BDVR-Rundschreiben Zeitschrift für die Verwaltungsgerichtsbarkeit

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BDVR-Rundschreiben Zeitschrift für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
Abzug vom 20.03.2020, 09:15:59

                   1 | 2020 52. Jahrgang          ISSN 2511-7599

                 BDVR-Rundschreiben
                   Zeitschrift für die Verwaltungsgerichtsbarkeit

                   Aus dem Inhalt
                   ■     Kontroverse: Verfassungsgemäßheit
                         des Berliner „Mietendeckels“
                   ■     Standortbestimmung: Die Konversion
                         im asylgerichtlichen Verfahren
                   ■     Interview mit Anne-Marie Keding
Abzug vom 20.03.2020, 09:16:20

                                                                    INHALTSVERZEICHNIS

      Impressum                                                     BDVR-Rundschreiben 1 | 2020
      Herausgeber | Bund Deutscher Verwaltungsrichter und
      Verwaltungsrichterinnen (BDVR)                                VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
      Haus des Rechts, Kronenstraße 73, 10117 Berlin
      www.bdvr.de
      www.verwaltungsgerichtstag.de
                                                                    KONTROVERSE
                                                                     Zur Verfassungsmäßigkeit des Berliner Mietendeckels . . . . . . . 3
      Verantwortlich i.S. des Pressegesetzes | Markus Rau,           Der verfassungswidrige Berliner „Mietendeckel“ . . . . . . . . . . . . 12
      Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin

      Redaktion | Dr. Florian von Alemann, Rudolf Böcker,           VERWALTUNGSGERICHTSBARKEIT
      Alice Fertig, Antonia Kästle, Markus Rau, Dr. Justus Rind,     Geschäftsverteilungsplan des Bundesverwaltungsgerichts für
      Rautgundis Schneidereit, Christiane Knoop,
                                                                     das Jahr 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
      Dr. Robert Ullerich

      Manuskripte und Zuschriften an | RiVG Markus Rau,             IM GESPRÄCH
      Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin,         Interview mit Anne-Marie Keding, Ministerin für Justiz und
      Telefon: 030/9014-8536, redaktion@bdvr.de
                                                                      Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
      Urheber und Verlagsrechte | Die Zeitschrift und alle in ihr
      enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede    EUROPA
      Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheber-
      rechtsgesetzes bedarf der Zustimmung des Verlags. Mit
                                                                     Justizpartnerschaft Niedersachsen – Posen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
      der Annahme des Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt der      Stellungnahme zum polnischen Gesetz vom 20.12.2019 . . . . . . 25
      Verlag alle ausschließlichen Verlagsrechte für die Zeit des    Studienfahrt der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und
      Bestehens des Urheberrechts. Diese umfassen insbesondere
                                                                     Mitarbeiter nach Zagreb – 14.10. bis 16.10.2019 . . . . . . . . . . . . 30
      auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen
      und die Befugnis zur Einspeicherung des Beitrags in eine       Programm der Vereinigung Europäischer Verwaltungsrichter
      Datenbank, verbunden mit dem Recht zu deren Vervielfälti-      2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
      gung und Verbreitung (online oder offline) zu gewerblichen     Aktuelle Entscheidungen des EuGH und des EGMR . . . . . . . . . . 34
      Zwecken ohne zusätzliche Vergütung. Das ausschließliche
      Recht an einer elektronischen Version des Beitrags erwirbt
      der Verlag ohne zeitliche Begrenzung.                         AUS DEM BDVR UND E.V.
      Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen die Meinung        Bericht über die Mitgliederversammlung des BDVR und des
      der Autoren dar. Die Redaktion behält sich die Kürzung von
      Beiträgen vor. Unverlangt eingesendete Manuskripte – für
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      die keine Haftung übernommen wird – gelten als Veröffent-      15.11.2019 in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
      lichungsvorschlag. Veröffentlichte Fotos stammen von »pri-
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      Adressänderungen an | RiVG Dr. Florian von Alemann,            Die Konversion im asylgerichtlichen Verfahren. . . . . . . . . . . . . . 38
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      finanzen@bdvr.de
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      Verlag | Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG                  Neuer Vorsitzender der Brandenburger Landesvereinigung . . . 40
      Scharrstraße 2, 70563 Stuttgart, Telefon 0711/7385-0,          Neuer Vorstand im Landesverband Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
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      Anzeigen | Roland Schulz, Richard Boorberg Verlag GmbH          Personalnachrichten aus dem BVerwG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
      & Co KG, Scharrstraße 2, 70563 Stuttgart,                       Präsidentenwechsel beim Bayerischen
      Telefon: 0711/7385-0, Telefax 0711/7385-100,
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      es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 13 vom 1.1.2017              Neuer Präsident beim Verwaltungsgericht Braunschweig . . . . . 44

      Erscheinungsweise | viermal jährlich

      Bezugspreise | Jahresbezugspreis im Abonnement EUR
      91,20 inklusive Zustellgebühr. Die Berechnung des Abon-
      nements erfolgt jährlich im Voraus. Einzelheft EUR 25,–
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      und alle Buchhandlungen entgegen.
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      Satz | Reemers Publishing Services. www.reemers.de
      Produktion | Laupp & Göbel, Robert-Bosch-Str. 42,               Die Redaktionssitzung für das Heft 2 | 2020 findet am 20.04.2020 statt. Ab-
      72810 Gomaringen, www.meine-druckerei.de
                                                                      gabeschluss für Beiträge und Artikel ist der 20.04.2020. Artikel und Fotos bitte
      ISSN | 2511-7599                                                per E-Mail an Markus Rau, redaktion@bdvr.de.
Abzug vom 20.03.2020, 09:20:21

                                                                                                              VORWORT
                                                                                                                        BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

              Liebe Leserinnen und Leser,                                       keit von Konversionen durch die Verwaltungsgerichte in Asyl-
                  die Berlinerinnen und Berliner unter uns mögen das Ge-        verfahren (nachzulesen hier: https://www.evangelisch.de/inhal
              fühl kennen: Wenn man irgendwo in Deutschland seinen              te/164477/02-01-2020/bischof-kramer-taufe-muss-vor-abschie
              Heimatort verrät, folgt unweigerlich die Frage, was es um         bung-schuetzen-koennen) durften nicht ohne Widerspruch
              alles in der Welt mit dem Mietendeckel auf sich hat (und oft      bleiben. Wir haben seinen Äußerungen in einem Brief an ihn
              auch noch, ob es wirklich ernst gemeint ist). Tatsächlich ist     deutlich widersprochen. Die Kontrolle der Ernsthaftigkeit von
              das Berliner Vorhaben bundesweit einmalig. Wir möchten die        Konversionen ist nicht, wie er unter anderem meint, „eine
              Kontroverse um den Mietendeckel deswegen zum Schwer-              Frechheit“ und führt auch nicht „zurück in Zeiten der Inquisi-
              punkt dieses Heftes machen. Dafür stellen wir Ihnen pro und       tion“, sondern ist in einem Rechtsstaat schlicht geboten! Die
              contra gegenüber. Ist der Mietendeckel verfassungsgemäß           (rechtliche) Standortbestimmung des Vorstands, die unserem
              oder nicht? Lesen Sie dazu die Stellungnahmen von Max             Schreiben zugrunde liegt, können Sie in diesem Heft nach-
              Putzer, Benedikt Wolfers und Kai-Uwe Opper.                       lesen.
                  Bei heftigen Debatten gerät dabei oft aus dem Blickfeld,         Unsere Reihe von Interviews mit Justiz- und Innenminis-
              dass es tatsächlich ein Privileg ist, sich so offen über die      tern setzen wir diesmal fort mit Anne-Marie Keding, Ministe-
              Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes auslassen zu können          rin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt.
              und vor allem auch darauf zu vertrauen, dass entsprechende        Neben den bewährten Themen Asyl und Personalgewinnung
              verfassungswidrige Gesetze kassiert werden. Dieses Privileg       geht es unter anderem auch um die Möglichkeit, das Staats-
              ist auch in Europa nicht überall selbstverständlich. Nicht ganz   examen am Computer schreiben zu können. Daneben äußert
              ohne Sorge ist dabei die Entwicklung in Polen zu betrachten.      Ministerin Keding sich zu weiterem Reformbedarf im Verwal-
              Lesen Sie eine Stellungnahme zur polnischen Justizreform          tungsprozessrecht.
              und einen Bericht über einen Austausch im Rahmen der
              Justizpartnerschaft Niedersachsen – Posen. Weniger drama-
              tisch, aber nicht weniger spannend war zudem die Studien-
              fahrt der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-       Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr
              ter des Bundesverwaltungsgerichts nach Zagreb. Lesen Sie
              über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von kroatischer
              und deutscher Justiz.
                  Ganz ohne Asyl geht es schließlich auch in diesem Heft
              nicht. Die Äußerungen des Landesbischofs der Evangelischen
              Kirche in Mitteldeutschland zur Überprüfung der Ernsthaftig-      Dr. Robert Seegmüller, Vorsitzender

                                                                                                                                                 3
Abzug vom 20.03.2020, 09:20:22

                    KONTROVERSE
                    BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

                    Zur Verfassungsmäßigkeit des Berliner
                    Mietendeckels
                        Mit Beschluss vom 26.11.2019 hat der Berliner Senat den          folgt – anders als der Bundesgesetzgeber – nicht als unmittel-
                        Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vor-         bares Ziel, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen
                        schriften zur Mietenbegrenzung beschlossen.1 Er enthält in       der individuellen Vertragspartner Mieter und Vermieter zu
                        Art. 1 das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen          schaffen. Vielmehr geht es ihm darum, Gemeinwohlziele
                        in Berlin (MietenWoG Bln-E). Dessen maßgeblichen Inhalt          durchzusetzen, namentlich die Bewahrung von ausreichen-
                        hatte der Senat bereits mit Verabschiedung von Eckpunkten        dem bezahlbarem Wohnraum und die Verhinderung von Ver-
                        im Juni 2019 festgelegt.2 Das Vorhaben ist besser bekannt        drängung einer angestammten und sozial durchmischten Be-
                        unter dem Namen „Mietendeckel“ und wird spätestens seit          völkerung. Ein Mietendeckel will bestehende oder nach
                        Januar 2019 politisch und fachlich kontrovers diskutiert. Der    Inkrafttreten des Gesetzes abzuschließende Mietvertragsver-
                        von der rot-rot-grünen Landesregierung dem Parlament             hältnisse nicht ausgestalten. Stattdessen setzt er hoheitlich
                        übermittelte Vorschlag sieht insbesondere drei Maßnahmen         Mietobergrenzen als Verbote fest, und dies unabhängig vom
                        zur Bekämpfung explodierender Mieten im Stadtgebiet vor:         Bestehen eines Mietverhältnisses, sondern gebunden an den
                        Zum einen soll der sogenannte Mietenstopp die zu einem im        jeweiligen Wohnraum. Rechte, die ihre Grundlage in privat-
                        Gesetz festgelegten Stichtag vereinbarten Miethöhen für fünf     rechtlichen Vereinbarungen haben, sollen durch das geplante
                        Jahre „einfrieren“.3 Des Weiteren soll es im Falle einer Erst-   Gesetz nicht unmittelbar geändert werden; sie können aller-
                        oder Wiedervermietung nach Inkrafttreten des Gesetzes dem        dings für den Geltungszeitraum des Gesetzes nur in dessen
                        Vermieter verboten sein, eine Miete zu fordern, die die im       mietpreisrechtlichen Grenzen ausgeübt werden. Die im Ge-
                        Gesetz festgelegte zulässige Höchstmiete übersteigt.4 Zuletzt    setzentwurf festgelegten Verbote sind gesetzliche Verbote
                        sollen Bestandsmieten, die 20 % über dieser sogenannten          nach § 134 BGB, die sich allein auf den Teil der Mietpreis-
                        Tabellenmiete liegen, auf Antrag des Mieters „abgesenkt“         abrede beziehen, der mit dem zu schaffenden Preisrecht
                        werden.5 Das Vorhaben des Landesgesetzgebers steht in            unvereinbar ist.
                        einer jahrzehntelangen Tradition der Mietpreisbindung in
                        Berlin sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg,
                        und dies in beiden Teilen der Stadt.6 Gleichwohl wirft der
                                                                                         II. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit
                        vorgelegte Gesetzentwurf, der zum Zeitpunkt der Abfassung
                        dieses Beitrags noch nicht vom Abgeordnetenhaus von Ber-         Im Ergebnis sprechen weit überwiegende Gründe dafür, dass
                        lin verabschiedet war, zahlreiche bislang ungeklärte verfas-     der Landesgesetzgeber die Kompetenz zur Einführung eines
                        sungsrechtliche Fragen auf. Umstritten ist nicht nur die         Mietendeckels hat.7 Die Länder sind zur Gesetzgebung im
                        Gesetzgebungskompetenz des Landes. Auch zur materiellen          Bereich öffentlich-rechtlicher Mietpreisbindung befugt.
                        Verfassungsmäßigkeit eines Mietendeckels gibt es unter-
                        schiedliche Auffassungen.
                                                                                         1. Keine Sperrwirkung durch das soziale Mietpreisrecht
                                                                                            des BGB
                    I. Zum normativen Konzept
                                                                                         Obwohl der Bund bereits unter Rückgriff auf seine konkur-
                    Dem Regelungskonzept des Berliner Senats für die Einfüh-             rierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche
                    rung eines landesrechtlichen Mietendeckels liegt die Tren-
                    nung zwischen dem bestehenden bürgerlich-rechtlichen „so-
                    zialen“ Mietrecht des BGB einerseits und einem durch das             1 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, abrufbar unter http://pardok.parlament-ber
                    Gesetz zu schaffenden öffentlich-rechtlichen Mietpreisrecht            lin.de/starweb/adis/citat/VT/18/DruckSachen/d18-2347.pdf (zuletzt
                    andererseits zugrunde. Das landesrechtliche Preisrecht soll            abgerufen am 17.01.2020).
                    selbstständig neben das bundesrechtliche Mietrecht treten,           2 Vgl. Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz (Mietendeckel), ab-
                    beide Rechtskreise sollen unabhängig voneinander bestehen.             rufbar unter https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohn
                                                                                           raum/mietendeckel/download/Senatsbeschluss_Eckpunkte_Mieten
                    Unschädlich ist dabei, dass die mietpreisrechtlichen Instru-
                                                                                           gesetz.pdf (zuletzt abgerufen am 17.01.2020).
                    mente von Bundes- und Landesgesetzgeber im Hinblick auf
                                                                                         3 Vgl. § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln-E.
                    die gesetzgeberische Intention oder ihre Auswirkungen                4 Vgl. § 4 MietenWoG Bln-E.
                    Überschneidungen aufweisen. Denn Regelungsinhalt und                 5 Vgl. § 5 Abs. 1 MietenWoG Bln-E.
                    Regelungstechnik eines landesrechtlichen Mietendeckels               6 Zu einer kurzen Geschichte der Mietpreisbindung in Berlin vgl.
                    stimmen mit dem Regelungskonzept der bundesrechtlichen                 Putzer, Ein Mietendeckel für Berlin, NVwZ 2019, S. 283 f.
                    Mietpreisbremse nicht überein. Der Landesgesetzgeber ver-            7 So bereits Putzer (o. Fn. 6), S. 283.

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Abzug vom 20.03.2020, 09:20:23

                                                                                                                    KONTROVERSE
                                                                                                                          BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

              Recht mietpreisregulierende Maßnahmen vorgesehen hat,           Rechte des Vermieters auf Zustimmung des Mieters zu einer
              kommt den Ländern die Zuständigkeit zum Erlass öffentlich-      Erhöhung der Miete begrenzt hat. Dies gilt auch für die Miet-
              rechtlichen Mietpreisrechts zu. Zwar durfte sich der Bundes-    preisbremse.19 Wenn der Gesetzgeber mit ihr auch sozial-
              gesetzgeber bei Einführung der Mietpreisbremse auf seine        politische Zwecke und damit öffentliche Interessen verfolgt,20
              konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürger-       so doch allein durch den Ausgleich von Störungen der Ver-
              liche Recht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG stützen.8 Im Be-      tragsparität, mithin um den Mieter zu befähigen, am freien
              reich der konkurrierenden Gesetzgebung sind die Länder zur      Markt einen fairen Mietzins zu erzielen.21
              Gesetzgebung nur befugt, solange und soweit der Bund von
              seiner Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, vgl. Art. 72
              Abs. 1 GG. Unterstellt, das durch den Mietendeckel einge-        8 Vom BVerfG nicht ausdrücklich festgestellt, aber unterstellt, vgl.
                                                                                 Beschl. v. 18.07.2019 – 1 BvL 1/18 u. a. – juris.
              führte Preisrecht fiele unter diesen Kompetenztitel und der
                                                                               9 So im Ergebnis Papier, Landeskompetenz zur Einführung eines
              Bundesgesetzgeber hätte diesen Bereich bereits umfassend
                                                                                 sogenannten Mietendeckels?, Rechtsgutachtliche Stellungnahme
              und erschöpfend geregelt, wäre es den Ländern tatsächlich          im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Im-
              verwehrt, gesetzgeberisch tätig zu werden.9                        mobilienunternehmen e.V. – GdW, September 2019, abrufbar un-
                  Der Berliner Mietendeckel ist aber nicht dem bürgerlichen      ter https://web.gdw.de/uploads/pdf/Pressemeldungen/Gutach
              Recht zuzuordnen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen,           ten_Mietendeckel_Zustaendigkeit.pdf (zuletzt abgerufen am
              dass die Systematik des Grundgesetzes – zum Ausdruck ge-           17.01.2020); Wolfers/Opper, Ist ein landesrechtlicher „Mieten-
              bracht in Art. 30 und Art. 70 Abs. 1 GG – eine extensive           deckel“ mit dem GG vereinbar?, DVBl 2019, S. 1446 (1447 f.);
                                                                                 Schede/Schuldt, Verfassungswidrigkeit landesrechtlicher Mieten-
              Interpretation der Zuständigkeitsvorschriften zugunsten des
                                                                                 deckel, NVwZ 2019, S. 1572 (1573 ff.); Wissenschaftliche Dienste
              Bundes verbietet.10 Im Übrigen ist insbesondere die Historie
                                                                                 des Bundestages, Möglichkeit der gesetzlichen Mietpreisregulie-
              für die – im Einzelfall durchaus schwierige11 – Abgrenzung         rung durch die Länder aufgrund der Gesetzkompetenz für das
              von Kompetenzen des Bundes- und des Landesgesetzgebers             Wohnungswesen, WD 3 – 3000 – 016/19, vom 31.01.2019, abruf-
              maßgeblich.12 Ein Blick in die Geschichte der Mietpreisbin-        bar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/630748/
              dung seit dem Ersten Weltkrieg zeigt, dass das Mietpreisrecht      ca81db0c5da14d448d366b15b640aa54/WD-3-016-19-pdf-data.
              von Beginn an zumindest auch öffentlich-rechtlich geregelt         pdf; dies., Gesetzgebungskompetenz für ein zeitlich begrenztes
              war.13 Das sogenannte soziale Mietrecht findet sich erst seit      Verbot von Mieterhöhungen und Vereinbarkeit mit Art. 14 GG, WD
              den frühen 1970er-Jahren im BGB. Das dort geregelte Miet-          3 – 3000 – 149/19, vom 18.06.2019, abrufbar unter https://www.
                                                                                 bundestag.de/resource/blob/650086/
              preisrecht bezog sich lange allein auf die Bestandsmieten;
                                                                                 bda1f29871822f23137957df47e2f4bf/WD-3-149-19-pdf-data.pdf
              erst mit Inkrafttreten der Mietpreisbremse wurden auch Wie-        (jeweils zuletzt abgerufen am 17.01.2020).
              dervermietungsmieten innerhalb der bestehenden Systema-         10 Vgl. BVerfGE 26, 246 (254).
              tik des sozialen Mietrechts erfasst.14                          11 Vgl. Weber, Mittel und Wege landesrechtlichen Mietpreisrechts in
                  Mietendeckel und Mietpreisbremse mögen in die gleiche          angespannten Wohnungsmärkten, JZ 2018, S. 1022 (1023).
              Richtung wirken. Dass Landes- und Bundesgesetzgeber mit         12 Vgl. hierzu Weber, Mehrdimensionalität im Wohnungsrecht, ZMR
              ihrer jeweiligen Normgebung unterschiedliche Lösungen des          2019, S. 389 f.
              Problems stark ansteigender Mieten anbieten, genügt gleich-     13 Vgl. Herrlein, 100 Jahre „Mietpreisbremse“ – Entwicklungslinien in
              wohl nicht für die Annahme, dass allein der (zuerst in An-         Politik und Recht 1916 bis 2016, NZM 2016, S. 1 ff.
                                                                              14 Vgl. Blankenagel/Schröder/Spoerr, Verfassungsmäßigkeit des Insti-
              spruch genommene) Kompetenztitel des bürgerlichen Rechts
                                                                                 tuts und der Ausgestaltung der sog. Mietpreisbremse auf Grund-
              einschlägig wäre. Auch der Eingriff in (bundesrechtlich aus-
                                                                                 lage des MietNovGE, NZM 2015, S. 1 (6 ff.).
              gestaltete) zivilrechtliche Rechtspositionen durch eine lan-    15 Vgl. Gather/von Restorff/Rödl, Warum dem Land Berlin die Gesetz-
              desrechtliche Mietpreisbindung besagt nichts über die kom-         gebungskompetenz für den „Mietendeckel“ zusteht, Verfassungs-
              petenzrechtliche Verankerung einer solchen Regelung.15             blog, 26.11.2019, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/wa
              Denn Mietendeckel und Mietpreisbremse unterscheiden sich           rum-dem-land-berlin-die-gesetzgebungskompetenz-fuer-den-mie
              in erheblichem Maße sowohl hinsichtlich Regelungszweck             tendeckel-zusteht/ (zuletzt abgerufen am 17.01.2020).
              und Regelungsmaterie als auch in Bezug auf die gewählte         16 Vgl. ebenso Mayer/Artz, Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche
              Regelungstechnik.16                                                Aspekte eines „Mietendeckels“ für das Land Berlin, Rechtsgut-
                                                                                 achten für die Fraktion der SPD im Abgeordnetenhaus von Berlin,
                  So bezweckt das soziale Mietrecht des BGB die Schaffung
                                                                                 16.03.2019, S. 31 ff., abrufbar unter https://www.spdfraktion-ber
              eines angemessenen Ausgleichs zwischen den Interessen der
                                                                                 lin.de/system/files/mayer_artz_gutachten_mietendeckel_fu
              Vermieter und Eigentümer einerseits und den Mietern ande-          er_spd-fraktion.pdf (zuletzt abgerufen am 17.01.2020).
              rerseits innerhalb des konkreten Vertragsverhältnisses.17       17 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
              Zentral auf der Seite der Mieterinteressen ist der soziale         angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Besteller-
              Kündigungsschutz. Er besteht unabhängig davon, ob die              prinzips bei der Wohnungsvermittlung (Mietrechtsnovellierungs-
              Lage auf dem Wohnungsmarkt als ausgeglichen angesehen              gesetz – MietNovG), BT-Drs. 18/3121, S. 14.
              wird oder nicht. Dem Vermieter wird kompensatorisch das         18 Vgl. Entwurf eines Zweiten Gesetzes über den Kündigungsschutz
              Recht eingeräumt, die Miete an die ortsübliche Vergleichs-         für Mietverhältnisse über Wohnraum, BT-Drs. 7/2011, S. 7.
                                                                              19 Vgl. BT-Drs. 18/3121, S. 14.
              miete anzupassen sowie nach Modernisierung zu erhöhen.18
                                                                              20 Vgl. BT-Drs. 18/3121, S. 15.
              Bei Reformen des BGB-Mietrechts korrigierte der Bundes-
                                                                              21 Vgl. Fischer-Lescano/Gutmann/Schmid, Landeskompetenzen für
              gesetzgeber von ihm festgestellte Verschiebungen in dem so         Maßnahmen der Mietpreisregulierung, Rechtsgutachten, 2019,
              definierten Äquivalenzverhältnis zwischen Vermieter und            S. 14, abrufbar unter https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uplo
              Mieter. Dabei setzte er unmittelbar an dem im Einzelnen            ads/pdfs/Studien/Studien_8-19_Mietpreisregulierung_web.pdf
              bestehenden Rechtsverhältnis an, etwa wenn er gesetzliche          (zuletzt abgerufen am 17.01.2020).

                                                                                                                                                   5
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                    KONTROVERSE
                    BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

                       Der an Wohnraum und dem gesamten örtlichen Preisstand             Möglichkeit zur Regelung eines öffentlich-rechtlichen Miet-
                    ansetzende und damit sachbezogene Mietendeckel zielt hin-            preisrechts ist mit der Föderalismusreform I nicht verloren
                    gegen auf einen sozialen bzw. stadtpolitischen Zweck jenseits        gegangen. Es entspricht nicht der föderalen Kompetenzord-
                    der Vertragsparteien,22 namentlich die Bewahrung von aus-            nung des Grundgesetzes, dass der verfassungsändernde Ge-
                    reichendem und bezahlbarem Wohnraum. Grundlage seiner                setzgeber im Falle eines neuen Zuschnitts der Art. 73 ff. GG
                    Einführung ist die Feststellung, dass sich weite Teile der           den Ländern ausdrücklich Materien zuweisen müsste. Art. 70
                    Bevölkerung am derzeit angespannten Wohnungsmarkt nicht              Abs. 1 GG ist insoweit eindeutig. Einer besonderen Erwäh-
                    mehr hinreichend mit bezahlbarem Wohnraum versorgen                  nung von Zuständigkeiten, die den Ländern mit Streichung
                    können.23 Die Funktion des Marktes, einen fairen Interessen-         eines Titels der konkurrierenden Gesetzgebung überantwor-
                    ausgleich zwischen Vermieter und Mieter zu schaffen, ist             tet werden sollen, bedarf es nicht. Nicht zu überzeugen
                    erheblich gestört. Aus diesem Allgemeininteresse an einer            vermag deshalb die Auffassung, die Gesetzesmaterialien zur
                    ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum                Föderalismusreform I belegten nicht den ausdrücklichen Wil-
                    soll regulierend in den Markt als solchen eingegriffen wer-          len des verfassungsändernden Gesetzgebers, dass mit Strei-
                    den. Die Regelung soll nur befristet gelten und müsste spä-          chung des Kompetenztitels für das Wohnungswesen auch das
                    testens zu dem Zeitpunkt auslaufen, in dem eine hinrei-              Preisrecht in diesem Bereich mit an die Länder übergehen
                    chende Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem                    soll.38 Vielmehr verfolgte der verfassungsändernde Gesetz-
                    Wohnraum wieder sichergestellt ist. Dies entspricht auch der         geber ausdrücklich das Ziel, die bisherige konkurrierende
                    Konzeption des Bundesgesetzgebers beim Erlass wohnraum-              Gesetzgebungskompetenz für das Wohnungswesen „erheb-
                    bewirtschaftungsrechtlicher Regelungen zur Bekämpfung                lich“ einzuschränken; verbleiben sollten nur einzelne, enu-
                    der Wohnungsnot der Nachkriegszeit.24 Ein hoheitliches und           merativ aufgezählte Materien.39 Insgesamt sollten die Gesetz-
                    sanktionsbewährtes Verbot, eine höhere als die preisrechtlich        gebungsbefugnisse der Länder im Zuge der Reform der
                    zulässige Miete zu fordern,25 wirkt nur hinsichtlich des zuläs-      föderalen Kompetenzordnung erweitert werden, nachdem
                    sigen Höchstbetrages, den der Vermieter fordern oder ent-            man festgestellt hatte, dass sie im Laufe der Zeit immer weiter
                    gegennehmen kann. Im Übrigen bleiben die privatrechtlichen           zurückgedrängt worden waren.40
                    Rechte und Pflichten der Mietparteien unberührt.26                      Vor diesem Hintergrund unterliegen die Ausarbeitungen
                                                                                         der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundes-
                    2. Öffentlich-rechtliches Mietpreisrecht als Teil
                       des „Wohnungswesens“
                                                                                         22 Vgl. Fischer-Lescano/Gutmann/Schmid (o. Fn. 21), S. 9 f.
                    Zur Regelung eines öffentlich-rechtlichen Mietpreisrechts            23 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vor-
                    sind gemäß Art. 70 Abs. 1 GG die Länder zuständig. Danach               schriften zur Mietenbegrenzung, Agh-Drs. 18/2347, S. 14 f.
                    haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit die              24 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über den Abbau der Wohnungs-
                    Verfassung nicht dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis ver-                zwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht, BT-Drs. 3/1234,
                    leiht.27 Bis zur Föderalismusreform I konnte sich der Bundes-           48.
                    gesetzgeber hierfür auf den Kompetenztitel des Wohnungs-             25 Vgl. BVerwGE 2, 208.
                                                                                         26 Vgl. bereits BVerwGE 1, 247.
                    wesens stützen.28 Mit dessen Streichung aus dem Katalog von
                                                                                         27 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vor-
                    Art. 74 Abs. 1 GG29 im Zuge der Reform gilt nun die all-
                                                                                            schriften zur Mietenbegrenzung, Drs. 18/2347, S. 16.
                    gemeine Regelung des Art. 70 GG.                                     28 Vgl. Weber, JZ 2018 (o. Fn. 11), S. 1026 f.; Kloepfer, Die Sozialisie-
                       Das Wohnungswesen betrifft grundsätzlich sämtliche Re-               rung von Wohnungsunternehmen und die Verfassung, NJW 2019,
                    gelungen, die sich aus sozialen Gründen auf private Wohn-               S. 1656 (1659).
                    zwecke dienende Gebäude beziehen,30 und dies unabhängig              29 Vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33,
                    von Eigentumsverhältnissen und Finanzierung.31 Dazu gehö-               52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b,
                    ren Regelungen zur Wohnraumbewirtschaftung,32 zur -vertei-              105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) v. 31.08.2006, BGBl. I 2006,
                    lung und -bindung, aber etwa auch die Förderung des so-                 S. 2034.
                                                                                         30 Vgl. BVerfG, Rechtsgutachten über die Zuständigkeit des Bundes
                    zialen Wohnungsbaus,33 die Rechte und Pflichten von
                                                                                            zum Erlass eines Baugesetzes vom 16.06.1954, BT-Drs. 2/644,
                    Eigentümern von Wohnraum begründen.34 In der Zeit nach
                                                                                            S. 6.
                    Gründung der Bundesrepublik fasste der Bundesgesetzgeber             31 Vgl. Weber, ZMR 2019 (o. Fn. 12), S. 389 f.; a. A. Schede/Schuldt
                    die im Bereich des Wohnungswesens zur Bekämpfung der                    (o. Fn. 9), S. 1576.
                    Wohnungsnot verabschiedeten Regelungen unter dem Be-                 32 Vgl. BVerfGE 21, 117, 128.
                    griff der Wohnungszwangswirtschaft zusammen. Zu ihr                  33 Vgl. Maunz, in ders./Dürig, GG, 84. EL August 2018, Art. 74
                    zählte er neben der öffentlichen Wohnraumbewirtschaftung                Rn. 208.
                    (Wohnungsbelegung) und dem Mieterschutz (Ausschluss                  34 Insoweit zu Recht Wolfers/Opper (o. Fn. 9), S. 1448.
                    bzw. Einschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters)              35 Vgl. BT-Drs. 3/1234, 46.
                                                                                         36 Vgl. etwa Entwurf eines Ersten Wohnungsbaugesetzes, BT-Drs. 1/
                    auch das – von ihm selbst so bezeichnete – „öffentliche Miet-
                                                                                            567, 16; vgl. ebenso Weber, ZMR 2019 (o. Fn. 12), S. 390 f. m. w. N.
                    preisrecht“.35 Der damalige Bundesgesetzgeber ging davon
                                                                                         37 Vgl. Schede/Schuldt (o. Fn. 9), S. 1576.
                    aus, dass seine Regelungen zur Mietpreisbindung zumindest
                                                                                         38 So aber Papier, September 2019 (o. Fn. 9), S. 13 f.; Schede/Schuldt
                    auch dem Wohnungswesen unterfielen.36                                   (o. Fn. 9), S. 1576.
                       Dafür, dass mit Streichung des Kompetenztitels für das            39 Vgl. BT-Drs. 16/813, S. 13; instruktiv hierzu Weber, ZMR 2019
                    Wohnungswesen nunmehr das gesamte Mietpreisrecht unter                  (o. Fn. 12), S. 393 f.
                    das bürgerliche Recht fallen sollte37, ist nichts ersichtlich. Die   40 Vgl. BT-Drs. 16/813, S. 7.

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                                                                                                                     KONTROVERSE
                                                                                                                           BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

              tages41 einem Zirkelschluss. So heißt es darin, das Mietpreis-   desgesetzlichen Konzept des sozial abgefederten zivilrecht-
              recht sei grundsätzlich Teil des sozialen Mietrechts, das tra-   lichen Mietrechts.48 Der Berliner Senat hat auf diese Kritik
              ditionell eine Materie des bürgerlichen Rechts darstelle. Vor-   teilweise reagiert. Für das sogenannte Kappen oder Absen-
              schriften des sozialen Mietrechts fielen daher unter den         ken von Mieten soll nunmehr die Wohnlage berücksichtigt
              Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Es ist unbestrit-    werden.49 Unabhängig hiervon ist ein „echter Widerspruch“
              ten, dass das im BGB geregelte soziale Mietrecht Teil des        des geplanten Mietendeckels zu dem bundesgesetzlichen
              bürgerlichen Rechts ist und der genannten Kompetenznorm          Konzept der Mietpreisbremse nicht erkennbar.50 Die Miet-
              subsumiert werden kann. Dies erklärt jedoch nicht, warum         preisbremse des BGB regelt die zulässige Höchstmiete bezo-
              das Mietpreisrecht in Gänze Teil des sozialen Mietrechts sein    gen auf das konkrete Mietverhältnis unter Rückgriff auf den
              soll. Die Aussage, das Mietpreisrecht sei traditionell privat-   jeweils aktuellen Mietspiegel. Der Gesetzentwurf zum Mie-
              rechtlich geregelt, ist dagegen – wie bereits festgestellt –     tendeckel bezieht sich ebenfalls auf Werte des Mietspiegels.
              zumindest höchst angreifbar.                                     Ein Unterschied liegt darin, dass der Landesgesetzgeber
                                                                               nicht plant, sämtliche Kriterien des Mietspiegels zu überneh-
                                                                               men. Dies geschieht – vor dem Hintergrund des als sehr
              3. Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung?
                                                                               dringlich erkannten Problems explodierender Mieten und
              Verfassungsrechtlich erheblicher sind im Gegensatz hierzu        eines Mangels an bezahlbarem Wohnraum – im Interesse
              die gegen das Gesetzgebungsvorhaben Berlins erhobenen            einer schnellstmöglichen Umsetzung und Anwendung der
              Einwände, der Erlass öffentlich-rechtlichen Mietpreisrechts      geplanten Regelungen, die einen möglichst geringen Verwal-
              bedeute, dass den Adressaten preisrechtlicher Gesetzgebung       tungsaufwand erfordern sollen.51 Zudem sollen aus Gründen
              widersprüchliche Normbefehle erreichten. Zudem würden            der Normklarheit Mieter in die Lage versetzt werden, mithilfe
              konzeptionelle Entscheidungen des zuständigen Bundes-            einer vereinfachten Tabelle die für sie anwendbare zulässige
              gesetzgebers verfälscht.42 Tatsächlich verpflichtet das          Höchstmiete ohne fachkundige Beratung zu erkennen. Dass
              Rechtsstaatsprinzip und die bundesstaatliche Kompetenzord-       der Senat die sogenannte Tabellenmiete darüber hinaus auf –
              nung alle rechtsetzenden Organe, ihre Regelungen – unter         fortgeschriebene – Werte des Berliner Mietspiegels 2013
              wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme43 – je-         stützen möchte,52 ist im Ergebnis ebenfalls unschädlich. Der
              weils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten        Landesgesetzgeber orientierte sich damit gleichwohl an
              nicht gegenläufige Vorschriften erreichen, die Rechtsord-        Durchschnittswerten, die das Marktgeschehen zwischen Ver-
              nung also nicht aufgrund unterschiedlicher Anordnungen           mietern und Mietern in der Stadt nachbilden, allerdings zu
              widersprüchlich wird.44 Konzeptionelle Entscheidungen ei-        einem Zeitpunkt, als der Berliner Wohnungsmarkt gerade
              nes zuständigen Bundesgesetzgebers dürfen auch durch auf         noch als nicht angespannt galt.53
              Spezialzuständigkeiten gründende Einzelentscheidungen ei-            Auch im Übrigen setzt sich der Entwurf des Berliner Se-
              nes Landesgesetzgebers nicht verfälscht werden.45                nats nicht in verfassungsrechtlich erheblichen Widerspruch
                 Es ist allerdings bereits zweifelhaft, ob diese Maßstäbe      zu einer mietpreisrechtlichen Konzeption des Bundesgesetz-
              unmittelbar auf den Bereich der Mietpreisregulierung über-       gebers. Ein solcher Widerspruch ergibt sich nicht bereits
              tragen werden können.46 Denn die sie aufstellenden verfas-       dadurch, dass in vertraglich oder gesetzlich begründete zivil-
              sungsgerichtlichen Entscheidungen befassen sich allein mit       rechtliche Rechtspositionen eingegriffen wird.54 Gleiches gilt
              der Frage, ob der Landesgesetzgeber neben einer Sachrege-        unter Berücksichtigung, dass Mietendeckel und Mietpreis-
              lung des Bundes, der sich dabei auf seine konkurrierende         bremse möglicherweise gleiche oder ähnliche Effekte erzie-
              Gesetzgebungskompetenz stützt, lenkungssteuerrechtlich tä-       len. Denn auch wenn die beiden mietpreisrechtlichen Instru-
              tig werden kann, wenn das Landesgesetz dem Konzept des
              Sachgesetzgebers entgegensteht. Konkret ging es um die
              Frage sanktionsbewehrter steuerlicher Lenkung durch den          41 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, vom
              Landesgesetzgeber im Bereich des Abfallwirtschaftsrechts,           31.01.2019 und vom 18.06.2019 (o. Fn. 9), jeweils S. 3; ebenso
                                                                                  Papier, September 2019, September 2019 (o. Fn. 9), S. 6 f., 11.
              das nach der Konzeption des Bundesgesetzgebers wesentlich
                                                                               42 Vgl. Battis, Gesetz zum Mietendeckel ist in Teilen verfassungs-
              durch das Kooperationsprinzip und damit durch freiwilliges,
                                                                                  widrig, Berliner Morgenpost online vom 26.10.2019, abrufbar
              aber gerade nicht durch erzwungenes Verhalten der Norm-             unter https://www.morgenpost.de/berlin/article227476329/Ge
              adressaten bestimmt werden sollte.                                  setz-zum-Mietendeckel-ist-in-Teilen-verfassungswidrig.html (zu-
                 Im Übrigen bedingt ein Gebot zu wechselseitiger Rück-            letzt abgerufen am 17.01.2020); Papier, September 2019, Septem-
              sichtnahme, dass es in beide Richtungen gilt, mithin in glei-       ber 2019 (o. Fn. 9), S. 11 ff.
              cher Weise für den Landes- wie für den Bundesgesetzgeber.        43 Vgl. BVerfGE 98, 265 (301).
              Sollten sich normative Konzepte der beiden Gesetzgeber           44 Vgl. BVerfGE 98, 106 (118 f.).
              widersprechen, kann dies deshalb nicht per se bedeuten,          45 Vgl. BVerfGE 98, 265 (301).
              dass die landesrechtliche Regelung zurücktreten muss. Un-        46 Vgl. ebenso Fischer-Lescano/Gutmann/Schmid (o. Fn. 21), S. 8, 12.
                                                                               47 Vgl. Papier, September 2019 (o. Fn. 9), S. 10.
              abhängig hiervon sind die in der Literatur teilweise fest-
                                                                               48 Vgl. Battis (o. Fn. 42).
              gestellten Widersprüche zumindest nicht in dem dargestell-
                                                                               49 Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 MietenWoG Bln-E.
              ten Maße erkennbar. So soll durch den Mietendeckel das           50 So auch Fischer-Lescano (o. Fn. 21), S. 17 f.
              Konzept des sozialen Mietpreisrechts im BGB „ganz eindeu-        51 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 31.
              tig“ gesprengt werden;47 die Festlegung einer Mietober-          52 Vgl. § 6 Abs. 1 MietenWoG Bln-E.
              grenze sowie das sogenannte Kappen oder Absenken von             53 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 30 ff.
              Mieten ständen zudem in diametralem Gegensatz zum bun-           54 So auch Gather/von Restorff/Rödl (o. Fn. 15).

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                    KONTROVERSE
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                    mente in die gleiche Richtung wirkten, ist vor dem Hinter-
                                                                                      1. Eingriff in die Grundrechte von Vermietern
                    grund der dargestellten strukturellen Unterschiede in den
                                                                                         und Eigentümern
                    jeweiligen normativen Regelungskonzepten und der vom
                    Landesgesetzgeber gewollten Trennung zwischen sozialem            Der vom Senat eingebrachte Gesetzentwurf greift – in nicht
                    Mietrecht des BGB und öffentlich-rechtlicher Mietpreisbin-        unerheblichem Maße – in die Grundrechte von Eigentümern
                    dung die behauptete Verfälschung eines Konzepts des Bun-          und Vermietern ein, namentlich in die Eigentumsgarantie aus
                    desgesetzgebers kaum darstellbar. Ein föderaler Kompetenz-        Art. 14 Abs. 1 GG und die Vertragsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1
                    konflikt entsteht im Übrigen nicht bereits dann, wenn ein         GG. Darüber hinaus ist der allgemeine Gleichheitssatz aus
                    Landesgesetzgeber – wie vorliegend – im Rahmen seiner             Art. 3 Abs. 1 GG betroffen.
                    Befugnisse einer Gruppe von Normadressaten Verhaltens-               Für die Prüfung, ob die einzelnen Bestimmungen des vor-
                    pflichten auferlegt, die zu deren bundesgesetzlich begrün-        gelegten Gesetzentwurfs gegen die genannten Freiheits- und
                    deten Pflichten hinzutreten.55 Dass der Bund in seinem Zu-        Gleichheitsrechte verstoßen, dürfte sich maßgeblich an dem
                    ständigkeitsbereich keine weitergehende Regelung getroffen        Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Mietpreis-
                    hat, ändert hieran nichts. Andernfalls würde die in Art. 30 GG    bremse zu orientieren sein.58 Nicht nur bestätigt das Gericht
                    vorausgesetzte Eigenständigkeit der Landesgesetzgebung            darin bereits bestehende verfassungsgerichtliche Maßstäbe
                    weitgehend leerlaufen. Das Gebot der Widerspruchsfreiheit         im Bereich der Mietpreisregulierung.59 Seine Erwägungen
                    der Rechtsordnung verpflichtet die Länder daher nicht, bei        können darüber hinaus in weiten Teilen für die sich im
                    ihrer Gesetzgebungstätigkeit nur solche konzeptionellen An-       Rahmen der Diskussion um den Mietendeckel stellenden
                    sätze zu verfolgen, die denen des Bundesgesetzgebers ent-         verfassungsrechtlichen Fragen fruchtbar gemacht werden.
                    sprechen.56
                                                                                      2. Geeignetheit und Erforderlichkeit
                    4. Zwischenergebnis
                                                                                      An der Geeignetheit und der Erforderlichkeit der Bestimmun-
                    Die gegen eine Kompetenz der Länder zur Regelung eines            gen des MietenWoG Bln-E dürfte nach der Entscheidung über
                    eigenen Mietpreisrechts vorgebrachten Argumente greifen           die Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse nicht ernst-
                    im Ergebnis nicht durch. Den geäußerten Bedenken in Bezug         haft zu zweifeln sein.60 So hat das Bundesverfassungsgericht
                    auf seine Gesetzgebungsbefugnis begegnet der Berliner Se-         bekräftigt, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
                    nat gleichwohl mit einer möglichst klaren Trennung zwischen       im Bereich der Miethöhenregulierung wegen der sozialen
                    den bestehenden Regelungen des sozialen Mietrechts und            Funktion des Wohnobjekts besonders groß ist.61 Dabei kann
                    einer öffentlich-rechtlichen Mietpreisbindung. Dies setzt er      sich der Gesetzgeber auch auf Gemeinwohlbelange wie etwa
                    beispielsweise bei der Regelung zum Mietenstopp um, die           die Durchmischung von Stadtvierteln sowie die Verhinderung
                    allein ein Verbot vorsieht, eine Miete zu fordern, die über der   von Segregation und Gentrifizierung berufen.62 Auch ein
                    Miethöhe des Stichtages liegt.57 Vergleichbar wird zu den         behaupteter Rückgang der Bautätigkeit – obwohl Neubau
                    Mietobergrenzen formuliert, dass es verboten sein soll, bei       vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen ist63 –
                    erstmaliger und bei Wiedervermietung eine Miete zu fordern,       sowie eine ebenso bislang nicht nachgewiesene verstärkte
                    die über die einschlägigen Werte der Mietentabelle hinaus-        Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen lässt die
                    geht. Mit dieser Regelung lässt der Landesgesetzgeber die         Eignung zur Erreichung der Ziele nicht entfallen, da es sich
                    vertraglichen Vereinbarungen der Mietparteien unberührt.          dabei allenfalls um mittelbare Auswirkungen des Gesetzes
                    Soweit der vereinbarte Mietzins jedoch die preisrechtlich         handelt.64 Dass die Förderung privaten Wohnungsneubaus65
                    zulässige Miethöhe überschreitet, ist die entsprechende For-
                    derung des Vermieters nicht durchsetzbar.
                                                                                      55 Vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 03.12.2019 – Vf. 6-VIII-17 –
                                                                                         juris Rn. 106.
                                                                                      56 Vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 03.12.2019 – Vf. 6-VIII-17 –
                    II. Zur materiellen Verfassungsmäßigkeit                             juris Rn. 107.
                                                                                      57 Vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln-E.
                    Im Ergebnis sprechen darüber hinaus gute Gründe dafür,
                                                                                      58 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8).
                    dass der vom Berliner Senat vorgelegte Gesetzentwurf auch         59 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 49.
                    materiell verfassungsmäßig ist. Umstritten ist gleichwohl ins-    60 Anders dennoch Wolfers/Opper (o. Fn. 9), S. 1449; hiergegen Pa-
                    besondere die Verhältnismäßigkeit der geplanten mietpreis-           pier, Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Neurege-
                    rechtlichen Bestimmungen. Auch die vorgesehene Regelung              lung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung – Rechts-
                    eines Stichtages beim Mietenstopp wirft verfassungsrechtli-          gutachtliche Stellungnahme im Auftrag des Bundesverbandes
                    che Fragen auf.                                                      deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. – GdW,
                       Die drei im Gesetzentwurf des Berliner Senats normierten          Dezember 2019, S. 9 ff., abrufbar unter https://web.gdw.de/uplo
                                                                                         ads/pdf/Pressemeldungen/Materielle_Verfassungsmaessig
                    Instrumente – der Mietenstopp, die Einführung von Mietober-
                                                                                         keit_des_Berliner_Mietendeckels.pdf (zuletzt abgerufen am
                    grenzen und das sogenannte Kappen oder Absenken über-
                                                                                         17.01.2020).
                    höhter Mieten – sind zwar kompetenzrechtlich einheitlich zu       61 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 71.
                    betrachten. Was die Intensität anbelangt, mit der die einzel-     62 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 72.
                    nen Maßnahmen jeweils in die Grundrechte von Eigentümern          63 Vgl. § 1 Nr. 3 MietenWoG Bln-E.
                    und Vermietern eingreifen, bestehen allerdings Unterschie-        64 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 65.
                    de.                                                               65 Vgl. Wolfers/Opper (o. Fn. 9), S. 1449.

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                                                                                                                        KONTROVERSE
                                                                                                                              BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

              oder der Ausbau sozialstaatlicher Maßnahmen zur Abmil-            wodurch die Wirtschaftlichkeit der Wohnung als sicher-
              derung sozialer Härten von Mietern – unberücksichtigt ihrer       gestellt gilt.77 Jedenfalls in Bezug auf den geplanten Mieten-
              im Vergleich zu einem Mietendeckel stärkeren Belastung des        stopp dürfte im Ergebnis nichts anderes gelten. Denn nach
              Landeshaushalts – Eigentümer und Vermieter nicht oder             § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln-E werden Mieten „eingefroren“,
              weniger belasteten, mag zutreffen, schlägt jedoch im Rahmen       die auf einem unregulierten Markt gebildet wurden und für
              der Erforderlichkeit nicht durch.66 Auch dem oft bemühten         deren Erhöhung die ortsübliche Vergleichsmiete maßgeblich
              zahlungskräftigen Mieter am Kurfürstendamm,67 der ohne            war – selbst eine am Markt orientierte Durchschnittsmiete.
              Notwendigkeit von den geplanten Regelungen profitierte,              Weiter reichen insoweit die geplanten Regelungen zur
              dürfte keine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen.            Mietobergrenze bei Erst- und Wiedervermietung und zum
              Dass sämtliche Mieter auf einem (insgesamt) angespannten          sogenannten Kappen oder Absenken von Bestandsmieten.
              Wohnungsmarkt einer mietpreisrechtlichen Regulierung un-          Sie orientieren sich – auch wenn fortgeschrieben – an Werten
              terfallen, war bereits bei der Mietpreisbremse der Fall.68 Auch   des Mietspiegels 201378 und bilden damit bereits jetzt nicht
              wenn das Angebot an bezahlbarem Wohnraum durch das                die aktuellen Marktmieten ab. Auch ist der Eingriff in die
              Gesetz steigen dürfte, wird befürchtet, dass sich der Zugang      Grundrechte von Eigentümern und Vermietern insofern in-
              zahlungsschwacher Mieter zum Wohnungsmarkt aufgrund               tensiver, als nicht nur die Durchsetzung von Rechten aus
              einer erwarteten steigenden Nachfrage an Wohnraum nicht           Gesetz – vorliegend die Forderung eines Mietzinses nach
              verbessern würde.69 Dies als gegeben unterstellt, beträfe der     Erhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete gemäß § 558
              Einwand gleichwohl allein die Regelung zu den Mietober-           Abs. 1 BGB oder nach Modernisierungsmaßnahmen nach
              grenzen bei Wiedervermietung, nicht jedoch den Mieten-            § 559 Abs. 1 BGB – beschränkt ist, sondern auch aus Vertrag.
              stopp oder das sogenannte Kappen oder Absenken von Be-            Das Vertrauen des Vermieters in die Durchsetzbarkeit ver-
              standsmieten.                                                     traglich begründeter Rechte dürfte verfassungsrechtlich als
                                                                                besonders schützenswert einzustufen sein; dies umso mehr,
                                                                                als er auf Grundlage des vereinbarten Mietzinses im Einzelfall
              3. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
                                                                                vermögenswerte Dispositionen getroffen hat. Die Qualität des
              Wesentlich größer ist der Begründungsaufwand des Gesetz-          Eingriffs ändert sich dadurch jedoch nicht grundlegend, ist
              gebers in Bezug auf die Angemessenheit (Verhältnismäßig-          doch auch der Umfang der gesetzlich zulässigen Erhöhung
              keit im engeren Sinne) der vorgesehenen mietpreisrecht-           der Miete abhängig vom jeweils vertraglich vereinbarten
              lichen Instrumente. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht        Mietzins. Letztlich führt die Anwendung aller drei Instrumen-
              per se ausgeschlossen, die Ausübung von durch Vertrag             te des Mietendeckels dazu, dass ein Vertragspartner – zeitlich
              begründeten oder sonst im bürgerlichen Recht verankerten          begrenzt – eine vertraglich begründete, ggf. aufgrund Geset-
              subjektiven Rechten zu beschränken.70 Zudem ist das Ver-          zes modifizierte Position, nämlich das Recht, vom Mieter
              trauen von Vermietern, mit ihrer Wohnung höchstmögliche           einen Mietzins in bestimmter Höhe zu verlangen, nicht durch-
              Mieteinkünfte zu erzielen, trotz getätigter kreditfinanzierter    setzen kann.
              Investitionen grundrechtlich nicht geschützt; auf dem „sozial-       Zudem hat der Gesetzgeber eine sachliche Begründung
              politisch umstrittenen Gebiet des Mietrechts“ dürfen Vermie-      für den Mietenstopp. Er möchte den Mietern eine „Ver-
              ter darüber hinaus auch nicht auf den Fortbestand einer ihnen     schnaufpause“ verschaffen, indem er die rasante Preis-
              günstigen Rechtslage vertrauen.71 Verfassungsrechtliche           entwicklung auf dem Wohnungsmarkt bremst, während er
              Grenzen sind jedoch dort gezogen, wo die Gruppe der Mieter        zugleich den sozialen Wohnungsbau fördert, eigenen Woh-
              oder der Vermieter einseitig bevorzugt oder benachteiligt         nungsbau betreibt79 und die Schaffung mietpreisgebundenen
              wird,72 oder wo eine Regelung zu dauerhaften Verlusten für
              den Vermieter oder einer Substanzgefährdung der Mietsache
              führt.73
                 Diese Grenzen sind nicht bereits dann überschritten, wenn
                                                                                66 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 67.
              eine im Interesse der Mieter ergehende Regulierung von
                                                                                67 Vgl. Battis (o. Fn. 42).
              Miethöhen nicht zugleich Vergünstigungen für Vermieter
                                                                                68 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 67, unter Verweis auf Gsell, Die gerechte
              und Eigentümer vorsieht.74 Eine verfassungsrechtliche Pflicht        Miete, NZM 2017, S. 305 (307).
              zur Kompensation von Eingriffen in deren Grundrechte ist          69 Vgl. Wolfers/Opper (o. Fn. 9), S. 1449.
              den verfassungsgerichtlichen Maßstäben nicht zu entneh-           70 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 103: „Dass bestehende Mieten nicht
              men. Vielmehr muss bei Schaffung eines gerechten Aus-                abgesenkt, sondern lediglich unangemessene Mietanhebungen
              gleichs mittels Abwägung den Interessen von Vermietern               bei Wiedervermietung verhindert werden (...), ist auch mit Blick
              und Eigentümern einerseits und den Belangen des All-                 auf die gesetzgeberischen Ziele der Miethöhenregulierung ange-
              gemeinwohls andererseits nicht immer dasselbe Gewicht bei-           messen.“
              gemessen werden; gesellschaftliche Verhältnisse und Um-           71 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 77.
                                                                                72 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 69.
              stände des Wohnungsmarktes dürfen – wie vorliegend
                                                                                73 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 88.
              geschehen75 – dabei Berücksichtigung finden.76
                                                                                74 So aber wohl Papier, Dezember 2019 (o. Fn. 60), S. 15 f.
                 Bedenken begegnet die teilweise Abkopplung der miet-           75 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 14 ff.
              preisrechtlich zulässigen Miethöhe von der am unregulierten       76 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 69, 73.
              Markt erzielbaren Miete. Dies ist in Bezug auf die Regelung       77 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 83.
              der Mietpreisbremse nicht der Fall, da sie sich gemäß § 556d      78 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 30 ff.
              Abs. 1 BGB an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientiert,        79 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 1 f.

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                    KONTROVERSE
                    BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

                    Wohnraums auf sonstige Weise unterstützt.80 Seinen Rück-           Rückanknüpfung liegt danach vor, wenn eine Norm auf ge-
                    griff auf die Werte des Mietspiegels 2013 hat der Berliner         genwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und
                    Senat nachvollziehbar damit begründet, dass zu dem Zeit-           Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zu-
                    punkt seiner Veröffentlichung ein gerade noch nicht ange-          gleich die betroffene Rechtsposition entwertet,99 etwa wenn
                    spannter Wohnungsmarkt in Berlin geherrscht habe.81                belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkün-
                        Ungeachtet dessen, dass eine Orientierung von Mietober-        dung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins
                    grenzen an den am Markt zu erzielenden Preisen verfas-             Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden.100 Normen
                    sungsrechtlich jedenfalls nicht zwingend ist,82 streitet für die   mit unechter Rückwirkung sind grundsätzlich zulässig; ver-
                    Angemessenheit der geplanten Regelungen, dass sie Neubau           fassungsrechtliche Grenzen können sich jedoch aus dem
                    von ihrem Anwendungsbereich komplett ausnimmt. Zudem               Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnis-
                    sieht sie für Neubau eine zeitlich großzügige, im Interesse        mäßigkeitsprinzip ergeben.101 Das schutzwürdige Vertrauen
                    von Eigentümern und Vermietern liegende Legaldefinition            auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage entfällt in der
                    vor.83 Die jeweils geltenden zulässigen Mietobergrenzen dif-       Regel bereits mit Einbringung eines Gesetzentwurfs in das
                    ferenzieren außerdem nach Baujahr und Ausstattung der              Parlament. Eine darin vorgesehene Neuregelung darf des-
                    Wohnung,84 bei dem sogenannten Kappen oder Absenken                halb unechte Rückwirkung entfalten.102
                    von Bestandsmieten findet darüber hinaus auch die Wohn-               Eine echte Rückwirkung ist dagegen verfassungsrechtlich
                    lage Berücksichtigung.85 Dem Gesetzgeber ist es im Hinblick        grundsätzlich unzulässig. Sie liegt vor, wenn ein Gesetz nach-
                    auf den allgemeinen Gleichheitssatz im Übrigen grundsätz-          träglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehö-
                    lich nicht verwehrt, eine Vielzahl von Sachverhalten typisie-      rende Tatbestände eingreift.103 Dies ist insbesondere der Fall,
                    rend und generalisierend zu regulieren;86 vollständige Einzel-     wenn die beabsichtigte Rechtsfolge mit belastender Wirkung
                    fallgerechtigkeit ist, und dies gilt letztlich trotz stärkerer     schon vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm für
                    Differenzierung auch für die Werte des Mietspiegels,87 nicht       bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (sogenannte
                    zu erreichen. Bei Bestandsmieten, die der Gesetzgeber unter
                    teilweiser Anlehnung an § 5 Abs. 2 WiStrG88 als schutzwürdi-
                    ger erachtet als den Fall der Erst- oder Wiedervermietung, hat      80 So etwa über das Modell der kooperativen Baulandentwicklung,
                                                                                           vgl. hierzu https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/woh
                    er einen Aufschlag von 20 % vorgesehen.89 Die preisrechtlich
                                                                                           nungsbau/de/vertraege/ (zuletzt abgerufen am 17.01.2020).
                    zulässige Mietobergrenze erhöht sich zudem für Ein- und
                                                                                        81 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 30 ff.
                    Zweifamilienhäuser um 1 €,90 ebenso wie für Wohnraum mit            82 Vgl. BVerfG (o. Fn. 8), Rn. 83: „Die ortsübliche Vergleichsmiete
                    (bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes vorhandener) moder-            sichert dem Vermieter einen am örtlichen Markt orientierten
                    ner Ausstattung.91 Ein Inflationsausgleich soll die Wirtschaft-        Mietzins, der die Wirtschaftlichkeit der Wohnung regelmäßig
                    lichkeit der Wohnung gewährleisten.92 Des Weiteren soll im             sicherstellen wird (...)“ (Hervorhebung durch den Verfasser).
                    Falle besonders niedriger Mieten der Deckel nach dem Willen         83 Vgl. § 1 Nr. 3 MietenWoG Bln-E: „(...) Wohnraum, der ab dem
                    des Berliner Senats zumindest bei Wiedervermietung „at-                01.01.2014 erstmalig bezugsfertig wurde(...).“
                    men“ können, sich die zulässige Höchstmiete mithin um 1 €,          84 Vgl. § 6 Abs. 1 MietenWoG Bln-E.
                                                                                        85 Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 MietenWoG Bln-E.
                    höchstens jedoch auf 5,02 €/m² erhöhen.93 Kosten für Moder-
                                                                                        86 Vgl. BVerfGE 98, 365 (385), stRspr.
                    nisierungsmaßnahmen, die der Vermieter auf den Mieter
                                                                                        87 Vgl. Papier, Dezember 2019 (o. Fn. 60), S. 26 f.
                    umlegt, können zumindest teilweise durchgesetzt werden.94           88 Vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 29.
                    Die ebenso vorgesehene Härtefallklausel soll verhindern,            89 Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 MietenWoG Bln-E.
                    dass die geplanten Regelungen zu dauerhaften Verlusten              90 Vgl. § 6 Abs. 2 MietenWoG Bln-E.
                    des Vermieters oder zu einer Substanzgefährdung führen.95           91 Vgl. § 6 Abs. 3 MietenWoG Bln-E; im Falle zusätzlicher Moderni-
                    Insbesondere aber spricht für die Verhältnismäßigkeit der              sierungsmaßnahmen nach Inkrafttreten des Gesetzes ist eine
                    geplanten Regelungen die Ausgestaltung des Mietendeckels               weitere Erhöhung der preisrechtlich zulässigen Miethöhe gemäß
                    als von vornherein zeitlich befristete Maßnahme: Das Gesetz            § 7 Abs. 1 MietenWoG Bln-E möglich.
                    soll nach fünf Jahren außer Kraft treten,96 das besonders           92 Vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 MietenWoG Bln-E.
                                                                                        93 Vgl. § 3 Abs. 3 MietenWoG Bln-E; dies gilt allerdings nur für
                    umstrittene sogenannte Kappen oder Absenken von Be-
                                                                                           Wohnungen, die bestimmte Modernisierungsmerkmale aufwei-
                    standsmieten darüber hinaus erst neun Monate nach Inkraft-
                                                                                           sen.
                    treten des Gesetzes anwendbar sein.97                               94 Vgl. § 7 Abs. 1 MietenWoG Bln-E.
                                                                                        95 Vgl. § 8 MietenWoG Bln-E.
                                                                                        96 Vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzli-
                    4. Stichtagsregelung als unzulässige Rückwirkung?
                                                                                           cher Vorschriften zur Mietenbegrenzung.
                    Verfassungsrechtlichen Bedenken setzt sich auch die Stich-          97 Vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzli-
                    tagsregelung beim sogenannten Mietenstopp aus; im Ergeb-               cher Vorschriften zur Mietenbegrenzung.
                    nis greifen diese aber nicht durch. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1         98 Dies gilt auch für Index- und Staffelmiete, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2
                                                                                           MietenWoG Bln-E. Für eine zum Stichtag nicht, aber bereits
                    MietenWoG Bln-E ist es verboten, eine Miete zu fordern, die
                                                                                           früher vermietete Wohnung ist die Miete zum Ende der letzten
                    die am 18.06.2019 – dem Stichtag – wirksam vereinbarte
                                                                                           Vermietung maßgeblich, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 MietenWoG Bln-E.
                    Miete überschreitet.98                                              99 Vgl. BVerfGE 101, 239 (263); 123, 186 (257).
                       Verfassungsrechtlich ist die Stichtagsregelung nach den         100 Vgl. BVerfGE 132, 302 (318).
                    Regeln über die Rückwirkung von Rechtsnormen in der Aus-           101 Vgl. BVerfGE 95, 64 (86).
                    prägung zu beurteilen, die sie durch Art. 14 Abs. 1 GG erfah-      102 Vgl. BVerfGE 127, 31 (50); 143, 246 (385, Rn. 377).
                    ren haben. Eine unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche           103 Vgl. BVerfGE 11, 139 (145 f.), stRspr.

                    10
Abzug vom 20.03.2020, 09:20:26

                                                                                                                           KONTROVERSE
                                                                                                                                 BDVR-Rundschreiben 1 | 2020

              Rückbewirkung von Rechtsfolgen).104 Auch in diesem Fall tritt      tene Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln-E am
              das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauens-            18.06.2019 hinreichend vorhersehbar war. Anhaltspunkte für
              schutz hat, aber zurück, wenn sich ausnahmsweise kein Ver-         eine sachwidrige Nutzung des dem Gesetzgeber zukommen-
              trauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte.         den Einschätzungsspielraums bei der Wahl des Zeitpunkts,
              Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn der Betrof-          ab dem die Wirkung der Ankündigung des Gesetzes seinen
              fene schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen           Zweck durchkreuzte,116 liegen nicht vor.
              war, nicht mit dem Fortbestand der Regelung rechnen durf-
              te.105
                 Die Regelungen des MietenWoG Bln-E entfalten unechte
                                                                                 IV. Fazit
              Rückwirkung. Der Gesetzgeber knüpft tatbestandlich an die
              jeweilige Miethöhe zum Stichtag an. Die Stichtagsregelung          Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung gesetzli-
              betrifft damit allein Mietverhältnisse, die in der Vergangen-      cher Vorschriften zur Mietenbegrenzung hat die Berliner
              heit ins Werk gesetzt worden sind, zum Zeitpunkt des Inkraft-      Landesregierung einen Vorschlag zur Einführung eines lan-
              tretens des Gesetzes aber noch fortbestehen. Derartige             desrechtlichen Mietpreisrechts vorgelegt. Dieser kann durch-
              Rechtsänderungen sind im Rahmen von Dauerschuldverhält-            aus als mutig bezeichnet werden, geht er doch inhaltlich weit
              nissen – wie der Mietvertrag eines ist – üblich; ein Vertrags-     über das hinaus, was in den letzten Jahren sowohl auf Bun-
              partner darf nicht darauf vertrauen, dass ein grundsätzlich auf
              unbestimmte Zeit geschlossenes Rechtsverhältnis stets dem
              zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht unter-
                                                                                 104 Vgl. BVerfGE 127, 1 (17).
              liegt.106 Die Norm entfaltet auch nicht deswegen echte Rück-
                                                                                 105 Vgl. BVerfGE 95, 64 (86 f.).
              wirkung, weil sie ein Verbot statuierte, eine höhere Miete als     106 Vgl. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 85. EL November 2018, Art. 3
              die Stichtagsmiete zu verlangen.107 Ein solches Verbot gilt, da        Rn. 374.
              im Gesetz nichts Gegenteiliges geregelt ist, erst ab seinem        107 So aber Papier, Dezember 2019 (o. Fn. 60), S. 23; ebenso Shirva-
              Inkrafttreten.108                                                      ni, Wortprotokoll zur Anhörung, Gesetz zur Neuregelung gesetz-
                 Selbst unterstellt, es läge ein Fall echter Rückwirkung vor,        licher Vorschriften zur Mietenbegrenzung, S. 45, abrufbar unter
              dürften zwingende Gründe des gemeinen Wohls eine                       https://www.parlament-berlin.de/ados/18/StadtWohn/protokoll/
              Durchbrechung des Rückwirkungsverbots rechtfertigen. Das               sw18-049-wp.pdf (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2020); Wis-
                                                                                     senschaftlicher Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses von
              Gesetzgebungsverfahren erfordert eine gewisse Zeitdauer,
                                                                                     Berlin, Gutachten zu einer Reihe von Rechtsfragen im Zusam-
              insbesondere – wie vorliegend – zur Regelung einer hoch-
                                                                                     menhang mit der Rückwirkung des geplanten Berliner Mieten-
              komplexen, bislang ungeregelten Materie. Dies kann von                 gesetzes („Mietendeckel“), vom 28.10.2019, S. 8, abrufbar unter
              betroffenen Eigentümern und Vermietern genutzt werden,                 https://www.parlament-berlin.de/C1257B55002B290D/vwCon
              ein Mieterhöhungsverlangen noch vor Inkrafttreten des Ge-              tentByKey/W2BHTGXS981WEBSDE/$File/20191028_Mieten
              setzes auszusprechen, um so dem drohenden „Einfrieren“                 deckel.pdf (zuletzt abgerufen am 17.01.2020).
              der Bestandsmieten zuvorzukommen. In einer derartigen              108 Vgl. Nora Wienfort, Ein Stichtag macht noch keine Rückwirkung,
              Konstellation kann es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein,             Verfassungsblog, 13.01.2019, https://verfassungsblog.de/ein-
              Maßnahmen zu ergreifen, damit die Neuregelung bereits vor              stichtag-macht-noch-keine-rueckwirkung/ (zuletzt abgerufen am
                                                                                     17.01.2020); missverständlich insoweit die Gesetzesbegründung,
              ihrem Erlass nicht durch Ausnutzung der bisherigen Rechts-
                                                                                     vgl. Agh-Drs. 18/2347, S. 25.
              lage unterlaufen werden kann.109 Der Gesetzgeber verfolgte
                                                                                 109 Vgl. BVerfGE 95, 64 (88 f.), 97, 67 (81 f.), jeweils für Fälle unechter
              mit der Einführung einer Stichtagsregelung den Zweck, die-             Rückwirkung; ebenso Schneider, Gesetzgebung, Heidelberg,
              sen befürchteten Ankündigungseffekt110 zu vermeiden. Sie ist           3. Aufl. 2002, Rn. 540.
              auch geeignet und erforderlich, da die beabsichtigte Wirkung       110 So rief etwa der Eigentümerverband Haus und Grund Berliner
              des Gesetzes – das „Einfrieren“ der aktuell geschuldeten               Vermieter noch am 09.06.2019 auf seiner Homepage dazu auf,
              Miete – andernfalls vereitelt worden wäre.111 Zur Frage einer          die Miete bis zum angekündigten Beschluss des Senats vom
              unzumutbaren Belastung von Eigentümern kann auf die vor-               18.06.2019 zu erhöhen, vgl. https://haus-und-grund-berlin.de/
              stehenden Ausführungen zur Angemessenheit des Mieten-                  wichtig-erhoehen-sie-vor-dem-18-juni-2019-die-miete/ (zuletzt
                                                                                     abgerufen am 17.01.2020).
              stopps verwiesen werden. Zum Stichtag war das Vertrauen
                                                                                 111 Unerheblich ist daher, wie „schwerwiegend“ sich ein Mieterhö-
              der betroffenen Eigentümer und Vermieter in den unverän-
                                                                                     hungsverlangen für den oder die Betroffenen auswirkt, so aber
              derten Fortbestand der damals geltenden Rechtslage auch                Wolfers/Opper (o. Fn. 9), S. 1451.
              bereits zumindest durch Zweifel abgelöst. Ein klassischer          112 Vgl. Högl/Zado/Wegner, „Berlin könnte eine eigene Mietpreis-
              Mietenstopp wurde bereits seit Januar 2019 politisch dis-              regulierung einführen“, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.
              kutiert,112 nachdem sich ein im November 2018 in der Juris-            de/berlin/wohnungsnot-in-der-hauptstadt-berlin-koennte-eine-ei
              tenzeitung113 erschienener Beitrag zum ersten Mal mit den              gene-mietpreisregulierung-einfuehren/23880014.html (zuletzt
              rechtlichen Voraussetzungen eines neben das soziale Miet-              abgerufen am 17.01.2020).
              recht tretenden öffentlichen Mietpreisrechts befasst hatte.        113 Vgl. Weber, JZ 2018 (o. Fn. 11), S. 1022 ff.
                                                                                 114 Dies verkennend Papier, Dezember 2019 (o. Fn. 60), S. 24 f.
              Die klare und allgemein auch für den juristischen Laien ver-
                                                                                 115 Vgl. Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
              ständliche Forderung eines „Einfrierens“ von Bestandsmie-
                                                                                     und Wohnen vom 30.08.2019, abrufbar unter https://stadtent
              ten – allein hierauf bezieht sich die Stichtagsregelung114 – ist       wicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?
              auch seit Beginn der politischen Debatte im Kern unverändert           arch_1908/nachricht6785.html (zuletzt abgerufen am
              geblieben, sodass die nunmehr im Gesetzentwurf (wie zuvor              17.01.2020).
              auch schon im Referentenentwurf vom 30.08.2019115) enthal-         116 Vgl. BVerfGE 95, 64 (89).

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