlassen mussten. Zu diesen Pflichten Aus diesem besonderen Anlass hat Bundesinnen und Rechten zählen vor allem der Verzicht auf Rache minister Horst Seehofer auf Anregung des Bundes und Vergeltung für die Vertreibung, die Verwirkli- beauftragten angeordnet, dass bundesweit die chung eines geeinten Europas und die Beteiligung am obersten Bundesbehörden, Behörden ihrer Geschäfts- Wiederaufbau Deutschlands und Europas. Darüber bereiche sowie Körperschaften, Anstalten und Stif- hinaus wird ein „Recht auf Heimat“ p ostuliert, das als tungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht von ein von „Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit“ Bundesbehörden unterstehen, beflaggt werden. verstanden wird. Fabritius würdigt die Charta als Gründungsdokument Mit dem 75. Jahrestag der Potsdamer Konferenz jährt der jungen Bundesrepublik, mit dem sich die rund sich ein weiteres wichtiges vertriebenenpolitisches 14 Millionen deutschen Heimatvertriebenen bereits Ereignis. Aus diesem Anlass nahm Beauftragter fünf Jahre nach Kriegsende zu einem friedlichen Fabritius an der wissenschaftlichen Tagung „75 Jahre Europa bekennen und auf jede Rache und Vergeltung Potsdamer Konferenz – Friedens-Ordnungen und für den schmerzlichen Heimatverlust verzichten: „Es ethnische Säuberungen in Vergangenheit und Gegen- freut mich, dass heute mit der bundesweiten Beflag- wart“ teil. Veranstalter der Online-Tagung war die gung die besondere historische Bedeutung der Charta Deutsche Gesellschaft e.V. in Projektpartnerschaft mit der deutschen Heimatvertriebenen vor 70 Jahren und dem Bund der Vertriebenen und der Bundesstiftung ihr wichtiger Beitrag für Deutschland und Europa an- zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. erkennend zum Ausdruck gebracht werden.“ Fabritius hob in seiner Rede die Auswirkungen her- Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen wurde vor, welche die Potsdamer Konferenz für die deut- von den Sprechern der Vertriebenenverbände am schen Heimatvertriebenen und –verbliebenen, aber 5. August 1950 unterzeichnet und am folgenden Tag auch für die gesamte deutsche und europäische Ge-
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 19 sellschaft hatte: „Die Potsdamer Konferenz steht für thematisiert. Ihre Zahl nahm nach der Konferenz denjenigen Aspekt der Neuordnung, der die Welt für verstärkt zu. Die Protokolle der Konferenz wurden viele Jahre tief prägen sollte - den Aspekt der Teilung! vielfach als Legitimierung des folgenden Vertrei- Die Potsdamer Beschlüsse besiegelten auf Jahrzehnte bungsunrechts kritisiert. die deutsche Teilung und die Blockkonfrontation in West und Ost. Für Millionen Menschen führten sie Die Kultur der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler zum Verlust der Heimat und zu einem erzwungenen wird auch in den dafür zuständigen und gemäß Neuanfang in der Fremde. Auch für die Menschen in § 96 BVFG im Verantwortungsbereich der Beauf- der sowjetischen Besatzungszone und Osteuropa gab tragten der Bundesregierung für Kultur und Medien es einen Neuanfang – allerdings ohne Freiheit und geförderten Institutionen erforscht, gepflegt und Demokratie.“ einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Dezember 2020 besuchte Beauftragter Fabritius die Nach den Konferenzen in Jalta und Teheran kamen Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Bonn, die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges im Juli 1945 deren Arbeit zur Förderung der Kultur deutscher letztmalig auf der Potsdamer Konferenz zusammen, Heimatvertriebener, Aussiedler und Spätaussiedler bevor der Ost-West-Konflikt begann. Das Protokoll gemäß Koalitionsvertrag unterstützt wird. Diese der Konferenz beinhaltet in Artikel XIII die „Überfüh- Förderung dient dem Erhalt und der Weiterentwick- rung“ von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei lung dieses wichtigen Teils des gesamtdeutschen und Ungarn; diese sollte „in ordnungsgemäßer und kulturellen Erbes. humaner Weise“ erfolgen. Der tragischen Lebens- wirklichkeit entsprach das nicht. Dass längst „wilde Im Juli 2020 hat Beauftragter Fabritius an der Eröff- Vertreibungen“ mit gröbsten Menschenrechtsver nung des Siebenbürgischen Kulturzentrums Schloss brechen an der Tagesordnung waren, wurde nicht Horneck in Gundelsheim am Neckar teilgenommen. Beauftragter Fabritius u. a. mit Rainer Lehni und Herta Daniel, Bundesvorsitzender und Ehrenvorsitzende der Siebenbürger Sachsen, Hon.- Prof. Dr. Konrad Gündisch, Vorsitzender des Siebenbürgischen Kultur- und Begegnungszentrums Schloss Horneck, Generalabt Frank Bayard, Superintendent Wolfgang Rehner, Prof. Andreas Otto Weber, Unterstaatssekretär Thomas Şindilariu sowie Bürgermeisterin Heike Schokatz
20 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 Vor Ort würdigte Bundesbeauftragter Fabritius in An- stabs des Sudetendeutschen Museums, sowie Raoul wesenheit des Hochmeisters des Deutschen Ordens, Wirbals, Verwaltungsleiter der Sudetendeutschen Generalabt Frank Bayard, des Superintendenten der Stiftung, besichtigte der Bundesbeauftragte das neu Steirischen Landeskirche, Mag. Wolfgang Rehner, errichtete Museumsgebäude und ließ sich das Kon- sowie weiterer Ehrengäste und Verantwortungsträ- zept für die zukünftige Ausstellung erläutern. Der ger der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft Beauftragte erklärte: „Durch moderne Architektur in Deutschland, Österreich und Siebenbürgen die und ansprechende Museumsgestaltung entsteht mit besondere Leistung der Siebenbürger Sachsen in aller dem Sudetendeutschen Museum ein zentraler Punkt Welt, die durch ausgeprägten Gemeinschaftssinn und sudetendeutschen Lebens in Deutschland, das in der hohe Spendenbereitschaft den Erwerb des Schlosses deutschen und europäischen Museumslandschaft als Horneck sowie seinen Aus- und Umbau durch den Referenz dienen wird. Ich gratuliere zu dem gelunge- Verein „Siebenbürgisches Kulturzentrum Schloss nen Museumskonzept.“ Horneck e.V.“ erst möglich gemacht haben. Beauftrag- ter Fabritius verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass Am 11. Oktober 2020 nahm Beauftragter Fabritius durch die Erweiterung um das Kultur- und Begeg- in Hannover als Vertreter der Bundesregierung am nungszentrum auf Schloss Horneck bereits vorhande- Jahresempfang der Landsmannschaft Schlesien teil. ne Kultureinrichtungen das immaterielle Kulturgut Er überbrachte dem Bundesvorsitzenden der Lands- der Siebenbürger Sachsen noch wirkungsvoller und mannschaft Stephan Rauhut Glückwünsche zum grenzüberschreitend pflegen und im Bewusstsein der 70-jährigen Bestehen der Landsmannschaft und Gesellschaft verankern können. Schloss Horneck solle erinnerte an das große Engagement der Schlesier für so zu einer Stätte der Kulturgutsicherung in all ihren den demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau des Dimensionen, der gelebten Tradition und des Dialoges Nachkriegsdeutschlands, an ihre eigene landsmann- werden. schaftliche Identität und ihre wichtige Brückenfunk- tion zum Nachbarland Polen. Im Juni 2020 besuchte Beauftragter Fabritius das kurz vor der Eröffnung stehende Sudetendeutsche Im Rahmen seiner Zuständigkeit für Vertriebenen- Museum in München. Gemeinsam mit Dr. Ortfried politik nimmt der Bundesbeauftragte regelmäßig Kotzian, Vorstandsvorsitzender der Sudetendeut- an wissenschaftlichen Tagungen zur Geschichte der schen Stiftung e.V., Steffen Hörtler, stellvertretender Heimatvertriebenen teil und verfasst Namensartikel Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Lands- im Rahmen wissenschaftlicher Studien oder anderer mannschaft, Dr. Michael Henker, Leiter des Planungs- Fachpublikationen. Beispielhaft erschien sein Beitrag „Weh dem, der keine Heimat hat“ in „Politische Stu- dien – Band 493/2020“ der Hanns-Seidel-Stiftung. 5. Kriegsfolgenrecht Im Bereich der Vertriebenenpolitik gehört die soge- nannte kriegsfolgenrechtliche Anerkennungsleistung für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter (ADZ) zu den wichtigsten vertriebenenpolitischen Erfolgen der ver- gangenen Jahre. Im November 2015 hatte der Deutsche Bundestag Beauftragter Fabritius beim Rundgang durch das Museum mit beschlossen, das persönliche Schicksal derjenigen (v. l. n. r.) Raoul Wirbals, Verwaltungsleiter der Sudetendeutschen Deutschen, die als Zivilisten aufgrund ihrer deut- Stiftung, Dr. Michael Henker, Leiter des Planungsstabs des Sudetendeutschen Museums, Steffen Hörtler, stv. Bundesvorsit- schen Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit zender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, sowie Dr. Ortfried während oder nach dem Zweiten Weltkrieg für eine Kotzian, Vorstandsvorsitzender der Sudetendeutschen Stiftung ausländische Macht Zwangsarbeit leisten mussten,
TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 21 Beauftragter Fabritius mit dem ADZ-Beirat und Abteilungsleiter Frehse (BMI) bei der symbolischen Übergabe des letzten Anerkennungs bescheides an betroffene Zwangsarbeiter im September 2020 mit einer einmaligen symbolischen Anerkennungs- Insgesamt wurden 83 % der Anträge positiv beschie- leistung in Höhe von 2.500 Euro zu würdigen. Im den. Die meisten Ablehnungen mussten wegen Über- Bundesinnenministerium wurde in enger Koopera- schreiten der zweijährigen Antragsfrist ausgespro- tion mit Vertriebenenverbänden und Fachhistorikern chen werden. Die Mehrzahl der Antragsteller lebt im die sogenannte ADZ-Richtlinie entworfen, die nach heutigen Bundesgebiet; die Zahl der Frauen überwiegt Zustimmung durch den Haushaltsausschuss des deutlich. Insgesamt wurden Anerkennungsleistungen Deutschen Bundestages zum 1. August 2016 in Kraft in Höhe von 97 Millionen Euro gewährt. trat. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedler- Mit großer Empathie für das besonders schwere fragen und nationale Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Schicksal der Betroffenen hat das für die Bearbei- Fabritius, war in seinem Ehrenamt als Präsident des tung der Anträge zuständige Bundesverwaltungsamt Bundes der Vertriebenen und als Abgeordneter des (BVA) die rund 47.000 Anträge innerhalb von etwa Deutschen Bundestages politischer Mitinitiator der vier Jahren bearbeitet. Besondere Eile bei der Antrags Zwangsarbeiterentschädigung und hat nach seinem bearbeitung war aufgrund des hohen Alters der An- Amtsantritt als Bundesbeauftragter den Vollzug der tragsteller geboten: Etwa 90 % der Antragsteller waren Richtlinie und das Anerkennungsverfahren intensiv 80 Jahre und älter. Es wurden über 54.000 Anfragen politisch begleitet. und Ersuchen nach Hilfe bei der Antragsstellung im zuständigen BVA verzeichnet. Am 14. September Beauftragter Fabritius: „Die Entschädigung für zivile 2020 konnten letztlich symbolisch die beiden letzten Zwangsarbeiter war niemals als Kompensation des Anerkennungsbescheide an ein betroffenes Ehepaar schweren Schicksals der zivilen Zwangsarbeiter ausgehändigt werden. gedacht. Die Kompensation eines solchen Biografie-
22 TÄT IGKEI TSBER ICHT | APR IL 2020 – 2021 erleben mussten. Auch in meiner Familie gab es solche Fälle und mir ist bewusst, wie bleischwer sich solche Erfahrungen auf das weitere Leben legen können. Für die unermessliche Geduld aller Betroffenen – die Ent- schädigungsleistung wurde teilweise mehr als 75 Jahre nach den anzuerkennenden Verfolgungen g ewährt – möchte ich diesen im Namen der Bundesregierung meinen tief empfundenen Dank aussprechen! Ich setze mich künftig dafür ein, dass die vielen ein- gereichten Dokumente und Schilderungen der zivilen Zwangsarbeit, die in den Akten des BVA enthalten Prof. Dr. Fabritius bei der Übergabe des ersten symbolischen An- sind, als Zeitzeugendokumente in angemessener erkennungsbescheides an Elisabeth Till im September 2016 mit dem Weise aufbewahrt und für Wissenschaft und For- damaligen Beauftragten Hartmut Koschyk, MdB, dem Vorsitzenden der Gruppe der Aussiedler, Vertriebenen und deutschen Minder- schung zugänglich gemacht werden. So soll dieses heiten der Unionsfraktion, Klaus Brähmig, MdB, sowie Mitarbeitern dokumentarische Vermächtnis kommenden Gene- des BVA und des BMI rationen als mahnendes Zeugnis für das Unrecht der Zwangsarbeit dienen und hoffentlich einen B eitrag bruchs wäre gar nicht möglich gewesen. Vielmehr dazu leisten, dass sich Derartiges in Zukunft nie sollte sie eine Anerkennung des Sonderopfers seitens w ieder ereignet.“ der Bundesrepublik Deutschland und somit einen Bei- trag zur Versöhnung der Betroffenen mit dem eigenen Schicksal darstellen. Vielen war diese A nerkennung wichtiger als der bescheidene Betrag der Anerken- nungsleistung. Die unerwartet hohe Zahl der An tragstellungen und bewilligten Anträge belegt, dass derartige zivile Zwangsarbeit leider ein verbreitetes Phänomen war und es dieser Anerkennungsleistung eindeutig bedurfte. Dadurch wurde dieser Opferkreis auch in den Blickpunkt unserer Gesellschaft gerückt. Es gebührt all jenen Dank, die mit langem Atem und viel Engagement an der Entstehung der sogenannten ADZ-Richtlinie beteiligt waren, darunter insbeson- dere den Vertriebenenverbänden, der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutsche Minderheiten in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und den fachkundigen Mitarbeitern des Bundesmi- nisteriums des Innern für Bau und Heimat. Auch den Mitarbeitern des BVA, die mit außergewöhnlich hoher Empathie und Ressourceneinsatz die vielen Anträge, Anrufe und Fragen hochbetagter Menschen ent- gegengenommen haben, gebührt mein großer Dank. Am meisten jedoch möchte ich mich bei den vielen Betroffenen bedanken: Sie haben teilweise nach Jahr- ADZ-Projektgruppenleiterin Maria Dierkes erläutert dem Bundes- zehnten erstmals über das sprechen können, was sie beauftragten vor Ort den Antragseingang eines Monats bei einem alleine aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Besuch der Projektgruppe ADZ im Juli 2018
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