IN DEN TIEFEN DER OZEANE - Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau - Greenpeace
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INHALT 3 Zusammenfassung 5 Einleitung 7 Der Stand der Dinge - Greenpeace enthüllt die wichtigsten Regierungen und Unternehmen, die den Tiefseebergbau bereits erforschen. 11 Umweltrisiken durch Tiefseebergbau - Direkte Folgen: unvermeidliche und irreversible Schäden - Massivsulfidvorkommen am Meeresboden rund um Hydrothermalquellen - Case Study: Lost City im Atlantik - Polymetallische Knollen in Tiefseeebenen - Kobaltreiche Krusten auf Tiefseebergen - Weitreichende Folgen für die Meere - Mangelnde Kenntnis der Tiefsee verhindert verantwortungsvolle Risikominimierung - Warum dies auch für Menschen wichtig ist 19 Wie die Industrie die Zukunft beherrschen will 22 Adäquater Schutz durch die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) fehlt - Schwächelnde Verwaltung - Lückenhafter Schutz - In der Praxis wird der Schutz ausgehebelt - Für den Bergbau konzipiert - Fehlende Kontrolle - Handfeste Interessen 27 Schlussfolgerung und Empfehlungen Die Notwendigkeit eines starken globalen UN-Meeresvertrages 28 Referenzen Inhalt 1
ZUSAMMENFASSUNG Die Ozeane sind heute mehr Bedrohungen ausgesetzt als je erhebliche Hindernisse für die Entwicklung der zuvor in der Geschichte. Zurzeit bringt sich eine aufstrebende Industrie darstellen.1 Industrie in Stellung, um noch mehr Druck auf die Meere - Die Tiefseebergbauindustrie stellt ihre Entwicklung und ihre Lebewesen auszuüben: der Tiefseebergbau. Eine als wesentlich für eine kohlenstoffarme Zukunft dar, Handvoll Regierungen und Unternehmen haben bereits Lizen doch wird diese Behauptung von den Akteuren der zen erhalten, um den Tiefseebergbau in ökologisch sensiblen Bereiche erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge oder Gewässern zu erforschen. Noch finden kein Abbau und keine Batterien nicht untermauert. Die Tiefseebergbau Zerstörung statt, doch schon jetzt positioniert die Industrie industrie ignoriert die Forderungen nach einem Über- die Entwicklung des Tiefseebergbaus als unerlässlich. gang von der endlosen Ausbeutung der Ressourcen zu einer Transformations- und Kreislaufwirtschaft. Die Erschließung einer neuen industriellen Dimension im größten Ökosystem der Erde und die Schwächung einer der - Tiefseebergbau wird derzeit von der Internationalen wichtigsten Kohlenstoffsenken birgt erhebliche Umweltrisiken. Meeresbodenbehörde (ISA) reguliert. Wichtige Be- Besonders angesichts der dramatischen Biodiversitäts- und grenzungen im Mandat der ISA und ein bisher in ihrer Klimakrise, vor der alle Ökosysteme und vor allem die Meere Praxis bedenkliches Umweltmanagement2 unterstrei- derzeit stehen. Umso dringender benötigen wir einen starken chen die Probleme der derzeitigen fragmentierten globalen Meeresvertrag, der den Umgang der Nationen mit Meerespolitik. Die ISA ist nicht in der Lage, die Tiefsee dem Meer konsequent definiert und dabei den Schutz und vor kumulativen Belastungen zu schützen oder davor, nicht die Ausbeutung der Ozeane in den Mittelpunkt stellt. dass andere Meereslebewesen durch den Tiefseeberg bau beeinträchtigt werden könnten. Dies unterstreicht Dieser Bericht zeigt: die Notwendigkeit, dass die Vereinten Nationen einen starken globalen Meeresvertrag vereinbaren, der den - Tiefseebergbau birgt das Risiko katastrophaler und Schutz in den Mittelpunkt des Managements der potenziell irreversibler Umweltschäden, sowohl an internationalen Gewässer unserer Meere stellt. den Abbaustandorten als auch darüber hinaus. Die Artenvielfalt und das Ökosystem der Tiefsee sind - Das Vorgehen der ISA bei der Erteilung der Explorati- bisher zu wenig erschlossen, als dass eine robuste onslizenzen ist höchst bedenklich. Es wurden bereits Risikominimierung möglich wäre. Lizenzen für den Tiefseebergbau erteilt, bevor ein umfassender Schutzrahmen und ein Netzwerk von - Tiefseebergbau würde die Fortschritte hinsichtlich Schutzgebieten in internationalen Gewässern einge- der UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG) richtet wurden. Die ISA hat bisher noch keinen Lizenz untergraben. Insbesondere Ziel 12 und Ziel 14, mit antrag abgelehnt3, auch nicht, um Orte von höchster denen nachhaltige Verbrauchs- und Produktions- ökologischer Bedeutung zu erkunden, wie die so ge- muster sowie eine nachhaltige Nutzung der Meere nannte „Lost City“ in der Nähe des Mittelatlantischen und deren Schutz erreicht werden sollen. Rückens4. Diese Region ist im Rahmen des UN-Über- einkommens über die biologische Vielfalt als öko - Tiefseebergbau kann den Klimawandel befördern, logisch wichtiges Gebiet ausgewiesen und erfüllt die denn die natürlichen Prozesse in den Meeren werden Kriterien für den UNESCO-Weltkulturerbe-Status. gestört. So kann es zu einer Freisetzung des in Tiefsee sedimenten gespeicherten Kohlenstoffes kommen - Die ISA hat die Entwicklung des Tiefseebergbaus bis- und/oder die Speicherung von Kohlenstoff verhindert her konsequent über den Schutz der Meere gestellt. werden. Tiefseesedimente sind ein wichtiger langfris- Sie wird von Bergbauunternehmen benutzt, die den tiger Speicher für den „blauen Kohlenstoff“, der von Meeresboden als Weg einsetzen, um diplomatische den Meereslebewesen auf natürliche Weise absorbiert Unterstützung von Regierungen zu erhalten. Mittler- wird und von dem ein Teil beim Tod dieser Lebewesen weile sprechen Unternehmensvertreter im Namen auf den Meeresboden sinkt. Selbst Stimmen aus dem von Regierungsdelegationen auf ISA-Sitzungen, und Fischereisektor schließen sich Umweltschützern an, die einige Regierungsanträge für Explorationsverträge vor den schwerwiegenden Risiken des Tiefseebergbaus wurden von Tiefseebergbau-Unternehmen vorbereitet für die Fischerei warnen und die Forderungen nach und finanziert. einem Moratorium für den Tiefseebergbau verstärken. - Die Tiefseebergbauindustrie hat bereits selbst fest gestellt und protokolliert, dass Umweltbelange, ins- besondere die Zerstörung endemischer Ökosysteme, Zusammenfassung 3
EINLEITUNG Wir wissen mehr über die Oberfläche des Mars oder Mondes als über die Tiefsee. Sie ist voller Geheimnisse – von Unterwasser- gebirgen, die den Meerestieren als Oase dienen, bis hin zu hochaufragenden Türmen, die versunkenen Städten ähneln. Als größter bewohnbarer Raum der Erde beheimatet die Tiefsee uralte Korallenriffe, die die ältesten bekannten Lebens- formen versorgen, außerdem Gräben, die tief genug sind, um den Mount Everest sowie mysteriöse Tiere zu beherbergen, die Hunderte von Jahren leben können. Auf praktisch jeder Reise in die Tiefe entdecken Wissenschaftler neue Arten. Diese einzigartige Lebenswelt, die wir bislang kaum verstehen, ist jedoch durch den aufkommenden Tiefseebergbau bedroht. Der Bergbau birgt die Gefahr unvermeidlicher, katastrophaler und irreversibler Umweltschäden für unsere Ozeane und die Meereslebewesen. Derzeit stehen wir an einem entscheidenden Punkt der Geschichte. Regierungen und Unternehmen haben Spiralröhrenwurm, Azoren © Greenpeace / Gavin Newman Lizenzen zur Erforschung des Tiefseebergbaus in ökologisch sensiblen Gewässern erhalten, die Industrie positioniert dessen Entwicklung als notwendig und unerlässlich. Die tatsächliche ökologische Störungen gefährdet werden, die Kettenreak Schwelle zum Bergbau auf dem Meeresboden wurde bisher tionen auslösen. aber noch nicht überschritten. Ohne den umfassenden Schutz der Tiefsee könnten wir Arten Sobald der Abbau beginnt, werden industrielle Bergbau- und Ökosysteme zerstören, die bislang noch nicht einmal ent- maschinen in unsere Meere eindringen und einzigartige deckt sind. Die Hochseefischerei ist ein Paradebeispiel für die Unterwasserwelten zerstören. Dies beeinträchtigt nicht nur Ausbeutung durch die Industrie, noch bevor die Wissenschaft die wunderbaren, bizarren Kreaturen in der Tiefe, sondern auch nur die Möglichkeit hat, sie zu erforschen. Kaltwasser bedroht auch die Lebewesen, die in den Weltmeeren schwim- korallenriffe, die seit den 1960er-Jahren durch Grundschlepp- men. Der Tiefseebergbau wirkt sich auf natürliche Prozesse netzfischerei verwüstet wurden, zeigen selbst Jahrzehnte wie die Kohlenstoffspeicherung aus und könnte auf diese später nur wenig Anzeichen von Erholung.6 Hierdurch entgeht Weise sogar den Klimawandel beschleunigen. uns wertvolles Wissen über die empfindlichen Ökosysteme und ihre äußerst vielfältige Tierwelt. Heute gibt es nur noch wenig, was die Naturwunder der Tiefsee vor den Bergbaumaschinen schützt. Das geltende Seerecht In einem internationalen UN-Prozess haben die Regierungen fokussiert sich mehr darauf, die Ressourcen in internationalen derzeit die Chance, den Schutz der Ozeane durch einen Gewässern und am Meeresboden auszubeuten, als auf die neuen globalen Meeresvertrag in den Mittelpunkt ihrer Meeres Pflicht, diese zu bewahren. Die spezifischen Aktivitäten in den politik zu stellen.7 Der neue Vertrag, über den seit 2018 bei den verschiedenen Teilen der Hohen See werden durch eine Viel- Vereinten Nationen verhandelt wird, könnte die Einrichtung zahl sektoraler und regionaler Gremien abgedeckt. Dies führt eines globalen Netzwerks von Meeresschutzgebieten ermög zu einem fragmentierten System, das weder über das not lichen. Weite Teile der internationalen Gewässer würden so wendige Mandat noch über das Fachwissen verfügt, um die für die Rohstoffindustrie gesperrt. Überdies ließen sich Gold- Gesundheit der Weltmeere effektiv zu schützen. standards zur Bewertung der Umweltfolgen durch den Berg- bau festlegen, um die umfassende Plünderei der Weltmeere Die für die Regulierung des Tiefseebergbaus zuständige zu verhindern. Ein starker globaler Meeresvertrag kann dazu Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) konzentriert sich beitragen, die verborgenen Schätze der Tiefsee vor rücksichts- derzeit darauf, dem kommerziellen Tiefseebergbau den Weg loser Ausbeutung zu schützen. zu ebnen.5 Sie scheint den Gewinn über den Schutz zu stellen, unter anderem, indem sie den Zugang zu den einzigartigen Die ISA setzt sich indes für ein deutlich schwächeres Abkommen Wundern der Tiefsee an Regierungen und Unternehmen ein.8 Hierdurch ließe sich die fragmentierte Verwaltung, die das verkauft, damit diese den Bergbau erforschen können. Meeresleben derzeit an den Rand des Abgrunds bringt, kaum überwinden. Die Risiken des Tiefseebergbaus und die gravie- Überdies ist die ISA außer Stande, die Tiefsee vor einer ganzen renden Mängel bei der Regulierung der Branche zeigen, wie Reihe weiterer Belastungen zu schützen, beispielsweise vor unzureichend die aktuelle Meerespolitik ist. Und sie sind ein der Grundfischerei. Doch die Umweltbelastungen durch Tief- gutes Argument dafür, dass sich die Regierungen 2020 auf einen seebergbau beschränken sich nicht nur auf den Meeresboden. starken globalen Meeresvertrag einigen müssen. Denn nur so Auch das Meeresleben in flacheren Gewässern könnte durch lassen sich die Ozeane für künftige Generationen bewahren. Einleitung 5
6 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau Ruderschnecke © Alexander Semenov
DER STAND DER DINGE Mehrere leitende Nautilus- Mitarbeiter sind inzwischen für das kanadische Unternehmen Seitdem Seefahrtexpeditionen in den 1870er-Jahren Metalle DeepGreen tätig. Das Unter und Mineralien auf dem Meeresboden entdeckten, war das nehmen hat sich zu einem der Interesse, Mineralien in der Tiefsee abzubauen, deutlichen vehementesten Verfechter des Schwankungen unterworfen. Mehrere Regierungen und Un- Tiefseebergbaus entwickelt und ternehmen, darunter diverse Firmen, die im Bereich fossiler arbeitet mit der Großreederei Brennstoffe tätig waren, begannen in den 1970er-Jahren mit Maersk sowie dem Rohstoff der Erforschung des Tiefseebergbaus. Technologische Mängel, giganten Glencore zusammen. sich verändernde Metallpreise sowie festgefahrene internatio- nale Verhandlungen führten jedoch dazu, dass viele große Bergbauunternehmen ihre Bemühungen aufgaben. des Bergbaugesetzes bis Juli 2020 an. Beobachter weisen je- doch darauf hin, dass es – auch in politisch strittigen Fragen – Eine Handvoll Regierungen war indes weiterhin am Abbau von bislang nur langsame Fortschritte gibt, sodass sich die Frist Kupfer, Kobalt, Nickel und anderer Metalle der Tiefsee interes- voraussichtlich verschieben wird. siert. 1984 wurden sechs „Pionier-Claims“ zur Exploration von Mineralien ausgegeben, die jeweils eine Fläche von 75.000 km2 Bevor Tiefseebergbau auf internationalem Gebiet der Hohen umfassten. Als 1994 im Rahmen des Seerechtsübereinkommens See stattfinden kann, müssen noch einige Schritte getan wer- der Vereinten Nationen die Internationale Meeresbodenbehörde den. Zu erwähnen wäre, dass die Japan Oil, Gas and Metals (ISA) gegründet wurde, wurden die Ansprüche in offizielle National Corporation (JOGMEC) erfolgreich Bagger einsetzt, Pachtverträge umgewandelt. Als Rechtssubjekt war die ISA von um in Gewässern nahe Okinawa innerhalb der Ausschließlichen nun an für die Regulierung des Tiefseebergbaus im internatio- Wirtschaftszone Japans aus Tiefen von 1.600 Metern zink-, nalen Meeresboden (rechtlich bekannt als „das Gebiet“, in gold-, kupfer- und bleireiche Erze zu fördern.11 Ein weiteres diesem Report als „das internationale Gebiet“ bezeichnet) ver- Tiefseeabenteuer, das Projekt Solwara 1 der kanadischen Firma antwortlich.9 Die Rechtsvorschriften für die Exploration wurden Nautilus Minerals, das im Frühjahr 2019 in den Gewässern 2012 verabschiedet, woraufhin die ISA neue Lizenzen vergab. Papua-Neuguineas starten sollte, gilt inzwischen als gescheitert. Hinzu kamen die technologischen Fortschritte der Offshore- Wiederholte Rückschläge und steigende Kosten verhinderten Öl- und Gasindustrie der letzten zehn Jahre. Nachdem der den Fortschritt, das Unternehmen beantragte Insolvenz.12 Tiefseebergbau zunächst ein diffuses Konzept war, sieht es Nautilus wurde inzwischen von der Börse in Toronto dekotiert,13 nun so aus, als stünde die Erschließung unmittelbar bevor. das Projekt Solwara 1 zum Verkauf ausgeschrieben.14 Die finan- ziellen Schwierigkeiten des Unternehmens, die zum Verlust Bislang hat die ISA 29 Konzessionen zur Ausbeutung polyme- des ehrgeizig benannten Schiffes „New Era“ (neue Ära)15 führten, tallischer Knollen, Massivsulfide am Meeresboden und kobalt- zeigen, mit welch hohen Risiken der Tiefseebergbau für Inves- reicher Ferromangankrusten – die rund eine Million Quadrat toren verbunden ist. Der Premierminister von Papua-Neuguinea, kilometer des internationalen Meeresbodens abdecken – an dessen Vorgänger den Vertrag mit Nautilus unterzeichnet Förderstaaten wie Großbritannien, China, Frankreich, Belgien, hatte, spricht von einem „Abkommen, das nie hätte geschlos- Indien, Deutschland und Russland vergeben, die ihrerseits mit sen werden dürfen“.16 Vertragspartnern zusammenarbeiten. 17 Verträge beziehen sich auf die Exploration polymetallischer Knollen in der Clarion- Clipperton-Zone (16) und im Zentralindischen Becken (1). Zudem Die technischen Rückschläge beschränkten existieren sieben Verträge zur Exploration von Massivsulfiden am Meeresboden des Südwestindischen, Zentralindischen und sich nicht nur auf Projekte in nationalen Mittelatlantischen Rückens sowie fünf Verträge zur Gewinnung Gewässern: Global Sea Mineral Resources kobalthaltiger Krusten im Westpazifik.10 Obwohl das Interesse in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, findet der Tiefsee- (GSR), eine Tochtergesellschaft des bel bergbau nirgendwo auf internationalem Meeresboden statt – gischen Bergbautechnikunternehmens noch nicht. Bevor es zum kommerziellen Abbau kommen kann, muss die ISA die rechtliche Grundlage, den so genannten DEME, musste den Test seines Prototyps Mining Code, durch Anerkennung der Abbauvorschriften ver- vollständigen. Der Mining Code beinhaltet Regeln Vorschriften Patania II für die Ernte von Manganknollen und Verfahren, die alle Aspekte des Tiefseebergbaus wie Er auf unbestimmte Zeit verschieben. forschung, Exploration und Abbau auf dem internationalen Meeresboden regeln sollen. Doch der Mining Code, einschließ- Nur wenige Wochen vor dem geplanten lich der Umweltfragen, ist nicht der einzige Bereich des Rah- Test der Maschine im Pazifik war ein menwerks, der noch fertiggestellt werden muss. Die ISA hat auch die Aufgabe, die Vorschläge zur Höhe der Abgaben und wichtiges Stromkabel in 4.000 Metern Lizenzgebühren, die die ausführenden Unternehmen entrichten Tiefe beschädigt worden.17 müssen, weiterzuentwickeln. Die ISA strebt die Fertigstellung Der Stand der Dinge 7
Nur wenige große Bergbauunternehmen sind noch im Sektor Tiefseebergbau tätig. Anglo-American gab seine Nautilus- Diese Analyse zeigt die wichtigsten Regierungen Aktivitäten in Papua-Neuguinea bereits 2018 auf, um sich auf und Unternehmen, die den Tiefseebergbau seine „größten und vielversprechendsten Ressourcen“ zu kon- bereits erforschen28 zentrieren.18 Ein weiteres Unternehmen, UK Seabed Resources (UKSR), das mit der Exploration des größten Gebietes des Regierungen mit Lizenz zur Exploration des Tiefseebergbaus, internationalen Meeresbodens beauftragt wurde, ist eine nach Fläche Tochtergesellschaft des Rüstungsriesen Lockheed Martin. Mehrere leitende Nautilus-Mitarbeiter sind inzwischen für 1 China = 161,211.2 km | 263 Lizenzen DeepGreen tätig.19 Das Unternehmen hat sich zu einem der vehementesten Verfechter des Tiefseebergbaus entwickelt 2 Vereinigtes Königreich = 133,285.6 km | 2 Lizenzen und arbeitet mit der Großreederei Maersk sowie dem Rohstoffgiganten Glencore zusammen.20 3 Korea = 87,803.37 km | 257 Lizenzen Durch Kampagnen gegen Plastikverschmutzung und Doku- 4 Russland = 87,581.73 km | 233 Lizenzen mentarfilme wie die BBC-Produktion Blue Planet ist das öffentliche Interesse am Meeresschutz in den letzten Jahren 5 Deutschland = 86,920.16 km | 102 Lizenzen rasant gestiegen. Dennoch investieren einige Regierungen, die sich mit ihrem Engagement für Meeresschutz schmücken, Auftragnehmer für die Erforschung des Tiefseebergbaus, zugleich auch in den Tiefseebergbau. Die Europäische Kom- nach Fläche: mission betrachtet den Tiefseebergbau als Teil ihrer Wirtschafts- strategie „Blaues Wachstum“. Die EU-Investitionen in Projekte 1 UK Seabed Resources Ltd (Tochtergesellschaft und Innovationsströme mit Bezug zum Tiefseebergbau be von Lockheed Martin) = 133,285.6 km | 2 Lizenzen liefen sich zwischen 2012 und 2016 auf insgesamt 65 Millionen Euro. Bei den aktuelleren Investitionen lag der Fokus mehr 2 COMRA (China) = 88,104 km | 255 Lizenzen auf Technologien zur Förderung des Tiefseebergbaus als auf dem Schutz der Umwelt.21 3 Regierung der Republik Korea = 87,803.37 km 257 Lizenzen Seit einigen Jahren unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Deutschland industrielle 4 BGR (Germany) = 86,920.16 km | 102 Lizenzen Initiativen zum Tiefseebergbau sowohl politisch als auch finanziell. Das Ministerium stellt damit wichtige Weichen für 5 Regierung Indiens – MoES = 85,987.05 km die Weiterentwicklung des Sektors.22 Ähnlich sieht es im 102 Lizenzen Vereinigten Königreich aus: Einerseits verfolgt die britische Regierung eine „Blue Belt“-Politik der Meeresschutzgebiete, 6 IFREMER (Frankreich) = 85,058.64km | 103 Lizenzen andererseits erklärte ein Regierungsminister kürzlich vor dem Parlament, die Lockheed-Martin-Tochter UK Seabed Resources (UKSR) habe „die Hilfsbereitschaft der britischen Regierung bei der Beantragung einer Lizenz“ für exploratorische Tätig Schwarze Koralle, Meeresboden der Azoren © Greenpeace / Gavin Newman keiten erwähnt.23 UKSR-Geschäftsführer Christopher Williams eröffnete britischen Abgeordneten im Herbst 2018, sein Unternehmen erhielte bei der ISA diplomatische Unterstüt- zung durch die britische Regierung.24 In Belgien wurde der Wirtschaftsminister, der den Antrag von Global Sea Mineral Resources unterstützt hatte, nach Ende seiner Amtszeit Berater des Unternehmens und war in dieser Funktion mindestens ein Mal Teil der belgischen ISA-Dele gation.25 Unter großem öffentlichem Druck gab die belgische Regierung schließlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die 2018 im Rahmen ihrer Explorationsverträge durch geführten Aktivitäten heraus.26 Damit zeigte sie sich politisch sensibel gegenüber der öffentlichen Umweltdebatte zum Tiefseebergbau. Doch das Projekt erlitt Rückschläge, sodass die UVP schnell überholt war und die technischen Probleme beim Betrieb in der Tiefsee umso deutlicher wurden.27 8 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau
Der Verlust der “biologischen Vielfalt durch den Tiefsee- bergbau wird unvermeidlich sein” 9 Löwenmähnenqualle, Arktischer Ozean © Alexander Semenov
UMWELTRISIKEN Direkte Folgen: unvermeidliche und DURCH irreversible Schäden TIEFSEEBERGBAU Ferngesteuerte Bergbaumaschinen, die sich in über 1.000 Metern Tiefe bewegen, bohren und schneiden, führen unweigerlich zu direkten physischen Schäden am Meeresboden und zum Verlust der Artenvielfalt. Dies beinhaltet das Risiko, dass endemische Wissenschaftler und prominente Naturschützer begegnen der Arten aussterben, die sich nach Zerstörung ihres einzigartigen Aussicht, dass der Tiefseebergbau womöglich bald Realität wird, Lebensraums vermutlich nie wieder erholen werden.35 2017 mit klaren Warnungen. Sie weisen auf die Gefahr irreversibler warnten 15 führende Tiefseeexperten: „Die natürliche Erholung Schäden an den Ökosystemen hin. Dies schließe Systeme ein, der betroffenen Ökosysteme findet nur sehr langsam statt. die wir noch nicht einmal vollständig verstehen.29 Die Erschließ Daher wird das Gros der Verluste an Artenvielfalt durch Tiefsee- ung einer neuen industriellen Dimension im größten Ökosys- bergbau nach menschlichem Ermessen wohl ewig dauern.“36 tem der Erde und die Schwächung einer der wichtigsten Koh- lenstoffsenken birgt erhebliche Umweltrisiken.30 Besonders Tiefseearten, darunter Grönlandhaie und Korallen, gehören angesichts der dramatischen Biodiversitäts- und Klimakrise, vor zu den am längsten lebenden Lebewesen der Erde, aufgrund der die Meere und die gesamte natürliche Welt derzeit stehen. ihres langsamen Wachstums sind sie besonders anfällig für physische Störungen. Tiefseebergbau beinhaltet das Risiko katastrophaler, potenziell irreversibler Umweltschäden, sowohl an den Abbaustandorten Es gibt drei Hauptarten des Tiefseebergbaus: den Abbau von als auch in den breiteren Meeresgebieten. Der Tiefseeboden Massivsulfiden am Meeresboden rund um Hydrothermalquellen, unter dem offenen Ozean galt bis vor kurzem als relativ un die Gewinnung polymetallischer Knollen in Tiefseeebenen und belebt, aber die Tiefseeforschung zeigt stets aufs Neue, dass die Extraktion kobaltreicher Krusten auf Tiefseebergen. Zwar dies nicht der Fall ist. unterscheiden sich die Abbautechnologien und Methoden je nach Tiefseemineralien, doch an allen Standorten beinhaltet Die möglichen schädlichen Folgen des Tiefseebergbaus die Bergbautätigkeit hohe Risiken für die Lebewesen und umfassen:31 Ökosysteme des Meeres. • Unmittelbare Zerstörung des Lebensraums und der Organismen am Meeresboden Massivsulfidvorkommen am Meeresboden • Freisetzung von Schwebstofffahnen rund um Hydrothermalquellen • Veränderung des Substrats und seiner Geochemie • Freisetzung von Toxinen sowie Kontamination durch Die Unterwassertürme und -schlote hydrothermaler Quellen die Extraktions- und Abbauverfahren wurden erst in den 1970er-Jahren entdeckt. Weil niemand • Lärm- und Lichtverschmutzung daran glaubte, dass es in diesen extremen Tiefen tatsächlich Leben geben könnte, waren an der Expedition noch nicht ein- Teile des Meeresbodens wurden bereits für die Mineralien mal Biologen beteiligt.37 Doch in den hydrothermalen Quellen exploration freigegeben, viele davon in Gebieten mit hohem findet ein pulsierendes Leben statt. Rund 85 % der dortigen Biodiversitätswert.32 Die jüngst durchgeführte wissenschaftliche Arten sind nirgendwo sonst in den Ozeane zu finden. Die Arten- Analyse, Deep-Sea Mining with No Net Loss of Biodiversity – vielfalt ist so groß, dass Wissenschaftler seit der Entdeckung An Impossible Aim (Tiefseebergbau ohne Nettoverlust der der Quellen vor 25 Jahren durchschnittlich zwei neue Arten Biodiversität – ein unmögliches Ziel) zeigt, dass der Verlust der pro Monat beschreiben konnten. Hierzu zählen auch der men- biologischen Vielfalt durch den Tiefseebergbau unvermeidlich schengroße Röhrenwurm (Riftia pachyptila) und die Yeti-Krabbe ist.33 Überdies weisen die Autoren darauf hin, dass die ökologi- (Kiwa spp.), die an den Hydrothermalquellen des Südpolar schen Folgen für die Artenvielfalt der Tiefsee bislang unbekannt meers in 2.600 Metern Tiefe leben. sind und sich generationsübergreifend auswirken würden. Es sei daher schwer erkennbar, wie sich der Tiefseebergbau Die „Schwarzen Raucher“ liefern wichtige wissenschaftliche gesellschaftlich und wissenschaftlich akzeptabel gestalten Hinweise auf lebensbildende Prozesse. Man vermutet sogar, ließe. Dies gelte besonders für den Meeresboden des interna dass das Leben auf der Erde an hydrothermalen Quellen ent- tionalen Gebietes, das rechtlich als „gemeinsames Erbe der standen sein könnte. Alkalische Hydrothermalquellen („Weiße Menschheit“ eingestuft wird – die Hohe See. Eine weitere wissen Raucher“) haben indes das Interesse der NASA geweckt: schaftliche Veröffentlichung bezweifelt, dass die Kommer Anhand chemischer Signaturen sucht sie hier nach Hinweisen zialisierung des internationalen Meeresbodens tatsächlich der auf Leben in anderen Teilen des Sonnensystems.38 gesamten Menschheit zu Gute käme, und fragt: „Ist die kom- merzielle Ausbeutung der nicht erneuerbaren Meeresboden- Das Bewusstsein über die Bedeutung der hydrothermalen ressourcen heute wirklich im Interesse der Menschheit?“34 Quellen wächst. Trotzdem strebt die Tiefseebergbauindustrie die Gewinnung wertvoller Mineralien aus Massivsulfiden an. Sie sind das „Material“, aus dem die Quellen und ihr Geröll be- stehen. So hatte das Nautilus-Projekt Solwara 1, als erster kom- merzieller Tiefseebergbaubetrieb geplant, zum Beispiel die 10 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau
Tiefseekrake Casper lebt auf Manganknollen in rund 4000 Metern Wassertiefe. © Hohonu Moana Hydrothermalquellen in den Gewässern Papua-Neuguineas im Visier.39 Wissenschaftler mahnen, dass Hydrothermalquellen als welt- weit seltene Lebensräume geschützt werden sollten. Umso wichtiger sei dies, da wir nur sehr wenig über die Variation der Meereslebewesen zwischen den einzelnen Standorten wissen. Damit entstehen ernsthafte Zweifel an den Bemühungen der ISA, Umweltmanagement auf regionaler Ebene zu betreiben40 Der Bergbau an hydrothermalen Quellen wird „sehr wahr- scheinlich zum Verlust der biologischen Vielfalt durch direkte Zerstörung des Lebensraums und zur Veränderung der Geo- chemie der Schlotfluide führen“.41 Der Internationale Rat für Meeresforschung warnt, dass „besonders die an den Quellen lebenden endemischen Organismen durch den Tiefseeberg- bau gefährdet sind – sowohl durch Verlust der Habitate als auch durch lokale Ausrottung, denn der Bergbau wird vermut- lich alle großen Organismen und geeigneten Lebensräume der unmittelbaren Umgebung auslöschen.“42 Jüngste For- schungen zur Konnektivität zwischen den Quellen ergaben zudem, dass sich die Zerstörung einzelner Gemeinschaften auch auf andere, nahegelegene Quellen auswirken könnte.43 Umweltrisiken durch Tiefseebergbau 11
12 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau Carbonat-Türme im Hydrothermalfeld Lost City © NOAA / OAR / OER
CASE STUDY Amphipodenarten vor. Zu den selteneren, größeren Tieren gehören Krebse, Garnelen, Seeigel, Aale sowie zahlreiche LOST CITY Korallen. Eine Untersuchung der Lost City aus dem Jahr 2005 zeigt, dass etwa 58 % der Fauna endemisch sind.51 Aufgrund ihrer Seltenheit und großen Bedeutung hat die Eines der wohl bekanntesten Schlachtfelder des aufkommen- internationale Gemeinschaft die Lost City im Rahmen des den Tiefseebergbaus ist das Hydrothermalfeld Lost City – ein Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) als öko- „Schatz der Tiefsee“44 mitten im Atlantik. logisch und biologisch bedeutsames Meeresgebiet (EBSA) anerkannt. Die UNESCO würdigte ihren herausragenden uni- Die Lost City wurde 2000 vom Forschungsschiff Atlantis auf versellen Wert als potenzielle Welterbestätte auf hoher See.52 einer Expedition der National Science Foundation zum Mittel Trotzdem erteilte die ISA der polnischen Regierung im Februar atlantischen Rücken entdeckt. Die extremen Bedingungen 2018 eine Explorationsgenehmigung für ein 10.000 km2 des hydrothermalen Schlotfeldes waren bis dato einzigartig in großes Gebiet, das die Lost City miteinschließt und sich mit der Meeresbiosphäre, sodass die neu entdeckte Lost City in der dem EBSA überschneidet.53 Wissenschaft für viel Wirbel sorgte.45 In der Lost City, benannt nach ihrer spektakulären Ansammlung aktiver kalkhaltiger Initiator des polnischen Gebots war Berichten zufolge Polens Schlote, die an eine verlassene Metropole erinnern, nach dem damaliger stellvertretender Umweltminister und Chefgeologe Forschungsschiff Atlantis sowie ihrer Lage in der Nähe der Mariusz Orion Jędrysek. Seine Versuche, in seinem Heimatland Tiefseeberge des Atlantis-Massivs und der Atlantis-Bruchzone, Hydraulic Fracturing oder Fracking für Schiefergas anzustoßen, wimmelt es nur so von außergewöhnlichen Lebensformen.46, 47 scheiterten. Im Juli 2018 wurde er dann Präsident der ISA-Ver- sammlung.54 Das polnische Umweltministerium teilte Repor- Die Lost City ist ein „weißer Raucher“, entstanden durch die tern mit, dass die Forschungsinvestitionen zur Identifizierung Reaktion des angewärmten Meerwassers mit dem 1,5 Millionen des Bergbaupotenzials in der Region aus dem Staatshaushalt Jahre alten, magnesiumreichen Mantelgestein. Bei der Reaktion und dem nationalen Umweltfonds NFOŚiGW stammten.55 wird Wärme freigesetzt, und ein Teil der Mineralien des Gesteins Bis zum Frühjahr 2019 hatten die NFOŚiGW-Beamten jedoch löst sich auf. Das dabei entstehende heiße alkalische Wasser weder Informationen noch Vorschläge zur Kofinanzierung erreicht Temperaturen von bis zu 90 Grad Celsius und pH-Werte des Projekts erhalten.56 von 9 bis 10,8. Als gut sichtbare weiße Fahnen steigt es aus den Rissen des Meeresbodens auf. Wenn sich das kalzium-, methan- Wissenschaftler warnen, dass jegliche Form des Bergbaus das und wasserstoffreiche heiße Wasser mit dem kühleren Meer- einzigartige Ökosystem zerstören könnte, noch bevor es um- wasser vermischt, kommt es zu Karbonatausfällungen, und es fassend verstanden wurde. Einige von ihnen haben vorgeschla bilden sich hohe Schornsteine, anmutige Zinnen, zerbrechliche gen, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, damit die Umwelt bei Flanschen sowie bienenstockförmige Ablagerungen.48 Das wissenschaftlichen Unsicherheiten geschützt wäre. Zudem Zentrum des Hydrothermalfeldes Lost City wird vom aktiven sollten alle aktiven Schlote aufgrund ihrer Verletzlichkeit, ihrer Schlot Poseidon beherrscht. Mit einer Höhe von 60 Metern über individuellen und potenziell gleich hohen Bedeutung und auf- dem Meeresboden und einem Durchmesser von 15 Metern an grund ihres herausragenden kulturellen und wissenschaftlichen der Spitze ist er die größte Schlotstruktur, die bisher entdeckt Wertes für die Menschheit vor den direkten und indirekten wurde. Die Datierung zeigt, dass es sich bei der Lost City um das Folgen des Bergbaus geschützt werden.57, 58 langlebigste bisher bekannte unterseeische Hydrothermalsystem der Weltmeere handelt. Die Kohlenstoffdatierung liefert Hin- Rafał Janica vom Polnischen Geologischen Institut hat die weise, dass die Entgasung schon seit mindestens 30.000 Jah- Lost City als „heiliges Land für Ökologen“ bezeichnet.59 Professor ren stattfindet und einzelne Schlote seit über 300 Jahren aktiv Gretchen Früh-Green, die das Schlotfeld mitentdeckte, betont, sind. Die Modellierung lässt zudem darauf schließen, dass das welch wichtige Rolle die Lost City für das Verständnis der Pro- System noch bis zu einer Million Jahre aktiv bleiben könnte.49 zesse aus der Frühzeit der Erde spiele. Sie warnt: „Es ist unsere Geschichte, die Geschichte der Erde. Und wenn wir diese stö- Die Karbonatschlote der Lost City sind voller Mikroben. Ihre ren, wissen wir weder, wie schnell sie sich erholt, noch, wie sich porösen Innenwände sind mit Biofilmen bedeckt, die von einem die Störung auf die Chemie der Meere auswirken könnte.“60 einzigen Phylotyp von Archaeen (Mikroben ohne Zellkern) do- miniert werden, die sich von Wasserstoff und Methan ernäh- Stark kritisiert wird die Lizenzvergabe von der High Seas Alliance, ren. Die Schlotaußenwände, deren Chemie sich vom Inneren einer Partnerschaft aus fast 40 Organisationen und Gruppen, unterscheidet, sind dicht besiedelt mit Bakterien, die Schwefel die sich für einen starken globalen Meeresvertrag einsetzen. und Methan oxidieren, um Energie zu gewinnen.50 Die riesige Die Vergabe einer Explorationsgenehmigung für die Lost City Oberfläche und die fein modellierten Formen der Lost-City- ist in ihren Augen ein Zeichen „mangelnder Koordination Strukturen bieten kleinen Lebewesen zahlreiche Poren, Risse zwischen den einzelnen Regelwerken zur Bewirtschaftung der und Spalten, in denen sie sich niederlassen können. Viele haben Meere.“ Für die ISA werde es damit deutlich schwieriger, jedoch transparente oder durchsichtige Schalen, sodass sie mit Entscheidungen zu treffen, die sich mit dem Vorsorgeprinzip ferngesteuerten Fahrzeugen nur schwer auszumachen sind. und einem Ökosystem-basierten Ansatz vereinbaren lassen.61 An den aktiven Schloten herrschen diverse Schnecken- und Case study 13
Polymetallische Knollen in Tiefseeebenen In Tiefen zwischen 3.000 und 6.000 Metern liegen weite Flächen von Tiefseeebenen. Während ihre Biomasse als relativ gering eingeschätzt wird, ist die Biodiversität dort sehr hoch. Die Tiefseeebenen sind nicht nur Lebensraum zahlreicher Mik- roben, sondern auch diverser kleiner wirbelloser Organismen, die im Meeresboden leben oder sich durch ihn hindurchgra- ben. Hierzu zählen Nematoden, Polychaeten, Krebs- sowie Weichtiere. Eines dieser speziell angepassten Lebewesen ist eine durchsichtige Anemone (Losactis vagabunda), die sich ihren Weg durch das Sediment bahnt und Würmer frisst, die über das Sechsfache der eigenen Masse verfügen.62 Ein weite- res Beispiel ist der 2002 entdeckte „Zombie-Wurm“ (Osedax spp.). Er ernährt sich von Walfischkadavern am Meeresgrund, indem er eine Säure freisetzt, die die Walknochen auflöst. Zu den größeren Tieren, die in den Tiefseeebenen leben, zählen Seegurken, Schlangensterne und Seeigel.63 In den Tiefseeebenen wachsen auch polymetallische Knollen, Buckelwal, Indischer Ozean © Paul Hilton / Greenpeace die unter anderem Mangan und Eisen enthalten. Die kartoffel ähnlichen Knollen entwickeln sich im Laufe von Jahrmillionen und erreichen Durchmesser von vier bis zehn Zentimetern. Kobaltreiche Krusten auf Tiefseebergen In der Forschung gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen diesen Knollen und Arten wie der Schwarzen Koralle, Unterwasserberge erheben sich mehr als einen Kilometer aus die als Indikator empfindlicher Meeresökosysteme gelten.64 dem Meeresboden zum Teil bis dicht unter die Meeresober fläche. Wegen ihrer reichen Artenfülle werden sie als Oasen Die Mehrzahl der bisher von der ISA vergebenen Explorations der Hohen See beschrieben. Sie leiten zum Beispiel Nährstoffe verträge konzentriert sich auf eben diese Knollen. Nach An- in die Oberflächengewässer, um dort das Wachstum von sicht von Experten wird der Abbau der Knollen „der lokalen Korallen, Anemonen, Federsternen und Schwämmen zu unter- Umwelt am Meeresboden erheblichen Schaden zufügen, stützen. Die unterseeischen Berge sind vulkanischen Ursprungs das lässt sich praktisch nicht vermeiden“.65 Außerdem könnte und bieten auch Schildkröten, Walen und Fischen Nahrung. er zu einem dramatischen Verlust an Lebensraum führen, Von einigen Wanderarten werden sie zudem als Wegpunkte einzigartige Arten, die nirgendwo sonst in unseren Meeren genutzt. So können beispielsweise Buckelwale, die von ihren zu finden sind, könnten aussterben. Brutgebieten rund um Neukaledonien in die Antarktis wan- dern, die Seeberge entlang ihrer Wanderroute als Nahrungs- Bis sich Manganknollen physisch erholen, dauert es Millionen gebiet nutzen.71 von Jahren.66 Unklar ist, ob sich die von ihnen abhängigen Lebewesen überhaupt erholen können, sobald die Knollen Wissenschaftler empfehlen, Seeberge als empfindliche abgeerntet sind. Als Forscher nach 26 Jahren an die Stelle der Meeresökosysteme zu klassifizieren.72 Nachdem ein Rückgang Clarion-Clipperton-Zone (CCFZ) zurückkehrten, an der man der faunischen Biodiversität durch Tiefseefischerei festgestellt mit Knollengewinnung experimentiert hatte, stellten sie fest, worden war, sprachen sie sich dafür aus, die Schleppnetz dass die Spuren der Minenfahrzeuge immer noch deutlich fischerei an den betroffenen Unterseebergen zu verbieten. sichtbar waren. Gegenüber anderen, ungestörten Gebieten in Es ist so gut wie sicher, dass der Tiefseebergbau noch schäd unmittelbarer Nähe hatten sich sowohl die Anzahl als auch die licher als die Fischerei wäre. Um Kobalt zu gewinnen, werden Vielfalt der Gemeinschaften verringert.67 Dies führte zu War- die Krustendecken der Seeberge entfernt und damit un nungen, dass der Abbau von Knollen in der Tiefsee „möglicher wiederbringlich zerstört. Da bisher nur etwa 0,002 % der laut weise den irreversiblen Verlust einiger Ökosystemfunktionen wissenschaftlichen Schätzungen existierenden Seeberge zur Folge haben könnte“.68 Ein Vertreter der Lockheed-Martin- untersucht wurden, gibt es hier noch viel zu entdecken.73 Tochter UK Seabed Resources, die die britischen Lizenzen im Pazifik hält, räumte ein, dass diese Untersuchung bereits ein Zwar wurde die Exploration in internationalem Gebiet, bislang „Aussterben innerhalb des Bergbaugebiets“ für bestimmte noch nicht lizensiert, doch die bereits erteilten Lizenzen erlau- Organismen festgestellt habe. Bei einer parlamentarischen An ben den Vertragspartnern die Durchführung eines „Testabbaus“ hörung hätte er selbst aber die Situation als „gemischtes Bild“ am Meeresboden – mit klaren Folgen für die Umwelt. Jüngst dargestellt.69 Schätzungen zufolge hat ein einziger Bergbau- pries ein Unternehmen der Lieferkette auf einer Branchen betrieb, der 20 Jahre lang polymetallische Knollen in der CCFZ konferenz eine fragwürdige Technologie an: Mithilfe eines abbaut, direkte Auswirkungen auf 8.500 km2 Meeresboden.70 Probenahmesystems für polymetallische Knollen blieben die Bergbauunternehmen immer knapp unter dem in der Um- weltverträglichkeitserklärung festgelegten Schwellenwert von 10.000 km2 Fläche. Nähert sich der Kontraktor diesem Wert, wird ein Echtzeitalarm ausgelöst.74 14 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau
Weitreichende Folgen für die Meere beschrieben wurden.“77 Auch wenn es darum geht, die Rolle der Tiefsee bei der Bindung und Speicherung von Kohlenstoff Die Maschinen, die womöglich schon bald am Meeresboden zu verstehen, stehen wir noch ganz am Anfang. schneiden und ernten, erzeugen Sedimentfahnen, die die Habi tate des Meeresbodens kilometerweit um die Abbaustätte Die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten am Internationalen herum ersticken könnten. Darüber hinaus würden die dazu ge- Seegerichtshof betont, wie wichtig es sei, dass die Regierungen hörenden Schiffe erstickende, potenziell giftige Schadstoffe in bei der Exploration des Tiefseebergbaus das Vorsorgeprinzip die Wassersäule einleiten. Das schwebstoffhaltige Wasser würde anwendeten. In ihrem Gutachten von 2011 stellt die Kammer sich ausbreiten – was weit über die Tiefsee hinaus Folgen für fest, dass Regierungen, die Verträge zur Erforschung von Knol- eine sehr viel größere Bandbreite an Meereslebewesen hätte. len und Sulfiden fördern, direkt zur Anwendung des Vorsorge- prinzips verpflichtet seien, falls „ernste oder irreversible Schäden Noise generated by machinery also risks harming and disturbing drohen“. Dies gelte „in Situationen, in denen die wissenschaft marine mammals and other marine creatures, including causing lichen Erkenntnisse über den Umfang und die potenziellen temporary or permanent damage to hearing, while artificial Negativfolgen der betreffenden Aktivität unzureichend sind, floodlighting of operations could cause Je nachdem, wo die es aber plausible Hinweise auf mögliche Risiken gibt“.78 Schadstofffahnen freigesetzt werden, kann die Verschmutzung Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern zurücklegen. Warum dies auch für Menschen wichtig ist Der Maschinenlärm birgt zudem das Risiko, dass Meeressäuge Die Ozeane, in denen Arten in großer Vielfalt gedeihen, haben tiere und andere Meerestiere gestört und geschädigt werden. bereits einen hohen Eigenwert. Zusätzlich üben gesunde Meere Dies könnte unter anderem zu temporären oder dauerhaften eine wichtige Funktion im globalen Kohlenstoffkreislauf aus Gehörschäden führen. Überdies könnte das künstliche Flutlicht und sind unverzichtbar für die Nahrungssicherheit und Exis- des Bergbaus die Meerestiere, die an das wenige natürliche tenz von Milliarden von Menschen weltweit. Tiefseebergbau Licht der Tiefsee angepasst sind, dauerhaft beeinträchtigen. birgt die Gefahr, dass die Fischgründe durch Störung der Lebens räume, Verschmutzung der Wassersäule und Eingriff in die Mangelnde Kenntnis der Tiefsee verhindert Nahrungskette der Meere beeinträchtigt werden. Im Subsea verantwortungsvolle Risikominderung Mining Capability Statement Großbritanniens, das im April 2017 unter Informationsfreiheit veröffentlicht wurde, heißt es: „Die Eine Forschergruppe stellte 2018 fest, dass ein Risikomanage- mit dem Unterwasserbergbau verbundenen Aktivitäten könn- ment des kommerziellen Tiefseebergbaus weder aus finanziel ten negative Folgen für lokal begrenzte Populationen haben. ler noch aus ökologischer Sicht durchführbar wäre.75 Neben den Einzigartige Arten, die die erste Stufe der Nahrungskette bilden, bekannten Bedrohungen werden effektive Basis- und Folgen- könnten möglicherweise aussterben – mit spürbaren Folgen abschätzungen für die Tiefsee auch aufgrund der dramatischen für die gesamten Weltmeere.“80 Wissenschaftler warnen, dass wissenschaftlichen Lücken erheblich erschwert. Zwar macht die „Regionen, die existenziell auf Fischbestände angewiesen sind, Tiefsee über 95 % des bewohnbaren Raums unseres Planeten besonders anfällig gegenüber den Folgen des Tiefseebergbaus aus, doch nur etwa 0,0001 % des Tiefseebodens wurden bisher sein könnten.“81 Interessenvertreter des Fischereisektors wie untersucht.76 Bei fast jeder Expedition in die Tiefe stoßen die der Beirat der Langstreckenfangflotte der EU haben ein Mora- Biologen auf neue Arten. So sind Schnabelwale und Yeti-Krab- torium für den Tiefseebergbau in internationalen Gewässern ben erst in den letzten 20 Jahren entdeckt worden. Über die gefordert. Ihre Begründung: „Wissenschaftler und Vertreter der chemischen, physikalischen und biologischen Prozesse der Zivilgesellschaft haben ernste Bedenken geäußert. Außerdem Tiefsee, ihre Folgen für die Gesundheit der Meere im Allgemeinen ist es wahrscheinlich, dass sich der Tiefseebergbau negativ, und darüber, wie sie durch den zunehmenden Klimawandel möglicherweise sogar gravierend auf Fischgründe, Fischarten, und die Versauerung der Ozeane beeinflusst werden, gibt es andere marine Arten und die Meeresumwelt auswirkt.“82 somit noch viel zu lernen. Der Bergbau birgt die Gefahr, dass die Lebensräume der Tiefsee irreparabel gestört werden, noch Medizinische Forscher haben zudem davor gewarnt, dass der bevor wir umfassend verstehen, was sich auf dem Meeresgrund Tiefseebergbau die genetischen Ressourcen der Tiefsee be befindet. Die Behauptung, ein sicheres Management sei mög- einträchtigen könnte. Es besteht ein wachsendes Interesse, lich, ist schlichtweg verantwortungslos. Wissenschaftler warnen, ihre Eignung für die Medizin, etwa als Quelle neuer Antibiotika dass „es unmöglich ist, die genetische oder demographische oder Krebsmedikamente, zu untersuchen.83 Konnektivität für Arten vorherzusagen, die noch nicht einmal Wir wissen kaum etwas darüber, wie sich die Ökosysteme der Tiefsee als Reaktion “ auf menschliche Eingriffe und natürliche Schwankungen verändern und welche Folgen diese Veränderungen haben. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Erholungszeit Jahrzehnte umfassen wird und sich die Ökosysteme – zumindest in bestimmten Gebieten – womöglich nie mehr erholen werden.” – Damals amtierender stellvertretender ISA-Generalsekretär Michael Lodge 79 Case study 15
Der Bergbau birgt ein weiteres Klimarisiko: Der in den Tiefsee- sende Bewertung nachhaltigerer Alternativen abzugeben und sedimenten gespeicherte Kohlenstoff wird freigesetzt und stört zu gewährleisten, dass die Ergebnisse offen und transparent so die natürlichen Prozesse, die den Aufbau der Speicher unter in die Debatte einflössen. Zudem forderten sie, dass die ISA die stützen. Es ist bekannt, dass Tiefseesedimente ein wichtiger Vergabe von Aufträgen für die Tiefseeexploration zwischen- Langzeitspeicher für „blauen Kohlenstoff“ sind, der auf natürliche zeitlich einstellen und vorerst keine Verträge mehr für die Weise von den Meereslebewesen absorbiert wird. Wenn die Ausbeutung vergeben sollte. Lebewesen sterben, wird ein Teil des Kohlenstoffs zum Meeres boden transportiert. Wissenschaftler warnen, dass Tiefseeberg Derzeit formiert sich eine wachsende politische Bewegung bau die Sedimente physikalisch stören, die Kohlenstoffbindung gegen die Erforschung des Tiefseebergbaus. Im Januar 2018, unterbrechen und den gespeicherten Kohlenstoff wieder ins als Portugal erwog, Nautilus eine Schürflizenz für die azorischen Wasser freisetzen könnte. Somit besteht die Gefahr, dass der Gewässer zu erteilen, wies die Regierung der Azoren auf die Tiefseebergbau auch die Langzeitbindung von Kohlenstoff in inakzeptablen Risiken hin. In einer Debatte des Europäischen Tiefseesedimenten beeinträchtigt.84 Die Forschung legt außerdem Parlaments erklärte sie: „Mit größerem Wissen, mehr Klarheit nahe, dass hydrothermale Quellen als ein Schwerpunkt der und mehr Engagement könnte sich unsere Position ändern, Bergbauindustrie von globaler Bedeutung für die Verteilung von aber fürs Erste sagen wir nein zum Tiefseebergbau“.91 Kurz zuvor organischem Kohlenstoff in Tiefseesedimenten sein könnten.85 hatte das Europäische Parlament ein internationales Moratorium für den Tiefseebergbau gefordert.92 Ein parteiübergreifender Die Lizenzen der britischen Regierung decken größere Teile des Abgeordnetenausschuss Großbritanniens, der Beweise aus internationalen Meeresbodens ab als die jeder anderen Regie- Industrie, Wissenschaft und Naturschutz sammelte, kam der- rung außer China, dennoch haben die Briten die Bedrohung weil zu dem Schluss, dass „der Tiefseebergbau katastrophale anerkannt. Sie räumen ein, dass die für den Tiefseebergbau Folgen für die Lebensräume und Arten am Meeresboden hätte vorgesehenen Habitate „ökosystemare Leistungen wie Nähr- und es kaum Anzeichen dafür gibt, dass Maßnahmen zur stoffkreisläufe und Kohlendioxidspeicherung erbringen, von Schadensbegrenzung, etwa die Sperrung bestimmter Bereiche denen die Klimaregulierung und Nahrungsmittelproduktion des Meeresbodens, funktionieren werden.“93 Erst kürzlich weitreichend profitieren“.86 In seinem jüngsten Bericht zu glo- zitierte der ehemalige Präsident des Rates und der Versamm- balen strategischen Risiken führt das britische Verteidigungs- lung der ISA sowie heutige UN-Sondergesandte für die Ozeane, ministerium die Tatsache, dass „unkontrollierter Meeresboden Peter Thomson, die Forderungen nach einem zehnjährigen abbau die Meeresökosysteme destabilisiert“, als Indikator für Moratorium für den Tiefseebergbau, das mit der UN-Dekade der sein schlimmstes „Fragmentierungs“-Szenario an.87 Ozeanwissenschaften (2021 bis 2030) zusammenfallen soll. Er schloss mit der Frage: „Sollten wir das Jahrzehnt nicht erst Auch weltbekannte Naturschützer äußern starke Bedenken einmal abwarten, bevor wir erwägen, den Meeresboden der gegen die Öffnung des Meeresbodens für den Bergbau. Hohen See zu stören? Wir sprechen hier von einem Moratorium David Attenborough bezeichnet die Aussicht auf Tiefseeberg- [für den Tiefseebergbau] von zehn Jahren.“94 bau als „herzzerreißend“ und „tief tragisch (...), da die Mensch- heit ohne Rücksicht auf die Folgen einfach weiterpflügt, ohne zu wissen, welche Folgen sie überhaupt erwarten“.88 In einer aktuellen Folge der Sendung Blue Planet Live warnt Chris Packham: „Wenn wir nicht sorgsam mit den Meeren umgehen, was könnten wir dann alles verlieren, bevor wir überhaupt von seiner Existenz wissen?“ Die Ozeanografin Sylvia Earle be- zeichnet den Tiefseebergbau als „Landraub“ und fragt: „Wenn wir die wenigen verfügbaren Rohstoffe der Tiefsee, deren Existenz wir kennen, schon jetzt im Geiste mit Dollarzeichen versehen, wie groß wird dann unser Opfer? Wir haben noch nicht einmal begonnen, das Meer richtig zu erforschen, da planen wir schon seine Ausbeutung.“89 Im April 2018 forderten 50 NGOs aus aller Welt die Internatio- nale Meeresbodenbehörde ISA auf, grundlegende Fragen zur Notwendigkeit des Tiefseebergbaus und zu den langfristigen Folgen für den Planeten und die Menschheit zu diskutieren.90 Die Gruppe rief die ISA mit Nachdruck dazu auf, eine umfas- Wenn wir die wenigen verfügbaren Rohstoffe der Tiefsee, deren Existenz wir kennen, “ schon jetzt im Geiste mit Dollarzeichen versehen, wie groß wird dann unser Opfer? Wir haben noch nicht einmal begonnen, das Meer richtig zu erforschen, da planen wir schon seine Ausbeutung.“ – Sylvia Earle, Ozeanographin 16 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau
17 Die Pflanzenwelt am Meeresboden der Azoren © Greenpeace / Gavin Newman
18 In den Tiefen der Ozeane: Die zunehmende Bedrohung durch den Tiefseebergbau Asiens größte Blei- und Zinkmine in China © Greenpeace / Ke Lin
WIE DIE INDUSTRIE hinweg, dass die Sorge um die Umwelt äußerst selektiv ist. Die Industrie macht sich die anhaltende, seriöse Diskussion DIE ZUKUNFT über Ressourcen für die Speicherung erneuerbarer Energien und Batterien von Elektrofahrzeugen zunutze, um ihre finan BEHERRSCHEN WILL ziellen Eigeninteressen durchzusetzen. Die Argumente, die die Tiefseebergbauindustrie in ihrer politischen und öffentlichen Kommunikation benutzt, entbehren jeglicher Grundlage oder Zustimmung seitens der kohlenstoffarmen Industrie, egal, Die Tiefseebergbauindustrie hat erkannt, dass Umweltbelange, ob es sich um Akteure der Bereiche erneuerbare Energien, insbesondere die drohende Zerstörung endemischer Öko Elektromobilität oder Batterien handelt. Ganz im Gegenteil: systeme, den Fortschritt erheblich behindern. UK Seabed Einige große Batteriehersteller wie Tesla und Panasonic haben Resources räumt ein, dass „das Hauptrisiko darin besteht, dass sich bereits dazu verpflichtet, im kommenden Jahrzehnt das Ernten polymetallischer Knollen am Meeresboden ent schrittweise auf Kobalt, eines der Zielmetalle des Tiefseeberg- weder ökologisch oder kommerziell nicht tragbar ist“.95 baus, zu verzichten.100 Im Protokoll eines Treffens von Interessenvertretern des briti- schen Tiefseebergbaus im Jahr 2016, das veröffentlicht wurde, In seinem 2016 veröffentlichten Bericht über erneuerbare nachdem die investigative Nachrichtenplattform Unearthed Energien und Tiefseebergbau kommt das Institute for Sustain- von Greenpeace UK einen Antrag auf Zugang zu Informationen able Futures (ISF) zu dem Schluss, dass „der Übergang zur gestellt hatte, steht: „Alle waren sich einig, dass Umweltbe- hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien – denken der größte Hinderungsgrund für den Fortschritt sind.“96 oft als ‚Energierevolution‘ bezeichnet – ohne Weiteres auf Tiefseebergbau verzichten kann. Selbst wenn es, wie aus den Offenbar ist die Tiefseebergbauindustrie fest entschlossen, ihre ambitioniertesten Energieszenarien hervorgeht, zu sehr hohen immensen negativen Folgen für die Umwelt in ein politisch Wachstumsraten in der Nachfrage kommen sollte, erfordert akzeptables Licht zu rücken, indem sie die eigene Branche als der prognostizierte Anstieg der Nachfrage – auch unter Ein unverzichtbar für die Entwicklung einer kohlenstoffarmen beziehung der bekannten terrestrischen Ressourcen – keine High-Tech-Zukunft darstellt. Diese Vorgehensweise erinnert Tiefseebergbauaktivitäten“.101 Auch das Klimamodell One Earth stark an die Ölindustrie: Zuerst wird früh ein Bewusstsein für von 2019 zeigt Wege des globalen Übergangs zu 100 % erneuer die möglichen katastrophalen Umweltfolgen ihrer Tätigkeit baren Energien auf, die mit dem maximalen Temperaturanstieg geschaffen. Parallel dazu verfolgte die Industrie eine Entwick- von 1,5 Grad Celsius des Paris-Abkommens vereinbar wären. lungsstragie jenseits der Öffentlichkeit, bis sie die Politik er- Anstatt der Metall- oder Mineraliengewinnung Tür und Tor folgreich davon überzeugt hat, dass sie für den wirtschaftlichen zu öffnen, setzt One Earth entschieden auf Recycling und Wohlstand unverzichtbar sei. Gerard Barron, CEO und Vorsit- ressourcenschonendes Design.102 zender des kanadischen Bergbauunternehmens DeepGreen Metals, erklärte den Regierungen: „Mir persönlich ist es sehr Die UN warnen vor den Risiken der anhaltenden Ressourcen- unangenehm, wenn man uns als Tiefseebergleute bezeichnet. ausbeutung und fordern den Übergang zu einer nachhaltigen Wir von DeepGreen sehen uns nicht als Entwickler eines Berg- Wirtschaft einschließlich der Reduzierung des Rohstoffver bauunternehmens. Unser Geschäft ist der Übergang, sprich: brauchs sowie Recycling und Kreislaufwirtschaft.103 Im Einklang Wir wollen der Welt helfen, die Abkehr von fossilen Brenn mit der UN-Agenda 2030 fordert die Deep Sea Conservation stoffen mit möglichst geringen Klima- und Umweltfolgen zu Coalition (DSCC), ein Zusammenschluss aus über 80 NGOs, beim vollziehen. Das ist der Beitrag zum Gemeinwohl, den wir leis- weltweiten Verbrauch von Bodenschätzen Nachhaltigkeit, ten möchten.“97 Der ehemalige Nautilus-CEO Mike Johnston Wiederverwendung, verbessertes Produktdesign und Materia- betrachtet es angesichts des Vorhandenseins von „Metallen, lienrecycling in den Vordergrund zu stellen.104 die für die grüne Wirtschaft wichtig sind“, als „unvermeidlich, dass wir wesentliche Ressourcen vom Meeresboden zurück Die Tiefseebergbauindustrie baut ihre Argumentation gezielt gewinnen“.98 Global Sea Mineral Resources (GSR), die Abteilung auf einer sehr eng gefassten, falschen Zweiteilung auf: auf der für Tiefseeexploration des belgischen Unternehmens DEME, einen Seite die fortgesetzte Metallgewinnung für Lithium-Ionen- wandte sich kürzlich mit einem Hintergrundbriefing an Batterien aus vorhandenen terrestrischen Quellen – ein Um- Organisationen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen: feld, in dem Arbeiter und umliegende Gemeinden oft unter „Während wir auf eine dekarbonisierte Wirtschaft hinarbeiten, Menschenrechtsverletzungen leiden –, auf der anderen Seite nimmt die Nachfrage nach seltenen Mineralien exponentiell die Erschließung einer neuen Bergbauregion in der Tiefsee, und unaufhaltsam zu. Die GSR erkennt an, dass die Befriedi- welche die Gefahr weitreichender Umweltzerstörung mit sich gung dieser Nachfrage durch terrestrischen Bergbau unhaltbar bringt. Ein zunehmender Fokus auf ein Umdenken im Produkt ist und unseren Planeten irreparabel schädigen wird (…) design gekoppelt mit angestrebter Nachfrageverringerung Die Tiefsee bietet hierzu eine gangbare Alternative.“ Überdies und Wiederverwertung anstatt weiterer Ausbeutung könnte hat UK Seabed Resources Interesse am Tiefseebergbau mit dieser Debatte jedoch nach und nach den Boden entziehen. Blick auf die Sicherung der Versorgung für „saubere Energie- anwendungen wie Elektrofahrzeuge“ bekundet.99 Der Kampf für die Menschenrechte sowie der Schutz der Um- welt, um saubere Luft, Ernährungssicherheit und Klimaschutz Das vermeintliche Interesse der Tiefseebergbauindustrie an zu gewährleisten, sind untrennbar miteinander verbunden. einer kohlenstoffarmen Zukunft täuscht geschickt darüber Beides wird aber weltweit durch die Aktivitäten der mineral- Wie die Industrie die Zukunft beherrschen will 19
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