Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit - OVGU

Die Seite wird erstellt Carina Marquardt
 
WEITER LESEN
Suffizienz in der Bioökonomie:
Zwischen Option und Notwendigkeit

Abstract

Der Beitrag befragt die Strategie eines suffizienten, das heißt maßvollen, Ressourcenverbrauchs
auf ihre Bedeutung für eine nachhaltige Bioökonomie. Dabei wird Suffizienz sowohl im Vergleich
zu, als auch in Kombination mit zwei weiteren Ressourcennutzungsstrategien, der ökonomischen
Effizienz und der ökologischen Konsistenz, diskutiert. Es wird argumentiert, dass selbst bei gege-
bener Konsistenz und einer deutlich höheren Faktorproduktivität eine nachhaltige Ressourcen-
nutzung nicht gewährleistet ist. Der Druck eines moderaten Konsums kann dagegen die Inan-
spruchnahmen direkter und indirekter Inputfaktoren verringern und somit langfristig zu einer
nachhaltigeren Wirtschaftsweise führen. Wenn maßvoller Konsum durch eine geringere Intensi-
tät der Ressourcennutzung ergänzt wird, können außerdem extreme Konjunkturschwankungen
vermieden werden. Für die Bioökonomie bedeutet das, dass Verbraucher und Produzenten sich
gleichermaßen darauf einstellen müssen, die natürlichen Ressourcen nur in einem wirklich not-
wendigen Maße zu nutzen.

Schlagworte: Bioökonomie, Effizienz, Konsistenz, Suffizienz, nachhaltige Ressourcennutzung

The article discusses the role of sufficient resource consumption in a sustainable bioeconomy.
Sufficiency is examined both in comparison to and in combination with two further resource use
strategies, namely the economic efficiency and ecological consistency. It is argued that even with
given ecological consistency and enormous improvements in economic efficiency sustainability
cannot be guaranteed. The pressure of moderate consumption, by contrast, can reduce the use
of direct and indirect resources, which would enable a more sustainable economy. If sufficient
consumption is supplemented by a conscious degrowth through a lower intensity of resource
consumption, extreme economic fluctuations can also be avoided. For the bioeconomy, this
means that consumers and producers alike must learn to use natural resources only to a really
needed extent.

Keywords: bioeconomy, efficiency, consistency, sufficiency, sustainable resource use

 Lioudmila Chatalova
 Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle (Saale). Die Autorin
 leitet die Nachwuchsforschergruppe Economics and Institutions of the Bioeconomy am IAMO, Halle
 (Saale). Kontakt: chatalova@iamo.de

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                        76
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

Bioökonomie – aber wie?                           eine Kreislaufwirtschaft oder Kaskadennut-
                                                  zug von Rohstoffen der Ressourcendurch-
Der vor einem Jahrzehnt eingeleitete Wan-         satz, Abfälle, Emissionen und andere Um-
del zur Bioökonomie als einer postfossilen,       weltschäden minimiert und ökonomische
rohstoffeffizienten und kreislauforientier-       Prozesse umweltverträglicher (und damit
ten Wirtschaft stellt ein Konzept der syste-      konsistenter) organisiert werden (Huber,
mischen Verknüpfung von Wirtschaft, Öko-          2000).
logie und Gesellschaft dar (BMELV, 2009;
                                                  Eine weitere, aber weniger prominente
BMBF, 2020). Durch die verstärkte Nutzung
                                                  Strategie einer nachhaltigen Ressourcen-
nachwachsender Ressourcen und nachhalti-
                                                  nutzung ist die der Suffizienz (Sachs, 1993).
ger technischer Innovationen soll die
                                                  Diese steht für eine bewusste Reduktion des
Bioökonomie den bereits spürbaren klimati-
                                                  Ressourcen- und Energieverbrauchs sowohl
schen Veränderungen sowie den sich an-
                                                  durch individuelle als auch kollektive Ver-
bahnenden Rohstoffengpässen entgegen-
                                                  haltensänderungen (Huber, 2000; Linz,
wirken (Umweltbundesamt, 2020a). Die
                                                  2004). Suffizienz setzt ein gewisses Maß an
Vorteile einer verstärkten Nutzung erneuer-
                                                  Selbstbegrenzung voraus. Sie impliziert
barer Ressourcen mögen intuitiv erschei-
                                                  Wirtschaftsweisen, Konsumgewohnheiten
nen. Doch die Fähigkeit der pflanzlichen Bi-
                                                  und Lebensstile, welche die menschlichen
omasse, die prognostizierte Nachfrage der
                                                  Bedürfnisse decken und gleichzeitig sowohl
Industrie und der wachsenden wie zuneh-
                                                  die Übernutzung als auch Knappheit ver-
mend umweltbewussteren Weltbevölke-
                                                  meiden (Princen, 2005). Obwohl Suffizienz
rung zu bedienen, bleibt umstritten (EC,
                                                  seit den 1970er Jahren als eine wünschens-
2018). Viele Studien weisen unter anderem
                                                  werte oder gar notwendige Ergänzung zu
auf die begrenzte Regenerationsfähigkeit
                                                  Ressourceneffizienz und -konsistenz disku-
der Biomasse und Verschärfung des Land-
                                                  tiert wird (Schumacher, 1973; Daly, 1974),
nutzungskonflikts hin (Cooper, 2007; Pi-
                                                  gilt sie nach wie vor als regressiv oder kaum
otrowski u.a., 2015).
                                                  umsetzbar (Alcott, 2008; Fourie & Rid,
Wichtige Ansatzpunkte einer nachhaltigen          2016). Angesichts der sich zusehends ver-
Ressourcennutzung sind derzeit die ökono-         schärfenden Klima- und Umweltprobleme
mische Effizienz und ökologische Konsistenz       könnte Suffizienz jedoch an Bedeutung ge-
(Huber, 2000; Behrendt et al., 2018). Beide       winnen.
Strategien sind technologische Parameter
                                                  Der Beitrag umreißt die Entwicklung der
der Ressourcennutzung, welche die Not-
                                                  Suffizienz-Debatte seit ihren Anfängen bis
wendigkeit des Wirtschaftswachstums und
                                                  heute. Er argumentiert, dass in einem nach-
der Erhaltung des Lebensstandards nicht in-
                                                  haltigen Wirtschaftssystem die Suffizienz
frage stellen (Gottwald & Krätzer, 2014). Die
                                                  nicht nur eine sinnvolle, sondern eine drin-
Effizienz setzt voraus, dass die Produktivität
                                                  gend notwendige Ergänzung zu den techno-
(oder Ergiebigkeit) der eingesetzten Fakto-
                                                  logischen Parametern der Ressourcennut-
ren aber auch die Ressourcenverfügbarkeit
                                                  zung darstellt. Abschließend werden die
erhöht werden kann. Das kann zum Beispiel
                                                  Folgerungen für die Bioökonomie und die
durch technische Innovationen sowie eine
                                                  Forschung diskutiert.
ständige Erweiterung biologischen Wissens
und dessen Anwendungsbereiche erfolgen
(Birner, 2018; BMEL, 2014; Van Berkel &
Delahaye, 2019). Dagegen können durch
die Einbindung möglichst vieler Sektoren in

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                 77
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

Das Konzept der Suffizienz                        Suffizienz-Debatte steht die Idee, dass eine
                                                  nachhaltige Entwicklung einen Rückkopp-
Die in den 1970er Jahren angestoßene Suf-         lungsmechanismus erfordert, welcher Res-
fizienz-Debatte hat mittlerweile viele neue       sourcenübernutzung in Produktion und
Aspekte dazugewonnen. Die eindringlichen          Konsum reguliert (Schneidewind & Zahrnt,
(jedoch zuerst verhallten) Warnungen ein-         2014).
zelner Umwelt- und Wirtschaftsforscher vor
den irreversiblen Folgen eines unbegrenz-         Suffizienz als Element der
ten quantitativen Wirtschaftswachstums
haben sich inzwischen zu einer umfangrei-
                                                  Selbstregulierung einer nach-
chen, interdisziplinären Auseinanderset-          haltigen Wirtschaft
zung entwickelt. Aus der anfänglichen
Wachstumskritik mit ihren prominenten             In diesem deutlich gewandelten Verständ-
Konzepten der "Enoughness" (Schumacher,           nis steht Suffizienz der Effizienz und Konsis-
1973) und "steady state economy" (Daly,           tenz nicht mehr entgegen. Vielmehr ergänzt
1974) als Gegenentwürfe zum nicht nach-           sie die beiden technoökonomischen Kon-
haltigen Wachstumsmodell ist das Ver-             zepte, indem sie einen normativen Rahmen
ständnis der Suffizienz als eine notwendige       für deren nachhaltige Umsetzung bereit-
Ergänzung zu Ressourceneffizienz (Elgen,          stellt. Internationale und nationale Bioöko-
1981) und -konsistenz (Sachs, 1993) er-           nomie-Strategien sehen derzeit einen sol-
wachsen. Mit der Erweiterung des Suffizi-         chen Rahmen jedoch nicht vor (BMBF, 2020;
enz-Konzeptes um soziale und kulturelle As-       EC, 2018; IACGB, 2020; White House, 2012).
pekte verlagerte sich der Schwerpunkt der         Vielmehr setzen sie auf weitere Effizienz-
Debatte endgültig von den Grenzen des             steigerungen und naturverträglichere Pro-
Wirtschaftswachstums zu den Grenzen der           duktionsverfahren. Es wird davon ausge-
ökologischen Tragfähigkeit (Huber, 2000).         gangen, dass eine zunehmende Nutzung er-
                                                  neuerbarer Ressourcen, unterstützt durch
In den letzten Jahren ist das Verständnis von     digitale und biotechnologische Innovatio-
Suffizienz noch vielschichtiger geworden.         nen sowie die Kreislaufwirtschaft nicht nur
Neben der Sorge um ein ökologisches               zu mehr Nachhaltigkeit verhilft, sondern
Gleichgewicht sowie internationale und in-        auch Produkte mit hoher Wertschöpfung
tergenerationelle Gerechtigkeit (Fourie &         ermöglicht, neue Arbeitsplätze schafft und
Rid, 2016) spiegelt Suffizienz auch das post-     das Wirtschaftswachstum insgesamt ankur-
materielle Bild von einem guten, genügsa-         belt.
men Leben wider (Spengler, 2018). Diese
Auffassung von Suffizienz findet Unterstüt-       Ökonomische Effizienz ist das zentrale Prin-
zung durch die multidisziplinäre Forschung,       zip der Wirtschaftlichkeit (Myrdal, 1933; Sa-
die eine stetige positive Korrelation zwi-        muelson & Nordhaus, 1985). Sie bedeutet
schen dem Niveau des materiellen Reich-           eine möglichst ergiebige Nutzung der Res-
tums und der Lebensqualität in Frage stellt       sourcen bei einem mindestens gleichblei-
(Alexander, 2012; oekom e.V., 2013) und           benden ökonomischen Nutzen. Die Res-
zwischen den (objektiv definierbaren) quan-       sourcenproduktivität wird erhöht, indem
titativen Wachstumsrückgängen und den             mit möglichst geringem Einsatz von Produk-
(eher subjektiv wahrgenommenen) qualita-          tionsfaktoren mehr Leistung erbracht wird.
tiven Wohlstandsverbesserungen unter-
scheidet. Im Mittelpunkt dieser komplexen

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                  78
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

Tabelle 1. Nachhaltigkeitsstrategien der Ressourcennutzung
                                      Effizienz               Konsistenz               Suffizienz

 Parameter                          Technologisch          Techno-ökologisch             Sozial

 Ressourceneinsparung                  10-20%                   50-80%                  10-40%
 Wahrscheinlichkeit      des
                                        Hoch                Mittel bis gering         Sehr gering
 Rebound-Effektes
 Implementierungshürde                 Niedrig                 Eher hoch               Sehr hoch
 Einfluss     auf        die
                                     Ergiebigkeit           Umweltschonung       Bewusste Verringerung
 Ressourcennutzung
                                                             Planbarkeit der
 Bedeutung               als                                                       Regulierung des
                               Bedarfsdeckung, relative      Anpassung auf
 komplementärer                                                                  Überkonsums und der
                                Ressourceneinsparung       naturverträglichere
 Nachhaltigkeitsansatz                                                             Überproduktion
                                                          Produktionsverfahren

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Huber (2000) und Behrendt et al. (2018).

Bezogen auf pflanzliche Biomasse kann das                 bessere Abbaubarkeit von biobasierten Po-
zum einen durch den Einsatz neuer Techno-                 lymeren (Ayres, 1999; Umweltbundesamt,
logien erfolgen, welche den Arbeits-, Mate-               2020b). Vielmehr können mitunter deutlich
rial- oder Energiebedarf für die Herstellung              mehr Agrar- und Forstflächen in Anspruch
eines bio-basierten Produktes verringern.                 genommen werden, sowohl direkt im In-
Zum anderen kann die energetische oder                    land als auch indirekt in Form von virtuellen
stoffliche Ausbeute der Biomasse selbst er-               Flächenimporten (Gent, 2018). Selbst wenn
höht werden, beispielsweise durch neue                    ökoeffiziente Produkte unter fairen Arbeits-
Genome-Editing-Verfahren, Neuzüchtun-                     bedingungen und mit geringerer Emissions-
gen oder eine bessere Verwertung der gan-                 bilanz hergestellt werden, erhöhen sie bei
zen Pflanze. Da Effizienz entscheidend für                steigenden Produktionsmengen den abso-
Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit ist,                luten Ressourcenverbrauch (Dittrich et al.,
ist sie am einfachsten umzusetzen oder als                2012).
Zielwert zu definieren (Tabelle 1).
                                                          Ökologische Konsistenz wird deshalb in der
Allerdings wird das Potential der ökonomi-                Bioökonomie als eine wichtige Ergänzung
schen Effizienz die Ressourcennutzung zu                  zur relativen effizienzbedingten Ressour-
verringern, auf maximal 20 % geschätzt, die               ceneinsparung gesehen. Tatsächlich wird
Wahrscheinlichkeit eines Rebound-Effektes                 das Potenzial der ökologischen Konsistenz,
dagegen gilt als sehr hoch (Huber, 2000;                  die Ressourcennutzung zu verringern, auf
Behrendt et al., 2018). Die durch Effizienz-              bis zu acht Mal höher als das der Effizienz
verbesserungen erzielten Einsparungen in                  geschätzt (Huber, 2000). Anders als bei der
Produktionsfaktoren können schnell aufge-                 Effizienz erfordert die Implementierung der
hoben werden, wenn von den neuen                          ökologischen Konsistenz eine teilweise Re-
und/oder verbesserten Produkten nicht we-                 organisation der Produktion und damit zu-
niger, sondern mehr nachgefragt wird. So                  sätzliche, jedoch potentiell rentable, Inves-
bedeutet der Ersatz von konventionellen                   titionen. Durch die Umstellung auf mehr
Kunststoffen durch Bioplastik nicht zwin-                 Naturverträglichkeit und Kreislauffähigkeit
gend einen geringeren Energie- und Roh-                   wird die Wahrscheinlichkeit der Rebound-
stoffbedarf bei der Produktion oder eine                  Effekte stark reduziert. Die Kombination aus

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                          79
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

den beiden Ansätzen scheint daher vielver-        auf Überproduktion) sowie naturverträgli-
sprechend. Doch auch hier ist Vorsicht ge-        chere Produkte und Produktionsverfahren
boten. Ökonomische Effizienz und ökologi-         unterstütz wird, können starke Konjunktur-
sche Konsistenz stehen für Verbesserungen         schwankungen vermieden werden (Cha-
des monetären Input-Output-Verhältnisses          talova, 2022). In einem ausgewogenen Res-
und Minimierung der Kosten des industriel-        sourcennutzungssystem würde Suffizienz
len Durchsatzes, ohne jedoch die Maxime           daher keinen Gegenentwurf zu Effizienz und
des Wirtschaftswachstums oder den belas-          Konsistenz (oder deren Mischform Ökoeffi-
tenden Konsum in Frage zu stellen (Beh-           zienz) darstellen, sondern die Ressourcen-
rendt et l., 2018; EC, 2019; OECD, 2017). Die     beanspruchung zwischen Bedarfsdeckung
realisierten relativen Einsparungen in Kos-       (Vermeidung der Mangelwirtschaft) und
ten und Ressourcen können unter Geltung           Übernutzung (Vermeidung von Exzessen)
des Leitprinzips der Gewinnmaximierung            halten.
sogar Anreize setzen, die Produktionskapa-
                                                  Doch auch eine um Suffizienz erweiterte
zitäten besser auszulasten und somit zur
                                                  Ressourcennutzungsstrategie richtet sich in
Produktion über den tatsächlichen Bedarf
                                                  erster Linie an die techno-ökonomische Op-
hinaus zu führen. Die Refinanzierung der
                                                  timierung der Wirtschaft innerhalb eines
Umstellung auf geschlossene Lieferketten
                                                  ethisch und sozial durchlässigen Rahmens.
und Kaskadennutzung von erneuerbaren
                                                  Weitere gesellschaftliche Übereinkünfte –
Ressourcen macht ein weiteres Wachstum
                                                  wie Verhaltensinnovationen (Bröring et al.,
sogar notwendig.
                                                  2020) und eine höhere Wertschätzung öf-
Hier kann eine Suffizienz-Strategie regulie-      fentlicher Güter - sind notwendig, um eine
rend ansetzen. Suffizienz ist ein Nachhaltig-     nachhaltige, gesellschaftliche Entwicklung,
keitsparameter, der den individuellen, wie        die mit weniger Ressourcen besser aus-
kollektiven Konsum von Ressourcen und             kommt, zu erreichen.
Endprodukten auf seine Notwendigkeit und
Angemessenheit befragt (Paech, 2005). Da          Was bedeutet das für die
sie eine Umstellung in den Lebensstilen und
Verhaltensnormen voraussetzt, kommt sie
                                                  Bioökonomie und die For-
zuerst als soziales Prinzip ins Wirken und ist    schung?
daher auch am schwersten umzusetzen (Da-
niel & Reisch, 2014). Das bedeutet aber           Konsum, Lebensstile und Leitprinzipien der
auch, dass Suffizienz, in deutlich stärkerem      Produktion entscheiden maßgeblich dar-
Maße als ökonomische Effizienz und ökolo-         über, welche Ressourcen wie und in wel-
gische Konsistenz, von individuellen Ent-         chen Mengen genutzt werden. Die hier vor-
scheidungen getragen wird. Durch deren            gestellten Überlegungen zur Suffizienz deu-
Akkumulation würde der Druck eines mode-          ten darauf hin, dass eine moderate und auf
raten Konsums die Wirtschaft zwangsweise          tatsächliche Bedürfnisse abgestimmte Nut-
zur Anpassung der Produktionsentschei-            zung natürlicher Ressourcen für eine nach-
dungen bewegen, von der Wahl der Res-             haltige Entwicklung moderner Gesellschaf-
sourcen, über Langlebigkeit der Endpro-           ten unverzichtbar ist. Ein besonders wir-
dukte bis hin zur Kapazitätsnutzung (Krae-        kungsvoller Teil der Lösung ist dabei die Än-
mer, 1997). Wenn ein moderater Konsum             derung des Konsumverhaltens. Das gilt
zusätzlich durch eine Verminderung des            gleichermaßen für erneuerbare wie nicht
Wirtschaftswachstums (z. B. durch Verzicht        erneuerbare Ressourcen und alle modernen
                                                  Volkswirtschaften. Suffizienz stellt somit

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                 80
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

nicht nur eine weitere Strategie der Res-         drei Strategien der Ressourcennutzung be-
sourcennutzung dar, sondern ein kritisches        schrieben werden können. Alternative und
Element der Selbstregulierung eines auf           erweiterte Ansätze, die zum Beispiel auch
Nachhaltigkeit ausgerichteten gesellschaft-       Verhaltensaspekte individueller und kollek-
lichen Systems. Industrieländer mit einem         tiver Entscheidungen oder heterogene Nut-
hohen Ressourcenverbrauch, bei zugleich           zenerwartungen mitberücksichtigen, kön-
hohen Lebensstandards, sind angehalten,           nen zu einem besseren Verständnis der Suf-
als erste die Umstellung auf einen genügsa-       fizienz verhelfen und deren Umsetzung so-
men Umgang mit Ressourcen zu wagen.               mit erleichtern. Weiterhin können ethische
Eine Erweiterung der nationalen Nachhal-          und philosophische Studien normative Ar-
tigkeits- und Bioökonomiestrategien um            gumente für mehr Suffizienz entwickeln,
Suffizienzkriterien ist daher dringend gebo-      vor allem im Hinblick auf das demokratische
ten, um eine solche Umstellung einzuleiten        Grundrecht des Menschen auf freie persön-
und zu unterstützen. Ein verstärkter aber         liche Entfaltung und somit impliziert auch
nicht maßvoller Einsatz von (Bio-)Technolo-       auf Verschwendung. Nicht zuletzt sollten
gien und erneuerbarer Biomasse könnte an-         kritische interdisziplinäre Debatten über
derenfalls unrückholbare, negative Auswir-        den Mehrwert von Wachstum, moderne Le-
kungen auf Lebensgrundlagen sowie neue            bensstile und neue Biotechnologien ange-
Qualität von Risiken zur Folge haben.             regt werden, um die Pluralität von Wegen
                                                  zu einer nachhaltigen Bioökonomie zu er-
In einigen Bereichen der Wirtschaft und Ge-
                                                  möglichen.
sellschaft ist heute ein erster Trend zu mehr
Nachhaltigkeit zu verzeichnen. Politische
Projekte zur Förderung der Kreislaufwirt-
                                                  Danksagungen
schaft, freiwillige Initiativen des Handels       Für wertvolle Anregungen danke ich Manf-
(wie der reduzierte Einsatz von Plastiktüten      red Linz, Siegfried Behrendt und Ulrich
und Verpackungsmaterial) und globale sozi-        Schurr.
ale Bewegungen für den Klimaschutz zeu-
gen von einer sich verändernden Haltung           Literatur
zur Ressourcennutzung. Diese Entwicklun-
gen können die Barrieren für eine breitere        Alcott, B. (2008). The sufficiency strategy:
Akzeptanz und die Implementierung eines              Would rich-world frugality lower envi-
moderaten Ressourcenverbrauchs deutlich              ronmental impact? Ecological Econom-
senken. Ein weiterer Schritt in Richtung Suf-        ics,           64(4),          770–786.
                                                     https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.200
fizienz kann zum Beispiel eine gezielte und
                                                     7.04.015
durch politische Maßnahmen unterstützte
Verringerung von Lebensmittelverschwen-           Alexander, S. (2012). The optimal material
dung sein. Ihre enormen und vor allem                threshold: Toward an economics of suf-
schnell sichtbaren Vorteile in Form von              ficiency. Real-world Economics Review,
Wasser-, Land- und Energieeinsparungen               61,                              2–21.
können bei allen Akteuren ein neues Ver-             http://www.paecon.net/PAEReview/is-
ständnis von Nutzen und Lebensqualität               sue61/Alexander1_61.pdf
wachsen lassen.                                   Ayres, R. (1999). The second law, the fourth
                                                     law, recycling and limits to growth. Eco-
Sicherlich sind die durch die Bioökonomie
                                                     logical Economics, 29, 473–483.
eingeleiteten Umstellungen und einzelne              https://doi.org/10.1016/S0921-
Interaktionen deutlich komplexer als sie in          8009(98)00098-6

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                81
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

Behrendt, S., Göll, E., & Korte, F. (2018). Ef-   Daniel, H., & Reisch, L. (2014). Konsum, Na-
  fizienz, Konsistenz, Suffizienz: Strategie-       tur, Nachhaltigkeit: Warum Bioökono-
  analytische Betrachtung für eine Green            mie ohne Verhaltensänderungen nicht
  Economy. IZT-Text 1-2018.                         denkbar ist. Rundbrief - Forum Umwelt &
                                                    Entwicklung, 4, 5-6.
Birner, R. (2018). Bioeconomy Concepts. In:
   I. Lewandowski (ed.) Bioeconomy: Shap-         Dittrich, M., Giljum, S., Lutter, S., & Polzin,
   ing the Transition to a Sustainable, Bi-          C. (2012). Green economies around the
   obased Economy. Stuttgart: Springer, pp.          world? Implications of resource use for
   17-38.                                            development and the environment. SERI
                                                     Report, Vienna.
BMBF (2020). National Bioeconomy Strat-
  egy. www.bmbf.de/bioeconomy.                    EC (2018). A sustainable bioeconomy for Eu-
                                                     rope: strengthening the connection be-
BMELV (2009). Aktionsplan der Bundesre-              tween economy, society and the environ-
  gierung zur stofflichen Nutzung nach-
                                                     ment: Updated bioeconomy strategy.
  wachsender Rohstoffe. Bundesministe-               European Commission (EC).
  rium für Ernährung, Landwirtschaft und
  Verbraucherschutz.                              EC (2019). European Commission. The Euro-
                                                     pean Green Deal. COM(2019) 640 final.
BMEL (2014). Nationale Politikstrategie
  Bioökonomie: Nachwachsende Ressour-             Elgin, D. (1981). Voluntary simplicity: To-
  cen und biotechnologische Verfahren als            wards a way of life that is outwardly sim-
  Basis für Ernährung, Industrie und Ener-           ple, inwardly rich. Harper Paperbacks.
  gie:       https://www.bmel.de/Shared-
  Docs/Downloads/Broschueren/BioOe-               Fourie, C., & Rid, A. (2016). What is enough?
  konomiestrategie.pdf?blob=publication-             Sufficiency, justice, and health. OUP.
  File                                            Gent, R. (2018). Bioökonomie: Erdöl versus
Bröring, S., Laibach, N., & Wustmans, M.            Biomasse? Chancen und Risiken aus
   (2020). Innovation types in the bioecon-         Sicht der Deutschen Industrievereini-
   omy. Journal of Cleaner Production,              gung Biotechnologie. Rundbrief Forum
   266(1).                                          Umwelt & Entwicklung: Mit Bioökono-
                                                    mie die Welt retten? 1, 4–5.
Chatalova, L. (2022). Resource sufficiency in
  a sustainable bioeconomy: A predator-           Gottwald, F.-Th., & Krätzer, A. (2014). Irr-
  prey perspective. In: Dirk Lanzerath; Ul-         weg Bioökonomie. Suhrkamp Verlag.
  rich Schurr; Christina Pinsdorf, Mandy          Huber, J. (2000). Industrielle Ökologie. Kon-
  Stake (Hrsg.); Bioeconomy and Sustaina-           sistenz, Effizienz und Suffizienz in zyklus-
  bility: Perspectives from Natural and So-         analytischer Betrachtung. In: U. Simonis
  cial Sciences, Economics and Ethics,              (Hg.), Global Change. Nomos.
  Chapter 13.
                                                  IACGB (2020). Global Bioeconomy Policy Re-
Cooper, M. (2007). Life, autopoiesis, debt:          port (IV): A decade of bioeconomy policy
  Inventing the bioeconomy. Distinktion:             development around the world. A report
  Journal of Social Theory, 8(1), 25–43.             from the International Advisory Council
  https://doi.org/10.1080/1600910X.200               on Global Bioeconomy (IACGB). Berlin:
  7.9672937                                          Secretariat of the Global Bioeconomy
Daly, H. E. (1974). The economics of the             Summit 2020.
   steady state. The American Economic Re-        Kraemer, K. (1997). Nachhaltigkeit durch
   view,            64(2),         15–21.            Konsumverzicht? "Sustainable Develop-
   https://www.jstor.org/stable/1816010              ment" - eine soziologische Betrachtung.

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                  82
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova

   Zeitschrift für angewandte Umweltfor-             Politische Ökologie, 11(33): 69–72.
   schung, 10(2), 198-209.                           https://nbn-resol-
                                                     ving.org/urn:nbn:de:bsz:wup4-opus-668
Linz, M. (2004). Weder Mangel noch Über-
   maß: Über Suffizienz und Suffizienzfor-        Samuelson, P.A., & Nordhaus, W.D. (1985).
   schung. Working paper 145, Wuppertal             Economics. Boston: McGraw-Hill.
   Institute for Climate, Environment and
   Energy.                                        Schneidewind, U., & Zahrnt, A. (2014). The
                                                     politics of sufficiency: Making it easier to
Myrdal, G. (1933). Das Zweck-Mittel-Den-             live the good life. Oekom.
  ken in der Nationalökonomie. Zeitschrift
  für Nationalökonomie, 4(3), 305–329.            Schumacher, E. (1973). Small is beautiful:
  https://doi.org/10.1007/BF01319194                 Economics as if people mattered. Blond
                                                     & Briggs.
OECD (2017). Investing in Climate, Investing
  in Growth. OECD Publishing, Paris.              Spengler, L. (2018). Sufficiency as policy: Ne-
  https://doi.org/10.1787/978926427352               cessity, possibilities and limitations. No-
  8-en.                                              mos.

oekom e.V. (2013). Verein für ökologische         Umweltbundesamt (2020a, November). E-
   Kommunikation (Hrsg.): Vom rechten               arth Overshoot Day 2020: Ressourcen-
                                                    budget verbraucht. Mitteilung vom
   Maß − Suffizienz als Schlüssel zu mehr
   Lebensglück und Umweltschutz; Zeit-              21.08.2020. https://www.umweltbun-
   schrift Politische Ökonomie, 135, 146 Sei-       desamt.de/themen/earth-overshoot-
   ten.                                             day-2020-ressourcenbudget

Paech, N. (2005). Nachhaltiges Wirtschaften       Umweltbundesamt (2020b, November). Bi-
   jenseits von Innovationsorientierung und         obasierte und biologisch abbaubare
   Wachstum: Eine unternehmensbezogene              Kunststoffe. https://www.umweltbun-
   Transformationstheorie.      Metropolis-         desamt.de/biobasierte-biologisch-ab-
   Verlag.                                          baubare-kunststoffe#11-was-ist-der-un-
                                                    terschied-zwischen-biobasierten-und-
Piotrowski, S., Carus, M., & Essel, R. (2015).      biologisch-abbaubaren-kunststoffen
   Global bioeconomy in the conflict be-
   tween biomass supply and demand. In-           Van Berkel, J. & Delahaye, R. (2019). Mate-
   dustrial Biotechnology, 11(6), 308-315.          rial Flow Monitor 2016 - Technical Report
                                                    Index. The Hague, The Netherlands: CBS
   https://doi.org/10.1089/ind.2015.2902
                                                    Den Haag.
   1.stp
Princen, T. (2005). The logic of sufficiency.     White House (2012). National bioeconomy
   MIT Press.                                       blueprint. White House: Washington,
                                                    DC, USA, 48., 48. Washington D.C: White
Sachs, W. (1993). Die vier E’s: Merkposten          House.
   für einen maßvollen Wirtschaftsstil.

 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006                                                  83
Sie können auch lesen