Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt: Historische Entwicklung, Verbreitung und Ökologie
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Zeitschrift für Feldherpetologie, Supplement 10: 203–216 April 2006 M. SCHLÜPMANN & H.-K. NETTMANN (Hrsg.): Areale und Verbreitungsmuster: Genese und Analyse Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt: Historische Entwicklung, Verbreitung und Ökologie WOLF-RÜDIGER GROSSE1, SYLVIA HOFMANN1 & ARNE DREWS² 1Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Zoologie, Spezielle Zoologie und Zoologische Sammlungen, Domplatz 4, D-06099 Halle/Saale, wolf.grosse@zoologie.uni-halle.de und sylvia.hofmann@zoologie.uni-halle.de; ²Landesamt für Natur und Umwelt Schleswig-Holstein, Hamburger Chaussee 25, 24220 Flintbeck, adrews@lanu.landsh.de Amphibians and reptiles on the island of Sylt: historical development, distribution and ecology Four amphibian species as well as four reptile species occur on the island of Sylt to- day. These species were also recorded on the mainland of Schleswig-Holstein, where 14 amphibian and seven reptile species have been recorded. The moor frog, the common toad and the natterjack toad are the most common amphibian species of Sylt. The present distribution and the status of the grass frog is not jet clear. The common lizard is exceptionally frequent and can be found all over the island. The sand lizard, the slow-worm and the adder were also recorded on Sylt. These species occur in the same habitats as on the mainland of Schleswig-Holstein, where they are restricted to the dry and sandy landscape unit called »Geest« and the eastern mo- raine hill-lands. The most common spawning sites for amphibians are small ponds and spring water fed areas in the dunes and meadows. In the nature reserve of »North Sylt« the natterjack toad also spawns in the ditches of the salt meadows. Spawning sites of the natterjack and the common toad are rarely found in human set- tlements, whereas the common lizard inhabits most villages. The slow-worm only was found in park-like forest areas near villages. The amphibian and reptile popula- tions are endarged by increasing urbanisation. It is important to protect the primary habitats of the coastal landscape of Sylt for the herpetofauna. Key words: Amphibians, reptiles, distribution, North Sea island Sylt, primary habitats. Zusammenfassung Die Herpetofauna der Insel Sylt umfasst vier Reptilien- und vier Amphibienarten, die auch auf dem Festland Schleswig-Holsteins (insgesamt 14 Amphibien- und 7 Reptilienarten) vertreten sind (KLINGE & WINKLER 2002). Erd- und Kreuzkröte und der Moorfrosch sind stellenweise sehr häufig. Der Status des Grasfrosches ist unklar. Die Waldeidechse ist außerordentlich häufig und über die ganze Insel verbreitet. Daneben liegen auf der Insel Nachweise von der Zauneidechse, Blindschleiche und der Kreuzotter vor, die östlich auf dem Festland auch erst in der Geest und im Östli- chen Hügelland anzutreffen sind. Unter den Ruf- und Laichgewässern der Amphi- bien dominieren die Tümpel und Druckwasserstellen, die vorwiegend im Dünen- oder Wiesenbereich liegen. Die Kreuzkröte laicht im NSG Nord-Sylt auch in kleinen Wasserstellen direkt hinter den Bermen der Salzwiesen ab. Nur ausnahmsweise lie- gen die Laichgewässer der Erd- und Kreuzkröte im Siedlungsbereich. Die Waldeid- echse dringt bis in die Ortschaften vor. Die Blindschleiche bewohnt ausschließlich © Laurenti-Verlag, Bielefeld, www.laurenti.de
204 GROSSE, HOFMANN & DREWS parkähnliche Baumpflanzungen in Ortschaften. Die Bebauung der Landschaft gefährdet die Amphibien- und Reptilienvorkommen. Ein wichtiger Schutz für die Herpetofauna besteht in der Erhaltung der Primärhabitate der Küstenlandschaft auf Sylt. Schlüsselbegriffe: Lurche, Kriechtiere, Verbreitung, Nordseeinsel Sylt, Primärhabitate. 1 Einleitung Drei große Naturräume bestimmen die zonale Gliederung Nord-Schleswig-Holsteins: das Östliche Hügelland, der Mittelrücken (unterteilt in Vorgeest und Hohe Geest) und im Westen die Landschaft der Flussniederungen und Marschen (STEWIG 1978). Im Nordwesten des Landes liegt in der Nordsee die Insel Sylt. Etwa 30 % der Inselfläche bedeckt die Geest. Wattenmeerseitig schließen sich schmale Säume von Marschland an. Strandwall und Dünenlandschaften (40 % der Inselfläche) sind jüngeren Datums und entstanden im Norden und Süden der Insel (Sandhaken). Damit finden sich auf der Insel unterschiedliche Lebensräume, die alle der hohen Dynamik der Küstenland- schaft unterliegen. Vor diesem Hintergrund soll die Etablierung der rezenten Amphibien- und Reptilien- fauna untersucht werden. Die Daten zur Verbreitung und Ökologie der Amphibien und Reptilien werden in Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Insel Sylt disku- tiert. Bedingt durch die zum Teil lang andauernde Isolierung vom Festland manifes- tieren sich möglicherweise Besonderheiten in der Biologie von Inselpopulationen, so dass Gefährdung und Schutz der Herpetofauna auf der Insel Sylt besondere Bedeu- tung gewinnen. 2 Material und Methoden Durch Beobachtungen bei Exkursionen im Rahmen des Fachstudiums Biologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in den Jahren 1992–1997 und durch ge- zielte Kartierungen und ökologische Untersuchungen (BRETSCHNEIDER 1999) in den Jahren 1998–2005 wurden herpetologische Daten gesammelt und in einer Primärdatei zusammengefasst. Diese gesamte Fundpunktsammlung wurde in die landesweite Kartierung der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins übernommen. Die eige- nen Daten im vorliegenden Beitrag konnten dankenswerter Weise durch den Arbeits- atlas des Arten- und Fundpunktkatasters Schleswig-Holsteins (KLINGE & WINKLER 2002) ergänzt werden. Ein Teil der mündlichen Hinweise zur Verbreitung wurde aufgrund fehlender Bestätigungen vorerst nicht in die Darstellungen einbezogen. 3 Entstehung und Geschichte der Insel Sylt Eine Landhebung im Tertiär wölbte die Landfläche der heutigen Sylter Region vor 25 Millionen Jahren auf. Die Geestkerne der Inseln Sylt, Föhr und Amrum sind Reste dieser alten Landoberfläche. Nacheiszeitlich war die Fläche der heutigen Inseln noch
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt 205 Festland, welches durch den anstei- genden Meeresspiegel erodiert wur- de. Noch bis ins späte Mittelalter sollen die Inseln Sylt und Föhr breite Marschengürtel umgeben haben, deren genaue Lage jedoch aus nicht maßstabsgetreuen Abbildungen nur zu erahnen ist. Der Landabbruch in den folgenden Jahrhunderten formte die Insel Sylt. Ihre endgültige Tren- nung von den südlich gelegenen Inseln datiert aus der Zeit zwischen 1540 und 1650. Seitdem verändern die Nordsee und die starken Strömungen des Lister- und Hörnumer Tiefs stän- dig die Insel. Seit 1927 ist sie über den Hindenburg-Damm mit dem Festland verbunden. Abb. 1: Übersicht zu Amphibienfundpunkten auf 4 Ergebnisse der Insel Sylt. Overview of the amphibian distribution at Sylt 4.1 Die Lurche der Insel Sylt Die Schwerpunkte der Amphibien- kartierungen waren die Naturschutz- gebiete im Norden und Süden der Insel (Abb. 1). Nicht intensiv kartiert wurden die Stadt Westerland und die Zentren der größeren Ortschaften, in denen lediglich einzelne Individuen meist als Todfunde zu finden waren. Erdkröte In Schleswig-Holstein ist die Art flächendeckend vertreten, fehlt jedoch auf einigen Nordseeinseln (KLINGE & WINKLER 2002). Auf Sylt ist sie nur punktuell in Gewässern der Mar- schen, im Norden um List und im Osten um Morsum und Archsum vertreten (Abb. 2). Ruf- und Laichge- wässer waren Druckwasserstellen im Lister Koog (wahrscheinlich die größ- Abb. 2: Erdkröte. Common toad.
206 GROSSE, HOFMANN & DREWS te Population mit 500–1000 Tieren) und permanente Gewässer am Rande der Tinnumer Marsch und Straßen- gräben bei Morsum und Archsum. Kreuzkröte Die Art ist lückig im Festlandteil der Geest und dem Hügelland Schleswig- Holsteins vertreten. Sie fehlt dort jedoch in der Marsch (KLINGE & WINKLER 2002). Während die Kreuz- kröte aus dem Ostseeküstenbereich nur aus wenigen Primärhabitaten (Fehmarn, Schwansener See) bekannt ist, finden sich an der Nordseeküste zahlreiche Vorkommen. In den Sand- dünentälern des NSG Sylt Nord be- finden sich möglicherweise die größ- ten deutschen Kreuzkröten-Vorkom- men (Abb. 3). Der nördlichste Fund- Abb. 3: Kreuzkröte. Natterjack toad. punkt liegt auf dem Lister Ellenbo- gen. Kleinere Vorkommen liegen im Süden der Insel in den feuchten Dü- nentälern zwischen Rantum und Hörnum. Die stark eutrophen Weide- tümpel der Sylter Geest und Marsch werden von der Art gemieden. Der einzige (letzte?) Fundpunkt im Osten der Insel bei Archsum konnte nach 1992 nicht mehr bestätigt werden. Dagegen findet sich die Art in der Munkmarsch auf Sekundärstandorten und in Dorfweihern in Ortschaften wie List. Moorfrosch Er gehört zu den häufigsten Arten und besiedelt in Schleswig-Holstein alle drei Hauptnaturräume (KLINGE & WINKLER 2002). Auch auf Sylt findet er sich in der Marsch, der Geest und in den feuchteren Sanddünentälern (Abb. 4). Hier kommt er syntop und Abb. 4: Moorfrosch. Moor frog. in größerer Dichte mit der Kreuzkröte
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt 207 vor und ist wie diese beinahe flä- chendeckend vertreten. Nachweislü- cken in der intensiv genutzten Geest zwischen Tinnum, Keitum und Mor- sum und in den Dünentälern Nord- und Süd-Sylts sind möglicherweise auf Erfassungsdefizite zurückzufüh- ren. Grasfrosch Der Grasfrosch gehört zu den häu- figsten Amphibienarten und besiedelt in Schleswig-Holstein alle drei Haupt- naturräume (KLINGE & WINKLER 2002). Auch auf Sylt findet er sich in der Marsch und Geest (Abb. 5). Die eigenen Nachweise beruhen auf Laichfunden und Kaulquappennach- weisen in List (Kunstteich), Munk- marsch (Sandgrube) und Tinnum (Burgtümpel und Graben). Es sind Abb. 5: Grasfrosch. Grass frog. syntope Vorkommen mit dem Moor- frosch. Die Grasfroschnachweise aus dem Rantumbecken und Ost-Sylt in der Arten- datei Schleswig-Holsteins beruhen lediglich auf Jungtierfunden in Bodenfallen. Der Fallenfang ist nicht mehr verfügbar. RAHMEL & EIKHORST (1988) erwähnen in der Vergangenheit größere Grasfroschvorkommen in der Sylter Marsch östlich von Wes- terland (Nachweis von 93 Grasfroschlaichballen). Dagegen war den Autoren in Nord- sylt nur ein Vorkommen im Lister Koog bekannt. Die Überprüfung der letztgenannten Vorkommen nach 1991 ergab keine positiven Ergebnisse. Abb. 6: Amphibienlaichplätze auf der Insel Sylt; links – Wiesenweiher in Alt-List, rechts – Dünental südlich Rantum. Amphibian spawning sites at the island of Sylt.
208 GROSSE, HOFMANN & DREWS a b c d e f g h Abb. 7: Amphibienlaichplätze auf der Insel Sylt. a – Altpril in der Tinnumer Marsch, b – Schilfrohr- senke in der Tinnumer Marsch, c – Jenslongtal im NSG Sylt-Nord, d – Flutgraben Kampener Schilf- wiesen, e – Krötentümpel Mörnumer Heide, f – Lagunentümpel Westrand Ellenbogen, g – Kiesgrube Munkmarsch, h – Feuerlöschteich in Morsum. Amphibian spawning sites at the island of Sylt.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt 209 4.2 Die Kriechtiere der Insel Sylt Der Schwerpunkt der Verbreitung sind die Naturschutzgebiete im Nor- den und Süden der Insel, wo die Waldeidechse nahezu flächendeckend vertreten ist. In den zentralen Geest- und Marschflächen sind die Reptilien seltener (Abb. 8). Im unmittelbaren Dünenbereich der Küstenlinie sind sie in und zwischen fast allen Ortschaf- ten zu finden. Defizite aufgrund von Schwierigkeiten der Bestimmung bestehen bei der Übernahme von Fremddaten nur bezüglich der Zaun- eidechse (Verwechslung mit der Waldeidechse). Waldeidechse Die Waldeidechse ist die häufigste Reptilienart in Schleswig-Holstein (KLINGE & WINKLER 2002). Sie kommt Abb. 8: Übersicht zu Reptilienfundpunkten auf der Insel Sylt. in allen Hauptnaturräumen vor und Overview of the reptile distribution at Sylt ist lediglich in der Marsch seltener. Eine defizitäre Erfassung ist hier denkbar. Die Art ist auf den drei nördlichen Nordseeinseln häufig. Auf Sylt ist sie flächendeckend vertreten (Dünenlandschaften in N- und S-Sylt, Küstenstreifen insgesamt und punk- tuell in der Marsch und Geest zwi- schen Tinnum und Morsum/Arch- sum, Abb. 9). Im Siedlungsbereich trifft man sie in großer Dichte um Hörnum, Rantum und Keitum an. Etwas seltener ist sie zwischen Wes- terland und Wennigstedt, wird dage- gen weiter nördlich um Kampen-Ost und -West wieder außerordentlich häufig. Zauneidechse Die Zauneidechse ist ein typischer Vertreter der Geest und des südlichen Hügellandes in Schleswig-Holstein Abb. 9: Waldeidechse. Common lizard.
210 GROSSE, HOFMANN & DREWS (KLINGE & WINKLER 2002). Aus der Marsch liegen keine aktuellen Fund- ortmeldungen vor. Die Küstenlagen von St. Peter Ording (Halbinsel Ei- derstedt) und von Hörnum (Sylt) sind überregional gesehen die Ausnahme. Ein aktuelles Vorkommen auf Sylt befindet sich am Marschrand südöst- lich von Tinnum, ein weiteres im Hörnumer Dünenbereich. Die histo- risch bekannten Vorkommen in der Ortslage Hörnum, den Dünentälern westlich und östlich der Straße Hör- num nach Rantum und in der Lister Wanderdünenlandschaft konnten nach 1992 nicht mehr bestätigt wer- den (Abb. 10). Blindschleiche Die Blindschleiche ist in weiten Teilen Abb. 10: Zauneidechse. Sand lizard. der Geest und des Östlichen Hügel- lands Schleswig-Holsteins anzutref- fen. Die Marsch scheint unbesiedelt (KLINGE & WINKLER 2002). Auf Sylt ist die Art aus den Parkanlagen von Westerland und Wennigstedt bekannt (Abb. 11). Ebenso findet sie sich in einem kleinen Weidengehölz am Hör- numer Leuchtturm. Kreuzotter Die Kreuzotter ist schwerpunktmäßig in der Geest sowie im zentralen Östli- chen Hügellands Schleswig-Holsteins verbreitet. Die Marsch ist unbesiedelt (KLINGE & WINKLER 2002). Die Altnachweise aus den 1970er Jah- ren vom Morsumkliff und dem Klap- holttal auf der Insel Sylt konnten in den letzten Jahren nicht bestätigt werden (Abb. 12). Abb. 11: Blindschleiche. Slow worm.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt 211 4.3 Habitatwahl der Amphibien und Bestandsdynamik der Kreuz- kröte Obwohl gerade die Marschen der Insel reich an Gewässern sind, finden sich in ihnen vergleichsweise wenige für Amphibien geeignete Laichplätze. Häufig sind es Abschnitte in künstlich angelegten Entwässerungsgräben oder natürlichen Schlenken, meist Altarme ehemaliger Priele, die besie- delt sind. Die große Masse der Laich- gewässer bilden die Dünengewässer (Abb. 6, 7, Tab. 1). Sie sind einer na- türlichen Dynamik folgend ganzjäh- rig mit Wasser gefüllt oder fallen im Extremfall ganz trocken. Vorder- gründig werden sie vom Moorfrosch und der Kreuzkröte als Laichgewäs- ser genutzt. Als erwähnenswerte Besonderheit der letzteren Art ist die Abb. 12: Kreuzotter. Adder. Laichablage in brackigen Wasserlö- chern hinter den Bermen in den Lister Salzwiesen und in die Lagune des Lister Ellenbogens zu nennen. Tab. 1: Übersicht zu den Amphibienlaichgewässern im Jahre 2003. Bc = Bufo calamita, Bb = Bufo bufo, Ra = Rana arvalis. Overview of the amphibian spawning sites in the year 2003. Typ Umfeld Temp. pH- Leitf. TDS O2-Sätt. O2-Geh. Arten °C Wert µS ppm % mg/l Tümpel Heide, Dünental 18,3 5,9 216 109 115 10,5 Bc, Ra Tümpel Heide, Dünental 15,7 6,7 320 160 97 10,0 Bc, Ra Tümpel Heide, Dünental 16,0 6,8 350 175 93 9,1 Bc, Ra Berme Salzwiese 15,3 4,3 27 2,8 Bc, Ra Senke Schilfsaum, Küste 21,0 6,5 103 9,1 Bb Graben Schilfsaum, Küste 14,5 6,3 88 8,8 Bb, Ra Tümpel Heide, Dünental 18,3 5,5 270 185 60 6,1 Ra Tümpel Heide, Dünental 21,7 5,2 438 222 113 9,8 Bc Tümpel Heide, Dünental 20,3 6,5 370 183 121 11,0 Bc, Ra Tümpel Sandgrube 13,7 7,0 252 133 102 10,4 Bc, Ra Teich Wiese 14,2 7,5 704 349 94 9,5 Bb Tümpel Heide, Dünental 12,9 6,8 447 232 90 9,5 Bc Graben Feuchtwiese 16,0 7,0 1132 568 83 8,1 Bb Druckwasserstelle Salzwiese 19,0 7,2 1588 797 84 7,8 Bc, Bb Tümpel Dünental 13,6 7,6 409 215 72 7,6 Bc Tümpel Dünental 13,7 7,5 310 162 74 7,8 Bc
212 GROSSE, HOFMANN & DREWS a b c d e f g h Abb. 13: Reptilienhabitate auf der Insel Sylt: a – Altpril Tinnumer Westmarschen, b – Krüppelkiefer- heide Vogelkoje Kampen, c – Abbruchkante Morsum-Kliff, d – Dünental nördlich Kampen, e – Sand- dünen südlich Hörnum, f –Wattenmeerküste List-Heide, g – Dünen Ortsrand Hörnum, h – Uwe- Düne Kampen. Reptile habitats at the island of Sylt.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt 213 In feuchten Jahren sind an den Dünentalgewässern Tausende Kreuzkröten zur Fort- pflanzung versammelt. Eine Populationsschätzung war bisher in solchen Jahren nicht möglich, da bei fotographischer Individualerkennung die tägliche Wiederfangrate zu gering war. Zur Kontrolle/Darstellung der Bestandsdynamik eignen sich teilweise auch Daten zur Anwanderung an Krötenzäunen. Diese lagen für Sylt aus den Jahren 1979–1989 aus Hörnum vor (BRETSCHNEIDER 1999). Bei hohen Wasserständen in den Dünentälern fingen sich in den Eimerfallen 1979 1 019 Tiere und 1982 655 Tiere. In den extrem trockenen Jahren fanden sich an den verbliebenen Gewässern weniger Kröten ein. Am Hörnumer Krötenzaun wurden 1985 nur 55 Tiere registriert. Die gleiche Dynamik kann auch für das Massenvorkommen im NSG Nordsylt bestätigt werden: 1995 mit 13 Rufgewässern und geschätzten > 5 000 Kreuzkröten, dagegen 1997 drei Rufgewässer mit < 1 000 Tieren. 5 Diskussion Sylt hat die gleiche postglaziale Besiedlungsgeschichte wie Schleswig-Holstein. Alle acht Arten der Insel-Herpetofauna kommen auch auf dem Festland vor. Die postgla- ziale Verlagerung der Nordseeküste in Richtung Osten führte zur heutigen Lage der Insel Sylt mit Seeklima, Abtragen des Geestkerns und Anlagerung der Sandhaken. Damit entstanden in der Zeit der letzten Jahrhunderte für Kreuzkröte, Moorfrosch und Waldeidechse optimale Habitate, in denen sich individuenstarke Populationen etablieren konnten (Primärhabitate nach CLAUSNITZER 1999). Noch unbeantwortet ist die Frage, ob die isolierte Lage der Lurch- und Kriechtierpo- pulationen an der Küste biologische Folgen hat? Offensichtlich besteht die Tendenz zu einer niedrigen Artenzahl auf der Insel Sylt im Vergleich zum Festland Schleswig- Holstein (KLINGE & WINKLER 2002). Damit ist die Situation vergleichbar mit den Ver- hältnissen auf anderen Geestinseln der Nordsee wie Amrum und Föhr (ROßDEUT- SCHER 2004). Die Marschen Schleswig-Holsteins stellen für manche Arten einen ungeeigneten Lebensraum dar, was zur Isolation führte. Dazu sollte man bedenken, dass viele Mar- schen erst durch Abdeichung des Meeres entstanden sind. Das wird an den Kleve- hängen Schleswig-Holsteins deutlich, die alte Meeresküsten darstellen. Hier kommen auch alle Arten Sylts vor. Damit könnte zumindest ein Teil der Herpetofauna (Kreuz- kröte, Moorfrosch und Waldeidechse) auch historisch gesehen autochthon sein. Als Moorbewohner waren sie seit je her präsent. Für den Moorfrosch wird dies von RAH- MEL & EIKHORST (1988) vermutet. Man kann das auch für die flächendeckend vertrete- ne Erdkröte annehmen, die zusätzlich anthropogen entstandene Sekundärhabitate nutzt. Das Vorkommen im anmoorigen und brackigen Wasser des Lister Koogs wäre damit erklärbar. Die Gewässer werden dort randständig durch Bodendruckwasser angereichert und sind in ihrem Wasserchemismus dem »Marschlandtümpel« ähnlich. Die geringe Zahl der aktuellen Grasfroschnachweise im Vergleich zu RAHMEL & EIK- HORST (1988) lässt auf einen Rückgang schließen. Aktuelle Erfassungen in List und Munkmarsch beruhen auf Laichfunden in syntopen Vorkommen mit dem Moor- frosch. Im Jahr 2003 wurden die als Grasfroschlaich angesprochenen Laichballen
214 GROSSE, HOFMANN & DREWS markiert. Diese hatten sich nach etwa 10 Tagen weitestgehend aufgelöst. Als mögliche Ursache kommt die schlechte Wasserqualität, vordergründig die Nährstoffüberlas- tung in Frage. Grasfroschmeldungen aus dem Rantumbecken und Ost-Sylt beruhen auf Jungtiererfassungen mit leicht gefleckter Bauch- oder Rückenseite. Derzeit existie- ren nur noch vier aktuelle Grasfroschnachweise, was möglicherweise ein Indiz für einen Rückgang der Art ist. Insgesamt fehlt der Art auf der Insel ein entsprechender Sommerlebensraum. Auf der Nachbarinsel Amrum fehlt die Art gänzlich (ROßDEUT- SCHER 2004). Ebenso sind Blindschleiche und Kreuzotter typische Vertreter der Geest und des Östlichen Hügellandes von Schleswig-Holstein (KLINGE & WINKLER 2002). Die Mar- schen sind nicht besiedelt. Die Vorkommen auf Sylt könnten Reste alter Vorkommen sein, was aber wenig wahrscheinlich erscheint (Blindschleiche in den Parks der Fe- rienorte Wennigstedt und Westerland). Die Kreuzottervorkommen bei Morsum resul- tieren wahrscheinlich von eingeschleppten Tieren in Torflieferungen zu Brennzwe- cken in den Jahren nach 1945. Die Tiere hielten sich einige Jahre auf der Insel, ohne eine beständige Population aufbauen zu können. Für einige Amphibien- und Reptilienarten gibt es auf Sylt Primärhabitate, in denen sie auch ohne Zutun des Menschen überleben können. Dabei kommen die Kreuzkröte, der Moorfrosch und die Waldeidechse offenbar sehr gut mit der Dynamik der Küsten- landschaft zurecht. BEEBEE et al. (1996) konnten nachweisen, dass die Populationsgrö- ße der Kreuzkröte wesentlich vom Gewässerangebot abhängt und das ist in nieder- schlagsreichen Jahren sehr groß. Die Individuenzahlen im NSG Sylt Nord mit seinen besonders zahlreichen Dünentalgewässern bestätigen das. DENTON & BEEBEE (1993) und SINSCH (1998) erwähnen ebenfalls den großen Einfluss stochastischer Umweltfak- toren auf die Populationsdynamik der Kreuzkröten. Modellsimulationen auf der Basis der Sylter Daten von Kreuzkrötenpopulationen können bei fortschreitender Isolation der Vorkommen eine Hilfe für den praktischen Naturschutz bei der Abschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeiten sein (STEPHAN et al. 2001). Völlig unklar bleibt vorerst die Situation der Zauneidechse auf der Insel Sylt. Die Art ist nach WOLLESEN & WRANGEL (2002) auffällig häufig in den Küstendünen und Geestheiden an der Nordsee. Vermutet wird, dass sie früher auf Sylt ebenfalls häufig war (W. VÖLKL pers. Mitt.). Aus den letzten 15 Jahren sind dagegen lediglich drei Beobachtungen von Einzeltieren bekannt geworden, was möglicherweise auf einen Rückgang hindeutet. Auch eine gezielte Kontrolle der Altstandorte im Jahre 2005 brachte keine Nachweise. Sind die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt gefährdet? In dem dicht besiedelten Kulturlandschaften Mitteleuropas sind urtümliche natürliche Landschaften und Primärhabitate fast vollständig verschwunden. Auch das Gebiet der heutigen Insel Sylt ist vom Menschen mindestens seit der Jungsteinzeit besiedelt. Allerdings hat die Landschaft bis heute ihre Dynamik erhalten. In unregelmäßigen Abständen wird die Sukzession durch Naturgewalten unterbrochen und Primärle- bensräume entstehen. Hier können Pionierarten wie die Kreuzkröte und Offenlandar- ten wie der Moorfrosch und die Waldeidechse individuenstarke Bestände ausbilden.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt 215 Tab. 2: Gefährdung und Schutz der Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt. Abk.: SH Schleswig- Holstein * derzeit nicht gefährdet, 0 = ausgestorben, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, V = Vorwarn- liste, D = Datenlage unzureichend. Endangering and protection of the amphibians and reptiles at the island of Sylt. Art Rote Liste SH RL BRD Status Sylt Erdkröte (Bufo bufo) * 3 Kreuzkröte (Bufo calamita) 2 3 3 Grasfrosch (Rana temporaria) V V D Moorfrosch (Rana arvalis) V 2 3 Zauneidechse (Lacerta agilis) 2 3 D Waldeidechse (Zootoca vivipara) * * Blindschleiche (Anguis fragilis) D D Kreuzotter (Vipera berus) 2 2 0 Für deren Erhaltung wird gerade auf solchen Sonderstandorten wie den Nordseein- seln eine besondere naturschutzfachliche Verantwortung gesehen (Tab. 2). Unter diesem Gesichtspunkt sind die Gefährdung und der Schutz der Lurche und Kriechtiere auf der Insel Sylt von großer Relevanz: • Der siedlungsbedingte fortschreitende Landverbrauch auf der Insel trägt maßgeb- lich zur Habitatzerstörung und damit zur Isolation der Populationen bei. • Die Größe der Kreuzkrötenpopulationen ist primär vom Habitatangebot abhängig (BEEBEE et al. 1996). Das Zurückdrängen der Gewässersukzession durch Schafhü- tung zu Zeiten der Austrocknung der Dünentäler bevorteilt die Populationen. • Überbeweidung macht die Gewässer für Amphibien unbrauchbar. Die dauerhafte intensive Haustierhaltung auf den Sylter Marschen führte möglicher Weise dazu, dass fast keine Amphibiennachweise trotz großem Gewässerangebot möglich wa- ren. Nach RAHMEL & EIKHORST (1988) waren die Marschen auf Sylt relativ dicht mit Braunfröschen besiedelt, was aktuell nicht bestätigt werden konnte. Dagegen konnte die Bestandsschätzung von mehreren Tausend Moorfröschen für Sylter Dünentalhabitate bestätigt werden. ROßDEUTSCHER (2004) bestätigt für die Insel Amrum ebenfalls die Bedeutung der Dünentalhabitate für die Amphibienvor- kommen. • Die Anlage von linienhaften Schutzzäunen an Verkehrswegen schützt punktuell nur einzelne Vorkommen. Die Waldeidechsen wärmen sich in den Morgenstunden im Frühjahr bevorzugt auf Straßen und Radfahrwegen auf. An den Radfahrwegen ist ein technischer Eidechsenschutz nicht möglich. Dies trifft auch für die Amphi- bienschutzanlage bei Hörnum zu. Flächendeckend sind diese Maßnahmen nicht einsetzbar. • Insgesamt sind die Reptilienvorkommen auf Sylt nach dem derzeitigen Kenntnis- stand (noch?) nicht gefährdet. Danksagung Wir danken allen Exkursionsteilnehmern der Sylt-Exkursionen 1992–2005 der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg und den Mitarbeitern des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung, Wattenmeerstation List. Ebenso danken wir dem Landesamt für Natur
216 GROSSE, HOFMANN & DREWS und Umwelt Schleswig-Holstein für die vielfältigen Hilfen und Herrn Dr. HOFFMANN, Untere Naturschutzbehörde Nordfriesland, für seine Unterstützung. Herr PD Dr. W. VÖLKL, Universi- tät Bayreuth, stellte freundlicherweise Daten aus seinen herpetologischen Aufzeichnungen zur Verfügung. 6 Literatur BEEBEE, T. J. C., J. S. DENTON & J. BUCKLEY (1996): Factors affecting population densities of adult natterjack toads Bufo calamita in Britain. – Journal of Applied Ecology 33: 263–268. BRETSCHNEIDER, P. (1999): Ökologische und bioakustische Untersuchungen an der Kreuzkröte (Bufo calamita LAURENTI 1768) im Gebiet von Halle/Sa. und auf der Insel Sylt. – Diplomarbeit Institut für Zoologie, Universität Halle, unveröff. CLAUSNITZER, H.-J. (1999): Bedeutung von Primärhabitaten für die mitteleuropäische Fauna. Schutz von Primär- oder Sekundärhabitaten? – Naturschutz und Landschaftsplanung 31: 261–266. DENTON, J. F. & T. J. C. BEEBEE (1993): Reproductive strategies in a female-biased population of natterjack toad, Bufo calamita. – Animal Behaviour 46: 1169–1175. KLINGE, A. & C. WINKLER (Hrsg.) (2002): Arten- und Fundpunktkataster für Amphibien und Repti- lien in Schleswig-Holstein: Arbeitsatlas. – Kiel. RAHMEL, U. & R. EIKHORST (1988): Untersuchungen an den Laichplätzen von Moorfrosch (Rana arvalis) und Grasfrosch (Rana temporaria) auf den nordfriesischen Inseln Amrum, Föhr und Sylt. – Jahrbuch für Feldherpetologie 2: 47–66. ROßDEUTSCHER, M. (2004): Erfassung und Ökologie der Amphibien auf Amrum. – Diplomarbeit Zoologisches Institut und Museum Universität Hamburg, unveröff. SINSCH, U. (1998): Biologie und Ökologie der Kreuzkröte. – Bochum (Laurenti). STEPHAN, T., K. ULBRICH, W.-R. GROSSE & F. MEYER (2001): Modelling the extinction risk of isolated populations of natterjack toad Bufo calamita. – Web Ecology 2: 47–56. STEWIG, R. (1978): Landeskunde Schleswig-Holstein. – Kiel (Hirt). WOLLESEN, R. & R. WRANGEL (2002): Zur Situation der Zauneidechse (Lacerta agilis Linnaeus, 1758) in Schleswig-Holstein. – Die Eidechse 13: 1–7.
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