Störungsspezifische Behandlung chronischer Depressionen
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Fortbildung Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Störungsspezifische Behandlung chronischer Depressionen In der Fachwelt besteht Einigkeit darüber, dass chronisch verlaufende Depressionsformen schwierig zu behandeln sind. Dieser Beitrag zeigt Wege auf, wie dieser Patientengruppe mithilfe des Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) psychothera- peutisch geholfen werden kann. ELISABETH SCHRAMM UND JAN PHILIPP KLEIN Durch kontingent persönliche Reakti- onen des Therapeuten soll der Patient lernen, sich wieder für seine soziale Umwelt zu öffnen und interpersonelle Kompetenzen aufzubauen. © Getty Images / iStockphoto.com 38 NeuroTransmitter 5 · 2012
Fortbildung 38 CBASP 53 P alliativmedizin in der Praxis 76 CME Dyssomnien Störungsspezifische Behand- Neurologische Erkrankungen Sind Schlafstörungen Auslöser lung chronischer Depressionen unterversorgt oder Folge von Depressionen? 48 I nteraktionslexikon – Teil 14 64 Moderne Gliomresektion 81 CME Fragebogen Zytostatika und ihre Beeinflus- 69 Psychiatrische Kasuistik sung durch Psychopharmaka Chronischer Schmerz – Depression – Suizidalität C hronische Depressionen machen etwa ein Drittel aller depressiven Erkrankungen aus [1, 2] und sind in der Regel durch einen frühen Beginn gekennzeichnet (vor dem 21. Lebens- 3. Die „Double depression“ mit einer auf die Dysthymie aufgelagerten depressiven Episode. 4. Rezidivierende depressive Episoden mit unvollständiger Remission chotherapieansatz für diese Störung ent- wickelt. Das CBASP berücksichtigt mit speziellen Techniken die frühen sozialen und emotionalen Reifungsrückstände und die Missbrauchsvorgeschichte der jahr). Etwa die Hälfte aller chronisch ver- zwischen den einzelnen Krankheits- Patienten. Dazu werden vor allem beha- laufenden Depressionen wird unzurei- phasen. viorale und interpersonelle, aber auch chend oder gar nicht behandelt, nur etwa So klinisch brauchbar diese Unterteilung kognitive und psychodynamische Strate- 50 % der Betroffenen sind therapiere- ist, sie ist hinsichtlich ihrer Validität um- gien integriert. Das Verfahren ist auf ei- sistent. stritten. Für die im Mai 2013 erwartete nen längerfristigen Therapieverlauf an- Neuauflage des DSM (DSM-V) ist vor gelegt, typischerweise 30 bis 40 Einzelsit- Das Störungsbild chronischer diesem Hintergrund die Einführung ei- zungen von 50-minütiger Dauer. Im Depressionen ner einheitlichen Kategorie „chronische Fallbeispiel von Frau F. (siehe unten) Schwierigkeiten in der Behandlung Depression“ vorgesehen. wird die Problematik bei der Diagnostik chronischer Depressionen sind unter und Therapie einer chronisch depres- anderem darauf zurückzuführen, dass Chronische Depressionen sind häufige siven Patientin beschrieben. die meisten Patienten in der Kindheit Störungen, die meist früh beginnen, zu oder Jugend interpersonelle Traumati- ausgeprägten Beeinträchtigungen führen Das CBASP ist speziell auf die längerfris- sierungen erlitten haben [3]. Dazu zäh- und schwierig zu behandeln sind. tige Therapie chronischer Depressionen len vor allem emotionale Vernachlässi- zugeschnitten und berücksichtigt frühe gung oder emotionaler Missbrauch, aber Beschreibung des CBASP am Fallbeispiel interpersonelle Traumatisierungen in auch physische Vernachlässigung oder Das Cognitive Behavioral Analysis Sys- besonderer Weise. Misshandlungen und sexueller Miss- tem of Psychotherapy (CBASP [4]; brauch. Die Betroffenen haben sich in- deutsches Manual [5] wurde von James Diagnostische Herausforderung folge der Missbrauchserlebnisse zuneh- McCullough in den frühen 1970er-Jah- Die Störung wird aufgrund der stark aus- mend von ihrer Umwelt abgekapselt, ren als bislang einziger spezifischer Psy- geprägten depressiven Symptomatik mit sodass sie für soziale Lernprozesse nur eingeschränkt zugänglich sind und nur mangelhafte interpersonelle Kompeten- zen erwerben konnten. Im Vergleich zu Fallbeispiel Frau F. akut-episodischen Depressionen weisen Frau F. ist eine 26 jährige, alleine lebende Patientin ohne abgeschlossene Schul- oder Berufs- chronisch depressive Patienten auch ausbildung, die sich mit wechselnden Zeitjobs über Wasser hält. Seit dem 11. Lebensjahr erlebt eine höhere Komorbiditätsrate mit an- sie durchgängig Depressionen, erstmals als die Mutter wortwörtlich über Nacht wegen einer deren psychischen Erkrankungen (be- außerehelichen Beziehung die Familie verlässt. Ihr Vater, ein Automechaniker, fühlt sich mit der sonders mit Angst- und Persönlichkeits- Versorgung von ihr und ihrem jüngeren Bruder überfordert, flüchtet sich in den Alkohol. Unter störungen sowie Alkoholabhängigkeit) Alkoholeinfluss kommt es Frau F. gegenüber zu häufiger verbaler Gewalt und Abwertungen. auf und sind psychosozial stärker beein- Sie isoliert sich zunehmend, schwänzt die Schule, ist niedergedrückt und leidet unter Schlaf- trächtigt [2]. und Konzentrationsstörungen. Sie empfindet sich als „vogelfrei“, lässt sich ab dem 14. Lebens- Es gibt vier unterschiedliche Ver- jahr auf wechselnde sexuelle Kurzbeziehungen ein, reißt mehrfach von zu Hause aus. Gleich- laufsarten (Abbildung 1): zeitig versucht sie den jüngeren Bruder zu versorgen und bricht mit 15 Jahren die Schule ab. 1. Die chronische depressive Episode, Versuche, eine Berufsausbildung zu absolvieren, scheitern an ausgeprägten sozialen Ängsten. die mindestens zwei Jahre mit ausge- Seither fühlt sie sich anhaltend leer, hilf- und hoffnungslos, ist anderen Menschen gegenüber prägter Symptomatik andauert. misstrauisch. Mit 16 Jahren unternimmt sie einen ersten Suizidversuch, der allerdings unbe- 2. Die Dysthymie, eine mindestens zwei- merkt bleibt. Mit 20 Jahren wird sie mit ausgeprägten Suizidgedanken nach einer Abtreibung jährig bestehende, von der Sympto zur Krisenintervention in eine psychiatrische Klinik überwiesen. matik her leichtere Depression. NeuroTransmitter 5 · 2012 39
Fortbildung Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Abbildung 1 Depressive charakteristischen Form der Verlaufsarten chronischer Depression Beziehungsgestaltung, die McCullough als wenig empathisch, submissiv und/ Dauer der oder feindselig beschreibt. 75% Early 25% Late Chronische MDE Störung Onset Onset länger als Die emotionalen und interperso- 2 Jahre nellen Entwicklungsrückstände von Frau F. werden nach der Klinikentlassung mit Dysthymie einer störungsspezifischen CBASP-The- (nur 10% „reine“ Dysthymie) rapie in Kombination mit antidepressiver Medikation ambulant behandelt. MDE Dysthymie Chronisch depressive Patienten haben sich → Double Depression meist von ihrer sozialen Umwelt abgekap- (am häufigsten) selt und zeigen einen präoperatorischen © modifiziert nach Keller et al. 1995 MDE MDE MDE Denkstil, der verhindert, dass sie von ande- MDE mit unvollständiger Remission ren Menschen das bekommen, was sie sich zwischen den Episoden wünschen. Zeitverlauf Behandlungsziele MDE: Chronische Major Depressive Episode (MDE), Da bei Frau F. verhärtete Verhaltensmus- Double Depression: MDE auf eine dysthyme Störung aufgesetzt ter modifiziert werden müssen, setzt sich die Therapeutin nicht nur mit den der- zeitigen Lebensproblemen der Patientin auseinander, sondern auch mit den lang akuter Suizidalität als „schwere, akut de- Vordergrund. Eine auf Wachstum hin anhaltenden negativen interaktionellen pressive Episode“ diagnostiziert. Überse- orientierte Entwicklung interpersoneller Mustern. Oft haben diese Verhaltenswei- hen wird zunächst die seit dem 11. Le- und emotionaler Fertigkeiten war unter sen auch einen negativen Einfluss auf die bensjahr bestehende Dysthymie mit diesen Umständen nicht möglich. Als dyadische Beziehung zwischen Thera- frühem Beginn, die eher als „Adoleszen- Schutzverhalten zieht sich die Patientin peut und Patient, die deswegen beim tenkrise“ eingeschätzt wird. Darunter zurück, entwickelt einen distanzierten CBASP im Rahmen der betont persön- fallen auch die frühen Traumatisierun- interpersonellen Stil, der durch man- lichen Gestaltung der therapeutischen gen (schwere emotionale Vernachlässi- gelndes soziales Problemlösen und aus- Beziehung [8] einen ganz besonderen gung und Missbrauch) sowie die beste- geprägte Vermeidung aufrechterhalten Stellenwert hat (siehe unten). hende Komorbidität mit ängstlich-ver- wird. Zusammenfassend beschreibt Ziel der Psychotherapie chronischer meidenden und misstrauischen Persön- James McCullough diese Psychopatholo- Depressionen ist es, ein zielgerichtetes lichkeitszügen. Die Chronizität der Stö- gie chronisch depressiver Patienten als und interpersonell effektives Verhalten rung („Double Depression, früher Be- Entkoppelung von der Umwelt. In An- und Denken zu vermitteln. Indem die ginn“) wird unterschätzt und der lehnung an Piaget [7] wählte er dafür Aufmerksamkeit des Patienten weg von Therapieplan bleibt mit einer alleinigen den Begriff des präoperatorischen Den- intrapsychischen Prozessen wie Ängsten Pharmakotherapie auf den akuten Zu- kens und Handelns. und Befürchtungen hin auf die interper- stand beschränkt. Die präoperatorische Denk- und sonellen Konsequenzen ihres Verhaltens Handlungsweise manifestiert sich bei gerichtet ist, können die Betroffenen ihre Die Chronizität und der frühe Beginn chro- Frau F. auch im Rahmen der Behandlung Abkapselung aufgeben und sich aktiv in nischer Depressionen wie auch frühe inter- in einem hartnäckigen Vermeidungsver- zwischenmenschlichen Situationen ein- personelle Traumatisierungen werden bei halten und scheinbar mangelnder Thera- bringen. Darüber hinaus wird ein inter- der Diagnostik häufig übersehen. piemotivation („es ändert sich sowieso personeller Heilungsprozess bezüglich nichts, egal was ich tue“). Darüber hinaus früherer Traumata angestrebt. Dies be- Annahmen zur Ätiologie zeigt sie wie viele andere chronisch de- deutet, dass die Patienten ihre vor dem Der chronisch depressive Verlauf von pressive Patienten auch in der therapeu- Hintergrund der frühen Traumatisierung Frau F. kann als Resultat anhaltender ge- tischen Beziehung erhöhtes Misstrauen entwickelte Angst vor engen zwischen- lernter Hilflosigkeit im Rahmen früher und feindselige Verhaltensmuster. Diese menschlichen Beziehungen abbauen, in- emotionaler Vernachlässigung und Miss- sind möglicherweise auf Mentalisierungs- dem sie zwischen früheren schädigenden brauchs gesehen werden („egal, was ich defizite zurückzuführen, das heißt, die und aktuellen förderlichen Beziehungen tue, es führt zu nichts und ist nie gut ge- Patienten können Gedanken und Gefühle unterscheiden lernen. Spezifische Be- nug“). Vor dem Hintergrund dieser Er- anderer kaum mental repräsentieren und handlungsziele für Frau F. beinhalten, die lebnisse stand für sie das Überleben der sinnvoll in ihre Handlungsplanung inte- problematischen Konsequenzen ihres als traumatisierend erlebten Umwelt im grieren. Dies führt zu einer für chronisch Verhaltens zu erkennen (z. B. sich willkür- 40 NeuroTransmitter 5 · 2012
Fortbildung Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Abbildung 2 das bringt alles nichts und dass Sie Therapeutische Elemente beim CBASP keine Lust mehr haben, eine Ausbil- dung zu beginnen. Jetzt fühle ich mich vor den Kopf gestoßen. Wa- Persönliches Einbringen des Therapeuten (Disciplined Personal Involvement unter Einsatz des Kiesler-Kreismodells) rum tun Sie das?“ Die Therapeutin lässt sich dabei weder dazu verleiten, dem automatischen Impuls nachzu- geben, auf entgegengebrachte Feind- seligkeit mit Feindseligkeit zu rea- Behaviorale Techniken: Interpersonelle Techniken: gieren, noch die therapeutische Ar- – Liste prägender Beziehungen Situationsanalysen – Proaktive Übertragungshypothesen beit für die Patientin zu überneh- – Interpersonelles Diskriminationslernen men (die Dominanzfalle) [9]. — I n Situationsanalysen, die den Groß- teil der therapeutischen Arbeit aus- machen, mithilfe derer die Patientin © E. Schramm Fertigkeiten- Verhaltensaufbau an konkreten alltäglichen Beispielen training durch Shaping lernt, welche Konsequenzen ihr Ver- halten auf andere hat („Ich habe ei- nen Einfluss darauf, wie eine Situati- on ausgeht“) und wie sie ihr Verhal- Tabelle 1 ten in diesen Situationen zielgerichtet Domänen von Übertragungsthemen einsetzen kann, um realistische er- wünschte Ergebnisse zu erreichen. 1. Nähe/Intimität: „Wenn ich mich meinem Therapeuten zeige und näher Daran schließt sich jeweils ein Ver- komme, dann ...“ haltenstraining mit Rollenspielse- 2. Fehler/Versagen: „Wenn ich einen Fehler mache bei meinem Therapeuten, quenzen an. dann ...“ In Abbildung 2 (Therapeutische Ele- mente im CBASP) sind die verschie- 3. Emotionale Bedürftigkeit: „Wenn ich etwas von meinem Therapeuten brauche, denen therapeutischen Elemente des dann ...“ CBASP im Überblick dargestellt. 4. Negativer Affekt: „Wenn ich auf meinen Therapeuten ärgerlich bin oder negative Gefühle ihm gegenüber habe, dann ...“ Die persönliche Gestaltung der therapeu- tischen Beziehung schafft die Vorausset- zung dafür, dass der Patient seinen Thera- peuten als „Sicherheitssignal“ erkennt und lich anonymen Beziehungen mit Män- dass sie ihre vor dem Hintergrund sein Vermeidungsverhalten und andere nern auszuliefern oder anhaltende Ver- der frühen Traumatisierung entwi- problematische Interaktionsmuster aufge- meidung, sich um eine berufliche Ausbil- ckelte Angst vor engen zwischen- ben kann. Mithilfe von Situationsanalysen dung zu bemühen) und sich in selbstwert- menschlichen Beziehungen abbaut lernt der Patient, die Konsequenzen des ei- fördernden Beziehungen bewusst empa- und negative Interaktionsmuster genen Verhaltens in zwischenmenschlichen thisch und aufgeschlossen zu verhalten verändert. Zu diesem Zweck muss Situationen zu erkennen und sein Verhalten (z. B. mit Gleichaltrigen einen Kontakt sie anhand interpersoneller Diskri- situationsangemessen anzupassen. herzustellen). minationsübungen lernen, zwischen altvertrauten dysfunktionalen Bezie- Interpersonelle Strategien Beim CBASP stehen interpersonelle Thera- hungsmustern und dem Verhalten Chronisch Depressive bringen vor dem pieziele im Vordergrund, die durch ein per- der Therapeutin beziehungsweise Hintergrund der beschriebenen Trauma- sönliches Einbringen des Therapeuten er- anderer Personen zu unterscheiden. tisierungen Beziehungserwartungen mit, reicht werden sollen. In der so entstehenden sicheren die sie undiskriminiert auf andere Bezie- Umgebung erfolgt die Veränderung hungen, auch auf die therapeutische Be- Eingesetzte Strategien und Techniken negativer Interaktionsmuster durch ziehung, übertragen. Zur proaktiven Die Schwerpunkte der therapeutischen behutsame Rückmeldung kontin- Einschätzung von schwierigen interper- Strategien in der CBASP-Therapie von gent (unmittelbar auf ein Verhalten sonellen Situationen im Laufe der Be- Frau F. liegen dementsprechend folgend) persönlicher Reaktionen handlung und zum Umgang mit Über- — in einer persönlichen Gestaltung der der Therapeutin. So kann es hilf- tragungsproblemen werden daher be- therapeutischen Beziehung (Disci- reich sein, beispielsweise ein feind- reits in der zweiten Sitzung mit der „Liste plined Personal Involvement), um seliges Verhalten der Patientin zu prägender Beziehungen“ (Significant die Voraussetzung dafür zu schaffen, benennen: „Sie haben gerade gesagt, Other History, SOH) die prägenden Er- 42 NeuroTransmitter 5 · 2012
Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Fortbildung fahrungen von Frau F. mit wichtigen Be- zugspersonen exploriert und eine dem- Beispiel für kontingent persönliche Reaktionen der Therapeutin entsprechende Übertragungshypothese abgeleitet. Die Übertragungshypothese Die Patientin beginnt die 12. Sitzung mit der Bemerkung: fasst zusammen, welche Beziehungser- Frau F.: „Ich habe letzte Woche wieder eine Absage für einen Praktikumsplatz bekommen. wartung die Patientin in die Therapie Das bringt doch alles nichts, die Therapie hilft mir auch nicht weiter.“ mitbringt. Dazu werden folgende Fragen Therapeutin: „Merken Sie, was das bei mir auslöst, wenn sie das so sagen?“ (Aufmerksamkeit gestellt (hier am Beispiel der Mutter und der Patientin wird auf die Auswirkung ihres Verhaltens und auf die Therapeutin gerichtet) des Vaters): Frau F.: „Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht.“ — „Welche Auswirkung hatte das Verhal- ten Ihrer Mutter (Vater, etc.) darauf, Therapeutin: „Dann tun Sie das bitte jetzt. Ihr Verhalten hat eine Auswirkung auf mich.“ wer Sie heute sind?“ Frau F.: „Keine Ahnung, vielleicht sind Sie ja jetzt auch frustriert.“ — „In welcher Weise hat die Beziehung (Patientin soll lernen, die Reaktionen des Gegenübers wahrzunehmen) zu Ihrer Mutter (Vater, etc.) Sie ge- prägt?“ Therapeutin: „Das haben Sie richtig „gelesen“. Das ist als wenn Sie die Luft aus mir rauslas- Mutter: Meine Mutter hat sich nicht um sen und mich wegstoßen. Ist das, was Sie wollen?“ mich gekümmert oder mit mir gespielt, (Aktuelles Verhalten mit angestrebtem Ziel in Relation setzen) selbst als sie noch mit uns zusammen Frau F.: „Nein, gar nicht, ich will, dass Sie mir helfen.“ lebte. Sie war oft depressiv und unnahbar. Therapeutin: „Wenn es das ist, was Sie gerne von mir möchten, wie könnten Sie das so zum Als ich elf Jahre alt war, war sie plötzlich Ausdruck bringen, dass Sie von mir bekommen, was Sie brauchen?“ verschwunden, hinterließ nur ein Bild (Aufbau von Alternativverhalten) des Mannes mit dem sie zusammenleben wollte und eine kurze Notiz vor meiner Zimmertür. Ich habe sie nur wenige Male seither gesehen, sie ist wie eine Abbildung 3 Fremde für mich. Prägung: „Ich weiß Interpersonelle Verhaltensdimensionen nach Kiesler nicht, wie sich Nähe anfühlt.“ Vater: Ich habe ihn selten nüchtern erlebt, Dominant seit meine Mutter uns verlassen hat. Er war meist aggressiv, wenn er getrunken Feindselig- Freundlich- hatte und drohte mir dann oder be- Dominant Dominant schimpfte mich. Mit mir und meinem OFFEN Bruder war er überfordert, er hat sich nicht um uns gekümmert. Wir waren DISTANZ NÄHE uns selbst überlassen. Prägung: „Von Feindselig Freundlich Männern habe ich nichts zu erwarten (außer, dass sie mich verletzen).“ VERSCHLOSSEN Die therapeutische Übertragungshy- pothese (Domäne: Nähe) wird gemeinsam Feindselig- Freundlich- Unterwürfig Unterwürfig mit der Patientin erstellt: „Wenn ich Frau Dr. Schramm an mich heranlasse, wird sie mich alleine lassen (oder verletzen).“ Unterwürfig Das CBASP setzt sich mit wahr- scheinlichen Übertragungsproblemen in vier interpersonell bedeutsamen Domä- nen auseinander (Tabelle 1). Diese Über- tragungshypothesen werden bei emotio- heftig und zeigte sich verletzlich. Die The- übung“; IDÜ). Denn die globale Welt- nalen Brennpunkten („Hot Spots)) ge- rapeutin reagierte anteilnehmend an der sicht der präoperatorisch denkenden nutzt, die in der Interaktion zwischen Not der Patientin und unterstützte sie Patientin und die Entkoppelung ihrer Therapeut und Patient problematisch aktiv dabei, mit der Not umzugehen. Wahrnehmung von der Umwelt führen werden könnten, wenn der Therapeut Anstatt wie in psychoanalytischen zu einer Aktivierung der negativen Be- diese nicht im Blick hat. Ein solcher emo- Verfahren üblich Deutungen einzusetzen, ziehungserwartung in dieser emotio- tionaler Brennpunkt war bei Frau F. bei- wird die Patientin aufgefordert, zwischen nalen Brennpunktsituation und verhin- spielsweise eine Situation, in der emotio- den negativen Reaktionen früherer Be- dern, dass die Patientin das unterstüt- nale Nähe entstand, als sie über die Ab- zugspersonen und der jetzigen positiven zende Verhalten ihrer Therapeutin er- treibung sprach, welche dem Klinikauf- Reaktion der Therapeutin zu unterschei- kennt. Auf die Tatsache, dass die Thera- enthalt voraus ging. Dabei weinte sie den („Interpersonelle Diskriminations- peutin sich in dieser Situation anders NeuroTransmitter 5 · 2012 45
Fortbildung Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy verhält als verletzende prägende Bezugs- modells nach Kiesler [9] unterstützt. Am Explorationsphase personen, muss Frau F. im Sinne eines Kreismodell kann die Patientin ihren geleiteten Entdeckens aufmerksam ge- Stimuluscharakter einordnen und selbst Situation macht werden. Bei der IDÜ handelt es bestimmen, in welcher Weise sie ihr Ver- Ich habe ein Vorstellungsgespräch bei der sich also um eine systematische Unter- halten ändern muss, um eine erwünschte Stadtverwaltung für einen Praktikums- scheidungsübung, bei der die folgenden Reaktion bei anderen Menschen zu er- platz. Ich frage am Empfang nach der Zim- Fragen gestellt werden: zielen (Abbildung 3: Interpersonelle mernummer der Person, mit der ich den Termin habe. Die Rezeptionistin ist genervt — „Wie würde Ihre Mutter reagieren, Dimensionen nach Kiesler). und beschreibt den Weg mit widersprüch- wenn Sie geweint hätten?“ lichen Angaben. Ich tue so, als habe ich die — „Wie habe ich darauf reagiert?“ Durch kontingent persönliche Reaktionen Wegbeschreibung verstanden. Ich finde — „Wie unterscheiden sich die Reakti- des Therapeuten soll der Patient lernen, das Zimmer aber nicht und gehe frustriert onen Ihrer Mutter von der Art, wie sich wieder für seine soziale Umwelt zu nach Hause. ich reagiert habe?“ (Diskriminations- öffnen und interpersonelle Kompetenzen training) aufbauen. Interpretation — „Was bedeutet es für Sie, wenn ich — Ich gehe ihr auf die Nerven mit meiner anders reagiere als Ihre Mutter?“ Verhaltensaufbau Fragerei. Auf diese Weise gelang es Frau F., die Er- Mithilfe von detaillierten Situationsana- fahrungen hinsichtlich Zurückweisung, lysen, einer vorwiegend verhaltensorien- — Sie denkt bestimmt, ich stelle mich blöd an. Verlassenwerden und Missbrauch zu re- tierten Technik, wird die Kompetenz von vidieren und eine neue Beziehungserfah- Frau F. im Umgang mit zwischenmensch- — Ich bin verwirrt. rung mit ihrer Therapeutin zu machen. lichen Situationen systematisch gestei- gert. Die Situationsanalyse fokussiert da- Konkretes Verhalten Durch das Erfassen früher Prägungen und rauf, in einer sozialen Situation mithilfe Ich werde rot und schaue weg. das Ableiten einer Übertragungshypothese einer handlungsbezogenen Interpretati- soll dem Patienten geholfen werden, on (z.B. „Bleib bei der Sache!“) und ziel- Tatsächliches Ergebnis zwischen schädigenden und fürsorglichen führendem Verhalten ein realistisches Ich gehe frustriert und ohne Ergebnis Beziehungen zu unterscheiden und Miss- erwünschtes Ergebnis zu finden und zu nach Hause. brauchserfahrungen zu revidieren. verfolgen. Dabei unterstützt die Thera- peutin Frau F. im Rahmen von Rollen- Erwünschtes Ziel Außerdem wird im Rahmen einer spielsequenzen im Sinne eines Verhal- Ich möchte nachfragen, ob sie mir die weiteren interpersonellen Technik, der tensshapings (schrittweiser Aufbau von Wegbeschreibung noch mal auf dem bereits erwähnten kontingent persön- Verhaltensweisen), ihr gewünschtes Ziel Plan zeigen kann. lichen Reaktion des Therapeuten, mit zu erreichen. Als Folge immer häufiger Ziel erreicht: Nein. negativer und positiver Übertragung in erreichter „Erwünschter Ergebnisse“ Warum nicht? Weil ich nicht nachgefragt besonderer Weise umgegangen. („Desired Outcomes“) lösen sich bei Frau habe. Laut McCullough wird in keinem F. die vorherrschenden Gefühle der Hilf- anderen Therapieverfahren dem Thera- und Hoffnungslosigkeit allmählich auf. peuten empfohlen, sich in ähnlicher Wei- Die Situationsanalyse zielt also darauf ab, LÖSUNGSPHASE se mit den eigenen persönlichen Reak dass die Patientin die präoperatorische Patientin erkennt, wie ihre Interpretati- tionen auf den Patienten einzulassen. Die Funktionsweise überwindet und erkennt, onen zu einem Verhalten führen, das nicht Bereitschaft des Therapeuten, in lernge- dass ihr Verhalten vorhersagbare Konse- zielführend ist. Die dysfunktionalen Inter- eigneten Momenten offen mit seinen quenzen hat. Der Patientin war nicht be- pretationen werden ersetzt durch eine: eigenen Gefühlen und Reaktionen dem wusst, dass sich ihre Wahrnehmung von Handlungsorientierte Interpretation Patienten zu begegnen, ermöglicht es der Umwelt losgelöst hat und sie in ihrem „Frag nach!“ jedoch authentisch-empathisches Verhal- geschlossenen depressiven System für ten zu vermitteln und auf die Vorge- Konsequenzen und Rückmeldung ihrer Verhaltensaufbau schichte von Missbrauch modifizierend Umgebung nicht mehr zugänglich war. Zielführendes Verhalten wird in mehreren einzuwirken. Im beschriebenen Fall hat Schritten („shaping“) im Rollenspiel aus- die Therapeutin somit die Möglichkeit, Durch Situationsanalysen lernt der Patient, probiert. der Patientin eine neue interpersonelle sich realistische erwünschte Ergebnisse zu Lernerfolg/Take-home-message Realität zu vermitteln, nämlich in Form setzen und diese in effektiver Weise zu ver- „Beharrlich bleiben lohnt sich!“ einer empathischen Beziehung zu einem folgen. So erkennt er, welche Konsequenzen Generalisierung ehrlichen und fürsorglichen Menschen. sein Verhalten hat und findet Wege aus der Auch in anderen Situationen bleibe ich Gleichzeitig lernt Frau F., die Wirkung chronischen Hilflosigkeit. meist nicht am Ball und bin dann frustriert, ihres Verhaltens auf ihr Gegenüber ab- wenn ich nichts erreicht habe. zusehen. Dieser Lernprozess wird außer- Es ist allerdings nicht ausreichend dem mithilfe des interpersonellen Kreis- zum Therapieende eine Remission zu 46 NeuroTransmitter 5 · 2012
Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy Fortbildung erzielen. Darüber hinaus muss der Pati- Abbildung 4 entin vermittelt werden, dass eine chro- Ansprechen chronisch depressiver Patienten auf Antidepressiva, nische Depression letztendlich nicht voll- auf Psychotherapie und auf die Kombination* ständig ausgeheilt werden kann und sie 14 deswegen das in der Therapie gelernte Chronische Depression ohne Kindheitstrauma (n= 181) täglich praktizieren muss, um Rückfälle 13 Chronische Depression mit Kindheitstrauma (n = 315) zu verhindern. 12 Wirksamkeit des CBASP © E. Schramm/mod. nach Nemerhoff, Heim, Thase et al. 2003 Verbesserung Das CBASP erwies sich in einer multi- HDRS-Score 11 zentrischen Studie von Keller et al. [9] an 681 Patienten mit chronischer De- 10 pression als gleichermaßen wirksam wie 9 eine Pharmakotherapie und in der Kom- bination als am effektivsten. Trotz eini- 8 ger Schwächen der Studie und noch un- befriedigenden Remissionsraten, zeigen 7 die Ergebnisse im Vergleich zu früheren Antidepressivum Psychotherapie Antidepressivum und Psychotherapie Resultaten eine deutliche Steigerung der Wirksamkeit. Patienten mit frühen * als eine Funktion der Behandlungsform und früher Traumatisierung (n = 496) Traumatisierungen profitierten beson- HDRS = Hamilton Milton Depression Rating Scala ders vom CBASP im Gegensatz zur me- dikamentösen Monotherapie [11] (siehe Abbildung 4, Differenzielle Wirksam- keit von CBASP und Medikation in Ab- Im Gegensatz dazu profitierten chro- Substanzabhängigkeit) war der Ansatz hängigkeit von frühen Traumatisie- nisch depressive, medikationsfreie Pati- erfolgreich [Keller et al., 2000]. Bei zu- rungen). Eine Erhaltungstherapie mit enten von einer längeren CBASP-Thera- sätzlich vorliegender posttraumatischer zwölf weiteren monatlichen CBASP- pie (22 Sitzungen) deutlich, auch im di- Belastungsstörung (PTBS) sollte die Sitzungen führte zu einer signifikant rekten Vergleich zur interpersonellen akute PTBS-Symptomatik eher zuerst gesenkten Rückfallrate [12]. Psychotherapie [14]. Erste Untersu- mit dafür entwickelten Verfahren ange- In einer anderen umfassenden Studie chungen eines stationären CBASP-Pro- gangen werden. Inwieweit die Methode ([13] n = 808) wurden chronisch depres- gramms fielen ebenfalls ermutigend aus nach entsprechenden Modifikationen sive Pharmakotherapie-Nonresponder [15]. Als Gruppenkonzept wird der An- auch für andere chronische Krankheits- mit einer von drei Interventionen aug- satz gerade in einer DFG-Studie mit acht- bilder wie beispielsweise Schmerzstö- mentiert, und zwar entweder mit samkeitsbasierter kognitiver Therapie rungen, soziale Angststörungen, Soma- — CBASP, verglichen. Derzeit befinden sich noch tisierungsstörungen oder chronische — supportiver Psychotherapie, oder zwei weitere große europäische Studien PTBS wirksam ist, wurde bislang nicht — einer weiter optimierten Pharmako- zum CBASP in der Auswertung bezie- untersucht. therapie. hungsweise in der Durchführung [16, 17]. Die primäre Indikation für CBASP Von den 491 Medikations-Nonrespon- sind chronische Depressionen mit frühem dern sprachen in der Augmentierungs- CBASP erwies sich kombiniert mit Pharma- Beginn im Rahmen früher Fehlbehand- phase schließlich 40 % auf die Behand- kotherapie als wirksamste Behandlungs- lungen und Traumatisierungen. lung an, wobei keine der beiden Psycho- option. Bei frühen Traumatisierungen war therapieformen im Vergleich zum allei- das CBASP einer medikamentösen Thera- nigen pharmakotherapeutischen Proze- pie überlegen. Weitere Studien werden be- dere den Behandlungserfolg steigerte. nötigt. LITERATUR Allerdings ist die geringe „Psychothe- unter springermedizin.de/neurotransmitter rapiedosis“ mit durchschnittlich ledig- Indikationen und Kontraindikationen lich 12,5 CBASP-Sitzungen einschrän- Das CBASP scheint am besten bei der Prof. Dr. phil. Elisabeth Schramm kend zu berücksichtigen. In der Steige- Patientengruppe zu wirken, auf die es Psychiatrische Universitätsklinik Freiburg rung sozialer Problemlösefertigkeit war ursprünglich zugeschnitten wurde: Hauptstr. 5, 79104 Freiburg CBASP den anderen Therapien in dieser chronisch Depressive mit frühem Be- E-Mail: elisabeth.schramm@uniklinik-freiburg.de Studie überlegen, während die suppor- ginn im Rahmen früher Traumatisie- tive Therapie besonders wenig Wirkung rungen (Abbildung 4). Auch bei komor- Dr. med. Jan Philipp Klein auf vermeidende Problemösestrategien bider Persönlichkeitsstörung (außer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, hatte. Die langfristigen Effekte der Studie Borderline-Störungen; 18] und anderen Universität Lübeck, sind bislang nicht publiziert. komorbiden Achse-I-Diagnosen (außer Ratzeburger Allee 160, 23562 Lübeck NeuroTransmitter 5 · 2012 47
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