Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt: Historische Entwicklung, Verbreitung und Ökologie

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Zeitschrift für Feldherpetologie, Supplement 10: 203–216                         April 2006
 M. SCHLÜPMANN & H.-K. NETTMANN (Hrsg.): Areale und Verbreitungsmuster: Genese und Analyse

        Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt: Historische
              Entwicklung, Verbreitung und Ökologie

               WOLF-RÜDIGER GROSSE1, SYLVIA HOFMANN1 & ARNE DREWS²
  1Martin-Luther-Universität
                          Halle-Wittenberg, Institut für Zoologie, Spezielle Zoologie und Zoologische
         Sammlungen, Domplatz 4, D-06099 Halle/Saale, wolf.grosse@zoologie.uni-halle.de und
     sylvia.hofmann@zoologie.uni-halle.de; ²Landesamt für Natur und Umwelt Schleswig-Holstein,
                  Hamburger Chaussee 25, 24220 Flintbeck, adrews@lanu.landsh.de

       Amphibians and reptiles on the island of Sylt: historical development,
                            distribution and ecology
     Four amphibian species as well as four reptile species occur on the island of Sylt to-
     day. These species were also recorded on the mainland of Schleswig-Holstein, where
     14 amphibian and seven reptile species have been recorded. The moor frog, the
     common toad and the natterjack toad are the most common amphibian species of
     Sylt. The present distribution and the status of the grass frog is not jet clear. The
     common lizard is exceptionally frequent and can be found all over the island. The
     sand lizard, the slow-worm and the adder were also recorded on Sylt. These species
     occur in the same habitats as on the mainland of Schleswig-Holstein, where they are
     restricted to the dry and sandy landscape unit called »Geest« and the eastern mo-
     raine hill-lands. The most common spawning sites for amphibians are small ponds
     and spring water fed areas in the dunes and meadows. In the nature reserve of
     »North Sylt« the natterjack toad also spawns in the ditches of the salt meadows.
     Spawning sites of the natterjack and the common toad are rarely found in human set-
     tlements, whereas the common lizard inhabits most villages. The slow-worm only
     was found in park-like forest areas near villages. The amphibian and reptile popula-
     tions are endarged by increasing urbanisation. It is important to protect the primary
     habitats of the coastal landscape of Sylt for the herpetofauna.
     Key words: Amphibians, reptiles, distribution, North Sea island Sylt, primary habitats.

                                         Zusammenfassung
     Die Herpetofauna der Insel Sylt umfasst vier Reptilien- und vier Amphibienarten,
     die auch auf dem Festland Schleswig-Holsteins (insgesamt 14 Amphibien- und 7
     Reptilienarten) vertreten sind (KLINGE & WINKLER 2002). Erd- und Kreuzkröte und
     der Moorfrosch sind stellenweise sehr häufig. Der Status des Grasfrosches ist unklar.
     Die Waldeidechse ist außerordentlich häufig und über die ganze Insel verbreitet.
     Daneben liegen auf der Insel Nachweise von der Zauneidechse, Blindschleiche und
     der Kreuzotter vor, die östlich auf dem Festland auch erst in der Geest und im Östli-
     chen Hügelland anzutreffen sind. Unter den Ruf- und Laichgewässern der Amphi-
     bien dominieren die Tümpel und Druckwasserstellen, die vorwiegend im Dünen-
     oder Wiesenbereich liegen. Die Kreuzkröte laicht im NSG Nord-Sylt auch in kleinen
     Wasserstellen direkt hinter den Bermen der Salzwiesen ab. Nur ausnahmsweise lie-
     gen die Laichgewässer der Erd- und Kreuzkröte im Siedlungsbereich. Die Waldeid-
     echse dringt bis in die Ortschaften vor. Die Blindschleiche bewohnt ausschließlich

                               © Laurenti-Verlag, Bielefeld, www.laurenti.de
204                                                                   GROSSE, HOFMANN & DREWS

      parkähnliche Baumpflanzungen in Ortschaften. Die Bebauung der Landschaft
      gefährdet die Amphibien- und Reptilienvorkommen. Ein wichtiger Schutz für die
      Herpetofauna besteht in der Erhaltung der Primärhabitate der Küstenlandschaft auf
      Sylt.
      Schlüsselbegriffe: Lurche, Kriechtiere, Verbreitung, Nordseeinsel Sylt, Primärhabitate.

1     Einleitung
Drei große Naturräume bestimmen die zonale Gliederung Nord-Schleswig-Holsteins:
das Östliche Hügelland, der Mittelrücken (unterteilt in Vorgeest und Hohe Geest) und
im Westen die Landschaft der Flussniederungen und Marschen (STEWIG 1978). Im
Nordwesten des Landes liegt in der Nordsee die Insel Sylt. Etwa 30 % der Inselfläche
bedeckt die Geest. Wattenmeerseitig schließen sich schmale Säume von Marschland
an. Strandwall und Dünenlandschaften (40 % der Inselfläche) sind jüngeren Datums
und entstanden im Norden und Süden der Insel (Sandhaken). Damit finden sich auf
der Insel unterschiedliche Lebensräume, die alle der hohen Dynamik der Küstenland-
schaft unterliegen.
Vor diesem Hintergrund soll die Etablierung der rezenten Amphibien- und Reptilien-
fauna untersucht werden. Die Daten zur Verbreitung und Ökologie der Amphibien
und Reptilien werden in Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Insel Sylt disku-
tiert. Bedingt durch die zum Teil lang andauernde Isolierung vom Festland manifes-
tieren sich möglicherweise Besonderheiten in der Biologie von Inselpopulationen, so
dass Gefährdung und Schutz der Herpetofauna auf der Insel Sylt besondere Bedeu-
tung gewinnen.

2     Material und Methoden
Durch Beobachtungen bei Exkursionen im Rahmen des Fachstudiums Biologie an der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in den Jahren 1992–1997 und durch ge-
zielte Kartierungen und ökologische Untersuchungen (BRETSCHNEIDER 1999) in den
Jahren 1998–2005 wurden herpetologische Daten gesammelt und in einer Primärdatei
zusammengefasst. Diese gesamte Fundpunktsammlung wurde in die landesweite
Kartierung der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins übernommen. Die eige-
nen Daten im vorliegenden Beitrag konnten dankenswerter Weise durch den Arbeits-
atlas des Arten- und Fundpunktkatasters Schleswig-Holsteins (KLINGE & WINKLER
2002) ergänzt werden. Ein Teil der mündlichen Hinweise zur Verbreitung wurde
aufgrund fehlender Bestätigungen vorerst nicht in die Darstellungen einbezogen.

3     Entstehung und Geschichte der Insel Sylt
Eine Landhebung im Tertiär wölbte die Landfläche der heutigen Sylter Region vor 25
Millionen Jahren auf. Die Geestkerne der Inseln Sylt, Föhr und Amrum sind Reste
dieser alten Landoberfläche. Nacheiszeitlich war die Fläche der heutigen Inseln noch
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt                                             205

Festland, welches durch den anstei-
genden Meeresspiegel erodiert wur-
de. Noch bis ins späte Mittelalter
sollen die Inseln Sylt und Föhr breite
Marschengürtel umgeben haben,
deren genaue Lage jedoch aus nicht
maßstabsgetreuen Abbildungen nur
zu erahnen ist. Der Landabbruch in
den folgenden Jahrhunderten formte
die Insel Sylt. Ihre endgültige Tren-
nung von den südlich gelegenen
Inseln datiert aus der Zeit zwischen
1540 und 1650. Seitdem verändern die
Nordsee und die starken Strömungen
des Lister- und Hörnumer Tiefs stän-
dig die Insel. Seit 1927 ist sie über den
Hindenburg-Damm mit dem Festland
verbunden.

                                            Abb. 1: Übersicht zu Amphibienfundpunkten auf
4    Ergebnisse                             der Insel Sylt.
                                            Overview of the amphibian distribution at Sylt

4.1 Die Lurche der Insel Sylt
Die Schwerpunkte der Amphibien-
kartierungen waren die Naturschutz-
gebiete im Norden und Süden der
Insel (Abb. 1). Nicht intensiv kartiert
wurden die Stadt Westerland und die
Zentren der größeren Ortschaften, in
denen lediglich einzelne Individuen
meist als Todfunde zu finden waren.

Erdkröte
In Schleswig-Holstein ist die Art
flächendeckend vertreten, fehlt jedoch
auf einigen Nordseeinseln (KLINGE &
WINKLER 2002). Auf Sylt ist sie nur
punktuell in Gewässern der Mar-
schen, im Norden um List und im
Osten um Morsum und Archsum
vertreten (Abb. 2). Ruf- und Laichge-
wässer waren Druckwasserstellen im
Lister Koog (wahrscheinlich die größ-       Abb. 2: Erdkröte. Common toad.
206                                                 GROSSE, HOFMANN & DREWS

                                       te Population mit 500–1000 Tieren)
                                       und permanente Gewässer am Rande
                                       der Tinnumer Marsch und Straßen-
                                       gräben bei Morsum und Archsum.

                                       Kreuzkröte
                                       Die Art ist lückig im Festlandteil der
                                       Geest und dem Hügelland Schleswig-
                                       Holsteins vertreten. Sie fehlt dort
                                       jedoch in der Marsch (KLINGE &
                                       WINKLER 2002). Während die Kreuz-
                                       kröte aus dem Ostseeküstenbereich
                                       nur aus wenigen Primärhabitaten
                                       (Fehmarn, Schwansener See) bekannt
                                       ist, finden sich an der Nordseeküste
                                       zahlreiche Vorkommen. In den Sand-
                                       dünentälern des NSG Sylt Nord be-
                                       finden sich möglicherweise die größ-
                                       ten deutschen Kreuzkröten-Vorkom-
                                       men (Abb. 3). Der nördlichste Fund-
Abb. 3: Kreuzkröte. Natterjack toad.   punkt liegt auf dem Lister Ellenbo-
                                       gen. Kleinere Vorkommen liegen im
                                       Süden der Insel in den feuchten Dü-
                                       nentälern zwischen Rantum und
                                       Hörnum. Die stark eutrophen Weide-
                                       tümpel der Sylter Geest und Marsch
                                       werden von der Art gemieden. Der
                                       einzige (letzte?) Fundpunkt im Osten
                                       der Insel bei Archsum konnte nach
                                       1992 nicht mehr bestätigt werden.
                                       Dagegen findet sich die Art in der
                                       Munkmarsch auf Sekundärstandorten
                                       und in Dorfweihern in Ortschaften
                                       wie List.

                                       Moorfrosch
                                       Er gehört zu den häufigsten Arten
                                       und besiedelt in Schleswig-Holstein
                                       alle drei Hauptnaturräume (KLINGE &
                                       WINKLER 2002). Auch auf Sylt findet
                                       er sich in der Marsch, der Geest und
                                       in den feuchteren Sanddünentälern
                                       (Abb. 4). Hier kommt er syntop und
Abb. 4: Moorfrosch. Moor frog.         in größerer Dichte mit der Kreuzkröte
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt                                                       207

vor und ist wie diese beinahe flä-
chendeckend vertreten. Nachweislü-
cken in der intensiv genutzten Geest
zwischen Tinnum, Keitum und Mor-
sum und in den Dünentälern Nord-
und Süd-Sylts sind möglicherweise
auf Erfassungsdefizite zurückzufüh-
ren.

Grasfrosch
Der Grasfrosch gehört zu den häu-
figsten Amphibienarten und besiedelt
in Schleswig-Holstein alle drei Haupt-
naturräume (KLINGE & WINKLER
2002). Auch auf Sylt findet er sich in
der Marsch und Geest (Abb. 5). Die
eigenen Nachweise beruhen auf
Laichfunden und Kaulquappennach-
weisen in List (Kunstteich), Munk-
marsch (Sandgrube) und Tinnum
(Burgtümpel und Graben). Es sind Abb. 5: Grasfrosch. Grass frog.
syntope Vorkommen mit dem Moor-
frosch. Die Grasfroschnachweise aus dem Rantumbecken und Ost-Sylt in der Arten-
datei Schleswig-Holsteins beruhen lediglich auf Jungtierfunden in Bodenfallen. Der
Fallenfang ist nicht mehr verfügbar. RAHMEL & EIKHORST (1988) erwähnen in der
Vergangenheit größere Grasfroschvorkommen in der Sylter Marsch östlich von Wes-
terland (Nachweis von 93 Grasfroschlaichballen). Dagegen war den Autoren in Nord-
sylt nur ein Vorkommen im Lister Koog bekannt. Die Überprüfung der letztgenannten
Vorkommen nach 1991 ergab keine positiven Ergebnisse.

Abb. 6: Amphibienlaichplätze auf der Insel Sylt; links – Wiesenweiher in Alt-List, rechts – Dünental
südlich Rantum.
Amphibian spawning sites at the island of Sylt.
208                                                                   GROSSE, HOFMANN & DREWS

  a                                               b

  c                                                d

  e                                                f

  g                                               h

Abb. 7: Amphibienlaichplätze auf der Insel Sylt. a – Altpril in der Tinnumer Marsch, b – Schilfrohr-
senke in der Tinnumer Marsch, c – Jenslongtal im NSG Sylt-Nord, d – Flutgraben Kampener Schilf-
wiesen, e – Krötentümpel Mörnumer Heide, f – Lagunentümpel Westrand Ellenbogen, g – Kiesgrube
Munkmarsch, h – Feuerlöschteich in Morsum.
Amphibian spawning sites at the island of Sylt.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt                                                209

4.2 Die Kriechtiere der Insel Sylt
Der Schwerpunkt der Verbreitung
sind die Naturschutzgebiete im Nor-
den und Süden der Insel, wo die
Waldeidechse nahezu flächendeckend
vertreten ist. In den zentralen Geest-
und Marschflächen sind die Reptilien
seltener (Abb. 8). Im unmittelbaren
Dünenbereich der Küstenlinie sind sie
in und zwischen fast allen Ortschaf-
ten zu finden. Defizite aufgrund von
Schwierigkeiten der Bestimmung
bestehen bei der Übernahme von
Fremddaten nur bezüglich der Zaun-
eidechse (Verwechslung mit der
Waldeidechse).

Waldeidechse
Die Waldeidechse ist die häufigste
Reptilienart in Schleswig-Holstein
(KLINGE & WINKLER 2002). Sie kommt          Abb. 8: Übersicht zu Reptilienfundpunkten auf der
                                            Insel Sylt.
in allen Hauptnaturräumen vor und           Overview of the reptile distribution at Sylt
ist lediglich in der Marsch seltener.
Eine defizitäre Erfassung ist hier
denkbar. Die Art ist auf den drei
nördlichen Nordseeinseln häufig. Auf
Sylt ist sie flächendeckend vertreten
(Dünenlandschaften in N- und S-Sylt,
Küstenstreifen insgesamt und punk-
tuell in der Marsch und Geest zwi-
schen Tinnum und Morsum/Arch-
sum, Abb. 9). Im Siedlungsbereich
trifft man sie in großer Dichte um
Hörnum, Rantum und Keitum an.
Etwas seltener ist sie zwischen Wes-
terland und Wennigstedt, wird dage-
gen weiter nördlich um Kampen-Ost
und -West wieder außerordentlich
häufig.

Zauneidechse
Die Zauneidechse ist ein typischer
Vertreter der Geest und des südlichen
Hügellandes in Schleswig-Holstein           Abb. 9: Waldeidechse. Common lizard.
210                                                GROSSE, HOFMANN & DREWS

                                      (KLINGE & WINKLER 2002). Aus der
                                      Marsch liegen keine aktuellen Fund-
                                      ortmeldungen vor. Die Küstenlagen
                                      von St. Peter Ording (Halbinsel Ei-
                                      derstedt) und von Hörnum (Sylt) sind
                                      überregional gesehen die Ausnahme.
                                      Ein aktuelles Vorkommen auf Sylt
                                      befindet sich am Marschrand südöst-
                                      lich von Tinnum, ein weiteres im
                                      Hörnumer Dünenbereich. Die histo-
                                      risch bekannten Vorkommen in der
                                      Ortslage Hörnum, den Dünentälern
                                      westlich und östlich der Straße Hör-
                                      num nach Rantum und in der Lister
                                      Wanderdünenlandschaft        konnten
                                      nach 1992 nicht mehr bestätigt wer-
                                      den (Abb. 10).

                                      Blindschleiche
                                      Die Blindschleiche ist in weiten Teilen
Abb. 10: Zauneidechse. Sand lizard.   der Geest und des Östlichen Hügel-
                                      lands Schleswig-Holsteins anzutref-
                                      fen. Die Marsch scheint unbesiedelt
                                      (KLINGE & WINKLER 2002). Auf Sylt ist
                                      die Art aus den Parkanlagen von
                                      Westerland und Wennigstedt bekannt
                                      (Abb. 11). Ebenso findet sie sich in
                                      einem kleinen Weidengehölz am Hör-
                                      numer Leuchtturm.

                                      Kreuzotter
                                      Die Kreuzotter ist schwerpunktmäßig
                                      in der Geest sowie im zentralen Östli-
                                      chen Hügellands Schleswig-Holsteins
                                      verbreitet. Die Marsch ist unbesiedelt
                                      (KLINGE & WINKLER 2002).
                                      Die Altnachweise aus den 1970er Jah-
                                      ren vom Morsumkliff und dem Klap-
                                      holttal auf der Insel Sylt konnten in
                                      den letzten Jahren nicht bestätigt
                                      werden (Abb. 12).

Abb. 11: Blindschleiche. Slow worm.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt                                                        211

4.3 Habitatwahl der Amphibien und
    Bestandsdynamik der Kreuz-
    kröte
Obwohl gerade die Marschen der
Insel reich an Gewässern sind, finden
sich in ihnen vergleichsweise wenige
für Amphibien geeignete Laichplätze.
Häufig sind es Abschnitte in künstlich
angelegten      Entwässerungsgräben
oder natürlichen Schlenken, meist
Altarme ehemaliger Priele, die besie-
delt sind. Die große Masse der Laich-
gewässer bilden die Dünengewässer
(Abb. 6, 7, Tab. 1). Sie sind einer na-
türlichen Dynamik folgend ganzjäh-
rig mit Wasser gefüllt oder fallen im
Extremfall ganz trocken. Vorder-
gründig werden sie vom Moorfrosch
und der Kreuzkröte als Laichgewäs-
ser genutzt. Als erwähnenswerte
Besonderheit der letzteren Art ist die Abb. 12: Kreuzotter. Adder.
Laichablage in brackigen Wasserlö-
chern hinter den Bermen in den Lister
Salzwiesen und in die Lagune des Lister Ellenbogens zu nennen.

Tab. 1: Übersicht zu den Amphibienlaichgewässern im Jahre 2003. Bc = Bufo calamita, Bb = Bufo bufo,
Ra = Rana arvalis.
Overview of the amphibian spawning sites in the year 2003.
Typ                 Umfeld              Temp.   pH-     Leitf.   TDS   O2-Sätt.   O2-Geh.   Arten
                                         °C     Wert     µS      ppm     %         mg/l
Tümpel              Heide, Dünental      18,3    5,9     216     109     115       10,5     Bc, Ra
Tümpel              Heide, Dünental      15,7    6,7     320     160      97       10,0     Bc, Ra
Tümpel              Heide, Dünental      16,0    6,8     350     175      93        9,1     Bc, Ra
Berme               Salzwiese            15,3    4,3                      27        2,8     Bc, Ra
Senke               Schilfsaum, Küste    21,0    6,5                     103        9,1     Bb
Graben              Schilfsaum, Küste    14,5    6,3                      88        8,8     Bb, Ra
Tümpel              Heide, Dünental      18,3    5,5     270     185      60        6,1     Ra
Tümpel              Heide, Dünental      21,7    5,2     438     222     113        9,8     Bc
Tümpel              Heide, Dünental      20,3    6,5     370     183     121       11,0     Bc, Ra
Tümpel              Sandgrube            13,7    7,0     252     133     102       10,4     Bc, Ra
Teich               Wiese                14,2    7,5     704     349      94        9,5     Bb
Tümpel              Heide, Dünental      12,9    6,8     447     232      90        9,5     Bc
Graben              Feuchtwiese          16,0    7,0    1132     568      83        8,1     Bb
Druckwasserstelle   Salzwiese            19,0    7,2    1588     797      84        7,8     Bc, Bb
Tümpel              Dünental             13,6    7,6     409     215      72        7,6     Bc
Tümpel              Dünental             13,7    7,5     310     162      74        7,8     Bc
212                                                                   GROSSE, HOFMANN & DREWS

  a                                                b

  c                                                d

  e                                               f

  g                                               h

Abb. 13: Reptilienhabitate auf der Insel Sylt: a – Altpril Tinnumer Westmarschen, b – Krüppelkiefer-
heide Vogelkoje Kampen, c – Abbruchkante Morsum-Kliff, d – Dünental nördlich Kampen, e – Sand-
dünen südlich Hörnum, f –Wattenmeerküste List-Heide, g – Dünen Ortsrand Hörnum, h – Uwe-
Düne Kampen.
Reptile habitats at the island of Sylt.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt                                         213

In feuchten Jahren sind an den Dünentalgewässern Tausende Kreuzkröten zur Fort-
pflanzung versammelt. Eine Populationsschätzung war bisher in solchen Jahren nicht
möglich, da bei fotographischer Individualerkennung die tägliche Wiederfangrate zu
gering war. Zur Kontrolle/Darstellung der Bestandsdynamik eignen sich teilweise
auch Daten zur Anwanderung an Krötenzäunen. Diese lagen für Sylt aus den Jahren
1979–1989 aus Hörnum vor (BRETSCHNEIDER 1999). Bei hohen Wasserständen in den
Dünentälern fingen sich in den Eimerfallen 1979 1 019 Tiere und 1982 655 Tiere. In den
extrem trockenen Jahren fanden sich an den verbliebenen Gewässern weniger Kröten
ein. Am Hörnumer Krötenzaun wurden 1985 nur 55 Tiere registriert. Die gleiche
Dynamik kann auch für das Massenvorkommen im NSG Nordsylt bestätigt werden:
1995 mit 13 Rufgewässern und geschätzten > 5 000 Kreuzkröten, dagegen 1997 drei
Rufgewässer mit < 1 000 Tieren.

5    Diskussion
Sylt hat die gleiche postglaziale Besiedlungsgeschichte wie Schleswig-Holstein. Alle
acht Arten der Insel-Herpetofauna kommen auch auf dem Festland vor. Die postgla-
ziale Verlagerung der Nordseeküste in Richtung Osten führte zur heutigen Lage der
Insel Sylt mit Seeklima, Abtragen des Geestkerns und Anlagerung der Sandhaken.
Damit entstanden in der Zeit der letzten Jahrhunderte für Kreuzkröte, Moorfrosch
und Waldeidechse optimale Habitate, in denen sich individuenstarke Populationen
etablieren konnten (Primärhabitate nach CLAUSNITZER 1999).
Noch unbeantwortet ist die Frage, ob die isolierte Lage der Lurch- und Kriechtierpo-
pulationen an der Küste biologische Folgen hat? Offensichtlich besteht die Tendenz zu
einer niedrigen Artenzahl auf der Insel Sylt im Vergleich zum Festland Schleswig-
Holstein (KLINGE & WINKLER 2002). Damit ist die Situation vergleichbar mit den Ver-
hältnissen auf anderen Geestinseln der Nordsee wie Amrum und Föhr (ROßDEUT-
SCHER 2004).
Die Marschen Schleswig-Holsteins stellen für manche Arten einen ungeeigneten
Lebensraum dar, was zur Isolation führte. Dazu sollte man bedenken, dass viele Mar-
schen erst durch Abdeichung des Meeres entstanden sind. Das wird an den Kleve-
hängen Schleswig-Holsteins deutlich, die alte Meeresküsten darstellen. Hier kommen
auch alle Arten Sylts vor. Damit könnte zumindest ein Teil der Herpetofauna (Kreuz-
kröte, Moorfrosch und Waldeidechse) auch historisch gesehen autochthon sein. Als
Moorbewohner waren sie seit je her präsent. Für den Moorfrosch wird dies von RAH-
MEL & EIKHORST (1988) vermutet. Man kann das auch für die flächendeckend vertrete-
ne Erdkröte annehmen, die zusätzlich anthropogen entstandene Sekundärhabitate
nutzt. Das Vorkommen im anmoorigen und brackigen Wasser des Lister Koogs wäre
damit erklärbar. Die Gewässer werden dort randständig durch Bodendruckwasser
angereichert und sind in ihrem Wasserchemismus dem »Marschlandtümpel« ähnlich.
Die geringe Zahl der aktuellen Grasfroschnachweise im Vergleich zu RAHMEL & EIK-
HORST (1988) lässt auf einen Rückgang schließen. Aktuelle Erfassungen in List und
Munkmarsch beruhen auf Laichfunden in syntopen Vorkommen mit dem Moor-
frosch. Im Jahr 2003 wurden die als Grasfroschlaich angesprochenen Laichballen
214                                                          GROSSE, HOFMANN & DREWS

markiert. Diese hatten sich nach etwa 10 Tagen weitestgehend aufgelöst. Als mögliche
Ursache kommt die schlechte Wasserqualität, vordergründig die Nährstoffüberlas-
tung in Frage. Grasfroschmeldungen aus dem Rantumbecken und Ost-Sylt beruhen
auf Jungtiererfassungen mit leicht gefleckter Bauch- oder Rückenseite. Derzeit existie-
ren nur noch vier aktuelle Grasfroschnachweise, was möglicherweise ein Indiz für
einen Rückgang der Art ist. Insgesamt fehlt der Art auf der Insel ein entsprechender
Sommerlebensraum. Auf der Nachbarinsel Amrum fehlt die Art gänzlich (ROßDEUT-
SCHER 2004).
Ebenso sind Blindschleiche und Kreuzotter typische Vertreter der Geest und des
Östlichen Hügellandes von Schleswig-Holstein (KLINGE & WINKLER 2002). Die Mar-
schen sind nicht besiedelt. Die Vorkommen auf Sylt könnten Reste alter Vorkommen
sein, was aber wenig wahrscheinlich erscheint (Blindschleiche in den Parks der Fe-
rienorte Wennigstedt und Westerland). Die Kreuzottervorkommen bei Morsum resul-
tieren wahrscheinlich von eingeschleppten Tieren in Torflieferungen zu Brennzwe-
cken in den Jahren nach 1945. Die Tiere hielten sich einige Jahre auf der Insel, ohne
eine beständige Population aufbauen zu können.
Für einige Amphibien- und Reptilienarten gibt es auf Sylt Primärhabitate, in denen sie
auch ohne Zutun des Menschen überleben können. Dabei kommen die Kreuzkröte,
der Moorfrosch und die Waldeidechse offenbar sehr gut mit der Dynamik der Küsten-
landschaft zurecht. BEEBEE et al. (1996) konnten nachweisen, dass die Populationsgrö-
ße der Kreuzkröte wesentlich vom Gewässerangebot abhängt und das ist in nieder-
schlagsreichen Jahren sehr groß. Die Individuenzahlen im NSG Sylt Nord mit seinen
besonders zahlreichen Dünentalgewässern bestätigen das. DENTON & BEEBEE (1993)
und SINSCH (1998) erwähnen ebenfalls den großen Einfluss stochastischer Umweltfak-
toren auf die Populationsdynamik der Kreuzkröten. Modellsimulationen auf der Basis
der Sylter Daten von Kreuzkrötenpopulationen können bei fortschreitender Isolation
der Vorkommen eine Hilfe für den praktischen Naturschutz bei der Abschätzung der
Überlebenswahrscheinlichkeiten sein (STEPHAN et al. 2001).
Völlig unklar bleibt vorerst die Situation der Zauneidechse auf der Insel Sylt. Die Art
ist nach WOLLESEN & WRANGEL (2002) auffällig häufig in den Küstendünen und
Geestheiden an der Nordsee. Vermutet wird, dass sie früher auf Sylt ebenfalls häufig
war (W. VÖLKL pers. Mitt.). Aus den letzten 15 Jahren sind dagegen lediglich drei
Beobachtungen von Einzeltieren bekannt geworden, was möglicherweise auf einen
Rückgang hindeutet. Auch eine gezielte Kontrolle der Altstandorte im Jahre 2005
brachte keine Nachweise.

Sind die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt gefährdet?
In dem dicht besiedelten Kulturlandschaften Mitteleuropas sind urtümliche natürliche
Landschaften und Primärhabitate fast vollständig verschwunden. Auch das Gebiet
der heutigen Insel Sylt ist vom Menschen mindestens seit der Jungsteinzeit besiedelt.
Allerdings hat die Landschaft bis heute ihre Dynamik erhalten. In unregelmäßigen
Abständen wird die Sukzession durch Naturgewalten unterbrochen und Primärle-
bensräume entstehen. Hier können Pionierarten wie die Kreuzkröte und Offenlandar-
ten wie der Moorfrosch und die Waldeidechse individuenstarke Bestände ausbilden.
Die Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt                                                         215

Tab. 2: Gefährdung und Schutz der Lurche und Kriechtiere der Insel Sylt. Abk.: SH Schleswig-
Holstein * derzeit nicht gefährdet, 0 = ausgestorben, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, V = Vorwarn-
liste, D = Datenlage unzureichend.
Endangering and protection of the amphibians and reptiles at the island of Sylt.

Art                                    Rote Liste SH         RL BRD               Status Sylt
Erdkröte (Bufo bufo)                         *                                        3
Kreuzkröte (Bufo calamita)                  2                   3                     3
Grasfrosch (Rana temporaria)                V                  V                      D
Moorfrosch (Rana arvalis)                   V                   2                     3
Zauneidechse (Lacerta agilis)               2                   3                     D
Waldeidechse (Zootoca vivipara)              *                                         *
Blindschleiche (Anguis fragilis)            D                                         D
Kreuzotter (Vipera berus)                   2                   2                     0

Für deren Erhaltung wird gerade auf solchen Sonderstandorten wie den Nordseein-
seln eine besondere naturschutzfachliche Verantwortung gesehen (Tab. 2).
Unter diesem Gesichtspunkt sind die Gefährdung und der Schutz der Lurche und
Kriechtiere auf der Insel Sylt von großer Relevanz:
• Der siedlungsbedingte fortschreitende Landverbrauch auf der Insel trägt maßgeb-
  lich zur Habitatzerstörung und damit zur Isolation der Populationen bei.
• Die Größe der Kreuzkrötenpopulationen ist primär vom Habitatangebot abhängig
  (BEEBEE et al. 1996). Das Zurückdrängen der Gewässersukzession durch Schafhü-
  tung zu Zeiten der Austrocknung der Dünentäler bevorteilt die Populationen.
• Überbeweidung macht die Gewässer für Amphibien unbrauchbar. Die dauerhafte
  intensive Haustierhaltung auf den Sylter Marschen führte möglicher Weise dazu,
  dass fast keine Amphibiennachweise trotz großem Gewässerangebot möglich wa-
  ren. Nach RAHMEL & EIKHORST (1988) waren die Marschen auf Sylt relativ dicht mit
  Braunfröschen besiedelt, was aktuell nicht bestätigt werden konnte. Dagegen
  konnte die Bestandsschätzung von mehreren Tausend Moorfröschen für Sylter
  Dünentalhabitate bestätigt werden. ROßDEUTSCHER (2004) bestätigt für die Insel
  Amrum ebenfalls die Bedeutung der Dünentalhabitate für die Amphibienvor-
  kommen.
• Die Anlage von linienhaften Schutzzäunen an Verkehrswegen schützt punktuell
  nur einzelne Vorkommen. Die Waldeidechsen wärmen sich in den Morgenstunden
  im Frühjahr bevorzugt auf Straßen und Radfahrwegen auf. An den Radfahrwegen
  ist ein technischer Eidechsenschutz nicht möglich. Dies trifft auch für die Amphi-
  bienschutzanlage bei Hörnum zu. Flächendeckend sind diese Maßnahmen nicht
  einsetzbar.
• Insgesamt sind die Reptilienvorkommen auf Sylt nach dem derzeitigen Kenntnis-
  stand (noch?) nicht gefährdet.

Danksagung
Wir danken allen Exkursionsteilnehmern der Sylt-Exkursionen 1992–2005 der Martin-Luther
Universität Halle-Wittenberg und den Mitarbeitern des Alfred-Wegener-Institutes für Polar-
und Meeresforschung, Wattenmeerstation List. Ebenso danken wir dem Landesamt für Natur
216                                                                   GROSSE, HOFMANN & DREWS

und Umwelt Schleswig-Holstein für die vielfältigen Hilfen und Herrn Dr. HOFFMANN, Untere
Naturschutzbehörde Nordfriesland, für seine Unterstützung. Herr PD Dr. W. VÖLKL, Universi-
tät Bayreuth, stellte freundlicherweise Daten aus seinen herpetologischen Aufzeichnungen zur
Verfügung.

6     Literatur
BEEBEE, T. J. C., J. S. DENTON & J. BUCKLEY (1996): Factors affecting population densities of adult
 natterjack toads Bufo calamita in Britain. – Journal of Applied Ecology 33: 263–268.
BRETSCHNEIDER, P. (1999): Ökologische und bioakustische Untersuchungen an der Kreuzkröte (Bufo
 calamita LAURENTI 1768) im Gebiet von Halle/Sa. und auf der Insel Sylt. – Diplomarbeit Institut für
 Zoologie, Universität Halle, unveröff.
CLAUSNITZER, H.-J. (1999): Bedeutung von Primärhabitaten für die mitteleuropäische Fauna. Schutz
 von Primär- oder Sekundärhabitaten? – Naturschutz und Landschaftsplanung 31: 261–266.
DENTON, J. F. & T. J. C. BEEBEE (1993): Reproductive strategies in a female-biased population of
 natterjack toad, Bufo calamita. – Animal Behaviour 46: 1169–1175.
KLINGE, A. & C. WINKLER (Hrsg.) (2002): Arten- und Fundpunktkataster für Amphibien und Repti-
 lien in Schleswig-Holstein: Arbeitsatlas. – Kiel.
RAHMEL, U. & R. EIKHORST (1988): Untersuchungen an den Laichplätzen von Moorfrosch (Rana
 arvalis) und Grasfrosch (Rana temporaria) auf den nordfriesischen Inseln Amrum, Föhr und Sylt. –
 Jahrbuch für Feldherpetologie 2: 47–66.
ROßDEUTSCHER, M. (2004): Erfassung und Ökologie der Amphibien auf Amrum. – Diplomarbeit
 Zoologisches Institut und Museum Universität Hamburg, unveröff.
SINSCH, U. (1998): Biologie und Ökologie der Kreuzkröte. – Bochum (Laurenti).
STEPHAN, T., K. ULBRICH, W.-R. GROSSE & F. MEYER (2001): Modelling the extinction risk of isolated
 populations of natterjack toad Bufo calamita. – Web Ecology 2: 47–56.
STEWIG, R. (1978): Landeskunde Schleswig-Holstein. – Kiel (Hirt).
WOLLESEN, R. & R. WRANGEL (2002): Zur Situation der Zauneidechse (Lacerta agilis Linnaeus, 1758) in
 Schleswig-Holstein. – Die Eidechse 13: 1–7.
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