Arbeiten an der Grenze: Belastungs- und Schutzfaktoren
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Arbeiten an der Grenze: Belastungs- und Schutzfaktoren Martina Kern in der Palliativversorgung Dieter Schütz / pixelio.de RainerSturm / pixelio.de
„So viel Leid, das ist grenzenlos, manchmal denke ich, ich kann nicht mehr.“ marika / pixelio.de Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
„An der Grenze des Todes endet mein Verstehen, das kann ich allenfalls mit aushalten.“ Rike / pixelio.de Martina Kern, ALPHA Rheinland
„Die Pandemie steckt uns massive Grenzen, auch sichtbar am Eingang der Institution. Wir suchen manchmal Wege, die Grenze im Rahmen des Verantwortbaren zu umgehen.“ Andreas Hermsdorf / pixelio.de Martina Kern, ALPHA Rheinland
„Ich fühle mich richtig ausgebrannt, der Ofen ist aus, meine Grenze ist erreicht“ Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
Die Arbeit an der Grenze des Lebens ... führt an Grenzen und in emotionale Regionen, die weder leicht noch angenehm sind … und dennoch tun wir sie … Tod als Alltagsgeschehen muss organisiert, bearbeitet werden Corina Salis-Gross Martina Kern, ALPHA Rheinland
Ein Exkurs in die Salutogenese Aaron Antonovsky • Wie kommt es, dass manche Menschen (1923-1994) unter misslichen Umständen und inmiMen Ab 1970 Entwicklung des einer hochgradig pathogenen Umgebung Modells der gesund bleiben? Salutogenese u.a. aufgrund seiner • Wie schaffen sie es, gesund zu bleiben? Erfahrungen in Interviews mit überlebenden Frauen des Holocaust • Welche Ressourcen haben sie? • Wie gehen sie (anders) mit Belastungen um, so das sie gesund bleiben? Martina Kern, ALPHA Rheinland
Beispiel: Das Kohärenzmodell Das Leben stellt mit Aufgaben, A. Antonovsky die ich lösen kann Handhabbarkeit Beispiel: Ich kann einen Sinn darin Kohärenz Beispiel: sehen, in die Anforderungen, Ich kann Zusammenhänge, mit denen ich konfrontiert ist, Sinnhaftigkeit Verstehbarkeit Lebensenergie zu investieren. verstehen, einordnen, es ist stimmig Martina Kern, ALPHA Rheinland
Bestandsaufnahme Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW - eine Pilotstudie (n=196) https://alpha-nrw.de/wp-content/uploads/2020/06/studie_belastungs- schutzfaktoren_alpha_2020.pdf Martina Kern, ALPHA Rheinland
Belastungsfaktoren Beginn oder Fortführung von Therapien bei 44 schlechter Prognose Uneinigkeit Widersprüchliche Behandlungspläne im 44 Versorgungsnetz keine Zeit, um auf Wünsche und Probleme 40 von Betroffenen einzugehen hoher Dokumentationsaufwand 53 Zeit-Druck zu wenig Personal, incl. unbesetzte Stellen 56 stark / sehr stark % 0 10 20 30 40 50 60 Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie. Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
Belastungsfaktor Anspruch Zu hoher eigener Anspruch an meine Begleitung 35 Zu hohe Ansprüche anderer an meine Begleitung 36 nicht gelungene Symptombehandlung 46 Ateş, G., Besonders naheM.Beziehung Jaspers, B., Kern, zu Zugehörigen (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren in23 Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie. Besonders schwierige Beziehung zu Zugehörigen 38 Besonders nahe Beziehung zu Patienten 33 Besonders schwierige Beziehung zu Patienten 45 S. Hofschlaeger / pixelio.de Geringe / fehlende familiäre Unterstützung 32 Zerrissenheit / kein Zusammenhalt in der Familie 39 sozial isolierte Patienten 42 Kommunikationsschwierigkeiten 48 stark / sehr stark % 0 10 20 30 40 50 60 Martina Kern, ALPHA Rheinland
Ansprüche (kleine Auswahl) Wirklichkeiten Ich will leben!!! (Patient, 38 Jahre, 2 Kinder) Sie werden sterben. Lassen Sie mich nicht allein (Bewohnerin, 92 Jahre) Meine Zeit ist begrenzt. Es fehlen die Die Leistung steht uns zu (Angehörige) Rahmenbedingungen. Es ist mein Anspruch, Sterbende Martina zu unterstützen. Kern, ALPHA Rheinland Meine Kraft ist begrenzt.
Ansprüche überprüfen Wer GoM nennt, braucht nicht GoM zu sein. (nach F. Steffensky) Martina Kern, ALPHA Rheinland
Zu hoher eigener Anspruch an meine Begleitung 35 Belastungsfaktoren Zu hohe Ansprüche anderer an meine Begleitung 36 nicht gelungene Symptombehandlung 46 Besonders nahe Beziehung zu Zugehörigen 23 Besonders schwierige Beziehung zu Zugehörigen 38 Besonders nahe Beziehung zu Patienten 33 Besonders schwierige Beziehung zu Patienten 45 Geringe / fehlende familiäre Unterstützung 32 Nähe und Distanz Zerrissenheit / kein Zusammenhalt in der Familie 39 sozial isolierte Patienten 42 Kommunikationsschwierigkeiten 48 0 10 20 30 40 50 60 stark / sehr stark % Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie. Martina Kern, ALPHA Rheinland
Nähe und Distanz ergeben sich nicht von ungefähr. Sie müssen ausgehandelt, organisiert, kontrolliert werden Ch. Pfeffer 2006 Martina Kern, ALPHA Rheinland
Physische und psychische Belastungserscheinungen Die Befragten gaben an, dass sie in den vergangenen 4 Wochen körperliche Schmerzen hatten 22 sich niedergeschlagen fühlten 24 Schlafstörungen hatten 29 sich nach der Arbeit völlig erschöpft fühlten 43 sich gehetzt oder unter Zeitdruck fühlten 45 jede Menge Energie verspürten 53 sich ruhig und ausgegelichen fühlten 71 stark / sehr stark % 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams Martina Kern, ALPHA der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie. Rheinland
Folgen von Dauerbelastung „Manchmal habe ich keine Krae mehr zu kämpfen, gegen die Situafon in den Insftufonen, gegen die augommende Gleichgülfgkeit, auch in mir.“ „... ich haMe fünf Tage frei, fühle mich kein bisschen erholt …“. „Wenn ich nach Haus komme, habe ich zu nichts mehr Lust, gehe sofort ins BeM, habe kein Interesse und Krae für Freizeitakfvitäten.“ Martina Kern, ALPHA Rheinland
Exkurs Burn-out / Cool-out Martina Kern, ALPHA Rheinland
Burn-out- Syndrom Emotionaler, geistiger und körperlicher Erschöpfungszustand nach einem vorangegangenen Prozess hoher Arbeitsbelastung, Stress und/oder Selbstüberforderung. Großes Wörterbuch Psychologie; Compact, 2007 Merkmale: emotionale Erschöpfung Depersonalisierung (Selbstentfremdung) verminderte Leistungsfähigkeit C. Maslach Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
Phasen des Ausbrennens überhöhter Energieeinsatz reduziertes Engagement Aufgabe Martina Kern, ALPHA Rheinland
K. Kersting 2011 „Silvia ist die Palliativbeauftragte in unserer Pflegeeinrichtung. Immer warmherzig und zugewandt, extrem engagiert, insbesondere im Umgang mit Angehörigen. Wie keine andere, hat sie sich Zeit genommen, auch wenn wir eigentlich gar keine hatten. Sich immer Compassion fatigue Mühe gegeben, so manche Überstunde gern geleistet.“ Mitgefühlserschöpfung Am Anfang der Pandemie mussten wir immer wieder Besucher (C. Figley 1995) wegschicken, die ihre schwerkranken Angehörigen besuchen wollen. Das fällt uns allen schwer, lässt sich gar nicht mit unseren Werten vereinbaren. Interessanterweise geht Silvia am pragmatischsten damit um. Erst war sie wütend, hat sich heftig gewehrt das Besuchsverbot umzusetzen. Aber nach und nach hat sie sich verändert. Setzt alle Vorschriften um, hält sich an die Regeln, alles korrekt, aber ihre Warmherzigkeit ist irgendwie verschwunden. Ich verstehe das gar nicht.“ Martina Kern, ALPHA Rheinland
Selbstmitgefühl Kristin Neff Es gibt keinen Unterschied zwischen Mitgefühl mit anderen und sich selbst Martina Kern, ALPHA Rheinland
K. KersZng 2011 sich gegenüber Widersprüchen kalt machen Sich kalt machen heißt, sich so im Alltag zu orientieren, dass man angesichts der verschiedenen Spannungsfelder handlungsfähig bleibt- Entwicklung von Gleichgültigkeit; statt auszubrennen kühlt man aus. Martina Kern, ALPHA Rheinland
burn-out- Syndrom Gemeinsamkeiten • emotionale Kälte • Unerreichbarkeit • Gleichgültigkeit • Resonanzverlust • Isolation Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
Reaktionen im Team auf „zu viel“ Erhöhte Spannung Berufsgruppen 19 Reizbarkeit 22 Über-Redseligkeit 40 stark / sehr stark % 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren Martina Kern,inALPHA Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie. Rheinland
Unsere Aufgabe Und wenn die Last nicht mehr tragbar und das Mitfühlen in Sarkasmus oder Unerreichbarkeit sich wandelt, dann ist es Zeit, dem eigenen Tod des Begleiterdaseins zuvorzukommen und innezuhalten. Matthias Schnegg Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
Nur wenn du Patient:innen (Anm.: und ihre Angehörigen) dich berühren lässt, wirst du in dieser Arbeit bestehen. Uns gegen Verlust …. abzuschirmen ist einer der Hauptgründe von Burnout. Rachel Naomi Remen Peter von Bechen / pixelio.de Martina Kern, ALPHA Rheinland
Schutzfaktoren RainerSturm / pixelio.de Martina Kern, ALPHA Rheinland
nschaung Glaube 70 30 Schutzfaktoren stark / sehr stark Humor schafft Familie Solidarität 86 und Verbindung 14 Trotzmacht des Geistes Naturerleben 86 V. Frankl 14 Privatleben 92 8 Humor 94 6 Team 94 6 stark / sehr stark % 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Resonanz Ein Lächeln ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen (aus China) Über Florence Nightingale im Krimkrieg: „Welche Wohltat ist es, wenn sie vorbeigeht. Sie spricht zu allen, nickt und lächelt (...) sie war voller Leben und Spaß, wenn sie zu uns sprach, besonders wenn ein Mann niedergeschlagen war.“ Sie selbst beschrieb den Zustand so, dass „... diese schmerzvollen Gesten am besten mit einem herzhaften Lachen vertrieben werden konnten.“ In ihrem ersten Berufslehrgang 1860 forderte sie unter anderem, dass professionell Pflegende geduldig, heiter und freundlich sein sollten. Martina Kern, ALPHA Rheinland
schaung Glaube Familie 86 14 Schutzfaktoren stark / sehr stark Schutzfaktoren Naturerleben 86 14 Privatleben 92 8 Humor 94 6 Team 94 6 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% stark / sehr stark % G. Ates, M. Kern, L. Radbruch und B. Jaspers 2019; n=196 eigene Daten Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams Martina Kern, ALPHA der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie. Rheinland
Schutzfaktoren stark / sehr stark Angebote Self Care 48 52 Institutionell Teamaktivitäten 54 46 Mitgefühl Anderer 61 39 Supervision 74 26 Sport 62 38 Ablenkung 69 31 Privatheit Weltanschaung Glaube 70 30 Familie 86 14 Naturerleben 86 14 Privatleben 92 8 Humor 94 6 Team 94 6 stark / sehr stark % 0% 10% 20% Martina 30% Kern, 40% ALPHA 50%Rheinland 60% 70% 80% 90% 100% Ateş, G., Jaspers, B., Kern, M. (2020). Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in NRW eine Pilotstudie.
Der Sinn der Arbeit Für mehr als 80% ist der Sinn die Motivation für ein Verbleiben im Beruf (Kern, von Schmude 2017) „Das mit Abstand beste, was das Leben uns bietet, ist hart an etwas zu arbeiten, das einen Sinn hat.“ Theodore Roosevelt, 7. September 1903 ... aber wir sind gefordert (manchmal hart) daran arbeiten, den Sinn nicht zu überhöhen und uns darüber selbst zu vergessen! Aber!! Martina Kern, ALPHA Rheinland
Beispiele: »Was ist mein Leid schon gegen das eines Sterbenden ? Da bin ich doch nicht so wichtig. Angesichts der Schmerzen, die ich sehe, bin ich froh, dass ich helfen kann. Und die Patienten sind so dankbar. Da mache ich die Überstunden gern« »Ich konnte unseren Kinotermin nicht einhalten. Du musst doch verstehen, dass ich länger gearbeitet habe. Frau W. ging es schlecht in meinem Dienst. Sie brauchte mich. Da ist es dann zu spät geworden. Sie stirbt schließlich nur einmal. Ins Kino gehen können wir immer noch.« Martina Kern, ALPHA Rheinland
Achtung!!! Sinnerfüllung und Iden_fika_on im Beruf dürfen nicht dazu missbraucht werden, Menschen immer mehr abzuverlangen, sowie soziale Ungerech_gkeit und Handhabbarkeit ausbeuterische Arbeitsbedingungen auszuhalten. Kohärenz Für physische und psychische Gesundheit müssen Sinnerleben, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit Verstehbarkeit Verstehbarkeit in einen Bezugsrahmen gestellt werden. Martina Kern, ALPHA Rheinland
Wir brauchen einen Rahmen Eigene Bedingungen regelmäßige Überprüfung • sZmmt die Arbeit noch für mich? • Inwiefern begegnen mir immer die gleichen Probleme? • ist es mir möglich, Nähe herzustellen und mich nach der Arbeit zu distanzieren? • Gönne ich mir ausreichend Pausen? • Kann ich akzepZeren, dass ich das Leid nicht aus der Welt schaffen kann, auch wenn ich es so sehr wünsche? • Kann ich Freude empfinden in alltäglichen Begebenheiten? Martina Kern, ALPHA Rheinland
Investition in Teamarbeit • Achtsamkeit im Miteinander • Vertrauen • Kommunikationskultur • Teamaktivitäten Leitungskultur Martina Kern, ALPHA Rheinland
Leitungskultur • berufliche Weiterentwicklung fördern • Supervision ermöglichen • Austausch pflegen • Wertschätzung und Anerkennung zeigen Partizipation • Martina und Gestaltung ermöglichen Kern, ALPHA Rheinland
(Berufs)poliLsche Bedingungen • Prüfung , Anpassung der Rahmenbedingungen • Förderung einer gesellschaglichen Sorgekultur, die auch die Mitarbeitenden einschließt • Konzepte zur RekruZerung neuer Mitarbeiter:innen • Angemessene Bezahlung • Passender Personalschlüssel, um die Aufgaben zu bewälZgen • Finanzierung von PrävenZonsmaßnahmen bei Überlastung von Mitarbeitenden Martina Kern, ALPHA Rheinland
Teamarbeit Eigene Bedingungen Leitungskultur (Berufs)politische Bedingungen Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
Teamarbeit Rahmenbedingungen (Berufs)politische für die Arbeit an der Eigene Bedingungen Bedingungen Leitungskultur Grenze Leitungskultur Mar$na Kern, ALPHA Rheinland
sokaeiko / pixelio.de Rolf Handke / pixelio.de Teamarbeit Rahmenbedingungen (Berufs)poliLsche Eigene Bedingungen für die Arbeit an der Bedingungen Leitungskultur Grenze Espressolia / pixelio.de Leitungskultur Martina Kern, ALPHA Rheinland angieconscious / pixelio.de
Baur Daniel / pixelio.de
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