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REPORT Nr. xxx · Mitbestimmungs-Report Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 AGGRESSIVE BERICHTERSTATTUNG IN DEUTSCHEN UNTERNEHMEN Der Einfluss der Mitbestimmung auf die Ausnutzung von Bilanzierungs- und Steuergestaltungsspielräumen Marc Eulerich und Benjamin Fligge AUF EINEN BLICK – Diese Studie untersucht den Zusammenhang zwi- – Mitbestimmung trägt zu einer verantwortungsbe- schen Mitbestimmung und der Ausnutzung von wussten und weitsichtigen Unternehmensführung Bilanzierungs- sowie Steuergestaltungsspielräume bei. Unternehmen mit aggressiver Finanzbericht- in deutschen börsennotierten Unternehmen zwi- erstattung weisen zwar kurzfristig eine höhere schen 2006 und 2017. Performanz auf, schneiden jedoch langfristig schlechter ab. – Unternehmen mit starker Mitbestimmung be- treiben deutlich seltener Steuervermeidung. Sie zahlen im Durchschnitt 4 Prozentpunkte mehr Steuern auf den erwirtschafteten Gewinn. LA NZ – Je stärker die Mitbestimmung im Unternehmen verankert ist, desto seltener werden Bilanzie- BI rungsspielräume ausgenutzt. Unternehmen mit schwacher Mitbestimmung hingegen reizen Bilanzierungsspielräume häufig aus, um ihre wirtschaftliche Lage besser darzustellen, als sie tatsächlich ist. VIDEO Marc Eulerich und Benjamin Fligge https://youtu.be/Vy4Olu4k8pE
INHALT 1 Einleitung����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 3 2 Wer profitiert von aggressiver Berichterstattung? �������������������������������������������������������� 4 3 Datenerhebung und Methodik �������������������������������������������������������������������������������������� 5 4 Aggressive Berichterstattung und Mitbestimmung�������������������������������������������������������� 6 4.1 Entwicklung aggressiver Berichterstattung in Deutschland����������������������������������������������������� 6 4.2 Einfluss der Mitbestimmung auf aggressive Berichterstattung ����������������������������������������������� 8 4.3 Aggressive Berichterstattung und Performanz������������������������������������������������������������������������ 10 5 Implikationen für die Unternehmensführung und Mitbestimmung�������������������������������12 Anhang 1: Variablenbeschreibung����������������������������������������������������������������������������������������13 Anhang 2: Der Mitbestimmungsindex����������������������������������������������������������������������������������15 AUTOREN Univ.-Prof. Dr. Marc Eulerich Lehrstuhl für Interne Revision, Universität Duisburg-Essen marc.eulerich@uni-due.de MSc. Benjamin Fligge Lehrstuhl für Interne Revision, Universität Duisburg-Essen benjamin.fligge@uni-due.de Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 2
1 EINLEITUNG den. Daher haben alle Akteure ein hohes Interesse an der Richtigkeit der veröffentlichten Informationen. Große Bilanzskandale wie bei Enron sorgten in der Aufgrund dieser großen Bedeutung für das Funk- Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen und tionieren der Wirtschaft, regelt der Gesetzgeber die richteten den Fokus der Öffentlichkeit auf die Finanz- konkrete Ausgestaltung der Finanzberichterstattung berichterstattung von Unternehmen. Der Energieko- ausführlich. Als Beispiel sei das gesetzlich veranker- nzern hatte über Jahre Verbindlichkeiten verschleiert te Vorsichtsprinzip genannt: Es schreibt vor, dass der und nichtexistierende Gewinne ausgewiesen, ehe das Gewinn konservativ, also zurückhaltend, berechnet Unternehmen 2001 Insolvenz anmelden musste. Die- wird. Dies verhindert, dass ein Unternehmen höhere ser Bilanzskandal „biblischen Ausmaßes“ (vgl. FAZ Gewinne als die tatsächlich erwirtschafteten ausweist 2002) hatte weitreichende Folgen: Ungefähr 20.000 und in Folge dessen höhere Dividenden ausschüttet Beschäftigte verloren ihren Job, viele davon ihre Al- (vgl. Kasanen / Kinnunen / Niskanen 1996). Einerseits tersvorsorge; der zuständige Wirtschaftsprüfer Ar- werden hierdurch Stabilität und Zahlungsfähigkeit thur Anderson verschwand vom Markt (vgl. Rinker des Unternehmens erhöht. Denn je weniger Dividen- 2018; von Frentz 2003). Auch Deutschland ist von den ausgeschüttet werden, desto mehr Kapital ver- diesen Skandalen betroffen, wie beispielsweise der bleibt im Unternehmen. Andererseits können Externe Fall des Möbelkonzerns Steinhoff zeigt. Steinhoff auf diese Weise die Lage des Unternehmens besser hatte Scheinfirmen gegründet, an die unter anderem einschätzen. Grundstücke zu überhöhten Preisen verkauft wur- Trotz der ausführlichen Regulierung bestehen für den, um so höhere Gewinne ausweisen zu können Unternehmen teilweise erhebliche Spielräume in der (vgl. Mehring 2019). Ebenso wie bei Enron hatte die konkreten Ausgestaltung. Durch die einseitige Ausnut- Aufdeckung des Betrugs bei Steinhoff für viele Be- zung von Bilanzierungswahlrechten können Unterneh- schäftigte den Verlust ihres Arbeitsplatzes zur Folge men die Finanzberichterstattung so beeinflussen, dass (vgl. zu Klampen / Schürmeyer 2018). Obwohl in den Letztere die tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr wi- Medien häufig über das dramatische Einbrechen der derspiegelt. Auf diese Weise lässt sich beispielswei- Aktienkurse gesprochen wird, leiden insbesondere se der Gewinn erhöhen, ohne dass das Unternehmen die Beschäftigten unter Bilanzmanipulationen. Denn tatsächlich leistungsfähiger geworden ist. Derartige wie die Beispiele zeigen, wird häufig Personal ab- Maßnahmen wirken jedoch meist nur kurzzeitig und gebaut, um wieder für Stabilität zu sorgen. Der Fall führen in späteren Jahren häufig zu geringeren Ge- Steinhoff zeigt aber auch, dass ganz andere Akteure winnen, so dass das Management in den Folgejahren betroffen sein können: Ein großer Anteilseigner des diesen Nachteil durch die Ausnutzung weiterer Bilan- Konzerns war ein afrikanischer Pensionsfond, der zierungsspielräume ausgleichen müsste (vgl. Jensen durch die Kurseinbrüche bei Steinhoff hohe Verluste 2005). Ferner können über die legalen Möglichkeiten erlitt, was wiederum die Finanzierung der Altersvor- hinaus weitere Verzerrungen durch gezielte Manipula- sorge von zahlreichen Beschäftigten gefährdete (vgl. tionen entstehen. Fahrion / Steinmann 2018). Auch hinsichtlich der Besteuerung von Unterneh- Die Finanzberichterstattung von Unternehmen hat men gibt es teils gewaltige Spielräume. Sogenannte für das Funktionieren der Wirtschaft eine wichtige Be- Steuergestaltungsmodelle stehen häufig in der öffent- deutung. Sie nimmt dabei grundsätzlich zwei Funktio- lichen Kritik, basieren allerdings oft auf legalen Aktivi- nen ein: eine Informationsfunktion und eine Zahlungs- täten, mit denen Unternehmen große Teile der Steuern bemessungsfunktion (vgl. Belkaoui 2002). Erst durch einsparen können. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Finanzberichterstattung kommen externe Dritte in der Kaffee-Konzern Starbucks: Er geriet in die Kritik, die Lage, die finanzielle Situation eines Unternehmens nachdem er trotz hoher Gewinne kaum Steuern in bewerten und vergleichen zu können. Diese Informa- Deutschland zahlte (vgl. Tauber 2015). Derartige Steu- tionen sind nicht nur für Investoren (darunter auch ergestaltungsmodelle nutzen häufig die Möglichkeit Pensionsfonds) essentiell, sondern auch für andere aus, Gewinne in Länder mit geringem Steuersatz zu Akteure. So können z. B. Kreditgeber oder Lieferan- transferieren. ten auf Basis des Jahresabschlusses die Wahrschein- Im vorliegenden Report wird das übermäßige Aus- lichkeit ermitteln, mit der ein Unternehmen seine nutzen von Bilanzierungs- und Steuergestaltungsspiel- Verbindlichkeiten zurückzahlen kann. Dies ist wiede- räumen unter dem Begriff „aggressive Berichterstat- rum die Grundlage für die (Kredit-)Konditionen (vgl. tung“ zusammengefasst. Zwar gibt es zur Vermeidung Reichling / Bietke / Henne 2007). Des Weiteren ist die von aggressiver Berichterstattung verschiedene Ak- Finanzberichterstattung relevant für die Berechnung teure wie z. B. den Wirtschaftsprüfer. Dennoch zei- der Dividenden und die Festlegung der Steuerhöhe. So gen die genannten Beispiele: Sie sind nicht immer in wird die Höhe des Steueraufwandes auf Basis des bei der Lage, aggressive Berichterstattung aufzudecken. der Finanzberichterstattung angegebenen Gewinns Ferner muss man sich fragen: Ab wann werden Bi- berechnet; daran wird die Gesellschaft, welche die lanzierungswahlrechte so einseitig ausgenutzt, dass Rahmenbedingungen für den Erfolg des Unterneh- die Finanzberichterstattung nicht mehr die tatsächli- mens geschaffen hat, beteiligt. Ähnlich ist es bei den chen Verhältnisse widerspiegelt? Ab wann betreibt ein Anteilseignern: Unternehmen können nicht mehr Divi- Unternehmen zu viel Steuervermeidung? In diesem denden ausschütten, als Gewinne erwirtschaftet wur- Zusammenhang wird im Folgenden auch die Rolle Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 3
der Mitbestimmung untersucht. Die Ausführungen ment seine Vergütung über Bonuszahlungen erhöhen, zeigen: Die Beschäftigten leiden oft stark unter den aber auch die eigene Reputation und damit die eigene Konsequenzen von aggressiver Berichterstattung und Jobsicherheit verbessern (vgl. Bergstresser / Phillipon können über ihre Rolle im Aufsichtsrat aktiv zur Ver- 2006; Chi / Gupta 2009; Jensen 2005). meidung aggressiver Berichterstattung beitragen. Im Neben den Vorteilen sind beide Aktivitäten aller- Fokus stehen dabei folgende Fragen: dings auch mit Risiken verbunden: Je aggressiver Steuern vermieden oder Bilanzspielräume ausgenutzt – Wie hat sich aggressive Berichterstattung in werden, desto höher ist die Gefahr von Sanktionen. Deutschland seit 2006 entwickelt? Die Verantwortlichen können beispielsweise mit Frei- – Welchen Einfluss hat die Mitbestim- heits- oder Geldstrafen belegt und das Unternehmen mung auf den Einsatz von aggressiven zu Strafzahlungen verurteilt werden. Ferner besteht Berichterstattungspraktiken? die Gefahr, dass die Finanzberichte angepasst werden – Sind Unternehmen, die aggressive Berichterstat- müssen (vgl. Reiß / Schaaf 2013). Hierdurch wird das tungspraktiken einsetzen, langfristig erfolgreicher? Vertrauen in die Korrektheit der Veröffentlichungen nachhaltig geschädigt, da zweifelhaft bleibt, inwie- Um diese Fragen zu beantworten, wird in Kapitel 2 zu- fern die übrigen Informationen korrekt sind (vgl. Ober- nächst beschrieben, welche Vor- und Nachteile ag- dörster 2009; Rolke / Wolff 2000). Dementsprechend gressive Berichterstattung mit sich bringt und welche können oft starke Aktienkurseinbrüche als Reaktion Gruppe wie stark davon profitiert. Kapitel 3 stellt die auf die Berichtigung beobachtet werden (vgl. Tseg- Untersuchungsmethode und die Stichprobe vor. Die ba / Upaa 2015). Untersuchungsergebnisse stehen im Mittelpunkt von Im Fokus der Forschung stand bisher häufig die Fra- Kapitel 4. Abschließend beleuchtet Kapitel 5 in einem Fa- ge: Inwiefern wird die Aggressivität der Berichterstat- zit den Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und tung von den Anteilseignern beeinflusst? Grundsätz- aggressiver Berichterstattung. lich profitieren Anteilseigner von aggressiver Bericht- erstattung, indem der höhere Gewinn eine höhere ma- ximale Dividende ermöglicht und gleichzeitig zu Kurs- gewinnen führt. Die Anteilseigner sind jedoch nicht homogen hinsichtlich ihrer Interessen. Beispielsweise 2 WER PROFITIERT VON AGGRESSIVER bevorzugen Familienunternehmen und Unternehmen mit staatlicher Beteiligung weniger Steuervermeidung BERICHTERSTATTUNG? (vgl. Bradshaw / Liao / Ma 2018; Cheng et al. 2012), In diesem Report wird unter aggressiver Berichter- während institutionelle Investoren und Hedge-Fonds stattung insbesondere das Ausnutzen von Bilanzie- mehr Steuervermeidung bevorzugen (vgl. Cheng et al. rungs- und Steuergestaltungsspielräumen verstanden. 2012; Khan / Srinivasan / Tan 2017). Dies hängt damit Beispielsweise gelten Unternehmen als aggressiv in zusammen, dass die Risikoneigung abnimmt, je län- ihrer Berichterstattung, wenn sie diese Spielräume ger der Investitionshorizont ist und je schwieriger die übermäßig ausnutzen und dabei unter Umständen so- Anteilseigner ihre Anteile am Unternehmen verkaufen gar den legalen Rahmen überschreiten. Entsprechend können. Je nachdem, welche Gruppe betrachtet wird, sind Unternehmen, die verhältnismäßig viele Steuern ergeben sich also andere Vorteile und eine andere Ri- zahlen oder Bilanzierungsspielräume nicht ausnut- sikogewichtung. Daher hält jede Gruppe ein anderes zen, um den Gewinn zu erhöhen, als nicht aggressiv Maß an Aggressivität bei der Berichterstattung für einzustufen.1 optimal. Grundsätzlich entscheidet das Management, in- Ein wenig beachteter Akteur in diesem Zusammen- wiefern Bilanzspielräume ausgenutzt und wie stark hang sind die Beschäftigten (vgl. Chyz et al. 2013). Steuern vermieden werden. Das Management hat aus Auch wenn eine aggressive Berichterstattung kurzfris- verschiedenen Gründen einen Anreiz zu beidem: Je tig zu höheren Gewinnen führt und damit grundsätz- weniger Steuern bezahlt werden, desto mehr finanzi- lich im Interesse des Unternehmens ist, profitieren sie elle Mittel verbleiben im Unternehmen. Diese vermie- meist nicht von höheren Gewinnen. Ihre Löhne sind denen Aufwendungen erhöhen den Gewinn und damit in der Regel fix und daher unabhängig vom Erfolg des unmittelbar die Performanz des Unternehmens bzw. Unternehmens. Erst im Rahmen von Tarifverhandlun- des Managements. Durch die Ausnutzung von Bilan- gen können die Löhne erhöht werden. Nutzen Ma- zierungsspielräumen kann darüber hinaus ein höhe- nager diesen Umstand und verlagern die Gewinne rer Gewinn dargestellt werden als tatsächlich erwirt- im Jahr der Tarifverhandlung auf spätere Jahre, um schaftet wurde. Auf diese Weise kann das Manage- so eine bessere Verhandlungsposition zu besitzen, entstehen den Beschäftigten sogar Nachteile durch 1 Es ist auch denkbar, dass Unternehmen Bilanzierungsspiel- aggressive Berichterstattung (vgl. ebd.). Ein weiterer räume ausnutzen, um Gewinne zu senken. Niedrige Gewin- Aspekt ist, dass die Beschäftigten stärker von den Ri- ne sind jedoch, wie die Ausführungen in diesem Kapitel zeigen werden, nicht im Interesse des Managements, der siken aggressiver Berichterstattung betroffen sind. Im Shareholder oder des Unternehmens selbst. Daher ist nicht Gegensatz zum Management und den meisten An- davon auszugehen, dass in Deutschland gelistete Unterneh- men langfristig hiervon Gebrauch machen. Das Phänomen teilseignern haben sie ein langfristiges Interesse am wird allerdings in Kapitel 4.2 genauer untersucht. Unternehmen. Während Anteilseigner problemlos ihre Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 4
Anteile veräußern und den Erlös in andere Alternati- Zur Untersuchung der Entwicklung von aggressi- ven investieren können, sind Arbeitnehmende nicht ver Berichterstattung in Deutschland und deren Zu- derart flexibel. Stattdessen müssen sie meistens große sammenhang zur Mitbestimmung wurden alle Unter- Hürden beim Verlassen bzw. Wechseln des Arbeitge- nehmen betrachtet, die im Analysezeitraum im CDAX bers meistern, angefangen beim Suchen und Finden gelistet waren. Das Ausgangssample umfasst 9.360 einer passenden bzw. verfügbaren Stelle bis hin zum Unternehmensjahre von 780 verschiedenen Unter- zeitlichen Aufwand des Bewerbungsprozesses. Dem- nehmen. Die für diesen Report genutzten Variablen entsprechend ist zu vermuten, dass Arbeitnehmende wurden aus der Thomson-Reuters-Datenbank erho- weniger Aggressivität bei der Berichterstattung bevor- ben, wobei fehlende Daten, soweit möglich, händisch zugen (vgl. ebd.). nacherhoben wurden. Sie wurden auf Grundlage der Die bisherige Forschung zur Mitbestimmung und veröffentlichten Jahresabschlüsse und Internetauf- Berichterstattung unterstützt diese These. Chyz et tritte der Unternehmen recherchiert. al. (2013) fanden heraus: Unternehmen, in denen die Die Messung und Analyse der Ausnutzung von Bi- Gewerkschaft einen starken Einfluss hat, neigen we- lanzierungsspielräumen und der Steuervermeidung niger zu aggressiver Steuervermeidung. Scholz und erfordert jeweils andere Daten zur Berechnung sowie Vitols (2019) weisen in ihrer Studie nach, dass Unter- andere Kontrollvariablen. Daher unterscheiden sich nehmen mit mehr Mitbestimmung eher sogenannte die Untersuchungssamples hinsichtlich der Variablen. CSR-Berichte über die eigene soziale Verantwortung Unternehmen aus der Finanzbranche wurden von der veröffentlichen. Hamm, Jung und Lee (2018) zeigen: Untersuchung ausgeschlossen, da sie anderen Rege- In Unternehmen mit starker Gewerkschaftsbindung lungen bei der Berichterstattung unterworfen sind. werden Bilanzspielräume nur ausgenutzt, um leich- Fehlende Variablen führten zu einer Stichprobe von tere Schwankungen auszugleichen und nicht um den 2.571 Unternehmensjahren aus 405 Unternehmen zur Gewinn systematisch positiver auszuweisen. Zu ähnli- Analyse des Zusammenhangs zwischen Mitbestim- chen Ergebnissen kommt auch Bova (2013): Unterneh- mung und der Ausnutzung von Bilanzierungsspiel- men, in denen die Gewerkschaft einen starken Einfluss räumen. Die Stichprobe zur Analyse von Steuerver- hat, geben seltener den Druck des Kapitalmarktes meidung umfasst hingegen 1.629 Unternehmensjahre nach, bestimmte Performanz Ziele erfüllen zu müssen. von 317 Unternehmen. Hierbei mussten insbesonde- Insbesondere Unternehmen mit schwachem Gewerk- re Unternehmen ausgeschlossen werden, die einen schaftseinfluss nutzen häufig Bilanzierungsspielräume steuerlichen Verlust erwirtschaftet haben und keine aus, um die Erwartungen der Analysten nicht zu ver- Steuern gezahlt haben oder eine Steuerrückzahlung fehlen. Auch eine aktuelle Studie von Chyz et al. (2020) erhalten haben. zeigt, dass Mitbestimmung im Prüfungsausschuss, zu Die Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen weniger aggressiver Berichterstattung führt. wurde über das Jones-Modell gemessen (vgl. Jones 1991). Dieses basiert auf der Idee, Bilanzpositionen zu summieren, bei denen das Management große Bi- lanzierungsspielräume hat. Im nächsten Schritt wird untersucht, welche Anteile davon durch verschiedene 3 DATENERHEBUNG UND METHODIK Einflussfaktoren wie Umsatzschwankungen erklärt werden können. Die Ausnutzung von Bilanzierungs- Die folgenden Ergebnisse beruhen auf einer Untersu- spielräumen wird durch den Teil gemessen, der nicht chung börsennotierter Unternehmen aus dem CDAX durch diese Einflussfaktoren erklärt werden kann. In (Composite DAX), die verschiedene Indikatoren für diesem Zusammenhang haben sich insbesondere das aggressive Berichterstattung einbezieht. Um den Ein- Modified Jones Model (vgl. Dechow / Sloan / Sweeney fluss der Mitbestimmung auf aggressive Berichter- 1995) und das Performance adjusted Jones Model stattung bestmöglich zu analysieren, diente als Basis (vgl. Kothari / Leone / Wasley 2005) bewährt, weshalb des Untersuchungsdesigns eine Zeitreihe im Zeitraum auf beide zurückgegriffen wird. zwischen 2006 und 2017 – so wurde auch der Fokus Steuervermeidung kann durch sehr viele unter- auf die Entwicklung nach der Finanzmarktkrise 2008 schiedliche Faktoren bestimmt werden. Für die vor- gerichtet. Als Grundlage für die Bildung des Unter- liegende Analyse wird auf Unterschiede zwischen suchungssamples wurde der CDAX gewählt, in dem Handels- und Steuerbilanzen, Steuerraten sowie sämtliche an der Frankfurter Börse im Prime und Ge- Steuerzahlungen zurückgegriffen. Die Unterschiede neral Standard notierten Unternehmen gelistet sind. zwischen Handels- und Steuerbilanz werden ermit- Aufgrund der segment- und größenübergreifenden telt, indem zunächst die „normale“ Höhe der Steuern Zusammensetzung repräsentiert der CDAX die Vielfalt aus dem Gewinn und dem gesetzlich verankerten des deutschen Aktienmarktes und kann als Indikator Steuersatz gebildet wird. Anschließend wird dieser der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland her- Betrag mit tatsächlichen Steuerzahlungen verglichen angezogen werden.2 – Unternehmen, die aggressiv Steuervermeidung betreiben, zahlen hierbei deutlich weniger Steuern 2 Vgl. Deutsche Börse Cash Market Online, https://www. als man „normalerweise“ bezahlen müsste, weil sie deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/ueber-uns/ wissen/boersenlexikon/boersenlexikon-xml-singleview/ beispielsweise Steuervergünstigungen nutzen oder CDAX-243044 [4.5.2020]. Steuern in Länder mit geringem Steuersatz verlagern. Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 5
Abb. 1 Abb. 2 Unterdurchschnittliche Überdurchschnittliche Mitbestimmung Mitbestimmung Unterdurchschnittliche Überdurchschn Mitbe 2006 28,71% 30,57% 2006 30,29% 32,77% 2007 33,68% 34,00% 2007 33,40% 35,73% 2008 31,71% 34,78% 2008 31,11% 33,83% Die Steuerrate wiederum gibt an, wie viel Prozent des Um die Unterschiede in der institutionellen Veran- 2009 32,82% 36,59% 2009 30,82% 32,73% Gewinns an Steuern aufgewendet werden. Sehr ähn- kerung der Einflussmöglichkeiten der Belegschaft zu 2010 29,09% 30,25% lich hierzu zeigen Steuerzahlungen, wieviel Prozent 2010 messen, wird der Mitbestimmungsindex ( 30,40% MB-ix) ge- 33,87% 2011 31,62% des Gewinns an 34,87% Steuern tatsächlich gezahlt werden. messen. Der Index besteht 2011 27,71% aus sechs Komponenten 35,30% 2012 32,74% Die 31,33% Unterscheidung zwischen Steueraufwand und 2012 31,10% und ist zwischen Null (keine Mitbestimmung) und 100 30,53% 2013 36,36% Steuerzahlungen 30,45% ist notwendig, da manche Steuer- 2013 (vollständiges Erfüllen aller Indikatoren) 36,11%Ein- normiert. 31,23% 2014 vermeidungsstrategien 35,69% 33,37%daraus bestehen, die Zahlung bezogen werden dabei: die 2014 Zusammensetzung, 36,18% inter- 33,96% der Steuern in spätere Jahre zu verschieben. Hierbei ne Struktur und formelle Einflussmöglichkeit des Auf- 2015 32,67% 32,31% 2015 32,69% 34,04% wird zwar bilanziell ein Steueraufwand verbucht, der sichtsrats, die Existenz und Besetzung der Ausschüs- 2016 29,93% 30,18% Einfluss auf die Steuerrate hat, allerdings findet kei- 2016 32,91% se, die Existenz einer grenzüberschreitenden Arbeit- 31,74% 2017 29,70% ne 29,71% Auszahlung statt, was in den Steuerzahlungen er- nehmervertretung bzw. die 2017 31,22%und Internationalisierung 29,68% sichtlich ist. Eine genauere Definition der verwende- die Eigenständigkeit des Personalressorts im Vorstand. ten Variablen findet sich in Anhang 1. Ausführlichere Informationen zum M B-ix finden sich in Anhang 2 sowie im Mitbestimmungsreport zum Kon- zept (vgl. Scholz / Vitols 2016), zur MB-ix-Entwicklung im letzten Jahrzehnt (vgl. Scholz / Vitols 2018), zum B-ix und guter Arbeit (vgl. Scholz 2017) sowie zum Steuerrate (einjährig) Abbildung 1 M Steuerrate (dreijährig MB-ix und der Wettbewerbsstrategie (vgl. Campagna Abb. 2 für über- und unterdurchschnittlich Einjährige Steuerraten im Zeitverlauf et al. 2020). Abb. 3 Unterdurchschnittliche mitbestimmte Unternehmen Überdurchschnittliche Mitbestimmung Mitbestimmung Unterdurchschnittliche Überdurchschnittliche Mitbestimmung M 2006 30,29% 32,77% 2006 28,42% 30,13% 38% 2007 33,40% 35,73% 2007 38% 31,33% 28,65% 36% 2008 31,11% 33,83% 4 AGGRESSIVE 2008 36% 26,09% BERICHTERSTATTUNG 38,31% 34% 2009 30,82% 32,73% 2009 34% 33,37% 43,18% 2010 30,40% 33,87% UND MITBESTIMMUNG 2010 25,85% 32,40% 32% 32% 2011 27,71% 35,30% In diesem Kapitel2011 26,97% wird der Zusammenhang 34,19% zwischen 30% 30% 2012 31,10% 30,53% aggressiver Berichterstattung 2012 und Mitbestimmung 33,15% be- 33,07% 28% leuchtet. Im ersten 28%Schritt wird dabei die Entwicklung 2013 36,11% 31,23% 2013 33,98% 34,15% von aggressiver Berichterstattung zwischen über- und 26% 2014 36,18% 33,96% 2014 26% 29,39% unterdurchschnittlich mitbestimmten Unternehmen 33,54% 24% 2015 32,69% 34,04% 2015 24% 27,02% behandelt. Anschließend wird im Rahmen einer 34,02% Re- 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2016 32,91% 31,74% 2016 26,38% gressionsanalyse der Einfluss von Mitbestimmung 31,37% auf 2017 31,22% 29,68% UnterdurchschniGliche MitbesHmmung 2017 aggressive Berichterstattung 28,93% UnterdurchschniGliche analysiert. Zuletzt29,15% wird Mitbe Unterdurchschnittliche Mitbestimmung die kurz-, mittel- und langfristige Performanz unter- ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Überdurchschnittliche Mitbestimmung ÜberdurchschniGliche Mitbes sucht von Unternehmen, die aggressive Berichterstat- Quelle: eigene Erhebung und Darstellung tung betreiben. Abbildung 2 4.1 Entwicklung aggressiver Berichterstattung in Steuerrate (dreijährig) Deutschland Steuerzahlungen (einjährig) Dreijährige Steuerraten im Zeitverlauf für über- und unterdurchschnittlich mitbestimmte UnternehmenQuelle: eigene Erhebung und Darstellung Zur Untersuchung der Entwicklung aggressiver Be- richterstattung in Deutschland haben wir die verschie- denen Variablen im Zeitverlauf untersucht. Die Unter- 38% nehmen wurden anhand des M B-ix in zwei Gruppen 36% Differenzen zwischen Handels- und Differenzen zwischen H 45% Unternehmen mit überdurchschnittlicher unterteilt: 34% Steuerbilanz (einjährig) Mitbestimmung und Unternehmen mit unterdurch- 40% Mitbestimmung. schnittlicher Steuerbilanz (drei 32% Die Entwicklung der Steuerraten zeigt keinen allge- 10% 10% 30% meinen 35%Trend bei der Steuervermeidung in Deutsch- 28% land. Die durchschnittlichen Steuerraten schwanken 0% ungefähr 30%im Bereich 0% zwischen 30 % und 36 % (vgl. 26% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Abbildung 1). Entsprechend 2006 2007 die wenden 2008CDAX 2009-Unter- 2010 2011 2012 20 24% nehmen25% durchschnittlich zwischen 30 % und 36 % -10% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 -10% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2006 2007 Steuern auf ihren erwirtschafteten Gewinn auf. Über- UnterdurchschniGliche MitbesHmmung durchschnittlich stark mitbestimmte UnternehmenMitbesHmmung UnterdurchschniGliche -20% Unterdurchschnittliche Mitbestimmung liegen hierbei im Durchschnitt -20% meist über den unter- ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Überdurchschnittliche Mitbestimmung durchschnittlich mitbestimmtenÜberdurchschniGliche Unternehmen. DasMitbesHmmung bedeutet, dass sie weniger stark Steuervermeidung -30% Quelle: eigene Erhebung und Darstellung -30% betreiben. Auffällig ist jedoch ein kurzer Zeitraum Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 6 UnterdurchschniGliche MitbesHmmung UnterdurchschniGliche M
2006 28,71% 30,57% 2007 33,68% 34,00% 2008 31,71% 34,78% Steuerrate (dreijährig) 2009 Steuerzahlungen 32,82% 36,59%(einjährig) Abb. 3 Abb. 4 2010 29,09% 30,25% nterdurchschnittliche Überdurchschnittliche zwischen Mitbestimmung 2012 und 2015,Mitbestimmung in dem die Steuerrate un- Unterdurchschnittliche Überdurchschnittliche Mitbestimmung Mitbestimmung Abbildung 3 2011 31,62% 34,87% 28,42% 30,13% terdurchschnittlich mitbestimmter Unternehmen stark 2006 29,48% 30,56% Einjährige2012 32,74% für31,33% 31,33% angestiegen 28,65%ist, so dass sie über dem Niveau der stark 2007 Steuerzahlungen 29,85%im Zeitverlauf 30,52% über- und unterdurchschnittlich mitbestimmten Unternehmen liegt. Da die Steuerraten 2013Unternehmen mitbestimmte 36,36% 30,45% 26,09% 38,31% 2008 25,71% 33,76% jedoch starken Schwankungen unterworfen sind, soll- 2014 35,69% 33,37% 33,37% ten diese 43,18% Ausreißer nicht überbewertet werden. Ins- 45%2009 28,52% 37,02% 2015 32,67% 32,31% 25,85% gesamt32,40%ist die durchschnittliche Steuerrate von über- 2010 26,99% 36,48% 40% 2016 29,93% 30,18% 26,97% durchschnittlich 34,19% stark mitbestimmten Unternehmen 2011 24,91% 36,64% 2017 29,70% 29,71% 33,15% 0.19 %-Punkte 33,07%höher. Sie liegt für stark mitbestimmte 35%2012 29,05% 30,56% 33,98% Unternehmen34,15%bei 32.31 % und bei schwach mitbe- 2013 31,71% 32,33% 29,39% stimmten Unternehmen bei 32.12 %. 33,54% 30%2014 33,30% 32,91% Da die Schwankungen der einjährigen Steuerraten 27,02% 34,02% 2015 28,66% 34,93% jedoch sehr hoch sind, wurden zusätzlich die dreijäh- 25% 26,38% 31,37% analysiert (vgl. Abbildung 2). Hierbei 2016 2006 2007 28,03% 2008 2009 2010 32,30% 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2007 2008 2009rigen 2010 Steuerraten 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 28,93% zeigt sich,29,15% 2017 26,91% 28,89% ein ähnliches Bild: Unternehmen mit schwa- UnterdurchschniGliche MitbesHmmung Steuerrate (einjährig) UnterdurchschniGliche MitbesHmmung Unterdurchschnittliche Mitbestimmung cher Mitbestimmung zahlen meist geringere Steuern, Überdurchschnittliche Mitbestimmung abgesehen von einem ÜberdurchschniGliche kurzen Zeitraum ab 2012. Die MitbesHmmung ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Quelle: eigene Erhebung und Darstellung durchschnittlichen dreijährigen Steuerraten liegen für Unternehmen mit starker Mitbestimmung bei 32.94 % und für Unternehmen mit schwacher Mitbestimmung 38% bei 32.10 % Steuerzahlungen (einjährig) Um ein differenzierteres Bild zu bekommen, wur- 36% Steuerzahlungen (dreijährig) Abbildung 4 den zusätzlich die Steuerzahlungen analysiert. Hierbei 34% Dreijährige Steuerzahlungen im Zeitverlauf für über- und unterdurchschnittlich wird der Prozentsatz des Gewinns ermittelt, der an mitbestimmte 32% Unternehmen Steuern tatsächlich ausgezahlt und nicht nur als Auf- 30% wand verbucht wird. Unternehmen können beispiels- 38% weise Steuergestaltung betreiben, indem sie Steuer- 28% 36% zahlungen auf spätere Jahre verschieben. Die Analy- 26% Differenzen zwischen Handels- und se der einjährigen Steuerzahlungen (vgl. Abbildung 3) 34% DACC_MJones 24% Steuerbilanz (dreijährig) zeigt wesentlich deutlicher, dass überdurchschnittlich 32% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 mitbestimmte Unternehmen höhere Steuern zahlen 30% UnterdurchschniGliche MitbesHmmung (33.37 %) als Unternehmen mit schwächerer Mitbe- 10% stimmung (29.14 %). Somit zahlen Unternehmen mit 28% ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung starker Mitbestimmung 4.23 %-Punkte mehr Steuern 26% 5% auf ihren Gewinn und versuchen ihre Steuerlast daher 06 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 24% weniger stark in die Folgejahre zu verschieben. Ähn- 008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2006 2007 0% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 liche Ergebnisse finden wir auch bei den dreijährigen 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2 Steuerzahlungen UnterdurchschniGliche (vgl. Abbildung 4). Auffällig ist ein kurz- MitbesHmmung UnterdurchschniGliche MitbesHmmung Unterdurchschnittliche -5% Mitbestimmung zeitiger Anstieg der Steuerzahlungen nach Beginn der Überdurchschnittliche Mitbestimmung ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Finanzkrise 2008 auf über 40 % im Jahr 2009. -10% Es lässt sich festhalten: Unternehmen haben im Quelle: eigene Erhebung und Darstellung Zuge der Finanzkrise weniger Steuervermeidung be- -15% trieben. Einerseits ist die Steuerrate und damit der Abbildung 5 Anteil des bilanziellen Steueraufwands auf einem ähn- lichen Niveau geblieben. UnterdurchschniGliche Andererseits ist der Anteil MitbesHmmung Differenzen zwischen Handels- und Einjährige Differenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz im Zeitverlauf UnterdurchschniGliche für über- MitbesHmmung der Steuerzahlungen deutlich angestiegen. Nach Be- ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Steuerbilanz (einjährig) und unterdurchschnittlich mitbestimmte Unternehmen ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung ginn der Finanzkrise wurden daher wesentlich weniger Steuerzahlungen auf spätere Jahre aufgeschoben. In + 10% der Folge waren beide Kennzahlen relativ konstant, wobei seit 2015 eine wieder größer werdende Steu- 0% DACC_MJones ervermeidung zu beobachten ist. Bis 2017 sanken die 0% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 DACC_PJones 2014 2015 2016 2017 Steuerraten wieder auf ungefähr 30 %, was auch un- gefähr dem Anteil der Steuerzahlungen entspricht. -10% Weitere Einblicke in die Entwicklung der Steuer- vermeidung liefern die Differenzen zwischen Handels- 10% und Steuerbilanz, sowohl einjährig (vgl. Abbildung 5) als -20% auch dreijährig (vgl. Abbildung 6). Ein Wert von 0 be- 5% deutet hierbei, dass keinerlei Differenzen vorliegen, Unterdurchschnittliche Mitbestimmung -30% während Werte über 0 darauf hindeuten, dass das 0% Mitbestimmung Überdurchschnittliche 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Unternehmen Steuergestaltungsspielräume ausnutzt, um Steuern zu sparen. Werte unter 0 deuten hingegen -5% und Darstellung Quelle: eigene Erhebung UnterdurchschniGliche MitbesHmmung -10% ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 7
06 29,48% 30,56% 07 29,85% 30,52% 08 25,71% 33,76% 38% 09 28,52% 37,02% 36% 10 26,99% 36,48% 34% hin, dass keinerlei Steuervermeidung betrieben 11 24,91% 36,64% Abbildung 6 darauf 12 29,05% 30,56% wird. 32% Die Entwicklung zeigt, dass die Unternehmen in 13 31,71% Differenzen Dreijährige Differenzen 32,33% zwischen Handels- und zwischen Handels- und Steuerbilanz im Zeitverlauf für DACC_MJones Deutschland im Durchschnitt nicht übermäßig aggres- 30% über- und unterdurchschnittlich mitbestimmte Unternehmen siv Steuervermeidung betreiben, da selten der Grenz- 14 33,30% Steuerbilanz (dreijährig) 32,91% 28% von 0 überschritten wird. Deutlich wird aber, wert 15 28,66% 34,93% dass 26% auch bei dieser Messung überdurchschnittlich 16 + 28,03% 10% 32,30% 10% Unternehmen weniger aggressiv stark mitbestimmte 24% 172006 200726,91% 2008 2009 201028,89%2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 wirken, als 2006Unternehmen 2007 2008 2009 mit schwächerer Mitbestim- 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 0% 0% 5% mung. Über die meisten Jahre ist auch hier ein klarer 2006 UnterdurchschniGliche 2007 2008 2009 2010 MitbesHmmung 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Unterschied zwischen beiden UnterdurchschniGliche Gruppen erkennbar. MitbesHmmung 0% Die Analyse der Ausnutzung von Bilanzierungs- -10% ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung 2006 ÜberdurchschniGliche 2007 2008 2009 2010MitbesHmmung 2011 2012 2013 20 spielräumen über die Zeit gestaltet sich schwieriger, da die Kennzahlen -5% hierfür jährlich als Abstand zum -20% Branchendurchschnitt berechnet werden. Dement- Steuerzahlungen (dreijährig) sprechend können -10% keine Aussagen zur Entwicklung Unterdurchschnittliche Mitbestimmung des Ausmaßes der Ausnutzung von Bilanzierungs- -30% Überdurchschnittliche Mitbestimmung -15% spielräumen getroffen werden. Allerdings lässt sich unterscheiden, ob es zwischen überdurchschnittlich Quelle: eigene Erhebung und Darstellung und unterdurchschnittlich stark mitbestimmten Unter- UnterdurchschniGliche MitbesHmmung nehmen einen Unterschied gibt, der sich UnterdurchschniGliche auch über die MitbesHm ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Jahre hinweg zeigt. Werte über 0 weisen darauf hin, ÜberdurchschniGliche MitbesHmm Abbildung 7 dass das Unternehmen Bilanzierungsspielräume aus- DACC_MJones nutzt, um den Gewinn höher auszuweisen, während DACC_PJ Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen nach dem modifizierten Jones-Modell Werte unter 0 darauf hinweisen, dass das Unterneh- (ModJones) für über- und unterdurchschnittlich mitbestimmte Unternehmen men Bilanzierungsspielräume nutzt, um den Gewinn zu verringern. Der Wert 0 bedeutet, dass das Unter- 10% 10% nehmen durchschnittlich stark Bilanzierungsspielräu- me ausnutzt und dementsprechend weder Gewinne + 5% 5% höher, noch niedriger ausweist. 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Wird die Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen 0% 0% mithilfe des modifizierten Jones-Modells (ModJones) UnterdurchschniGliche 2006 2007 2008 2009 2010 MitbesHmmung 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 201 berechnet (vgl. Abbildung 7), finden sich die überdurch- -5% ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung -5% schnittlich mitbestimmten Unternehmen meist un- terhalb des Grenzwertes von 0 wieder. Unternehmen -10% -10% mit unterdurchschnittlicher Mitbestimmung hingegen sind meist über den Grenzwert und meist über dem -15% -15%mitbestimmten Unternehmen, was Niveau der stark Unterdurchschnittliche Mitbestimmung darauf schließen lässt, dass diese Unternehmen häu- Überdurchschnittliche Mitbestimmung figer Bilanzierungsspielräume ausnutzen, um die wirt- UnterdurchschniGliche MitbesHmmung schaftliche Lage besser darzustellen, als sie tatsäch- Quelle: eigene Erhebung und Darstellung ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung lich ist. Ähnliche Ergebnisse UnterdurchschniGliche ergeben sich auch, MitbesHmmung wenn man die Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen Abbildung 8 anhand des Performanz-adjustierten Jones-Modells (PerfJones) misst (vgl. Abbildung 8). DACC_PJones Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen nach dem Performanz-adjustierten Jones- Modell (PerfJones) für über- und unterdurchschnittlich mitbestimmte Unternehmen 4.2 Einfluss der Mitbestimmung auf aggressive 10% Berichterstattung + 5% Die Ergebnisse in Kapitel 4.1 weisen darauf hin, dass Unternehmen, die überdurchschnittlich stark mit- 0% 0% bestimmt sind, höhere Steuern zahlen und seltener 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 durch Bilanzierungsspielräume ihre wirtschaftliche -5% Lage aufbessern. Somit weisen Unternehmen mit star- ker Mitbestimmung eine weniger aggressive Bericht- -10% erstattung auf. Da dies auch durch andere Effekte wie z. B. die Unternehmensgröße begründet werden kann, -15% Unterdurchschnittliche Mitbestimmung wurde der Einfluss der Mitbestimmung im Rahmen ei- Überdurchschnittliche Mitbestimmung ner Regressionsanalyse analysiert. Beispielsweise sind stark mitbestimmte Unternehmen grundsätzlich grö- Quelle: eigene Erhebung und Darstellung ßer, da Gesetze zur Mitbestimmung u. a. an die Anzahl UnterdurchschniGliche MitbesHmmung ÜberdurchschniGliche MitbesHmmung Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 8
Tabelle 1 Regression zum Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und der Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen Variablen ModJones PerfJones AbsModJones AbsPerfJones MB-ix -0.158*** -0.145*** -0.146*** -0.093*** (-6.67) (-6.49) (-7.28) (-4.75) Bilanzsumme 0.028*** 0.024*** 0.025*** 0.012*** (5.90) (5.64) (5.97) (3.30) Institutionelle Investoren 0.112 0.009 0.142* 0.113 (1.21) (0.11) (1.88) (1.64) F&E-Aufwand 0.328** 0.287** 0.034 0.054 (2.54) (2.22) (0.32) (0.51) Internationalisierung -0.107*** -0.097*** -0.074*** -0.067** (-3.62) (-3.38) (-2.72) (-2.56) Vorräte 0.278*** 0.208*** 0.124* 0.120* (3.59) (2.84) (1.70) (1.75) Verschuldungsgrad 0.214*** 0.205*** 0.135*** 0.116*** (5.75) (5.80) (4.14) (3.80) Leverage -0.221*** -0.259*** -0.266*** -0.117** (-3.21) (-3.89) (-4.29) (-1.97) ROA 0.001** -0.001** (2.00) (-2.17) ROA (Vorjahr) 0.002*** -0.000 (3.46) (-0.86) Konstante -0.446*** -0.285*** -0.251*** -0.155*** (-6.79) (-5.04) (-4.50) (-3.02) branchenfest Effekte ja ja ja ja jahresfeste Effekte nein nein nein nein Beobachtungen 2,571 2,571 2,571 2,571 Adj. R² 0.0758 0.067 0.0522 0.0268 Robuster t-Wert in Klammern *** p < 0.01 ** p < 0.05 * p < 0.1 Quelle: eigene Erhebung und Darstellung der Beschäftigten geknüpft sind. Die Regressionsana- Grundsätzlich ist es denkbar, dass stark mitbe- lyse ermöglicht es, derartige Effekte zu bereinigen. stimmte Unternehmen zwar Bilanzierungsspielräu- Die Analyse zwischen Mitbestimmung und der me nicht nutzen, um höhere Gewinne auszuweisen, Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen zeigt, dass sondern um die Gewinne zu reduzieren und dadurch Mitbestimmung einen positiven Effekt auf die Qualität Steuern zu sparen. Daher wurde der Absolutwert3 des der Finanzberichterstattung hat: Je höher der MB-ix, modifizierten Jones-Modells (AbsModJones) und des desto weniger wird die wirtschaftliche Lage durch die Performanz-adjustierten Jones Modells (AbsPerf- Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen besser (im Sinne von aggressiv) dargestellt (vgl. Tabelle 1). Dass 3 Der Absolutwert (oder auch Betrag) ist der Abstand einer der Effekt auf dem 1-Prozent-Niveau signifikant ist, Zahl zu 0. Beispielsweise ist der Absolutwert von „-5“ spricht für die Generalisierbarkeit dieses Ergebnisses. gleich „5“. Auf diese Weise werden Bilanzierungsspielräu- me, die den Gewinn reduzieren und deswegen ein negati- Außerdem findet sich der negative Einfluss sowohl bei ves Vorzeichen haben (ModJones < 0, PerfJones < 0), ge- Verwendung des modifizierten Jones-Modells (Mod- winnerhöhenden Bilanzierungsspielräumen (ModJones > 0, PerfJones > 0) gleichgesetzt. Dies erlaubt uns zu untersu- Jones) als auch bei der Verwendung des Performanz- chen, ob Mitbestimmung algemein die Beeinflussung des adjustierten Jones-Modells (PerfJones). Gewinns durch Bilanzierungsspielräume reduziert. Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 9
Tabelle 2 Regression zum Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und der Steuervermeidung Steuerrate Steuerzahlungen Differenzen zwischen Han- Variablen dels- und Steuerbilanz einjährig dreijährig einjährig dreijährig einjährig dreijährig MB-ix 0.023 0.033** 0.042** 0.044*** -0.081*** -0.089*** (1.60) (2.25) (2.15) (2.72) (-2.96) (-3.27) Bilanzsumme -0.006** -0.007** -0.008** -0.006** 0.002 0.003 (-2.17) (-2.49) (-2.24) (-2.13) (0.40) (0.60) Institutionelle Investoren -0.007 0.013 -0.071 0.029 0.228 0.303* (-0.09) (0.22) (-1.10) (0.53) (1.46) (1.90) ROA -0.011*** -0.008*** -0.010*** -0.007*** 0.008*** 0.006*** (-12.26) (-9.52) (-9.27) (-7.23) (5.55) (4.64) Sachanlagevermögen -0.080*** -0.064* -0.093*** -0.080** 0.108* 0.074 (-2.99) (-1.81) (-2.66) (-2.41) (1.92) (1.34) F&E-Aufwand 0.048 0.080 -0.106 0.025 -0.068 -0.117 (0.61) (0.88) (-0.92) (0.20) (-0.42) (-0.78) Internationalisierung 0.026 0.033 0.058*** 0.062*** -0.070** -0.099*** (1.19) (1.61) (2.66) (2.81) (-2.15) (-3.16) Investitionen 0.199** 0.071 0.176 -0.082 -0.361* -0.319* (2.22) (0.69) (1.47) (-0.78) (-1.77) (-1.74) Liquidität 0.085*** 0.025 0.048 -0.031 -0.088** -0.055 (3.37) (1.02) (1.31) (-1.10) (-1.96) (-1.38) Konstante 0.086** 0.062 0.102* 0.042 0.004 0.034 (2.00) (1.42) (1.87) (0.84) (0.04) (0.41) branchenfest Effekte ja ja ja ja ja ja jahresfeste Effekte ja ja ja ja ja ja Beobachtungen 1,692 1,692 1,692 1,692 1,692 1,692 Adj. R² 0.1383 0.0701 0.0878 0.0655 0.0444 0.0563 Robuster t-Wert in Klammern *** p < 0.01 ** p < 0.05 * p < 0.1 Quelle: eigene Erhebung und Darstellung Jones) ebenfalls untersucht (vgl. Tabelle 1). Die Ergeb- 4.3 Aggressive Berichterstattung und nisse bestätigen die Vermutung jedoch nicht: Je stär- Performanz ker die Mitbestimmung im Unternehmen verankert ist, desto genauer halten sich die Unternehmen an Bi- In Kapitel 2 wurde beschrieben, dass die unterschied- lanzierungsvorschriften. Mitbestimmte Unternehmen lichen Anspruchsgruppen (Management, Anteils- setzen Bilanzierungsspielräume weniger dazu ein, um eigner, Beschäftigte etc.) im Unternehmen unter- den Gewinn zu erhöhen oder zu vermindern. schiedlich viel Aggressivität bei der Berichterstattung Die Analyse zwischen Mitbestimmung und Steu- bevorzugen. Grundsätzlich weisen die bisherigen ervermeidung zeigt ein ähnliches Bild: Je stärker die Forschungsergebnisse darauf hin, dass weniger ag- Mitbestimmung, desto höher sind die Steuerraten gressive Berichterstattung gewünscht ist, je län- und Steuerzahlungen und desto geringer die Dif- gerfristig das Interesse am Unternehmen ist. Hierzu ferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz (vgl. passen auch die bisherigen Ergebnisse zum Einfluss Tabelle 2). Der Effekt ist lediglich für die einjährigen der Mitbestimmung. Diese Ergebnisse beziehen sich Steuerraten nicht signifikant, dafür aber in sämtlichen jedoch nur auf die Interessen der verschiedenen An- anderen Modellen. Somit zeigt sich auch bei der Ana- spruchsgruppen und nicht auf die Interessen des Un- lyse der Steuervermeidung, dass eine stärkere Mit- ternehmen selbst. Es gilt daher herauszufinden, wie bestimmung zu einer weniger aggressiver Steuerver- sich die Performanz des Unternehmens entwickelt, meidung führt. wenn das Unternehmen Bilanzierungs- oder Steuer- Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 10
ROA 5,00% 4,50% 4,00% 3,50% gestaltungsspielräume aggressiv ausnutzt. Für diese Auch für die Steuervermeidung 3,00% wurde eine ähn- Analyse wurde der ROA (Return on Assets / Gesamt- 2,50% Dabei wurden Unter- liche Analyse durchgeführt. 2,00% kapitalrentabilität: Gewinn als Prozent der Bilanzsum- nehmen, deren dreijährige 1,50% Steuerrate unter dem me) als Kennzahl für die Rentabilität des eingesetzten 1,00% Durchschnitt von ähnlich großen Unternehmen aus 0,50% Kapitals verwendet. Diese Kennzahl ist als Maß für derselben Branche ist, 0,00% als steueraggressiv eingeteilt die Performanz in der Forschung etabliert undAbb. wird10 t***als wenig t+1*** t+2 t+3 t+4 und analog die übrigen Unternehmen steu- Abb. 1 auch in von Praxis häufig zum Vergleich von Unter- eraggressiv der Bilanzierungsspielräumen Starke Ausnutzung von (vgl. Abbildung klassifiziertWenig 10). Hierbei er- hwache g von Bilanzierungsspielräumen Ausnutzung Viel Steuervermeidung Bilanzierungsspielräumen Steuervermeidung 4,20% 4,42% 3,61% 3,20% 3,27 2,82% nehmen eingesetzt. t*** gibt sich ein ähnliches 7,98% Muster: Unternehmen, 5,97% die viel t*** Schwache Ausnutzung Die Unternehmen wurden aufgeteilt in solche, die Steuervermeidung betreiben, haben zunächst einen 2,82% Bilanzierungsspielräume ausnutzen, um die Gewinne t+1*** signifikant höheren 6,24% vonROA (zunächst 5,17% 2,82% 7,98 %, im 2,82% folgen- 3,24% 3,86% t+1** 4,36 3,24% zu erhöhen (ModJones > 0) und Unternehmen, die t+2* 5,49% Bilanzierungsspielräumen 4,75% Bi- den Jahr 6,24 % und zwei Jahre später 5,49 %). Sie zei- t+2 3,86% lanzierungsspielräume nicht zur Gewinnmaximierung t+3 5,07% eine geringere gen langfristig allerdings 4,90% Performanz. t+3 4,36% ausnutzen (ModJones < 0). Um die Performanz t+4des 4,83% Starke Ausnutzung 5,20% von Bilanzierungsspielräumen t+4 Unternehmens im Zeitverlauf zu untersuchen, haben Abbildung 9 Schwache Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen wir den ROA über fünf Jahre betrachtet. Das Jahr t markiert dabei das Jahr, auf dessen Basis ein Unter- Performanz von Unternehmen mit starker oder schwacher Ausnutzung von nehmen hinsichtlich seiner Ausnutzung der Bilanzie- Bilanzierungsspielräumen rungsspielräume eingeteilt wurde. Die Jahre t+1, t+2, DACC_MJones ROA t+3 und t+4 markieren die darauffolgenden Jahre. 4 9,00% Auf diese Weise können wir die Entwicklung der Per- 5,0% 4,42% ROA formanz zeigen, nachdem ein Unternehmen in einem 4,5% 4,20% 8,00% 4,36% 7,00% 3,86% beliebigen Jahr t (keine) Bilanzierungsspielräume zur 4,0% 3,61% Gewinnerhöhung ausgenutzt hat. 3,5% 6,00% 3,0% 5,00% 3,24% 3,20% 3,27% 2,5% 2,82% 4,00% 2,82% Beispielsweise ist ein Unternehmen, das 2012 2,0% 3,00% Bilanzierungsspielräume zur Erhöhung des Ge- 1,5% 2,00% winns eingesetzt hat (ModJones > 0), in die 1,0% 1,00% Gruppe „Starke Ausnutzung von Bilanzierungs- 0,5% 0,00% t*** t+1***spielräumen“ t+2 t+3 eingeteilt. t+4** Die Performanz dieses 0,0% t*** t+1*** t+2* t+3 t+4 Unternehmens wird für das Jahr, in dem es ein- t*** t+1*** t+2 t+3 t+4** Viel Steuervermeidung 7,98% 6,24% 5,49% 5,07% 4,83% 4,20% 4,42% 3,61% 3,20% 3,27% geteilt wurde, sowie für die folgenden Jahre be- Wenig von Bilanzierungsspielräumen Starke Ausnutzung Starke Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen rechnet. In diesem Beispiel wäre die Performanz Steuervermeidung 5,97% 5,17% 4,75% 4,90% 5,20% Schwache Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen Schwache Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen 2,82% 2,82%im Jahr t der ROA 3,24% für 20124,36% 3,86% und die Performanz in Jahr t+4 der ROA für 2016. Viel Steuervermeidung Wenig Steuervermeidung Quelle: eigene Erhebung und Darstellung tzung von Bilanzierungsspielräumen Es zeigt sich, dass Unternehmen, die Bilanzierungs- snutzung von Bilanzierungsspielräumen spielräume aggressiv ausnutzen, im Durchschnitt Abbildung 10 zunächst eine bessere Performanz aufweisen, aber langfristig eine geringere Performanz erzielen. Performanz von Unternehmen mit starker oder schwacher Steuervermeidung DACC_MJones Unternehmen, die durch Ausnutzung von Bilanzie- (dreijährige Steuerraten) DACC_MJones rungsspielräumen den Gewinn erhöhen, weisen im Durchschnitt zunächst einen signifikant höheren ROA 9% 7,98% auf (vgl. Abbildung4,36% 9). Der ROA von Unternehmen, die 3,86% 8% 3,61% Bilanzierungsspielräume zur Gewinnerhöhung aus- 7% 6,24% nutzen, liegt zunächst bei 4,20 % und ist 1,38 % höher 5,49% als der ROA der übrigen Unternehmen. Im Folgejahr 6% 4,90% 5,20% 3,24% 3,27% um 1,6 % statistisch signifikant 5% 5,97% ist der ROA ebenfalls 3,20% 5,17% höher, während er im Jahr danach nur noch 0,37 % 4% 5,07% 4,83% 4,75% höher ist. In der Folge darauf, also drei bzw. vier Jahre 3% später, ändert sich das Verhältnis: Die Unternehmen, 2% die vorher durch die Ausnutzung von Bilanzierungs- 1% spielräumen Gewinne erhöht haben, erwirtschaften 0% t+2 0,66t+3 % bzw. 1,09 % weniger ROA. Der Unterschied im t+4** t*** t+1*** t+2* t+3 t+4 letzten Jahr ist auf dem 5-%-Niveau signifikant. snutzung von Bilanzierungsspielräumen Viel Steuervermeidung Viel Steuervermeidung Wenig Steuervermeidung Ausnutzung von Bilanzierungsspielräumen Wenig Steuervermeidung 4 Betrachtet wird dabei nur die Aggressivität der Berichter- stattung im Jahr t und nicht, inwiefern sich das Verhalten Quelle: eigene Erhebung und Darstellung der Unternehmen in den folgenden Jahren ändert. Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 11
rvermeidung 5,86% 5,26% 4,97% 5,21% 5,14% Viel Steuervermeidung Wenig Steuervermeidung Abbildung 11 stärker die Mitbestimmung im Unternehmen veran- kert ist, desto größeren Einfluss können die Beschäf- Performanz von Unternehmen mit starker oder schwacher Steuervermeidung tigten auf die Berichterstattung (z. B. über den Prü- (dreijährige Steuerzahlungen) DACC_MJones fungsausschuss) nehmen. Die Ergebnisse bestätigten die Vermutungen, insgesamt zeigt die Studie: Mitbe- 9% stimmung führt zu einer geringeren Ausnutzung von 7,96% 8% Bilanzierungs- und Steuergestaltungsspielräumen, was mit einer besseren langfristigen Performanz ver- 7% 6,15% 5,34% bunden ist. 6% 5,21% 5,14% Zusammenfassend kann man für den Untersu- 5% 5,86% 5,26% chungszeitraum folgendes feststellen: Auffällig sind 4% 4,97% 4,89% 4,88% sehr hohe Steuerzahlungen während der Finanzkrise, 3% was für eine Abnahme der Steuervermeidung in die- 2% sem Zeitraum spricht. In den letzten Jahren ist jedoch 1% ein Trend zu stärkerer Steuervermeidung erkennbar, 0% da die Steuerraten und Steuerzahlungen gesunken t*** t+1** t+2 t+3 t+4 sind. Ein Vergleich zwischen über- und unterdurch- schnittlich mitbestimmten Unternehmen deutet dar- Viel Steuervermeidung Viel Steuervermeidung Wenig Steuervermeidung auf hin, dass Mitbestimmung zu weniger aggressiver Wenig Steuervermeidung Berichterstattung führt. So sind in den meisten Jah- ren die schwach mitbestimmten Unternehmen stär- Quelle: eigene Erhebung und Darstellung ker in Steuervermeidung involviert und nutzen stärker Bilanzierungsspielräume aus, um höhere Gewinne be- richten zu können. Beispielsweise lässt sich bei den Steuerzahlungen erkennen, dass Unternehmen mit Beispielsweise haben Unternehmen, die viel Steuer- starker Mitbestimmung 4.23 %-Punkten mehr Steu- vermeidung betreiben in t+4 einen ROA von 4,83 %, ern auf ihren Gewinn zahlen. was 0,37 % unter dem ROA der übrigen Unternehmen Aufbauend auf den deskriptiven Ergebnissen wur- liegt. Diese Unterschiede sind jedoch statistisch nicht de eine Regressionsanalyse durchgeführt. Diese zeigt: mehr signifikant. Mitbestimmung vermindert aggressive Berichterstat- Teilt man die Unternehmen anhand ihrer dreijäh- tung. Einerseits hat Mitbestimmung einen positiven rigen Steuerzahlungen ein, ergibt sich ein ähnliches Effekt auf die Qualität der Finanzberichterstattung: Je Bild (vgl. Abbildung 11). Zwar haben Unternehmen, die größer der Mitbestimmungsindex (MB-ix), desto we- viel Steuervermeidung betreiben, zunächst einen um niger werden gewinnerhöhende Bilanzierungsspiel- 2,10 % statistisch signifikant höheren ROA. Allerdings räume ausgenutzt bzw. desto weniger werden Bilan- schwächt sich der Effekt in der Folge ab: Im nächsten zierungsspielräume zur Gewinnanpassung allgemein Jahr beträgt der Unterschied noch 0,89 %, zwei Jah- verwendet. Demnach halten sich stark mitbestimmte re später liegt der Unterschied nur noch bei 0,37 % Unternehmen genauer an Bilanzierungsvorschriften. und ist statistisch nicht mehr signifikant. Erneut kann Andererseits kann die Mitbestimmung aggressive man feststellen: Die Profitabilität kehrt sich langfristig Steuervermeidung vermindern: Je größer der Mitbe- um, so dass die Unternehmen, die viel Steuervermei- stimmungsindex (MB-ix), desto höher sind die Steuer- dung betreiben, im vierten Jahr 0,26 % weniger ROA raten und desto geringer die Unterschiede zwischen erwirtschaften. Handels- und Steuerbilanz. Damit sind besonders die Unternehmen, in denen die Beschäftigten kaum Einflussmöglichkeiten haben, darauf ausgerichtet, Steuern zu sparen, indem beispielsweise Einkünfte in Länder mit geringem Steuersatz verschoben werden. 5 IMPLIKATIONEN FÜR DIE Kritiker könnten an dieser Stelle argumentieren, dass Mitbestimmung zu Ineffizienzen führt, da die Un- UNTERNEHMENSFÜHRUNG UND ternehmen zu viele Steuern zahlen oder sich schlech- MITBESTIMMUNG terstellen, als sie es müssten. Ein Vergleich der Per- formanz im Zeitverlauf zeigt allerdings: Unternehmen, Im Rahmen dieser Studie wurde für den Zeitraum die aggressiv Steuer- und Bilanzierungsspielräume 2006 bis 2017 der Zusammenhang zwischen Mitbe- ausnutzen, weisen langfristig eine schlechtere Per- stimmung, aggressiver Berichterstattung und Perfor- formanz auf. Somit unterstreicht diese Studie, dass manz untersucht. Es wurde vermutet, dass Beschäf- starke Mitbestimmung zu einer verantwortungsbe- tigte kein Interesse an aggressiver Berichterstattung wussten und weitsichtigen Unternehmensführung haben, da sie nicht durch Steuervermeidung oder beiträgt. Statt kurzfristig Gewinne durch risikoreiche künstlich höher berichtete Gewinne profitieren. Statt- Bilanzierungspraktiken zu erhöhen, berichten Unter- dessen sind sie stärker von Risiken betroffen, wie die nehmen mit starker Mitbestimmung eher konservativ Beispiele Enron und Steinhoff zeigen (vgl. Kapitel 1). Je und erzielen deswegen langfristig höhere Gewinne. Mitbestimmungsreport Nr. 62, 07.2020 Seite 12
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