SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung

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SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
SCHWARZROTGOLD
Das Magazin der Bundesregierung
                                                  1
                                                  01/19

                                  SO VIEL EUROPA STECKT
                                       IN UNSEREM OBST
                                                    06
                                   VORURTEILE ÜBER DIE
                                    EU IM FAKTENCHECK
                                                    10
                                     EU-BÜRGERDIALOG
                                              IN JENA
                                                    16
SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
INHALT

                                                          04                                                                              14
                                                      WAS WÄRE,                                                            FLUCHT UND
                                                       WENN …?                                                          MIGRATION IN DIE EU
                                       Wirtschaft, Umwelt, Sicherheit:                                                  Heute erreichen deutlich weniger
                                    Was wäre anders, gäbe es die EU nicht?                                             Menschen die EU als vor drei Jahren.

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                                    SO VIEL EUROPA STECKT                                                                 EU-BÜRGERDIALOG
                                       IN UNSEREM OBST                                                                         IN JENA
                                      Was die Apfelernte in der Ortenau mit                                             Uta Seibold-Pfeiffer war dabei.
                                      der Europäischen Union zu tun hat.                                             Zwischen persönlichen Ansichten und
                                                                                                                         dem Blick aufs große Ganze.

                                                          10
                                       IST DAS WIRKLICH SO?
                                       Der Faktencheck zu fünf Vorurteilen
                                           über die Europäische Union.

                                                          12                                                                              18
                                 MIT MUT UND ZUVERSICHT                                                                SPITZENREITER –
                                       FÜR EUROPA                                                                   HÄTTEN SIE’S GEWUSST?
                                            Außenminister Heiko Maas:                                                     Acht Fakten zu Europa, die nicht
                                           Was ist ihm an Europa wichtig,                                                    jeder auf dem Schirm hat.
                                             was bereitet ihm Sorgen?

     Impressum:
     Herausgeber: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 11044 Berlin Redaktion: Dr. Johannes Dimroth Druck: Mohn Media GmbH, 33311 Gütersloh Gestaltung: Zum goldenen Hirschen Berlin GmbH,
     10997 Berlin Bildnachweis: Titel, S. 5, 6, 10, 11, 14, 18, Rückseite: Karsten Petrat; S. 3: Florian Gaertner/Photothek via getty images; S. 9: Ramesh Amruth; S. 12: Thomas Köhler/photothek; S. 2, 16: Felix Abraham;
     S. 19: getty images/Simon McGill; Redaktionsschluss: 9. November 2018
SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN
UND LESER,
  Sie halten die erste Ausgabe von „schwarz-        und sich gegenseitig zu schwächen. Gemein-
  rotgold“ in der Hand, dem neuen Magazin der       sam hingegen können wir Europäer unsere
  Bundesregierung. Viermal im Jahr möchten          Interessen in der Welt viel besser zur Geltung
  wir Ihnen ein bestimmtes Politikfeld nahe-        bringen, als das jedem einzelnen Land allein

                                                                                                       03
  bringen. Wir starten mit Europa. Warum?           je möglich wäre.
  Weil die europäische Einigung mit Sicherheit
  die beste Idee ist, die wir Europäer je hatten.   Ob Klimaschutz, Außenhandel und Forschung,
  Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechts-      ob Friedenssicherung, Krisenlösung und vieles
  staatlichkeit, ein hohes Wohlstandsniveau –       andere mehr – gemeinsame Herausforderun-
  dafür steht Europa. Europa darf aber nicht        gen verlangen gemeinsame Antworten. Daran
  stehenbleiben, wenn es auch die großen Her-       zeigt sich der Wert der europäischen Zusam-
  ausforderungen unserer Zeit erfolgreich           menarbeit für alle Bürgerinnen und Bürger.
  bewältigen soll.                                  Europa geht uns alle an. Europa sind wir alle.
                                                    Am 26. Mai ist Europawahl. Wir alle sind
  Wohin soll sich Europa weiterentwickeln?          aufgerufen, ein neues Europäisches Parlament
  Ist Europa zu langsam und zu bürokratisch?        zu wählen. Ich bitte Sie, dieses Wahlrecht
  Wie kann sich Europa mit seinen Anliegen          wahrzunehmen.
  und Werten in Zeiten der Globalisierung und
  des digitalen Fortschritts behaupten? Europa      Mit herzlichen Grüßen
  ist gewiss nicht perfekt. Ein denkbar falscher
  Weg aber wäre, sich in nationale Abschottung
  und Kleinstaaterei zu flüchten. Das hieße nur,
  nationale Stärken gegeneinander auszuspielen      Angela Merkel, Bundeskanzlerin
SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
SZENARIO

 70 Jahre Frieden, offene Grenzen, Wohlstand:
 Die EU ist so allgegenwärtig, dass wir ihre Vorteile
 oft für selbstverständlich halten. Doch wie
 sähe unser Leben aus, wenn es die EU nicht gäbe?

     WAS WÄRE,
     WENN …                                                        … DIE EU NICHT GEMEINSAM FÜR
                                                                    UMWELT- UND KLIMASCHUTZ
                                                                          STREITEN WÜRDE?

                                                                   Umweltprobleme machen nicht an Landes-
                                                                   grenzen halt. Verschmutzte Flüsse, die durch
                                                                   Europa fließen, dreckige Luft, die aus hohen
                                                                   Kaminen mit dem Wind in benachbarte Länder
                … DIE EU KEINEN GEMEINSAMEN                        weht: Die EU-Umweltnormen schützen
                    BINNENMARKT HÄTTE?                             Gesundheit und Lebensqualität der Menschen
                                                                   in ganz Europa. Dreckige Gewässer und Phos-
                Italienische Salami im Supermarkt, eine            phate im Trinkwasser sind heute kaum mehr
                französische Brasserie in Berlin und ein Job       vorstellbar. Ohne gemeinsame Regeln wären
                in Dänemark – das ist gelebte europäische          solche Erfolge viel schwieriger zu erzielen. Fein-
                Realität. Ohne die vier Grundfreiheiten des Bin-   staub und Abgase in den Städten bleiben eine
                nenmarktes – den freien Verkehr von Waren,         schwierige Herausforderung. Um die Luft rein
                Personen, Dienstleistungen und Kapital – müss-     zu halten, hat die EU 2005 Höchstwerte etwa
                ten wir Zölle zahlen und Visa beantragen.          für Schwefeldioxid und Blei festgelegt – diese
                Preise würden steigen, die Arbeitslosigkeit        sind für jeden EU-Staat bindend. Und: Durch
                ebenso. Wir könnten nicht mehr auf gleiche         höhere Recyclingquoten können die in Europa
                Sicherheits- und Verbraucherschutzstandards        produzierten 25 Millionen Tonnen Kunststoff-
                vertrauen, wenn wir ein Spielzeug kaufen oder      abfälle pro Jahr verringert werden.

04
                im Ausland Medikamente in der Apotheke
                besorgen. Deutschland ist eine Handelsnation:            … SICH DIE EU NICHT
                60 Prozent der Exporte gehen in die EU-Länder,         FÜR DIE SICHERHEIT ALLER
                jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt            EINSETZEN WÜRDE?
                vom Export ab! Ohne Binnenmarkt hätten
                unsere Unternehmen keinen einfachen Zugang         Ein Gemeinwesen ohne innere und äußere
                zu einem Markt mit 500 Millionen Menschen.         Sicherheit wird zwischen Anarchie und äußerer
                Stattdessen müssten sie fast 30 unterschiedliche   Bedrohung aufgerieben. Kriminalität organi-
                Regelungen beachten. Eine Schreckensvision         siert sich längst international – darum gibt es
                für den Wirtschaftsstandort Deutschland!           die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
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SZENARIO

der Sicherheitsbehörden. Der Austausch von
DNA- und Fingerabdruckdaten sowie Daten
aus Kfz-Registern steigert die Effizienz der
EU-weiten Strafverfolgung. Europol, das
„Europäische Polizeiamt“, stimmt die Polizei-
                                                                                                  05
arbeit der Mitgliedstaaten untereinander ab:
Schwere Kriminalität und Terrorismus lassen
sich europaweit besser bekämpfen. Die EU        EU-Mitgliedstaaten. Der EU-Binnenmarkt
wappnet sich zudem gegen Cyberangriffe –        ist mit 500 Millionen Verbraucherinnen und
denn nicht nur Infrastruktur und Wohlstand      Verbrauchern einer der größten gemeinsamen
müssen wirksam gegen Angriffe aus dem           Wirtschaftsräume der Welt. Und somit ein
Internet geschützt werden.                      Partner, an dem keine globale Wirtschafts-
                                                macht vorbeikommt. Damit haben wir auch
   … DIE EU NICHT GEMEINSAM                     die Macht, auf eine wertebasierte Handelspoli-
   IHRE HANDELSINTERESSEN                       tik hinzuwirken – also Wirtschaftswachstum
     WAHRNEHMEN WÜRDE?                          mit sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechts-
                                                standards und Rechtsstaatlichkeit zu verbin-
Deutschland hat eine starke Wirtschaft. Aber    den. Wir können auf Normen für den Arbeits-,
als einzelnes Land Handelsabkommen mit          Umwelt- und Gesundheitsschutz bestehen.
Wirtschaftsmächten wie den USA oder China       Gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten bestim-
aushandeln? Unsere Verhandlungsposition         men wir die Weltwirtschaft mit, als einzelner
wäre viel schwächer als im Verbund von allen    Staat eher nicht.
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REPORTAGE

 SO VIEL EUROPA
 STECKT IN
 UNSEREM OBST
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REPORTAGE

Gesundes Obst zu vernünftigen Preisen: Ein Besuch
bei der Apfelernte an der deutsch-französischen
Grenze zeigt, wie die EU die Landwirtschaft prägt –
und was das konkret für die Menschen bedeutet.

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L              angsam schieben die Edelstahlarme die
               große Apfelkiste ins Wasserbad. 300 kg
Äpfel der Sorte Jonagold schwimmen auf, folgen der
Strömung, werden mehr als 40-mal gescannt und anschlie-
                                                            und Äpfel. Mitten im deutsch-französischen Eurodistrikt
                                                            ist Europa schon immer gelebte Realität gewesen. Das
                                                            Straßburger Münster ist in Sichtweite, nur 25 km entfernt.
                                                            Von den umliegenden Bergen ist es bei klarem Wetter
ßend rein maschinell nach Farbe, Größe und Rötung           deutlich zu sehen. Die OGM profitiert von der Nähe zur
sortiert. Wendelin Obrecht, Obstbauer und Vorstandsvor-     französischen Grenze: Sie beschäftigt nicht nur Arbeits-
sitzender der OGM Obstgroßmarkt Mittelbaden eG,             kräfte aus dem Nachbarland, Betriebe aus dem Elsass
fischt ein Exemplar heraus und begutachtet es: „Das ist sind auch Mitglieder der Genossenschaft, berichtet
die perfekte Frucht, nicht zu groß, das gibt einen guten    Marcelino Expósito, Geschäftsführender Vorstand der
Preis.“ Hier, in der Sortieranlage, bereitet die OGM die    OGM. Der grenzüberschreitende Warenverkehr in der
Äpfel der etwa 1.800 Genossenschaftsmitglieder für          EU macht alles ganz einfach: Äpfel in Frankreich anbauen
den Verkauf an den Lebens-                                                              und ernten, in Oberkirch
mittelhandel vor. Mitte          Deutschland profitiert nicht nur im                    sortieren, in Frankreich
September ist die Ernte in                                                              im Supermarkt verkaufen.
vollem Gange. Im Anliefer-
                                 Agrarbereich       von  EU-Förderungen.       Für      Die OGM liefert auch nach
bereich stehen hunderte          Forschung, wirtschaftliche Entwicklung Österreich, in die Schweiz
Kisten, gefüllt mit verschie- und die Angleichung von Lebensverhält- und in skandinavische
denen Apfelsorten, und ver-
                                 nissen erhielt Deutschland im Jahr 2017 Länder. Obrecht baut seine
strömen ihr süßliches Aroma.                                                            Äpfel auf fünf Hektar an.
                                 mehr als 4,4 Mrd. Euro von der EU.                     Daneben wachsen Erdbee-
EUROPA FEST IM BLICK                                                                    ren, Johannisbeeren und
Die Genossenschaft, etwa vier Fußballfelder groß, liegt     auch Weintrauben, für die örtliche Winzergenossen-
am Rande von Oberkirch, im idyllischen Renchtal in          schaft. Er hat den Hof früh von seinem Vater über-
der Ortenau. Im Osten steigt der Schwarzwald auf, es        nommen. Jetzt betreibt er ihn gemeinsam mit seiner
herrscht ein mildes Klima, ideal für Beeren, Pflaumen       Frau, auch seine Mutter hilft.
SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
„Das ist die perfekte Frucht, nicht

08
                                                                                 zu groß. Das gibt einen guten Preis.“ –
                                                                                       Wendelin Obrecht, Obstbauer

 EU-GELDER HELFEN DEN BETRIEBEN                         Natürlich zum deutschen Mindestlohn von zurzeit
 In Oberkirch wird auf kleinen Parzellen gewirt-        8,84 Euro pro Stunde (Stand 2018). Für Obrecht
 schaftet. Denn die jahrhundertelange Realteilung,      steht fest: „Der Hauptprofiteur ist der deutsche
 durch die in der Erbfolge das Land immer wieder        Verbraucher, er bekommt beste Qualitäten zu
 geteilt wurde, hat ihre Spuren hinterlassen. Land-     erschwinglichen Preisen.“
 wirtschaft ist für Obrecht, wie für seine Kollegen
 in ganz Europa, nicht ohne europäische Hilfen denk-    EUROPA – HERAUSFORDERUNG UND CHANCE
 bar. Jeder Betrieb bekommt EU-Direktzahlungen,         Vom breiten Angebot an Obst aus ganz Europa
 im Durchschnitt etwa 285 Euro pro Hektar im Jahr.      profitieren die Verbraucherinnen und Verbraucher:
 Neben den Direktzahlungen fördert die EU auch          von spanischen Erdbeeren, Pfirsichen aus Frank-
 Investitionen in die Infrastruktur. Für Obrecht eine   reich und Südtiroler Äpfeln. Für Oberkirch bedeu-
 wichtige Ergänzung: „Die Hilfen an sich sind sehr      tet das allerdings: Gemeinsam mit allen anderen
 wertvoll für die Entwicklung, sowohl bei der OGM       deutschen Obstregionen konkurriert die OGM mit
 als auch bei den Erzeugerbetrieben.“ Im Durch-         den europäischen Miterzeugern. Deutschland ist
 schnitt der letzten Jahre unterstützte die EU in       für diese als kaufkraft- und bevölkerungsstarkes
 Oberkirch Investitionen mit etwa 1 Mio. Euro.          europäisches Land ein sehr interessanter Markt.
 Auch Obrecht muss viel Geld in die Hand nehmen,        Was für die Verbraucherinnen und Verbraucher
 um erfolgreich zu bleiben. Etwa für den Hagel-         Vorteile bringt, ist für die Hersteller eine Heraus-
 schutz. Äpfel sind sehr empfindliche Früchte, und      forderung. Vor allem dann, wenn sie die hohen
 der Lebensmitteleinzelhandel ist sehr anspruchs-       deutschen Standards einhalten müssen: beim
 voll. Seit 2008 zog Hagelschlag fast jährlich die      Pflanzen- und Gewässerschutz oder bei der Arbeits-
 Apfelernte in Mitleidenschaft. So hat Obrecht über     sicherheit. Auch der europäisch uneinheitliche
 seinen Parzellen dünne schwarze Netze an Holz-         Mindestlohn mache den Produzenten das Leben
 konstruktionen gespannt. Die schützen nicht nur        schwer, sagt Obrecht. Insgesamt jedoch nehmen
 vor den kleinen Eiskugeln, sondern auch vor zu         Obrecht und Expósito die europäische Konkurrenz
 viel Sonneneinstrahlung.                               sportlich und setzen darauf, dass Handel sowie
                                                        Verbraucherinnen und Verbraucher ihr Obst zu
 KEINE ERNTE OHNE EU-SAISONARBEITER                     schätzen wissen.
 In einer Region, in der nahezu Vollbeschäftigung
 herrscht, sind Höfe abhängig von Hilfe aus dem         „IM APRIL KOMMEN VIELE, UM DIE KIRSCH-
 Ausland. Viele helfende Hände kommen aus Polen         BLÜTE ZU SEHEN“
 und Rumänien. Sie stellen in der Saison die Ernte      In Reih und Glied stehen die Apfelbäume auf der
 sicher. „Ohne die Saisonarbeiter aus Osteuropa         Parzelle. Die Sonne flirrt, es ist spätsommerlich
 wären die Obstregale in Deutschland nahezu leer“,      warm, fast heiß. Rumänische Erntehelfer arbeiten
 ist Obrecht überzeugt. Selbst in den kleinsten         in den Parzellen, legen vorsichtig die empfind-
 Betrieben arbeiten ein oder zwei Beschäftigte aus      lichen Äpfel in die Kisten. Die Ernte ist dieses Jahr
 Osteuropa, meist kurzfristig bis zu zwei Monate.       sehr reichhaltig. Mehr als 20.000 Tonnen erwartet
SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
REPORTAGE

                                                                                                   09
                              die OGM. Nur perfekte Äpfel werden den Weg in den Verkauf schaf-
                              fen. „Schauen Sie sich diese tolle Kulturlandschaft an“, schwärmt
                              Obrecht. Die kleinen Parzellen erschweren zwar den Anbau, machen
                              die Gegend aber auch für den Tourismus sehr attraktiv. Direkt
                              neben den Apfelbäumen stehen Zwetschgen, daneben Kirschen,
                              dahinter Johannisbeeren. Einige Meter weiter lässt ein Erzeuger
                              eine Blumenwiese stehen. Wanderwege schlängeln sich durch die
                              Felder. Obrecht und die vielen anderen Haupt- und Nebenerwerbs-
                              erzeuger sind stolz auf ihre Heimat, stolz auf ihre Arbeit. Nicht alle
                                                         finden Nachfolger, wenn sie selber in
                                                         Rente gehen, manche müssen den Betrieb
Alle EU-Bürger haben durch die EU-Verträge               aufgeben. Bei Obrecht ist die Nachfolge
das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat                gesichert, sein Sohn studiert Gartenbau und
Arbeit zu suchen. Mehr als eine halbe Million            will bald selbst einsteigen. Äpfel, Beeren
                                                         und Zwetschgen aus Oberkirch – schmack-
Deutsche im erwerbsfähigen Alter leben in                haftes Obst, das auch in Zukunft deutschen
anderen europäischen Ländern.                            wie europäischen Verbraucherinnen und
                                                         Verbrauchern das Leben versüßt.
SCHWARZROTGOLD - Bundesregierung
FÜNF MYTHEN ÜBER DIE EU

     IST DAS
     WIRKLICH SO?
 Die EU ist vielleicht nicht perfekt,
 aber bestimmt besser als ihr Ruf.
 Verschwenderisch, undemokratisch
 oder bürokratisch? Wir räumen mit
 einigen der gängigsten Vorurteile auf.

                  „DIE EU DIKTIERT UND WILL                                „DEUTSCHLAND IST DER
                    DIE NATIONALSTAATEN                                     ZAHLMEISTER DER EU“
                        ENTMACHTEN“
                                                                     Falsch: Die EU auf Zahlungen und finanzielle
             Ganz im Gegenteil: Die EU ist ein freiwilliger          Gegenleistungen zu reduzieren, ist eine Milch-

10
             Zusammenschluss souveräner Staaten. Große               mädchenrechnung. Es ist zwar richtig, dass
             Dinge im Großen, kleine im Kleinen regeln: Die          Deutschland in absoluten Zahlen der größte
             EU hat nur so viel Macht, wie ihr die Mitgliedstaa-     EU-Nettozahler ist (2016 hat Deutschland
             ten und die nationalen Parlamente übertragen            21,3 Mrd. Euro an die EU gezahlt, gleichzeitig
             haben. Nur innerhalb ihrer Kompetenzen darf die         gut 10 Mrd. Euro an EU-Mitteln erhalten).
             Kommission Regelungen vorschlagen. Anschlie-            Doch pro Kopf haben 2016 die Franzosen und
             ßend ist jeder Mitgliedstaat an der Entscheidung        die Belgier netto mehr gezahlt als die Deut-
             durch seine Abgeordneten im Europäischen                schen. Fest steht: Kein anderes Mitgliedsland
             Parlament und seine Ministerinnen und Minister im       profitiert so vom gemeinsamen Binnenmarkt
             Rat beteiligt. Andersherum wird ein Schuh draus:        wie Deutschland. Fast zwei Drittel der deutschen
             Dank der EU sind die Mitgliedstaaten gemeinsam          Ausfuhren gehen in EU-Länder. Ausfuhren
             in der globalisierten Welt sehr viel stärker, als sie   in die neuen Mitgliedstaaten Mittel- und Ost-
             es als einzelnes Land wären.                            europas sind rasant gestiegen.
FÜNF MYTHEN ÜBER DIE EU

     „DIE EU VERSCHLEUDERT
           UNSER GELD“

Keinesfalls! Der Haushalt der EU wird vom               „DIE EU MACHT UNS
Europäischen Parlament und von den Mitglied-          DAS LEBEN SCHWER UND
staaten beschlossen – zum Wohle aller. Für             REGULIERT ALLES MIT
den Zeitraum 2021 bis 2027 will die EU noch          UNNÖTIGEN VORSCHRIFTEN“
stärker dort investieren, wo die Mitgliedstaaten
allein wenig, gemeinsam hingegen sehr viel         Nein. Wahr ist, dass die EU in vielen Bereichen
bewirken können. Etwa in den Bereichen der         grundsätzliche Standards etabliert, zum Bei-

                                                                                                               11
Entwicklungszusammenarbeit oder der Inno-          spiel beim Verbraucherschutz. Denken Sie an
vation. Schon jetzt verfügt die EU zum Beispiel    die einheitliche Kennzeichnung von Lebens-
über das weltweit finanzstärkste Förderpro-        mitteln: Wer in Kopenhagen Marmelade ein-
gramm für Forschung und Entwicklung. Gleich-       kauft, findet darauf die gleichen Informationen
zeitig investiert sie in Agrarpolitik, um die      über Zutaten oder Mindesthaltbarkeit wie
wichtige Versorgung mit hochwertigen Lebens-       in Stuttgart oder Warschau. Auch die Mängel-
mitteln in allen Mitgliedstaaten zu gewähr-        Garantie ist für alle in der EU gekauften Waren
leisten. Und die Europäische Union fördert         gleich. Dies sind praktische Regelungen, die
gezielt wirtschaftlich schwächere Regionen.        uns das Leben leichter machen und uns als
Davon profitieren nicht nur die Menschen vor       Verbraucherinnen und Verbraucher schützen.
Ort, sondern auch der Wirtschaftsraum der EU       Und das vielzitierte „Regulierungsmonster“
insgesamt und damit auch hiesige Unternehmen.      EU hat dazugelernt und ist inzwischen vor-
                                                   bildlich in Sachen Bürokratieabbau: Neue
                                                   Gesetzesvorschläge werden streng überprüft,
      „DIE EU SCHÜTZT IHRE                         unnötige Rechtsvorschriften abgeschafft.
     AUSSENGRENZEN NICHT“

Das Gegenteil ist der Fall: Eigentlich müssen
die Mitgliedstaaten die EU-Außengrenzen
sichern. Doch angesichts der großen Zahl von
Flüchtlingen und Migranten, die nach Europa
gekommen sind, konnten nicht alle Länder
die Aufgabe mit ihren Mitteln bewältigen.
1.300 EU-Grenzschutzbeamtinnen und -beamte
helfen bei der Kontrolle der EU-Außengren-
zen. Dazu kommt ein Soforteinsatzpool von
1.500 Beamtinnen und Beamten, die kurzfristig
eingesetzt werden können. Diplomatische
Initiativen begrenzen die illegale Migration
weiter: Dazu gehören etwa die EU-Türkei-
Erklärung sowie die Migrationspartnerschaften
mit wichtigen afrikanischen Ländern.
12
                                                           AUSSENMINISTER
                                                             HEIKO MAAS

                                                       Was ist ihm an Europa wichtig,
                                                        was bereitet ihm Sorgen?

                               DAS GESPRÄCH

                                     MIT MUT UND
                                     ZUVERSICHT FÜR
                                     EUROPA
                                                       Highlight. Alles hatte dieses besondere Flair.
                                                       Selbst die Getränke waren anders.
                                                       Was war das bevorzugte Getränk?
                                                       Als wir alt genug waren, haben wir Ricard getrun-
                                                       ken und Boule gespielt. Natürlich denkt nie-
                                                       mand beim Boule-Spielen sofort an Europa.
                                                       Aber wir haben schon begriffen, dass erst
                                                       Europa dieses einfache Pendeln nach Frank-
                                                       reich ermöglicht.
                                                       Können Sie Europa in drei Worten beschreiben?
                                                       Frieden, Freiheit und Bürgerrechte. Das gibt
                                                       es so sonst nirgendwo auf der Welt. Diese drei
                                                       machen das Leben lebenswert. Ohne diese
                                                       drei ist alles nichts.
                                                       Europa bleibt für viele ein Grenzstreifen auf
                                                       der Landkarte, eine politische Idee, sehr
                                                       abstrakt. Wenn Sie im Urlaub gefragt werden,
                                                       wo Sie herkommen, antworten Sie dann:
                                                       „Ich komme aus Europa“?
                                                       Ich sage immer, ich komme aus dem Saarland
                                                       und bin damit ein geborener Europäer.
     Wann sind Sie Europa das erste Mal begegnet?      Das klingt sehr heimatverbunden. Aber kann
     Schon in meiner Kindheit. Ich bin direkt an der   Europa funktionieren, wenn die Menschen sich
     Grenze aufgewachsen. Damals standen noch          mehr ihrer Region zugehörig fühlen?
     Schlagbäume zwischen Frankreich und Deutsch-      Es ist doch toll, dass die Leute sich mit der
     land, und meine Großeltern erzählten von          Gegend identifizieren, in der sie leben oder
     den Erbfeinden aus Frankreich. Für mich waren     aufgewachsen sind. Im Saarland leben wir vor,
     aus diesen Erbfeinden längst Freunde gewor-       wie man sich darüber hinaus auch als Euro-
     den. In Frankreich auszugehen, war für uns ein    päerin oder Europäer fühlen kann.
DAS GESPRÄCH

                                         klein sind.“ Allein ist jeder von uns
                                         zu klein für die großen internationa-
                                         len Herausforderungen. Deswegen:
                                         Wir wollen niemanden rauswerfen.
                                         Aber wir müssen Klartext mit die-          der internationalen Politik werden.
                                         sen Partnern reden. Viele profitieren      Es darf nicht das Gesetz des Stärkeren
                                         exorbitant von der Europäischen            gelten. Frieden und Sicherheit schaf-
                                         Union. Daran muss man diese Länder         fen wir niemals gegeneinander, son-
Unter den 28 Mitgliedstaaten gibt        erinnern.                                  dern nur miteinander.
es mitunter unterschiedliche Ansich-
ten. So gibt es Differenzen mit Polen
und Ungarn über wesentliche Grund-       „Früher haben wir uns auf Schlachtfeldern
werte der EU, zum Beispiel zu Regeln
der Rechtsstaatlichkeit ...              gestritten, heute tun wir das in den
Leider stellen einige Mitgliedstaaten
auch Grundwerte der Gemeinschaft
                                         Parlamenten und Konferenzzentren.“
in Frage. Wenn etwa die Pressefreiheit
in einzelnen Ländern eingeschränkt       Es wird viel gestritten in Europa,         Im Mai sind Europawahlen.
wird, wenn Populisten und Nationa-       etwa über die Migrationspolitik            Könnte Europa an seinen Gegnern
listen mit ihrer Propaganda für Aus-     oder auch den besten Weg zum               scheitern?
grenzung und Diskriminierung wer-        Klimaschutz. Warum ist es oft so           Europa wird nicht scheitern. Auch
ben, dann bereitet mir das Sorgen.       mühsam, sich zu einigen?                   wenn es manchmal schwierig ist,
Wie können wir Zweifler wieder           Früher haben wir uns auf Schlacht-         im Nachrichtendschungel aus Fake
überzeugen? Warum soll die EU-           feldern gestritten, heute tun wir das      News und Propaganda durchzudrin-
Mitgliedschaft für ein Land von          in den Parlamenten und Konferenz-          gen. Wir müssen die Menschen mit
Vorteil sein?                            zentren. Was für ein Fortschritt! Streit   Argumenten und Fakten überzeugen.
Wir brauchen ein vereintes Europa.       und Debatte sind Teil der Demokratie.      Europa ist eine einzigartige Errun-
Die Aufgaben, die wir lösen müssen,      Es ist doch großartig, dass sich so        genschaft. Wir werden alles tun, um
kennen keine Grenzen mehr. Klima,        viele Staaten mit völlig unterschied-      unser Europa mit Mut und Zuver-
Migration, Digitalisierung – nur         lichen Interessen zum Schluss doch         sicht zu verteidigen. Da kann übrigens
gemeinsam sind wir stark genug,          meistens zusammenraufen und einen          jeder mithelfen. Jeder, der sein Leben
diese Probleme zu meistern. So wie       Kompromiss finden. Manchmal                auch in Zukunft in Frieden und Frei-
der ehemalige belgische Premier-         dauert das halt. So ist das bei Kompro-    heit führen will, ist eingeladen, sich
minister Paul-Henri Spaak einmal         missen zwischen vielen. Das kennen         für Europa einzusetzen – am Küchen-
sinngemäß gesagt hat: „Es gibt in        wir doch alle, ob aus dem Beruf oder       tisch, im Büro, im Sportverein. Europa
Europa nur zwei Arten von Ländern:       auch aus dem Privatleben.                  kann jede Stimme gebrauchen.
kleine Länder und Länder, die noch       Die Antwort auf „America first“
nicht gemerkt haben, dass sie auch       lautet „Europe united“, sagen Sie.

                                                                                                                        13
                                         Warum nicht „Europe first“?
                                         Egal ob „America first“, „Russia first“
                                         oder „China first“ – das Motto „wir
                                         zuerst“ wird auf Dauer nicht funktio-
                                         nieren. Erpressung und Bedrohung
                                         sollten nicht zu den Instrumenten
14
 AUF EINEN BLICK

     FLUCHT
     UND MIGRATION
     IN DIE EU
 Migration braucht europäische Lösungen. Das ist nicht einfach. Aber es ist gelungen,
 dass heute deutlich weniger Menschen in die EU kommen als vor drei Jahren.
AUF EINEN BLICK

Flucht und Migration bleiben Thema leiden-          TRANSITLÄNDER
schaftlicher Debatten. Die Bundesregierung
bekennt sich zum Grundrecht auf Asyl und            Die meisten Menschen passieren auf dem Weg
zu Deutschlands humanitären Verpflichtungen.        nach Europa sogenannte Transitländer. Dort
Gleichzeitig muss die Integrationsfähigkeit         geben sie teilweise viel Geld für die Weiterreise
unserer Gesellschaft berücksichtigt werden.         aus. Auch mit Unterstützung aus Europa gehen
Daher arbeitet die Bundesregierung seit Jahren      Polizei und Militär gegen Schlepper vor. Die
daran, Migration zu ordnen und zu steuern           Transitländer brauchen eine Perspektive, wie es
und illegale Migration nach Deutschland weiter      für sie weitergeht.
zu reduzieren. Auch hier hilft die EU. Einfache       Die EU schloss mit mehreren afrikanischen
Lösungen gibt es aber nicht. Dafür sind die Inte-   Staaten Migrationspartnerschaften: Menschen-
ressen zu unterschiedlich:                          schmuggel wird bekämpft, Aussteigern werden
                                                    Berufschancen eröffnet, betroffene Kommu-
FLÜCHTLINGE UND MIGRANTEN                           nen unterstützt. Die EU fördert die freiwillige
                                                    Rückkehr von Migrantinnen und Migranten.
Krieg, Terrorismus, Verfolgung – es gibt viele
Gründe, warum Menschen aus ihrer Heimat             WIRTSCHAFT
fliehen. Niemand tut das leichten Herzens. Die
meisten suchen zunächst Schutz in Nachbar-          In Deutschland arbeiten mittlerweile über
ländern. Viele kommen auch nach Europa. Davon       300.000 Menschen aus den Hauptherkunfts-
zu unterscheiden ist die Migration aus ande-        ländern. Die meisten davon in sozialversiche-
ren, vor allem wirtschaftlichen Gründen. Hier       rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.
besteht in aller Regel kein Anspruch auf Schutz.    Zehntausende sind bei Unternehmen oder
   Entscheidend ist es, die Ursachen von Flucht     Handwerksbetrieben in der Ausbildung. Viele
und Migration anzugehen. Die EU hat das             Unternehmen wollen, dass gut integrierte
Ziel, durch gezielte Förderung die Lebensbedin-     Beschäftigte bei ihnen bleiben können.
gungen vor Ort so zu verbessern, dass die             Die Bundesregierung hat Eckpunkte für ein
Menschen dort Perspektiven finden.                  Fachkräftezuwanderungsgesetz beschlossen.

MITTELMEERSTAATEN                                   HERKUNFTSLÄNDER

Griechische Inseln waren im Herbst 2015 für         Länder, in denen die Einkommen relativ niedrig
viele Schutzsuchende das erste Ziel in Europa.      sind, profitieren davon, dass Migrantinnen und
Ohne Unterstützung war die Lage nicht zu            Migranten Geld an ihre Familien überweisen –

                                                                                                               15
bewältigen. Nach wie vor kommen Menschen            2017 mehr als 460 Mrd. US-Dollar. Gleichzeitig
in Europa an. Die Zahl ist jedoch sehr stark        verlieren sie durch deren Weggang oft die
gesunken.                                           besten Köpfe.
   Nach der Vereinbarung der EU mit der                Mit dem Treuhandfonds für Afrika und
Türkei ist die Zahl der Neuankömmlinge über         Investitionsoffensiven in Afrika und Nahost
die östliche Mittelmeerroute um 97 Prozent          bekämpft die EU Ursachen von Flucht und
zurückgegangen.                                     irregulärer Migration.
  Die europäische Grenz- und Küstenschutz-             Die EU und ihre Mitgliedstaaten waren 2017 mit
agentur Frontex soll mehr Personal und Kom-         einer Gesamtsumme von 75,7 Mrd. Euro der welt-
petenzen bekommen.                                  weit größte Geber öffentlicher Entwicklungshilfe.
REPORTAGE

                                      „MAL AUF DAS
                                      GROSSE GANZE
                                      SCHAUEN“
                                                „Da melde ich mich an!“, dachte sich Uta
                                                Seibold-Pfeiffer sofort. Die Regionalzeitungen
                                                hatten unter der Überschrift „Mit Bundes-
                                                kanzlerin Merkel in Jena über Europa sprechen“
                                                die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für den
                                                Dialog ausgelobt. Seibold-Pfeiffer, Lehrerin an
                                                der Karl-Volkmar-Stoy-Berufsschule in Jena,
                                                engagiert sich seit Jahren in der politischen
                                                Bildung. Sie will Schülerinnen und Schülern
                                                aus völlig unterschiedlichen Milieus Interesse
                                                an politischen Zusammenhängen vermitteln.
                                                Reisen nach Berlin, Diskussionen mit Politikern –
                                                sie lässt nichts unversucht, um ihren Schütz-
                                                lingen den Wert von Demokratie und Rechts-
                                                staat näherzubringen. Persönlich macht sie
                                                sich durchaus Sorgen, „ob das alles in Europa
                                                auf gutem Wege ist“. Sie denkt dabei an den
                                                Brexit oder die Unabhängigkeitsbestrebungen
                                                der Katalanen. Gerade deshalb ist ihre Freude
                                                umso größer, als sie erfährt, beim Bürgerdialog
                                                mit der Bundeskanzlerin dabei zu sein.
     Lassen Sie uns über Europa reden!
     In der ganzen EU wollten die Regierenden    IM WORKSHOP KOMMEN ALLE
     von ihren Bürgerinnen und Bürgern            MEINUNGEN AUF DEN TISCH
     wissen, was diese von Europa halten und    Ein paar Tage später steht Uta Seibold-Pfeiffer
     erwarten. Im direkten Gespräch, offen      in der „Imaginata“ vor den Toren der Stadt.

16
     und ehrlich. Wir haben eine Teilnehmerin   Sie kennt das zur technischen Erlebniswelt
     in Jena begleitet.                         umfunktionierte Umspannwerk von früheren
                                                Besuchen. Die mehr als 50 Teilnehmerinnen
                                                und Teilnehmer bereiten sich in einem Work-
                                                shop auf den Dialog mit der Kanzlerin vor.
REPORTAGE

An acht Tischen diskutieren sie unterschiedliche
Fragen: Wie erleben sie Europa in ihrem Alltag?
Welche Rolle spielt die EU für Deutschland                    90 MINUTEN
insgesamt? Wie sollte die Zukunft aussehen?               SIND SCHNELL VORBEI
Seibold-Pfeiffer diskutiert mit Herzblut. Sie
wirbt für ihre Meinung, bringt hier und da auch    Nicht minder engagiert sind die Fragenden.
Zweifel an. Schnell wird klar: Viele sehen in      Viele sprechen aus persönlicher Erfahrung.
Europa ein wichtiges Friedensprojekt. Einige       Seibold-Pfeiffer stellt keine eigene Frage,
sind aber auch sehr skeptisch. „Es hat mir sehr    obwohl sie sich einige zurechtgelegt hatte.
gut gefallen, dass die Gruppe hier gemischt        Manchen Einwurf hätte sie so ähnlich aber
war. Es gab nicht nur Europa-Befürworter, es       auch gemacht: „Insofern wurden viele meiner

                                                                                                                                17
gab auch Leute mit sehr kritischen Stimmen         Fragen beantwortet.“ 90 Minuten sind schnell
und mit Befürchtungen“, so Seibold-Pfeiffer.       um. Der Moderator schaut auf die Uhr, ruft die
                                                   letzten Fragenden auf, dann ist die Sendezeit
      AB INS FERNSEHSTUDIO                         vorbei. Seibold-Pfeiffer stellt sich mit den ande-
                                                   ren zum Gruppenfoto auf. Die Bundeskanzlerin
Schnell noch ein kleines Mittagessen und schon     muss schnell weiter zum nächsten Termin.
stehen Seibold-Pfeiffer und die anderen Teil-      Uta Seibold-Pfeiffers Fazit: „Der Bürgerdialog
nehmerinnen und Teilnehmer nach dem obliga-        hat mir einen Weitblick gegeben, so dass ich
torischen Sicherheitscheck im provisorischen       sage, ich sehe jetzt vielleicht nicht mehr so
Fernsehstudio. Die Lehrerin hat mittig in der      klein-klein auf die Dinge, sondern versuche
zweiten Reihe Platz genommen – nicht weit          mal auf das große Ganze zu schauen. So wie
entfernt von der Kanzlerin, die kurz vor Sende-    die Kanzlerin es betrachten muss.“ Das will sie
beginn um 15 Uhr die Bühne betritt. Der Beifall    in ihren Unterricht mitnehmen. Sie zeigt sich
ist herzlich, die nachfolgende Diskussion leb-     überzeugt: „Jetzt kann ich bei jungen Menschen
haft. Umweltschutz, Sicherheit, Migration und      noch besser für Demokratie werben!“
Europa als Wertegemeinschaft werden kont-
rovers diskutiert. EU-Agrarpolitik, Fachkräfte-
mangel im Gesundheitsbereich und Arbeits-
kräfte aus dem EU-Ausland zählen ebenfalls                                       WARUM DIE BÜRGERDIALOGE ZUR
                                                                                 ZUKUNFT EUROPAS?
zu den drängendsten Themen in den kommen-
den 90 Minuten. Seibold-Pfeiffer ist angetan:                                    Europa braucht Veränderung. Veränderung
                                                                                 braucht Dialog. Europaweit fanden von
„Ich fand die Kanzlerin sehr authentisch. Sie
                                                                                 Mai bis Oktober 2018 Bürgerdialoge zur
konnte wirklich alle Fragen beantworten und                                      Zukunft Europas statt. Auch in Deutsch-
auch mit Beispielen aus ihrer Arbeit belegen.                                    land wurde viel diskutiert, unter anderem
Das fand ich gut.“                                                               mit der Bundeskanzlerin. Wie erleben
                                                                                 Menschen Europa im Alltag? Welche Rolle
                                                                                 spielt Europa aktuell für Deutschland? Wie
                                                                                 soll die Zukunft Europas aussehen? Die
                                                                                 breite Debatte gibt nicht nur Impulse nach
                                                                                 Brüssel. Es geht auch darum, Rückschlüsse
                                                                                 für die eigene Europapolitik zu ziehen.
                                                                                 Die Ergebnisse des Bürgerdialoges sind unter
                                                                                 www.dialog-über-europa.de abrufbar.
18                                                 PANORAMA

                                                       SPITZENREITER –
                                                       HÄTTEN SIEʼS GE-
                                                       GEWUSST?

                                                                        Lettland – Spitzenreiter bei weiblichen Führungs­
                                                                        kräften: 46 Prozent der leitenden Positionen
                                                                        waren dort 2017 mit Frauen besetzt. Der euro­
                                                                        päische Durchschnitt liegt bei 34 Prozent.

                                                                        Polen – Spitzenreiter bei der Obst­ und Gemüse­
                                                                        produktion: Ob Äpfel, Karotten oder Kirschen –
                                                                        kein Land in der EU produziert mehr von diesen
                                                                        Obst­ und Gemüsesorten als Polen.

                                                                        Rumänien – Spitzenreiter bei Wohneigentum:
 Deutschland hat die meisten Einwohner in Europa, ist die größte        2016 lebten 96 Prozent der Rumäninnen und
 europäische Volkswirtschaft. Aber es gibt auch ein paar Spitzen­       Rumänen in den eigenen vier Wänden – EU­weit
 reiter, die nicht jeder auf dem Schirm hat:                            ist es durchschnittlich gut ein Viertel der
                                                                        Bevölkerung.
 Niederlande – Spitzenreiter bei privaten Internetanschlüssen:
 98 Prozent aller niederländischen Haushalte haben schnelles            Spanien – Spitzenreiter bei Organspende:
 Internet, gegenüber einem EU­Schnitt von 85 Prozent.                   In Spanien haben 2017 fast 47 Verstorbene pro
                                                                        eine Million Menschen Organe gespendet.
 Finnland – Spitzenreiter bei Aktivität und Sportlichkeit: 69 Prozent   Zum Vergleich: Die bei Eurotransplant zusam­
 der Menschen in Finnland machen regelmäßig Sport – EU­weit             menarbeitenden Länder erreichen nur fast
 trifft das gerade einmal auf 40 Prozent zu.                            14 pro eine Million.

 Frankreich – Spitzenreiter im Tourismus: Mit mehr als 87 Millionen     Tschechien – Spitzenreiter bei Beschäftigten:
 ausländischen Touristinnen und Touristen im Jahr 2017 war Frank­       Tschechien war 2017 mit 2,9 Prozent das Land
 reich sogar das am meisten besuchte Land der Welt.                     mit der niedrigsten Arbeitslosenquote in der EU.
PANORAMA

                              „Die Europäische Union ist für mich eine
                              einzigartige Errungenschaft: ein freiwilliger
 SEBASTIAN RAUPACH
                              Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten,
   aus Braunschweig, 42,
                              nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern
  Physiker und Vater von      mit den europäischen Werten auch weltweites
      drei Kindern, ist
  begeisterter Europäer.      Vorbild. Auf jeder Ebene – global, europäisch,
  Er engagiert sich bei der
                              national und in der Familie – genießen wir alle

                                                                                                   19
Initiative #diesmalwähleich
   und motiviert andere,      dadurch riesige Vorteile. Ich finde, wir haben
     zur Wahl zu gehen.
www.diesmalwaehleich.eu       die Verantwortung, diese Errungenschaft mit
                              unseren Wählerstimmen zu unterstützen.“

                                                     Kreuzen Sie den 26. Mai in Ihrem Kalender an –
EUROPAWAHLEN –                                       und gehen Sie zu den Europawahlen! Sind die
                                                     Wahlen zum Europäischen Parlament über-

AM 26. MAI 2019                                      haupt wichtig? Na klar. Nur wer wählt, kann
                                                     mitentscheiden, was in der EU für alle Men-
                                                     schen gelten soll – vom Umwelt- bis zum Daten-
                                                     schutz. Das Europäische Parlament beschließt
                                                     viele gesetzliche Regelungen, die für uns wich-
                                                     tig sind. Denn die Mitgliedstaaten haben der
                                                     EU Zuständigkeiten übertragen: Für bestimmte
                                                     Politikbereiche wie die Handelspolitik kann
                                                     sie europaweite Regelungen erlassen. Bei der
                                                     Europawahl haben Sie eine Stimme für eine
                                                     Partei, die in Deutschland antritt. Aus Deutsch-
                                                     land werden 96 Europaabgeordnete ins Euro-
                                                     päische Parlament einziehen. Sie entscheiden,
                                                     wer die nächsten fünf Jahre Ihre Interessen
                                                     in der EU vertritt.

                                                     Wie funktioniert die Wahl?
                                                     Spätestens Anfang Mai müssten Sie eine
                                                     Wahlbenachrichtigung in Ihrem Briefkasten
                                                     finden. Wenn nicht, wenden Sie sich an Ihre
                                                     Gemeinde. Weitere Informationen gibt es auf
                                                     www.bundeswahlleiter.de. Sie sind am 26. Mai
                                                     verreist? Wählen geht vorher per Briefwahl!
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