Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik: Projektbericht Bio-Ökopoli (Teilprojekt Magdeburg) - OVGU

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Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik: Projektbericht Bio-Ökopoli (Teilprojekt Magdeburg) - OVGU
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik:
Projektbericht Bio-Ökopoli (Teilprojekt Magdeburg)

Abstract

Im Forschungsprojekt “Politische Prozesse der Bioökonomie zwischen Ökonomie und Ökologie
– Bio-Ökopoli“ analysierten WissenschaftlerInnen am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit dem
Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg von
2017 bis 2020 politische Maßnahmen und Prozesse der Bioökonomiepolitik in Deutschland mit
einem Schwerpunkt auf dem Bereich Bioenergiepolitik. Im Projekt wurden in enger Zusammen-
arbeit mit dem Verbundpartner an der FernUniversität in Hagen Fallstudien auf europäischer,
nationaler und subnationaler Ebene in den Themenfeldern Bioenergiepolitik, Biokraftstoffpolitik
und Biokunststoffpolitik durchgeführt. Unter Anwendung des Ansatzes eigendynamischer poli-
tischer Prozesse (AEP) wurden ausgewählte Fälle der Bioökonomiepolitik analysiert und mitei-
nander verglichen. Dieser Bericht gibt einen Überblick über die Hintergründe des Projekts Bio-
Ökopoli und fasst die Forschungsergebnisse aus dem Teilprojekt Magdeburg zusammen.

Schlagworte: Bioökonomie, Bioenergiepolitik, Deutschland, Politikfeldanalyse, AEP

The research project "Political Processes of the Bioeconomy between Economy and Ecology -
Bio-Ökopoli" was conducted at the Chair of Political Science with a focus on Sustainable Devel-
opment at Otto von Guericke University Magdeburg. In this project, scientists analyzed political
measures and processes of bioeconomy policy in Germany from 2017 to 2020, with a focus on
the area of bioenergy policy. In the project, case studies were conducted in close cooperation
with the collaborative partner at the FernUniversität in Hagen for the European, national and
subnational levels in the thematic fields of bioenergy policy, biofuel policy and bioplastics policy.
Using the political process inherent dynamics approach (PIDA), selected cases of bioeconomy
policy were analyzed and compared. This report provides an overview of the background of the
Bio-Ökopoli project and summarizes the research results from the Magdeburg sub-project.

Keywords: bioeconomy, bioenergy policy, Germany, policy analysis, PIDA

 Prof. Dr. Michael Böcher
 ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung an der Otto-von-
 Guericke-Universität Magdeburg und war Projektleiter im Projekt Bio-Ökopoli.
 Kontakt: michael.boecher@ovgu.de
 Katrin Beer
 ist Doktorandin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung an
 der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und war Projektmitarbeiterin im Projekt Bio-Ökopoli.
 Kontakt: katrin.beer@ovgu.de

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Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Dieser Beitrag wurde als Projektbericht im           Forschung hier als wichtiger Teilbereich zu
Rahmen des politikwissenschaftlichen For-            nennen (BMBF, 2010, 2014, 2015; BMEL,
schungsprojekts „Politische Prozesse der             2014b; FernUniversität Hagen, 2019).
Bioökonomie zwischen Ökonomie und Öko-
                                                     Während verschiedene wissenschaftliche
logie (Bio-Ökopoli)“ verfasst und für die Ver-
                                                     Fachdisziplinen dazu beitragen können, die
öffentlichung in dieser Working Paper Reihe
                                                     ökonomischen und ökologischen Auswir-
geringfügig ergänzt und angepasst.
                                                     kungen bioökonomischer Techniken, Ver-
                                                     fahren und Produkte zu bestimmen, zu
Projektbeschreibung                                  quantifizieren und ihre Zusammenhänge of-
Das Projekt Bio-Ökopoli wurde als Ver-               fenzulegen, müssen Entscheidungen dar-
bundprojekt von der FernUniversität in Ha-           über, welche Kompromisse (trade-offs) im
gen (FUH, Lehrgebiet Politikfeldanalyse und          Hinblick auf Zielkonflikte akzeptiert werden,
Umweltpolitik, Prof. Dr. Annette Elisabeth           in gesellschaftlichen Aushandlungsprozes-
Töller, Laufzeit April 2017 bis März 2021) ge-       sen getroffen werden. Diese Entscheidun-
meinsam mit der Otto-von-Guericke-Uni-               gen können sich zwar auf wissenschaftliches
versität in Magdeburg (OVGU, Lehrstuhl für           Wissen stützen, sind letztlich aber politi-
Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt              scher Natur.
Nachhaltige Entwicklung, Prof. Dr. Michael           Verhandlungen und Entscheidungen zum
Böcher, Laufzeit April 2017 bis März 2020)           Umgang mit Zielkonflikten der Bioökonomie
durchgeführt und vom Bundesministerium               finden in Deutschland im Rahmen politi-
für Bildung und Forschung (BMBF) in der              scher Prozesse auf verschiedenen politi-
Förderlinie „Bioökonomie als gesellschaftli-         schen Ebenen statt (internationale Politik,
cher Wandel“ gefördert (BMBF, 2014, 2015;            EU-Politik, Bundespolitik, Politik der Bun-
Böcher & Beer, 2021; FernUniversität Ha-             desländer, Kommunalpolitik). Ergebnisse
gen, 2019).                                          dieser politischen Prozesse sind politische
In politischen Strategiepapieren der deut-           Maßnahmen, in denen unterschiedliche po-
schen Bundesregierung und anderer Regie-             litische Instrumente zum Einsatz kommen
rungen und Organisationen wird ein breites           können. Auch Nicht-Entscheidungen oder
Spektrum an politischen Zielen genannt, zu           Policy-Wandel, also die Veränderung und
deren Erreichung die Bioökonomie einen               Anpassung bestehender politischer Maß-
Beitrag leisten soll, wie Ernährungssiche-           nahmen, können Ergebnisse politischer Pro-
rung, nachhaltige Landwirtschaft, die stoff-         zesse sein. Das Forschungsprojekt Bio-Öko-
liche und energetische Nutzung nachwach-             poli setzte hier an einer Forschungslücke an:
sender Rohstoffe und der Ausbau innovati-
                                                           Ein Großteil der vorliegenden Stu-
ver Technologien (BMBF, 2010; BMBF &
                                                           dien zur Bioökonomie thematisiert
BMEL, 2020a; BMEL, 2014b).                                 Fragen der technologischen Innova-
Zielkonflikte zwischen Ökonomie und Öko-                   tion, Herausforderungen der prakti-
                                                           schen Umsetzung oder Fragen der
logie sollen unter anderem durch neue An-
                                                           Regelungsstrukturen         („Gover-
sätze aus Forschung und Entwicklung aufge-                 nance“). Zudem werden in anderen
löst werden, die sowohl in der naturwissen-                Studien durchaus auch kritische
schaftlich-technischen Forschung als auch                  Punkte der Bioökonomiepolitik be-
in den Gesellschaftswissenschaften entwi-                  leuchtet, wie Legitimitäts- und Ge-
ckelt werden. Aus gesellschaftswissen-                     rechtigkeitsfragen, problematische
schaftlicher Sicht ist die sozio-ökonomische               soziale und ökologische Effekte oder

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      zugrunde liegende und durch die             Das Projekt Bio-Ökopoli wurde durchge-
      Bioökonomie perpetuierte Macht-             führt, um die oben beschriebene Lücke der
      und Herrschaftsverhältnisse. Die            politikfeldanalytischen Erforschung der
      konkreten (und mitunter kontrover-          Bioökonomiepolitik als ein derzeit neu ent-
      sen) sowie logisch und zeitlich da-
                                                  stehendes Politikfeld zu schließen. Dabei
      zwischenliegenden politischen Pro-
      zesse und Entscheidungen über die           wurde ein qualitatives Fallstudiendesign mit
      Förderung, den Einsatz, die politi-         geringer Fallzahl gewählt, in dem einzelne
      schen Rahmenbedingungen oder die            Regelungsbereiche der (impliziten) Bioöko-
      Regulierung dieser Techniken oder           nomiepolitik erforscht werden sollten:
      Verfahren bleiben dabei jedoch bis-
      lang vielfach ausgeblendet. In der                Dazu werden in den drei Regelungs-
      wissenschaftlichen Forschung fehlt                bereichen Biokunststoffe, Biokraft-
      es somit bislang an empirisch fun-                stoffe und Bioenergie (Strom und
      dierten theoriegeleiteten Studien                 Wärme) theoriegeleitete Fallstudien
      über politische Prozesse zur Nut-                 durchgeführt, die zum einen die je-
      zung, Förderung oder Regulierung                  weiligen Policyergebnisse erklären
      bioökonomischer          Verfahren.               sollen und es zum anderen erlauben
      (FernUniversität Hagen, 2019)                     sollen, die jeweiligen Regelungsbe-
                                                        reiche sowie gegebenenfalls das „Po-
Das Ziel des Forschungsprojektes wird im                litikfeld“ Bioökonomiepolitik näher
                                                        zu charakterisieren. (Beer et al.,
folgenden Auszug aus einem Arbeitsbericht,
                                                        2018, S. 7)
der im Rahmen des Projektes verfasst
wurde, beschrieben:
                                                  Im Projekt wurde für die theoriegeleitete
      Ausgehend von dieser Kritik ist es          Analyse auf den Ansatz eigendynamischer
      das Ziel des Forschungsprojektes            Politischer Prozesse (AEP) als Analyserah-
      „Bio-Ökopoli“, genuine Erkenntnisse         men zurückgegriffen (Böcher & Töller,
      über die politischen Entscheidungs-         2012a, 2012b).
      prozesse der Bioökonomie in zentra-
      len Regelungsbereichen zu gewin-            Teilprojekt Magdeburg
      nen. Fragen nach typischen Rahmen-          Ziel des Teilvorhabens der Otto-von-Gueri-
      bedingungen politischer Prozesse            cke-Universität Magdeburg (TP Magdeburg)
      der Bioökonomie und deren kausa-
                                                  im Projekt „Politische Prozesse der Bioöko-
      len Wirkmechanismen im Hinblick
                                                  nomie zwischen Ökonomie und Ökologie
      auf ihre Auswirkungen auf die politi-
      schen Ergebnisse (Bioökonomie-Po-           (Bio-Ökopoli)“ war es, die politische Gestal-
      licies) stehen im Mittelpunkt der Un-       tung der Bioenergiepolitik aus politikfeldan-
      tersuchungen. Dabei gilt das beson-         alytischer Perspektive zu analysieren, um so
      dere Interesse den Fragen, welche           politische Entscheidungen in diesem Teilbe-
      Rolle Umweltauswirkungen bioöko-            reich der Bioökonomiepolitik nachvollzie-
      nomischer Verfahren (positiver, ne-         hen und erklären zu können. Durch die Ana-
      gativer, ambivalenter oder unklarer         lyse von Dokumenten und ExpertInnenin-
      Art) in den politischen Prozessen zur
                                                  terviews und durch die Veranstaltung von
      Bioökonomie spielen, welche Arten
      von Konflikten sich hier ergeben und        jährlichen transdisziplinären Workshops
      wie diese entschieden werden. (Beer         wurde das sich derzeit entwickelnde Politik-
      et al., 2018, S. 6–7)                       feld Bioökonomiepolitik praxisnah unter-
                                                  sucht. Durch die Anwendung des Ansatzes
                                                  eigendynamischer politischer Prozesse

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(AEP) wurden politische Maßnahmen zur                der Bioökonomie erforderlich sei. Der Bei-
Förderung, zum Einsatz und zur Regulierung           trag macht aber allenfalls schlaglichtartige
der Bioökonomie im Bereich Bioenergie so-            Vorschläge, wie und mit Hilfe welcher An-
wie die zugehörigen politischen Prozesse in          sätze dies erfolgen könne (Kleinschmit et
Fallstudien analysiert, um so kausale Me-            al., 2014). Ein anderer Beitrag untersucht
chanismen zu identifizieren, die den Verlauf         den Diskurs zur Bioökonomie und seinen
und das Ergebnis politischer Prozesse der            Einfluss auf forstpolitische Diskurse (Pülzl et
Bioenergiepolitik in Deutschland beeinflus-          al., 2014). Ebenfalls an „Narrativen“ setzen
sen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf Um-          Beiträge an, die aus einer kritischen Per-
weltauswirkungen der wirtschaftlichen Bio-           spektive die Bioökonomie bzw. insbeson-
massenutzung und auf dem Umgang mit                  dere die europäische Bioökonomie-Politik
Zielkonflikten (FernUniversität in Hagen,            als einen Aspekt der Neoliberalisierung der
2017).                                               gesellschaftlichen Naturverhältnisse inter-
                                                     pretieren (z. B. Birch et al., 2010; Levidow et
Wissenschaftlicher und technischer                   al., 2012). Diese wenigen Beiträge belegen
Stand (2016/17)                                      die große Forschungslücke im Hinblick auf
Ein Großteil der Studien im Bereich der              die politischen Prozesse der Bioökonomie
Bioökonomie stammt aus den Natur- und                (Stand 2016/17), die mit dem Forschungs-
Ingenieurwissenschaften (z. B. Schlamadin-           projekt geschlossen werden sollte.
ger & Marland, 1996; Öhgren et al., 2006;
Deeba et al., 2012; Cappelli et al., 2015). Po-      Allein das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat
litische Aspekte, wie Akteursinteressen,             über seine verschiedenen Novellierungen
Macht und Konflikte in der Bioökonomie,              seit dem Jahr 2000 recht viel politikwissen-
wurden bis zum Beginn dieses Projekts hin-           schaftliche Aufmerksamkeit erfahren, auch
gegen wissenschaftlich kaum bearbeitet.              im Hinblick auf Akteure, Interessen und po-
Lahl nennt die Positionen verschiedener              litische Konflikte (z. B. Dagger, 2009; Seibt,
Gremien (z. B. WBGU oder Bioökonomierat)             2015); hier allerdings wurde Biomasse als
zur Bioökonomie (Lahl, 2014; 39). Pannicke           Energieträger bislang eher am Rande be-
et al. thematisieren neben der wirtschaftli-         handelt, und es fehlte der spezifische Blick
chen Bedeutung der Bioökonomie sowie                 auf die Besonderheiten der Bioökonomie.
Herausforderungen des Pfadübergangs                  Im Kontext der deutschen Energiepolitik im
auch, „welche Erwartungen aus gesell-                Allgemeinen, und der Biogaspolitik im Be-
schaftlicher, politischer, ökonomischer und          sonderen, wurden zudem einige Dis-
wissenschaftlicher Perspektive in die                kursanalysen unternommen, die jedoch die
Bioökonomie gesetzt werden“ sowie „wel-              Frage, wie genau sich die Diskurse zu Akteu-
che Zielkonflikte ggf. resultieren“ (Pannicke        ren verhalten und wie sie sich auf politische
et al., 2015: 4).                                    Ergebnisse (z. B. die drastische Reduzierung
                                                     der Förderung 2014) auswirken, nicht be-
Fragen der politischen Prozesse der Bioöko-          antworten (z. B. Zschache et al., 2010; Lin-
nomie werden in den meisten Studien gar              hart et al., 2013; Radtke et al., 2013; Herbes
nicht oder allenfalls am Rande thematisiert.         et al., 2014).
Einige wenige Studien wenden eine dezi-
diert sozialwissenschaftliche Perspektive
auf die Bioökonomie an. So wird für den
Forstsektor thematisiert, dass eine sozial-
wissenschaftliche Perspektive auf die Politik

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Zusammenarbeit mit anderen Stellen                  des Ansatzes eigendynamischer politischer
Während der Projektlaufzeit (2017-2020)             Prozesse (AEP) theoriegeleitet analysiert.
stimmte sich das TP Magdeburg regelmäßig            Die Analyse wurde anhand der fünf Erklä-
im Rahmen von Verbundtreffen sowie Tele-            rungsfaktoren des AEP (Akteure und ihre
fon- und Videokonferenzen mit dem Teil-             Handlungen, Institutionen, Instrumentenal-
projekt an der FernUniversität in Hagen (TP         ternativen, Problemstrukturen und situa-
Hagen) ab. Beide TP erarbeiteten konzepti-          tive Aspekte) strukturiert (zum Ablauf siehe
onelle Teile für die Durchführung der For-          Beer et al., 2018). Dabei wurde zunächst für
schung in Zusammenarbeit und erstellten             die einzelnen Fälle nach zentralen Einfluss-
gemeinsame Publikationen und weitere In-            faktoren gefragt, die den Verlauf politischer
halte der Wissenschaftskommunikation für            Prozesse und die Inhalte politischer Maß-
unterschiedliche Zielgruppen (siehe Kapitel         nahmen im Bereich Bioenergiepolitik in
Erfolgte Veröffentlichungen). Des Weiteren          Deutschland beeinflussen. In einem zweiten
wurden drei transdisziplinäre Workshops             Schritt wurde ein Fallvergleich durchge-
gemeinsam organisiert und durchgeführt.2            führt, um übergreifende Muster und kau-
Das TP Magdeburg war im Projekt für den             sale Mechanismen zu identifizieren und so
Bereich Bioenergiepolitik im Strom- und             die spezifischen Charakteristika der deut-
Wärmesektor zuständig. Die Themen Biok-             schen Bioenergiepolitik herausarbeiten und
raftstoffpolitik und Biokunststoffpolitik           beschreiben zu können (ebd.). Die Bioener-
wurden vom Projektpartner in Hagen bear-            giepolitik wurde dabei als Teilbereich der
beitet (FernUniversität in Hagen, 2017).            Bioökonomiepolitik sowie als Teilbereich
                                                    der (erneuerbaren) Energiepolitik der deut-
Planung und Ablauf des Vorhabens                    schen Bundesregierung betrachtet.
Die Arbeiten im TP Magdeburg hatten fol-
genden Ablauf: Zunächst wurde eine Be-              Schwerpunkte lagen bei der Analyse auf
standsaufnahme relevanter politischer               dem Strom- und Wärmesektor, auf der Rolle
Maßnahmen im Bereich Bioenergiepolitik              von Umweltauswirkungen der wirtschaftli-
geleistet. Für die Auswahl von Fällen für die       chen Nutzung von Biomasse und von Ziel-
Fallstudien wurden auf Kriterien zurückge-          und Interessenkonflikten im politischen
griffen, die in Zusammenarbeit mit dem              Prozess sowie auf der Frage nach Wechsel-
Projektpartner an der FernUniversität in Ha-        wirkungen politischer Prozesse über politi-
gen (TP Hagen) entwickelt worden waren.             sche Ebenen und Sektoren hinweg (Fern-
Nach der Auswahl von fünf politischen Maß-          Universität in Hagen, 2017). Insgesamt
nahmen auf europäischer, nationaler und             konnte so zu einem klareren Verständnis
kommunaler Ebene, wurde eine Datenbasis             politischer Mechanismen in den Politikbe-
für die anschließende qualitative Inhaltsan-        reichen Bioenergiepolitik und Bioökono-
alyse geschaffen. Dazu wurden eine Litera-          miepolitik in Deutschland beigetragen wer-
turdatenbank mit Primär- und Sekundär-              den.
quellen angelegt und 30 ExpertInneninter-
views durchgeführt und transkribiert. Die
Interviewtranskripte und ausgewählte Pri-
märdokumente wurden unter Anwendung

2
 Abrufbar unter https://www.fernuni-ha-
gen.de/bio-oekopoli/workshops.shtml

    https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                45
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Projektergebnisse                                   Mit der Fallauswahl sollten daher politische
                                                    Prozesse in beiden Sektoren untersucht
Bestandsaufnahme und                                werden. Auf subnationaler Ebene bestehen
Übersichtsanalyse                                   im Hinblick auf Handlungsmöglichkeiten be-
Auf der Basis einer Literatur- und Internet-        deutende Unterschiede zwischen urbanen
recherche sowie Gesprächen mit ExpertIn-            und ländlichen Gebieten, sodass dieser Un-
nen auf Fachtagungen wurde eine Be-                 terschied über die Fallauswahl abgebildet
standsaufnahme von möglichen Fällen für             werden sollte. Eine Unterteilung der subna-
die Fallstudien im Bereich der deutschen Bi-        tionalen Ebene in regional und kommunal
oenergiepolitik im Strom- und Wärmesek-             stellte sich im Rahmen der Fallauswahl als
tor durchgeführt. Ausgangspunkt war dabei           wenig zielführend heraus. Mit den ausge-
die im Projektantrag (Töller & Böcher, 2016)        wählten Fällen sollen möglichst umfassend
vorgestellte vorläufige Fallauswahl. Für die        die verschiedenen Aspekte in der politi-
finale Fallauswahl wurden in Zusammenar-            schen Diskussion um Bioenergiepolitik ab-
beit mit dem TP Hagen Kriterien erarbeitet.         gebildet werden (ebd.).
Die Auswahl der zu untersuchenden Fälle             Für die europäische Ebene wurde die Novel-
wurde anschließend gemeinsam getroffen.             lierung der Erneuerbare-Energien-Richtli-
Dieser erste Arbeitsschritt wurde in einem          nie, die neben Strom, Wärme und Kraftstof-
Arbeitsbericht dokumentiert, welcher auf            fen aus Biomasse auch andere Erneuerbare
der Projekthomepage veröffentlicht wurde            Energien reguliert, als relevanteste und ak-
(Beer et al., 2018).3                               tuellste Policy eingeschätzt. Auf nationaler
Die ausgewählten Fälle erfüllen die folgen-         Ebene gibt es jeweils ein zentrales Gesetz
den Kriterien: Es handelt sich um eine poli-        zur Regulierung Erneuerbarer Energien im
tische Maßnahme oder Gruppen von Maß-               Strom- (EEG) und im Wärmesektor (EEWär-
nahmen im Sinne kollektiv verbindlicher Re-         meG); für die Fallstudien wurden die jeweils
gelungen (Policies) im Politikfeld Bioökono-        relevantesten Versionen ausgewählt. So-
miepolitik bzw. Bioenergiepolitik, Auswir-          wohl Strom- als auch Wärmesektor wurden
kungen auf die Umwelt sind zu erwarten, es          somit für den Bioenergiebereich über die
liegen Zielkonflikte zwischen Umwelt-               ausgewählten Fälle gesondert betrachtet
schutzzielen und anderen Zielen der                 und konnten zu einem späteren Zeitpunkt
Bioökonomie vor, die Policies wurden in             gegenübergestellt werden. Für die subnati-
Deutschland beschlossen und/oder betref-            onale Ebene wurde in der Fallgruppe Bio-
fen Deutschland und sind möglichst typisch          energie ein Schwerpunkt auf Fälle in Sach-
für das Themenfeld Bioenergie. Die Fallaus-         sen-Anhalt gelegt. Mit den ausgewählten
wahl sollte die europäische, nationale, regi-       Fällen wurde sowohl ein urbanes (Magde-
onale und kommunale Ebene abdecken. Die             burg) als auch ein ländliches (Sieben Linden)
Fallgruppe Bioenergie umfasst sowohl die            Beispiel für die subnationale Ebene be-
Energieerzeugung aus Biomasse in Form               forscht.
von Strom (elektrischer Energie) als auch in
Form von Wärme (bzw. thermischer Ener-
gie: Wärme und Kälte).

3
 Abrufbar unter https://www.fernuni-ha-
gen.de/bio-oekopoli/publikationen.shtml

    https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                46
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 1: Übersicht über identifizierte relevante Fälle im Bereich „Bioenergie“,
europäische und nationale Ebene, ausgewählte Fälle in hellgrün

                                          Policy                                           Erläuterung
                         Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II, Die RED II wurde als besonders aktuelle und für den Bio-
                         2018)                                     energie-Bereich relevante Policy auf europäischer Ebene
                                                                   eingestuft und für die Fallstudien ausgewählt
                         Winterpaket: Saubere Energie für alle Eu- Einzelne Policy (RED II) aus dem Paket als Fall für Bioener-
     Europäische Ebene

                         ropäer (2016)                             giepolitik relevanter als das ganze Maßnahmenbündel

                         Drittes Energiepaket der EU (2009)         Einzelne Policy aus dem Paket (RED I) als Fall für Bioener-
                                                                    giepolitik relevanter als das ganze Maßnahmenbündel, ak-
                                                                    tuellere Novellierung liegt vor (RED II)
                         Erneuerbare-Energien-Richtlinie   (RED,    Für den Bioenergie-Bereich auf europäischer Ebene äu-
                         2009)                                      ßerst relevant, aktuellere Novellierung liegt vor (RED II)
                         Rahmen für die Klima- und Energiepolitik   Kriterien für die Fallauswahl werden nur teilweise erfüllt,
                         bis 2030                                   nur bedingt geeignet
                         Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-No-       Die verschiedenen Versionen des EEG erfüllen die Krite-
                         vellierung 2014)                           rien zur Fallauswahl, das EEG 2014 stellt nach ersten Er-
                                                                    gebnissen einen besonders tiefgreifenden Einschnitt für
                                                                    die Bioenergiebranche im Stromsektor dar und wurde als
                                                                    für die Stromerzeugung aus Biomasse relevanteste natio-
                                                                    nale Policy für die Fallstudien ausgewählt
                         Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz          Pendant zum EEG für den Wärmesektor, erfüllt die Krite-
                         (EEWärmeG 2015)                            rien zur Fallauswahl, aktuellste und relevanteste natio-
                                                                    nale Policy für die Erzeugung von Wärme aus Biomasse
                         Erneuerbare-Energien-Gesetz     (EEG-No-   Aktuellste Novellierung des EEG, Umstellung des Vergü-
     Nationale Ebene

                         vellierung 2017)                           tungssystems, nach ersten Forschungsergebnissen ist das
                                                                    EEG 2014 von höherer Relevanz für den Bioenergiebereich
                         Vergütungsstruktur für Biogasanlagen       Für Bioenergiebereich relevant, aufgrund höherer Aktuali-
                         (gemäß EEG-Novellierung 2012)              tät und höherer Relevanz wurde die EEG-Novellierung von
                                                                    2014 ausgewählt
                         Biomasse-Strom-NachhaltigkeitsVO           Regelt Nachhaltigkeitskriterien im Detail, EEG und EEWär-
                         (2009)                                     meG werden für Bioenergiepolitik in Deutschland als rele-
                                                                    vanter eingeschätzt
                         Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG),        Zielt eher auf Energieeffizienz als auf Energieerzeugung
                         seit 2002, Novellierung 2017               aus Biomasse
                         Energie-Einspar-Verordnung (2007)          Zielt eher auf Energieeffizienz als auf Energieerzeugung
                                                                    aus Biomasse
                         Kreislaufwirtschaftsgesetz (2012)          Schwerpunkt Abfall- und Ressourcenmanagement, Bio-
                                                                    energie wird am Rande berührt, ist aber kein zentrales
                                                                    Thema

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                                                 47
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 2: Übersicht über identifizierte relevante Fälle im Bereich „Bioenergie“,
subnationale Ebene, ausgewählte Fälle in hellgrün

                                                          Policy                                           Erläuterung
                                         Förderung des Bioeconomy-Clusters Mit-     Schwerpunkt liegt nicht direkt auf Bioenergie, sondern
                                         teldeutschland                             eher auf der stofflichen Nutzung von Biomasse
                                         Förderprogramm Nachwachsende Roh-          Programm insgesamt zielt nicht direkt auf Förderung von
                                         stoffe (FNR)                               Bioenergie, Kriterien zur Fallauswahl werden nur teilweise
                                                                                    erfüllt
                                         Bioenergie-Regionen, z.B. Bioenergie-Re-   Sehr ähnlich dem Konzept der Bioenergie-Dörfer, die als
                                         gion Altmark (Sachsen-Anhalt)              Fall auf der kommunalen Ebene untersucht werden, daher
                                                                                    wird der zusätzliche Erkenntnisgewinn als eher gering ein-
                                                                                    geschätzt
                                         Energiekonzept 2030 der Landesregie-       Keine konkrete Policy, die Kriterien zur Fallauswahl werden
                                         rung von Sachsen-Anhalt                    nur teilweise erfüllt
                       Regionale Ebene

                                         Richtlinie Klima II des Landes Sachsen-An- Sehr spezielle Förderung, deckt mit KMU-Förderung nur ei-
                                         halt (2017)                                nen kleinen Teil der Bioenergiepolitik ab
                                         Richtlinien über die Gewährung von Zu-     Sehr spezielle Förderung, deckt mit KMU-Förderung nur ei-
                                         wendungen zur Förderung von Maßnah-        nen kleinen Teil der Bioenergiepolitik ab
  Subnationale Ebene

                                         men zur Steigerung der Energieeffizienz
                                         und der Nutzung Erneuerbarer Energien
                                         in Unternehmen (AGVO) / (De-minimis)
                                         Förderung von innovativen kreislauf- und Sehr spezielle Förderung, deckt mit KMU-Förderung nur ei-
                                         ressourcenwirtschaftlichen Maßnahmen nen kleinen Teil der Bioenergiepolitik ab
                                         (Richtlinie Ressource)
                                         Biomasseaktionsplan Brandenburg (2006) Kein Fokus auf Sachsen-Anhalt
                                         Biogaspolitik Baden-Württemberg (seit Kein Fokus auf Sachsen-Anhalt
                                         2010)
                                         Forschungsprogramm Bioökonomie (BW) Zielt nicht speziell auf Bioenergie, kein Fokus auf Sachsen-
                                                                               Anhalt
                                         Einrichtung eines Bioenergiedorfes in Erfüllt Kriterien zur Fallauswahl bestmöglich, deckt den
                                         Sachsen-Anhalt: Sieben Linden         ländlichen Raum in Sachsen-Anhalt ab
                       Kommunale Ebene

                                         Masterplan 100 % Klimaschutz der Lan- Erfüllt die Kriterien zur Fallauswahl bestmöglich, deckt
                                         deshauptstadt Magdeburg               den urbanen Raum in Sachsen-Anhalt ab

                                         Andere Bioenergiedörfer, z.B. Jühnde    Kein Fokus auf Sachsen-Anhalt, teilweise bereits gut er-
                                                                                 forscht
                                         Regulierungen im Bioenergiebereich über Sehr kleinteiliger Geltungsbereich, Erkenntnisgewinn wird
                                         Stadtordnung oder Bebauungsplan in als gering eingeschätzt
                                         Magdeburg

Im Zuge der Fallauswahl wurde deutlich,                                                  Energien über die Energiepolitik reguliert,
dass auf allen politischen Ebenen in der Re-                                             zum anderen bestehen im Hinblick auf die
gel keine gesonderte Bioenergiepolitik mit                                               Herkunft der Biomasse Schnittstellen mit
entsprechenden Policies identifiziert wer-                                               der Agrar- und Forstpolitik. Beeinflusst wird
den kann. Regulierungen zum Themenfeld                                                   die Bioenergiebranche außerdem in hohem
Bioenergie sind in unterschiedlichen Politik-                                            Maße durch die Umwelt- und Klimapolitik:
feldern zu finden: Zum einen wird die Erzeu-                                             Auf internationaler Ebene setzen Klimaab-
gung und Nutzung von Bioenergie zusam-                                                   kommen einen Rahmen für die oben ge-
men mit anderen Formen erneuerbarer                                                      nannten Politikbereiche.

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                                                                 48
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 3: Ausgewählte Fälle in der Fallgruppe „Bioenergie“

                   Policy                        Ebene                          Schwerpunkte
 Renewable-Energy-Directive 2018 (RED II)     Europäisch:       Regulierung Erneuerbarer Energien in der EU,
 der EU                                       EU                Umsetzung über nationale Gesetze

 Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 (EEG)       National:         Regulierung     Erneuerbarer   Energien   im
 der Bundesregierung                          Deutschland       Stromsektor in D

 Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz 2015       National:         Regulierung   Erneuerbarer     Energien   im
 (EEWärmeG) der Bundesregierung               Deutschland       Wärmesektor in D (Gebäude)

 Beschluss des Masterplans        100   %     Kommunal:         Lokale Maßnahmen in den Bereichen Klima,
 Klimaschutz durch den Stadtrat               Magdeburg         Umwelt, Energie im urbanen Raum

 Beschluss des Ökodorfs Sieben Linden zur     Kommunal:         Lokale Maßnahmen der energetischen Nutzung
 Registrierung als Bioenergiedorf             Beetzendorf       von Biomasse im ländlichen Raum

Auf lokaler Ebene sind politische Maßnah-                     Bioenergie vergleichen zu können. Die ver-
men im Bioenergiebereich oft Teil von loka-                   tiefende Analyse der fünf ausgewählten
len und regionalen Klimaschutzstrategien.                     Fälle (Tabelle 3) und die empirische For-
Die regionale und die kommunale politische                    schungsarbeit wurden im zweiten Quartal
Ebene spielen bisher eine eher untergeord-                    2018 begonnen. Zum methodischen Vorge-
nete Rolle, relevante politische Maßnah-                      hen und zur Auswahl von Forschungsme-
men (des Teilbereichs Bioenergiepolitik und                   thoden erfolgte eine enge Abstimmung mit
der Bioökonomiepolitik insgesamt) sind vor                    dem Projektpartner in Hagen.
allem auf nationaler, europäischer und in-
                                                              Für die ausgewählten Fälle wurden, nach ei-
ternationaler Ebene zu finden.
                                                              nem Verbundtreffen im Mai 2018, Inter-
Für die ausgewählten Fälle wurden ab Okto-                    viewanfragen an Expertinnen und Experten
ber 2017 - unter Anwendung des dem Ge-                        aus den Bereichen Wissenschaft, Wirt-
samtprojekt als politikwissenschaftlicher                     schaft, Zivilgesellschaft und Politik/Verwal-
Analyserahmen zugrunde liegenden Ansat-                       tung mit dem Ziel verschickt, möglichst alle
zes eigendynamischer politischer Prozesse                     gesellschaftlichen Gruppen für alle politi-
(AEP) - Übersichtsanalysen durchgeführt,                      schen Ebenen abzudecken. Aus forschungs-
die im zweiten Projektjahr in einem Arbeits-                  ökonomischen Gründen wurde zunächst die
bericht auf der Projekthomepage veröffent-                    Datenerhebung für die kommunalen und
licht wurden (Beer et al., 2018). Anschlie-                   nationalen Fälle durchgeführt. Interviews
ßend wurden empirische Daten in Form leit-                    für die europäische Ebene wurden in enger
fadengestützter ExpertInneninterviews er-                     Abstimmung mit dem Projektpartner in ei-
hoben und darauf basierende, vertiefte                        ner gemeinsamen Interviewreise im Januar
Analysen der ausgewählten Fälle durchge-                      2019 in Brüssel geführt, da ein Fall (RED II)
führt. Unter Anwendung des Analyserah-                        sowohl an der OVGU in Magdeburg für die
mens AEP wurden Fallprofile für die einzel-                   Fallgruppe Bioenergie als auch an der Fern-
nen Fälle erstellt, um diese in einem weite-                  Universität in Hagen für die Fallgruppe Biok-
ren Schritt innerhalb der Fallgruppe                          raftstoffe untersucht wurde.

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                                49
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 4: Übersicht über die 30 im Bereich „Bioenergie“ interviewten ExpertInnen

                                                                                                      Aufnahme-
   Nr       Fall                   Organisation                        Akteursgruppe       Datum        dauer
        1 Fall 1   Transport & Environment (T&E)                    Zivilgesellschaft    15.01.2019     00:43:02
        2 Fall 1   Oxfam                                            Zivilgesellschaft    15.01.2019     01:15:32
        3 Fall 1   Europäische Kommission, DG Forschung und In- Politik/Verwaltung       16.01.2019   (Protokoll)
                   novation (RTD), Bioökonomie
        4 Fall 1   European Parliament                          Politik/Verwaltung       16.01.2019   (Protokoll)
        5 Fall 1   ePURE, the European renewable ethanol asso- Wirtschaft                17.01.2019     01:50:23
                   ciation
        6 Fall 1   Bioenergy Europe - The European Biomass As- Wirtschaft                17.01.2019     01:13:42
                   sociation (AEBIOM)
        7 Fall 1   Europäische Kommission, Generalsekretariat  Politik/Verwaltung        17.01.2019     01:28:52
        8 Fall 1   Institute for European Environmental Policy      Wissenschaft         18.01.2019     00:55:24
        9 Fall 1   Umweltbundesamt (UBA)                            Politik/Verwaltung   28.01.2019     00:58:55
    10 Fall 2      Bundesverband Bioenergie e.V.                    Wirtschaft           18.07.2018     00:47:17
    11 Fall 2      Forstfachverlag, Redaktion Energie Pflanzen      Zivilgesellschaft    23.07.2018     00:50:08
    12 Fall 2      Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Wirtschaft                 25.07.2018     02:03:12
                   Landwirtschaft e.V. (KTBL)
    13 Fall 2      BiogasRat+ e.V.                            Wirtschaft                 17.09.2018     02:08:21
    14 Fall 2      Freiberufler, Ingenieur                          Wirtschaft           11.10.2018     01:22:23
    15 Fall 2      Fachverband Biogas                               Wirtschaft           07.11.2018     01:26:15
    16 Fall 2      BMEL                                             Politik/Verwaltung   21.11.2018     01:29:03
    17 Fall 3      Fichtner GmbH & Co. KG                           Wirtschaft           06.12.2018     01:20:10
    18 Fall 3      IZES gGmbH - Institut für ZukunftsEnergie- und   Wissenschaft         07.12.2018     01:30:03
                   Stoffstromsysteme
    19 Fall 3      Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU),         Zivilgesellschaft    10.12.2018     01:05:05
                   Energiepolitik und Klimaschutz
    20 Fall 3      Hochschule Zittau/Görlitz, Fakultät Maschinen-   Wissenschaft         14.12.2018     01:17:13
                   wesen
    21 Fall 4      Bündnis 90/Die Grünen, Stadtrat Magdeburg        Politik/Verwaltung   26.06.2018     00:42:24
    22 Fall 4      Stadtratsfraktion die Grünen Magdeburg, Aus- Zivilgesellschaft        31.07.2018     00:53:01
                   schuss Umwelt und Energie
    23 Fall 4      Stadtrat Magdeburg, Fraktion CDU/FDP/BfM     Politik/Verwaltung       11.09.2018     00:48:55
    24 Fall 4      GETEC Magdeburg                                  Wirtschaft           22.11.2018     01:30:14
    25 Fall 4      Leiter Umweltamt Stadt Magdeburg                 Politik/Verwaltung   13.12.2018     00:53:37
    26 Fall 4      4K I Kommunikation für Klimaschutz               Wissenschaft         25.01.2019     01:01:19
    27 Fall 5      Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. Politik/Verwaltung           24.07.2018     01:33:24
                   (FNR)
    28 Fall 5      Akademie für Nachhaltige Entwicklung     Politik/Verwaltung           24.07.2018     01:33:20
    29 Fall 5      Bioenergiedorf Sieben Linden/ Siedlungsgenos- Zivilgesellschaft       15.08.2018     01:45:28
                   senschaft Ökodorf eG Sieben Linden
    30 Fall 5      Clean Energy GmbH                             Wirtschaft              21.12.2018     00:56:44

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                                   50
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Für die Auswahl von InterviewpartnerInnen            politische Prozesse der Bioenergiepolitik
wurden theoretische Vorüberlegungen und              von einem negativen Image der Bioenergie
Ergebnisse aus der Literaturrecherche mit            beeinflusst wurden und werden, welches
der Schneeballmethode kombiniert. Im An-             sich auf Entwicklungen im Biokraftstoffsek-
schluss an die Datenerhebung wurden die              tor in den vergangenen zehn Jahren zurück-
Transkripte der insgesamt dreißig im Mag-            führen lässt (Chen & Khanna, 2013; Vogelp-
deburger Teilprojekt durchgeführten Inter-           ohl, 2018).
views auf Basis des Ansatzes eigendynami-
scher politischer Prozesse (AEP) qualitativ          Bioenergiepolitik in Deutschland
analysiert. Deutlich gehen aus den empiri-           Im Jahr 2019 wurden in Zusammenarbeit
schen Daten die vielfältigen Verflechtungen          mit dem Projektpartner in Hagen übergrei-
über verschiedene politische Ebenen und              fende Analysen für die einzelnen Fallgrup-
Regelungsfelder hervor, durch die sich die           pen, eine vergleichende Analyse zwischen
politische Regulierung der Bioenergie äu-            den einzelnen Fällen und vergleichende
ßerst schwierig gestaltet. Aufgrund der              Analysen zwischen den einzelnen Fallgrup-
Komplexität der Thematik kann mit der Stu-           pen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden
die im Rahmen des Teilprojektes nur ein              aufbereitet und unter anderem in Form ei-
Teilbereich der Bioenergiepolitik abgebildet         nes Tagungsbeitrages (Vortrag und Paper
werden. Es lassen sich vielfältige Ansatz-           ECPR-Generalkonferenz, Breslau) und eines
punkte für weitere Forschungsarbeiten aus            wissenschaftlichen Artikels (Vogelpohl et al.
den bisherigen Ergebnissen ableiten.                 2021) veröffentlicht.

Die Fallprofile beinhalten die zentralen Er-         Parallel wurde eine fallgruppenbezogene
gebnisse der vertiefenden Analyse entlang            Analyse für das Themenfeld Bioenergie mit
der einzelnen Analyse-Kategorien. Die An-            einem Schwerpunkt auf Problemstrukturen
nahme des Analyserahmens AEP, wonach                 im Magdeburger Teilprojekt durchgeführt.
politische Prozesse einer Eigendynamik un-           Die Ergebnisse wurden auf einer Tagung
terliegen (Böcher & Töller, 2012a, b; Reiter         präsentiert (Klausurwoche Bioökonomie,
& Töller, 2014) konnte mit den Fallstudien           Bonn) und für die Veröffentlichung in einem
bestätigt werden. Die im Themenfeld Bio-             Sammelband aufbereitet (Beer, 2022). Im
energie untersuchten Fälle und politischen           Jahr 2020 wurden die Ergebnisse weiter auf-
Ebenen unterscheiden sich deutlich hin-              bereitet und in diversen Formaten für un-
sichtlich des Einflusses einzelner Erklärungs-       terschiedliche Zielgruppen publiziert (siehe
faktoren auf den politischen Prozess und die         Kapitel Erfolgte Veröffentlichungen).
Policyinhalte. Für alle untersuchten Fälle           Auf der Grundlage der in den Interviews ge-
konnte übergreifend festgestellt werden,             nannten Instrumente und politischen Maß-
dass tatsächliche oder vermutete Umwelt-             nahmen wurde eine Policy-Map erstellt, die
auswirkungen einen deutlichen Einfluss auf           auf einer Tagung (2. Doktorandenkollo-
die politischen Prozesse hatten. Aus den In-         quium Bioenergie, Nürnberg) präsentiert
terviews wurde weiterhin deutlich, dass              wurde (Abbildung 1).

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Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

   Abbildung 1: Policy-Map für die Bioenergiepolitik in Deutschland. Zentrale politische Maßnahmen
                                         (eigene Darstellung)

https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                            52
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

                        Abbildung 2: Wordcloud Akteure der Bioenergiepolitik
                          (Quelle: Interviews nationale Ebene, Fall 2 und 3)

Akteure der Bioenergiepolitik                         Probleme (wicked problems, Roberts, 2000)
Für den Erklärungsfaktor Akteure lassen               handelt, da sowohl Probleme als auch Lö-
sich deutliche Unterschiede zwischen den              sungen unklar sind und von einzelnen Akt-
untersuchten Fällen erkennen. Die unter-              euren unterschiedlich wahrgenommen und
schiedlichen Akteurslandschaften lassen               definiert werden. Ungeklärt ist hier bei-
sich vor allem auf die verschiedenen politi-          spielsweise die Frage nach der politischen
schen Ebenen (internationale NGOs versus              Regulierung von indirekten Landnutzungs-
lokale/kommunale Gruppen) und auf die                 änderungen, die durch die verstärkte Nut-
Unterschiede zwischen Strom- und Wärme-               zung forstlicher Biomasse entstehen. Diese
sektor (Landwirtschaft/Agroindustrie/Bio-             Debatte wird für den Forstsektor unter dem
gas versus Forstwirtschaft/Holzindust-                Schlagwort LULUCF (Land Use, Land Use
rie/Bio-Festbrennstoffe) zurückführen. Sehr           change and Forestry) zusammengefasst und
unterschiedlich wurden Wahrnehmung und                es bestehen Parallelen zur ILUC-Debatte im
Einschätzung des Bioökonomie-Konzeptes                Biokraftstoff-Sektor beziehungsweise dem
beschrieben. Manche Akteure definierten               landwirtschaftlichen Biomasseanbau. Unge-
sich klar als Teil der Bioökonomie, anderen           klärt ist weiterhin, ob und wie die Kohlen-
war der Begriff gar nicht bekannt.                    stoffsenkenfunktion von Wäldern in politi-
                                                      sche Regulierungen einbezogen werden
Institutionen, Problemstrukturen,                     kann. Im Rahmen der Energiewende wird
Querschnittscharakter                                 Bioenergie in Deutschland von manchen
Hinsichtlich der Problemstrukturen konnte             Akteuren als Problem (hohe Kosten) ange-
festgestellt werden, dass es sich bei der po-         sehen, während andere Akteure sie als Lö-
litischen Regulierung der energetischen Bi-           sung (klimaneutral, Erneuerbare Energie)
omassenutzung meist um komplexe                       deklarieren.

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                   53
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 5: Bioenergie als Lösung und als Problem (Eigene Darstellung, Quelle: Interviews)

                 Bioenergie als Lösung                                 Bioenergie als Problem

 •    Klimaschutz                                       •    Begrenztheit von Biomasse
 •    Förderung der Land- und Forstwirtschaft           •    Emission von Treibhausgasen findet statt
 •    Energiesicherheit                                 •    Entwaldung
 •    Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern/ Im-   •    Flächenverbrauch
      porten                                            •    Tank-Teller-Debatte
 •    Energiespeicher, Systemdienstleistungen           •    Monokulturen und Biodiversitätsverlust
                                                        •    Hohe Kosten

Eine Übersicht über unterschiedliche Ver-                   weniger sachrational getroffen werden,
ständnisse von Bioenergie als Lösung oder                   oder dass es erst gar nicht zu politischen
als Problem ist in Tabelle 5 aufgeführt.                    Entscheidungen kommt und grundlegende
                                                            Entscheidungen aufgrund der unsicheren
Fallübergreifend und fallgruppenübergrei-
                                                            Wissenslage trotz dringendem Handlungs-
fend konnte für die Bioökonomiepolitik wei-
                                                            bedarf in die Zukunft oder auf andere politi-
terhin festgestellt werden, dass Pfadabhän-
                                                            sche Ebenen verschoben werden. Beispiele
gigkeiten eine zentrale Rolle spielen. Bei-
                                                            hierfür sind Nachhaltigkeitskriterien für
spiele hierfür sind instrument constituen-
                                                            Forstbiomasse oder Kriterien für die Defini-
cies in der Fallgruppe Biokraftstoffpolitik
                                                            tion von high-risk und low-risk Biokraftstof-
auf europäischer Ebene und das etablierte
                                                            fen.
komplexe Regulierungssystem für Bioener-
gie auf nationaler Ebene, das vielfach als un-              Die Bioökonomiepolitik lässt sich in zahlrei-
übersichtlich und gleichzeitig durch die                    chen Politikfeldern (Energiepolitik, Umwelt-
Kleinteiligkeit und Vielfältigkeit als schwer               politik, Wirtschaftspolitik, Forstpolitik,
reformierbar kritisiert wird (Levin et al.,                 Landwirtschaftspolitik, Abfallwirtschaftspo-
2012).                                                      litik, etc.) verorten und ist als Querschnitts-
                                                            thema zu begreifen (Vogelpohl et al., 2021).
Eine ebenfalls kleinteilige und vielfältige Ak-
                                                            Eine Übersicht über die zentralen Aspekte
teurslandschaft und verzwickte Prob-
                                                            im Erklärungsfaktor Problemstrukturen auf
lemstrukturen (wicked problems) tragen
                                                            nationaler Ebene ist in Tabelle 6 zusammen-
dazu bei, dass politische Entscheidungen
                                                            gestellt.
insbesondere im Bereich Bioenergie

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                              54
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

                  Abbildung 3: Wordcloud Policies/Instrumente der Bioenergiepolitik
                          (Quelle: Interviews nationale Ebene, Fall 2 und 3)

Instrumente                                           deutlich ausgebremst. Heute wird die För-
Auf europäischer Ebene wurden Fragen der              derung von Bioenergie im Stromsektor über
Nachhaltigkeit der Bioenergie durch Nach-             Ausschreibungsverfahren reguliert. Im Wär-
haltigkeitsindikatoren adressiert, die jedoch         mesektor sind politische Maßnahmen we-
teilweise als wenig wirksam kritisiert wur-           sentlich überschaubarer und die Debatten
den. Auf nationaler Ebene wurde in                    werden weniger kontrovers geführt. Die
Deutschland im Stromsektor die Förderung              Nutzung von Bioenergie im Wärmesektor
der Bioenergie nach einer Boom-Phase                  hat eine lange Tradition, ist relativ stabil und
stark zurückgefahren, was von manchen                 weniger durch politische Regulierungen be-
Stakeholdern als politisch gewolltes Ende             einflusst als Bioenergie im Stromsektor oder
der Bioenergiebranche wahrgenommen                    Biokraftstoffe im Verkehrssektor. Auf euro-
wird. Was politische Instrumente betrifft,            päischer Ebene wurden in RED I und II Nach-
lässt sich in den vergangenen Jahren ein              haltigkeitsindikatoren eingeführt bezie-
deutlicher Wandel für Bioenergie im                   hungsweise ausgeweitet (Vogelpohl & Per-
Stromsektor beobachten: Zunächst wurde                bandt, 2019). Die Notwendigkeit der Regu-
der Ausbau von Biogasanlagen stark geför-             lierung von CO2-Emissionen wurde häufig in
dert, mit dem EEG 2014 dann jedoch                    den Interviews angesprochen.

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                       55
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 6: Problemstrukturen der Bioenergiepolitik im Strom- und Wärmesektor (nationale Ebene)
(Eigene Darstellung, Quelle: Interviews)

           Bioenergiepolitik im Stromsektor                       Bioenergiepolitik im Wärmesektor

 •    Fokus der Energiewende bisher                      •    Stiefmütterlich behandelt, „schlafender Riese“
 •    EEG: Komplexe Gesetzgebung                         •    EEWärmeG/MAP: Überschaubare Gesetzgebung
 •    Vorteile: Systemdienstleistungen, Flexibilität,    •    Vorteile: Wichtigster erneuerbarer Energieträger,
      Speicherbarkeit, Netzstabilität                         Technologie vorhanden
 •    Nachteile: Relativ teuer, Förderung quasi einge-   •    Nachteile: Emissionen bei Festbrennstoffen
      stellt, im Sektor politisch ‚nicht erwünscht‘           (Holz), Begrenztheit
 •    Über das Ziel hinausgeschossen, dann überkom-      •    Benachteiligung gegenüber Fossilen (Primärener-
      pensiert, Anlagenrückbau?                               giefaktoren)
 •    „Populistische Stimmungsmache“ gegen Bioener-      •    Biomethan, Holzgas, Feststoffe, Prozesswärme
      gie (Vermaisung): Emotionale Debatte, nicht        •    Nachhaltigkeit Biomasse Forstsektor, Langfristig-
      sachlich                                                keit
 •    Biogas/Biomethan, Holzgas, BHKW
 •    Potentiale: Güllenutzung nicht ausgeschöpft,
      keine Förderung Holzgas

Bioenergiepolitik im Stromsektor                             einem Beitrag zum Klimaschutz durch das
Die Fallstudien führten zu fallspezifischen                  Ersetzen fossiler Brennstoffe andererseits
und fallübergreifenden Ergebnissen. Auf al-                  (Kaltschmitt et al., 2016). Politische Ent-
len untersuchten Ebenen lässt sich die Ten-                  scheidungen in den 2010er Jahren wurden
denz erkennen, dass die Bioenergienutzung                    eher zugunsten der Wirtschaftlichkeit als
im Stromsektor eher überreguliert ist, die                   für den Klimaschutz getroffen. Es wurde in
Bioenergienutzung im Wärmesektor bisher                      den Interviews vielfach kritisiert, dass die
hingegen weniger stark im Zentrum der ge-                    politischen Instrumente nicht auf einen ef-
sellschaftlichen und politischen Debatte                     fektiven und effizienten Klimaschutz ausge-
stand.                                                       richtet seien.

Die zentrale Bedeutung des Wärmesektors                      Viele Akteure sprachen sich für eine CO2-Be-
für den Klimaschutz werde jedoch zuneh-                      preisung als sinnvollen und notwendigen
mend thematisiert. Im Stromsektor wurde                      nächsten Schritt aus, da dies ein wirksamer
die Förderung von Bioenergie auf nationaler                  Hebel für das Erreichen der Klimaschutz-
Ebene über das EEG nach einem „Boom“ in                      ziele sei. In den Interviews wurde kritisiert,
den 2000er Jahren, der teilweise uner-                       dass politische Maßnahmen für die Förde-
wünschte indirekte Effekte (Monokulturen,                    rung von Erneuerbaren Energien im
indirekte Landnutzungsänderungen (ILUC),                     Stromsektor in den 2000er Jahren im Hin-
ineffiziente Anlagenkonzepte) mit sich                       blick auf Klimaschutzziele und die Wirt-
brachte, mit dem EEG 2012 und 2014 stark                     schaftlichkeit kleinerer, dezentraler Initiati-
zurückgefahren (DBFZ, 2014).                                 ven und Unternehmen zielführend gewesen
                                                             seien. Diese Erfolge seien jedoch durch Ver-
Ein zentraler Zielkonflikt in diesem Zusam-                  änderungen in der Förderpolitik der 2010er
menhang ist die Abwägung zwischen hohen                      Jahre zum Teil wieder Rückgängig gemacht
Kosten der Bioenergie einerseits gegenüber                   worden und das Fördersystem heute
Systemdienstleistungen im Energiesystem                      komme in erster Linie großen Konzernen zu-
(Speicherbarkeit, Grundlastfähigkeit, Mög-                   gute, während kleinere Initiativen unter den
lichkeit der Einspeisung ins Erdgasnetz) und                 aktuellen politischen Rahmenbedingungen

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Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben            das Thema Luftreinhaltung im Zusammen-
seien.                                            hang mit der Nutzung biogener Festbrenn-
                                                  stoffe.
Die Debatte über Bioenergie ist den inter-
viewten ExpertInnen zufolge in Deutschland        Zielkonflikte
in den 2010er Jahren sehr emotional ge-           Was die Nachhaltigkeit von Bioenergie be-
führt worden.                                     trifft, ließen sich sehr unterschiedliche, teil-
                                                  weise konträre Sichtweisen feststellen
Bioenergiepolitik im Wärmesektor
                                                  (siehe auch Hennig et al., 2017). Deutlich
Im Wärmesektor war auf nationaler Ebene
                                                  wurde außerdem, dass in den politischen
festzustellen, dass die Weiterentwicklung
                                                  Prozessen der Bioenergiepolitik einerseits
des EEWärmeG zum Gebäudeenergiegesetz
                                                  Konflikte zwischen wirtschaftlicher Nutzung
(GEG) sich im Vergleich zum ursprünglichen
                                                  von Biomasse und ökologischen Zielen vor-
Zeitplan stark verzögerte. Auch die Maß-
                                                  liegen, es andererseits aber auch zu Zielkon-
nahmen im Wärmesektor, sowohl im EE-
                                                  flikten innerhalb ökologischer Aspekte
WärmeG als auch im neuen GEG, wurden
                                                  selbst kommt: Insbesondere zwischen glo-
hinsichtlich ihrer Wirksamkeit im Hinblick
                                                  balem Klimaschutz und lokalem Umwelt-
auf den Klimawandel größtenteils als unzu-
                                                  und Naturschutz konnten hier vielfältige In-
reichend eingestuft. Der Wärmesektor als
                                                  teressenkonflikte festgestellt werden.
„schlafender Riese“ wird zunehmend the-
matisiert; auf nationaler Ebene waren für         Da sowohl biogene als auch fossile Gase
den Untersuchungszeitraum jedoch eher             sauberer, also mit weniger Rückständen wie
„Nicht-Entscheidungen“ als einschneidende         Feinstaub, verbrennen als Festbrennstoffe,
politische Entwicklungen zu beobachten.           ergibt sich hier ein Zielkonflikt zwischen De-
Auf europäischer Ebene wurden im Zusam-           fossilisierung für den Klimaschutz (globales
menhang mit der Entwicklung der RED II in         Ziel) und der Vermeidung sonstiger Emissio-
politischen Prozessen der Bioenergiepolitik       nen für die Luftreinhaltung (lokales Ziel).
vor allem Themen diskutiert, die mit der          Defossilisierung kann durch die Nutzung be-
Nutzung von Holz als Energieträger zusam-         grenzter und kostenintensiverer biogener
menhängen. Dies umfasst Nachhaltigkeits-          Festbrennstoffe erreicht werden, die statt
nachweise für Biomasse aus der Forstwirt-         fossiler Brennstoffe genutzt werden. Das
schaft, die auf nationaler Ebene zu konkre-       Ziel der Luftreinhaltung wird andererseits
tisieren sind, Fragen nach Berechnungsme-         durch die Nutzung (kostengünstiger fossi-
thoden für die Kohlenstoffsenken-Funktion         ler) Gase statt (biogener) Festbrennstoffe
von Wäldern (Schlagwort „LULUCF“) und             angestrebt.

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Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Tabelle 7: Vergleich der Inhalte von RED I 2009 und RED II 2018 (Eigene Darstellung, Quelle: Interviews)

                      RED I 2009                                              RED II 2018

 •    Reguliert Erneuerbare Energien in der EU für den   •    Reguliert Erneuerbare Energien in der EU für den
      Zeitraum von 2011 bis 2020                              Zeitraum von 2021 bis 2030
 •    Verbindliches Gesamtziel für 2020: Anteil Erneu-   •    Verbindliches Gesamtziel für 2030: Anteil Erneu-
      erbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch           erbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch
      20%                                                     32%
 •    Nationale Ziele                                    •    Keine nationalen Ziele
 •    Sektorale Ziele: Verkehr ja, Strom und Wärme       •    Sektorale Ziele: Verkehr und Wärme ja, Strom
      nein                                                    nein
 •    Nachhaltigkeits-/THG-Kriterien nur für Biokraft-   •    Nachhaltigkeits-/THG-Kriterien für alle Biobrenn-
      stoffe/Verkehrssektor                                   stoffe/alle Sektoren

Die Auswertung der durchgeführten Inter-                     Bioenergie gestaltet?“ fand am 2. März
views zeigte, dass die Nutzung von Bioener-                  2018 an der FernUniversität in Hagen statt.
gie im lokalen Kontext gesehen werden                        Auf dem eintägigen Workshop wurden die
muss und dass politische Regulierungen                       Idee des Projektes, die Herangehensweise
entsprechend stärker auf lokale Gegeben-                     und erste Ergebnisse der Forschung zu poli-
heiten abgestimmt werden sollten.                            tischen Maßnahmen der Bioökonomiepoli-
                                                             tik vorgestellt.
Für die Bioökonomiepolitik insgesamt
konnte auf Basis der Forschungen im TP                       Nach Vorträgen der ProjektmitarbeiterIn-
Magdeburg und TP Hagen festgestellt wer-                     nen wurden auf dem Workshop die Ziele
den, dass es neben den zu Projektbeginn an-                  der Bioökonomie, Zielkonflikte, die Beteili-
genommenen Zielkonflikten zwischen öko-                      gung von Akteuren und die Gewichtung der
nomischen und ökologischen Zielen im Be-                     Ökonomie im Verhältnis zur Ökologie in der
reich Bioökonomie (wirtschaftliche Entwick-                  Umsetzung der deutschen Bioökonomie-
lung versus Umweltschutz) zu zahlreichen                     Strategie diskutiert. Die Bioökonomiepolitik
Zielkonflikten zwischen ökologischen Zielen                  wurde kritisch im Hinblick auf die Rolle tech-
auf globaler und lokaler Ebene kommt. Häu-                   nischer Lösungen betrachtet, und es wurde
fig muss zwischen globalen Zielen (Beitrag                   festgestellt, dass das Paradigma des wirt-
zum Klimaschutz durch die Reduktion von                      schaftlichen Wachstums in den zu dem Zeit-
CO2-Emissionen) und lokalen Zielen (Luft-                    punkt aktuellen Strategiepapieren nicht an-
reinhaltung, Natur- und Landschaftsschutz,                   getastet wird.
Biodiversitätsschutz) abgewogen werden.
                                                             Der zweite transdisziplinäre Workshop mit
Transdisziplinäre Workshops                                  dem Titel „Europäische und nationale
In Zusammenarbeit mit dem Projektpartner                     Bioökonomiepolitik: Welche Handlungs-
in Hagen wurden drei transdisziplinäre                       spielräume haben Akteure in Deutschland?“
Workshops veranstaltet. Für jeden Work-                      wurde am 21. Februar 2019 im Regional-
shop wurde eine Dokumentation erstellt                       zentrum Berlin der FernUniversität in Hagen
und auf der Projekthomepage hochgeladen.                     durchgeführt. In dieser zweiten Veranstal-
Der erste Workshop mit dem Titel „Bioöko-                    tung wurden erste Ergebnisse des Projektes
nomie im Spannungsfeld von Ökonomie                          in den einzelnen Unterthemen vorgestellt.
und Ökologie: Wie werden politische Pro-                     Das TP Magdeburg präsentierte erste Er-
zesse im Bereich der Biokunststoffe und                      gebnisse im Bereich Bioenergiepolitik im

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                                  58
Politische Prozesse der Bioökonomiepolitik | Böcher, Beer

Strom- und Wärmesektor. Der Schwerpunkt            Auf dem Workshop wurde die Notwendig-
lag auf den Forschungsergebnissen für die          keit einer klaren Hierarchie für verschie-
europäische Ebene.                                 dene Biomasse-Nutzungen in der Bioökono-
                                                   mie diskutiert. Die Bioökonomie sei konse-
Auf dem Workshop wurde festgestellt, dass
                                                   quent am Aspekt der Nachhaltigkeit auszu-
die Bioökonomiepolitik bisher noch nicht als
                                                   richten. Das kommunale Satzungsrecht
etabliertes Politikfeld einzustufen sei. In
                                                   wurde als relevanter Faktor für die lokale
den Diskussionen wurden Zielkonflikte und
                                                   Bioökonomiepolitik identifiziert. Auch
Umweltauswirkungen in den unterschiedli-
                                                   wurde betont, dass der Gedanke der Zirku-
chen Bereichen der Bioökonomie themati-
                                                   larität ein essenzieller Bestandteil der
siert und Potentiale der Bioökonomie, zu
                                                   Bioökonomie sein müsse.
nachhaltiger Entwicklung und einer Defossi-
lisierung der Wirtschaft beizutragen, be-          Die nationale Bioökonomiestrategie der
sprochen. Im Hinblick auf die Regulierung          Bundesregierung befand sich zum Zeitpunkt
der Bioökonomie wurde angesprochen,                der Veranstaltung in Arbeit und erste In-
dass politische Maßnahmen auf den unter-           halte wurden in einem Vortrag vom Projekt-
schiedlichen politischen Ebenen nur be-            träger Jülich (PTJ) vorgestellt und anschlie-
grenzt wirksam sein können und auf die da-         ßend im Plenum diskutiert. Im Hinblick auf
raus resultierenden Probleme hingewiesen.          die politische Ausgestaltung der Bioökono-
Eine erfolgreiche Bioökonomiepolitik müsse         miepolitik müsse eine kohärente Gover-
in den drei Bereichen Markt, Förderung und         nance erreicht werden, sowohl hinsichtlich
Ordnungspolitik eingreifen. Abschließend           einer Widerspruchsfreiheit als auch hin-
wurde die Notwendigkeit einer Harmonisie-          sichtlich einer konsequenten Ausrichtung
rung politischer Regulierungen im Bereich          der Bioökonomiepolitik in Richtung Nach-
Landwirtschaft und das Thema Gesund-               haltigkeit. Die Bioökonomiepolitik sei durch
heitspolitik als wichtiger Grundpfeiler der        abstrakte Ziele und durch ihren Quer-
Bioökonomie diskutiert. Im Bereich Biogas          schnittscharakter geprägt, sowohl durch
wurde darauf hingewiesen, dass eine Ge-            eine horizontale als auch eine vertikale ad-
winnung aus Rest- und Abfallstoffen anzu-          ministrative Verflechtung. Aus diesem
streben und der Gewinnung aus Energie-             Grund sei in diesem Bereich eine Koordina-
pflanzen vorzuziehen sei.                          tion übergreifender Maßnahmen notwen-
                                                   dig.
Der dritte transdisziplinäre Workshop mit
dem Titel „Verzwickt, verflochten und frag-        Wie die SDGs, so sei auch die Bioökonomie
mentiert: Welche „Governance“ braucht              von Zielkonflikten und Widersprüchen ge-
eine erfolgreiche Bioökonomiepolitik?“ war         prägt. Als zentrale Konfliktpunkte wurden
der Abschlussworkshop des Projekts und             Landnutzungskonflikte und die planetaren
fand am 27. Februar 2020 in der Landesver-         Belastungsgrenzen genannt. Rebound-Ef-
tretung Sachsen-Anhalt in Berlin statt. Auf        fekte und Möglichkeiten zur Veränderung
der Veranstaltung wurden die zentralen             der Konsumgewohnheiten wurden in die-
Forschungsergebnisse für die einzelnen             sem Zusammenhang ebenfalls diskutiert. Es
Themenfelder sowie für die Bioökonomie-            sei sowohl notwendig, technische Möglich-
politik insgesamt vorgestellt und mit Stake-       keiten zu nutzen, als auch Veränderungen
holdern aus Politik, Wirtschaft, Wissen-           im Lebensstil zu erreichen. Dafür sei die po-
schaft und Zivilgesellschaft diskutiert.           litische Steuerung entscheidend. Zu beach-
                                                   ten sei dabei die unzureichende Datenlage

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-004                                                  59
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