Reise ins Spielzeugland - Werkstätten Flade
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Brauchtum & Handwerk Reise ins Spielzeugland E rinnert Ihr Euch noch an die Buch- rezession zu „Kathrinchen Zimtstern und die wundersame Weihnachtspost“ im Dieses Handwerk entstand im Erzgebirge mit dem Niedergang des Silberbergbaus. Als die Erzgänge erschöpft waren, suchten die Berg- Im Sommer letzten Jahres besuchte ich mit einer guten Freundin die Manufaktur in der Blumenauer Straße in Olbernhau. Sechzehn Winterheft? Ich erzählte Euch, dass es das leute nach neuen Erwerbsmöglichkeiten, um geschickte Mitarbeiter – 15 Frauen und ein kleine Engelchen Kathrinchen und seine ihre Familien ernähren zu können. Holz war Mann – fertigen hier einzigartige Werke. Freunde, die Nussknacker und Räucher- der Werkstoff, den der Bergmann auch unter männchen, nicht nur in der Phantasie des Tage verarbeitet hatte. Über die Jahrhunder- Autors oder der Leser, sondern auch real als te entwickelte sich die Kunstfertigkeit der Holzfiguren gibt. Schnitzer und Drechsler, der Reifendreher und Spielzeugmacher. Anfang des 20. Jahr- hunderts war die Blütezeit der „Mannlema- cher“. Das begehrte erzgebirgische Holzspiel- zeug wurde damals in viele Länder weltweit exportiert. Das ist übrigens bis heute so. Jedes Jahr im Herbst, zum Tag des traditionel- Text: Birgit Weiß Fotos: ©Birgit Weiß len Handwerks, kann man in verschiedenen Manufakturen Meistern und Gesellen genau über die Schulter und auf die Finger schau- en. Kerstin Drechsel, die „Erfinderin“ vom kleinen Engelchen Kathrinchen Zimtstern, In meiner Heimat, dem Erzgebirge – ganz öffnet nach Voranmeldung von März bis Au- im Süden von Sachsen – erzeugen viele klei- gust jeden Jahres die Türen ihrer Werkstätten ne und etwas größere Betriebe solche Männ- Flade. Hier darf man innerhalb eines Work- chen aus Holz. In Seiffen existiert die einzige shops seine eigene kleine Figur erschaffen Schule Deutschlands, wo man den Beruf des und selbst erfahren, wie viele Arbeitsschritte Holzspielzeugmachers erlernen kann. in einer winzigen Holzminiatur stecken. Holunderelfe Seite 43
Flachshaare sind das Markenzeichen der -gläser geführt! Daneben standen grundierte Werkstätten. Die typischen Frisuren der Figuren, die auf den Finalanstrich warteten. Holzpüppchen sind aus Flachs, der Faser des blauen Leins. Diese Pflanze wird schon seit Nun besichtigten wir das Zimmer der Ma- Jahrhunderten hier in der Gegend angebaut. lerinnen, die in verschiedenen Maltechni- In Olbernhau findet man auch die Dörn- ken den Figuren durch farbenfrohe feinste thaler Mühle, die älteste produzierende Öl- Pinselstriche Leben einhauchen. Und ganz mühle Deutschlands, welche bis heute unter viele Accessoires: Körbchen, Bälle, kleine anderen Leinsamen, die Früchte der Lein- Töpfe oder Flaschen, Blumen, Kätzchen und pflanze, zu Öl presst. Hunde warteten ebenfalls auf den Anstrich. Viele Handgriffe der Verarbeitung sind not- wendig, bis die kleinen Gestalten Zöpfe oder gar Flechtfrisuren tragen. Zuerst klebte ich winzige Holzblüten auf eine Kugel – dicht an dicht. Daraus entstand ein Wir starteten mit einem Rundgang. Zuerst Staunend hörten wir, dass 412 Farbtöne ver- Bäumchen. Dann eine Figur: Körper, Bein- ein Überblick im Schauzimmer mit den herr- arbeitet werden und dass mindestens vier, bei chen und Ärmchen wurden vorsichtig ver- lichen Spieldosen, Pyramiden und Regalen den farbigen Figuren sogar sechs oder sieben leimt. Das passende Köpfchen und einen voller kleiner und winziger Figuren. Englein, Farbaufträge nötig sind. kleinen Sockel durfte ich aussuchen. Mit Kinder, Weihnachtsmänner, verschiedene Engelsgeduld erklärten uns die Spielzeug- Tiere und Mini-Nussknacker, die kleiner als Im nächsten Raum wurden die Figuren oder macherinnen, worauf es ankommt, wenn die ein Fingernagel sind. Spieldosen komplettiert. Sie erhalten den Füßchen und Händchen platziert werden, letzten Schliff, bevor sie, in Seidenpapier ver- damit die Proportionen passen oder wie Zu- packt, die Werkstatt in alle Welt verlassen. behör, wie die Blume, fixiert wird. Hier zwischen den freundlichen Spielzeug- macherinnen war unser Arbeitsplatz für einen Nun folgte noch eine Miniatur mit Kätzchen Tag: mit Unterlage, Pinzette und Leimflasche. und Mäuschen, mein persönliches Meister- stück. Ich lernte, dass es beim Ankleben der Ohren auf winzige Nuancen ankommt, sonst wird aus dem Kätzchen ein Schweinchen. Ich brauchte unzählige Versuche und fachkundi- ge Hilfe, bis Ohren und Schwanz endlich an der richtigen Stelle saßen und hielten. Aber Es folgte der Blick in das Lager für Roh- und ich hab´s geschafft! Voller Stolz fuhr ich mit Fertigteile voller Kästchen und Kistchen (die einem Schatzkästchen heim – mit meinen Lagerwirtschaft funktioniert hier noch mit Kreationen aus den Werkstätten Flade (siehe Karteikarten) und in die Werkstatt mit feins- großes Foto rechts)! ten Sägen, Bohrern, winzigen Lehren und Vorrichtungen. Dann wurden wir in einen Wer jetzt von Euch neugierig ist und das auch Raum mit einem Regal voller Farbtöpfe und einmal erleben möchte: der nächste Tag des Handwerks im Erzgebirge findet am 18. / 19. Oktober 2020 statt. Einen oder mehrere Tage bei Kerstin Drechsel könnt Ihr nach Anfrage vom Frühling bis zum Sommerende buchen. Holzspielzeug aus verschiedenen Epochen gibt es in den Spielzeugmuseen in Seiffen und Ol- bernhau oder in der Manufaktur der Träume, einer Sammlung in Annaberg, zu bewundern.
Brauchtum & Handwerk Am allerschönsten fand ich, mit eigenen Händen (m)ein Unikat zu schaffen, auch wenn die kleinen filigranen Figuren für mich viel zu kostbar zum Spielen sind. Ich habe „begriffen“, wie viel Fingerfertig- keit, Geduld, Fleiß & Phantasie notwendig sind, bis ein Engelchen das Licht der Welt erblickt. Dabei habe ich viel Neues erfahren und eine Menge Spaß gehabt. Viele Fotos und Informationen zu den Figuren rund um Kathrinchen Zimtstern, zur Entstehung der Flachshaarkinder, zum Werdegang von Kerstin Drechsel, zum Kathrinchen Zimtstern Verein, der Kinder stark machen möchte, und den Kontakt zur Manufaktur findet Ihr auf www.werkstaetten-flade.de. Ich wünsche Euch einen zauberhaften Frühling voller kreativer Ideen! Eure Birgit *** Über die Autorin: Birgit Weiß ist Kräuterpädagogin und viel in der Natur unterwegs. Auf www.wiesenwunderwelt.de schreibt sie über wilde Kräuter und mehr, übers Kochen und Backen, überliefertes Pflanzenwissen und -brauchtum – und manchmal auch über alte Handwerkskünste. Holunderelfe Seite 45
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