Stellungnahme Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts
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Stellungnahme Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts Berlin, 23.02.2023 Zentralverband des Deutschen Handwerks Abteilung Organisation und Recht +49 30 20619-353 recht@zdh.de EU Transparency Register Nr. 5189667783-94
Vorbemerkung Der Richtlinienentwurf soll zur Umsetzung der Kapitalmarktunion beitragen, um so die weitere finanzielle und wirtschaftliche Integration innerhalb der Europäischen Union vo- ranzutreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen mit dem Richtlinienentwurf ausge- wählte Bereiche des Insolvenzrechts in den Mitgliedsstaaten angeglichen werden. Zu den wesentlichen Regelungsinhalten des Entwurfs zählen Vorgaben zur Insolvenzan- fechtung, zur Rückverfolgung und -gewinnung von massezugehörigem Vermögen, zur In- solvenzantragsfrist und zur Bildung und Arbeitsweise von Gläubigerausschüssen. Viele der vorgesehenen Grundprinzipien sind in der deutschen Insolvenzordnung bereits enthalten. Neuartig aus Sicht des deutschen Insolvenzrechts sind die darüber hinaus vorgeschlage- nen Bestimmungen für die Liquidation von Kleinstunternehmen und hinsichtlich eines so- genannten Pre-pack-Verfahrens. Mit dem Richtlinienentwurf sollen erstmals EU-weite einheitliche Standards im materiel- len Insolvenzrecht umgesetzt werden. Diese Standards können grundsätzlich dazu beitra- gen, die durch unterschiedliche nationale Insolvenzrechtsordnungen verursachte Frag- mentierung der Insolvenzvorschriften zu mindern und als Baustein für einen einheitlichen, wettbewerbsfähigen Binnenmarkt dienen. Zweifelhaft ist dabei jedoch, ob die vorgesehe- nen Regelungen der Zielsetzung zur Herstellung einer Kapitalmarktunion tatsächlich Rech- nung tragen. Insgesamt werden Gläubigerinteressen im Richtlinienentwurf nicht ausrei- chend berücksichtigt. Aus Sicht des Handwerks sollten bestehende Handlungs- und Gestaltungspielräume der Mitgliedstaaten in Krisenfällen nicht unnötig eingeschränkt werden. Jüngste Krisen haben gezeigt, dass die nationale Flexibilität hinsichtlich temporärer Anpassungen des Insolvenz- rechts als Reaktion auf unvorhersehbare Entwicklungen effektiv zum Schutz und zur Fort- führung wirtschaftlich gesunder Betriebe in Krisensituationen beitragen kann. Im Einzelnen: • Insolvenzanfechtung (Artikel 4 bis 12 des Richtlinienentwurfs) Die vorgeschlagenen Regelungen zur Insolvenzanfechtung orientieren sich im Wesentli- chen am geltenden deutschen Recht, weisen jedoch im Einzelnen praxisrelevante Unter- schiede auf. Artikel 7 Absatz 1 des Richtlinienentwurfs sieht für unentgeltliche Leistungen des Schuld- ners eine Anfechtungsfrist von einem Jahr vor Einreichung des Insolvenzantrags vor, wäh- rend nach geltendem deutschen Recht gemäß § 134 Absatz 1 Insolvenzordnung (InsO) derartige Leistungen anfechtbar sind, wenn sie bis zu vier Jahre vor dem Antrag auf Eröff- nung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden. Der Ansatz des Richtlinienentwurfs einer Jahresfrist für Anfechtungen sollte vom deutschen Gesetzgeber unabhängig von der künftigen Richtlinienumsetzung hinsichtlich unentgeltlicher Leistungen auf eine fremde Schuld im Rahmen von Dreiparteienverhältnissen in § 134 InsO übernommen werden. Vorzugwürdig sind derartige Anfechtungen für diesen speziellen Fall auszuschließen, um das Risiko existenzbedrohender Anfechtungen zu minimieren bzw. ganz auszuschließen. ZDH 2023 Seite 2 von 5
• Rückverfolgung und -gewinnung von massezugehörigem Vermögen (Artikel 13 bis 18 des Richtlinienentwurfs) Der Vorschlag, das sogenannte „asset tracing“ zu erleichtern, indem der Zugang zu diver- sen Vermögensregistern wie etwa Bankkonten- oder Vermögensregistern geregelt wird, greift einen wichtigen Aspekt der Insolvenzpraxis auf und ist ausdrücklich zu unterstützen. Dadurch wird die europaweite Aufspürung der zur Insolvenzmasse gehörigen Vermögens- werte erleichtert. Zudem ist eine effizientere Verfahrensabwicklung und eine Maximie- rung der Insolvenzmasse zu erwarten. Diese Maßnahmen sind im Sinne von ungesicherten Massegläubigern, wie es Handwerksbetrieben überwiegend sind, denen im Rahmen von Insolvenzverfahren eine möglichst umfangreiche und lückenlose Verwertung der Insol- venzmasse zugutekommt. • Pre-pack-Verfahren (Artikel 19 bis 35 des Richtlinienentwurfs) Aus Sicht des Handwerks ist die Einführung eines neuen Pre-pack-Verfahrens, mit dem eine zügige Veräußerung von insolventen Unternehmen aus der Insolvenzmasse ermög- licht wird, grundsätzlich zu unterstützen. Damit würde ein effizientes und praktisches In- strument zur Sicherung der Unternehmenskontinuität, zum Werterhalt des Unterneh- mens sowie zum Schutz von Beschäftigten zur Verfügung stehen. Zudem sind damit ein- hergehend geringere Insolvenzkosten zu erwarten. Die beabsichtigte Einführung formali- sierter Regeln für das Pre-pack-Verfahren ist aus Sicht der Praxis zwingende Vorausset- zung, da das Fehlen eines Verfahrensrahmens im Hinblick auf die Gefahr des Missbrauchs schützenswerten Gläubigerinteressen entgegensteht. Bislang ist das Pre-pack-Verfahren in Deutschland gesetzlich nicht geregelt, allerdings ist die Praxis mit ähnlichen und gut erprobten Abläufen im Rahmen des vorläufigen Insol- venzverfahrens vertraut. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, nach Antragstellung ei- nen professionellen Unternehmenstransaktionsprozess vorzubereiten, welcher am Tag der Insolvenzeröffnung in einen Verkauf mündet. Bei einer Umsetzung der Vorgaben in deutsches Recht sollte daher insbesondere die Anpassung der Vorschriften über das vor- läufige Insolvenzverfahren im Fokus stehen. In den vorgeschlagenen Vorschriften zum Pre-pack-Verfahren fehlen allerdings Vorgaben zur Gläubigerbeteiligung, welche unabdingbar sind, um auch Gläubigerinteressen im Rah- men dieses Verfahrens angemessen zu berücksichtigen. Artikel 27 Absatz 1 des Richtlinienentwurfs sieht vor, dass betriebsnotwendige Verträge ohne Zustimmung der Vertragspartner auf den Erwerber im Rahmen des Pre-pack-Ver- fahrens im Wege der Abtretung übergehen (mit Ausnahme bei einem Verkauf an einen Wettbewerber der Vertragspartner). Da die Fortgeltung von Vertragsverhältnissen bei ei- ner Investorenlösung nach geltendem deutschem Recht bislang nur aufwendig über einen Insolvenzplan oder mit Zustimmung der Vertragspartner erreicht werden kann, erscheint diese Lösung praxisgerecht, mit Blick auf den Kontrahierungszwang jedoch nicht unprob- lematisch. ZDH 2023 Seite 3 von 5
• Insolvenzantragsfrist (Artikel 36 und 37 des Richtlinienentwurfs) Hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelungen zur Insolvenzantragspflicht bei juristischen Personen sieht Artikel 36 des Richtlinienentwurfs im Vergleich zur geltenden deutschen Rechtslage eine großzügigere Frist von drei Monaten nach Eintritt der Zahlungsunfähig- keit vor. Gemäß § 15a Absatz 1 Satz 2 InsO ist der Antrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu stellen. Diese im deutschen Recht bestehende kurze Frist trägt den Gläubigerinteressen angemessen Rechnung, so dass in der Richtlinie sicher- gestellt werden muss, dass auch kürzere Antragsfristen zulässig sind. Der Wortlaut in Ar- tikel 36 des Richtlinienentwurfs („spätestens“) ist diesbezüglich nicht eindeutig und be- darf einer Klarstellung. Darüber hinaus fällt auf, dass die vorgeschlagenen Insolvenzantragsregelungen aus- schließlich an den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit anknüpfen. Die Regelungen im deutschen Recht sind diesbezüglich deutlich strenger, da § 15a Absatz 1 Satz 2 InsO auch eine Antragspflicht juristischer Personen im Falle der Überschuldung vorsieht. Die Beibe- haltung des Insolvenzantragsgrundes der Überschuldung muss sichergestellt werden, um auch künftig ein hohes Gläubigerschutzniveau zu gewährleisten. Den Mitgliedstaaten muss diese Gestaltungsmöglichkeit eingeräumt bleiben. • Vereinfachtes Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen (Artikel 38 bis 57) Das für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen vorgesehene vereinfachte Liquidationsver- fahren soll Betriebe betreffen, die gemäß Artikel 2 lit. j) des Richtlinienentwurfs weniger als 10 Mitarbeitende beschäftigen und deren Jahresumsatz 2 Mio. Euro nicht überschrei- tet. Das Ziel, Kleinstunternehmen einen einfachen Zugang zu einer effizienten Liquidation zu ermöglichen ist grundsätzlich zu unterstützen. Die EU-Kommission will dieses Ziel er- reichen, indem eine Insolvenzverwalterbestellung gemäß Artikel 39 des Richtlinienent- wurfs im Regelfall nicht erfolgen soll. Für die Praxis birgt die im Regelfall vorgesehene fehlende Insolvenzverwalter- bzw. Sachwalterbestellung und Übernahme der Verwalter- aufgaben durch ein Gericht oder eine Behörde jedoch die Gefahr der Überlastung der da- mit betrauten Gerichte und Behörden aufgrund hoher Fallzahlen und einer damit einher- gehenden erheblich höheren Arbeitsbelastung. Fraglich ist daher, ob durch die geplanten Vorgaben ein ausreichender und angemessener Gläubigerschutz im Rahmen des verein- fachten Liquidationsverfahrens gewährleistet werden kann. Hinzu kommt, dass in der Pra- xis die Eigenverwaltung nicht von allen Insolvenzschuldnern in gleichem Maße bewältigt wird. Praxisgerechter wäre die Möglichkeit der Anordnung einer verwalterlosen Eigenver- waltung durch das Insolvenzgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. • Gläubigerausschüsse (Artikel 58 bis 67) Die Bestimmungen zur Einrichtung von Gläubigerausschüssen entsprechen größtenteils der geltenden deutschen Rechtslage. Abweichungen ergeben sich jedoch bei der Haf- tungsbeschränkung der Mitglieder des Gläubigerausschusses auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz gemäß Artikel 66 des Richtlinienentwurfs. Gemäß § 71 InsO haften die Mitglieder des Gläubigerausschusses für jegliche schuldhafte Pflichtverletzungen. Die im Richtlinien- entwurf vorgesehene Haftungsbeschränkung würde eine Mitwirkung in Gläubigeraus- schüssen attraktiver machen. ZDH 2023 Seite 4 von 5
Zudem sieht der Richtlinienentwurf im Gegensatz zur geltenden deutschen Rechtslage keine Regelungen für Pflichtausschüsse vor. Eine dem § 22a InsO entsprechende europä- ische Regelung wäre im Sinne eines hohen Gläubigerschutzniveaus sachgerecht. Die in Artikel 61 des Richtlinienentwurfs vorgesehene Begrenzung der Zahl der im Gläubi- gerausschuss tätigen Personen auf maximal 7 Mitglieder ist nicht nachvollziehbar. Insbe- sondere bei komplexen Insolvenzverfahren sollte möglichst die Gesamtheit der Gläubige- rinteressen vertreten sein. Bei einer zahlenmäßigen Begrenzung der Mitglieder besteht das Risiko der Benachteiligung einzelner Gläubiger. Fazit Eine europaweite Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts wird aus Handwerkssicht grundsätzlich unterstützt. Die neu vorgesehenen Regelungen für ein Pre- pack-Verfahren sowie ein vereinfachtes Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen tragen den Gläubigerinteressen jedoch nicht angemessen Rechnung. Hier ist der Entwurf entsprechend nachzubessern. Insgesamt ist eine inhaltlich schlanke Richtlinie vorzugswürdig, deren Regelungstiefe sich auf die nötigsten Standards und insolvenzrechtliche Kernpunkte beschränkt und den Mit- gliedstaaten auch weiterhin einen angemessenen Handlungs- und Gestaltungsspielraum gewährt. Abteilung: Organisation und Recht +49 30 20619-353 recht@zdh.de · www.zdh.de Herausgeber: Zentralverband des Deutschen Handwerks Haus des Deutschen Handwerks Mohrenstraße 20/21 · 10117 Berlin Postfach 110472 · 10834 Berlin Der Zentralverband des Deutschen Handwerks e. V. (ZDH) vertritt die Interessen von rund 1 Million Handwerksbe- trieben in Deutschland mit mehr als 5 Millionen Beschäftigten. Als Spitzenorganisation der Wirtschaft mit Sitz in Berlin bündelt der ZDH die Arbeit von Handwerkskammern, Fachverbänden des Handwerks auf Bundesebene so- wie bedeutenden wirtschaftlichen und sonstigen Einrichtungen des Handwerks in Deutschland. Mehr unter www.zdh.de ZDH 2023 Seite 5 von 5
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