Metabolischer Stress bei Milchkühen und Kälbern - Probleme und Perspektiven Martin Kaske - Kolloquium "Angewandte Ethologie" AgroVet-Strickhof ...
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Kolloquium "Angewandte Ethologie„ AgroVet-Strickhof Lindau 07. September 2021 Metabolischer Stress bei Milchkühen und Kälbern - Probleme und Perspektiven Martin Kaske
Die Entwicklung der Wiederkäuer 65 Oligozän Millionen Jahre 26 Miozän 7 Pliozän 2 Pleistozän Dicotyle- Andere Gräser Bovidae Giraffidae Cervidae Tragulidae Mono- donen cotyle- donen (Janis 1976, Hume & Warner 1980)
Die Cellulose im Gras wird durch Mikroorganismen im Vormagen abgebaut - und das Rind profitiert davon … • hoher Anteil an Protozoen ( Einzeller ) Gerüstsubstanzen Bakterien Pilze • wenig Protein
Ernährungsstrategie unserer Haustiere Departement für Nutztiere 5 mM 5 mM Starch Cellulose, starch Cellulose, starch SCFA Glucose Glucose Glucose SCFA SCFA SCFA
Ernährungsstrategie unserer Haustiere Departement für Nutztiere Starch Cellulose, starch Cellulose, starch SCFA Glucose Glucose Glucose SCFA SCFA SCFA
Milchproduktionssysteme weltweit Mitteleuropa, Nordamerika - Maissilage, Grassilage, Kraftfutter Indien, Pakistan, Bangladesh - Stroh, Stroh-Harnstoff-Silage Neuseeland, Küsten, Bergregionen - Gras und Grünland („low input system“) Brasilien, RSA, Nordaustralien - Zuckerrohr, Baumwoll-, Orangenabfälle, getrockneter Geflügelkot Unter allen Bedingungen wird die gleiche Milch produziert ! ( H. H. D. Meyer, pers. Mitt. )
Was bedeutet eine hohe Milchleistung ? 10‘000 kg Milch in 305 Tagen 1.3 Tonnen Trockensubstanz 32 GJ NEL für Milchsynthese 12 GJ NEL für die Kuh
Das aggressive Euter …
Tägliche Glucoseproduktion einer Kuh bei 50 kg Milch / Tag Milch extramammäre Gewebe
Glucose, das Euter und die Kuh …
Milchleistung und Energiebedarf Energie- 250 bedarf [ MJ NEL / d ] 200 150 100 50 0 Erhal- + 10 + 20 + 30 + 40 + 50 kg Milch / Tag tung
Input und Output bei der Milchproduktion : 1944 vs. 2007
Milchleistung und Energiebedarf Energie- 250 bedarf [ MJ NEL / d ] 200 150 100 50 0 Erhal- + 10 + 20 + 30 + 40 + 50 kg Milch / Tag tung
”Transition period”, Transit-Periode d -56 d -21 Kalbung d +21 d +90 “Far off” “Close up” Trockenstehzeit Dry period “Fresh cow” Laktation “Early lactation” Hohes Risiko für Produktionskrankheiten
Der Laktationsstart verursacht metabolischen Stress … Day 270 Day 4 p. insem. p. p. Glucose 1 3 Neujustierung des Stoffwechsels Amino acids 1 2 Fatty acids 1 5 Calcium 1 4 Insulin Glucagon () Cortisol, GH Glucosesynthese Fettmobilisierung ( Drackley 2002, Overton and Waldron 2004 )
Nach der Abkalbung steigt die Futteraufnahme innerhalb von 5-10 Wochen auf maximale Werte ( Ingvartsen & Andersen 2000 )
Milchleistung und Energiebedarf - Grenzen in der Energiedichte der Ration - Milch- Energie- Futteraufnahme Erforderliche leistung bedarf1) Energiedichte [ kg/Tag ] [ MJ NEL/Tag ] [ kg TS/Tag ] [ MJ NEL/kg TS ] 20 103 19 5,4 30 135 22 6,1 40 167 24 7,0 50 199 25 8,0 1) KG: 700 kg, Erhaltung: 40 MJ NEL/Tag, 3,17 MJ NEL je kg Milch
Die Frühlaktation: das tiefe Tal der Tränen ! Milchmenge Eiweiß [%] [kg FCM/Tag] 4,2 45 4,0 3,8 40 3,6 3,4 35 3,2 3,0 30 2,8 0,0 0 0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40 44 Laktationswoche ( Gottfried 2008 )
Entwicklung der Energiebilanz nach der Abkalbung 20 Hohes Risiko für : Energiebilanz [ MJ NEL/d ] • Milchfieber • Fettleber 0 • Nachgeburtsverhaltung Negative • Ketose -20 Energie- • Mastitis bilanz ! • Endometritis • Labmagenverlagerung -40 • Klauenerkrankungen • Fruchtbarkeitsstörungen -60 -80 0 2 4 6 8 10 12 Wochen nach der Abkalbung ( Horstmann, 2004 )
Die negative Energiebilanz : völlig normal in der Natur ! Südlicher See-Elefant ( Mirounga leonina ) ante partum: 800 kg Laktationsdauer: 3-4 Wochen Milch: 52 % Fett 9 % Eiweiß Geburtsgewicht: 30-50 kg Zunahme Welpe: 4,9 + 0,5 kg/Tag Futteraufnahme Muttertier: --- Gewichtsverlust Muttertier: 300 kg in 4 Wochen ( Carlini et al. 1994, Carlini et al. 2000 )
Die Frühlaktation ist eine besondere Risikoperiode … 30'000 28'000 26'000 n = 827.797 24'000 22'000 Anzahl Behandlungen 20'000 18'000 ! 16'000 14'000 12'000 10'000 8'000 6'000 4'000 2'000 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 190 200 210 220 230 240 250 260 270 280 290 300 Laktationstag ( Römer 2014 )
Metabolischer Stress in der Frühlaktation: Ursachen und Optionen Produktionskrankheiten sind Konsequenz des individuellen Versagens von Anpassungsreaktionen ➢ zu niedrige Futteraufnahme ➢ Versagen der Glucose-Homöostase ➢ exzessive Fettmobilisierung ➢ Insulinresistenz ➢ Überkonditionierung als disponierender Faktor Optimierung des Transit- Managements
Optimierung des Transit-Managements: was heisst das ? Futteraufnahme postpartal maximieren maximieren maximieren
Optimierung der Transitperiode Schlüssel für die Tiergesundheit in der Frühlaktation : der Pansen ! Lipomobilisation minimieren „Cow comfort“ Acidose vermeiden Strukturversorgung Ad libitum - Fütterung Überkonditionierung a. p. vermeiden Erkrankungen konsequent behandeln Futteraufnahme NEB maximieren minimieren
Produktionskrankheiten der Hochleistungskuh : gibt es neue Ansätze bei der Prävention ? Metabolische Entgleisungen sind Ausdruck des individuellen Versagens von Adaptationsmechanismen an eine NEB Beeinflussung der Optimierung des individuellen Managements Disposition
… und wie ist das bei der Kälberaufzucht ?
Etablierte Empfehlungen zur Kälberaufzucht • restriktiver Einsatz von Vollmilch / Milchaustauscher ^ ➢ Menge ▪ Vollmilch: ca. 10 % des KG/Tag ▪ MAT: 20-35 kg/Tränkeperiode 456 g/Tier/Tag ➢ Dauer der Tränkeperiode ▪ 70 Tage ▪ 56 Tage ▪ 35 Tage • Ziel: so schnell wie möglich Aufnahme von Kraftfutter / Beifutter Eicher-Pruiett et al. 1992, Davis & Drackley 1998; Kaske et al. 2009, von Keyserlingk et al., 2009, Hill et al., 2010; de Passilé et al., 2011, Maccari et al. 2014
Etablierte Kälberaufzucht: weit weg von der Physiologie … ! Saugdauer/Saugakt 8 – 10 min 2 – 4 min Saugakte/Tag 6 - 12 2 Saugdauer/Tag ca. 60 min < 10 min Tränkemenge/Saugakt ca. 1 Liter > 2 Liter Saugarbeit viel wenig Tagesmenge ca. 8 – 16 l ca. 4 – 6 kg Entwöhnung 10 Monate ca. 10 Wochen (Albright and Arave, 1997; de Passillé, 2001; de Passillé et al., 2002; Reinhardt and Reinhardt, 1981)
„Metabolische Programmierung“ Epidemiological studies in humans • Low birth weight is a risk factor of developing a metabolic syndrome in adulthood Experimental studies in rodents • Early adaptations to a short nutritional perinatal stimulus permanently change the physiology and metabolism of the organism and continue to be expressed even in the absence of the stimulus that initiated them. Experimental studies in food animals (pig, sheep, cattle) • Feed restriction during pregnancy and postnatal feeding intensity affects long-term metabolism, fertility, milk yield and carcass quality of the offspring. ( Hales & Barker 1993, McCance et al. 1994, Plagemann 2003, Srinivasan et al. 2003, Ozanne et al. 2005, Gardner et al. 2005, Ford et al. 2007, Martin et al. 2007, Drackley et al. 2007, Guilloteau et al. 2009, Moallem et al. 2010, Rehfeldt et al. 2011 )
Das Wachstumspotential von Kälbern ist enorm … Zunahme [ g/Tag ] Alter [ Wochen ]
Effekte einer ad libitum-Fütterung in den ersten Lebenswochen auf die Morphologie des Pankreas Ad libitum Kontrolle P Kälber 21 21 Anzahl Inseln 9,1 ± 0,3 7,8 ± 0,3 < 0,01 Fläche Insulin-angefärbter 107.180 ± 4.987 84.249 ± 4.963 < 0,01 Zellen (µm²) Prokop et al. 2015
Grundlage des Wachstums: die somatotrope Achse Hypothalamus GHRH GHIH Pituitary GH GHR Liver IGF-I
Die postnatale Fütterungsintensität beeinflusst die somatotrope Achse GH IGF-I [ ng/mL ] [ ng/mL ] 25 200 ADL *** *** CG 20 150 *** * 15 100 10 50 5 0 0 d2 d 21 d 70 d2 d 21 d 70 Maccari et al. 2015
Unterernährung verursacht eine Entkopplung der somatotropen Achse Hypothalamus Hypothalamus GHRH GHIH GHRH GHIH Pituitary Pituitary GH GH GHR GHR Liver Liver IGF-I IGF-I
Unterernährung verursacht eine Entkopplung der somatotropen Achse GH IGF-I [ ng/mL ] [ ng/mL ] 25 200 ADL *** *** CG 20 150 *** * 15 100 10 50 5 0 0 d2 d 21 d 70 d2 d 21 d 70 Maccari et al. 2015
Wir müssen etablierte Aufzuchtkonzepte revidieren: optimale Bedingungen, Erkrankungen vermeiden, intensives Tränken bisher: das Kalb „the calf“ heute: „die kleine Kuh“ “ Die Aufzuchtperiode ist von zentraler Bedeutung für die spätere Leistungsfähigkeit als Milchkuh !
Ad libitum – Tränke: die Umsetzung in der Praxis • Ad libitum immer ab dem Tag der Geburt - und ganz besonders wichtig bzgl. Kolostrum • grundsätzlich Milch zur freien Aufnahme ➢ zweimal täglich Tränken ist ausreichend ➢ warm anbieten (ca. 35-40 °C) ➢ Nuggi mit Kreuzschlitz ➢ Eimer täglich mit Wasser reinigen ➢ möglichst Eimer mit Deckel • Ansäuern der Milch ➢ um Vermehrung der Bakterien im Eimer zu verhindern ➢ ist nicht zwingend erforderlich ➢ ggf. im Sommer ➢ pH 5.5 ist ausreichend (→ Harn-Teststreifen) ➢ Säure u. U. vorverdünnen 1:10, um Casein- Ausfällung zu verhindern • Kraftfutter und Wasser zur freien Aufnahme ➢ ab dem 1. Lebenstag («Feed neophobia») ➢ Wasser in offener Schale ➢ Kraftfutter zunächst nur ganz wenig ➢ immer frisch ist entscheidend Was nicht aufgeschrieben ist, wird unsichtbar … • Ad libitum für 4 Wochen (ca. 500 L/Kalb) ➢ 5./6. Lebenswoche: 2 x 4 L/Tag ➢ 7./8. Lebenswoche: 2 x 3 L/Tag ➢ 9./10. Lebenswoche: 2 x 2 L/Tag • Ziel der ad libitum-Tränke ➢ 700-1’000 g/Tag während der Tränkeperiode ➢ KälbeKontrolle der Aufzucht ist essentiell ➢ rkarte ist sinnvoll
Kolloquium "Angewandte Ethologie„ AgroVet-Strickhof Lindau 07. September 2021 Metabolischer Stress bei Milchkühen: sie fressen weniger, als sie sollten … Metabolischer Stress bei Kälbern: sie bekommen weniger, als sie sollten … Martin Kaske
Kolloquium "Angewandte Ethologie„ AgroVet-Strickhof Lindau 07. September 2021 Metabolischer Stress bei Milchkühen und Kälbern - Probleme und Perspektiven Martin Kaske
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