Trend: Systematische Literaturübersichten - Deutsche ...

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Trend: Systematische Literaturübersichten - Deutsche ...
Informationen für den               Jahrgang 28 (2021), Heft 1 (ISSN 1438-4132)

sportwissenschaftlichen Nachwuchs

David Jaitner (Hrsg.)

            Trend: Systematische
            Literaturübersichten

dvs-Kommission                              Verein zur Förderung des
Wissenschaftlicher                           sportwissenschaftlichen
Nachwuchs                                          Nachwuchses e.V.
Trend: Systematische Literaturübersichten - Deutsche ...
inHaLt

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ........................................................................................................................................................ 3

Hauptbeiträge ............................................................................................................................................. 4
 „Für einen Überblick siehe …“ – Ein Plädoyer für systematische Reviews und Metaanalysen
 in der Sportwissenschaft .................................................................................................................................... 4
   VON FYNN BERGMANN & OLIVER HÖNER

 Unter den Wolken – Überlegungen zu den Grenzen systematischer Literaturübersichten .............................. 11
   VON TOBIAS ARENZ & DAVID JAITNER

 How to …? – Anleitung mit Tipps und Tricks zur Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten ............ 17
   VON ISABEL MARZI, MAIKE TILL & ANNE K. REIMERS

 Empirische Einsichten in das Review-Schreiben von Nachwuchswissenschaftler/innen ................................ 26
   von LENA GABRIEL, DAVID JAITNER & BENJAMIN ZANDER
 Reviews in der Lehre – ein Lehr-Lern-Konzept zur Vermittlung von strukturierter Recherche und
 Analyse der Evidenzlage .................................................................................................................................. 32
   von TOBIAS MORAT & TIM FLEINER

Bericht zum asp-Methodenworkshop „R“ ............................................................................................. 40
  von DOMINIK KRÜSSMANN

Start der zweiten Runde des dvs-Mentoring-Programms ................................................................... 41

Termine ...................................................................................................................................................... 42

Nachwuchspreise: „dvs-Promotionspreis gefördert durch den Hofmann-Verlag“ &
dvs-Nachwuchspreis 2021“ ..................................................................................................................... 43

Schriftenreihe „Forum Sportwissenschaft“ ........................................................................................... 44

Netzwerker/innen „Sportwissenschaftlicher Nachwuchs“ .................................................................. 46

               www.sportwissenschaftlicher-nachwuchs.de

                                                                              @SpowisNachwuchs

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Vorwort

Vorwort

D   as Zusammenspiel von Stabilität und Wandel ist fest im Werkzeugkasten der abendländischen Onto-
    logie verankert. Alles, was ist, verdankt, dass es ist und dass es ist, was es ist, einem Verhältnis von
eher konstanten und eher wechselhaften Elementen. Die Zustände und Veränderungen von Phänomenen
sind dabei nicht grundsätzlich vorherbestimmt, es gibt aber empirische Regelhaftigkeiten, die bestimmte
Zustände und Veränderungen wahrscheinlicher machen als andere. Für soziale und kulturelle Strukturen
spielen Trends eine wesentliche Rolle: beobachtbare Tendenzen einer Zeitreihe, die nachhaltig wirken
und sozialen Anschluss finden. Die Sportwissenschaft ist von diesen Entwicklungsmustern nicht aus-
genommen. Von Zeit zu Zeit ändert sich auch hier die Marschrichtung und etabliert neue Paradigmen,
Themen, Theorien und Methoden. Manchmal stellen diese die Disziplin(en) dabei grundlegend auf den
Kopf, manchmal ergänzen sie den bestehenden Kanon wesentlich.

F   ür den wissenschaftlichen Nachwuchs können diese verschiedenen Trends eine wichtige orientie-
    rende Funktion einnehmen: Trends zeigen auf, was gerade mit einer gewissen Anerkennung möglich
ist und ermöglichen damit eine relativ reibungslose Einordnung oder aber eine individuelle Abgrenzung,
indem man sich gewissen Entwicklungslinien und Strömungen explizit verweigert. Für die Kommission
„Wissenschaftlicher Nachwuchs“ spielt das Thema deshalb seit der Gründung eine große Rolle und bildet
seit dem Sommersemester 1996 ein regelmäßig wiederkehrendes Thema im Ze-phir. Während die bishe-
rigen Ausgaben jeweils unterschiedliche sportwissenschaftliche Disziplinen zu aktuellen und denkbaren
zukünftigen Forschungstrends zu Wort kommen lässt, nimmt das aktuelle Heft einen konkreten Trend
zum Ausgangspunkt und beleuchtet diesen aus verschiedenen Perspektiven.

F   ynn Bergmann und Oliver Höner nähern sich dem Thema in einem undogmatischen Plädoyer für
    systematische Reviews und Metaanalysen in der Sportwissenschaft und in sportwissenschaftlichen
Qualifikationsarbeiten. Tobias Arenz und David Jaitner setzen sich kritisch mit den Grenzen systemati-
scher Übersichtsarbeiten auseinander. Isabel Marzi, Maike Till und Anne Reimers entwickeln eine erfah-
rungsgesättigte Anleitung zur Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten, die (nicht nur) Nach-
wuchswissenschaftler/innen wichtige Anregungen und Hilfestellungen bietet. Lena Gabriel, David Jaitner
und Benjamin Zander präsentieren erste Teilergebnisse aus einem Forschungsprojekt, das sich mit dem
Review-Schreiben als Teil des sportwissenschaftlichen Qualifikations- und Sozialisationsprozesses be-
fasst. Tobias Morat und Tim Fleiner beschäftigten sich mit der Vermittlung von Reviews im Rahmen der
universitären Methodenausbildung und stellen ein preisgekröntes Beispiel zur Einbindung von Reviews
in ein sportwissenschaftliches Lehr-Lern-Konzept vor.

I   ch bedanke mich ganz herzlich bei den Autor/innen dieser Ausgabe und wünsche Ihnen viel Freude
    bei der Lektüre,

David Jaitner

                                                                                              2021(1)   |3
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Hauptbeiträge

„Für einen Überblick siehe …“ – Ein Plädoyer für systematische
Reviews und Metaanalysen in der Sportwissenschaft
Fynn Bergmann & Oliver Höner (Eberhard Karls Universität Tübingen)

Einführung                                ren gelisteten Artikeln sind allein ca.    trägt dieser Entwicklung Rechnung.
Eine zentrale Aufgabe von (Nach-          23% (158.667) in den letzten fünf          Die Autoren dieses Beitrags wurden
wuchs-)Wissenschaftler/innen ist,         Jahren des Betrachtungszeitraums           angefragt, ein Plädoyer für systema-
eine möglichst vollumfängliche            erschienen. In Anlehnung an Arenz          tische Reviews bzw. Metaanalysen
Kenntnis über den Forschungsstand         und Jaitner (2021, S. 11) kann festge-     in der Sportwissenschaft zu halten.
in ihrem Forschungsgebiet zu erlan-       stellt werden: „Wissen, das bestän-        Dementsprechend werden in diesem
gen. Somit ist die Lektüre nationa-       dig wächst, wird unübersichtlich. Un-      Beitrag solche Übersichtsarbeiten
ler und internationaler Publikationen     geordnete Evidenzen widersprechen          nicht als „selbstdienliche interne
obligatorisch, um im Forschungsfeld       dem systematischen Selbstanspruch          Strategien“ (Arenz & Jaitner, 2021,
handlungsfähig und vor allem ‚up to       der Wissenschaft und schränken den         S. 11) betrachtet, sondern als me-
date‘ zu sein. Diese Herausforderung      praktischen Orientierungscharakter         thodisch anspruchsvolles Tool, das
ist in der Sportwissenschaft keines-      ein“. Damit besteht ein Bedarf nach        neben einer integrativen Theoriebil-
wegs neu. Allerdings dürfte sich über     ‚Ordnung‘ von Evidenzen. So ist es         dung zu einer Zusammenführung
die letzten Jahrzehnte in vielen Diszi-   nicht verwunderlich, dass insbeson-        bestehender Evidenzen führen kann.
plinen sowohl der ‚Input‘ als auch der    dere ab der Jahrtausendwende ein           Systematische Reviews bzw. Meta-
‚Output‘ der zu erstellenden Über-        bedeutsamer Anstieg von systema-           analysen haben aber auch – wie jede
sicht des Forschungsstandes geän-         tischen Reviews und Metaanalysen           methodische Herangehensweise in
dert haben. So hat zum Beispiel der       zu verzeichnen ist (vgl. Abb. 1). Sie      der Wissenschaft – ihre Limitationen.
Zweitautor dieses Beitrags im Rah-        können als die bekanntesten Formen         Einen entsprechend kritischen Blick
men seiner Dissertation (Höner, 2005)     von systematischen Übersichtsar-           auf systematische Übersichtsstudi-
vornehmlich Bücher, Buchkapitel und       beiten angesehen werden und bilden         en nehmen Arenz und Jaitner (2021)
empirische Originalstudien als Infor-     mittlerweile in vielen Qualifikationsar-   in ihrem sehr lesenswerten Beitrag
mationsquellen genutzt. Die daraus        beiten den ‚Output‘ der Analyse des        in diesem Heft ein, sodass die dort
gewonnenen Erkenntnisse wurden            Forschungsstands.                          angeführten Punkte hier nicht wie-
mit Bezug zur eigenen Fragestellung                                                  derholt werden.
aufbereitet und in Form von Einzelka-     Systematische Übersichtsarbeiten
piteln der Dissertation dokumentiert.     gewinnen damit für den sportwis-           Wir hingegen erachten systemati-
In kumulativen Qualifikationsarbeiten,    senschaftlichen Nachwuchs an Re-           sche Übersichtsarbeit als überwie-
wie sie in der Sportwissenschaft in-      levanz und auch die Themenwahl             gend sinnvoll, vertreten sie dennoch
zwischen deutlich häufiger zu finden      des vorliegenden Ze-phirs 2021/1           nicht dogmatisch und sehen sie auch
sind (und auch die Absicht des Erst-
autors darstellen), hat sich die Bedeu-
tung und die Anzahl der empirischen
Originalstudien deutlich erhöht. Zu-
dem sind Manteltexte kumulativer
Qualifikationsarbeiten in der Regel
nicht so umfangreich, dass sie eine
breite Darstellung des Forschungs-
standes umfassen.

Einhergehend mit der mittlerweile
etablierten Praxis publikationsba-
sierter Promotionen steigt die An-
zahl publizierter Fachartikel in Form
von Einzelstudien. Abbildung 1 ver-
anschaulicht dies exemplarisch für
die Anzahl gelisteter Einzelstudien       Abb. 1. Verlauf des Anteils (in %) der in der Datenbank SPORTDiscus gelisteten
                                          Einzelstudien (N = 684.794) sowie systematischen Reviews und Metaanalysen
(englischsprachig und mit Peer-Re-        (N = 8.611) von 1980 bis 2019. (Die Anzahl der systematischen Reviews und
view) in der Datenbank SPORTDis-          Metaanalysen wird durch Publikationen abgebildet, deren Titel die Begriffe
cus im Zeitraum von 1980 bis 2019.        ‚systematic review‘ oder ‚meta-analysis‘ oder ‚systematic review and meta-
Von den 684.794 in diesen 40 Jah-         analysis‘ enthalten).

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Hauptbeiträge

nicht für alle Disziplinen der Sport-      nisse im Lichte eingesetzter Metho-        Fragestellung der Übersichtsstudie
wissenschaft als grundlegend richti-       den und auch vor dem Hintergrund           zu formulieren, sollte sich ein breiter
ge Methodenwahl an. Daher werden           von zugrundeliegenden Leitlinien zu        Überblick über den Forschungsstand
im vorliegenden Beitrag nach einfüh-       betrachten. Solche, auf Konsensen          verschafft werden, um die Anzahl der
renden Begriffsbestimmungen aus-           von Expert/innen beruhenden, Leitli-       potenziell relevanten Publikationen
gewählte methodische Herausfor-            nien der Methodik und Datenanalyse         abschätzen zu können. Dies trägt zu
derungen bei der Durchführung von          sollen den höchstmöglichen Eviden-         einer vollständigen und effizienten
systematischen Reviews bzw. Meta-          zanspruch der Übersichtsstudien si-        systematischen Suchstrategie bei.
analysen thematisiert. Damit möch-         chern.                                     Die Herausforderung besteht darin,
ten wir für die Auseinandersetzung                                                    den Balanceakt zwischen der ‚Sensi-
mit bedeutsamen Qualitätsmerkma-           Zu den populärsten Leitlinien gehö-        tivität‘ und ‚Spezifität‘ auszutarieren,
len sensibilisieren, um den Wert von       ren das Cochrane Handbook (Hig-            das heißt alle relevanten Publikatio-
systematischen Übersichtsstudien           gins et al., 2019) sowie das PRISMA        nen zu erfassen und zugleich mög-
für das Fach und für die Nachwuchs-        Statement (Moher et al., 2009), an de-     lichst viele irrelevanten Publikationen
wissenschaftler/innen im Laufe des         nen sich auch zahlreiche Übersichts-       herauszufiltern. Die Entwicklung der
Arbeitsprozesses zu steigern. Daran        arbeiten in der Sportwissenschaft          systematischen Suche ist daher vor
anschließend wird der Frage nachge-        orientieren. Die Inhalte, die in den       allem zu Beginn eine Phase des Ex-
gangen, welche Eigenschaften von           Reviews zusammengefasst werden,            perimentierens und Ausprobierens.
systematischen Reviews bzw. Me-            können sich dabei unterscheiden.           Dabei müssen zumeist auch die spe-
taanalysen dazu beitragen können,          So lassen sich in der Sportwissen-         zifischen Funktionen und Eigenheiten
dass sie einen besonderen Gewinn           schaft zum Beispiel systematische          der Datenbanken erkundet werden,
für a) die Sportwissenschaft und b)        Übersichtsstudien finden, die Wissen       deren Einstellungen bestmöglich do-
den wissenschaftlichen Nachwuchs           über die Wirksamkeit von Interventio-      kumentiert werden sollten, um eine
darstellen. Abschließend wird der          nen (z. B. Kelso et al., 2020), über Zu-   exakte Replikation der systemati-
Wert von systematischen Reviews            sammenhänge von Merkmalen (z. B.           schen Suche zu ermöglichen (Pozs-
bzw. Metaanalysen zusammengetra-           Scharfen & Memmert, 2019) oder             gai et al., 2020).
gen und mit Anregungen für zukünfti-       über prognostische Bedeutung von
ge Übersichtsstudien verknüpft.            Prädiktoren (z. B. Murr et al., 2018)      Sobald Schlagworte, Operatoren
                                           verdichten. Darüber hinaus werden          und Datenbankeinstellungen de-
Begriffsbestimmung                         systematische Übersichtsarbeiten           finiert sind, bilden eindeutige Ein-
                                           eingesetzt, um das Begriffsverständ-       und Ausschlusskriterien den Kern
Systematische Reviews bzw. Me-             nis und die Konzeptualisierung von         einer intersubjektiv nachvollziehba-
taanalysen werden mit dem Ziel             Merkmalen gegenüberzustellen (z. B.        ren Methodik. Grundsätzlich sollte
durchgeführt, eine Forschungsfrage         Zahno & Hossner, 2020).                    beachtet werden, dass Ausschluss-
auf Basis aller publizierten Studien                                                  kriterien (z. B. „die Studie wurde im
und gemäß einer expliziten Metho-          Herausforderungen im                       Schulsportkontext durchgeführt“) die
dik möglichst umfassend und zu-            Arbeitsprozess                             Einschlusskriterien (z. B. „die Studie
verlässig zu beantworten (Chandler                                                    wurde im leistungsorientierten Ver-
et al., 2020). Der Unterschied zwi-        Im Rahmen des Arbeitsprozesses an          einssport durchgeführt“) nicht per
schen systematischen Reviews und           systematischen Reviews und Meta-           se beinhalten, sondern die Studien-
Metaanalysen liegt darin, dass bei         analysen werden Wissenschaftler/in-        auswahl präzisieren. Die Bestimmung
Metaanalysen zusätzlich quantita-          nen mit diversen Herausforderungen         objektiver Qualitätsmerkmale der Kri-
tive Synthesen mithilfe von statisti-      konfrontiert. Eine nachhaltige Ausei-      terien ist nur bedingt möglich, wes-
schen Verfahren eingesetzt werden,         nandersetzung mit diesen Heraus-           halb diese durch unabhängige und
um eine höhere statistische Power im       forderungen geht in den allermeisten       bestenfalls themenfremde Personen
Vergleich zu den Einzelstudien zu er-      Fällen mit einem Erkenntnisgewinn          angewandt und überprüft werden
zielen und vorliegende Effekte mög-        der Forschenden und einer Quali-           sollten (Ioannidis, 2016). Im Sinne der
lichst präzise bestimmen zu können         tätssteigerung der Übersichtsstudie        Vermeidung beziehungsweise Offen-
(Field & Gillett, 2010). In der evidenz-   einher. Strategien zur Bewältigung         legung von „Researcher Degrees of
basierten Medizin bilden Metaanaly-        solcher Herausforderungen werden           Freedom“ (Schweizer & Furley, 2016,
sen die Spitze der Evidenzpyramide,        in zahlreichen Publikationen themati-      S. 81), also den Freiheiten der For-
gelten also als verlässlichster metho-     siert (für einen Überblick siehe Muel-     schenden in methodischen Entschei-
discher Ansatz um eine Forschungs-         ler et al., 2018) und inzwischen auch      dungen, trägt dies zur Transparenz
frage zu beantworten (Eichler, 2020).      auf sport- und bewegungsbezogene           des Forschungsprozesses bei.
Angesichts der Komplexität der Wis-        Themenfelder bezogen (Tod, 2019).
sensbestände sind solche Prozedu-                                                     Auch die Extraktion aller Informa-
ren hilfreich, bedürfen aber immer         Nachdem die erste Herausforde-             tionen aus den Einzelstudien sollte
menschlicher Urteile, um die Ergeb-        rung bewältigt wurde, eine präzise         von zwei unabhängigen Personen

                                                                                                              2021(1)     |5
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Hauptbeiträge

durchgeführt werden, um dem soge-          tistische Ermittlung der Heterogeni-      zustellen. Darüber hinaus sind sie von
nannten ‚reviewer bias‘ vorzubeugen        tät obligatorisch (‚statistical hetero-   Bedeutung, um eine möglichst evi-
(Misra & Agarwal, 2018). Bei diesem        geneity‘; Deeks et al., 2020). Weitere    denzbasierte Unterstützung für Ent-
Prozess wird ersichtlich, welche In-       Verfahren, beispielsweise zur Erfas-      scheidungen in einem Themenge-
formationen nicht oder unvollständig       sung eines ‚publication bias‘ (z. B.      biet zu ermöglichen. Ein besonderer
berichtet wurden, also ein ‚reporting      Egger et al., 1997), zumeist visuell      Wert von systematischen Reviews
bias‘ vorliegt. Zur Erfassung sol-         unterstützt durch Funnel Plots, kön-      bzw. Metaanalysen für die Sportwis-
cher und weiterer Verzerrungen der         nen die Gefahr der Reproduktion ver-      senschaft ist in der Herausarbeitung
Studienergebnisse ist ein wiederum         zerrter Effekte zusätzlich minimieren.    der kumulativen Evidenz und deren
unabhängig durchgeführtes Rating                                                     Transfer in die Sportpraxis (siehe 1.)
des ‚risk of bias‘ obligatorisch (Hig-     Auch wenn ein vergleichsweise ein-        zu sehen. Dies wird insbesondere
gins et al., 2019). Ein solches Rating     fach zu interpretierender Gesamtef-       durch das Strukturmerkmal der Inter-
sollte vor der Arbeit an der Ergeb-        fekt verlockend ist, besteht bei einem    disziplinarität (siehe 2.) und der damit
nisdarstellung erfolgen, um diese          unreflektierten Einsatz der Metaana-      einhergehenden Vielfalt an Theorien
vor dem Hintergrund des Wissens            lyse die Gefahr, diesen durch Verzer-     (siehe 3.) sowie einem Facettenreich-
über Verzerrungen und Schwächen            rungen zu verfälschen sowie auf in-       tum an Methoden und Instrumenten
der Einzelstudien vorzunehmen. Ins-        haltlicher Ebene ‚Äpfel mit Birnen‘ zu    (siehe 4.) deutlich.
besondere für medizinische und ge-         vergleichen (Deeks et al., 2020). Die
sundheitswissenschaftliche Studien         Entscheidung, ob eine Metaanalyse         1. Kumulative Evidenz und Transfer
liegen ‚Kriterienkataloge‘ für die Be-     sinnvoll ist oder nicht, kann somit       in die Sportpraxis
urteilung der Einzelstudien vor (z. B.     nur auf Basis von sowohl inhaltlichen
Higgins et al., 2019). Eine Anwendung      als auch statistischen Komponenten        Ein zentrales Merkmal der Sport-
dieser Kriterien ist in der Sportwis-      getroffen werden. Eine Metaanalyse        wissenschaft ist, dass sie sich pro-
senschaft nicht immer möglich, so-         sollte demnach nicht auf dem Selbst-      blemorientiert mit Phänomenen des
dass es der Regelfall ist, Leitfäden       zweck beruhen, sondern insbeson-          Sports bzw. der Sportpraxis ausei-
bzw. Instrumente auszuwählen und           dere inhaltlich begründbar sein. „Vom     nandersetzt. Sie verfolgt somit un-
diese zu modifizieren. Als Unterstüt-      Wiegen wird die Sau nicht schwerer“       ter anderem die im Memorandum
zung bei der Suche nach geeigneten         – diese Redensart, die der Nestor der     Sportwissenschaft verankerte Aufga-
Instrumenten dient das Equator Net-        Sportwissenschaft Ommo Grupe zu-          be, „Entscheidungshilfen für die Ver-
work (https://www.equator-network.         sammen mit Kollegen als Titel für ei-     besserung der vielfältigen Praxis zu
org/reporting-guidelines/), welches        nen kritischen Artikel zur Verkürzung     entwickeln“ (Hottenrott et al., 2017,
das Ziel verfolgt, die Qualität der Stu-   von Bildung auf Bildungsstandards         S. 288). Eine evidenzbasierte Bera-
dienbeschreibung zu erhöhen.               im Schulsport wählte (Grupe et al.,       tung der Sportpraxis profitiert von
                                           2004), sollte man sich auch vor Au-       den Erkenntnissen systematischer
Auch bei der wohl komplexesten Fra-        gen führen, bevor man eine Meta-          Reviews bzw. Metaanalysen, da sie
ge – wie die Analyse und Synthese          analyse durchführt.                       die Ergebnisse aus Einzelstudien zu
der Ergebnisse erfolgt und insbeson-                                                 einer kumulativen Evidenz bündeln.
dere, ob Techniken der Metaanaly-          Systematische Übersichtsstudien           Dies sichert, dass ‚Entscheidungs-
se eingesetzt werden – spielt die          für die Sportwissenschaft?                hilfen‘ nicht auf Einzelerkenntnissen
Studienqualität eine entscheidende                                                   beruhen, sondern das Wissen akku-
Rolle. Liegen bereits in den Einzel-       Aus der Perspektive des Fachs             muliert zurate gezogen werden kann.
studien Verzerrungen vor, so besteht       Sportwissenschaft                         Komplexe Probleme der Sportpraxis
die Gefahr, dass diese mit gleichem                                                  können jedoch nur selten aus einer
Gewicht und vor allem ohne kriti-          Die Bedeutung von systematischen          Perspektive heraus gewinnbringend
sche Diskussion in den Gesamtef-           Übersichtsstudien für die Sportwis-       bearbeitet werden, sodass es Er-
fekt der Metaanalyse eingehen. Eine        senschaft ist in vielen Punkten ana-      kenntnisse aus verschiedenen Teil-
Metaanalyse mit höchstem Eviden-           log zur Bedeutung für andere Wis-         disziplinen der Sportwissenschaft
zanspruch zehrt von hochwertigen           senschaftsdisziplinen anzusehen:          bedarf.
Einzelstudien. Die grundsätzlich zu        Nach Tod (2019) dienen sie dazu,
begrüßende Weiterentwicklung von           vorliegendes Wissen bezogen auf           2. Interdisziplinarität
Erhebungsmethoden in der Sport-            eine spezifische sportwissenschaft-
wissenschaft geht jedoch mit zum           liche Fragestellung gebündelt und         Die Interdisziplinarität gilt als zentra-
Teil erheblichen methodischen Un-          systematisch darzulegen (‚what we         les Strukturmerkmal der Sportwissen-
terschieden einher (‚methodologi-          know‘), Wissenslücken zu identifizie-     schaft und wurde bereits in diversen
cal diversity‘). Dadurch erscheint in      ren (‚what we do not know‘) und Be-       Ze-phir-Ausgaben (z. B. Barisch-Fritz
vielen Fällen die Bestimmung eines         gründungszusammenhänge für zu-            & Volk, 2016) sowie im Memoran-
Gesamteffekts inhaltlich zumindest         künftig notwendiges Wissen (‚what         dum Sportwissenschaft aufgegriffen
problematisch. Zudem ist die sta-          we need to know and why?‘) heraus-        (Hottenrott et al., 2017). Im Sinne der

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Interdisziplinarität können systema-     Interdisziplinär ausgerichtete Über-      aufzuarbeiten und sich ein Metho-
tische Reviews bzw. Metaanalysen         sichtsarbeiten, die den Einzelstudien     denwissen anzueignen, das sowohl
eingesetzt werden, um Erkenntnisse       zugrundeliegenden Theorien analy-         die Forschungsparadigmen als auch
verschiedener Teildisziplinen zusam-     sieren und diese in eine Beziehung        Untersuchungsinstrumente umfasst.
menzufassen und gegenüberzustel-         zueinander stellen, können dazu bei-      Sobald die Nachwuchswissenschaft-
len. Sie können darauf ausgerichtet      tragen, die Interdisziplinarität durch    ler/innen mit diesen Punkten vertraut
sein, komplexe Probleme der Sport-       Intertheoretik zu realisieren (Willim-    sind, kann damit begonnen werden,
praxis aus verschiedenen Perspek-        czik, 2018).                              eine eigene Forschungsfrage zu ent-
tiven zu bearbeiten. Ein besonderer                                                wickeln, die eine Erweiterung des in
Mehrwert wird Übersichtsarbeiten zu      4. Facettenreichtum an Methoden           der Übersichtsstudie dargelegten
Beginn interdisziplinär ausgerichte-     und Instrumenten                          Forschungsstandes behandeln soll-
ter Forschungsprojekte attestiert, um                                              te. Somit kann die Lektüre publizier-
Theorien, Methoden und Erkenntnis-       Die Sportwissenschaft hat sich im         ter Übersichtsstudien in vielerlei Hin-
se unterschiedlicher Disziplinen ver-    Laufe ihrer Entwicklung ein breites       sicht hilfreich sein.
knüpfen und kontrastieren zu können      Spektrum an Methoden und Instru-
(Burgers et al., 2019). Dies kann dazu   menten angeeignet (vgl. Willimczik,       Liegen keine systematischen Über-
führen, dass systematische Über-         2019, S. 5ff.). Aufgrund dieser grund-    sichtsarbeiten vor, werden sie häufig
sichtsstudien von größeren Autoren-      sätzlich bereichernden Vielfalt kann      zu Beginn einer Dissertation durch-
gruppen aus unterschiedlichen Dis-       allerdings nur sehr selten auf ‚generi-   geführt, um die genannten Punkte
ziplinen bearbeitet werden. Ein solch    sche‘ Methoden zurückgegriffen wer-       objektiv und unter der gewinnbrin-
interdisziplinärer Austausch mit Ex-     den, um interessierende Merkmale zu       genden Qualitätskontrolle eines Peer-
pert/innen ist insbesondere für Nach-    erheben. Systematische Übersichts-        Reviews zu bearbeiten. Den Mentor/
wuchswissenschaftler/innen berei-        studien können solche Entwicklungs-       innen obliegt die Verantwortung, den
chernd. Um die Vollständigkeit der       prozesse einer Wissenschaftsdiszip-       über die Übersichtsstudie hinausge-
Übersichtsstudie zu gewährleisten,       lin, beispielsweise im Hinblick auf die   henden Forschungsstand im Blick zu
sollten die spezifischen Charakteris-    Untersuchungsmethodik, abbilden.          behalten und eine Einordnung und
tika der eingeschlossenen Teildiszi-     Diese historischen Betrachtungen          Diskussion der Befunde auf Theo-
plinen beachtet werden. Dies betrifft    sind vor allem für Nachwuchswissen-       rie-, Methoden- und Ergebnisebene
auch die Publikationspraxis und setzt    schaftler/innen, die diese Prozesse       zu begleiten. Eine solche Diskussion
beispielsweise in einigen Themenge-      nicht aktiv miterlebt bzw. -gestaltet     und Bewertung des Forschungsstan-
bieten der Sportpädagogik die Einbe-     haben, bereichernd. In systemati-         des mit Expert/innen unterschiedli-
ziehung deutschsprachiger Beiträge       schen Reviews bzw. Metaanalysen           cher Bereiche und Disziplinen (z. B.
voraus, um den Forschungsstand           sollten die in den Einzelstudien einge-   Koautor/innen, aber auch Gutachter/
vollständig abbilden zu können (z. B.    setzten Instrumente allerdings auch       innen) ist vor allem für Nachwuchs-
Ruin & Stibbe, 2020).                    kritisch diskutiert werden, um ihre       wissenschaftler/innen bereichernd.
                                         Stimmigkeit zur Fragestellung sowie
3. Theorien der Einzelstudien            den interessierenden Merkmalen zu         Einzeln publizierte Übersichtsarbei-
                                         prüfen.                                   ten bilden häufig den ersten Bestand-
Aufgrund der Komplexität des alle                                                  teil der Publikationsreihe, die die ku-
Teildisziplinen vereinenden Gegen-       Aus der Perspektive des wissen-           mulative Qualifikationsarbeit – oder
stands ‚Sport‘ beschreibt Kurz (2007,    schaftlichen Nachwuchses                  auch auf Einzelstudien ausgelegte
S. 70), dass die Sportwissenschaft                                                 Monografien (z. B. Kröckel, 2019) –
„weitgehend von Leihgaben aus al-        Systematische Reviews bzw. Meta-          ausmacht. Anknüpfende empirische
len möglichen Wissenschaften (‚ihren     analysen sind sowohl für gestande-        Studien profitieren vor allem von der
Müttern‘)“ lebe. Eine interdisziplinä-   ne Wissenschaftler/innen als auch         theoretischen Rekonstruktion von
re Theorienbildung kann somit berei-     für Nachwuchswissenschaftler/in-          Sachverhalten, deren empirischer
chernd sein, um sportwissenschaftli-     nen bereichernd, sodass viele Grün-       Gehalt durch Ergebnisintegration ge-
che Problemstellungen zu bearbeiten      de für die Lektüre, aber auch für die     prüft werden kann. Somit regen die
(Willimczik, 2003). Im Rahmen von        Erstellung von Übersichtsstudien          Erkenntnisse systematischer Reviews
systematischen Reviews bzw. Me-          sprechen. Für Nachwuchswissen-            bzw. Metaanalysen zur Präzisierung
taanalysen ist daher eine nachhalti-     schaftler/innen kann die Lektüre von      von Theorien an, um zutreffende-
ge Auseinandersetzung mit den zu-        Übersichtsstudien eine wichtige Ori-      re Erklärungsansätze sportwissen-
grundeliegenden Theoriekonzepten         entierungshilfe bei der thematischen      schaftlicher Phänomene zu entwi-
der Einzelstudien wertvoll, die neben    Verortung der Qualifikationsarbeit        ckeln. Eben diese Neuformulierung
der Beschreibung auch die ‚Herkunft‘     sein. Darüber hinaus können Über-         und Spezifikation von Theorien, ver-
sowie die Art des Transfers in das       sichtsstudien dazu beitragen, die ei-     knüpft mit einer Evidenzakkumulation
sportwissenschaftliche Handlungs-        nem Forschungsgebiet zugrundelie-         durch systematische Reviews bzw.
feld kritisch beäugt und diskutiert.     genden theoretischen Perspektiven         Metaanalysen, wird als eine zentrale

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Maßnahme zur Optimierung des Er-           innen in der Sportwissenschaft eine     Expertise zu bereichern. Dies kann
kenntnisfortschritts erachtet (Glöck-      bedeutsame Herausforderung dar-         im Sinne der Interdisziplinarität einer-
ner et al., 2018).                         stellen, diesen Forschungsstand         seits die Zusammenarbeit mit Wis-
                                           systematisch aufzuzeigen. Nach ei-      senschaftler/innen unterschiedlicher
Auch wenn dieser Einstieg heraus-          gener Erfahrung besteht der Wert        Teildisziplinen umfassen. Anderer-
fordernd ist, ergibt sich insbesonde-      einer Übersichtsstudie nicht nur in     seits kann eine über die Sportwissen-
re aus den Stärken und Schwächen           der inferenzstatistischen Zusammen-     schaft hinausgehende Zusammenar-
publizierter Studien ein großer Ler-       fassung von statistischen Effekten,     beit, beispielsweise mit Bibliothekar/
neffekt. Zugleich besteht die Mög-         sondern vor allem in der kritischen     innen bei der Entwicklung der syste-
lichkeit, durch die identifizierten For-   Würdigung des Forschungsstandes.        matischen Suche oder Expert/innen
schungslücken die Notwendigkeit            Wir plädieren daher zum einen für die   im Bereich statistischer Verfahren, die
von Folgestudien gegenüber Förde-          nachhaltige Auseinandersetzung mit      Qualität der Übersichtsstudie stei-
rern und Förderinnen oder Betreuer/        den benannten und weiteren metho-       gern (Harari et al., 2020).
innen der Dissertation zu legitimieren.    dischen Herausforderungen bei der
                                           Arbeit an systematischen Reviews        Die Entwicklung sportwissenschaft-
Fazit und Ausblick                         bzw. Metaanalysen. Zum anderen          lich ausgerichteter Instrumente zur
                                           plädieren wir für die Beachtung der     Erfassung der Studienqualität könn-
Zunächst lässt sich festhalten, dass       Merkmale, die aus unserer Sicht den     ten umständliche Modifikationen und
systematische Übersichtsarbei-             besonderen Wert von systematischen      damit einhergehende Limitationen
ten schon seit einigen Jahren fest         Übersichtsstudien für die Sportwis-     der wissenschaftlichen Güte umge-
in der Sportwissenschaft etabliert         senschaft ausmachen.                    hen. Solche Instrumente sollten unter
sind. Auch im Rahmen von Qualifi-                                                  anderem eine ausführlichere Betrach-
kationsarbeiten werden sie zuneh-          Abschließend werden einige Anre-        tung zugrundeliegender Theoriekon-
mend eingesetzt und bilden oftmals         gungen für zukünftige systematische     zepte sowie die Operationalisierung
den Ausgangspunkt für anknüpfen-           Reviews bzw. Metaanalysen in der        erfasster Merkmale adressieren. Zu-
de empirische Studien. Die Sport-          Sportwissenschaft angeführt, deren      dem sollten die Besonderheiten des
wissenschaft ist jedoch ein Fach,          Bearbeitung auch im Rahmen von          sportlichen Handlungsfeldes beach-
welches nicht nur auf verschiedenen        Fortbildungsprogrammen einen Ge-        tet werden, da häufig angewandte
Disziplinen basiert, sondern in dem        winn für Sportwissenschaftler/innen     Kriterien anderer Wissenschaftsdis-
auch unterschiedliche Theorien und         darstellen kann.                        ziplinen durch die Natur einiger Tätig-
Paradigmen vertreten sind. Dement-                                                 keiten im Sport nicht realisierbar sind.
sprechend gilt es, diverse Wege der        Die Weiterentwicklung der Methodik,
Forschungserkenntnis möglichst ge-         insbesondere bei der Durchführung       Eine zunehmende Transparenz des
winnbringend zu vereinen. Das Den-         von Metaanalysen, ist bedeutsam,        Forschungsprozesses durch Open
ken im Sinne einer Evidenzbasie-           um die steigende Anzahl an Publika-     Science-Praktiken hat die Sportwis-
rung durch die Zusammenführung             tionen gewinnbringend zu vereinen       senschaft längst erreicht und berei-
einzelner empirischer Studien zu ei-       und die Gefahr der ‚Unordnung‘ im       chert (z. B. Geukes et al., 2016). Eine
nem Gesamtbild ist eine von vielen         Forschungsstand zu reduzieren. Zu       entscheidende Rolle nehmen Prä-
möglichen Vorgehensweisen. Es ist          erwarten ist, dass die steigende An-    Registrierungen ein, um die Planung
in vielen Mutterdisziplinen der Sport-     zahl an Publikationen zunehmend         einer Studie zu systematisieren sowie
wissenschaft etabliert und wird die        mit der Möglichkeit einhergeht, Me-     zur Transparenz des Forschungspro-
Sportwissenschaft auch zukünftig           taanalysen sinnvoll einzusetzen und     zesses beizutragen (Lakens, 2019).
(mit)prägen. Leider fällt das ange-        somit einen größtmöglichen Eviden-      Planungsprotokolle von sportwis-
strebte Gesamtbild oft nicht so kon-       zanspruch an die Ergebnisse stellen     senschaftlichen systematischen Re-
sistent wie gewünscht aus. Dies führt      zu können. Dies ist insbesondere von    views bzw. Metaanalysen wurden un-
dazu, dass für einige Übersichtsar-        Bedeutung, da in der Sportwissen-       längst auf Online-Plattformen (z. B.
beiten aufgrund der Heterogenität der      schaft eine geringe statistische Pow-   OSF) oder in Journals publiziert,
Studienlage eine Metaanalyse – trotz       er in Einzelstudien ein häufig zu be-   um die Fragestellungen, die Metho-
methodischer ‚Korrekturmaßnahmen‘          obachtendes Problem darstellt (Abt      dik oder auch die Voraussetzungen
– kritisch zu sehen ist. Die Angabe ei-    et al., 2020).                          und Techniken einer Metaanalyse im
ner Maßzahl könnte eine Genauigkeit                                                Vorfeld zu bestimmen (z. B. Berg-
suggerieren, die so gar nicht gegeben      Die verstärkte Zusammenarbeit mit       mann et al., 2020; Demetriou et al.,
ist. Vielleicht aber auch gerade wegen     Expert/innen verschiedener Themen-      2019). Ein weiterer Mehrwert für die
dieser Heterogenität und der zum Teil      gebiete ist wünschenswert, um die       Forschenden ist darin zu sehen, die
methodisch noch nicht allen Anfor-         notwendigen, und zum Teil sehr spe-     inhaltlichen und methodischen Ent-
derungen der Interventionsforschung        zifischen, Kompetenzen bei der Ar-      scheidungen gegenüber Gutachter/
entsprechenden Studienlage dürfte          beit an systematischen Reviews bzw.     innen, aber auch anderen Forschen-
es für Nachwuchswissenschaftler/           Metaanalysen mit möglichst großer       den rechtfertigen zu können.

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Deeks J. J., Higgins J. P. T., & Altman    Harari, M. B., Parola, H. R.,               org/10.24602/sjpr.62.3_221
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Demetriou, Y., Reimers, A. K., Alesi,         J., Cumpston M., Li T., Page M.          Altman, D. G., & The PRISMA
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  019-1029-1                                  Vogt, L. (2017). Memorandum              C., & Scott, P. (2018). Methods to

                                                                                                             2021(1)    |9
Trend: Systematische Literaturübersichten - Deutsche ...
Hauptbeiträge

  systematically review and meta-            Ruin, S., & Stibbe, G. (2020). Physical   Willimczik, K. (2003). Sportwissen-
  analyse observational studies:               education and physical education          schaft interdisziplinär. Ein
  A systematic scoping review of               research. An overview of German-          wissenschaftstheoretischer Dialog.
  recommendations. BMC Medical                 language publications 2018-2019.          Band 2: Forschungsprogramme
  Research Methodology, 18(44),                International Journal of Physical         und Theoriebildung in der
  https://doi.org/10.1186/s12874-              Education, 57(3), 2-14.                   Sportwissenschaft. Feldhaus.
  018-0495-9                                 Scharfen, H.-E., & Memmert, D.            Willimczik, K. (2018).
Murr, D., Feichtinger, P., Larkin, P.,         (2019). Measurement of cognitive          Entwicklungstendenzen in
  O‘Connor, D., & Höner, O. (2018).            functions in experts and elite‐           der Sportwissenschaft an den
  Psychological talent predictors in           athletes: A meta‐analytic review.         deutschen Universitäten in den
  youth soccer: A systematic review            Applied Cognitive Psychology,             vergangenen Jahren/Jahrzehnten.
  of the prognostic relevance of               33(5), 843-860. https://doi.              Ze-phir, 25(1), 3-6.
  psychomotor, perceptual-cognitive            org/10.1002/acp.3526                    Willimczik, K. (2019). Theorielose
  and personality-related factors.           Schweizer, G., & Furley, P. (2016).         Sportwissenschaft? Vom Nutzen
  PloS one, 13(10), e0205337.                  Die Vertrauenskrise empirischer           der Wissenschafts-Theorie für die
  https://doi.org/10.1371/journal.             Forschung in der Psychologie.             Sportwissenschaft. Ze-phir, 26(2),
  pone.0205337                                 Ausgewählte Ursachen und                  4-10.
Pozsgai, G., Lövei, G. L., Vasseur, L.,        exemplarische Lösungsvorschläge         Zahno, S., & Hossner, E.-J. (2020).
  Gurr, G., Batáry, P., Korponai, J.,          für die sportpsychologische               On the issue of developing
  Littlewood, N. A., Liu, J., Móra, A.,        Forschung. Zeitschrift für                creative players in team sports: A
  Obrycki, J., Reynolds, O., Stockan,          Sportpsychologie, 23(3), 77-83.           systematic review and critique from
  J. A., Volkenburg, H. V., Zhang,             https://doi.org/10.1026/1612-5010/        a functional perspective. Frontiers
  J., Zhou, W., & You, M. (2020).              a000171                                   in Psychology, 11, 575475. https://
  A comparative analysis reveals             Tod, D. (2019). Conducting Systematic       doi.org/10.3389/fpsyg.2020.575475
  irreproducibility in searches of             Reviews in Sport, Exercise,
  scientific literature. bioRxiv. https://     and Physical Activity. Palgrave
  doi.org/10.1101/2020.03.20.997783            Macmillan.

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10 |              2021(1)
Hauptbeiträge

Unter den Wolken – Überlegungen zu den Grenzen systematischer
Literaturübersichten
Tobias Arenz (Deutsche Sporthochschule Köln) & David Jaitner (Technische Universität Braunschweig)

Die moderne Gesellschaft gliedert       die Möglichkeiten, bestehendes Wis-       wissenschaft mit sich bringt, schla-
sich in autonom operierende Teil-       sen nicht mehr nur enzyklopädisch         gen allerdings ab einem gewissen
bereiche, die gemeinsam nebenei-        zu ordnen, sondern Wissen syste-          Zeitpunkt in Nachteile um. Wissen,
nander die gesamtgesellschaftliche      matisch selbst zu produzieren (Stich-     das beständig wächst, wird un-
Reproduktion auf Dauer stellen und      weh, 2013): Zunächst etablieren sich      übersichtlich. Ungeordnete Evi-
dafür je eigenständige Wissensbe-       Sinneserfahrung und Vernunft als          denzen widersprechen dem sys-
stände zur Lösung von bereichsspe-      wesentliche Erkenntnisgrundlagen.         tematischen Selbstanspruch der
zifischen Problemstellungen in Ge-      Im Anschluss werden diese epistemi-       Wissenschaft und schränken den
brauch setzen. Die Wissenschaft der     schen Zugriffsweisen beständig the-       praktischen Orientierungscharakter
Gesellschaft zeichnet sich für die      oretisch unterfüttert und methodisch      ein. Als Möglichkeit, mit dieser Un-
Lösung des Problems einer metho-        ausdifferenziert.                         ordnung umzugehen, hat sich in den
disch kontrollierten Produktion von                                               letzten Jahrzehnten eine selbstdien-
Aussagen über Weltsachverhalte          Ein wesentlicher Gewinner der ‚wis-       liche interne Strategie durchgesetzt:
verantwortlich, die ihre Wahrheits-     senschaftlichen Revolution‘ des 17.       systematische Literaturübersichten.
behauptungen durch Publikationen        Jahrhunderts sind die empirischen         Das Wissenschaftssystem folgt der
kommuniziert und öffentlich zugäng-     Wissenschaften. In der geistigen          bordeigenen Handlungslogik und
lich macht (Stichweh, 2013). Das        Nachfolge von Galileo Galilei eman-       entwickelt ein methodisches Reper-
Wissen der Wissenschaft ist dabei       zipieren sich wissenschaftliche Ver-      toire, dass die empirischen Wissens-
nicht grundlegend verschieden von       fahren, die in systematischen Ex-         bestände zu einem Thema systema-
anderen Wissensformen, hat sich         perimenten, Beobachtungen oder            tisch bündelt und auf diese Weise die
aber als eine reflexive Wissensform     Befragungen das zentrale mensch-          Funktions- und Leistungserwartun-
etabliert, die besonders erfolgreich    liche Erkenntnisvermögen sehen,           gen in gesteigerter Form zu befriedi-
darin ist, logisch widerspruchsfreie    zügig gegenüber den arrivierten           gen imstande ist. Damit behalten die
Ordnungszusammenhänge zu er-            rationalen Vernunftwissenschaften         empirischen Wissenschaften ihren
mitteln. Das Geheimnis dieses Er-       (Lewin, 1931) und sorgen spätestens       wissenschaftsimmanenten Status
folgs ist wesentlich darin begründet,   ab dem 19. Jahrhundert dafür, dass        bei, stärken diesen durch die Einfüh-
dass wissenschaftliche Weltzugän-       eine steigende Anzahl spezialisierter     rung einer Hierarchie, die Systema-
ge ernst nehmen, dass menschli-         Wissensproduzent/innen beständig          tic Reviews mit Metaanalysen an die
ches Wissen beständig von Irrtü-        empirische Fachpublikation an empi-       Spitze der Evidenzpyramide setzen
mern bedroht ist, und diese Vorsicht    rische Fachpublikation reihen. Nimmt      (Evans, 2003), und die erweiterten
in ein Kulturphänomen wandeln, das      man mögliche Ursachen für den Er-         Publikationsmöglichkeiten mithin,
systematisch versucht, Zweifel zu       folg der Erfahrungswissenschaften         und verstetigen die Attraktivität für
befördern, den Produktionsweg der       in den Blick, so scheint dieser ins-      die gesellschaftliche Umwelt in ei-
Einsichten und Erkenntnisse offen       besondere auch in der Natur der           nem gesteigerten Leistungsangebot,
zu legen und Verzerrungen bei der       produzierten Wissensform verortet         das lebensweltliche (z. B. politische,
Wissenssuche zu berücksichtigen         zu sein: Wissenschaftsintern ist das      medizinische, pädagogische etc.)
(Hoyningen-Huene, 2009).                systematisch erzeugte Erfahrungs-         Entscheidungen nicht mehr auf die
                                        wissen als Produkt der Wahrheitsfa-       Schlussfolgerungen einzelner wis-
Der Prozess der Produktion wissen-      brikation und Argument im Kampf um        senschaftlicher Studien, sondern auf
schaftlichen Wissens nimmt im 17.       begrenzte institutionelle Ressourcen      eine Summe an verfügbaren Eviden-
Jahrhundert ausdifferenzierte For-      schnell voll etabliert. Die Handlungs-    zen verpflichten kann.
men an, die ab dem 19. Jahrhundert      relevanz des wissenschaftlichen Er-
eine disziplinäre Binnendifferenzie-    fahrungswissens macht die Wis-            Systematische Übersichtsarbeiten,
rung der neuzeitlichen Wissenschaft     sensform gleichzeitig interessant für     als Sammelbegriff für eine selbstdien-
ausbilden, die entlang von Gegen-       andere Teilbereiche der Gesellschaft      liche sekundäre empirische Arbeits-
standsbereichen, Problemstellungen      und sorgt dafür, dass vielfältige Leis-   form mit praktischen Nebenwirkun-
und Ausschnitten der natürlichen und    tungsbeziehungen das empirische           gen, sind eine relativ neue Folgefolge
sozialen Umwelt der Wissenschaft        Weltwissen und dessen Vorhersa-           des Wissenschaftssystems. Sieht
eine durchaus dynamische Menge          gekraft beständig steigern.               man von einigen wenigen Vorläufern
an abgegrenzten wissenschaftlichen                                                ab (z. B. Lind, 1753; Gould, 1898;
Subsystemen ausweist. Mit der so-       Die Standortvorteile, die das selbst-     Pearson, 1904; Leitch, 1959), dann
zialen Struktur entwickeln sich auch    produzierte Wissen der Erfahrungs-        ist die Methode bis zum Ende der

                                                                                                         2021(1) | 11
Hauptbeiträge

1960er Jahre eine eher randständige        Synthese, Meta-Ethnographie).           Derartige Selektivitäten sind kein
wissenschaftliche Praxis, gewinnt in       Literaturverwaltungsprogramme           Mangel wissenschaftlicher Praktiken,
der Folge allerdings rasch an Bedeu-       und Software zur Durchführung           sondern ein ganz normales Phäno-
tung (Ioannidis, 2016). Die Evolution      von Metaanalysen vereinfachen           men, das durch die Kontingenz mo-
kann in drei Phasen nachgezeichnet         den Reviewprozess technologisch.        derner Interdependenzen bedingt ist.
werden, in denen sich die Umweltbe-      » Seit der Jahrtausendwende diffe-        Im Kontext systematischer Literatur-
züge, Methoden, Organisationsstruk-        renzieren sich die Umweltbezüge         übersichten werden die notwendigen
turen und Technologien schrittweise        und die Review-Methoden dann            Grenzziehungen jedoch zum einen
verstetigen und ausdifferenzieren          fortlaufend aus. Der Wandel von         durch den Anspruch der Vollstän-
(Hong & Pluye, 2018):                      der Industrie- zur Wissensgesell-       digkeit und zum anderen durch die
                                           schaft und die politisch forcierte      Linearität der Methodik verdeckt. Für
» Ende der 1960er Jahre sorgt der          lebensweltliche Dissemination wis-      einen selbst-bewussten Umgang mit
  politische Wandel, v. a. gesund-         senschaftlicher Ergebnisse sorgen       derartigen Verfahren ist es nötig, die
  heits- und bildungspolitische            für eine Integration von systema-       mitlaufenden Prämissen sichtbar
  Strategien evidenzbasiert zu ge-         tisch geordnetem Erfahrungswis-         zu machen, was wir für zwei unter-
  stalten, für einen massiven Ent-         sen bis zur individuellen Ebene.        schiedliche Arbeitsweisen der em-
  wicklungsschub für systematische         Zusätzlich vergrößert sich das          pirischen Sozialforschung und ihrer
  Übersichtsarbeiten (Light & Smith,       Portfolio an Review-Methoden.           Integration in systematische Litera-
  1971) und stimuliert die ersten          Die exponentielle Steigerung der        turübersichten exemplarisch andeu-
  Anfänge einer Review-Methode,            wissenschaftlichen Publikationen        ten wollen. Damit beschränken wir
  die quantitative Effekte von Inter-      sorgt für einen orientierenden und      unsere Grenzanalyse auf solche The-
  ventionen systematisch zusam-            zeitlich angepassten Bedarf (z. B.      men, die zunächst für die (in einem
  menfasst (Systematic Reviews).           Scoping Reviews, Reviews of Sys-        weiten Sinne) sozialwissenschaft-
  Innerhalb der empirischen Wis-           tematic Reviews, Rapid Reviews)         lichen Arbeitsfelder der Sportwis-
  senschaften setzen sich zudem            und die Entwicklung von Tech-           senschaft von Relevanz sind (z. B.
  randomisierte kontrollierte Studi-       nologien, die den Reviewprozess         innerhalb der Sportsoziologie, der
  en (RCTs) als Goldstandard durch         teilweise automatisieren. Komple-       Sportpädagogik, der Sportpsycholo-
  und regen die Entwicklung von            xe Fragestellungen führen zur Ent-      gie, der Sportökonomie). Die folgen-
  metaanalytischen Aggregations-           wicklung von Mixed-Method Re-           den Überlegungen erfolgen selbst
  verfahren für Interventionseffekte       views (z. B. Integrative Reviews,       nicht durch einen ‚Blick von nirgend-
  an (Glass, 1976). Die computerge-        Realist Reviews, Metanarrative-         wo‘ (Thomas Nagel), sondern haben
  stützte Erfassung von bibliografi-       Reviews).                               ihren Ort in einer spezifischen Kons-
  schen Indizes erleichtert die Zu-                                                tellation wissenschaftlicher Kommu-
  gänglichkeit zu den Studien.           Die fortlaufende Verbreitung und          nikationen. Dieser Ort ist das bereits
» Ab den 1990er Jahren etabliert sich    Ausdifferenzierung systematischer         angesprochene Interesse an einer re-
  die Orientierung an wissenschaftli-    Literaturübersichten hat einen Impact     flexiven Sportwissenschaft, die sich
  chem Erfahrungswissen nach und         auf die Gestalt moderner (Sport-)         gegen eine Reduzierung der Sport-
  nach als Qualitätsmerkmal für pro-     Wissenschaft, der eine Kritik im Sin-     wissenschaft auf eine angewandte
  fessionelles Entscheiden und Han-      ne einer Analyse von Grenzen jener        Sportwissenschaft positioniert. Im
  deln, z. B. von Klinikpersonal, in     Praxis verlangt. Dieses Anliegen ist      Sinne von Michel Foucault sind sol-
  Unternehmen oder von Lehrkräf-         im Kontext einer reflexiven Sportwis-     che Konstellationen ein Beispiel für
  ten. Organisationen und internatio-    senschaft verortet, für die eine Refle-   Macht-Wissens-Komplexe, in de-
  nale Netzwerke profilieren sich, um    xion von Grundannahmen und Be-            nen immer nur bestimmte Aussagen
  die evidenzbasierten Politik- und      dingungen sportwissenschaftlichen         möglich sind, die wiederum spezifi-
  Berufspraktiken mit Systematic         Wissens zu den zentralen Facetten         sche Wahrheiten produzieren. Das
  Reviews zu versorgen und das           moderner Sportwissenschaft gehört         heißt, dass weder systematische Li-
  methodische Inventar zu verbes-        (Schürmann & Körner, 2014). Wir ge-       teraturübersichten noch ihre kritische
  sern (z. B. Cochrane Collaborati-      hen in diesem Sinne davon aus, dass       Reflexion ‚kostenlos‘ zu haben sind.
  on, 1993; Campbell Collaboration,      schon die implizite Parteinahme für
  2000). Erste Guidelines und Critical   die Ordnung empirischen Wissens           Quantitative Sozialforschung
  Appraisal Tools für Systematic Re-     Ausdruck sowohl einer spezifischen
  views werden entwickelt und stan-      Problemstellung („Wie ist Ordnung         Innerhalb der empirischen Sozial-
  dardisieren den Review-Prozess         möglich?“) als auch eines spezifi-        forschung hat sich ein Forschungs-
  für quantitative Interventionseffek-   schen Verständnisses des Empiri-          paradigma ausdifferenziert, das
  te (Moher et al., 1995). Methoden      schen („Was ist evident der Fall?“)       typischerweise als quantitative So-
  zur systematischen Zusammen-           ist, das andere Möglichkeiten des         zialforschung bezeichnet wird. Im
  fassung von qualitativen Studien       Umgangs mit wissenschaftlichen            weitesten Sinne geht es dieser For-
  werden entwickelt (z. B. Meta-         Erkenntnissen ausschließt.                schung darum, die empirische Struk-

12 |		          2021(1)
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