Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken

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Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
4•2022
                      DAS MAGAZIN
                      DER AWO BAYERN
                      76. Jahrgang des „Helfer“

Wege aus der Armut.
Hilfe, die ankommt.
                      DIE AWO IN
                      UNTERFRANKEN
                      Sparkurs trifft
                      Wohlfahrt
                      Wie der Bezirksverband
                      für Benachteiligte kämpft.

                      Inklusives
                      Bogenschießen
                      Große Freude über einen
                      Gewinn in jeder Hinsicht.
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
WIR IN BAYERN                                         WIR – DIE AWO IN UNTERFRANKEN
Aus der AWO                                       3   Editorial                                  11
Ausgezeichnetes Engagement + Migrations­              Sparkurs trifft Wohlfahrt                  14
beratung vor Einschnitten bewahrt + Aktuelles         AWO Leben                                  17
aus dem Demokratieprojekt und der LAG Mali
                                                      Bezirksjugendwerk                         20
Unser Thema: Wege aus der Armut                   6   AWO Impulse                                23
Armut ist nicht selbstverschuldet + Gespräch          Menschen                                  26
­Nicole Schley mit Erich Fenninger: „Wir lachen
                                                      Service                                   29
 wieder mehr.“ + Hilfe, die ankommt
                                                      Kreuzworträtsel                           34

Liebe Leser*innen, liebe Freund*innen der AWO,

ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu. Ein Jahr voller Entwicklungen, die auf­
wühlend und mit Schwierigkeiten verbunden waren. Der schreckliche Angriffskrieg in
unmittelbarer Nachbarschaft hat in erster Linie Auswirkungen auf das Leben der Men-­
schen in der Ukraine. Aber auch auf unseren Alltag wirkt er sich indirekt aus. Die Inflation,
insbesondere die massiv steigenden Energiekosten, trifft uns alle. Wie weit sich die
Preisspirale weiterdreht, ist noch nicht absehbar.

In Österreich wird davon ausgegangen, dass infolge der Inflation rund 30 Prozent der
Bevölkerung in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten wird. Davon hat Erich
Fenninger, Geschäftsführer unserer Schwesterorganisation Volkshilfe, im Gespräch mit
Nicole berichtet. Gerade zum Thema Kinderarmut hat Erich eine Menge zu sagen, wie Ihr in
diesem Heft nachlesen könnt. Armut ist auch im reichen Bayern ein drängendes Problem.
Welche Gruppen besonders betroffen sind, welche Ursachen und Lösungsansätze diskutiert
werden, könnt Ihr in unserem diesmaligen Schwerpunkt erfahren. Außerdem berichten wir
darüber, wie die Arbeiterwohlfahrt Menschen in finanziellen Schwierigkeiten konkret hilft.
Wir sind sicher: Es gibt Wege aus der Armut. Wir müssen sie nur mutig gemeinsam beschreiten.

Wir wünschen eine interessante Lektüre und wünschen Euch einen entspannten und
glücklichen Jahresausklang. Wir hören, lesen und sehen uns 2023 wieder!

Herzliche Grüße

Nicole Schley                                                                     Stefan Wolfshörndl
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
Ausgezeichnetes Engagement
Auch die bayerische Sozialministerin weiß das Engagement
der AWO zu schätzen. Gleich zwei Auszeichnungen verlieh
sie an Ehren- und Hauptamtliche aus unseren Reihen.

Bayerischer Generationenpreis für die
AWO Zirndorf-Weiherhof
Über den Bayerischen Generationenpreis „Gemeinsam

                                                                                                                                                                          AUS DER AWO
aktiv“ darf sich die AWO im mittelfränkischen Zirndorf-
Weiherhof freuen. Ein gemeinsam von AWO-Mitgliedern

                                                                 Fotos: Nicole Ansorge, StMAS
und Kita-Kindern erbautes Hochbeet im neuen Bürger-
garten „Kraut und Rüben“ war eines von insgesamt
14 ausgewählten Projekten. Besonders beeindruckt hat
Ortsvereins-Vorsitzende Heidi Übler, wie gut sich Alt und
Jung ergänzt haben. Sie erhielt gemeinsam mit Nicole
Ansorge von der Kita Sonnenschein stellvertretend für
alle Beteiligten den mit 4.000 Euro dotierten Preis von
Sozialministerin Ulrike Scharf.                                                                 Verdiente Auszeichnungen: Der Generationenpreis
                                                                                                ging an die AWO Zirndorf-Weiherhof für das von Jung
Bayerischer Ehrenamtsnachweis für Birgit Lenuweit,                                              und Alt gemeinsam erbaute Hochbeet. Birigt Lenuweit
AWO Buchloe                                                                                     (Mitte) erhielt von Sozialministerin Ulrike Scharf
14 Engagierte waren es auch, die dieses Jahr den                                                (2. v.r.) den Ehrenamtsnachweis. Mit ihr freuen sich
Bayerischen Ehrenamtsnachweis erhielten, aus Reihen der                                         AWO-Co-Landesvorsitzende Nicole Schley, Ehrenamts-
AWO die Schwäbin Birgit Lenuweit. Ausgezeichnet wurde                                           beauftragte Eva Gottstein (v.r.) und Petra Fischer,
ihr ehrenamtlicher Einsatz für die Teilhabe aller Menschen                                      Vizepräsidentin der AWO Schwaben (l.).
am gesellschaftlichen Leben und Bildungsgerechtigkeit für
Kinder. Unter dem Motto „Verschenken statt Wegwerfen“
organisiert sie den Schenktag der AWO Buchloe mit und
ist außerdem in der Jury des KiMut-Hilfsfonds des AWO-                                                          Besser kommunizieren
Kreisverbandes Kaufbeuren-Ostallgäu aktiv (siehe auch
Bericht auf Seite 10).                                                                                          Haupt- und Ehrenamtliche aus der AWO bes-
                                                                                                                ser miteinander vernetzen, Neuigkeiten, Ma-
Verleihung durch Sozialministerin und                                                                           terialien und weitere Informationen aus dem
AWO-Co-Landesvorsitzende                                                                                        Landesverband schnell und transparent zur
Die Ehrenamtsnachweise verlieh die bayerische Sozialminis-                                                      Verfügung stellen – das sind die Ziele, die der
terin gemeinsam mit der AWO-Co-Landesvorsitzenden                                                               AWO Landesverband mit seiner neuen digita-
Nicole Schley in ihrer derzeitigen Funktion als Vorsitzende                                                     len Kommunikations- und Wissensplattform
der Freien Wohlfahrtspflege Bayern. In ihrem Grußwort                                                           verfolgt. Die Einführung von Intracommunity
würdigte Schley die Ehrenamtlichen für ihren Einsatz, mit                                                       ist der erste Baustein in unserem Vorhaben,
dem sie ein eindrucksvolles Zeichen gegen einen aktuellen                                                       die Öffentlichkeitsarbeit neu auszurichten (siehe
Trend setzten: „Wir sehen leider immer mehr Egoismus in                                                         WIR 2/2022). Ulrike Hänsch ist für alle Fragen
unserer Gesellschaft. Ihnen aber geht es nicht in erster Linie                                                  rund um das Tool zuständig und wird nach und
um sich selbst. Sondern sie helfen mit Ihrem Engagement                                                         nach die gesamte bayerische AWO auf die neue
anderen Menschen.“                                                                                              Plattform einladen, beginnend mit mehreren
                                                                                                                Gremien und Arbeitsgruppen. Die Kommunika-
                                                                                                                tionsmanagerin war zuletzt für die interne
                                                                                                                Kommunikation einer großen Bank zuständig
                                                                                                 Foto: privat

          Ulrike Hänsch ist                                                                                     und stellt nun ihr Wissen der bayerischen AWO
          seit 1.11.2022                                                                                        zur Verfügung: „Ich freue mich darauf, mit Ihnen
          Ansprechpartnerin                                                                                     zusammen dieses moderne und standortunab-
          für digitale Verbands-                                                                                hängige Netzwerk im Verband einzuführen.
          kommunikation beim                                                                                    Es wird unsere Kommunikation und die gemein-
          Landesverband.                                                                                        same Arbeit erheblich erleichtern.“ Herzlich
                                                                                                                willkommen im Team, liebe Frau Hänsch!

                                                                                                                  Kontakt: ulrike.haensch@awo-bayern.de

                                                                                                                                   WIR • Das Magazin der AWO Bayern   3
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DIE „WIR-REDAKTION“
                          Sie haben Anregungen, Lob oder
                          Kritik? Ihre Anmerkungen zum
                          aktuellen Heft nehmen wir gerne auf.
                          Sie erreichen uns hier:
AUS DER AWO

                          Arbeiterwohlfahrt
                                                                          Brandbrief an Abgeordnete:
                          Landesverband Bayern e.V.
                          Edelsbergstraße 10, 80686 München               Migrationsberatung
                                                                          vor Einschnitten bewahrt
????????

                          Telefon 089 546754–0
                          redaktion@awo-bayern.de
                                                                          Das darf getrost zielführende Lobbyarbeit ge-
                                                                          nannt werden: Als die Nachricht kam, dass die
                                                                          Bundesregierung beabsichtigte, die Mittel für
                                                                          die Migrationsberatung für erwachsene Zuwan-
                                                                          derer*innen (MBE) um fast 22 Millionen Euro
                                                                          zu kürzen, hat die AWO-Doppelspitze umgehend
                                                                          reagiert: In einem Brandbrief forderten Nicole
                                                                          Schley und Stefan Wolfshörndl die bayerischen
                                                                          Mitglieder des Haushalts- und Innenausschusses
                                                                          sowie die Landesgruppenchefs der Ampel-Frak­
                                                                          tionen und alle bayerischen AWO-Mitglieder im
                                                                          Bundestag auf, sich gegen die geplante Kürzung
                                                                          einzusetzen. Parallel informierte der Landesver-
              Soziales Netz                                               band die Presse über die Pläne der Bundesregie-
                                                                          rung und die Bedeutung der seit über 60 Jahren
              Bayern legt Forde-                                          tätigen MBE. Dieses konzertierte Vorgehen ge-
              rungskatalog vor                                            paart mit vielen Aktionen der MBE-Träger vor Ort
                                                                          hat Wirkung gezeigt: In einer Sondersitzung hat
              „Sozialen Zusammenhalt organisieren – Chancen-              der Haushaltsauschuss nicht nur die Kürzung
              gerechtigkeit herstellen“: So lautet das vom Sozialen       zurückgenommen, sondern sogar eine Erhöhung
              Netz Bayern (SNB) veröffentlichte Positionspapier, das      von über vier Millionen Euro beschlossen.
              AWO, DGB und VdK gemeinsam vorgestellt haben. Ar-
              mutsbekämpfung, Bildungsreform, Stärkung der Pflege,
              Ausbau der Barrierefreiheit und Vorantreiben der öko-
              logischen Wende bilden thematische Schwerpunkte
              des Textes. Zu den darin erhobenen Forderungen zählen

                                                                                                   10
              eine weitere Energiepreispauschale in Höhe von 500 Euro
              pro Person aus Landes- bzw. Bundesmitteln, finan-
              zielle Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung                           An
              des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung, der Aus-                        Standorten in ganz
              bau des öffentlichen Personennahverkehrs in Stadt und
                                                                                        Bayern bietet die AWO
              Land sowie die flächendeckende Gründung von Pflege-
              stützpunkten in Bayern. Dass eine große Fachkräfte-
                                                                                        Migrationsberatung für
              offensive dringend nötig ist, damit soziale Einrichtungen              erwachsene Zuwander*innen
              wie etwa Kitas nicht massenweise schließen müssen, hat                           (MBE) an.
              AWO-Co-Landesvorsitzender Stefan Wolfshörndl
              im Rahmen einer Pressekonferenz des Bündnisses
              erläutert.

                  Positionspapier unter t1p.de/SNB-Forderungen
                                                                                                                             Icons: Shutterstock.com

              4   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
Foto: LAG Mali
                                                                                                                   AWO l(i)ebt Demokratie
                                                                                                                   Gemeinsam Demokratie stärken 2023:
                                                                                                                   Unser Projekt AWO l(i)ebt Demokratie
                                                                                                                   bietet im Rahmen der digitalen AWO-
                                                                                                                   Demokratiewerkstätten fast wöchent-
                                                                                                                   lich kostenlose Workshops an, zu
                                                                                                                   Themen wie Diskriminierungsformen,
                                                                                                                   Erinnerungskultur und Nachhaltig-

                                                                                                                                                                  AUS DER AWO
                                                                                                                   keit. Außerdem besteht die Möglich-
                                                                                                                   keit, in dem monatlichen Online-
                                                                                                                   Buchclub mitzudiskutieren oder im

                                                                                                                                                                  ????????
                                                                                                                   Demokratiechor in München für die
                                                                                                                   Demokratie zu singen.

                                                                                                                   Wir kommen auch zu Ihnen!
                                                     Das „Getreide-                                                Buchen Sie das Projektteam gerne

Getreidehilfen
                                                     Komitee“ im Dorf                                              auch kostenlos für eine Veranstaltung,
                                                     Kodogoni mit                                                  einen Workshop oder eine Team-Fort-
                                                     1100 Kilogramm                                                bildung direkt bei Ihnen vor Ort! Gerne

für Mali                                             Sorghum.                                                      können wir auch Mitmach-Aktionen,
                                                                                                                   etwa während der „Wochen gegen
                                                                                                                   Rassismus“, oder Seminare zu den
Text: Gudrun Kahl
                                                                                                                   AWO-Werten gemeinsam umsetzen.

Sie sind angekommen – trotz der aktuellen sicherheitspolitischen
Krise: Insgesamt 13,2 Tonnen Getreide, verteilt auf zwölf Dörfer
                                                                                                                   Weitere Projektsäule:
in der Region Kita, konnten malische Frauengruppen Ende Juni                                                       Demokratieberatung
dieses Jahres in Empfang nehmen. Schon wenige Tage nachdem                                                         Das Aktionsbüro Demokratie ist auch
sie die Bestände frei gegeben hatten, waren die Vorräte an Hirse                                                   eine Anlaufstelle für alle AWO-Aktiven
und Mais ausverkauft. Ein Zeichen für den großen Bedarf vor Ort.                                                   bei undemokratischen oder diskrimi-
                                                                                                                   nierenden Vorfällen. Was können Sie
Nach klimabedingt schlechten Ernten und einem rasanten                                                             tun, wenn Sie beispielsweise rassisti-
Anstieg der Getreidepreise hat die LAG Mali mit ihrem Partner                                                      sche Äußerungen von Klient*innen
StopSahel ein Nothilfeprojekt gestartet. Selbst in der Region                                                      oder beim AWO-Stammtisch hören? Für
Kita, einst eine „Kornkammer“ Malis, war die ausreichende                                                          diese „Demokratieberatung“ wurden
Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gefährdet.                                                                     2022 auch sogenannte Demokratie-
                                                                                                                   partner*innen ausgebildet, die Ihnen
Aus diesem Grund wurde beschlossen, die in früheren Jahren                                                         zur Seite stehen können.
aufgebauten Getreidebanken mit zusätzlichen Vorräten aufzu-
stocken. Etwa eine Tonne Getreide, überwiegend von der Sorte                                                         Kontakt sowie Anmeldung für
Sorghum, konnte für jede Frauengruppe der zwölf Dörfer von                                                         den monatlichen Newsletter:
Stop Sahel erfolgreich beschafft werden.                                                                           demokratie@awo-bayern.de
                                                                                                                   www.demokratie.awo.org
   Kontakt und Infos zur LAG Mali e.V.                                                                                   awodemokratie
Landesarbeitsgemeinschaft Bayern Entwicklungshilfe Mali e.V.
Per Mail: lag-mali@web.de oder www.lag-malihilfe.de

   Spendenkonto: VR-Bank Metropolregion Nürnberg eG
                                                                                    Foto: AWO l(i(ebt Demokratie

IBAN: DE65 7606 9559 0003 2590 05

                                        Sie möchten mit AWO l(i)ebt-
                                        Demokratie-Socken ein Zeichen
                                        für Toleranz und gegen Diskri­
                                        minierung in den Alltag tragen?
                                        Schreiben Sie an unser Aktions-
                                        büro Demokratie.

                                                                                                                           WIR • Das Magazin der AWO Bayern   5
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
Armut ist
WEGE AUS DER ARMUT

                     nicht selbst-
                     verschuldet
????????

                     Text: Alexandra Kournioti

                     „Sie ist mein Schlaraffenland“, sagt      Lenk und Hederer zählen zu etwa
                     Christa Lenk und meint die Tafel in       97 Haushalten, die bei der Arzberger
                     Arzberg, Landkreis Wunsiedel. Dort ist    Tafel registriert sind. „Ein Anstieg um
                     die 73-Jährige seit August 2020 Kundin.   35 Prozent in den letzten Monaten –
                     Die gleichaltrige Eleonore Hederer        Tendenz steigend“, rechnet der Kreis-
                     kommt bereits seit vier Jahren sams-      vorsitzende Alexander Wagner vor.         Im Arztmobil des Mainzer Modells
                     tags in die Räume der Arbeiterwohl-       Und das in einem Einzugsgebiet von        werden Patient*innen behandelt,
                     fahrt und erhält gegen 1,50 Euro          vergleichsweise geringen 11.000           die sich sonst keinen Arztbesuch
                     Backwaren, Obst, Gemüse & Co. Ohne        Einwohner*innen. Sämtliche Alters-        leisten könnten.
                     die gespendeten Artikel kämen beide       gruppen und Lebenslagen sind vertre-
                     mit ihrer geringen Rente nicht über       ten. Alleinlebende ebenso wie Allein-
                     die Runden. Wer zur Arzberger Tafel       erziehende und Familien mit Kindern,      überein: Krankheit, Erwerbslosigkeit,
                     kommt, hat ein Einkommen von              Menschen mit und ohne Migrations-         Tod von Partner*in, Trennung, Schei-
                     maximal 850 Euro monatlich.               hintergrund, mit und ohne Arbeit.         dung, Schulden, niedrige Löhne, hohe
                                                               Häufig seien es Personen, die erkran-     Lebenshaltungskosten. Es könnte also
                                                               ken, ihre Arbeit verlieren, in finan-     jede*n treffen. Einigkeit herrscht auch
                                                               zielle Schwierigkeiten geraten. Ein       hierbei: Häufig verfestigt sich Armut
                                                               schwer zu durchbrechender Kreislauf.      über Generationen hinweg. Das wurde
                                                                                                         im Rahmen der AWO-ISS-Langzeit-
                                                               Die Kund*innen der Arzberger Tafel        studie zu Kinder- und Jugendarmut
                                                               bilden einen Querschnitt der Gesell-      festgestellt, die das von der AWO ge-
                                                               schaft und entsprechen den Bevölke-       gründete Frankfurter Institut für Sozial-
                     Kurz erklärt                              rungsgruppen, die im reichen Bayern       arbeit und Sozialpädagogik (ISS)
                                                               als besonders armutsgefährdet gelten:     durchgeführt hat.
                     Armutsgefährdung: Eine Person             Laut Bundesamt für Statistik und nach
                     gilt nach der Definition für EU-          Landesmedian waren im Jahr 2021           Armut macht krank
                     SILC als armutsgefährdet, wenn            19,5 Prozent der über 65-Jährigen,        Ebenfalls bekannt ist, dass Betroffene
                     sie über weniger als 60 Prozent           27,7 Prozent der Familien mit drei        lange zögern, professionelle Unter-
                     des mittleren Einkommens der              oder mehr Kindern, 38,5 Prozent der       stützung anzunehmen: „Viele Men-
                     Gesamtbevölkerung verfügt                 Alleinerziehenden und 42,2 Prozent        schen versuchen, die Herausforde-
                     (Armutsgefährdungsschwelle).              der Erwerbslosen betroffen. Insgesamt     rungen zunächst aus eigener Kraft zu
                                                               galten 15,5 Prozent aller im Freistaat    bewältigen beziehungsweise beantra-
                     Landesmedian: Er wird aus dem             lebenden Menschen als armutsge-           gen staatliche Hilfe, nehmen Kredite
                     Median aller durchschnittlichen           fährdet. Dass die Quote in anderen        auf oder leihen sich Geld im privaten
                     Haushaltseinkommen inner-                 Bundesländern höher liegt, täuscht        Umfeld. Erst wenn auch das nicht mehr
                     halb eines Bundeslands errech-            nicht darüber hinweg, dass Armut          möglich ist, suchen manche Menschen
                     net und verwendet, um den                 hierzulande ein ernst zu nehmendes        den Weg in die Schuldnerberatung –
                     Einkommensunterschieden zwi-              Problem ist.                              falls sie das Angebot überhaupt
                     schen den einzelnen Bundes-                                                         kennen“, berichtet Inge Brümmer,
                     ländern Rechnung zu tragen.               Gefragt nach den Ursachen von Armut,      die Leiterin der Schuldnerberatung
                                                               stimmen die Erkenntnisse von For-         von AWO und DGB in der Landes-
                                                               scher*innen und Praktiker*innen           hauptstadt. Die zusätzlichen Belas-
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
kassen, dass sie angeblich nicht mehr     der sozialen Infrastruktur zählen dazu.

                                           Icon: Shutterstock.com, Foto: Andreas Reeg
                                                                                        versichert wären. Es darf nicht zu        Über die Forderungen an den Bund
                                                                                        einer Etablierung einer Art Armuts-       hinaus, fordert der Landesverband vom

                                                                                                                                                                                  WEGE AUS DER ARMUT
                                                                                        medizin kommen. Gesundheitsver-           Freistaat einen Sondertopf für Einrich-
                                                                                        sorgung ist Menschenrecht für alle,       tungen aus dem Bereich Gesundheit,
                                                                                        die in Deutschland leben!“                Pflege und Versorgung. „Das würde
                                                                                                                                  gerade kleineren Trägern von Kinder-
                                                                                        Laut Trabert gibt es in Politik und       gärten und Pflegeheimen helfen“,
                                                                                        Gesellschaft zu viel Unwissenheit über    sagt AWO-Co-Landesvorsitzender
                                                                                        den Zusammenhang zwischen Krank-          Stefan Wolfshörndl.
                                                                                        heit und Armut, beispielsweise dar-

                                                                                                                                                                                  ????????
                                                                                        über, dass arme Menschen durch-           Solange es diese Maßnahmen nicht
                                                                                        schnittlich früher sterben als Men-       gibt, obliegt nicht zuletzt den Wohl-
                                                                                        schen, die nicht arm sind: „Es muss       fahrtsverbänden die Unterstützung
                                                                                        mehr von Akteuren, Betroffenen und        Armutsbetroffener. Die Tafeln sind
                                                                                        Institutionen öffentlich darüber infor-   dabei nicht wegzudenken, auch wenn
                                                                                        miert werden, wie ungerecht unser         Kritiker*innen argumentieren, dass
                                                                                        Gesundheitssystem geworden ist.           durch sie der Staat aus seiner Verant-
                                                                                        Studien des Robert Koch Instituts zei-    wortung entlassen werde. Wagner, der
                                                                                        gen, dass arme Frauen 4,4 Jahre und       Kreisvorsitzende aus Arzberg/Wunsiedel,
tungen durch die Inflation seien bei                                                    arme Männer 8,6 Jahre früher ster-        ist Pragmatiker: „Klar ist es schade,
den meisten ihrer Klient*innen                                                          ben.“ Er fordert, dass alle Menschen      dass es Tafeln geben muss. Gerade
„nur“ ein Problem unter anderen.                                                        in Deutschland krankenversichert          in Zeiten wie diesen müssen die
                                                                                        werden, es keine Eigenbeteiligung         Tafeln aber nicht nur den Geringver-
Ein nach wie vor allgemein unter-                                                       mehr gibt. Neben der Anhebung des         diener*innen, sondern teilweise auch
schätzter Aspekt sind die gesundheit-                                                   Bürgergelds auf 687 Euro pro Monat        der Mittelschicht unter die Arme
lichen Auswirkungen von Armut. Denn                                                     plädiert er für die Einführung unter      greifen.“
Armut macht krank. Oder ist es Krank-                                                   anderem einer Vermögenssteuer und
heit, die arm macht? „Beides bedingt                                                    die Unterstützung von Alleinerzie-        Er und die rund 35 weiteren Ehren-
sich“, lautet die Antwort von Gerhard                                                   henden und Familien.                      amtlichen der Tafel haben ohnehin
Trabert, seit 2009 Professor für Sozial-                                                                                          andere, akute Sorgen: In letzter Zeit
medizin und Sozialpsychiatrie an der                                                    Trockenware ist Mangelware                werde weniger Trockenware wie Kon-
Hochschule RheinMain in Wiesbaden.                                                      So bekannt wie die Ursachen von           serven, Nudeln und Reis gespendet.
                                                                                        Armut sind, so bekannt sind nämlich       Wagner: „Drogerieartikel sind schon
Trabert hat in Mainz den Verein „Armut                                                  auch die Maßnahmen zu ihrer Be-           immer Mangelware gewesen.“ Die
und Gesundheit“, der wie die AWO                                                        kämpfung, die von sozialen Akteuren       Beschaffung sei Inzwischen generell
Mitglied in der Nationalen Armuts-                                                      teilweise seit Jahrzehnten aufgezeigt     schwieriger. Priorität bleibe, dass
konferenz (nak) ist, gegründet. Dieser                                                  werden. Dazu zählen die der AWO in        keine Person „leer“ heimgehen muss.
gilt als vorbildlich deutschlandweit,                                                   Bayern: Die sofortige Einführung einer    Wagner: „Das haben wir bislang
das Mainzer Modell ist ein Begriff. Seit                                                Kindergrundsicherung, ein Moratorium      geschafft und das wollen wir auch
Jahrzehnten leisten die dort Engagier-                                                  für Gas- und Stromsperren, Stärkung       in Zukunft schaffen.“
ten proaktive Armutsbekämpfung. Zu
den Angeboten zählt die Ambulanz
ohne Grenzen, in der Menschen, die
keine Krankenversicherung haben,
oder die sich medizinisch notwendige                                                            Immer samstags
Zuzahlungen nicht leisten können,                                                               öffnet die Arzberger
kostenlos behandelt werden. Und                                                                 Tafel für ihre
es gibt das Arztmobil, eine rollende                                                            Kund*innen.
Praxis, mit der der Mediziner und sein
Team gezielt wohnungslose Menschen
aufsuchen und behandeln. Trabert:
„Bei uns nehmen die Zahlen zu.
Immer mehr Menschen sind nicht
krankenversichert oder bekommen
falsche Information von Kranken-
                                                                                                                                                                    Foto: Stefanie Wagner

                                                                                                                                          WIR • Das Magazin der AWO Bayern   7
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
INTERVIEW                                                                            Ihr habt dieses tolle Pilotprojekt
                                                                                                            gestartet, das die Wirksamkeit der

                       Modellprojekt                                                                        Kindergrundsicherung untersucht.
               ARMUT

                                                                                                            Wir diskutieren in Deutschland ja
            CORONA

                                                                                                            auch gerade die Kindergrundsiche-

                       Kindergrundsicherung                                                                 rung. Kannst Du uns kurz zusammen-
                                                                                                            fassen, was die tatsächlich ausbe-
       AUS DER

                       „Wir lachen wieder
                                                                                                            zahlte Kindergrundsicherung mit
                                                                                                            den Kindern, mit den Pilot-Familien
ZWEI JAHRE

                                                                                                            gemacht hat?

                       mehr!“
                                                                                                            Die Kinder, die in Armut aufwachsen,
????????

                                                                                                            lernen mit und in der Armut zu
WEGE

                                                                                                            leben. Und sie lernen, dass sie die
                       Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger                                           Armut vermutlich nie abschütteln
                       im Gespräch mit Nicole Schley                                                        können als Erwachsene. Unser Pro-
                                                                                                            jekt hat einiges an neuen Befunden
                                                                                                            erbracht. Neu ist, dass es sich um
                       Lieber Erich Fenninger, Du bist Ge-        Du hast mich tatsächlich auch inspi-      temporäre absolute Armut handelt.
                       schäftsführer der Volkshilfe Österreich.   riert mit Eurem Projekt, in dem Ihr die   Ende des Monats werden die Ver-
                       Seit Jahrzehnten sind wir als AWO          Kindergrundsicherung mal berechnet        hältnisse absolut arm. Die Kinder
                       freundschaftlich mit Euch und mit Dir      und geschaut habt, was ein Kind im        sprechen von einer „Toastbrotzeit“,
                       persönlich verbunden. Heute möchte         Monat eigentlich braucht. Und dann        weil sie an den letzten Tagen des
                       ich mit Dir über Kinderarmut im Beson-     dachte ich: Auf dieser Basis muss         Monats nur noch das vergleichsweise
                       deren reden. Warum bewegt Dich das         es doch in einer Gesellschaft wie der     günstige Toastbrot essen, es also
                       Thema so sehr? Was treibt Dich an?         unseren machbar sein, Kinderarmut         eine Unterversorgung gibt. Die Klei-
                       Ein entscheidender Punkt war, dass         abzuschaffen. In Bayern sind nach den     dung ist mangelhaft, die Wohnver-
                       ich in der Kinder- und Jugendhilfe         aktuellen Statistiken rund 17 Prozent     hältnisse sind wirklich extrem, das
                       sehr viele Menschen begleitet habe,        der Kinder und Jugendlichen von Ar-       Bett ist kaputt, der Lattenrost hängt
                       aber das Thema Armut kaum aus-             mut bedroht. Und wie Du schon sagst,      durch. Extrem ist auch die Monotonie,
                       gesprochen wurde, obwohl es die            sie haben schlechtere Chancen auf         die Glücklosigkeit bei den Kindern,
                       Quelle der meisten Probleme war. Ich       Bildung, auf gesunde Ernährung und        die sie auch so artikulieren. Die hohe
                       habe mich stark mit der Armutsfor-         ein langes Leben. Hast Du Zahlen aus      Belastung durch Sorgen, was bei
                       schung auseinandergesetzt und die          Österreich für uns, wie die Situation     allen Kindern gesundheitliche Proble-
                       Armutsbekämpfung ist eine Urmission        bei Euch ist?                             me auslöst. Kopfschmerzen, Übel-
                       der Volkshilfe. Wir haben den Leit-        Die letzte Messung von Anfang des         keit, Bauchschmerzen, Bronchitis
                       satz „Benachteiligungen beseitigen –       Jahres hat eine Zahl von 368.000          und vieles mehr. Und natürlich die
                       gelingendes Leben ermöglichen“.            Kindern und Jugendlichen ergeben,         Isolation. Die Eltern sind alle isoliert,
                       In der Kindheit wird der Grundstein        die in Österreich von Armut betrof-       haben keine Freunde. In der Schule
                       für vieles gelegt. Da habe ich eini-       fen sind. Das sind rund 23 Prozent,       erleben diese Kinder oft Abwertung,
                       ges von der AWO gelernt, von Eurer         fast jedes vierte Kind. Vor zwei          können an vielem nicht teilnehmen,
                       Forschung, insbesondere der Lang-          Jahren waren es noch 18 Prozent.          haben hohe Fehlzeiten durch die
                       zeitstudie zu Kinderarmut, wo empi-        Wir glauben zu wissen, dass der           Erkrankungen.
                       risch so deutlich zu Tage tritt, dass      Wert heuer noch ansteigen wird
                       ein Aufwachsen in Armut mit aller-         aufgrund der hohen Inflation. Öko-        Wir haben die Kinder vierteljährlich
                       größter Wahrscheinlichkeit zu einer        nomen gehen davon aus, dass 30            besucht. Als sie wussten, dass sie
                       prekären Erwachsenensituation führt.       Prozent der Menschen in Österreich        eine Kindergrundsicherung bekom-
                       Viele beziehen Hartz 4, sind arbeits-      von dieser finanziellen Krise stark       men, war es nicht so, dass sie Wün-
                       los, haben brüchige Lebensläufe.           betroffen sind. Das geht bis in die       sche ausgesprochen hätten. Denn
                                                                  Mittelschicht hinein. Die Regierung       das haben sie nie gelernt. Im Verlauf
                       Ich glaube, dass sich die Sozialarbeit     hat zwar bereits einiges gemacht.         wächst die Sicherheit. Sie sehen, es
                       viel stärker mit den Auswirkungen          Kritik daran ist aber, dass sie das       ist am Ende des Monats ausreichend
                       prekärer Lebensverhältnisse ausein-        Geld im Wesentlichen nach dem Gieß-       Geld vorhanden, sie bekommen
                       andersetzen muss. Ich möchte nicht         kannenprinzip verteilt. Die Maß-          genug Essen und die Wohnung ist
                       in einer Gesellschaft leben, die andere    nahmen sind kurzfristig eine Hilfe,       gesichert. Sie beginnen, dabei zu
                       massiv benachteiligt und solche            werden aber nicht nachhaltig              sein. Sie können sich plötzlich
                       Ungleichheiten produziert.                 wirken.                                   einmal in der Woche vor der Schule

                       8   WIR • Das Magazin der AWO Bayern                                                                        Foto: Christopher Glanzl
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
ein Kipferl holen wie andere Kinder     Sehr spannend, Erich. Denn ich hatte          Kurz erklärt:
auch. Oder sie können ins Schwimm-      mich auch schon gefragt, was es mit           Kindergrundsicherung
bad gehen und dort mit anderen          den Eltern macht, dass die Kinder plötz-

                                                                                                                                  WEGE AUS DER ARMUT
Kindern spielen. Was vorher alles       lich teilhaben können am Leben. Die           Die Kindergrundsicherung soll das
nicht möglich war. Sie trauen sich,     Kindergrundsicherung, ist das der Weg?        Wirrwarr an familienpolitischen
Interessen auszusprechen, dass sie      Generell ja, als zentrales Element,           Leistungen beenden. Sie setzt beim
vielleicht in irgendeinen Verein oder   aber natürlich gibt es noch mehr.             einzelnen Kind an: Wieviel Geld
Nachhilfe wollen. Oder ein Gewand       Die Kinder leben nun einmal nicht             ist nötig, um die Grundbedürfnisse
ihrer Wahl bekommen.                    24 Stunden in der Schule, sondern             eines Kindes zu erfüllen?
                                        grundsätzlich zuhause, bei ihren
Der gesundheitliche Befund wird         Eltern. Wenn dort alles brüchig, krank,       Das Bündnis Kindergrundsicherung,
bereits nach wenigen Monaten deut-      isoliert ist und sie dieser Situation         in der auch der AWO Bundesver-
lich besser. Sie haben weniger Fehl-    schutzlos ausgeliefert sind, dann             band Mitglied ist, schlägt eine ein-
zeiten in der Schule und merken         würden nur sachleistungsbezogene              kommensabhängige Leistung vor.
plötzlich, dass sie sich was zu sagen   Lösungen nicht reichen. Ganztags-             Abgeschafft werden sollen steuerli-
trauen. Und sie haben sehr schnell      schule und Gesamtschule sind auch             che Freibeträge, die Besserverdie-
mehr Freunde, weil sie zu Freizeit-     Bausteine, also Pädagogik. Wir müssen         nende bevorzugen. Ein ähnliches
veranstaltungen gehen und bei           dafür sorgen, dass die Kinder durch           Konzept verfolgt auch die Volkshilfe
Schulausflügen dabei sein können.       Teilhabe mehr positive Erfahrungen            für Österreich. Sie hat einen Bedarf
                                        sammeln und selbstbewusster werden.           von 625 Euro pro Kind pro Monat
Das alles hat eine Riesenwirkung        Wenn sich die Lebensvoraussetzungen           berechnet. Jedes Kind soll einen
auf das Wohlbefinden. Sie sagen:        ändern, wird vieles andere möglich.           Sockelbetrag in Höhe von 200 Euro
„Wir lachen wieder mehr.“ Das                                                         erhalten, darüber hinaus wird ein-
bestätigt für mich, dass die Grund-     Mir ist genau vorhin das Wort Selbst-         kommensabhängig ein Betrag von
sicherung ein Weg ist, Kinder wirk-     bewusstsein eingefallen, als Du es            maximal 425 Euro ausgezahlt. Zwei
lich aus der Armutslage ihrer Eltern    angesprochen hast. Diese Kinder, die          Jahre lang hat die Volkshilfe 23
und aus der Isolation zu befreien.      in der Isolation sind, die lernen ja gar      armutsbetroffene Kinder in Öster-
Was ich spannend finde: Die Eltern      nicht, für sich zu kämpfen. Für sich          reich mit einer Kindergrundsiche-
ändern sich auch in der Zeit. Wenn      selbst einzustehen, selbstbewusst zu          rung unterstützt. Die Ergebnisse
man die Kindergrundsicherung aus-       werden. Das, was man im Leben später          sprechen für sich: Es ist möglich,
zahlt, gehen auch oft die Eltern mit    so dringend braucht. Oder auch die            Armut abzuschaffen und den
raus mit den Kindern und treten ein     Verantwortung, die diese Kinder über-         Teufelskreis für armutsbetroffene
bisschen aus der Isolation heraus.      nehmen müssen für ihre Eltern, weil           Kinder zu durchbrechen, wenn
Haben plötzlich selbst mehr Kon-        die nicht in der Lage sind.                   die Politik nur will.
takte. Treffen wieder Leute. Damit      Was mir noch eingefallen ist: Die
habe ich auch nicht gerechnet.          Kinder sind sehr kooperativ mit den              Weiterlesen unter
                                        Eltern. Sie wissen, dass die Familie          kinderarmut-hat-folgen.de und
                                        eine Wirtschaftseinheit ist. Sie ma-          kinderarmut-abschaffen.at
                                        chen auch Vorschläge, zum Beispiel
Erich Fenninger ist seit                wie man noch sparen kann. Das kann
fast 20 Jahren Bundes­                  auch stärken. Aber wie Du sagst, sie
geschäftsführer der öster­-             sind hochgradig belastet, weil sie         übernehmen sollte. Das wird leichter,
rei­chischen Volkshilfe.                Dinge übernehmen müssen, die               wenn die finanzielle Ausstattung
                                        man eigentlich in dem Alter nicht          da ist. Sie sind nach wie vor koope-
                                                                                   rativ, aber sie können mal vorschla-
                                                                                   gen, was für sie als Kind wichtig
                                                                                   wäre. Dort ist dann die Bewegung.
                                            Eines der Schwerpunkt-
                                            themen von AWO-                        Sehr interessant. Ich bin gespannt auf
                                            Co-Landesvorsitzenden                  Deine Projektauswertung, die in Kürze
                                            Nicole Schley ist das                  erscheint. Vielen Dank für das Ge-
                                            Problem der Kinderarmut.               spräch heute und die ersten Einblicke
                                                                                   in die Ergebnisse. Daraus können wir
                                                                                   alle viel lernen.

                                                         Foto: AWO Bayern                  WIR • Das Magazin der AWO Bayern   9
Wege aus der Armut. Hilfe, die ankommt - AWO Unterfranken
Frische Waren wie Gemüse und
                                                                                                                                               Salat zählen zum Sortiment der
                                                                                                                                               Lebensmittelausgabe des AWO-
                                                                                                                                               Ortsvereins Markt Schwaben.
                ARMUT
             ZUKUNFT

                                                                                                                                               Einkommen, besonders in Zeiten
                                                                                                                                               sinkender Reallöhne und Zeitverträ-
         HATDER

                                                                                                                                               gen. Der Weg von der Verschuldung
                                                                                                                                               in die Überschuldung ist kurz.“ Ver-
                                                                                                                                               ständnisvolle und Vertrauen erwe-
????????AUS

                                                                                                                                               ckende Worte sind es, die auf der

                                                                                                              Foto: Tischlein deck dich
                                                                                                                                               Internetseite der Schuldner- und
PFLEGE
WEGE

                                                                                                                                               Insolvenzberatung Roth und Schwa-
                                                                                                                                               bach des Kreisverbands Mittelfranken
                                                                                                                                               Süd zu lesen sind. Genau das ist
                                                                                                                                               essenziell, damit Menschen den Mut
                                                                                                                                               aufbringen, über ihre schwierige
                                                                                                                                               finanzielle Lage zu sprechen und sie

                        Hilfe, die ankommt                                                                                                     anzugehen. Unbürokratisch, vertrau-
                                                                                                                                               lich und – in dieser Situation beson-
                                                                                                                                               ders wichtig – kostenlos beraten die
                        Text: Alexandra Kournioti
                                                                                                                                               vier Fachkräfte Ratsuchende und
                                                                                                                                               verhandeln mit Gläubigern.
                        Über Geld wird nicht geredet, das hat        Weihnachten ist und bleibt ein be-
                        man, weiß der Volksmund. Die Praxis          sonderes Fest, vor allem für Kinder.                                      „Der Bunte AWO Laden“ – diese
                        der Sozialen Arbeit stellt fest, dass die-   Deshalb unterstützt der Ortsverein im                                     Bezeichnung haben die beiden Sozial-
                        jenigen, die über wenig Geld verfügen,       unterfränkischen Ochsenfurt alle Jahre                                    kaufhäuser der AWO in den oberpfäl-
                        ebenfalls nicht gerne darüber reden.         wieder Minderjährige beziehungs-                                          zischen Mitterteich und Kemnath
                        Oft selbst dann nicht, wenn Menschen         weise ihre armutsgefährdeten Familien                                     mehr als verdient. Kleidung, Klein-
                        längst in existentielle Schwierigkeiten      mit einem Geldbetrag. „Das läuft über                                     möbel, Haushaltswaren, Leder-Artikel,
                        geraten sind. In solchen Fällen spricht      die Leitungen in den Kindergärten“,                                       Spielsachen, Bücher, Stoffe, Bett-
                        man von verschämter Armut. Und es ist        erläutert Ortsvorsitzender Peter                                          wäsche – es gibt fast nichts, was es in
                        besonders wichtig, dass diesen Menschen      Honecker die Auswahl der Personen.                                        den beiden Läden nicht gibt. Haupt-
                        schnell, unbürokratisch und vor allem                                                                                  sache, gut erhalten, darauf achten
                        ohne zu stigmatisieren geholfen wird.        Kinderarmut ist ein flächendecken-                                        Sindy Hermann und ihre Kolleg*innen
                                                                     des Phänomen, das auch flächen-                                           vom AWO-Kreisverband Tirschenreuth.
                        Fünf niedrigschwellige Angebote aus          deckend angegangen werden muss.                                           Der Reinerlös der Spenden geht laut
                        Haupt- und Ehrenamt stellen WIR              Im Bereich der AWO Schwaben haben                                         Verband ausschließlich in Kinderer-
                        vor, stellvertretend für zahlreiche          daher bislang der Kreisverband                                            holungsmaßnahmen und -freizeiten.“
                        weitere, die es in der AWO Bayern            Kaufbeuren-Ostallgäu, die AWO
                        gibt, aus jedem AWO-Bezirk eines:            Füssen-Schwangau sowie die AWO
                                                                     Sonthofen einen Hilfsfonds namens                                         Im Sozialkaufhaus des AWO-
                        Fast jede*r kennt das Grimm’sche             "KiMuT Kindern Mut machen" auf-                                           Kreisverbands Tirschenreuth gibt
                        „Tischlein deck dich“. Dieser Mär-           gelegt, um Kindern Bildungsgerech-                                        es fast nichts, was es nicht gibt.
                        chen-Titel steht in Markt Schwaben,          tigkeit und Chancengleichheit zu
                        Forstinning, Anzing, Pastetten, Hohen-       ermöglichen. Sprachkurse, Hausauf-
                        linden und Forstern allerdings für           gabenbetreuung, Teilnahme an
                        eine Lebensmittelausgabe, die aktuell        Klassenfahrten, Musikunterricht
                        von zirka 80 Haushalten aufgesucht           und vieles mehr: Mit individuellen
                        wird. „Das sind 250 Menschen, da-            Angeboten holt KiMut jedes Kind
                        runter leider 120 Kinder und Jugendli-       dort ab, wo es steht.
                                                                                                                         Foto: Sindy Hermann

                        che“, berichtet Ulrike Bittner, Vorsit-
                        zende des Ortsvereins Markt Schwaben,        „Noch nie war es so leicht, sich zu
                        der das oberbayerische Angebot ent-          verschulden. Ratenkäufe, Verbrau-
                        wickelt hat, für das sich 40 ehren-          cherkredite, Mobilfunkverträge –
                        amtliche Helfer*innen engagieren.            schnell übersteigen die Raten das

                        10   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
WIR                                               Inhalt
                                                  12 AWO Leben
IN UNTERFRANKEN                                   Wussten Sie schon, dass … • Karl-Heinz Ebert verlän-
                                                  gert noch einmal • Treff Versbach: Corona-Zwangspause

                                                                                                                      EDITORIAL / INHALT
                                                  gut genutzt
Liebe Leser*innen,
Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise – die
                                                  14 Schwerpunkt-Thema
                                                  Sparkurs trifft Wohlfahrt – Kampf für Benachteiligte
Nachrichtenlage ist ernüchternd. Auch
unserem AWO Bezirksverband macht die
wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen.
Nachzulesen ab Seite 14. Trotzdem: Jam-
mern und den Kopf in den Sand stecken,
bringen nichts. Aktiv gegensteuern schon,
wie sich auf Seite 21 zeigt. In diesem Sinn
berichtet WIR in Unterfranken auf Seite
22 und 23 von Zukunftsinvestitionen und
wegweisenden Entwicklungen. Für Licht-             18
blicke im AWO Alltag sorgen beispielsweise        AWO-Spendenaktion: Alles ist heil in der Ukraine
die erfolgreichen Bogenschützen aus dem           ­angekommen
Haus Sonnenblick oder das Bistro Belvedere
als Szenetreff für die Würzburg Baskets.          17 AWO Leben
Gerne erzählt WIR in der Rubrik „AWO Men-         Kreisverband Aschaffenburg neu aufgestellt • Stadt­
                                                  verband Würzburg: Zirkus für Alt und Jung • Ukraine
schen“ kleine Geschichten über langjährig
                                                  Herzensprojekt • KV Miltenberg: Integrative Waldfreizeit
engagierte und erstaunliche Menschen.
Welch ansteckende Wirkung Begeisterung
                                                  21 AWO Impulse
haben kann, erleben gerade die von Na-
                                                  AWO Macht Politik • Tagespflege Buchbrunn nimmt Be-
talia Schröder beauftragten Werbe-Teams:          trieb auf • Joki-Haus: Neubau eröffnet • Würzburg Bas-
Wir freuen uns über mehr als 100 neue             kets im Bistro Belvedere • Sieger im Haus Sonnenblick •
AWOianer*innen: Herzlich willkommen!              Neuigkeiten aus dem Jugendwerk
Allen AWO-Mitgliedern, egal ob gefühlt
ewig dabei oder eben erst hinzugekom-
men, wünscht die Redaktion erholsame
Festtage, gefüllt mit freudigen Momenten,
einen guten Abschluss des Jahres und uns
allen einen hoffentlich verheißungsvollen
Start ins Jahr 2023.
Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe
                der WIR: 10. Januar 2023.          23
                                                  Ulrike Schürger folgt auf Franz Bernitzky
                  Herzlichst, Ihre
                    Traudl Baumeister
                      Redakteurin
                                                  26 Menschen
                                                  Glückwünsche an Margarete Herold und Ingrid Kaiser •
                                                  Jubilare und Geehrte • Wahlen in Ochsenfurt und
                        Kontakt:
                                                  ­Karlstadt
                         0931 29938247
                          ­(Montag bis Freitag,
                           10–16 Uhr)
                                                  29 Service
                        E-Mail: redaktion@        Beweglich bleiben durch Tanzen • Gewinnspiel •
                      awo-unterfranken.de         ­Mitgliederwerbung • Rechtstipp

                                                                              WIR • Das Magazin der AWO Bayern   11
Wussten Sie schon, dass ...
                                                                                             … der Ortsverein Alzenau im August
                                                                                             als Ferienaktion eine Mal­aktion für
                                                                                             Kinder von sechs bis zwölf Jahren
                                                                                             angeboten hatte? Unterteilt in drei
                                                                                             Altersgruppen hatten diese drei
AWO LEBEN

                                                                                             Stunden Zeit, um ihre Ideen zum
                                                                                             Thema „Besuch im Zoo“ mit Farbe
                                                                                             auf die in Keilrahmen gespannte
                                                                                             Leinwände zu bringen. Nach der
                                                                                             Prämierung der Ergebnisse nah-
                                                                                             men alle nicht nur ihr Bild, sondern
            Inge Erbacher, AWO Vorsitzende, und Alzenaus Bürgermeister Stefan Noll           auch den Preis dafür stolz mit nach
            freuten sich mit den Kindern über die fertigen Kunstwerke. Foto: AWO             Hause.

                                                     … dass Mieter*innen aus dem Ser-
                                                     vice-Wohnen im Marie-Juchacz-
                                                     Haus in Würzburg beim diesjährigen
                                                     Kiliani-Volksfest ein ganz besonderes
                                                     Erlebnis hatten? Neben dem Besuch
                                                     des Festzeltes, mit leckerem Essen
                                                     und guter Musik, war für sie die Hin-
                                                     und Rückfahrt mit der Rikscha das
                                                     Highlight des Tages. Das Gefühl von     Foto: Werner Köhler
                                                     Freiheit, Teilhabe und Mobilität und
                                                                                             … auf die Kinder beim Hüttendorf
                                                     das Mehr an Lebensqualität sollen
                                                                                             oder – besser zum Motto passend –
                                                     jetzt zur Gewohnheit werden. Aylin
                                                                                             beim diesjährigen Dschungelcamp
                                                     Fiala, Organisatorin des einzigar-
                                                                                             am Jesuitensee in Estenfeld wieder
                                                     ten Services, plant künftig einmal
                                                                                             eine fröhliche Eiszeit wartete? Bei
                                                     wöchentlich eine Rikscha für kleine
                                                                                             37° Grad war das vom Ortsverein
                                                     Ausflüge zur Verfügung zu stellen.
                                                                                             Estenfeld gespendete Eis bei den
                                                     Einrichtungsleiter Raimund Binder
                                                                                             Kindern wie den Betreuenden sehr
                                                     freut sich darüber und bedankt sich
                                                                                             willkommen. Wie immer brachten
                                                     vor allem bei den Ehrenamtlichen
                                                                                             der OV-Vorsitzende Werner Köhler
                                                     vom Mehrgenerationen-Haus, die
                                                                                             und sein Team die eiskalte süße
                                                     den Fahrdienst übernehmen.
                                                                                             Überraschung persönlich vorbei.

                                                             … der OV Alzenau keine
                                                             zwei Stunden brauchte,
                                                             um alle Notfalldosen un-
                                                             ters Volk zu bringen, die
                                                             Reiner Krzyzak-Zeller, Inge
                                                                                                                                    Foto: Klee

                                                             Erbacher und Claudia Ben-
                                                             sing bei der kostenlosen
                                                             Verteilaktion dabei hatten.
                                                                                             … das Marie-Juchacz-Haus sich
                                                             Dass die Interessenten
                                                                                             über ein neues Kleinod im Garten
                                                             zuvor über die Wichtigkeit
                                                                                             freuen kann? Renate Kleinhans, Vor-
                                                             und den korrekten Ein-
                 Verschenkten zwei Stunden lang Notfalldosen satz der möglicherweise         sitzende des Fördervereins und Pfle-
                 (von links): Claudia Bensing, Inge Erbacher                                 gedienstleiterin Michaela Rzegotta
                                                             lebensrettenden Dosen in-
                 und Reiner Krzyzak-Zeller, OV Alzenau.                                      saßen unter dem Rosenbogen Probe.
                                                             formiert wurden, versteht
                 Foto: AWO                                                                   Mit 1500 Euro hat der Förderverein
                                                             sich von selbst.
                                                                                             die Anschaffung unterstützt.

            12    WIR • Das Magazin der AWO Bayern
OV Lohr

Karl-Heinz Ebert verlängert noch einmal
Eigentlich hatte Karl-Heinz Ebert
2012 den Vorsitz der AWO Lohr über-
nommen mit dem Ziel nach zwei
Amtszeiten (von jeweils vier Jahren)

                                                                                                                                                       AWO LEBEN
aufzuhören. 2020 allerdings, mitten in
der Pandemie, entschloss er sich, den
Umständen gemäß noch weitere zwei
Jahre dranzuhängen. Jetzt macht der
mittlerweile 80-Jährige noch einmal
weiter: Mangels anderer Kandidaten        Der Vorstand der AWO Lohr, hinten von links: Gaetano Totta, Karl-Heinz
stellte er sich für eine Übergangszeit    Ebert und Bernd Reimer. Vorne von links: Daniela Bätz, Rosi Danguillier,
noch einmal zur Wahl.                     ­Renate Ebert, Renate Ries, Annemarie Weißenberger und Heinz Schwaiger;
Weil allerdings in der nächsten Zeit       es fehlt: Marc Nötscher. Foto: AWO Lohr
mit der Erneuerung und Erweite-
                                          führerin Renate Ries und die Beisit-                          Gisela und Dieter Halbig, bisher für
rung der AWO Begegnungsstätte für
                                          zer Renate Ebert, Bernd Reimer und                            die Seniorenarbeit zuständig. Josef
Jung und Alt einiges an Arbeit auf
                                          Annemie Weißenberger. Neu zum                                 Habermann übernimmt hier. Um die
die AWO Lohr zukommt, hat der OV
                                          Beisitzer gewählt wurde Marc Nöt-                             künftigen Vorhaben zu stemmen, so
seine Führungsspitze zumindest
                                          scher. Revisorinnen sind Karin Fröba                          Ebert, brauche man dringend mehr
breiter aufgestellt. Eberth und sei-
                                          und Christa Neusinger.                                        Mitglieder, mehr Spenden und mehr
nen bisherigen Stellvertreter Heinz
                                                                                                        Helfer – sowie gute Zusammenarbeit
Schwaiger unterstützen als weitere        Mit Dankesworten aus dem Ehren-
                                                                                                        mit Stiftungen und Förderern. Die
Stellvertreter jetzt noch Daniela         amt entlassen wurden die bisherigen
                                                                                                        eigenen Mittel samt Rückstellungen
Bätz (Waldzell) und Gaetano Totta.        Vorstandsmitglieder Ruth Steger,
                                                                                                        reichen für einen Neubau der mehr
Im Amt bestätigt haben die stimm-         Inge Bonfig und Birgit Penz. Abgelöst
                                                                                                        als 60 Jahre alten Gebäude bei wei-
berechtigten Mitglieder außerdem          wurde Hausmeister Andrea Mein-
                                                                                                        tem nicht, machte er deutlich.
Kassiererin Rosi Danguillier, Schrift-    hard – durch Klaus Hornung – sowie

AWO Treff Versbach

Corona-Zwangspause gut genutzt
                                                                                      und finanzierte neue Vorhänge und Raffrollos. Gerade
                                                                                      Letztere haben sich angesichts der hohen Temperaturen
                                                                                      im Sommer bereits bezahlt gemacht. Frisch gestrichene
                                                                                      Wände und die Grundreinigung des Bodens vervoll-
                                                                                      ständigten die Erneuerung des AWO-Treffs.
                                                                Foto: Renate Jüstel

                                                                                      Mit einem Tag der offenen Tür feierten alle Beteiligten
                                                                                      den geglückten Abschluss der Arbeiten. Zu Kaffee und
                                                                                      Kuchen steuerte das Duo Ingrid (Akkordeon) und Meike
                                                                                      (Flöte) Klezmerweisen bei. Begeistert und mit vollem
Herta Mainardy, Leiterin des AWO-Treff in Würzburg-­Versbach,                         Stimmeinsatz nahmen die Gäste das Angebot zum
hat die Corona-Zwangspause gut genutzt, um die etwas in                               Mitsingen alter Volksweisen an.
die Jahre gekommenen Räume wieder auf Vordermann zu
                                                                                      Abgerundet wurde das Tagesprogramm mit der Mög-
bringen. Nicht nur das, es gelang ihr außerdem bei der Stadt
                                                                                      lichkeit zum Blutdruckmessen, Informationen zur
Würzburg die Zusage für die Kostenübernahme für eine neue
                                                                                      ambulanten wie der stationären Pflege und einem
Küche zu erreichen.
                                                                                      Beitrag von Pascal Mader und Johannes Oehler vom
Nach so viel Engagement hat der AWO Stadtverband Würz-                                Jugendwerk in der AWO. Ihre bebilderte Erzählung
burg gerne ebenfalls etwas zur Renovierung beigetragen                                brachte so manchen zum Schmunzeln.

                                                                                                               WIR • Das Magazin der AWO Bayern   13
AWO SCHWERPUNKT

                  Das Bernhard-Junker-Haus der AWO in Aschaffenburg beteiligte sich an der Aktion „Besuch vor der Tür“ und dem
                  Protest gegen die überbordende Bürokratie in der Pflege. Foto: Tatajana Raab

                  Sparkurs trifft Wohlfahrt

                  Wie der Bezirksverband für
                  ­Benachteiligte kämpft
                  Die Inflationsrate in Deutschland ist so hoch wie lange        Cornelia Staab, Bereichsleitung Kinder, Jugend und
                  nicht, die Energiekosten explodieren, die Lebensmittelprei-    Familie bei der AWO Unterfranken. „Wir haben lange
                  se steigen, die Lieferzeiten für manche Produkte wachsen       nach Lösungen gesucht, doch schon seit Jahren war die
                  ins Uferlose und auch die Zeit der billigen Kredite ist wohl   Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben. Der akute Per-
                  vorbei.                                                        sonalmangel vor Ort stellte uns als Träger ebenfalls vor
                                                                                 große Herausforderungen.“
                  Was das für Menschen mit geringem Einkommen be-
                  deutet und wie man in der AWO in Bayern versucht ge-           Besonders für den in einer solchen Gruppe notwen-
                  genzusteuern und die Ärmsten der Armen zu unterstüt-           digen Schichtdienst finden sich am Markt keine Fach-
                  zen, lesen Sie im Bayernteil dieser Mitgliederzeitung.         kräfte. Ein Mangel, der sich schon länger abzeichnete,
                  WIR in Unterfranken beschäftigt sich mit einer anderen         den aber die Corona-Pandemie, wie in allen anderen
                  Folge des Preisanstiegs: dem immer stärker werdenden           Pflegeberufen auch, weiter verschärft hat. „Nach sorg-
                  Finanzdruck auf die Wohlfahrt und die Wohlfahrtsver-           fältiger Abwägung haben wir daher im Verband die
                  bände. Damit einher geht der gerade in unseren Bran-           Entscheidung zur Schließung der Wohngruppe zum 31.
                  chen immer stärker werdende Fachkräftemangel.                  August 2022 getroffen. Auch zum Wohle der Mitarbei-
                                                                                 tenden, die seit Langem am Limit waren, war es das
                  So schloss der AWO Bezirksverband Unterfranken nach            einzig Richtige.“
                  den inklusiven Dorfläden in Leinach und Alzenau zum
                                                                                 In der vollstationären, therapeutischen Jugendhilfeein-
                  31. August die Jugendwohngruppe in Ochsenfurt. Zwei
                                                                                 richtung wurden zuletzt acht Kinder und Jugendliche
                  Gründe gibt es auch hier für die bedauernswerte, aber
                                                                                 von neun Mitarbeitenden betreut. Vor allem für die
                  letztlich unumgängliche Schließung: die jahrelange an-
                                                                                 Betreuten sei die Schließung ein herber Schlag, betont
                  gespannte Personalsituation und die defizitäre Finan-
                                                                                 Staab. Für Kinder und Jugendliche, die durch schwieri-
                  zierung der stationären Jugendhilfe.
                                                                                 ge Lebenssituationen in eine stationäre therapeutische
                  „Wir bedauern es sehr, dass wir nach mehr als drei             Betreuung müssen, seien gerade solche Kleinsteinrich-
                  Jahren erfolgreicher pädagogischer Arbeit unsere Ju-           tungen genau das Richtige, da sie hier dank des hohen
                  gendwohngruppe in Ochsenfurt aufgeben müssen und               Personalschlüssels eng begleitet werden können. Doch
                  wir den Kindern und Jugendlichen in dieser Form kei-           genau solche Einrichtungen auf Dauer kostendeckend
                  ne Betreuungsplätze mehr anbieten können“, betont              zu betreiben, ist ohne Förderung von Außen nicht mög-

                  14   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
lich. Auch in Ochsenfurt hat der AWO Bezirksverband
über Jahre hinweg das Defizit selbst ausgleichen und       Zahlen und Fakten
tragen müssen.
Bestätigt wird das durch die Tatsache, dass sich kein      Verbraucherindex und Inflationsrate

                                                                                                                                        AWO SCHWERPUNKT
Nachfolger fand, der die Jugendhilfeeinrichtung über-      (im Vergleich zum Vorjahr)
nehmen wollte. So blieb nichts übrig, als für die ver-
bliebenen Kinder und Jugendlichen, in enger Zusam-                                     +43,9 %
menarbeit mit den Jugendämtern, nach passsenden
Anschlussunterbringungen zu suchen. Eine Herausfor-
derung, ist doch aus den eben beschriebenen Gründen
das Angebot an vergleichbaren Einrichtungen rar. So
musste oftmals überregional vermittelt werden, ein
                                                                                                                +18,7 %
schwerer Schlag für die Kinder, die hier verwurzelt und
gebunden sind, zum Beispiel durch einen bevorste-            +10,0 %
henden Schulabschluss. „Auch dies verdeutlicht noch
einmal mehr die prekäre Lage der stationären Jugend-
hilfe“, so Staab.
                                                           Inflationsrate         Verbraucherpreise        Verbraucherpreise
Auf den Menschen fokussieren                                                           Energie              Nahrungsmittel

„Wenn aus Frust Resignation wird“ – so betitelte das
Main-Echo einen Artikel über das Bündnis „Würzburger       Entwicklung der Klinikkosten
Dienst-Tag“. Mit Demonstrationen immer dienstags –                                   6,04%
egal ob bei Hitze oder Regen – setzten sich Beschäftigte
in Krankenhäusern, Pflegeheimen aber auch Ein-                     2,48%
richtungen für behinderte Menschen ein: für bessere
Arbeits- und Pflegebedingungen. Auch der AWO Be-                      2021              2022
zirksverband und seine Einrichtungen haben sich dem
                                                            (= Orientierungswert der Krankenhauskosten; er soll die durch-
Bündnis angeschlossen. Nach zwei Jahren und rund 80         schnittliche jährliche prozentuale Veränderung abbilden, die nur auf
Demos sehen die Beteiligten keine Besserung. Dabei ist      Preis- oder Verdienständerungen zurückgeht)

die zentrale Forderung so einfach: Statt auf wirtschaft-
lichen Gewinn und Bürokratie sollte sich die Pflege        „Wir müssen hin zu einer Gesellschaft, wo diejeni-
wieder auf das einzig Wichtige konzentrieren können:       gen, die mehr haben, auch mehr beitragen (…)
den Menschen. Und zwar sowohl die Menschen, die            Ebenso müssen wir weg von einer Sparpolitik, die
auf Pflege angewiesen sind, als auch diejenigen, die       sich mehr mit dem Einhalten der sogenannten
diese Pflege leisten. Es ist ein Armutszeugnis für unser   ,Schwarzen Null‘ beschäftigt als mit einem sozial
Land und die Verantwortlichen in der Politik, sagen        gerecht ausgestalteten Lebensalltag der Menschen.“
die Bündnismitglieder, dass sich trotz vieler Lippenbe-    AWO-Sozialkonferenz, Juni 2022
kenntnisse bisher nicht wirklich etwas geändert hat.
Die Forderungen liegen klar auf dem Tisch: Zum einen        Anstieg (Median) der
bessere Arbeitsbedingungen, etwa durch Einführen der        mittleren ­Bruttoentgelte
35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und Ent-
lasten von Bürokratie, zum anderen Entökonomisierung                                        15,6% Altenpflege
der Pflegeeinrichtungen.
                                                                                            6,8 % alle Berufe
Wie ein Brennglas spielen auch hier die Folgen der Co-
rona-Pandemie eine ungute Rolle. Das Umsetzen des
geforderten Infektionsschutzes wird oftmals allein auf      2017                     2020
dem Rücken der Pflegekräfte und -einrichtungen aus-
getragen, die damit zusammenhängende Bürokratie
                                                                                So viele Tage blieb 2020 laut
und die fehlende Refinanzierung des hohen Aufwandes
                                                                                ­Bundesagentur für Arbeit eine Alten-
belasten deren ohnehin klamme Kassen.
                                                                                 pflegefachkraftstelle unbesetzt
Politisch geförderte Solidarität
Schon allein, weil die Corona-Schutzverordnungen in         Quellen: destatis September 2022, 11; Statistisches
der Langzeitpflege weiter gelten, deren Refinanzierung      Bundesamt, Bundesgesundheitsministerium
aber in Teilen mittlerweile ausgelaufen ist. „Wir als

                                                                                             WIR • Das Magazin der AWO Bayern      15
Träger befürchten, dass Zusatzaufgaben dauerhaft vom         in der sich Einrichtungen mit Fachkräftemangel, Coro-
                  Einrichtungspersonal gestemmt werden müssen. Auf             na-Pandemie und der zusätzlichen Betreuung von Kin-
                  mehr Bürokratie folgt aber: Weniger Personal und damit       dern und Familien aus der Ukraine auseinandersetzen
                  weniger Zeit für die Versorgung von Pflegebedürftigen“,      müssen, ist es unverzichtbar – auch nach Meinung des
                  fasst Geschäftsführer Martin Ulses die Problematik zu-       AWO Bezirksverbandes. Eine Petition an den Bundestag
AWO SCHWERPUNKT

                  sammen. Mit der Beteiligung an der Aktion „Besuch vor        soll jetzt helfen, die Sprach-Kitas zu retten.
                  der Tür“ – bei dem Besuch nur draußen möglich war –
                  haben stationäre Einrichtungen des Bezirksverbands öf-       Engagement statt Resignation
                  fentlich auf das Thema aufmerksam gemacht, zusätzlich        Dass lautstarker und vielfacher Protest durchaus Erfolg
                  begleitet von einem offenen Brief.                           haben kann, zeigte sich am Beispiel der Migrationsbe-
                  Robert Keppner, Einrichtungsleiter des Wilhelm-Hoeg-         ratung. Auch hier sollten Gelder gestrichen, Förderung
                  ner-Hauses in Kitzingen verdeutlicht: „Während Corona        stark eingeschränkt werden. Dank der Hartnäckigkeit
                  in der Mitte der Gesellschaft keine Rolle mehr zu spielen    der AWO und anderer Wohlfahrtsverbände, die in die-
                  scheint, ist die Pandemie in der Pflege noch lange nicht     sem Feld unterwegs sind, ist diese Streichung glückli-
                  vorbei. Unsere Mitarbeitenden arbeiten seit zweieinhalb      cherweise mittlerweile vom Tisch (siehe Seite 21).
                  Jahren über ihr Limit hinaus. Wir fordern eine Entlastung    Sich zusammenzuschließen und zu kämpfen, lohnt sich
                  der Pflege durch die dauerhafte und sichere Refinan-         also doch. Für uns als Wohlfahrtsverband und unsere
                  zierung von Corona-Schutzmaßnahmen. Es braucht au-           Angebote, aber vor allem für die Menschen, für die wir
                  ßerdem eine gesamtgesellschaftliche und politisch ge-        am Ende bessere Chancen und mehr Lebensqualität
                  förderte Solidarität. Der notwendige Schutz vulnerabler      schaffen. Und sie damit in ihrem Selbstbewusstsein
                  Personen ist nicht allein Aufgabe der Langzeitpflege.“       und ihrer Selbstständigkeit stärken – letztlich zum Wohl
                  Viele Jahre beschäftigt den AWO Bezirksverband schon         aller. Hier zu sparen, ist oftmals teurer als auch hohe
                  die schwierige Situation der Geriatrischen Rehabilitati-     finanzielle Förderung.
                  onsklinik. In einer Zeit, in der selbst Kur- und Rehakli-
                  niken ohne geriatrische Ausrichtung in existenzielle Not      OV Ochsenfurt
                  geraten, vergrößert sich die finanzielle Schieflage der
                                                                                Ratsapotheke spendet 500 Euro
                  AWO Rehaklinik weiter. Im dritten Jahr der Pandemie
                  sind die steigenden Kosten – für Lebensmittel, Energie        Die Ratsapotheke Ochsenfurt feierte jüngst 50-jäh-
                  und Infektionsschutz - über die Regelsätze nicht mehr         riges Bestehen. Als Dank für die 50 Jahre im Herzen
                  zu finanzieren. Ohne solide Kompensation des außerge-         Ochsenfurts wollte Beatrice Guttenberger, Tochter des
                  wöhnlichen Mehraufwandes steht zu befürchten, dass            Gründers Georg Guttenberger, sich bei den Ochsenf-
                  Kliniken schließen müssen. Was zu einer dramatischen          urtern bedanken. Aus diesem Grund unterstützte sie
                  Versorgungslücke im Gesundheitsbereich führen würde.          die AWO Ochsenfurt mit 500 Euro. Vorausgegangen
                                                                                war dieser Spende die Bitte des AWO Vorsitzenden
                  Sprachbildung ist unverzichtbar                               Peter Honecker an die Ochsenfurter Unternehmen,
                  Eine weitere große Lücke droht im Bereich Kinderbetreu-       der AWO bei ihren vielfältigen Aufgaben zu helfen.
                  ung und –bildung. Das Bundesprogramm Sprach-Kita              Darunter soziale Projekte wie etwa die jährliche
                  „Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ – für das in        Patenschaft „Klasse 2000“ an der Grundschule,
                  Unterfranken u. a. der AWO Bezirksverband verantwort-         Büchergutscheine für Kindergärten, Zuwendungen
                  lich zeichnet – läuft Ende 2022 aus. 2023 sind derzeit        zur Weihnachtszeit für bedürftige Personen und
                  keine Haushaltsmittel hierfür eingeplant. Auch wenn das       die kostenfreie Nutzung des AWO Internetcafe für
                  Bundesprogramm nur als Anschubfinanzierung für eine           ­Senior*innen. Über die Spende durch Beatrice Gut-
                  Bildungsaufgabe gedacht war, die in die Kompetenz der          tenberger (Zweite von rechts) freuen sich (von links)
                  Länder fällt, sollte der Bund dringend die schlimmen           die stellvertretende Seniorenleiterin Ruth Drescher,
                  Folgen der fehlenden Bundesförderung bedenken.                 Seniorenleiterin Renate Schmittner, Kassiererin Chris-
                                                                                 tiane Halbleib und Peter Honecker.
                  An dieser Stelle sei Brigitte Döcker, Vorstandsvorsitzende
                  des AWO-Bundesverbandes, zitiert: „Ein Ende ist nicht
                  nur ein fatales Zeichen für die Kindertagesbetreuung,
                  die frühkindliche Bildung muss gefördert werden, damit
                                                                                                                                          Foto: Beatrice Guttenberger

                  Chancengerechtigkeit nicht nur ein leeres Versprechen
                  auf dem Papier bleibt.“ Das Programm ist das erfolg-
                  reichste Kita-Programm des Bundes und sorgt mit Hilfe
                  von zusätzlichen Mitteln und Fachpersonal für eine
                  bessere Qualität der Sprachbildung, Integration und
                  Inklusion von Kindern. Wegen der aktuellen Situation,

                  16   WIR • Das Magazin der AWO Bayern
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