Das Kinderbuch "Die kleine Sensenfrau" (Michael Stavarič) und seine tschechische Übersetzung. Ein Vergleich

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FILOZOFICKÁ FAKULTA

     Das Kinderbuch "Die kleine
Sensenfrau" (Michael Stavarič) und
 seine tschechische Übersetzung.
               Ein Vergleich

           Magisterská diplomová práce

        BC. NADĚŽDA CHYTILOVÁ

  Vedoucí práce: Mgr. Martina Trombiková, Ph.D.

  Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky
Program Překladatelství románských a germánských
                      jazyků

                    Brno 2021
Bibliografický záznam

Autor:              Bc. Naděžda Chytilová
                    Filozofická fakulta
                    Masarykova univerzita
                    Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky
Název práce:        Das Kinderbuch "Die kleine Sensenfrau" (Michael Stavarič) und
                    seine tschechische Übersetzung. Ein Vergleich
Studijní program:   Překladatelství románských a germánských jazyků
Vedoucí práce:      Mgr. Martina Trombiková, Ph.D.
Rok:                2021
Počet stran:        76
Klíčová slova:      Děvčátko s kosou, Michael Stavarič, Michaela Škultéty, literární
                    překlad, komentovaný překlad, komparativní analýza

2
Bibliographic record

Author:            Bc. Naděžda Chytilová
                   Faculty of Arts
                   Masaryk University
                   Department of German, Scandinavian and Netherland Studies
Title of Thesis:   The children's book "Die kleine Sensenfrau" and its czech
                   translation. A comparative Analysis
Degree Programme: Translation of Romance and Germanic Languages
Supervisor:        Mgr. Martina Trombiková, Ph.D.
Year:              2021
Number of Pages:   76
Keywords:          literary translations, comparative analysis, commented
                   translation

                                                                               3
Anotace

Tato diplomová práce se zabývá analýzou německé knihy autora Michaela Stavariče
„Die kleine Sensenfrau“ a jejím českým překladem od Michaely Škultéty. Teoretická
část pojednává obecně o dětské literatuře a o překladu dětské literatury. V praktické
části je zmíněn život a dílo Michaela Stavariče, následně je analyzovaná kniha popsána
z obsahového a lingvistického hlediska. Další kapitola je věnována překladatelce
analyzované knihy. Stěžejní kapitolou je potom samotná analýza zmíněné knihy a
jejího překladu. Cílem analýzy je najít rozdíly a ukázat, jaký mohou mít vliv na
pochopení příběhu.

4
Abstract

This diploma thesis deals with the analysis of the German book by Michael Stavarič
"Die kleine Sensenfrau" and its Czech translation by Michaela Škultéty. The theoretical
part deals in general with children's literature and the translation of children's
literature. The practical part mentions the life and work of Michael Stavarič, then the
analysed book is described in terms of content and linguistics. The next chapter is
devoted to the translator of the analysed book. The main chapter is then the analysis
of the mentioned book and its translation. The aim of the analysis is to find the
differences and show how they can affect the understanding of the story.

                                                                                     5
Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig verfasst habe
und dass ich nur die im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen benutzt habe.

Brünn, den 20. Mai 2021                                    .......................................
                                                          Bc. Naděžda Chytilová

                                                                                                     7
Danksagung

An dieser Stelle bedanke ich mich bei meiner Betreuerin Mgr. Martina Trombiková,
Ph.D. für ihre Hilfe, wertvollen Ratschläge und Motivation beim Verfassen meiner
Diplomarbeit. Ein großer Dank geht auch an meinen Freund, meine Familie und
Freunde, die mich während des ganzen Studiums unterstützt haben. Ich würde mich
gerne auch bei Michael Stavarič für seine Hilfe und die Zusendung des Originalbuches
herzlich bedanken.

                                                                                  9
Obsah

Einleitung                                                                                                                             11

1     Kinderliteratur                                                                                                                  14
    1.1   Charakteristik der Kinderliteratur .............................................................................14
    1.2   Funktion der Kinderliteratur........................................................................................16
    1.3   Inhaltsstruktur der Kinderliteratur ...........................................................................18

2     Übersetzung der Kinderliteratur                                                                                                  20
    2.1   Übersetzung für Kinder als spezifische Disziplin .................................................20
    2.2   Die Bedeutung der Übersetzung für Kinder ...........................................................20
    2.3   Spezifische Aspekte der Übersetzung für Kinder .................................................22
    2.4   Übersetzungsstrategien der Kinderliteratur ..........................................................25

3     Michael Stavarič                                                                                                                 32
    3.1   Leben des Autors ...............................................................................................................32
    3.2   Werk des Autors ................................................................................................................34

4     Die kleine Sensenfrau                                                                                                            37
    4.1   Inhalt des Werkes .............................................................................................................37
    4.2   Das Werk aus linguistischer Sicht ..............................................................................43

5     Michaela Škultéty                                                                                                                44

6     Methodik der Analyse                                                                                                             45

7     Analyse der Übersetzung                                                                                                          46

8     Zusammenfassung                                                                                                                  68

Literaturverzeichnis                                                                                                                   71

10
Einleitung

Kinderbücher sind ein bedeutender Bestandteil der Literatur. Früher wurde die
Kinderliteratur an die Peripherie der verbalen Kunst verschoben und hatte zudem eine
rein didaktische Funktion (vgl. Toman 1992). In gleicher Weise wurde dann auch die
Übersetzung von Kinderliteratur angesehen (vgl. Lathey 2006). Heutzutage weisen die
Kinderbücher und ihre Übersetzungen ein hohes künstlerisches Niveau auf und
werden gleichwertig betrachtet.

     Jeder von uns hat bestimmt als Kind die bekannten Werke wie Robinson Crusoe,
Gullivers Reisen, Don Quijote oder Der kleine Prinz gelesen. Diese Möglichkeit hatten wir
gerade dank der Übersetzungen. Die übersetzten Bücher spielen eine große Rolle bei
der Literatur für Kinder. Die Übersetzung von Kinderliteratur unterscheidet sich in
vielerlei Hinsicht von der Übersetzung der Literatur für Erwachsene. Es ist daher
notwendig, dass man die spezifischen Aspekte und die charakteristischen Elemente
der Kinderliteratur beachtet und bestimmte Übersetzungsstrategien dabei verwendet.

     In der vorliegenden Diplomarbeit werde ich mich mit der Analyse des
Kinderbuchs Die kleine Sensenfrau von Michael Stavarič und mit seiner Übersetzung
ins Tschechische von Michaela Škultéty beschäftigen. Es soll der Frage nachgegangen
werden, ob die Hauptgedanken des Buches in die Übersetzung übertragen werden
können und zudem die Ästhetik des Originaltextes beibehalten werden kann. Es wird
untersucht, ob der übersetzte Text seine Funktion erfüllt und mit welchen
Schwierigkeiten sich die Übersetzerin beschäftigen musste und ob sie viel Kreativität
beweisen musste.

     Die Arbeit ist in den theoretischen und praktischen Teil eingeteilt. Im
theoretischen Teil wird zuerst die Kinderliteratur zusammen mit ihrer Funktion und
Inhaltsstruktur charakterisiert. Im nächsten Kapitel wird die Übersetzung von
Kinderliteratur als spezifische Disziplin behandelt. Es wird hier die Bedeutung der
Übersetzung für Kinder betont und weiter die spezifischen Aspekte der Übersetzung
für Kinder und Übersetzungsstrategien der Kinderliteratur beschrieben.

     Im praktischen Teil wird zuerst Leben und Schaffen von Michael Stavarič
vorgestellt. Weiter wird sein Werk Die kleine Sensenfrau aus inhaltlicher und
linguistischer Sicht untersucht. Das nächste Kapitel ist der Übersetzerin Michaela
Škultéty gewidmet. Der Schwerpunkt des praktischen Teils liegt auf der Analyse der
Übersetzung. Die tschechische Übersetzung des Buches Die kleine Sensenfrau wird hier
mit dem Originaltext verglichen. Der Zweck der Analyse ist eine kommentierte
Übersetzung. Dies bedeutet, dass hier ein Kommentar zur Übersetzung von Michaela

                                                                                      11
Škultéty präsentiert wird, die den Text von Michael Stavarič ins Tschechische
übersetzt hat. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein kurzes Buch von 32 Seiten
handelt, besteht die einmalige Gelegenheit, dem Leser den gesamten Text vorzulegen
und dabei ihn durch die gesamte Geschichte zu führen. Der Leser hat die Möglichkeit
nicht nur die Entwicklung der Geschichte des Buches, sondern auch die Anzahl der für
die Übersetzung wichtigen Stellen und die von der Übersetzerin gewählten Lösungen
zu beobachten.

12
THEORETISCHER TEIL

                     13
1 Kinderliteratur

1.1    Charakteristik der Kinderliteratur

Im ersten Kapitel dieser Diplomarbeit wird die Kinderliteratur charakterisiert. Wenn
wir uns den aktuellen Forschungsstand ansehen, können wir feststellen, dass im
tschechischen Umfeld sich zum Beispiel Toman (1992) mit diesem Thema befasst.
Unter deutschen Autoren können wir Kübler (2002), Meibauer (2011) oder Erten
(2011) erwähnen. Eine weitere wichtige Autorin im Bereich der Kinderliteratur ist
Oittinen (2000). Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass Kinderliteratur für Kinder
bestimmt ist, eine Vielzahl von Themen umfasst und aus den Geschichten oft eine
Lehre zu ziehen ist. Ein wichtiger Teil der Kinderbücher sind Illustrationen, die die
Geschichte mitgestalten. Kinderbücher werden von Kindern selbst oder von
Erwachsenen gelesen. Daher ist es auch die Absicht vieler Kinderbücher, den
erwachsenen Leser bis zu einem gewissen Grad anzusprechen. Dies gilt auch für das
Buch Die kleine Sensenfrau, auf dessen Analyse ich in dieser Arbeit eingehen werde.
Obwohl es ein Buch für Kinder ist, enthält es viele versteckte Bedeutungen und
Symbole, die nur der erwachsene Leser verstehen kann. Im Folgenden wird gezeigt,
wie Kinderliteratur (nicht nur) von den oben genannten Autoren charakterisiert wird
und ob das Buch Die kleine Sensenfrau von Michael Stavarič in die geläufigen
Definitionen der Kinderliteratur fällt.

     Laut Kübler (2002) umfasst Kinderliteratur zunächst alle geschriebenen und
gedruckten Werke, die sich an Kinder richten. Gedruckte Texte entstehen nämlich erst
seit der Erfindung des Buchdrucks, vornehmlich ab dem 16. Jahrhundert, doch erst im
18. Jahrhundert entwickelt sich ein breiter und sich ausdifferenzierender
Literaturmarkt. Von Seiten der Leserinnen und Leser muss noch deren Lesefähigkeit
hinzukommen, um die Bücher aufzunehmen. Sie entwickelt sich erst allmählich, teils
schon mit der Reformation, vor allem aber mit der allmählichen Verbreitung der
allgemeinen Schulpflicht im 18. Jahrhundert (vgl. Kübler 2002). In ähnlicher Weise
versteht Meibauer (2011) unter Kinderliteratur „die gesamte (von Erwachsenen
geschaffene) Literatur, die sich an Kinder und Jugendliche richtet“.

     Kinder- und Jugendliteratur wird einerseits als Unterkategorie der
Allgemeinliteratur betrachtet, anderseits wird aber ihr Status als Teil der
Hochliteratur in Frage gestellt. Gleichzeitig wird jedoch Kinderliteratur als relativ
eigenständiges System gesehen, das ebenso nach Sprachen, Inhalten, literarischen
Gattungen, Fiktionalität und Niveau differenziert werden kann (vgl. Pedrini 2014).

14
In seiner Arbeit führt Köprülü (2017) an, dass man laut Oittinen (2000) die
Kinderliteratur als „Literatur, die für Kinder produziert und bestimmt wurde“
definieren kann. Beziehungsweise gilt als Kinderliteratur auch „Literatur, die von
Kindern gelesen wird“. Wie bereits erwähnt wurde, Kinderbücher können entweder
von Kindern selbst oder von Erwachsenen gelesen werden. Wenn das Kind noch nicht
lesen kann, sind es die Erwachsenen, die ihm das Buch vorlesen. Im Fall des Buches Die
kleine Sensenfrau ist es klar, dass ein schulpflichtiges Kind das Buch schon selbst lesen
kann. Die kleineren können es mit dem Erwachsenen lesen und zudem ist es eine
Gelegenheit für sie, neugierige Fragen zu stellen, über das Thema Tod zu sprechen und
etwas Neues zu lernen.

     Weiter erwähnt Köprülü (2017) noch eine andere Definition von Erten (2011).
Nach ihm umfasst die Kinderliteratur „alle mündlichen und schriftlichen Werke, die
die Träume, die Emotionen und die Gedanken der Kindheit ansprechen“. Das Buch Die
kleine Sensenfrau fällt in gewisser Weise in diese Definition, da sie sich mit dem Thema
Tod befasst und gerade dieses Thema stärke Emotionen hervorruft. Gleichzeitig wird
in der Geschichte das Thema Kindheit dargestellt, und zwar wie das Kind zu einer Frau
herangewachsen ist.

      Heutzutage ist die Kinderliteratur ein gleichwertiger Bestandteil der nationalen
Literatur. In der Vergangenheit wurde sie jedoch oft übersehen, isoliert oder an die
Peripherie der verbalen Kunst verschoben. Der Grund für diese Position war ihr
niedriges künstlerisches Niveau, ihre übermäßige und einseitige Betonung der
utilitaristischen Bildungs- und Erziehungsabsicht. Diese Situation hielt bis ins 19.
Jahrhundert an, als die Literatur für Kinder und Jugendliche insgesamt einen
didaktischen und moralischen Charakter behielt (vgl. Toman 1992).

    Laut Lesnik-Oberstein (1999) stellt Literatur für Kinder / Kinderliteratur eine
Kategorie von Büchern dar, deren Existenz vollständig von der vermuteten Beziehung
zu einem bestimmten Lesepublikum, also Kindern, abhängt. Die Kinderliteratur
möchte etwas Besonderes sein, sie beschäftigt sich offen und zielgerichtet mit Kindern
und möchte sich mit ihnen verbinden.

     Toman (1992) beschreibt die Literatur für Kinder und Jugendliche als einen
Bereich des literarischen Schaffens, der absichtlich für einen altersbegrenzten Kreis
von kleinen Zuhörern und Lesern (bis zu 14 - 15 Jahren) bestimmt ist. Gleichzeitig
bezeichnet er die Literatur für Kinder und Jugendliche als einen Bereich der
Kunstliteratur, der ursprünglich für Erwachsene geschrieben wurde, aber von Kindern
und Jugendlichen angenommen wird. Laut Mäkinen (2010) sind Bücher für Kinder und
Jugendliche oft einfacher als Literatur für Erwachsene in Bezug auf den Plot, die

                                                                                      15
Sprache und die psychologische Tiefe, und die Texte sind meist durch ein Happy End
gekennzeichnet (vgl. Van Zijll Langhout 2017).

     Aus den oben genannten Definitionen ergibt sich, dass das Buch Die kleine
Sensenfrau nicht unter die üblichen Definitionen der Kinderliteratur fällt. Obwohl das
Buch hauptsächlich für Kinder gedacht ist, ist es ziemlich schwer, die Hauptgedanken
des Buches zu verstehen. Aus sprachlicher Sicht ist das Buch auch nicht gerade einfach.
Wie in allen seinen Büchern experimentiert Michael Stavarič auch in diesem Buch mit
Sprache, und es kann nicht gesagt werden, dass es sich um ein typisches Kinderbuch
handelt. Aus inhaltlicher und sprachlicher Sicht wird dieses Buch detailliert in dem
vierten Kapitel dieser Diplomarbeit beschreibt.

1.2    Funktion der Kinderliteratur

Genauso wie in der Literatur für Erwachsene, auch in der Kinderliteratur werden
ähnliche literarische Typen und Genres, und in Bezug auf den Leser auch dieselben
Grundfunktionen angewendet: ästhetisch, kognitiv und pädagogisch. In den
Kinderbüchern entsprechen diese Funktionen eher der psychologischen Struktur der
Persönlichkeit des Kindes, mit ihren Besonderheiten, Bedürfnissen und Möglichkeiten,
wobei literarische Normen und Konventionen weniger akzeptiert werden (vgl. Toman
1992).

     Die Fachliteratur erwähnt jedoch auch andere wichtige nichtästhetische
Funktionen. Zum Beispiel eine magische Funktion, die von einer signifikanten
Aktualisierung des Rhythmus, der Verwendung von Zauberformeln und dem Auftreten
von Motiven gekennzeichnet ist, die Naturkräfte, fantastische Figuren und magische
Dinge symbolisieren. Ebenfalls wird eine physiologische Funktion erwähnt, die sich
auf die Beherrschung der Aussprache schwieriger Klänge oder ihrer Gruppen
konzentriert und mit der Sprachkultivierung verbunden ist (vgl. Toman 1992). In
Stavaričs Büchern können wir genau diese Funktionen beobachten, d. h. magische und
physiologische Funktion. Zum Beispiel das Buch Gaggalagu (2006) hängt inhaltlich mit
der gerade erwähnten Sprachkultivierung zusammen. In diesem Buch befasst sich
Stavarič mit der Tatsache, dass Tiere in verschiedenen Ländern verschiedene
Sprachen sprechen. Das Buch BieBu (2009) beschäftigt sich mit Bienen und ihrer Rolle.
Im Gegenteil, das Buch Die kleine Sensenfrau (2010) erfüllt in gewisser Weise auch eine
magische Funktion, die sich beispielsweise an der Stelle beobachten lässt, an der die
kleine Sensenfrau mit ihrer Sense dreht (man könnte sagen, sie zaubert sogar). Das
Thema Tod kann auch als etwas Magisches, Abstraktes betrachtet werden. Im
Allgemeinen können Stavaričs Kinderbücher daher als magische und tierische
Märchen beschrieben werden.

16
Eine andere ist die ethische Funktion, die über die grundlegenden Normen der
Beziehungen zwischen Menschen und die Pflichten des Kindes gegenüber sich selbst,
anderen Kindern gleicher Alt und Erwachsenen lehrt. Diese Funktion fixiert im
Bewusstsein des Kindes die Vorstellungen von den Werten wie Gut, Böse,
Wahrhaftigkeit und Schönheit und schafft in ihm das notwendige moralische Gefühl,
Denken und Handeln. Und zu guter Letzt die soziale Funktion, die im Geiste einer
bestimmten Philosophie und Ideologie das soziale Bewusstsein des Kindes, seine
Einstellung zur dargestellten sozialen Realität und deren Wissen, Verständnis und
Bewertung beeinflusst (vgl. Toman 1992).

     In den siebziger Jahren herrschten in Kinderbüchern didaktische Tendenzen vor.
Ziel war es herauszufinden, welche Bücher gut für Kinder (und damit für die
Gesellschaft) sind. Die literarische Qualität der Werke war von zweitrangiger
Bedeutung. In den späten siebziger Jahren wurde jedoch immer lauter über die
Notwendigkeit diskutiert, sich von didaktisch motivierten Perspektiven auf Kinder-
und Jugendliteratur zu distanzieren und diese Bücher genauso (und so ernst) wie jede
andere Literatur zu erforschen (vgl. Segi Lukavská 2018).

    Die historische Entwicklung der Funktionen der Kinderliteratur behandelt Toman
(1992). In seinem Werk erwähnt er, dass in der Vergangenheit eine Art harmonische
Symbiose der Grundfunktionen der Kinderliteratur durch eine einseitige und
eingeschränkte Präferenz für eine pädagogische oder kognitive Funktion deformiert
wurde, und zwar genau auf Kosten der ästhetischen Funktion. Im Laufe der Zeit
wurden Anstrengungen unternommen, um die Literatur künstlerischer zu machen.
Der kindliche Adressat wurde immer tiefer verstanden und konsequenter respektiert,
und die Verfahren und Mittel des wertvollen literarischen Schaffens für Erwachsene
wurden angewendet.

    Zur Funktion der Kinderliteratur äußert sich auch Darton (1982) und behauptet,
dass Kinderbücher offensichtlich geschaffen wurden, um Kindern ein spontanes
Vergnügen zu bereiten. Die Funktion der Kinderbücher besteht also nicht darin, den
Kindern in erster Linie etwas beizubringen, sei es wie man sich benehmen soll oder
wann man still sein soll (vgl. Segi Lukavská 2018).

     Laut Theoretikern der Kinderliteratur ist das auffälligste Merkmal der
Kinderliteratur, dass sie die Aufgabe hat, durch ihre Unterhaltung und Anziehungskraft
mit den kindlichen Lesern zu sprechen, anstatt in erster Linie didaktische Botschaften
zu vermitteln, die als belehrend, manipulativ, aufdringlich und dumm dargestellt
werden. Dieser Meinung ist zum Beispiel Sheila Egoff. Sie schlägt vor, dass
Kinderbücher den Lesern Freude, und nicht Belehrung bereiten sollen. Die
Kinderbücher sollen von ewigen Kindereigenschaften wie Erstaunen, Einfachheit,

                                                                                   17
Lachen und Inbrunst charakterisiert werden und im weltweiten Bereich der
Kinderbücher soll die Literatur bewahrt werden. Im Gegenteil sollen wir Soziologie
und Pädagogik von der Literatur fernhalten (vgl. Lesnik-Oberstein 1999).

1.3    Inhaltsstruktur der Kinderliteratur

Toman (1992) führt an, dass die Inhaltsstruktur der Literatur für Kinder und
Jugendliche aus drei Grundkomponenten besteht: Volksliteratur, nicht intentionalen
literarischen Werken und intentionalen literarischen Werken.

     Die Volksliteratur war im Mittelalter und in den frühen Tagen der nationalen
Wiederbelebung die einzige Quelle ästhetischer Erziehung für unsere Kinder, da sie
der Psyche und Mentalität des Kindes zugänglich war. Spezifisch für sie waren
beispielsweise thematische Verständlichkeit, emotionale und ästhetische Wirkung,
philosophische, ideologische und moralische Prinzipien und Normen, die durch
jahrhundertelanges Wissen und Erfahrung der Volksgemeinschaft geprüft wurden. Die
Volksliteratur spielte eine unersetzliche Rolle bei der Entstehung und Entwicklung
wertvoller literarischer Schaffung für Kinder und Jugendliche, insbesondere im 19.
Jahrhundert. Im Laufe der Zeit sind fast alle Folklore-Genres in die Kinderliteratur
übergegangen. Ihr aktuelles Repertoire besteht hauptsächlich aus magischen und
tierischen Märchen, Reimen, Abzählversen, Rätseln und Texten von Volksliedern (vgl.
Toman 1992). Wie schon erwähnt wurde, können Stavaričs Kinderbücher zu den
magischen und tierischen Märchen gezählt werden.

      Die nicht intentionale Literatur war ursprünglich nur für erwachsene Leser
gedacht, wechselte jedoch allmählich zur Literatur für Jugendliche – entweder
aufgrund der spontanen Wahl eines Kinderempfängers (Werke von H. CH. Andersen,
K. Čapek, J. Vern, V. Hugo, A. Dumas, K. Maye) oder der pädagogischen Auswahl in der
Schule (Werke wie Robinson Crusoe, Gullivers Reisen, Don Quijote, Der kleine Prinz)
(vgl. Toman 1992).

     Die intentionale Literatur richtet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von
etwa drei bis fünfzehn Jahren. Ihre Besonderheit liegt in der Tatsache, dass der Autor
in seinem Werk absichtlich den sogenannten Kinderaspekt anwendet, d. h. eine
besondere Berücksichtigung der psychologischen und mentalen Voraussetzungen und
Besonderheiten des Kinderadressaten in einem bestimmten Altersstadium seiner
Entwicklung. Der Autor stellt das Leben und die Welt aus der Sicht des Kindes dar,
führt einen partnerschaftlichen Dialog mit ihm, aber gleichzeitig mit einem gewissen
Vorsprung und Weitsicht des Erwachsenen. So bringt er seinen Kinderleser in die Zone
seiner engsten geistigen und sozialen Entwicklung, er zeigt ihm die Perspektive des

18
Erwachsenenalters (vgl. Toman 1992). Nach Ewers (2000) sollten zur intentionalen
Kinder- und Jugendliteratur nur die Texte gezählt werden, „die von Kindern und
Jugendlichen - auch, in erster Linie oder ausschließlich – in ihrer Freizeit, d. h. außerhalb
des Schulunterrichts und auch nicht begleitend zu diesem, gelesen werden sollen – und
zwar mehr oder weniger freiwillig.“

    Obwohl das in dieser Arbeit analysierte Buch, also Die kleine Sensenfrau, für
Kinder bestimmt ist und deshalb zu der intentionalen Literatur gezählt werden soll,
kann es auch von Erwachsenen gelesen werden. Es geht nämlich darum, dass ein
erwachsener Leser das Buch ganz anders verstehen kann als ein Kind. Ich würde es
daher mit dem Buch Der kleine Prinz vergleichen. Dann könnte es man möglicherweise
auch zu der nicht intentionalen Literatur zählen.

                                                                                          19
2 Übersetzung der Kinderliteratur

2.1   Übersetzung für Kinder als spezifische Disziplin

Kinderliteratur wurde lange Zeit als marginal angesehen und hat eine periphere
Position innerhalb des literarischen Polysystems eingenommen. Die Übersetzung von
Kinderliteratur wurde dann in gleicher Weise vernachlässigt und als nicht akademisch
würdig angesehen. Erst als die Gelehrten und Kritiker begannen, die Kinderliteratur
als eigenständiges Genre zu schätzen, begann sich das Studium der Übersetzung dieser
besonderen Art von Literatur zu entwickeln. Im Bereich der Übersetzungswissenschaft
hat sich das kritische Interesse an der Übersetzung von Kinderliteratur und ihren
spezifischen Herausforderungen erst in den letzten 30 Jahren entwickelt (vgl. Lathey
2006).

2.2   Die Bedeutung der Übersetzung für Kinder

Trotz der Unterbewertung der Kinderliteratur besteht kein Zweifel daran, wie wichtig
die Übersetzung für Kinder ist. Es spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte der
Kinderliteratur und wir können uns dieses Genre ohne Übersetzungen kaum
vorstellen.

      Ghesquiere (2006) behauptet, dass Übersetzungen den Status der Kinderliteratur
erheblich verbessert und neue Initiativen gefördert haben, da sie durch die
Konfrontation der Autoren mit den Besten aus anderen Ländern die Produktion von
Literatur in der Landessprache stimulierten. Übersetzung war und bleibt ein Mittel,
um Kreativität, neue Ideen und literarische Modelle zu teilen. Ghesquiere führt noch
an, dass die übersetzten Klassiker der Kinderliteratur von einer großen Gruppe von
Kindern genossen werden können. Daher spielen übersetzte Bücher eine Rolle bei der
Entwicklung einer positiven Leseeinstellung und können sogar die widerstrebenderen
Leser zum Lesen anregen. Dank der Übersetzung können Kinder auf der ganzen Welt
die gleiche Freude am Lesen haben und ähnliche Ideale, Ziele und Hoffnungen schätzen
(vgl. Lathey 2006).

    Xeni (2011) gibt fünf grundlegende Aspekte an, die die Übersetzung von
Kinderliteratur nahezu unentbehrlich machen. Erstens geht es um den
didaktischen/pädagogischen Aspekt. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Kind die
Welt und seine Umgebung am besten durch Literatur assimilieren kann, sei es Original-
oder Übersetzungsliteratur. Die übersetzte Literatur bietet Kindern reichhaltige
Möglichkeiten zur Erweiterung ihres textuellen und visuellen Wortschatzes, wodurch

20
ihre Lese- und Wahrnehmungsfähigkeiten im Allgemeinen verbessert werden können.
Zweitens erwähnt sie den kulturellen/sozialen Aspekt. Die Literatur ist ein wichtiger
Träger kultureller Inhalte und ein starkes „Medium“ für das Verständnis der Welt.
Dank der Kinderliteratur können die Kinder andere Kulturen entdecken und so wird
ein „interkulturelles Verständnis“ geschaffen. Mit ihrer internationalen Perspektive
kann sich Kinderliteratur auf der ganzen Welt bewegen, sprachliche und kulturelle
Grenzen überschreiten, globale Verbindungen herstellen und ein neues Leben der
Weltliteratur geben.

     Drittens gibt es nach Xeni (2011) der psychologische Aspekt. Kinderliteratur und
ihre Übersetzung in andere Sprachen stellen eine Welt dar, in der Kinder ihre
Bedürfnisse erfüllen können, und unterstreichen eine weitere Rolle der
Kinderliteratur, nämlich die Verbesserung des Wohlbefindens von Kindern. Dank der
Bücher können sich Kinder mit Helden aus fremden Ländern identifizieren, die
dieselben Bedürfnisse haben (z. B. das Bedürfnis um Ängste, Sorgen und Furcht zu
überwinden, das Bedürfnis nach Humor usw.). Sie erleben glückliche Situationen und
Sorgen mit ihnen, und wenn eine unangenehme Situation im Leben des Kindes auftritt,
kann es sie mit weniger Schwierigkeiten bewältigen.

     Weiter erwähnt Xeni (2011) den kognitiven Aspekt. In kognitiver Hinsicht ist es
für Kinder und junge Erwachsene einfacher, neue Informationen aufzunehmen, wenn
diese innerhalb der Struktur einer Geschichte präsentiert werden. Das Kind aktiviert
dann beim Lesen kognitive Fähigkeiten wie Denken, Analysieren, Vergleichen, usw.
Der letzte Aspekt ist der akademische Aspekt. Der Beitrag der Übersetzung von
Kinderliteratur liegt jedoch nicht nur in den Auswirkungen, die Bücher auf Kinder
haben, sondern auch in den Auswirkungen auf Kinderliteratur und Übersetzung als
solche, da die Übersetzung von Kinderliteratur neue Übersetzungstechniken und neue
Themen mit sich gebracht hat.

     Die Rolle der Übersetzung, wie sie in den fünf oben dargestellten Aspekten zu
sehen ist, unterstreicht die Bedeutung der Kinderliteratur und der Übersetzung der
Kinderliteratur und stellt sowohl das Lernen als auch die kognitive Entwicklung und
das Wohlergehen von Kindern und jungen Erwachsenen in den Mittelpunkt. In diesem
Abschnitt wurde auch die Rolle der Übersetzung als Disziplinarbereich, der viel zur
Interdisziplinarität (Bildung, Kognition, Kultur, Psychologie usw.) beiträgt, und des
Übersetzers als Schlüsselakteurs im Übersetzungsprozess aufgezeigt (vgl. Xeni 2011).

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2.3     Spezifische Aspekte der Übersetzung für Kinder

Bei der Übersetzung von Kinderliteratur sind einige der Probleme, auf die Übersetzer
stoßen, identisch mit denen beim Übersetzen für Erwachsene, andere Probleme sind
bei der Übersetzung dieses speziellen Literaturbereichs einzigartig. Die besonderen
Herausforderungen bei der Übersetzung von Kinderliteratur ergeben sich nach
Frimmelová (2010) hauptsächlich aus folgenden Fakten. Erstens geht es darum, dass
das primäre Publikum (Kinder) besondere Merkmale und Bedürfnisse hat. Zweitens
ist es die Existenz einer doppelten Leserschaft - Kinderliteratur ist nicht nur Teil des
literarischen, sondern auch des Bildungssystems. Drittens erwähnt sie, dass Bücher für
Kinder den geltenden Normen der Gesellschaft unterliegen und weitaus stärker
zensuranfällig als Erwachsenenliteratur sind. Sie führt noch an, dass Änderungen und
Anpassungen innerhalb von Übersetzungen üblich sind, um den Einschränkungen für
die Übersetzung von Kinderliteratur zu entsprechen. Zuletzt gibt Frimmelová an, dass
Kinderbücher oft illustriert werden und vorgelesen werden sollen, was eine
zusätzliche Dimension schafft, die der Übersetzer berücksichtigen muss.

     Lathey (2006) erwähnt zwei grundlegende Aspekte, die das Übersetzen für
Kinder vom Übersetzen für Erwachsene unterscheiden. Erstens ist es die soziale
Stellung der Kinder und der daraus resultierende Status der für sie verfassten Literatur
und zweitens die Entwicklungsaspekte der Kindheit, die die einzigartigen
Eigenschaften eines erfolgreichen Schreibens für Kinder bestimmen.

2.3.1     Ambivalenz in der Übersetzung der Kinderliteratur

Eines der Merkmale der Kinderliteratur ist, dass die Bücher ein doppeltes Publikum
haben, Kinder und Erwachsene. Manchmal wird ein Buch, das ursprünglich für
Erwachsene gedacht war, zu einer Geschichte, die für Kinder geschrieben wurde, und
umgekehrt. Die Erwachsenen sind die Produzenten und die Kinder die Konsumenten
von Kinderliteratur. Bei der Übersetzung der Kinderbücher wird die Situation noch
komplizierter (vgl. Oittinen 2006). Es ist nicht nur der Kinderleser, den der Übersetzer
im Sinn hat, wenn er sich dem Text nähert, sondern auch versteckte erwachsene Leser,
deren Anforderungen der Übersetzer erfüllen muss (vgl. Frimmelová 2010). In
ähnlicher Weise stellt Lesnik-Obersteinová (1999) die Frage: Was bedeutet es, ein
Buch "für" Kinder zu schreiben? Wenn das Buch ursprünglich für Kinder geschrieben
wurde, ist es dann immer noch ein Kinderbuch, wenn es später von (nur) Erwachsenen
gelesen wird? Obwohl Übersetzer für Kinder übersetzen müssen, sind es die
Erwachsenen, die die Bücher auswählen, die übersetzt werden müssen. Es sind die
Erwachsenen, die sie übersetzen und die Übersetzungen für Kinder kaufen. Es sind
auch die Erwachsenen, die normalerweise die Bücher laut lesen (vgl. Oittinen 2006).

22
Darüber hinaus kann sich das Publikum von Kinderbüchern in der Übersetzung
ändern: Viele Klassiker von Kindern sind zu Büchern für Erwachsene geworden und
umgekehrt (vgl. Oittinen 2006). Zu den ambivalenten Texten gehören zum Beispiel
Winnie-the-Pooh, der kleine Prinz, Gullivers Reisen und vor allem Alice im
Wunderland. Obwohl die Textmerkmale den Strukturen der Kindersprache folgen,
wird die Ambivalenz erreicht, indem die Funktionen und die Hierarchie der Elemente
geändert werden, d. h. Ironie, Anspielungen, Metaphern, Intertextualität, verhüllte
Bedeutungen und Parodie (vgl. Frimmelová 2010).

     Frimmelová (2010) führt an, dass die Aufmerksamkeit des Übersetzers zunächst
auf den jungen Leser und auf der Übertragung eines Textes für Kinder der
Ausgangsprache auf einen Text für Kinder der Zielsprache gerichtet sein sollte. Sie
bemerkt, dass das vollständige Weglassen ambivalenter Elemente (durch Löschen,
Transformieren oder Hinzufügen von Erklärungen) zum Verlust von Merkmalen
führen kann, die den literarischen Text einzigartig machen. Erwachsene werden das
Buch nicht mehr genießen, wenn sie es vorlesen, der Text kann seine sprachliche
Qualität verlieren. Um mehrere Ebenen im Text beizubehalten (die konventionelle,
vom Kinderleser realisierte Ebene und die andere Ebene, die nur für Erwachsene
verständlich ist), ist eine der größten Herausforderungen für Übersetzer der
Kinderliteratur.

2.3.2     Normen in der Übersetzung der Kinderliteratur

Die Übersetzung von Literatur erfolgt nach bestimmten Normen, und die
Kinderliteratur wird von ihnen viel mehr als jedes andere literarische Genre bestimmt.
Laut Puurtinen (1995) wird eine Übersetzung von den didaktischen, ideologischen,
moralischen, ethischen und religiösen Normen beeinflusst, die in einer bestimmten
Zeit und Kultur entscheidend sind. Puurtinen stellt sich solche Übersetzungen
gegenüber, die das Lesen für die Kinder schwieriger gestalten. Es ist nicht möglich,
dass Kinder mit geringen Leseerfahrungen und begrenzter Welterkenntnis die
Bedeutung seltsamer und fremder Elemente verstehen können. Der Übersetzer soll die
Lesbarkeit des Ausgangstextes ohne irgendeine Änderung an den Zieltext übertragen.
Ohne Berücksichtigung der sprachlichen und literarischen Normen kann es zu einer
Übersetzung führen, die bei Kindern nicht beliebt und von Erwachsenen abgelehnt
wird (vgl. Köprülü 2017).

    Ein Konzept von Normen in der Übersetzung der Kinderliteratur hat auch Shavit
(2009) vorgestellt. Sie betrachtet die Übersetzung als Übertragung von Texten nicht
nur von einer Sprache in eine andere, sondern auch von einem System zu einem

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anderen, insbesondere vom System der Erwachsenen zum System der Kinder. Shavit
sagt, dass Kinderliteratur eine periphere Position innerhalb des literarischen
Polysystems einnimmt und deshalb sich der Übersetzer der Kinderliteratur im
Vergleich mit den Übersetzern der Erwachsenenliteratur viel Freiheit in Bezug auf den
Text erlauben kann. Dem Übersetzer wird ermöglicht, den Text auf unterschiedliche
Weise zu manipulieren (z. B. ändern, vergrößern oder kürzen, löschen oder zufügen).

     Alle diese Übersetzungsprozesse sind jedoch nur zulässig, wenn sich der
Übersetzer an zwei Grundprinzipien hält, auf denen die Übersetzung für Kinder
basiert. Das erste Prinzip besteht darin, dass der Text so angepasst werden soll, um ihn
angemessen und nützlich für das Kind zu machen. Zudem soll der Text dem
entsprechen, was die Gesellschaft als pädagogisch gut für ein Kind erachtet. Mit dem
zweiten Prinzip ist gemeint, dass Handlung, Charakterisierung und Sprache sollen dem
Grad des Verständnisses und der Lesefähigkeit entsprechen, über die die Kinder nach
vorherrschenden gesellschaftlichen Wahrnehmungen verfügen sollen (vgl. Shavit
2009).

    Das hierarchische Verhältnis der beiden Normen hat sich in der Geschichte
geändert. Früher, als die Funktion der Kinderliteratur hauptsächlich didaktisch war,
war das erste Prinzip vorherrschend. Heutzutage ist das Prinzip der Anpassung des
Textes an das Verständnisniveau des Kindes wichtiger, obwohl das erste Prinzip
immer noch einen gewissen Einfluss auf den Charakter von Übersetzungen hat (vgl.
Shavit 2009).

     Manchmal können sich die zwei Normen widersprechen. „Beispielsweise kann
davon ausgegangen werden, dass ein Kind einen mit dem Tod verbundenen Text
verstehen kann, und gleichzeitig der Text als schädlich für sein geistiges Wohlergehen
angesehen werden kann. In einer solchen Situation könnte der übersetzte Text einen
Aspekt vollständig zugunsten eines anderen streichen oder möglicherweise sogar
widersprüchliche Merkmale enthalten, da der Übersetzer zwischen den beiden Prinzipien
zögerte“1 (vgl. Shavit 2009).

    Dennoch ergänzen sich die Normen normalerweise und beeinflussen die
Entscheidungen der Textauswahl sowie den Grad der zulässigen Manipulation. Und
damit der übersetzte Text für Kinder akzeptiert werden kann, muss die endgültige

1   Im Original: „For example, it might be assumed that a child is able to understand a text involved with
death, and yet at the same time the text may be regarded as harmful to his mental welfare. In such a
situation, the translated text might totally delete one aspect in favor of another, or perhaps even include
contradictory features, because the translator hesitated between the two principles.” (deutsche
Übersetzung von Naděžda Chytilová)

24
Übersetzung diesen beiden Normen entsprechen oder sie zumindest nicht verletzen
(vgl. Shavit 2009).

2.4     Übersetzungsstrategien der Kinderliteratur

2.4.1     Der Grad der Komplexität des Textes

Der Komplexitätsgrad des Textes soll dem Verständnis der Kinder entsprechen.
Während in der Literatur für Erwachsene die Komplexität erforderlich ist, dominiert
in der Kinderliteratur immer noch die Einfachheit und Simplifizierung. Dieses Konzept
basiert auf der Voraussetzung, dass Kinder nicht in der Lage sind, lange Texte zu lesen,
dass sie Schwierigkeiten haben, lange, komplizierte Sätze zu verstehen, und dass ihre
Kenntnisse der Muttersprache sowie der Wortschatz begrenzt sind. Die begrenzte
Komplexität bestimmt dann nicht nur die Themen und die Charakterisierung des
Textes, sondern auch die zulässigen Strukturen. Damit der übersetzte Text dieser
Norm entspricht, können die Übersetzer die Beziehungen zwischen Elementen und
Funktionen entfernen oder ändern. Sie dürfen Elemente löschen, die ihnen zu
kompliziert sind, und andererseits können sie andere Elemente hinzufügen (vgl.
Shavit, 2006).

      Laut Kolehmainen & Stahl (2005) ist eine der Hauptmethoden zur Reduzierung
der Komplexität von Text die Simplifizierung. Simplifizierung oder Vereinfachung
bedeutet, dass die Sprache in Übersetzungen (lexikalisch, syntaktisch und/oder
stilistisch) einfacher ist als die Sprache, die in Originaltexten der Zielsprache
verwendet wird (vgl. van Zijll Langhout 2017).

     Die lexikalische Vereinfachung wird hauptsächlich durch die Verwendung einer
allgemein einfachen Lexik und eines einfachen Registers demonstriert (kürzere und
einfachere Wörter aus dem Alltag, begrenzter Wortschatz, Standardsatz von Phrasen
und Redewendungen sowie konkrete statt abstrakten Wörtern). Die syntaktische
Vereinfachung wird durch leichte und einfache Strukturen dargestellt, lange Sätze
werden in kürzere aufgeteilt und hauptsächlich werden koordinierende
Konjunktionen verwendet. Außerdem werden bestimmte Ausdrücke, Teile von Sätzen
oder ganze Sätze manchmal weggelassen, um komplizierte Formen im Allgemeinen zu
vermeiden. Die stilistische Vereinfachung zeichnet sich durch einfache informelle
Sprache (sogar ein gewisses Maß an Umgangssprache ist akzeptabel), direkte Rede
und Dialoge aus. Der informelle Ton ist für Kinder natürlicher und kann dazu
beitragen, wie die Charaktere wahrgenommen werden. Die direkte Rede ist für Kinder,
wie sie sie aus dem Alltag kennen, leicht verständlich. Es macht den Text dynamischer
und lebendiger und porträtiert die Charaktere (vgl. Frimmelová 2010).

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2.4.2     Anpassung des kulturellen Kontexts

Für einen Leser steht der Zieltext bei der Übersetzung im Vordergrund des Interesses.
Dem Leser einer amerikanischen Detektivgeschichte ist es egal, was alles getan werden
musste, bevor er sie auf Tschechisch lesen konnte. Für ihn ist es wichtig, das Buch als
Detektivgeschichte aus Amerika zu lesen. Ein Übersetzer, der viele Informationen von
einer Kultur in eine andere überträgt, muss als Teilnehmer an der Kommunikation und
deren Mitschöpfer die Kommunikationssituation des Empfängers berücksichtigen,
d. h. die Umgebung der Zielkultur. Der Zieltext muss dem Usus der Empfangskultur
entsprechen, er muss der Kommunikationssituation in der Zielkultur angemessen sein
(vgl. Fišer 2009).

     Der Übersetzungsprozess als solcher ist als ein Akt der Veränderung und des
Umschreibens angesehen, bei dem Probleme durch unterschiedliche Strategien wie
Einbürgerung (engl. Domestication) und Verfremdung (engl. Foreignization) gelöst
werden. Bei der Einbürgerung passt der Übersetzer den Text an sprachliche und
kulturelle Werte an die Zielkultur an. Im Gegenteil, bei der Verfremdung bleiben einige
signifikante Spuren des Originaltextes erhalten (vgl. Oittinen 2006).

    Die Einbürgerung ist anders gesagt eine Strategie der Anpassung des kulturellen
Kontexts. Diese Strategie wird verwendet, um mit dem begrenzten Wissen und
Verständnis anderer Kulturen, Sprachen und Regionen, die junge Leser haben,
umzugehen. Es basiert auf der Voraussetzung, dass es für Kinder schwierig sein wird,
fremde Namen, Lebensmittel oder Orte zu assimilieren und dass sie einen Text
ablehnen können, der eine unbekannte Kultur widerspiegelt. Daher übersetzt der
Übersetzer die kulturellen Merkmale der Originalkultur in den Kontext der Zielkultur
und erzeugt die Illusion, dass der Text in der Kultur des Lesers geschrieben wurde (vgl.
Lathey 2006).

    Der Begriff kulturelle Kontextanpassung wurde erstmals von Göte Klingberg
verwendet. Nach Klinberg (1986) wird in der Regel die Kinderliteratur unter
besonderer Berücksichtigung der (vermeintlichen) Interessen, Bedürfnisse,
Reaktionen, Wissen, Lesefähigkeiten und so weiter der beabsichtigten Leser
produziert. Die Betrachtung dieser Art eines Autors oder Verlegers und deren
Ergebnisse bezeichnet er als Adaption. Der Übersetzer soll in dem Zieltext die gleiche
funktionale Äquivalenz gewährleisten, also denselben Grad an Anpassung bewahren.
Klinberg argumentiert, dass im Rahmen der Anpassung Löschungen, Ergänzungen,
Erläuterungen,    Modifikationen,      Purifikationen,   Modernisierungen         oder
Lokalisierungen (eine Art von Einbürgerung) erreicht werden können, so dass der
Ausgangstext auf ein Land, eine Sprache oder eine Zeit übertragen werden kann, zu
der der Zielspracheleser vertraut ist. Für die Beibehaltung von Informationen wie

26
Namen, Jahre und Orte, wie im Original vorgestellt, verwendet er den Begriff Anti-
Lokalisierung. Der Grund für eine kulturelle Kontextadaption ist, dass Lese- bzw.
Zuhörerkinder aufgrund fehlender Erfahrung die seltsamen Tatsachen und fremden
Dingen (wie z. B. Personen- und Ortsnamen, Maßeinheiten etc.) in Büchern nicht
verstehen können (vgl. Köprülü 2017).

     Einbürgerung ist kein automatisches Produkt einer bestimmten Zeit, eines
bestimmten Ortes oder einer bestimmten Situation, aber wir können aus
verschiedenen Gründen diese Strategie benutzen: aufgrund von politischem Druck,
Zensur oder unterschiedlichen moralischen Werten. Wir können auch für Kinder,
Kulturen, Minderheiten, politische Ideen, religiöse Überzeugungen usw. einbürgern.
Alles kann eingebürgert werden: Namen, Umgebung, Genres, historische Ereignisse,
kulturelle oder religiöse Riten und Überzeugungen. Darüber hinaus können wir
einbürgern, indem wir bestimmte Bücher für die Übersetzung auswählen, während
bestimmte Arten von Büchern oder Bücher aus bestimmten Kulturen nicht übersetzt
werden. Es gibt auch verschiedene Möglichkeiten zur Einbürgerung, z. B. das Kürzen
von Büchern oder das Erstellen neuer Versionen für ein anderes Medium,
beispielsweise als Harry Potter in einen Film verwandelt wurde (vgl. Oittinen 2006).

     Mehrere Wissenschaftler missbilligen jedoch die Einbürgerung als eine Methode,
die die Kinderliteratur denaturiert und pädagogisiert. Sie sind der Meinung, dass
Kinder in der Lage sein sollten, das Fremde in den übersetzten Texten zu finden und
zu lernen, die Unterschiede, das Anderssein und das Fremde zu tolerieren (vgl.
Oittinen 2006). Laut O’Sullivan (2006) bleiben bei Verwendung dieser Strategie so
viele Fremdelemente wie möglich in der Übersetzung erhalten, und der Leser ist sich
ständig bewusst, dass der Text ein Produkt einer anderen Kultur ist, und er liest ihn in
Übersetzung. Einer von den Kritikern ist Venuti (1995), der die Strategie der
Verfremdung auch unterstützt. Seiner Ansicht nach gibt es verschiedene
Begründungen dafür, warum die Verfremdung im Gegensatz zur Einbürgerung
bevorzugt werden sollte. Venuti findet die Einbürgerung rassistisch und meint, dass
neue Ideen, Gattungen und kulturelle Werte durch die Verfremdung gewonnen
werden können (vgl. Köprülü 2017). Dagegen argumentiert Oittinen (2006), dass der
Kinderleser unwillig sein kann, den übersetzten Text zu lesen und kann ihn zu seltsam
finden. Deshalb stellt Oittinen die Frage – Wie wird dies die zukünftigen
Lesegewohnheiten des Kindes beeinflussen und was ist es dann der Sinn der
Übersetzung? Darüber hinaus handeln Übersetzer beim Interpretieren und
Umschreiben von Geschichten für zukünftige Leser auf der Grundlage ihrer eigenen
Kinderbilder, was bedeutet, dass Übersetzer letztendlich immer bis zu einem gewissen
Grad einbürgern (Oittinen 2006).

                                                                                     27
Wie später in der Analyse des Buches Die kleine Sensenfrau und seiner
Übersetzung gezeigt wird, wird bei der Übersetzung dieses Buches die Strategie der
Verfremdung verwendet, weil die Autorin sich bemüht hat, Stavaričs originellen Stil
und seinen spielerischen Umgang mit Sprache beizubehalten. Wir können dies
hauptsächlich auf lexikalischer Ebene beobachten, wo einige Wörter auf akzeptablere
und verständlichere Weise ins Tschechische übersetzt worden sein könnten. An einer
Stelle erscheint im Buch den Namen einer Stadt, der die Übersetzerin in geeigneter
Weise ins Tschechische übersetzt hat und damit im Gegenteil die Strategie der
Einbürgerung verwendet hat. Daher stimme ich hier der oben genannten Ansicht zu,
dass die Übersetzer immer bis zu einem gewissen Grad einbürgern.

     Die Werke von Michael Stavarič werden oft in die tschechische Sprache übersetzt
und man kann deshalb unterschiedliche Ansätze verschiedener Übersetzer
beobachten. Das Werk Die kleine Sensenfrau enthält wenig Text und deshalb ist es nicht
klar, welche Übersetzungsstrategie in der Übersetzung vorherrscht. Jedoch zum
Beispiel bei der Übersetzung des Romans stillborn ist die Strategie der Einbürgerung
an vielen Stellen offensichtlich. Die Übersetzerin hat den Text an das tschechische
Milieu angepasst, zum Beispiel wenn sie die ganze Geschichte des Buches von Wien
nach Prag verlegt hat.

2.4.3     Umgang mit Tabus

Tabus in der Kinderliteratur können als Themen definiert werden, die als nicht für
Kinder geeignet angesehen werden. Daher sollten solche Themen vermieden werden
(vgl. Frimmelová 2010). Stolt (2006) erklärt, dass ein solches Phänomen im Grunde
unter zwei Aspekten entsteht. Erstens ist es die Norm der moralischen Akzeptanz
basierend darauf, was die Gesellschaft als gut für Kinder annimmt. Zweitens sind es die
kulturellen und ideologischen Unterschiede zwischen den Kontexten, aus denen
Kinderliteraturen stammen. In diesem Zusammenhang stellt Reiss (2000) fest, dass
Übersetzungen von Kinderbüchern natürlich von Kindern gelesen werden sollen.
Diese Beziehung zu Kindern liefert ein Kriterium für ihre Bewertung. Aber wenn eine
Weltklasse-Geschichte wie Don Quijote, Gullivers Reise, Robinson Crusoe oder
Pinocchio für Kinder übersetzt ist, muss die Version in der Zielsprache für ihre
spezielle Lesegruppe "überarbeitet" oder "angepasst" werden (vgl. Hawel 2019).

    Frimmelová (2010) gibt die Themen an, die in der Kinderliteratur traditionell
vermieden werden: Darstellung von Gewalt (z. B. Mord), Rassenprobleme und
Konflikte, religiöse Fragen - politische Referenzen, Tod, Sexualität und sexuelle

28
Aktivität jeglicher Art, skatologische Referenzen, Scheidung, Geisteskrankheit,
Alkoholismus und andere Abhängigkeiten, Selbstmord, Sterbehilfe, Vulgarismus.

     Die übersetzte Kinderliteratur kann zu Störungen führen, was Moral, Ideologien
und soziale Bräuche betrifft, insbesondere wenn die Ausgangs- und Zielkultur
unterschiedlich sind oder wenig gemeinsam haben. Eine dieser Störungen wird durch
die Verletzung von Tabus in Kinderbüchern verursacht, was als Grund angesehen wird,
warum solche Bücher bei Kindern und in großem Umfang beliebt sind und
anschließend zunehmend verkauft werden. Das Dreieck von Autor, Übersetzer und
Herausgeber ist sich der Tabus bewusst, die in dem Text vorkommen. Wenn die Zensur
ihre Aufgabe nicht erfüllt, die Veröffentlichung des Tabus zu verhindern oder
zumindest es in akzeptabler Weise zu modifizieren, damit der Text veröffentlicht
werden kann, muss der Übersetzer diese Rolle übernehmen. Als Vermittler soll er die
implizierten Lücken auf allen Ebenen zwischen den Texten überbrücken, mit denen er
sich befasst. Dann soll er die unangemessenen Themen behandeln, wenn der Text, mit
dem er sich befasst, ursprünglich für Erwachsene geschrieben und jetzt für Kinder
gedacht wurde (vgl. Hawel 2019).

     Die Tabus sind in jeder Kultur und jeder Sprache unterschiedlich, deshalb muss
der Übersetzer bestimmte Strategien auf der kulturellen und / oder sprachlichen
Ebene berücksichtigen. In dieser Hinsicht geben viele Wissenschaftler bestimmte
Strategien an. Pyles und Algeo (1982) schlagen vor, das Tabu durch den sogenannten
Euphemismus zu ersetzen. Klingberg (1986) präsentiert neun Formen der Anpassung
des kulturellen Kontexts: zusätzliche Erklärung, Umformulierung, erklärende
Übersetzung, Erklärung außerhalb des Textes, Vereinfachung, Löschung,
Lokalisierung, Substitution eines Äquivalents in der Kultur der Zielsprache und
Substitution eines groben Äquivalents in der Kultur der Zielsprache (vgl. Hawel 2019).

      Nach Shavit (2006) gibt es Strategien wie Löschung, Manipulierung oder
Änderung, und Abkürzung. Die erste beinhaltet das Löschen unerwünschter Szenen,
wenn sie die grundlegende Handlung oder Charakterisierung nicht beschädigen.
Bekannte Auslassungen dieser Art findet man in vielen Übersetzungen von Brüder
Grimms Aschenputtel. In der Originalversion kommt es zu einer Verstümmelung von
Zehen und Fersen, und die Augen der Schwestern werden herausgepickt. In der
übersetzten Version wurden diese Szenen einfach weggelassen. Ein anderes Beispiel
ist die Szene in Gullivers Reisen, in der Gulliver verdächtigt wird, eine Liebesbeziehung
mit der Königin zu haben. Da eine solche Szene das Tabu der sexuellen Aktivität
verletzen würde, wurde sie von allen Übersetzern weggelassen. Manchmal ist es
jedoch nicht möglich, unerwünschte Szenen zu löschen, da diese für die Entwicklung
der Handlung von entscheidender Bedeutung sein können. Solche Elemente werden
häufig in ein für das Publikum geeignetes Format geändert. Diese Methode findet sich

                                                                                      29
wieder in Übersetzungen von Gullivers Reisen. Da die Szene, in der Gulliver den Palast
durch Urinieren rettet, wichtig für die Handlung ist, haben die Übersetzer sie so
verändert, dass er Wasser ins Feuer wirft oder es ausbläst (vgl. Frimmelová 2010).

     Das in dieser Arbeit analysierte Buch Die kleine Sensenfrau beschäftigt sich mit
dem Thema Tod, das als Tabu bezeichnet wird. Sowohl im Originaltext als auch in der
Übersetzung wird der Tod jedoch nicht ausgesprochen behandelt. Der Tod wird erst
am Anfang des Buches erwähnt, dann ist dieses Thema eher in unterschiedlichen
Bedeutungen verborgen und an einigen Stellen werden sowohl im Originaltext als auch
in der Übersetzung Euphemismen verwendet. Wie das Thema Tod in dem Buch zum
Ausdruck kommt, wird in Kapitel 4.1.2 im praktischen Teil dieser Arbeit ausführlicher
erörtert.

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PRAKTISCHER TEIL

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3 Michael Stavarič

3.1      Leben des Autors

Michael Stavarič ist ein österreichisch-tschechischer Schriftsteller, Übersetzer und
Träger vieler Auszeichnungen und Preise, zum Beispiel des Adelbert-von-Chamisso-
Preises 2012 (vgl. Schwenkter und Heinle 2018). Er wurde im Jahr 1972 in Tschechien
geboren und schon im Alter von 7 Jahren emigrierte er mit seinen Eltern nach
Österreich. Damit er sich schnell integrieren konnte, musste er möglichst schnell die
deutsche Sprache lernen. Als Kind erreichte er ziemlich schnell ein gewisses
Sprachniveau, brauchte aber noch Zeit, um akzentfrei und mit entsprechendem
Wortschatz zu sprechen. Er war das einzige zweisprachige Kind in der Klasse und hatte
deshalb einen Sonderstatus bei den Lehrern. Er interessierte sich immer für Sprachen,
was sich zum Beispiel daran zeigt, dass er nach dem Abitur ein Bohemistik- und
Publizistikstudium an der Universität Wien begann. Obwohl seine Eltern immer zu
Hause tschechisch gesprochen haben, hat er nie richtig tschechisch schreiben gelernt,
was unter anderem auch ein Grund für das Bohemistikstudium war. An der Universität
konnte er die tschechische Literatur lesen, was für ihn eine prägende Erfahrung war,
weil er die tschechischen Autoren gern hatte. Die deutsche Sprache ist für ihn jedoch
inzwischen eindeutig die Hauptsprache geworden und heutzutage beherrscht er
Deutsch besser als seine eigene Muttersprache. Er spricht kein fehler- und akzentfreies
Tschechisch mehr (vgl. Cornejo 2010).

     Was sein Interesse am Schreiben betrifft, wollte Stavarič schon im Alter von 12
Jahren Schriftsteller werden. Seit seinem 15. Lebensjahr hat er schon Gedichte auf
Deutsch geschrieben und publiziert. Später versuchte er auch Gedichte auf
Tschechisch zu schreiben, fand sie aber schlechter als die deutschen Gedichte (vgl.
Cornejo 2010).

     Die Zweisprachigkeit hatte ihn auf jeden Fall stark beeinflusst. Einerseits hat er
allgemein ein gutes Sprachgefühl, anderseits kann er sozusagen zwischen zwei
Sprachen im Kopf „herumschalten“ (vgl. Cornejo 2010). Wie er mit eigenen Worten
erklärt:

      „Man übersetzt eine Zeit lang sehr viel im Kopf und überlegt sich dann, was Wörter
      im Tschechischen bedeuten, wenn man sie übersetzt, was für zusätzliche
      Bedeutungen sie im Deutschen bekommen. Man beschäftigt sich wesentlich mehr auf
      einer lexikalisch-syntaktischen Ebene mit beiden Sprachen oder mit einer Sprache, in
      der man dann arbeitet und schreibt, als ein Muttersprachler, der nur deutsch schon
      immer geschrieben hat.“ (Stavarič 2009).

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