Epidemiologie der Epilepsie im höheren Lebensalter
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Übersichten Z. Epileptol. 2022 · 35:110–114 https://doi.org/10.1007/s10309-022-00487-8 Angenommen: 16. März 2022 Epidemiologie der Epilepsie im Online publiziert: 26. April 2022 © Der/die Autor(en) 2022 höheren Lebensalter Johannes D. Lang · Hajo M. Hamer Epilepsiezentrum, Neurologische Klinik, Erlangen, Deutschland Zusammenfassung Hintergrund: Epilepsie ist eine häufige neurologische Erkrankung, die alle Altersgruppen betreffen kann. Symptomatische Epilepsien, u. a. auf dem Boden zerebrovaskulärer und neurodegenerativer Erkrankungen, nehmen mit dem Alter zu. Die Kenntnis über die Epidemiologie der Epilepsien des höheren Lebensalters ermöglicht, ein umfassenderes Bild der Erkrankungen und der therapeutischen und sozialmedizinischen Herausforderungen für den einzelnen Betroffenen und die Gesellschaft zu erhalten. Fragestellung: Welche Erkenntnisse liegen aktuell zur Epidemiologie der Epilepsien des höheren Lebensalters vor und wie sind sie einzuordnen? Material und Methoden: Eine MEDLINE-Recherche auf PubMed mit den Begriffen „epilepsy“, „elderly“ und „incidence“ oder „prevalence“ oder „epidemiology“ wurde durchgeführt, und relevante Arbeiten wurden diesem Artikel zugrunde gelegt. Ergebnisse: Die Punktprävalenz der Epilepsien des höheren Lebensalters liegt zwischen 0,5 und 0,8 % der Bevölkerung und betrifft in Deutschland somit ca. 500.000 Menschen. Die höchste altersadjustierte Prävalenz besteht jenseits des 75. Lebensjahres. In den vergangenen Jahrzehnten stieg die Prävalenz insbesondere bei den über 75-Jährigen weiter an auf das Doppelte der erwachsenen erwerbstätigen Bevölkerung. Die Inzidenz zeigt einen deutlichen Anstieg bei den über 65-Jährigen mit einem Maximum bei ca. 80 bis 85 Jahren und etwas häufiger bei Männern. Diskussion: Gründe für die hohe Inzidenz und Prävalenz der Epilepsien des höheren Lebensalters sind die altersabhängige Inzidenz potenziell epilepsieassoziierter Erkrankungen bei einem gleichzeitig längeren Langzeitüberleben für diese Erkrankungen aufgrund einer besseren medizinischen Versorgung und ein Anstieg der Lebenserwartung. Die Veränderung der Alterspyramide mit einem höheren (und in den kommenden Jahrzehnten weiter zunehmenden) Anteil älterer Menschen wird die Zunahme der Altersepilepsie weiter verstärken. Schlüsselwörter Altersepilepsie · Ältere · Anfälle · Inzidenz · Prävalenz Die englische Version dieses Beitrags ist unter https://doi.org/10.1007/s10309-022-00480-1 die Epidemiologie der Epilepsie des höhe- zu finden. Hintergrund ren Lebensalters eingehender betrachtet Datenverfügbarkeitserklärung Epilepsie ist eine häufige neurologische werden. Dem Artikel liegen keine unveröffentlichten, Erkrankung, die allein in Deutschland et- originalen Daten zugrunde. wa eine halbe Million Menschen betrifft. Was ist Epidemiologie? Prävalenz und Inzidenz der Erkrankung sind im fortgeschrittenen Alter höher als in Epidemiologie ist die Lehre von der Vertei- jungen Jahren. Gleichzeitig sind im fortge- lung, den Ursachen und den Folgen von Er- schrittenen Lebensalter diagnostische und krankungen und (gesundheitsbezogenen) therapeutische Unterschiede zu beachten. Zuständen in der Bevölkerung. Anders als Die Relevanz der Kenntnis um diese Unter- die klinische Medizin hat sie nicht die opti- schiede nimmt mit der Bevölkerungsent- male Behandlung einzelner Patienten zum wicklung und dem Trend alternder Gesell- Ziel, sondern die Erforschung der Grundge- QR-Code scannen & Beitrag online lesen schaften weiter zu. In diesem Artikel soll samtheit unterschiedlicher Populationen. 110 Zeitschrift für Epileptologie 2 · 2022
Dadurch trägt sie zu einem umfassende- in vielfacher Hinsicht sinnvoll, da De-novo- nen zwischen 20 und 64 Jahren bei etwa ren Verständnis von Erkrankungen bei. Sie Epilepsien des höheren Lebensalters häu- 5,3 bis 6,3/1000 (1,9 Mio.) und im Ver- bildet die Grundlage klinischer Studien fig andere Ursachen zugrunde liegen als gleich dazu bei Kindern und Jugendlichen und ermöglicht die Erkennung von Risi- Epilepsien der Kindheit, Jugend oder des im Bereich von 3,2 bis 5,1/1000 (0,9 Mio.). ko- oder Schutzfaktoren zur Prävention, er- Erwachsenenalters. Das 65. LJ als Grenze Bei älteren Menschen gehen die Angaben möglicht gesundheitspolitische Entschei- zur Altersepilepsie ist willkürlich gewählt, zur Prävalenz weiter auseinander (3,0 bis dungen und die Verteilung von Ressourcen da in diesem Alter weder die Inzidenz noch 7,6/1000; 0,6 Mio. bei den über 65-Jähri- im Gesundheitswesen. die Morbidität sprunghaft ansteigt, und gen) [8]. Eine weitere Studie konnte mithil- orientiert sich an der Festlegung des Ren- fevonRezeptdateninDeutschland 2009 ei- Die Definition der Epilepsie teneintrittsalters [6]. ne Periodenprävalenz von 9,1/1000 für Me- dikamentenverordnungen aufgrund einer Um die Vergleichbarkeit epidemiologi- Prävalenz der Epilepsie im höheren Epilepsie feststellen. Bei älteren Menschen scher Kennzahlen zu ermöglichen, ist eine Alter (≥ 65. LJ) war sie mit 12,5/1000 deutlich einheitliche Definition der Epilepsie er- höher als bei Kindern und Jugendlichen forderlich. Die Internationale Liga gegen Die Prävalenz beschreibt die Verteilung (< 18. LJ, 5,2/1000) und höher als bei Er- Epilepsie (ILAE) hat eine konzeptionel- eines Ereignisses oder einer Eigenschaft wachsenen (8,9/1000) [10]. In Island wurde le Definition verfasst, der zufolge eine in der Grundgesamtheit einer räumlichen ein Anstieg von 6,7/1000 bei den 55- bis 64- Epilepsie durch eine anhaltende Prädis- oder zeitlich definierten Population. Da sie Jährigen auf 7,3/1000 bei den über 85-Jäh- position für das Auftreten epileptischer einen Ist-Zustand abbildet, ist sie weder rigen beschrieben, eine dänische Studie Anfälle und deren neurobiologische, kog- für die Beurteilung der Ätiologie noch der zeigte für dieselben Altersgruppen einen nitive, psychologische und soziale Folgen Prognose dienlich. Sie eignet sich hinge- Anstieg von 7,1 auf 12,1/1000, und in Eng- charakterisiert ist und mindestens einen gen eher zur Verteilung von Ressourcen land und Deutschland wurden Werte bis Anfall voraussetzt [1]. Sie ermöglicht v. a. im Gesundheitssystem. maximal 20/10.000 beschrieben [11]. die klinische Diagnosestellung [2]. Im Kon- Die Anzahl der Studien zur Prävalenz text epidemiologischer Studien ist eine der Epilepsien übersteigt die Anzahl der Unterschätzung der Anfälle im Alter Operationalisierung der Definition nötig. Inzidenzstudien deutlich, was v. a. an ih- Hier wird auch weiterhin die Anwendung rem geringeren Aufwand und Kosten liegt. Als Grund für die in einigen Studien nied- der konservativeren, zuvor gültigen und Zur Abschätzung der Prävalenz werden in rigere Prävalenz im höheren Lebensalter in der Praxis etablierten Definition von den meisten Studien Menschen mit akti- sind eine unvollständige Identifizierung mindestens 2 epileptischen Anfällen im ver Epilepsieberücksichtigt, also Patienten, von Menschen mit aktiver Epilepsie und zeitlichen Abstand von über 24 h empfoh- bei denen nach der operationalen ILAE- damit eine Unterschätzung in dieser Al- len [3, 4]. Die Vorteile dieser Empfehlung Definition eine Epilepsie besteht und die tersgruppe anzunehmen. In 4 Senioren- liegen in der oft einfacheren und einheitli- mindestens einen Anfall in den 5 Jahren heimen im Raum Erlangen war bei 2,8 % cheren Beurteilung v. a. für Fälle, in denen vor der Erhebung erlitten haben. von 389 befragten Bewohnern im Alter von die Rekurrenz der einzige verfügbare Hin- Die Punktprävalenz der aktiven Epilep- 82,5 Jahren (66 bis 105 Jahre) eine Epilep- weis auf eine anhaltende Prädisposition sien liegt bei ca. 6,4/1000 (95 % CI 5,6–7,3) sie festzustellen, die vor Beginn der Studie ist, und in der Vergleichbarkeit über die und unterscheidet sich nach Herkunfts- lediglich bei 1,8 % diagnostiziert war [5]. vergangenen Jahrzehnte [4]. Im Hinblick land, Alter und Geschlecht mitunter erheb- Zudem leben 30 % aller über 60-Jährigen auf die Altersepilepsie (mit einem höhe- lich [7]. In einer Übersichtsarbeit europäi- in Deutschland alleine, bis 2040 werden es ren Anteil symptomatischer Epilepsien) ist scher Studien lag die Prävalenz aller Alters- 33 % sein [12]. Mit 80 Jahren lebt die Hälfte die Miteinbeziehung bildgebender und gruppen zwischen 3,3 und 7,8/1000 Ein- der Frauen (56 %) und 22 % der Männer elektrographischer Befunde sinnvoll. Oh- wohner [8]. Bei einem Anteil von 0,6 % der leben alleine [13]. Daher ist anzunehmen, ne sie ist aufgrund einer oft subtileren Bevölkerung (6/1000) leiden in Deutsch- dass Anfälle bei älteren Menschen häufig Anfallssemiologie im höheren Lebensalter land etwa 500.000 Menschen (von 83 Mio., unbeobachtet bleiben. Zudem treten in eine Untererfassung zu befürchten [5]. Stand 2021) an einer Epilepsie. In der höherem Lebensalter häufiger Anfälle mit EPIDEG-Studie (EPIDemiology of Epilepsies subtiler Semiologie auf [5]. Altersepilepsie und fortbestehende in Germany) wurde 1995 erstmalig an ei- Epilepsie ner repräsentativen, bundesweiten Stich- Inzidenz der Epilepsie im höheren probe die Prävalenz behandelter Patienten Alter Epilepsien im höheren Lebensalter umfas- mit Epilepsie in Deutschland erhoben und sen sowohl neu aufgetretene als auch bis 2010 in der zweiten Studie erneut erfasst. Die Inzidenz beschreibt die relative Häu- ins höhere Lebensalter persistierende Epi- In diesem Zeitraum stieg die Prävalenz von figkeit für das Auftreten einer Erkrankung lepsien. Unter dem Begriff „Altersepilep- 4,7 auf 5,5/1000 [9], vergleichbar mit der oder eines Merkmals in einer Popula- sie“ werden alle ab dem 65. Lebensjahr Prävalenz in anderen europäischen Län- tion in einem definierten Zeitraum. In (LJ) an neu auftretenden Epilepsien zu- dern und früheren Studien in Deutschland. einer Metaanalyse von 48 Inzidenzstudi- sammengefasst. Diese Unterscheidung ist In Europa lag die Prävalenz bei Erwachse- en war die jährliche kumulative Inzidenz Zeitschrift für Epileptologie 2 · 2022 111
Übersichten 67,8/100.000/Jahr [7]. Die Inzidenzrate, al- höheren Lebensalter [5]. Jenseits des Inzidenz nach Herkunftsland so der Anteil der neu erkrankten Personen, 85. Lebensjahrs nimmt die Inzidenz auf- lag im Mittel bei 61,4/100.000 Personen- grund der zunehmenden Sterblichkeit im Eine Metaanalyse von 33 Studien unter- jahre [7]. Beide Kennzahlen unterscheiden hohen Alter erneut ab. schiedlicher Herkunftsländer berichtete in sich je nach untersuchtem Ereignis und Ländern mit niedrigem und mittlerem Ein- den Eigenschaften der Stichprobe mitun- Deutschlands Bevölkerung altert kommen („low- and middle-income coun- ter erheblich. Wichtige Einflussgrößen sind tries“ [LMIC]) eine deutlich höhere Inzi- v. a. Alter, Geschlecht und Herkunftsland Von 1991 bis 2019 registrierte das Bundes- denz (ca. 82/100.000/Jahr) als in Ländern (z. B. Industrie- oder Entwicklungsland) amt für Statistik eine Zunahme der über mit hohem Einkommen (45/100.000/Jahr; [14, 15]. 65-Jährigen von 12 auf 18 Mio. Das ent- „high-income countries“ [HIC]) [15]. Die spricht einem Anstieg von 50 % in etwas Ursache dafür ist vermutlich multifakto- Altersabhängigkeit der Inzidenz weniger als 30 Jahren. Aufgrund rückläufi- riell. Diskutiert werden die höhere Inzi- ger Geburtenzahlen nahm der Anteil die- denz von Schädel-Hirn-Traumata, Infektio- Epilepsie ist eine Erkrankung aller Alters- ser Altersgruppe an der Gesamtbevölke- nen und parasitären Erkrankungen (z. B. gruppen. Ihre Inzidenz zeigt jedoch einen rung im gleichen Zeitraum von 15 % auf Malariaoder Neurozystizerkose) inressour- U-förmigen Verlauf mit den höchsten Inzi- 22 % zu. Bis 2060 werden es der 14. koor- censchwachen Regionen. Der zweite Al- denzraten bei den jüngsten und ältesten dinierten Bevölkerungsvorausberechnung tersgipfel konnte für Entwicklungsländer Betroffenen [7]. Bis Anfang der 1980er-Jah- (06/2019) zufolge rund 30 % sein [21]. Un- bislang nicht bestätigt werden. Grund da- re galt Epilepsie v. a. als eine Erkrankung ter Berücksichtigung unterschiedlicher An- für ist vermutlich die geringere Lebenser- des Kindesalters [5]. Die Verschiebung der nahmen zu Geburtenhäufigkeit, Lebenser- wartung in LMIC. höchsten Inzidenz ins höhere Lebensal- wartung und Bevölkerungswanderungen ter ist ein Resultat der besseren medizini- entspricht das einer mittleren Zunahme Die Inzidenz akut symptomatischer schen Versorgung (Vermeidung perinata- der über 65-Jährigen auf 22 bis 24 Mio. bis Anfälle ler Komplikationen) und der zunehmen- zum Jahr 2060 [22]. Mittelfristig werden den Lebenserwartung (s. unten). In einer es ca. 20 Mio. bis 2035 sein [23]. Aufgrund Akut symptomatische Anfälle sind beson- prospektiven Studie zwischen 1984 und dieser Entwicklungen werden Kenntnisse ders im ersten Lebensjahr und im höhe- 1987 waren 25 % der Patienten mit neu über die Besonderheiten der Altersepilep- ren Lebensalter häufig. Die Inzidenz eines aufgetretener Epilepsie jünger als 15 Jah- sie in Diagnostik und Therapie in Zukunft akut symptomatischen Anfalls liegt im Me- re [16]. Bei Kindern schwankt die Inzidenz eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. dian bei ca. 30–40/100.000/Jahr [24]. Sie mit rund 80 bis 130/100.000/Jahr mit der nimmt mit dem Alter zu und ist für Män- höchsten Rate im ersten LJ [17, 18]. Nach Geschlecht ner (52,0/100.000 PJ) höher als für Frau- dem 1. bis zum 9. LJ liegt die Inzidenz bei en (29,5/100.000 PJ) [25]. Die häufigsten etwa 50 bis 60/100.000/Jahr [17] und sinkt Insgesamt zeigt die Mehrheit der Studi- Ursachen akut symptomatischer Anfälle dann bis zum 17. LJ auf das erwachsene en eine etwas höhere Inzidenzrate für sind Schädel-Hirn-Traumata, zerebrovas- Niveau mit knapp 20 bis 40/100.000/Jahr Epilepsien bei Männern. Der Unterschied kuläre und metabolische Erkrankungen, ab [17, 19, 20]. Hier bleibt sie zwischen wird meist durch die höhere Inzidenz Fieber und Infektionen [14]. Das relative dem 20. und 65. LJ stabil (ca. 30/100.000/ von Schlaganfällen, Traumata und der Risiko epileptischer Anfälle nach Schädel- Jahr oder weniger) [8]. Mit zunehmendem unterschiedlichen Prävalenz der häufigs- Hirn-Traumata ist für milde Traumata jen- Alter steigt die Inzidenz erneut an, bis sie ten Risikofaktoren zwischen Männern seits des 65. LJ höher als in jüngeren Jahren um das 85. LJ mit bis zu 180/100.000/Jahr und Frauen erklärt [14], und das, ob- (RR 2,5 vs. RR 1,8 < 65. LJ), nicht aber für ihren höchsten Wert erreicht [17]. wohl der Frauenanteil ab 65 Jahren 2019 schwere Traumata (RR 10,7 < 65. LJ vs. RR mit 10,2 Mio. bei 56 % lag (vgl. Männer 4,6 > 65. LJ) [26]. Erkrankungen des hö- Risikofaktoren für Altersepilepsie 7,9 Mio., 44 %). Das entspricht einem heren Lebensalters sind nicht selten mit relativen Rückgang von rund 10 % im einem erhöhten Risiko für unprovozierte Grund für diesen zweiten Erkrankungsgip- Vergleich zu den 1990er-Jahren, in denen epileptische Anfälle assoziiert. Schlagan- fel sind v. a. die mit dem Alter zunehmende der Anteil der Männer ab 65 Jahren als fälle, Parkinson-Krankheit, Alzheimer und Häufigkeit zerebrovaskulärer Erkrankun- Folge der Weltkriege rund ein Drittel der andere Demenzformen gehen mit einem gen (40 %) [5], der mit Abstand häufigsten Altersgruppe ausmachte (1991: Frauen erhöhten Risiko unprovozierter Anfälle ein- Ursache für Anfälle in dieser Altersgrup- 7,9 Mio. [66 %]; Männer 4,1 Mio. [33 %]). her [11]. Als gemeinsame Ursache sym- pe, sowie toxisch-metabolischer Prozesse, In der Untergruppe der Hochbetagten ptomatischer Epilepsien und dieser ze- neurodegenerativer Erkrankungen, Tu- (ab 85 Jahren) besteht dieses Verhältnis rebrovaskulären und neurodegenerativen moren und Schädel-Hirn-Traumata. Die ebenfalls. Für beide Geschlechter folgt die Erkrankungen werden beispielsweise zel- höhere Lebenserwartung führt dadurch Verteilung dem U-förmigen Verlauf der luläre Schädigungen und oxidativer Stress zwangsläufig zu einem Anwachsen der Altersverteilung. diskutiert [27]. Auch der Status epilepti- Risikopopulation [14] und das trotz ei- cus ist meist akut symptomatisch bedingt, ner wahrscheinlichen Unterdiagnose im 112 Zeitschrift für Epileptologie 2 · 2022
und seine Inzidenz nimmt mit dem Alter Korrespondenzadresse 2. Fisher RS, Acevedo C, Arzimanoglou A, Bogacz A, Cross JH, Elger CE et al (2014) ILAE official report: zu [28]. a practical clinical definition of epilepsy. Epilepsia 55:475–482. https://doi.org/10.1111/epi.12550 3. Guidelines for Epidemiologic Studies on Epile- Mortalität epileptischer Anfälle im psy (1993) Commission on epidemiology and Alter prognosis, international league against epilepsy. Epilepsia 34:592–596. https://doi.org/10.1111/j. Die Mortalität bei Epilepsie ist um den Fak- 1528-1157.1993.tb00433.x 4. Thurman DJ, Beghi E, Begley CE, Berg AT, tor 2 bis 3 erhöht [14, 29]. Im Vergleich zur Buchhalter JR, Ding D et al (2011) Standards for Allgemeinbevölkerung haben Menschen epidemiologicstudiesandsurveillanceofepilepsy. mit Epilepsie ein erhöhtes Risiko für eine Epilepsia52:2–26. https://doi.org/10.1111/j.1528- 1167.2011.03121.x vorzeitige Mortalität. Die standardisierte 5. Flierl-Hecht A, Pfäfflin M, May TW, Kohlschütter S, Mortalitätsrate (SMR), ein Inzidenzverhält- Hensel B, Stefan H (2003) Werden epilepsien bei Dr. med. Johannes D. Lang älteren Menschen übersehen? Eine Untersuchung nis zwischen beobachteter und erwarteter Epilepsiezentrum, Neurologische Klinik in Altenheimen. Nervenarzt 74:691–698. https:// Mortalität, liegt für Epilepsie im Mittel bei Schwabachanlage 6, 91054 Erlangen, doi.org/10.1007/S00115-003-1533-2/TABLES/1 1,6 bis 3,6 und ist für alle Altersgruppen Deutschland 6. Leppik IE (2006) Epilepsy in the elderly. Epilepsia erhöht [29]. Sie ist abhängig von der zu- johannes.lang@uk-erlangen.de 47(Suppl 1):65–70. https://doi.org/10.1111/j. 1528-1167.2006.00664.x grunde liegenden Erkrankung und v. a. bei 7. Fiest KM, Sauro KM, Wiebe S, Patten SB, Kwon CS, konvulsiven Anfällen und fehlender An- Dykeman J et al (2017) Prevalence and incidence fallsfreiheit erhöht [11]. Jenseits des 64. LJ of epilepsy: a systematic review and meta-analysis Funding. Open Access funding enabled and organi- of international studies. Neurology 88:296. https:// werden geringere SMR berichtet (1,4 bis zed by Projekt DEAL. doi.org/10.1212/WNL.0000000000003509 2,6) als bei den unter 45-Jährigen (6,4 bis 8. Forsgren L, Beghi E, Oun A, Sillanpaa M (2005) The 8,5) [29], wobei die Zunahme konkurrie- epidemiology of epilepsy in Europe—a systematic Einhaltung ethischer Richtlinien review. Eur J Neurol 12:245–253. https://doi.org/ render Todesursachen im höheren Alter 10.1111/j.1468-1331.2004.00992.x Interessenkonflikt. J.D. Lang und H.M. Hamer geben als Ursache diskutiert wird [11]. Häufige an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 9. Pfäfflin M, Stefan H, May TW, Klinikum Bethel E, Todesursachen bei älteren Menschen sind Stiftungen Bethel B (2020n) Wie viele Patienten mit Epilepsie gibt es in Deutschland, und wer v. a. Pneumonien (SMR 3,5 bis 7,2; mittle- Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine behandelt sie? Zusatzmaterial online. Orig Z Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. res Alter 81,3 Jahre), Neoplasien und ze- Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort Epileptol 33:218–225. https://doi.org/10.1007/ rebrovaskuläre Erkrankungen [30]. Todes- s10309-020-00334-8 angegebenen ethischen Richtlinien. 10. Hamer HM, Dodel R, Strzelczyk A, Balzer- fälle als unmittelbare Folge einer Epilepsie Geldsetzer M, Reese JP, Schoffski O et al (2012) Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative oder von Anfällen sind in 17 % der plötz- Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Prevalence, utilization, and costs of antiepileptic liche unerwartete Tod bei Epilepsie (engl. drugs for epilepsy in Germany—a nationwide veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, population-based study in children and adults. „sudden unexpected death in epilepsy“ Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli- J Neurol 259:2376–2384. https://doi.org/10.1007/ chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die [SUDEP]), Status epilepticus oder unbeab- ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge- s00415-012-6509-3 sichtigte Verletzungen und Suizid [14]. 11. Beghi E, Giussani G (2018) Aging and the mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz epidemiology of epilepsy. Neuroepidemiology beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom- 51:216–223. https://doi.org/10.1159/000493484 men wurden. Fazit für die Praxis 12. DeStatis (2020) Entwicklung der Privathaushalte 13. DeStatis (2012) Alleinlebende in Deutschland – 4 Die höchste altersadjustierte Prävalenz Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Ergebnisse des Mikrozensus 2011, S 16–17 Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten der Epilepsie besteht im höheren Le- 14. Beghi E (2020) The epidemiology of epilepsy. Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- bensalter bei ca. 7/1000 und höher. dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- Neuroepidemiology 54:185–191. https://doi.org/ 4 Ursachen der Altersepilepsie sind v. a. ze- 10.1159/000503831 treffende Material nicht unter der genannten Creative rebrovaskuläre Erkrankungen, toxisch- 15. Ngugi AK, Kariuki SM, Bottomley C, Kleinschmidt I, Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung metabolische Prozesse, neurodegenerati- Sander JW, Newton CR (2011) Incidence of nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für epilepsy: a systematic review and meta-analysis. ve Erkrankungen, Tumoren und Schädel- die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma- Neurology 77:1005–1012. https://doi.org/10. Hirn-Traumata. terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers 1212/WNL.0b013e31822cfc90 4 Eine steigende Lebenserwartung und die einzuholen. 16. Sander JWAS, Hart YM, Shorvon SD, Johnson AL bessere medizinische Versorgung mit län- (1990) MEDICAL SCIENCE: national general gerem Langzeitüberleben der zugrunde Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der practice study of epilepsy: newly diagnosed Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ liegenden Erkrankungen werden den An- epileptic seizures in a general population. Lancet licenses/by/4.0/deed.de. teil der Menschen mit Epilepsie im hö- 336:1267–1271. https://doi.org/10.1016/0140- heren Lebensalter in den kommenden 6736(90)92959-L 17. Hauser WA, Annegers JF, Kurland LT (1993) Jahren weiter verstärken. Literatur Incidence of epilepsy and unprovoked seizures 4 Durch Epilepsie besteht eine erhöhte Mor- in Rochester, Minnesota: 1935–1984. Epilepsia talität in allen Altersgruppen, aber beson- 1. Fisher RS, van Boas W, Blume W, Elger C, Genton P, 34:453–468 ders in der Gruppe der Älteren. Häufige Lee P et al (2005) Epileptic seizures and epilepsy: 18. Olafsson E, Ludvigsson P, Gudmundsson G, Todesursachen sind aber auch hier Pneu- definitions proposed by the international league Hesdorffer D, Kjartansson O, Hauser WA (2005) monien oder die Folgen der Grunderkran- against epilepsy (ILAE) and the international Incidence of unprovoked seizures and epilepsy kung. bureau for epilepsy (IBE). Epilepsia 46:470–472. in Iceland and assessment of the epilepsy https://doi.org/10.1111/j.0013-9580.2005.66104. syndrome classification: a prospective study. x Zeitschrift für Epileptologie 2 · 2022 113
Abstract Lancet Neurol 4:627–634. https://doi.org/10. 1016/S1474-4422(05)70172-1 Epidemiology of epilepsy in old age. German version 19. WirrellEC,GrossardtBR,Wong-KisielLCL,NickelsKC (2011) Incidence and classification of new-onset Background: Epilepsy is a common neurological disease affecting all ages. epilepsy and epilepsy syndromes in children in The increasing frequency of symptomatic epilepsies with age is partly due Olmsted county, Minnesota from 1980–2004: a to cerebrovascular and neurodegenerative diseases. Better knowledge of the population-based study. Epilepsy Res. https://doi. org/10.1016/J.EPLEPSYRES.2011.03.009 epidemiology of epilepsy in old age improves our understanding of the disease as well 20. Camfield P, Camfield C (2015) Incidence, preva- as the therapeutic and sociomedical challenges for the individual and society. lence and aetiology of seizures and epilepsy in Objective: What do we currently know about the epidemiology of the epilepsies in old children. Epileptic Disord 17:117–123. https://doi. age and how should this be classified? org/10.1684/EPD.2015.0736 21. Statistisches Bundesamt (2019) Bevölkerung Material and methods: A MEDLINE search in PubMed was conducted using the terms Deutschlands bis 2060 – Hauptvarianten 1–9 “epilepsy”, “elderly” and “incidence” or “prevalence” or “epidemiology” and relevant 22. Statistisches Bundesamt (2019) Bevölkerung im publications were analyzed. Wandel Results: The point prevalence of epilepsy of older age is 0.5–0.8% of the population 23. Statistisches Bundesamt (2021) Ausblick auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und and affects approximately 500,000 people in Germany. The highest age-adjusted den Bundesländern nach dem Corona-Jahr 2020 prevalence is reported to lie beyond the age of 75 years. In recent decades, the 24. Hauser WA, Beghi E (2008) First seizure definitions prevalence climbed further among the 75-year-olds to be twice as high as among the and worldwide incidence and mortality. Epilepsia 49:8–12. https://doi.org/10.1111/J.1528-1167. adult working population. The incidence shows a significant increase among patients 2008.01443.X 65 years and older, reaches its maximum at around 80–85 years of age and is somewhat 25. Annegers JF, Hauser WA, Lee JR, Rocca WA higher in men. (1995) Incidence of acute symptomatic seizures Conclusion: Reasons for the high incidence and prevalence of epilepsy in old age in Rochester, Minnesota, 1935–1984. Epilep- sia 36:327–333. https://doi.org/10.1111/J.1528- are the age-related incidence of potentially epilepsy-associated diseases combined 1157.1995.TB01005.X with a longer long-term survival for these diseases due to better medical care and an 26. Mahler B, Carlsson S, Andersson T, Adelöw C, increase in life expectancy. The change in the age pyramid with a higher (and in the Ahlbom A, Tomson T (2015) Unprovoked seizures coming decades further increasing) proportion of old people, will further increase the after traumatic brain injury: a population-based case—control study. Epilepsia 56:1438–1444. rise of epilepsy of older age. https://doi.org/10.1111/EPI.13096 27. Clayton C, Aguiar T, Almeida AB, Victor P, Ará P, Keywords Neuma R et al (2012) Oxidative stress and epilepsy: Elderly · Aged · Seizures · Incidence · Prevalence literature review. Oxid Med Cell Longev. https:// doi.org/10.1155/2012/795259 28. ChinRFM, NevilleBGR, ScottRC(2004)Asystematic review of the epidemiology of status epilepticus 29. Thurman DJ, Logroscino G, Beghi E, Hauser WA, Hesdorffer DC, Newton CR et al (2017) The burden of premature mortality of epilepsy in high-income countries: a systematic review from the mortality task force of the international league against epilepsy. Epilepsia 58:17. https://doi.org/10.1111/ EPI.13604 30. Lhatoo SD, Sander JWAS (2005) Cause-specific mortality in epilepsy. Epilepsia 46:36–39. https:// doi.org/10.1111/J.1528-1167.2005.00406.X 114 Zeitschrift für Epileptologie 2 · 2022
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