Inklusion und Tourismus - Analyse und Anwendungsansätze für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit
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Tourismus besitzt ein besonderes Potenzial, Inklusion zu fördern und dadurch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern zu leisten. Das vorliegende Handbuch möchte dazu ermutigen und dabei unterstützen, die Herausforderung und Chancen einer inklusiven Tourismusentwicklung anzunehmen. Hierfür werden die wichtigsten Wirkungshebel herausgearbeitet, inspirierende Beispiele zusammengetragen, sowie Leitfäden für eine systematische Umsetzung zur Verfügung gestellt. Inklusion und Tourismus Analyse und Anwendungsansätze für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Sitz der Gesellschaft Bonn und Eschborn Friedrich-Ebert-Allee 32 + 36 53113 Bonn, Deutschland T +49 228 44 60-0 F +49 228 44 60-1766 E tourismus@giz.de disability@giz.de I www.giz.de Verantwortlich: Sektorvorhaben „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ Globalvorhaben „Inklusion von Menschen mit Behinderungen“ Autorin und Autor: Kai Partale & Alexandra Partale (Benchmark Services) Layout: kippconcept gmbh, Bonn Fotonachweise: Andreas Hofmann/GIZ (S. 51), Fahad Kaizer/GIZ (S. 5, 9, 16, 31, 67, 70), Conor Wall/GIZ (S. 44, 77, 79, 81, 82), Luqman Mahoro/GIZ (S. 48, 60), Florent Banissa/GIZ (S. 61); AdobeStock: Benik (S. 43), Ahmet Burcak Gozcu (S. 27), Marotoson (S. 21), WavebreakMediaMicro (S. 65), michael spring (S. 34); iStockphoto: SOL STOCK (Titel), Cesar Okada (S. 22) URL-Verweise: Für Inhalte externer Seiten, auf die hier verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter verantwortlich. Die GIZ distanziert sich ausdrücklich von diesen Inhalten. Die GIZ ist für den Inhalt der vorliegenden Publikation verantwortlich. Bonn 2021
Inhaltsverzeichnis Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Grundlagen: Inklusion & Tourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Darum Inklusion! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Agenda 2030: Kompass für mehr Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Inklusion und Entwicklungszusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Im Fokus: Menschen mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Barrieren für Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Tourismus: Motor für Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2 Die inklusive Tourismusdestination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Elemente einer inklusiven Tourismusdestination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Inklusion und Partizipation als Leitprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Exkurs: Die Rolle von Selbstvertretungsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Zielgruppen einer inklusiven Tourismusdestination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Fokus 1: Inklusive Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Fokus 2: Inklusives Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Fokus 3: Barrierefreie Reiseerlebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Es gibt noch viel zu tun! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3 Wege zu mehr Inklusion im Tourismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Barrieren einer inklusiven Tourismusentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Strategie 1: Bewusstsein für Inklusion schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Strategie 2: Inklusive Bildung fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Strategie 3: Unternehmen unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Strategie 4: Gründungsvorhaben fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Strategie 5: Informellen Sektor stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Strategie 6: Customer Journey barrierefrei gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4 Leitfaden für eine inklusive Tourismusentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Schritt 1: Status analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Schritt 2: Stakeholder involvieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Schritt 3: Ziele festlegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Schritt 4: Aufgaben organisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Schritt 5: Agenda aufstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Schritt 6: Wirkung kontrollieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Übersicht Good Practices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 // 3
Abkürzungen BMZ: Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung DESA: Departements für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen USIC: UXO Survivor Information Centre DMO: Destination Management Organisation ESL: Entwicklungs- und Schwellenländer EZ: Entwicklungszusammenarbeit LTH: Lemmon Tree Hotels SDG: Sustainable Development Goals SVO: Selbstvertretungsorganisationen VN-BRK: Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen WHO: Weltgesundheitsorganisation // 4
Weltweit leben über eine Milliarde Menschen mit Der Tourismus bietet ein besonderes Potenzial, Behinderungen unterschiedlichster Art. Das sind Inklusion zu fördern und dadurch einen Beitrag zur etwa 15% der Weltbevölkerung. Laut Weltge- nachhaltigen Entwicklung in ESL zu leisten: sundheitsorganisation (WHO) (2018) leben 80% dieser Menschen in Entwicklungs- und Schwellen- D Die Branche ist personalintensiv und bietet ländern (ESL) und sind dort häufig von Men- Menschen mit Behinderungen vielfältige schenrechtsverletzungen, Diskriminierung und Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkei- Stigmatisierung betroffen. In vielen Fällen erfahren ten. sie gegenüber Menschen ohne Behinderungen Benachteiligungen in allen Lebensbereichen und D Durch barrierefreie Tourismusangebote wird können ihre individuellen Potenziale oftmals Menschen mit Behinderungen Teilhabe am nicht entfalten. Dies gilt in besonderem Maße für Reisen geboten und ein großer Markt erschlos- Menschen, die aufgrund weiterer Merkmale zu sen. benachteiligten Bevölkerungsgruppen zählen, wie dies etwa bei Mädchen und Frauen aufgrund ihres D Tourismus fördert die Begegnung zwischen Geschlechts in vielen Ländern der Fall ist. Menschen mit und ohne Behinderungen und trägt so zur Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen sowie zum Abbau von Vorur- Die Achtung, der Schutz und die Förderung der teilen und Berührungsängsten bei. Rechte von Menschen mit Behinderungen sind vor diesem Hintergrund wichtige Grundsätze einer D Von barrierefreien Angeboten im öffentlichen nachhaltigen Entwicklungspolitik. Das wichtigste Raum profitiert gleichzeitig die einheimische Instrument zur Umsetzung und Durchsetzung dieser Bevölkerung. Rechte bildet die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (VN-BRK) als internationale Rechtsgrundlage (s. Box 1). Die Förderung von Inklusion im Tourismus ist somit nicht nur ein wirkungsvoller Hebel zur Reduzie- rung von Armut und sozialer Ungleichheit in ESL, Inklusion als leitendes Ziel sondern besitzt auch ein beachtliches Potenzial zur Erhöhung der ökonomischen Wertschöpfung. Das übergeordnete Ziel aller Anstrengungen, die Rechte von Menschen mit Behinderungen Das Thema Inklusion im Kontext Tourismus sollte zu achten, zu schützen und zu fördern, lautet deshalb in entsprechenden Projekten der inter- Inklusion. Alle Menschen sollen die Möglichkeit nationalen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) haben, gleichberechtigt am gesellschaftlichen, wirt- gezielt gefördert und immer mitgedacht werden. schaftlichen und politischen Leben teilzuhaben. Den Verantwortlichen bietet sich dabei ein großes Dafür steht auch die Agenda 2030 für nachhaltige Spektrum an Möglichkeiten. So breit gefächert Entwicklung der Vereinten Nationen (VN) mit ihrem und vielschichtig die Branche ist, so vielfältig sind Leitprinzip des „Niemanden Zurücklassens“ („leave die Ansatzpunkte, um Inklusion zu unterstützen. no one behind“). Das vorliegende Handbuch arbeitet diese Ansatz- punkte heraus und stellt Wege vor, wie Inklusion im Tourismus in ESL gelingen kann. // 6
Zielgruppen des Handbuchs Das Handbuch bietet Das Handbuch richtet sich in erster Linie an D eine kompakte Einführung in die Thematik Mitarbeiter*innen der internationalen EZ, die im mit Zahlen und Fakten zur Situation von Rahmen von Auslandsvorhaben Interventionen Menschen mit Behinderungen weltweit, Argu- mit touristischem Bezug planen und umsetzen. menten zur Förderung von Inklusion und zur Aber auch die Verantwortlichen in Tourismus- positiven Rolle, die der Tourismus hier spielen ministerien oder Tourismusorganisationen sowie kann (Kap. 1), Tourismusentwickler*innen erhalten eine praxisori- entierte Hilfestellung zur Förderung von Inklusion D einen Blick auf die idealtypische inklusive im Tourismus. Nicht zuletzt bietet das Handbuch Tourismusdestination mit ihren verschiedenen auch der interessierten Öffentlichkeit Anregungen, Elementen, Prinzipien, Zielgruppen und den um die Thematik zu reflektieren und das Bewusst- Teilbereichen Beschäftigung, Entrepreneurs- sein für Inklusion im Tourismus zu schärfen. hip und Reiseerlebnisse (Kap. 2), D Ansatzpunkte zum Abbau entscheidender Bar- rieren und sechs Vorschläge für wirkungsstarke Lösungsstrategien (Kap. 3) sowie Ziele des Handbuchs sind es, D die genannten Zielpersonen in die Lage zu D einen Leitfaden, der in sechs Schritten einen versetzen, die Potenziale des Tourismus als Prozess zum Aufbau eines nachhaltig wirksa- Instrument für eine nachhaltige Entwicklung men Kooperationssystems für mehr Inklusion durch die Förderung von Inklusion besser im Tourismus auf nationaler Ebene beschreibt auszuschöpfen. (Kap. 4). D grundlegende Informationen zum Themen- komplex Inklusion und Tourismus leicht verständlich, anschaulich und praxisorientiert aufzubereiten und anhand von Beispielen greifbar zu machen. D anwendungsorientierte Handreichungen zur Planung und Umsetzung von Auslandsvor- haben und Beratungsprojekten der EZ zur Förderung von Inklusion im Tourismus zu bieten. // 7
Grundlagen: Inklusion & Tourismus 1 // 9
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Darum Inklusion! Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, also auch D Steigende Zahl Menschen mit Behinderungen, die Möglichkeit an Menschen mit Behinderungen haben, gleichberechtigt am gesellschaftlichen, Aufgrund der weltweiten Zunahme chro- wirtschaftlichen und politischen Leben teilzuha- nischer Krankheiten und der Alterung der ben, ihre individuellen Potenziale zu entfalten und Bevölkerung wird die Zahl der Menschen ihren Fähigkeiten entsprechend zum Gemeinwohl mit Behinderungen weiter zunehmen. Die beizutragen (vgl. VN-BRK, Artikel 1). Herausforderungen und Chancen, die mit dieser Entwicklung verbunden sind, werden Inklusion ist ein Ziel und zugleich ein kontinuier- künftig also noch größer werden. Es werden licher Prozess, der noch sehr viel Zeit erfordern somit dringend funktionierende Instrumente wird. Viele Staaten haben sich auf der Grundlage benötigt, um diesen Entwicklungen konstruk- der VN-BRK auf den Weg gemacht, die definier- tiv zu begegnen. ten Ziele zu erreichen, jedoch liegt noch wichtige Arbeit vor ihnen. D Inklusion als Menschenrecht Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist in der Warum die Förderung von Inklusion so wichtig ist: VN-BRK festgeschrieben. Sie konkretisiert die universellen Menschenrechte aus der Perspek- D Schlüssel zur Reduzierung von Armut tive von Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Behinderungen haben oft leitet hieraus staatliche Verpflichtungen ab. keinen oder stark eingeschränkten Zugang zu Der Handlungsbedarf ist groß, denn Men- Bildung, Beschäftigung und weiteren grund- schen mit Behinderungen – und darunter legenden Leistungen, z. B. aus dem Gesund- vor allem Frauen – sind deutlich häufiger von heitswesen. Sie sind deshalb besonders häufig Menschenrechtsverletzungen betroffen. von Armut betroffen. Umgekehrt erhöht Armut als Kontextfaktor das Risiko einer D Inklusion ist Vielfalt (Diversity) Behinderung, z. B. weil die Menschen keinen Menschen mit Behinderungen sind ein wich- Zugang zu Gesundheitsleistungen haben tiger Teil einer Gesellschaft und machen sie oder unter Mangelernährung leiden. Inklu- vielfältiger. „Diversity“ bedeutet, diese Vielfalt sion bedeutet, diesen gefährlichen Kreislauf als Bereicherung zu begreifen, bewusst mit ihr aus Behinderung, Ausgrenzung, Armut und umzugehen und sie gezielt zu fördern. Hierzu Krankheit zu durchbrechen. gehört auch, Menschen mit Behinderungen die gleiche Wertschätzung entgegenzubringen D Exklusion verursacht Kosten wie anderen Menschen und dazu beizutragen, Wenn Menschen ausgegrenzt werden, geht ihr dass sie ihre individuellen Potenziale entfalten produktives Potenzial verloren. Hierdurch ent- können. stehen Abhängigkeiten und Kosten zulasten von Familien, Gemeinschaften und Staaten. Wenn sich Familienangehörige um Menschen mit Behinderungen kümmern müssen, wird dieser Effekt verstärkt, weil auch ihnen häufig der Zugang zu Bildung und Beschäftigung aus Zeit- oder Kostengründen versagt bleibt (vgl. hierzu ICED/LSHTM, 2015). // 10
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Box 1: B ehindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen – das Wichtigste in Kürze D Die VN-BRK ist ein Übereinkommen über D Durch die Ratifizierung der Konvention in die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Deutschland sowie in den meisten Partner- das 2006 von der Generalversammlung der ländern der deutschen EZ wurde ein verbind- Vereinten Nationen verabschiedet wurde und licher Rahmen für eine wirkungsvolle und 2008 in Kraft trat. zielgerichtete Förderung von Inklusion durch die EZ geschaffen. D Sie setzt sich dafür ein, dass die Benachtei- ligung von Menschen mit Behinderungen D Wichtige Ziele der Konvention sind es, aufhört und diese als vollwertige Bürger*innen Barrieren abzubauen, selbstbestimmtes Leben der Gesellschaft anerkannt werden. zu ermöglichen, keine Eingriffe in persönli- che Rechte und Menschenrechte zuzulassen, D Deutschland und derzeit 182 weitere Länder keine Entmündigungen oder Ausgrenzung zu bekennen sich zur VN-BRK und haben sich dulden, gleiches Recht für alle sowie das Recht mit ihrer Unterzeichnung dazu verpflichtet, sie auf Erziehung, Bildung und Arbeit umzuset- umzusetzen. zen. D In Artikel 32 der Konvention wird explizit D In Artikel 30 ist außerdem das Recht auf Teil- gefordert, die Konventionsziele im Rahmen habe am Tourismus explizit festgeschrieben. der internationalen Zusammenarbeit zu Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustel- fördern. len, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Erholungs-, Freizeit- und Sportangeboten erhalten sowie am kulturellen Leben teilhaben können. // 11
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Agenda 2030: Kompass für mehr Inklusion Leave no one behind – Niemanden zurücklassen! So lautet ein wichtiges Leitprinzip der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Die Inklusion aller Menschen kommt hier als Querschnittsthema in vielen Zielen für nachhaltige Entwick- lung (Sustainable Development Goals – SDGs) zum Tragen und wird in mehreren SDGs explizit hervorge- hoben. 2018 haben die Vereinten Nationen die SDGs gezielt aus der Perspektive von Menschen mit Behin- derungen beleuchtet und relevante Aspekte herausgearbeitet. Die folgenden im „Disability and Development Report“ der Vereinten Nationen (2019) dokumentierten Ziele für Menschen mit Behinderungen bilden – auf dieser Basis – einen wichtigen Kompass für Aktivitäten zur Förderung von Inklusion in der EZ. Abb. 1: Die SDGs für Menschen mit Behinderungen 1. 2. 3. Armut und Hunger Gesundheit und Wohlbefinden Zugang zu Leistungen der sexuellen für alle Menschen für Menschen mit Behinderungen und reproduktiven Gesundheits- mit Behinderungen überwinden sichern und fördern fürsorge ermöglichen und die (> SDG 1 + 2) (> SDG 3) entsprechenden Rechte für Menschen mit Behinderungen sichern (> SDG 3+5) 4. 5. 6. Integrative und gerechte Bildung Geschlechtergerechtigkeit Verfügbarkeit von Wasser mit hoher Qualität herstellen und Frauen und sanitäre Einrichtungen gewährleisten und Menschen mit Behinderungen für Menschen mit Behinderungen (> SDG 4) stärken gewährleisten (> SDG 5) (> SDG 6) 7. 8. 9. Zugang zu Energie Produktive Vollbeschäftigung Zugang zu Informations- für Menschen mit Behinderungen und menschenwürdige Arbeit und Kommunikationstechnologie sichern für Menschen mit Behinderungen für Menschen mit Behinderungen (> SDG 7) fördern verbessern (> SDG 9) (> SDG 9) 10. 11. 12. Ungleichheiten Städte und Gemeinden Widerstandsfähigkeit von abbauen für Menschen mit Behinderungen Menschen mit Behinderungen stärken, (> SDG 10) integrativ und nachhaltig gestalten speziell gegenüber den Auswirkungen (> SDG 11) von Krisen und Katastrophen, wie etwa dem Klimawandel (> SDG 1, 11+13) 13. 14. Friedliche und integrative Gesellschaften Daten zur Situation sowie gleiches Recht für alle fördern, speziell von Menschen mit Behinderungen ebenso wie den Zugang zu kontrollierten erfassen und zur Verfügung stellen rechtstaatlichen Instrumenten (> SDG 17) und Institutionen auf allen Ebenen (> SDG 16) // 12
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Inklusion und Entwicklungszusammenarbeit Mit der Ratifizierung der VN-BRK und insbesondere des Artikels 32 zur internationalen Zusammen- arbeit im Jahr 2009 hat sich die Bundesrepublik Deutschland auch zu einer inklusiven EZ verpflichtet. Dabei wird die Achtung, der Schutz und die Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen als wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung erachtet. Für die Umsetzung einer inklusiven EZ sind verschiedene Rahmenkonzepte relevant (vgl. Box 2). Box 2: Rahmenkonzepte einer inklusiven EZ D Strategiepapier des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/strategiepapiere/Strategiepapier495_12_2019.pdf D Aktionsplan der Europäischen Union für Menschenrechte und Demokratie (European Union Human Rights and Democracy Action Plan) www.ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/10101/2020/EN/JOIN-2020-5-F1-EN-ANNEX-1-PART-1.PDF D Inklusionsstrategie der Vereinten Nationen für Menschen mit Behinderungen (United Nations Disability Inclusion Strategy) www.un.org/en/content/disabilitystrategy D Weltweiter Rahmen der Weltbank für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen (World Disability Inclusion and Accountability Framework) https://olc.worldbank.org/content/disability-inclusion-and-accountability-framework // 13
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Entsprechend der Empfehlung der Vereinten Nationen verfolgt das BMZ eine duale Strategie zur Inklu- sion von Menschen mit Behinderungen (Twin-Track-Approach). Integraler Bestandteil jeglicher Strategie ist die Partizipation von Menschen mit Behinderungen. Twin-Track-Approach Partizipation Als Twin-Track-Approach wird der duale Ansatz „Nichts über uns – ohne uns!“ – so lautet ein zur Förderung von Inklusion von Menschen mit wichtiger Grundsatz der VN-BRK, der auch für Behinderungen bezeichnet. Er umfasst zwei Her- die deutsche EZ ein leitendendes Prinzip darstellt. angehensweisen: Gemeint ist damit, dass Menschen mit Behinde- rungen sowie Organisationen, die sie vertreten D Disability Mainstreaming: Dies bedeutet, den (vgl. Kap. 2 Exkurs: Die Rolle von Selbstver- Gedanken der Inklusion von Menschen mit tretungsorganisationen) in die Umsetzung der Behinderungen in bestehende Strukturen, Konvention aktiv eingebunden werden – als Programme und Aktivitäten aufzuneh- Mitarbeitende oder auch in beratender Funktion. men. Dahinter steht die Überzeugung, dass Außerdem impliziert Partizipation, dass Menschen Inklusion von Menschen mit Behinderungen mit Behinderungen von Aktivitäten der EZ in ein Querschnittsthema ist, das in sämtlichen gleicher Weise profitieren wie Menschen ohne Bereichen berücksichtigt werden muss. So Behinderungen. Gerade im Rahmen von Main- muss beispielsweise gewährleistet werden, streaming-Programmen gilt die Einbeziehung von dass Programmverantwortliche für das Thema Menschen mit Behinderungen als wirkungsvoller Inklusion sensibilisiert sind oder dass Pro- Weg, um deren Belange adäquat zu berücksich- gramme zur beruflichen Bildung auch für tigen. Um Partizipation zu ermöglichen, müssen Menschen mit Behinderungen zugänglich auch innerhalb der EZ-Projektstrukturen Barri- sind. eren abgebaut werden. Hierzu gehören nicht nur offensichtliche Umweltbarrieren, sondern auch D Gezielte Förderung: Gezielte Förderung bedeu- Vorurteile seitens der Projektbeteiligten gegenüber tet, dass die Inklusion von Menschen mit Menschen mit Behinderungen. Behinderungen explizit im Mittelpunkt eines Programms bzw. einer Intervention steht. Entsprechende Projekte setzen dort an, wo ein besonderer Bedarf existiert bzw. wo allgemeine Mainstreaming-Programme zu kurz greifen. Eine besondere Rolle im Rahmen der gezielten Förderung spielt das so genannte Empower ment von Menschen mit Behinderungen. Hierbei geht es darum, die Zielgruppen durch eine gezielte Unterstützung in die Lage zu versetzen, selbstständig und selbstbestimmt an sämtlichen Lebensbereichen teilzuhaben. Wichtig: Die Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist ein Pro- zess, der politischen Willen erfordert und sehr viel Zeit braucht. Hierbei sollten die beiden skizzierten Herangehensweisen ineinandergreifen und zusammenwirken. // 14
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Im Fokus: Menschen mit Behinderungen Das Prinzip der Inklusion fordert die Teilhabe aller Formen der Beeinträchtigung Menschen am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben, unabhängig von Haut- Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen ist farbe, Religionszugehörigkeit, Geschlecht oder groß und heterogen. Eine Kategorisierung hilft, Beeinträchtigung. Dieses Handbuch rückt Men- bedürfnisgerechte Lebensräume zu gestalten (vgl. schen mit Behinderungen in den Fokus und möchte Humboldt-Universität zu Berlin 2016, S. 15): Möglichkeiten aufzeigen, wie deren Inklusion im Tourismus gelingen kann. D Körperliche Beeinträchtigungen beeinträchti- gen die Körperbewegung einer Person, z. B. Laut Behindertenrechtskonvention (Art. 1) sind Lähmungen oder das Fehlen von Gliedmaßen. Menschen mit Behinderungen D Sinnesbeeinträchtigungen beeinträchtigen das „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, Sehen, Hören, Sprechen, Riechen, Schme- geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, cken, Empfinden und/oder das körperliche welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Gleichgewicht einer Person, z.B. Blindheit Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichbe- oder Taubheit. rechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ D Intellektuelle oder kognitive Beeinträchtigun- gen beeinträchtigen die intellektuelle und kog- Aus dieser Sicht heraus entsteht Behinderung also nitive Funktion und das Anpassungsverhalten erst in der Kombination aus einer Beeinträchti- einer Person erheblich, z. B. verminderte gung und den Barrieren, mit denen die betroffenen Gedächtnisleistung. Menschen konfrontiert sind. D Psychiatrische Beeinträchtigungen beeinträch- tigen das Denken, Stimmungen, die Bezie- hungsfähigkeit und generell die Fähigkeit, mit den Anforderungen des Lebens zurechtzu- kommen, z. B. Schizophrenie oder depressive Störungen. D Mehrfachbehinderungen haben Personen mit mehr als einer Beeinträchtigung. Z. B. kann eine Person mit Down-Syndrom auch Lern- schwierigkeiten oder eine Sehbehinderung haben. Übrigens: Die wenigsten Beeinträchti- gungen sind angeboren. In den meisten Fällen lösen Krankheiten die Behinderung aus, auch Unfälle können eine Ursache sein. Je älter die Menschen werden, desto größer ist somit die Wahrschein- lichkeit einer Behinderung. In einer älter werdenden Gesellschaft spielt die För- derung von Inklusion somit eine immer größere Rolle. // 15
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen Besondere Aufmerksamkeit sollten Menschen mit Box 3: Behinderungen erfahren, die aufgrund weite- Zahlen zur Situation von Frauen und rer Merkmale wie etwa Religionszugehörigkeit, Geschlecht oder Herkunft von doppelter Diskri- Mädchen mit Behinderungen minierung („Intersektionalität“) betroffen sind. Gerade Frauen und Mädchen mit Behinderungen D Laut WHO und Weltbank (2011) leben leiden in ESL häufig unter Menschenrechtsverlet- weltweit 11 Prozent mehr Frauen als zungen (vgl. Box 3). Männer mit Behinderungen. In Ländern mit niedrigerem Einkommen beträgt der Anteil der Frauen mit Behinderungen 22 % gegenüber 14 % bei Männern. D Junge Frauen und Mädchen mit Behin- derungen sind bis zu zehnmal mehr von Gewalt betroffen wie Frauen und Mädchen ohne Behinde- rungen (vgl. United Nations Population Fund 2018). D Weltweit beträgt die Beschäftigungsquote von Frauen mit Behinderungen nur 20 % (vgl. WHO / Weltbank 2011). Frauen und Mädchen mit Behinderungen werden häufig doppelt diskriminiert. So beträgt beispielsweise die Beschäftigungs quote von Frauen mit Behinderungen weltweit nur 19,6 Prozent. // 16
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Barrieren für Inklusion Barrieren sind Hindernisse, die es für Menschen sind schwer zu identifizieren und zu beseiti- mit Behinderungen schwierig – manchmal sogar gen, weil sie oft mit sozialen und kulturellen unmöglich – machen, die Dinge zu tun, die für die Normen verknüpft und in der Gesetzgebung meisten Menschen selbstverständlich sind. festgeschrieben sind. Welche Barrieren gibt es? Wichtig: weil Behinderung erst durch Barrieren entsteht, ist es eine wichtige D Umweltbarrieren sind physische Hürden, die Aufgabe einer inklusiven EZ, Barrieren manche Menschen mit Behinderungen nicht in den verschiedenen Lebensbereichen überwinden können. Hierzu gehören z. B. abzubauen. unzugängliche Gebäude, enge Wege, unebene Oberflächen sowie Informationen in unzu- gänglichen Formaten, wie etwa zu kleinen oder zu kontrastarmen Textdarstellungen oder Barrierefreiheit fehlende alternative Vermittlungsformen für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen. Laut § 4 des deutschen Behindertengleichstel- Umweltbarrieren sind leicht zu identifizieren. lungsgesetz (BGG) sind „Anlagen, Gebrauchs- gegenstände, Systeme, Informationsquellen und D Einstellungsbarrieren sind Vorurteile und Kommunikationseinrichtungen dann barrierefrei, Denkmuster in den Köpfen der Menschen, wenn sie für Menschen mit Behinderungen grund- die zur Diskriminierung von Menschen sätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich mit Behinderungen beitragen. Sie gelten als und nutzbar sind“. die Hauptfaktoren, die Fortschritte bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen Ein Lebensbereich wird dann barrierefrei, wenn hemmen. Sie sind schwer zu identifizieren. sämtliche Barrieren, abgebaut sind – also nicht nur physische Barrieren, sondern auch Vorurteile und D Institutionelle Barrieren sind Richtlinien und institutionelle Barrieren. Dies ist ein Zustand, der Regelungen, die Menschen ausschließen, wie in der Realität nur sehr selten erreicht wird. Des- etwa eine diskriminierende Bildungspolitik halb ist der Begriff der Barrierefreiheit eher ein Ziel oder ausschließende Zugangskriterien für als ein Zustand und die Reduzierung von Barrieren die Mitgliedschaft in einer Organisation. Sie ist der Weg, der zu diesem Ziel führt. Box 4: Abbau von Umweltbarrieren: wichtige Begriffe Im Zusammenhang mit der Gestaltung barrierefreier Lebensräume werden verschiedene Begriffe verwendet – meist im Zusammenhang mit Umweltbarrieren. D Zugänglichkeit: bedeutet, dass allgemeine Standards insbesondere in Bezug auf die bauliche Umwelt umgesetzt wurden, um Menschen mit Behinderungen einen besseren Zugang zu Räumen, Einrichtungen und Leistungen zu ermöglichen. D Individuelle Anpassungen („Reasonable Accommodation“) beinhalten angemessene, einzelfallspezifische Maßnahmen zum Abbau von Barrieren, wie etwa den Einsatz einer Begleitperson zur Unterstützung oder die Bereitstellung eines speziellen Hilfsmittels. D Universelles Design bedeutet, Räume, Einrichtungen und Leistungen von Anfang an so zu gestalten, dass sie von möglichst allen Menschen genutzt werden können, ohne dass spezielle Anpassungen erforderlich sind. // 17
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Tourismus: Motor für Inklusion Die Tourismusbranche besitzt ein besonderes Vorurteilen und Ausgrenzung entgegen. Die Wir- Potenzial, regionale Wertschöpfung zu generieren kungsfaktoren, die hierbei zum Tragen kommen, und Teilhabe zu fördern. So schafft sie Räume für stehen in einer wechselseitigen Beziehung. Abb. 2 Begegnungen, fördert die Sichtbarkeit von Men- veranschaulicht die wichtigsten Zusammenhänge. schen mit Behinderungen und wirkt hierdurch Abb. 2: Beitrag des Tourismus zur Reduzierung von Armut und für mehr Teilhabe Tourismus … … generiert … kann barrierefreie Wertschöpfung Tourismusangebote schaffen schafft Einkommen auch für Menschen und Beschäftigung mit Behinderungen reduziert Armut ermöglicht lokaler verbessert Möglichkeit ermöglicht Tourist*innen Bevölkerung zur Teilhabe für die mit Behinderungen Teilhabe am Arbeitsmarkt Bevölkerung insgesamt Teilhabe am Reisen reduziert Risiko fördert Begegnung, erhöht Sichtbarkeit, von Behinderung verringert Vorurteile und Ausgrenzung // 18
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Darum kann der Tourismus einen entscheidenden Beitrag zu mehr Inklusion in ESL leisten: 1. Der Tourismus besitzt ein besonderes Potenzial, regionale Wertschöpfung zu generieren. Dieses Potenzial erwächst aus verschiedenen Eigen- Durch die skizzierten ökonomischen Effekte wird schaften der Branche: Armut reduziert – und damit ein entscheidender Risikofaktor für Behinderungen. Zudem stimuliert D Tourismus schafft ortsgebundene Arbeits- ein ökonomisch erfolgreicher Tourismus über plätze, die nicht ins Ausland verlagert werden Steuereinnahmen infrastrukturelle Investitionen, können und sorgt trotz dieser Ortsgebunden- die auch in den Abbau von Umweltbarrieren fließen heit für Deviseneinnahmen. können. D Durch zahlreiche Schnittstellen zu Nach- barbranchen wie etwa der Landwirtschaft oder dem Einzelhandel entfalten touristische Umsätze eine enorme ökonomische Breiten- wirkung. D Aufgrund ihrer klein- und mittelständischen Struktur kommen touristische Umsätze einer großen Zahl an Unternehmen zugute und viele Menschen profitieren. 2. Der Tourismus bietet Menschen mit Behinderungen Einkommensmöglichkeiten. Der Tourismus ist beschäftigungsintensiv und bietet barter Branchen, wie etwa dem Kunsthandwerk. Einkommensmöglichkeiten für Menschen mit unter- Aufgrund der geringen Markteintrittsbarrieren schiedlichen Qualifikationen. für neue Angebote bietet er zudem eine gute Ausgangsposition für gründungsinteressierte Auch Menschen mit Behinderungen und insbe- Menschen mit Behinderungen. Die Teilhabe von sondere Frauen mit Behinderungen finden hier ein Menschen mit Behinderungen am wirtschaftlichen breites Spektrum an Möglichkeiten, Einkommen Leben ist von großem Wert für eine Gesellschaft. zu generieren. Beschäftigungspotenziale liegen Insbesondere reduziert sie Armut und durchbricht dabei nicht nur in der Tourismusbranche im so den Kreislauf von Behinderung und Armut, engen Sinn, sondern auch in Betrieben benach- dem diese Menschen häufig ausgeliefert sind. 3. Der Tourismus ermöglicht Teilhabe durch barrierefreie Angebote. Durch die Schaffung barrierefreier Tourismusan- abgebaut werden. Zugleich wird hierdurch ein gebote erhalten Menschen mit Behinderungen die interessanter und wachsender Markt angespro- Möglichkeiten, am Reisegeschehen teilzuhaben. chen, sodass auch positive ökonomische Effekte zu erwarten sind. Ganz nebenbei wird durch den Hierdurch werden neue Begegnungen zwischen Abbau von Barrieren im öffentlichen Raum auch Menschen mit und ohne Behinderungen mög- die Teilhabe der einheimischen Bevölkerung am lich, wodurch Vorurteile und Berührungsängste gesellschaftlichen Leben verbessert. // 19
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Die Zeit für mehr Inklusion ist günstig! Das skizzierte Potenzial des Tourismus, Inklusion in D Digitalisierung: Die fortschreitende Digitalisie- ESL zu fördern, wird verstärkt durch verschiedene rung bietet große Chancen und neue Möglich- Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft: keiten für die Förderung von Inklusion durch Tourismus. Mithilfe digitaler Werkzeuge D Steigendes Bewusstsein für soziale Aspekte: können Zugangsbarrieren für Menschen mit Bedingt durch den allgemeinen Wertewan- Behinderungen im Tourismus leichter abge- del in unserer Gesellschaft ist in den letzten baut werden, etwa durch barrierefreie Websites Jahren das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im oder multisensorische Informationen über Tourismus deutlich gestiegen. Eine umwelt- mobile Endgeräte. Zudem entstehen Impulse gerechte und sozialverträgliche Gestaltung des für neue, digitale Geschäftsmodelle und somit Tourismus hat daher eine größere Bedeutung Chancen für Menschen mit Behinderungen, erhalten. Besondere Leistungen in diesem die an einer Gründung interessiert sind. Bereich, wie etwa eine inklusive touristische Entwicklung, werden durch vermehrte Nach- frage honoriert. D Zunehmende Bedeutung von Corporate Social Responsibility (CSR): Auch in der Wirt- schaft ist teilweise ein Umdenken zu spüren. Angetrieben von globalen Entwicklungen wie dem Klimawandel oder dem demografischen Wandel und hieraus resultierenden neuen Kundenbedürfnissen übernehmen immer mehr Unternehmen gesellschaftliche Verant- wortung. Wer hierbei konsequent handelt, wird auch dem Thema Inklusion die nötige Aufmerksamkeit widmen. Box 5: Tourismus in Pandemiezeiten – Chance für einen inklusiven Neustart! Der Tourismus gehört zu den größten Wirtschafts- und „Es ist von grundlegender Bedeutung, dass wir diese Zeit des Wachstumsbranchen weltweit. Sein Beitrag zum weltweiten Wandels nutzen, um alle Beteiligten für die Notwendigkeit zu BIP lag zuletzt bei über 10 % und jeder 10. Arbeitsplatz war sensibilisieren, Menschen mit Behinderungen und ihre Fami- direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig. 2020 hat die lien in den Tourismus einzubeziehen und niemanden zurück- Corona-Pandemie die dynamische Entwicklung der letzten zulassen. Diese Kunden können Unternehmen dabei helfen, Jahrzehnte ausgebremst und viele Tourismusdestinationen diese schwierigen Zeiten zu überstehen, da sie Chancen für in eine tiefe Krise gestürzt. In dieser Situation appelliert die alle darstellen.“ Welttourismusorganisation (UNWTO) gemeinsam mit Alberto Durán, Vizepräsident der ONCE Foundation ihren Partnern ONCE Foundation und European Founda- tion for Accessible Tourism daran, den Neustart zu nutzen, Zur Unterstützung eines „inklusiven Neustarts“ haben die um den Tourismus inklusiver zu gestalten. Partner Empfehlungen entwickelt, wie Tourismusakteure ent- lang der gesamten Wertschöpfungskette neue Angebote, Pro- dukte und Informationen von Beginn an barrierefrei gestalten und damit einen interessanten Markt erschließen können. Nähere Infos: UNWTO 2020 // 20
GRUNDLAGEN: INKLUSION & TOURISMUS Die inklusive Tourismusdestination 2 // 21
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Die Aufgaben der EZ beziehen sich immer auf Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über ein bestimmtes räumliches Gebiet. Die Grenzen die zentralen, idealtypischen Elemente einer inklu- dieses Gebiets sind je nach Auftrag individuell zu siven Tourismusdestination erteilt. Hierauf aufbau- definieren. Sie können ein ganzes Land umfassen, end werden die einzelnen Elemente genauer unter ein Teilgebiet oder einen grenzüberschreitenden die Lupe genommen. Ein besonderer Fokus liegt Raum. Um Inklusion nachhaltig und wirkungs- dabei auf drei konkreten Bereichen eines inklusi- voll zu fördern, sollten diese definierten Gebiete ven Tourismus: Beschäftigung, Entrepreneurship ausreichend groß sein und das Potenzial bieten, die und Reiseerlebnisse. erforderlichen normativen Grundlagen, organi- satorischen Strukturen und operativen Prozesse hierfür zu entwickeln. Der Begriff „Tourismusdestination“ wird hier deshalb verstanden als eine hinsichtlich Größe und Struktur geeignete räumliche Einheit, auf die sich eine Intervention bezieht und wo die angestrebte Wirkung erzielt werden soll. In vielen Fällen wird es sich bei dieser geeigneten räumlichen Einheit um die nationale Ebene han- deln oder um große, leistungsfähige Regionen. Innerhalb einer Destination sind viele Leistungs- träger an der Erstellung des touristischen Produkts beteiligt. Nur im Zusammenspiel vieler Aktivitäten und Angebotsbausteine entsteht eine konsistente und durchgehend inklusive touristische Gesamtleis- tung. Auch wenn jeder kleine Schritt hin zu einem inklusiven Tourismus zählt, so ist es enorm wichtig, einzelne Maßnahmen, Aktivtäten und Angebote zielgerichtet miteinander zu verzahnen. Und das geschieht idealerweise auf Destinationsebene. Ein inklusive Tourismusdestination bietet ein ganzheitliches Erlebnis für Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten. // 22
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Elemente einer inklusiven Tourismusdestination Was zeichnet eine inklusive Tourismusdestination aus? Tab. 1 gibt einen schematischen Überblick über Handbuch auch die Bereiche Beschäftigung sowie die zentralen Elemente bzw. Charakteristika einer Entrepreneurship. Denn gerade, wenn durch inklusiven Tourismusdestination. Dabei wird ein die Förderung von Inklusion im Tourismus ein ganzheitlicher Blick auf die Branche eingenom- Beitrag zur Bekämpfung von Armut und sozialer men. Während sich die meisten Publikationen auf Ungleichheit geleistet werden soll, liegen hier die Entwicklung barrierefreier Reiseerlebnisse entscheidende Wirkungshebel für die EZ. konzentrieren, berücksichtigt das vorliegende Tab. 1: Elemente der inklusiven Tourismusdestination im Überblick Elemente In einer inklusiven Tourismusdestination… Bewusstsein Die touristischen Entscheidungs- und Leistungsträger sind sich über die Bedeutung und die Potenziale einer inklusiven Tourismusentwicklung bewusst. Inklusion Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist ein akzeptiertes und von allen getragenes Ziel der Tourismusentwicklung. Partizipation Menschen mit Behinderungen werden in Entscheidungsprozessen beteiligt, und zwar insbesondere dort, wo deren Interessen oder das Thema Inklusion im Allgemeinen eine Rolle spielt. Zielgruppen Gäste und Einheimische mit Behinderungen werden gleichermaßen als Zielgruppe adressiert, letztere insbesondere als Beschäftigte und Gründer*innen im Tourismus. Sichtbarkeit Durch die Begegnung zwischen Einheimischen und Reisenden mit und ohne Behinderungen entsteht soziale, kulturelle und politische Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen. Inklusive Beschäftigung Unternehmen und Organisationen des touristischen Wertschöpfungssystems werden ermutigt und unterstützt, Menschen mit Behinderungen unter fairen Bedingungen zu beschäftigen. Inklusives Entrepreneurship Menschen mit Behinderungen werden ermutigt und unterstützt, touristische Unternehmen zu gründen bzw. selbständig im Tourismus tätig zu sein. Barrierefreie Reiseerlebnisse Unternehmen und Organisationen des touristischen Wertschöpfungssystems werden ermutigt und unterstützt, inklusive Reisererlebnisse zu ermöglichen. // 23
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Inklusion und Partizipation als Leitprinzipien Inklusion & Tourismus Partizipation & Tourismus In einer inklusiven Tourismusdestination ist die In einer inklusiven Tourismusdestination werden Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein Menschen mit Behinderungen in Entscheidungspro- akzeptiertes und von allen getragenes Ziel der zessen beteiligt Tourismusentwicklung. Den Grundsatz „Nichts über uns – ohne uns!“ der Für Tourismusdestinationen bedeutet das: Inklu- VN-BRK gilt es auch – und gerade – im Touris- sion muss im Zielsystem der Destination fest und mus umzusetzen. In kaum einer anderen Branche verbindlich verankert sein. Übergeordnete Ziele ist Partizipation so wichtig, insbesondere wenn die einer inklusiven touristischen Entwicklung sind: Interessen benachteiligter Bevölkerungsgruppen gezielt vertreten werden sollen. Denn: ein kon- D Teilhabe von Gästen mit Behinderungen an sistentes touristisches Gesamtprodukt kann nur touristischen Angeboten der Destination entstehen, wenn viele verschiedene Entscheidungs- und Leistungsträger zusammenarbeiten und an D Teilhabe von Einheimischen mit Behinderun- einem Strang ziehen. Soll dieses Produkt barrie- gen als Beschäftigte im Tourismus refrei und dessen Erstellung inklusiv sein, ist es sehr wichtig, Menschen mit Behinderungen in die D Teilhabe von Bewohner*innen mit Behinde- Planungsprozesse einzubeziehen. Partizipation ver- rungen als Selbständige im Tourismus schafft ihnen Sichtbarkeit und hilft, Vorurteile bei jenen abzubauen, die Inklusion in ihren Unterneh- Destinationen stehen vor der Aufgabe, mit geeig- men und Bereichen umsetzen sollen. Nicht zuletzt neten Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele kann niemand besser beurteilen als Menschen mit beizutragen und so geltendes Recht auf der Grund- Behinderungen selbst – als „Experten in eigener lage der VN-BRK umzusetzen. Der Tourismusor- Sache“, was für eine inklusive touristische Ent- ganisation oder anderen zuständigen Institutionen wicklung wichtig ist und was es zu beachten gilt. kommt dabei eine wichtige Vorbildfunktion zu, die sie z. B. durch die Inklusion von Menschen mit Behinderungen als Beschäftigte ausfüllt. // 24
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Exkurs: Die Rolle von Selbstvertretungsorganisationen Wichtige Partner der EZ auf dem Weg zu mehr SVOs können in Projekten der EZ verschiedene Inklusion – im Tourismus und in allen anderen Funktionen übernehmen: Branchen und Bereichen – sind Selbstvertre- tungsorganisationen (SVO) von Menschen mit D Beratung: Als Berater*innen teilen sie ihre Behinderungen. Sie existieren überall auf der Welt, Erfahrungen und Wissen in allen Projekt- werden mehrheitlich von Menschen mit Behinde- phasen z.B. als Mitwirkende in Workshops rungen getragen und setzen sich mit unterschied- und Gremien oder im Rahmen beauftragter lichsten Aktivitäten für die Rechte von Menschen Projekte. mit Behinderungen ein. In vielen Partnerländern sind SVOs in nationalen Dachverbänden organi- D Interessensvertretung: Als Vertreter*innen siert. Diese sind oftmals eine gute erste Anlaufstelle von Menschen mit Behinderungen sorgen sie für die EZ. dafür, dass deren Interessen in allen Projekt- phasen angemessen berücksichtigt werden. In Projekten der EZ sind sie in zweifacher Hinsicht eine wertvolle Ressource: D Auditierung: Als „Expert*innen in eigener Sache“ testen sie die Barrierefreiheit von Ein- D Zum einen repräsentieren sie die Perspek- richtungen und können durch ihre Innenpers- tive von Menschen mit Behinderungen und pektive ein qualifiziertes Feedback geben. bringen wichtige Erfahrungen mit ein, die für eine bedürfnisgerechte Projektentwicklung D Vernetzung: Durch ihr Netzwerk schaffen sie essenziell sind. Verbindungen z. B. zu Menschen mit Behin- derungen als Zielgruppe von Interventionen. D Zum anderen werden SVO durch EZ-Pro- jekte gestärkt und vernetzt, sodass sie nach Abschluss einer Intervention wirkungsvoller als zuvor agieren können. Box 6: Links für die Suche nach der richtigen SVO Disabled Peoples’ International (Dachverband von SVOs weltweit) www.dpi.org Independent Living Institute (Liste von SVO nach Ländern) www.independentliving.org/links/links-organisations-disabilities.html European Disability Forum (Dachverband von SVOs in Europa) www.edf-feph.org International Disability Alliance (Interessensvertretung von SVOs gegenüber den Vereinten Nationen) www.internationaldisabilityalliance.org // 25
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Zielgruppen einer inklusiven Tourismusdestination In einer inklusiven Tourismusdestination werden Es ist also sinnvoll, das Thema Inklusion durch Gäste und Bewohner*innen mit Behinderungen Tourismus ganzheitlich anzugehen und die ver- gleichermaßen als Zielgruppe adressiert, letztere schiedenen Zielgruppen zu berücksichtigen. Von insbesondere als Beschäftigte und Gründer*innen entscheidender Bedeutung ist es zudem, auch die im Tourismus. Unterschiede innerhalb dieser Gruppen zu berück- sichtigen: Dabei entstehen viele Synergien. Wer inklusive Beschäftigung im Tourismus fördert, investiert auch in die Qualität touristischer Angebote. Denn Behinderung ist nicht gleich Behinderung Menschen mit Behinderungen können einen wertvollen Beitrag zur Schaffung eines qualitätsori- Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen ist entierten Tourismusangebotes leisten, z. B. weil sie heterogen. Eine Kategorisierung hilft, Barrieren sich besser in Zielgruppen hineinversetzen können, gezielt abzubauen und bedürfnisgerechte Lebens- die selbst mit einer Behinderung leben. Umgekehrt räume zu gestalten. Gerade mit Blick auf die profitiert die einheimische Bevölkerung von einem Anforderungen eines inklusiven Tourismus ist die barrierefreien Tourismusangebot im öffentlichen Differenzierung zwischen folgenden Zielgruppen Raum, z. B. wenn Sehenswürdigkeiten zugänglich sinnvoll: gemacht werden. Gruppe 1: Menschen mit Mobilitätsbeschränkungen Hierzu zählen Menschen, die dauerhaft oder Grundlegende Anforderungen an ein barrierefreies temporär in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Angebot sind z. B. Dies können Menschen sein, die auf Hilfsmittel D stufenlose Wege und Zugänge angewiesen sind, wie z. B. einen Rollstuhl oder D keine Schwellen und Stufen eine Gehhilfe, aber auch Menschen, denen es D ausreichend breite Türen z. B. aufgrund ihres Alters oder einer Krankheit D Treppen mit griffsicheren Geländern schwerfällt, mobil zu sein. Aufgrund ihrer einge- D ausreichend Sitzmöglichkeiten schränkten Mobilität sind sie auf eine barrierefreie D ausreichend Bewegungs- und Rangierflächen physische Umwelt angewiesen. in Räumen D ausreichend Raum und Abstellmöglichkeiten z. B. für Rollatoren D barrierefreie sanitäre Einrichtungen // 26
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Gruppe 2: Menschen mit Sehbehinderung und blinde Menschen Menschen mit Sehbehinderung und blinde Men- Grundlegende Anforderungen an ein barrierefreies schen können sich in fremder Umgebung allein Angebot für sehbehinderte Menschen sind z. B. nur schwer orientieren und benötigen bedürfnis- D Beschriftungen in ausreichender Schriftgröße gerechte Unterstützung. Dabei unterscheiden sich D Piktogramme, Schalter, Griffe, Orientierungs- die Bedürfnisse von blinden Menschen deutlich hilfen etc. mit deutlichen Kontrasten von den Bedürfnissen von Menschen mit Seh D gute Lichtverhältnisse bzw. Ausleuchtung von behinderung. Entsprechend differenziert müssen Räumen auch die zu ergreifenden Maßnahmen sein. D Lichtbänder oder Kontraststreifen an Treppen- stufen und Glastüren Grundlegende Anforderungen an ein barrierefreies Angebot für blinde Menschen sind z. B. D Akustisch abrufbare Informationen D Möglichkeit zur Mitnahme von Blinden- und Führhunden D Informationen in Blindenschrift (Braille oder taktile Pyramidenschrift) D taktile Boden-Leitsysteme D barrierefreie Internetseiten Bodenleitsysteme sind Systeme, die es blinden Menschen und Menschen mit Seebehinderungen ermöglichen, sich im öffentlichen Raum zu orientieren. // 27
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Gruppe 3: Menschen mit Hörbehinderung und gehörlose Menschen Menschen mit Höreinschränkungen können akus- Grundlegende Anforderungen an ein barrierefreies tische Signale schlecht oder überhaupt nicht wahr- Angebot sind z. B. nehmen. Deshalb muss die Kommunikation vor D Akustische Informationen um visuelle Infor- allem visuell stattfinden. Viele gehörlose Menschen mationen ergänzen, z. B. durch Untertitel bei beherrschen die Gebärdensprache oder sind in der Videoinhalten Lage, durch Lippenlesen einiges zu verstehen. D Informationen in schriftlicher Form bereit halten D im Gespräch Blickkontakt halten und deutlich sprechen D Einbezug von Gebärdensprach dolmetscher*innen bei Bedarf Gruppe 4: Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen Zu dieser Gruppe zählen Menschen mit Lern- Grundlegende Anforderungen an ein barrierefreies schwächen, Aufmerksamkeitsstörungen, Entwick- Angebot sind z. B. lungsstörungen und neurologischen Beeinträchti- D das Konzept „leichte Sprache“ (mündliche gungen. Eine Herausforderung ist die Vielfalt der Kommunikation in kurzen, einfachen und Bedürfnisse je nach Behinderungsform. Menschen grammatikalisch korrekten Sätzen) mit kognitiven Einschränkungen haben zumeist D Texte in kurzen, einfachen und grammatika- Schwierigkeiten in Bezug auf die Wahrnehmung lisch korrekten Sätzen und Verarbeitung von Informationen, Aufmerk- D Informationen in leichter Sprache samkeitsdefizite, Gedächtnisprobleme oder eine D Bildliche Darstellungen, z. B. mit Fotos oder eingeschränkte Problemlösungskompetenz. Symbolen Wichtig! Neben den genannten Zielgruppen gibt es zahlreiche weitere Personengruppen, die von den skizzierten Maßnahmen profitieren. So dient eine barrierefreie physische Umwelt auch Menschen, die mit einem großen Koffer oder einem Kinderwagen unterwegs sind oder Menschen, die aufgrund Ihres Alters beeinträchtigt sind. Von leichter Sprache und bildhafter Kommunikation profitieren auch Kinder oder ausländische Gäste. Investitionen in Barrierefrei- heit zahlen sich also mehrfach aus. // 28
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION Fokus 1: Inklusive Beschäftigung In einer inklusiven Tourismusdestination werden Je nach Art des Unternehmens existieren verschie- Unternehmen und Organisationen des touristischen dene Möglichkeiten, Menschen mit Behinderun- Wertschöpfungssystems ermutigt und unterstützt, gen zu beschäftigen. Dabei hängen die Möglich- Menschen mit Behinderungen unter fairen Bedin- keiten und Anforderungen für Arbeitgeber stark gungen zu beschäftigen. mit der Form der Behinderung eines Menschen zusammen. Im Folgenden werden die wichtigsten Beschäftigungsfelder im Tourismus für Menschen Beschäftigungsfelder mit Behinderungen vorgestellt. für Menschen mit Behinderungen Der Tourismus bietet eine enorme Vielfalt an Tipp: Anregungen für Tourismusunter- Beschäftigungsmöglichkeiten entlang der gesam- nehmen, die sich dem Thema Inklusion ten touristischen Wertschöpfungskette. Hinzu stellen möchten, bietet die Schweizer kommen Beschäftigungsmöglichkeiten in benach- Plattform www.tourismus-mitenand.ch . barten Branchen, die mit touristischen Unterneh- Die Seite möchte anhand von Praxis- men in einem engen Austausch stehen. Menschen beispielen dafür sensibilisieren, was es mit Behinderungen können je nach individuellen bedeutet, wenn Menschen mit und ohne Möglichkeiten und Bedürfnissen prinzipiell überall Behinderungen zusammenarbeiten. dort arbeiten, wo die jeweils limitierenden Barrie- ren abgebaut werden. Dies gilt selbstverständlich auch für anspruchsvolle Tätigkeiten in den Füh- rungspositionen eines Unternehmens. // 29
DIE INKLUSIVE TOURISMUSDESTINATION D Büroarbeiten D Service & Beratung Menschen mit Behinderungen können im Menschen mit Behinderungen können Bereich Verwaltung, Organisation, Marketing selbstverständlich auch Tätigkeiten mit oder auch Management häufig eine unein- Kundenkontakt wahrnehmen. Das Spektrum geschränkte Leistung erbringen, wenn die der entsprechenden Aufgaben im Tourismus jeweiligen Barrieren beseitigt werden. Entspre- ist groß. Es reicht vom Service im Restaurant, chende Aufgaben gibt es in allen Arten von über den Empfang von Gästen an der Hotel- Tourismusunternehmen. Einen barrierefreien rezeption bis zur Beratung von Gästen in der Büroarbeitsplatz einzurichten, ist meist mit Tourist-Information. Auch der Verkauf von einem begrenzten Aufwand verbunden, sodass Einzelhandelswaren gehört dazu. Grundvo- die Hürden, Teilhabe zu ermöglichen, relativ raussetzungen sind, dass die Mitarbeitenden gering sind. mit den Kunden kommunizieren können und ein Gespür für gängige soziale Umgangs- D Küche & Hauswirtschaft formen haben. Eine gewisse Belastbarkeit ist In größeren Hotels umfassen die Bereiche zudem gefragt, wenn akute Stresssituationen Küche und Hauswirtschaft ein breites Feld an auftreten. Gerade in Betrieben, die sich auch Tätigkeiten, das für Menschen mit Behinde- an Gäste mit Behinderungen richten, ist der rungen geeignet ist, von der Zubereitung von Einsatz von Menschen mit Beeinträchtigun- Speisen über den Zimmerservice bis hin zu gen eine Bereicherung, weil sie sich am besten Reinigungsaufgaben. Die vermeintlich wenig in diese Gäste und deren Bedürfnisse hinein- anspruchsvollen Aufgaben werden von Men- versetzen können. schen mit Behinderungen häufig besonders gerne, sorgfältig und zuverlässig wahrgenom- D Handwerk & Kunsthandwerk men, wenn Sie individuell an ihre Aufgaben Menschen mit Behinderungen können auch herangeführt werden. Gerade Menschen, die in der handwerklichen Produktion touris- lieber im Hintergrund und ohne Kunden- musrelevanter Produkte als Mitarbeitende kontakt arbeiten, finden hier ein interessantes eingesetzt werden. Gerade die Herstellung von Betätigungsfeld. kunsthandwerklichen Gegenständen ist prä- destiniert, um auch Menschen mit schweren Behinderungen einzubeziehen. Die Arbeiten sind meist schnell zu erlernen, wiederkehrend und gut planbar. Die Mitarbeitenden können je nach individuellen Möglichkeiten in ihrem eigenen Tempo arbeiten und sind nicht mit akuten Stresssituationen konfrontiert. Nicht zuletzt liefert die Arbeit ein greifbares Ergebnis und bietet den Menschen so eine Identifikati- onsbasis. // 30
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