Was bedeuten Erdölpreise unter null, was sind die Folgen und wird Tanken günstiger?
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Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 1 of 9 Was bedeuten Erdölpreise unter null, was sind die Folgen und wird Tanken günstiger? Auf den Ölmärkten herrscht Chaos. Kurzfristig fiel der Preis unter die Marke von 0 Dollar. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den ersten negativen Preisen an der Terminbörse für amerikanisches Erdöl. Gerald Hosp 21.04.2020, 13.36 Uhr Weil die Wirtschaft deutlich weniger Erdöl braucht, sind die Lager derzeit übervoll. Chris Helgren / Reuters Der Erdölmarkt spielt verrückt: Am Montag ist der Preis für die amerikanische Erdölsorte WTI am Terminmarkt unter 0 gefallen. WTI ist der Referenzwert für Erdöl in den Vereinigten Staaten. Zeitweilig bezahlten Produzenten, Händler und Investoren rund 40 $ je Fass, um den Rohstoff loszuwerden. Am Freitag zuvor war der Preis für WTI noch bei rund 18 $ je Fass gestanden, was bereits eine https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 2 of 9 niedrige Notiz war. Wegen der Corona-Krise ist die Nachfrage nach Erdöl massiv zurückgegangen, und gleichzeitig ist der Markt mit Öl überversorgt. Die negativen Terminmarktpreise sind eine technische Besonderheit, sie zeigen aber die Schwierigkeiten am Erdölmarkt deutlich auf. Zahlen, um ein Fass Erdöl zu verkaufen Preis an der Terminbörse für US-Erdöl WTI, in $ je Fass Mai-Future Null 40 20 0 –20 –40 14.04.2020 22.04.2020 Quelle: Bloomberg NZZ / gho. Inhaltsverzeichnis Was bedeutet ein negativer Preis am Terminmarkt für Erdöl? Ist «der» Erdölpreis negativ? Gibt es an der Tankstelle Geld zurück? Haben die Petro-Staaten sich nicht darauf geeinigt, weniger zu fördern? https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 3 of 9 Was zeigen die negativen Preise für die Gesamtwirtschaft auf? Wie geht es weiter? Sind Negativpreise an den Rohstoffmärkten ungewöhnlich? Was bedeutet ein negativer Preis am Terminmarkt für Erdöl? Die Erdölpreise, welche die Medien üblicherweise zitieren, werden an Terminmärkten gebildet. Dabei werden Kontrakte gehandelt, die eine Auslieferung einer bestimmten Menge zu einem vordefinierten Termin garantieren. Im Fall der amerikanischen Erdölsorte WTI, die an der New York Mercantile Exchange gehandelt wird, steht ein Kontrakt für eine Lieferung von 1000 Fass Rohöl in Cushing in Oklahoma, einer Erdöl-Drehscheibe in den Vereinigten Staaten mit Pipelines und Tanklagern, jedoch ohne Meerzugang. Die Kapazität zur Lagerung in Cushing beträgt rund 76 Mio. Fass Erdöl. Jeder Kontrakt wird für einen Monat gehandelt. Der Mai-Kontrakt ist nun am Dienstag ausgelaufen. Zum Verfallstag werden die Lieferungen ausgeführt. Aus dem früheren Wertpapier wird nun tatsächlich Erdöl. Üblicherweise laufen diese Tage wenig dramatisch ab, weil es genügend Käufer gibt, die das Erdöl, real oder auf dem Papier, übernehmen. Viele Investoren, die einen Mai-Kontrakt hielten, sahen sich aber nun dem Problem gegenüber, dass sie das physische Rohöl nicht mehr wollten, weil gar kein Lagerplatz dafür vorhanden war. Wegen der geringen Nachfrage nach Erdöl und der trotzdem weiterlaufenden Förderung sind die Lager in Cushing voll. Händler und Investoren versuchten deshalb, den Kontrakt vor dem Verfall loszuwerden, und waren auch bereit, etwas draufzulegen. Der Negativpreis kann deshalb auch als die Lagerkosten gedeutet werden. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 4 of 9 Ist «der» Erdölpreis negativ? «Den» Erdölpreis gibt es nicht. Der am häufigsten verwendete Preis sind die Notizen an den Terminmärkten für den Kontrakt, der als nächster verfällt. Während der Mai-Kontrakt für WTI negativ wurde, notierte der nunmehr relevant werdende Juni-Kontrakt am Montag bei rund 21 $ je Fass. Am Dienstag kam jedoch auch der Preis für den Juni-Kontrakt ins Rutschen. Erdöl wird zudem über eine sehr lange Zeitspanne gehandelt. So wurde der Dezember-Kontrakt für WTI am Dienstagvormittag für knapp 30 $ je Fass gehandelt. Diese Preisstruktur bietet übrigens eine relativ leichte Gewinnmöglichkeit: Rohöl jetzt kaufen und per Kontrakt in der Zukunft zu einem höheren Preis verkaufen. Der Haken ist: Man benötigt Lagerkapazitäten für das Öl. Investoren, die hingegen keine physische Ware wollen und den nächsten Kontrakt kaufen, fahren Verluste ein, weil der Juni-Kontrakt viel teurer ist als der Mai-Kontrakt. WTI ist überdies vor allem relevant für den amerikanischen Markt. Als Referenzwert für Europa und auch weltweit wird auf den Preisverlauf der Nordsee-Erdölsorte Brent geachtet. Der Terminmarktpreis für Brent beruht jedoch auf einem Barausgleich, was bedeutet, dass keine physische Ware angenommen werden muss. Kontrakte kann man sich in Bar auszahlen lassen. Neben den Terminmarktpreisen gibt es zudem sogenannte Spotmarktpreise für die vielfältigen Erdölsorten, die eine Notiz für eine sofortige (oder fast sofortige) Lieferung sind. Manche dieser Preise sind in den USA bereits vor wenigen Tagen negativ geworden oder waren deutlich niedriger als die Terminmarktpreise. Dieser Unterschied ist vor allem wichtig für Brent. Der Preis für physisches Brent-Erdöl wird Dated Brent genannt und basiert auf Erdölsorten, die per Schiff transportiert werden. Ein Umschlagsort ist Rotterdam. Dies hat gegenüber dem Binnenort Cushing den Vorteil, dass Erdöl zur weiteren Lagerung auch verschifft werden kann, was die Lagerkapazitäten erhöht. Deshalb wird Dated Brent auch als globaler Referenzwert genommen. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 5 of 9 Am Dienstagvormittag ist auch der Brent-Preis am Terminmarkt unter 20 $ je Fass gefallen. Am Spotmarkt, also Dated Brent, lag der Preis noch niedriger. Andere Erdölsorten werden häufig mit einem Abschlag zum physischen Brent- Preis gehandelt. Deshalb könnte bei diesen bereits ein negativer Preis auftreten, obwohl die Brent-Notiz noch positiv ist. Die amerikanischen Fracking-Unternehmen reagieren Anzahl von Erdöl- und Erdgasbohrlöchern in den USA 1000 800 600 400 2018 2020 Quelle: Baker Hughes NZZ / gho. Gibt es an der Tankstelle Geld zurück? Nein. Erstens beruht der Benzinpreis in der Schweiz und in Europa auf der Nordsee-Erdölsorte Brent. Zweitens kaufen Tankstellenbetreiber Erdöl in der Regel anhand von Durchschnittspreisen in einem bestimmten Zeitraum ein. Drittens machen Abgaben und Steuern einen hohen Anteil des Preises an der Zapfsäule aus. Auch der Transport und die Raffinerien müssen bezahlt werden. Der bisherige langfristige Preissturz schlägt sich jedoch auf die Benzinpreise durch. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 6 of 9 Haben die Petro-Staaten sich nicht darauf geeinigt, weniger zu fördern? Ja, vor rund einer Woche hat sich die Gruppe Opec+ auf eine Kürzung der Produktion um 9,7 Mio. Fass Erdöl verständigt, was knapp 10% der weltweiten Förderung bedeutet. Die Petro-Mächte Saudiarabien und Russland sind dabei zu einer Vereinbarung unter Druck des amerikanischen Präsidenten Donald Trump gekommen. Die Vereinigten Staaten sind im Jahr 2018 zum grössten Ölproduzenten aufgestiegen, die Erdölbranche ist bedeutend für US-Teilstaaten wie Texas, North Dakota oder Pennsylvania. In einem Wahljahr musste Trump darauf Rücksicht nehmen und kooperierte mit den Petro-Staaten, obwohl er sich in der Vergangenheit negativ über die Organisation erdölexportierender Staaten (Opec) und für niedrige Erdölpreise ausgesprochen hatte. Die Hoffnung der Erdölmächte lag darin, den Preiszerfall am Erdölmarkt zu stoppen. Diese Hoffnung wurde bereits eine Woche nach der Einigung nachhaltig zerstört. Fraglich ist, wie Riad, Moskau und Washington nun reagieren werden. Einige Beobachter sind bereits der Überzeugung, dass Trump doch noch, wie schon angedroht, hohe Zölle für Erdöl einführen werde. Die USA könnten auch verstärkt ihre strategische Erdölreserve auffüllen. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 7 of 9 Das Elixier des Erdöl-Deals hat nicht gewirkt Terminmarktpreis für Brent, nominal, in $ je Fass 1 2 3 4 80 60 40 20 0 Febr. 2020 April 2020 1 Grossstadt Wuhan unter Quarantäne 2 Saudiarabien und Russland brechen Gespräche ab 3 Trump tweetet über mögliche Kürzungen 4 Deal von Opec+ NZZ / gho. Was zeigen die negativen Preise für die Gesamtwirtschaft auf? Dass der Mai-Kontrakt vor seinem Verfall in negatives Territorium eintaucht, ist noch kein langfristig anhaltendes Ereignis. Der Negativpreis und die schwächer werdenden anderen Preise für das Erdöl zeigen vor allem die Nachfrageschwäche wegen der Corona-Krise auf. Weil weniger geflogen und gefahren wird und die Wirtschaft in vielen Ländern so gut wie zum Stillstand kam, dürfte der Konsum von Erdöl im April um rund 30% eingebrochen sein. Der Markt dürfte für längere Zeit überversorgt sein, und die Lager füllen sich weltweit schnell an, was noch mehr Preisdruck bedeutet. Der Erdölmarkt spiegelt die gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen wegen der Corona-Krise. Es wird von der Tiefe und Länge der Folgen der Pandemie abhängen, ab wann die Erdölnachfrage wieder anziehen wird. Der Internationale Währungsfonds (IMF) spricht bereits von der womöglich schwersten Rezession seit der Grossen Depression in den 1930er Jahren. Die jüngsten chinesischen Zahlen zur Wirtschaftsaktivität fielen ebenfalls negativ aus. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 8 of 9 Erdölexporteure werden von der Corona-Krise dabei doppelt getroffen: Erstens steigen ihre Gesundheitsausgaben, und die wirtschaftliche Aktivität im Inland nimmt ab. Zweitens schwinden die Einnahmen aus den Erdölverkäufen. Dies könnte bei Schwellenländern, die einseitig auf den Rohstoffexport ausgerichtet sind, zu einer Schuldenkrise führen. Wie geht es weiter? Weil die Erdölbranche bereits Investitionen für neue Projekte gekürzt hat und in der nächsten Zeit Erdölfelder vom Markt genommen werden, dürfte der Preis wieder – mitunter massiv – steigen, wenn die Nachfrage zurückkommt und die Lager abgebaut sind. Damit rechnen viele Marktteilnehmer im nächsten Jahr. Die Preisstruktur am Erdölmarkt deutet aber auf längerfristig relativ niedrige Notizen hin; auch wenn die Terminmärkte kein besonders guter Prognostiker für die Erdölpreise sind, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Längerfristig ist es bedeutender, wie sich die Nachfrage wegen der Klimadebatte entwickelt. Sind Negativpreise an den Rohstoffmärkten ungewöhnlich? Die Welt hat sich bereits an lang andauernde Negativzinsen gewöhnt. Dass dies im Fall der Erdölpreise auch passieren wird, ist wenig wahrscheinlich. Negativpreise sind an den Rohstoffmärkten selten: Der US-Referenzwert WTI ist zum ersten Mal in der Geschichte unter 0 gefallen. Negativpreise entstehen in der Regel, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt und wenn die Lagerkapazitäten ausgelastet sind oder das Gut nicht gelagert werden kann. Am Strommarkt sind deshalb negative Preise keine Seltenheit. So führt in Deutschland und auch anderswo die Einspeisung von Ökostrom, der erzeugt wird, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht, regelmässig zu Negativpreisen, wenn die Nachfrage wie an Feiertagen schwach ist. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
Preise unter null: Am Erdölmarkt ist der Teufel los Page 9 of 9 Sie können Wirtschaftsredaktor Gerald Hosp auf Twitter folgen. Mehr zum Thema Der Erdölmarkt steht kopf: Der Preis für amerikanisches Öl fällt unter null Zum ersten Mal in der Geschichte ist der Preis für Erdöl an einer Terminbörse negativ geworden. Dies heisst, Produzenten und Händler legen drauf, um den Rohstoff loszuwerden. Dahinter steckt eine technische Besonderheit. Klar ist aber: Der «historische» Deal zwischen Saudiarabien und Russland zeigt keine Wirkung. Gerald Hosp 20.04.2020 Trump, Putin und der saudische Kronprinz bilden eine unheilige Allianz – und können am Erdölmarkt doch nicht alles steuern Nicht nur Petro-Staaten wie Saudiarabien oder Russland möchten einen höheren Erdölpreis. Auch die USA und weitere Länder der G-20 stehen prinzipiell dahinter. Der historische Schulterschluss zur Stützung des Preises hat dennoch viele Hürden vor sich. Konkrete und verbindliche Zusagen der G-20 blieben jedoch aus. Gerald Hosp 11.04.2020 Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG. Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung zu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis von Neue Zürcher Zeitung ist nicht gestattet. https://www.nzz.ch/wirtschaft/am-erdoelmarkt-ist-der-teufel-los-was-sind-negative-te... 27.08.2020
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