Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit - OVGU
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Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit Abstract Der Beitrag befragt die Strategie eines suffizienten, das heißt maßvollen, Ressourcenverbrauchs auf ihre Bedeutung für eine nachhaltige Bioökonomie. Dabei wird Suffizienz sowohl im Vergleich zu, als auch in Kombination mit zwei weiteren Ressourcennutzungsstrategien, der ökonomischen Effizienz und der ökologischen Konsistenz, diskutiert. Es wird argumentiert, dass selbst bei gege- bener Konsistenz und einer deutlich höheren Faktorproduktivität eine nachhaltige Ressourcen- nutzung nicht gewährleistet ist. Der Druck eines moderaten Konsums kann dagegen die Inan- spruchnahmen direkter und indirekter Inputfaktoren verringern und somit langfristig zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise führen. Wenn maßvoller Konsum durch eine geringere Intensi- tät der Ressourcennutzung ergänzt wird, können außerdem extreme Konjunkturschwankungen vermieden werden. Für die Bioökonomie bedeutet das, dass Verbraucher und Produzenten sich gleichermaßen darauf einstellen müssen, die natürlichen Ressourcen nur in einem wirklich not- wendigen Maße zu nutzen. Schlagworte: Bioökonomie, Effizienz, Konsistenz, Suffizienz, nachhaltige Ressourcennutzung The article discusses the role of sufficient resource consumption in a sustainable bioeconomy. Sufficiency is examined both in comparison to and in combination with two further resource use strategies, namely the economic efficiency and ecological consistency. It is argued that even with given ecological consistency and enormous improvements in economic efficiency sustainability cannot be guaranteed. The pressure of moderate consumption, by contrast, can reduce the use of direct and indirect resources, which would enable a more sustainable economy. If sufficient consumption is supplemented by a conscious degrowth through a lower intensity of resource consumption, extreme economic fluctuations can also be avoided. For the bioeconomy, this means that consumers and producers alike must learn to use natural resources only to a really needed extent. Keywords: bioeconomy, efficiency, consistency, sufficiency, sustainable resource use Lioudmila Chatalova Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle (Saale). Die Autorin leitet die Nachwuchsforschergruppe Economics and Institutions of the Bioeconomy am IAMO, Halle (Saale). Kontakt: chatalova@iamo.de https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006 76
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova Bioökonomie – aber wie? eine Kreislaufwirtschaft oder Kaskadennut- zug von Rohstoffen der Ressourcendurch- Der vor einem Jahrzehnt eingeleitete Wan- satz, Abfälle, Emissionen und andere Um- del zur Bioökonomie als einer postfossilen, weltschäden minimiert und ökonomische rohstoffeffizienten und kreislauforientier- Prozesse umweltverträglicher (und damit ten Wirtschaft stellt ein Konzept der syste- konsistenter) organisiert werden (Huber, mischen Verknüpfung von Wirtschaft, Öko- 2000). logie und Gesellschaft dar (BMELV, 2009; Eine weitere, aber weniger prominente BMBF, 2020). Durch die verstärkte Nutzung Strategie einer nachhaltigen Ressourcen- nachwachsender Ressourcen und nachhalti- nutzung ist die der Suffizienz (Sachs, 1993). ger technischer Innovationen soll die Diese steht für eine bewusste Reduktion des Bioökonomie den bereits spürbaren klimati- Ressourcen- und Energieverbrauchs sowohl schen Veränderungen sowie den sich an- durch individuelle als auch kollektive Ver- bahnenden Rohstoffengpässen entgegen- haltensänderungen (Huber, 2000; Linz, wirken (Umweltbundesamt, 2020a). Die 2004). Suffizienz setzt ein gewisses Maß an Vorteile einer verstärkten Nutzung erneuer- Selbstbegrenzung voraus. Sie impliziert barer Ressourcen mögen intuitiv erschei- Wirtschaftsweisen, Konsumgewohnheiten nen. Doch die Fähigkeit der pflanzlichen Bi- und Lebensstile, welche die menschlichen omasse, die prognostizierte Nachfrage der Bedürfnisse decken und gleichzeitig sowohl Industrie und der wachsenden wie zuneh- die Übernutzung als auch Knappheit ver- mend umweltbewussteren Weltbevölke- meiden (Princen, 2005). Obwohl Suffizienz rung zu bedienen, bleibt umstritten (EC, seit den 1970er Jahren als eine wünschens- 2018). Viele Studien weisen unter anderem werte oder gar notwendige Ergänzung zu auf die begrenzte Regenerationsfähigkeit Ressourceneffizienz und -konsistenz disku- der Biomasse und Verschärfung des Land- tiert wird (Schumacher, 1973; Daly, 1974), nutzungskonflikts hin (Cooper, 2007; Pi- gilt sie nach wie vor als regressiv oder kaum otrowski u.a., 2015). umsetzbar (Alcott, 2008; Fourie & Rid, Wichtige Ansatzpunkte einer nachhaltigen 2016). Angesichts der sich zusehends ver- Ressourcennutzung sind derzeit die ökono- schärfenden Klima- und Umweltprobleme mische Effizienz und ökologische Konsistenz könnte Suffizienz jedoch an Bedeutung ge- (Huber, 2000; Behrendt et al., 2018). Beide winnen. Strategien sind technologische Parameter Der Beitrag umreißt die Entwicklung der der Ressourcennutzung, welche die Not- Suffizienz-Debatte seit ihren Anfängen bis wendigkeit des Wirtschaftswachstums und heute. Er argumentiert, dass in einem nach- der Erhaltung des Lebensstandards nicht in- haltigen Wirtschaftssystem die Suffizienz frage stellen (Gottwald & Krätzer, 2014). Die nicht nur eine sinnvolle, sondern eine drin- Effizienz setzt voraus, dass die Produktivität gend notwendige Ergänzung zu den techno- (oder Ergiebigkeit) der eingesetzten Fakto- logischen Parametern der Ressourcennut- ren aber auch die Ressourcenverfügbarkeit zung darstellt. Abschließend werden die erhöht werden kann. Das kann zum Beispiel Folgerungen für die Bioökonomie und die durch technische Innovationen sowie eine Forschung diskutiert. ständige Erweiterung biologischen Wissens und dessen Anwendungsbereiche erfolgen (Birner, 2018; BMEL, 2014; Van Berkel & Delahaye, 2019). Dagegen können durch die Einbindung möglichst vieler Sektoren in https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006 77
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova Das Konzept der Suffizienz Suffizienz-Debatte steht die Idee, dass eine nachhaltige Entwicklung einen Rückkopp- Die in den 1970er Jahren angestoßene Suf- lungsmechanismus erfordert, welcher Res- fizienz-Debatte hat mittlerweile viele neue sourcenübernutzung in Produktion und Aspekte dazugewonnen. Die eindringlichen Konsum reguliert (Schneidewind & Zahrnt, (jedoch zuerst verhallten) Warnungen ein- 2014). zelner Umwelt- und Wirtschaftsforscher vor den irreversiblen Folgen eines unbegrenz- Suffizienz als Element der ten quantitativen Wirtschaftswachstums haben sich inzwischen zu einer umfangrei- Selbstregulierung einer nach- chen, interdisziplinären Auseinanderset- haltigen Wirtschaft zung entwickelt. Aus der anfänglichen Wachstumskritik mit ihren prominenten In diesem deutlich gewandelten Verständ- Konzepten der "Enoughness" (Schumacher, nis steht Suffizienz der Effizienz und Konsis- 1973) und "steady state economy" (Daly, tenz nicht mehr entgegen. Vielmehr ergänzt 1974) als Gegenentwürfe zum nicht nach- sie die beiden technoökonomischen Kon- haltigen Wachstumsmodell ist das Ver- zepte, indem sie einen normativen Rahmen ständnis der Suffizienz als eine notwendige für deren nachhaltige Umsetzung bereit- Ergänzung zu Ressourceneffizienz (Elgen, stellt. Internationale und nationale Bioöko- 1981) und -konsistenz (Sachs, 1993) er- nomie-Strategien sehen derzeit einen sol- wachsen. Mit der Erweiterung des Suffizi- chen Rahmen jedoch nicht vor (BMBF, 2020; enz-Konzeptes um soziale und kulturelle As- EC, 2018; IACGB, 2020; White House, 2012). pekte verlagerte sich der Schwerpunkt der Vielmehr setzen sie auf weitere Effizienz- Debatte endgültig von den Grenzen des steigerungen und naturverträglichere Pro- Wirtschaftswachstums zu den Grenzen der duktionsverfahren. Es wird davon ausge- ökologischen Tragfähigkeit (Huber, 2000). gangen, dass eine zunehmende Nutzung er- neuerbarer Ressourcen, unterstützt durch In den letzten Jahren ist das Verständnis von digitale und biotechnologische Innovatio- Suffizienz noch vielschichtiger geworden. nen sowie die Kreislaufwirtschaft nicht nur Neben der Sorge um ein ökologisches zu mehr Nachhaltigkeit verhilft, sondern Gleichgewicht sowie internationale und in- auch Produkte mit hoher Wertschöpfung tergenerationelle Gerechtigkeit (Fourie & ermöglicht, neue Arbeitsplätze schafft und Rid, 2016) spiegelt Suffizienz auch das post- das Wirtschaftswachstum insgesamt ankur- materielle Bild von einem guten, genügsa- belt. men Leben wider (Spengler, 2018). Diese Auffassung von Suffizienz findet Unterstüt- Ökonomische Effizienz ist das zentrale Prin- zung durch die multidisziplinäre Forschung, zip der Wirtschaftlichkeit (Myrdal, 1933; Sa- die eine stetige positive Korrelation zwi- muelson & Nordhaus, 1985). Sie bedeutet schen dem Niveau des materiellen Reich- eine möglichst ergiebige Nutzung der Res- tums und der Lebensqualität in Frage stellt sourcen bei einem mindestens gleichblei- (Alexander, 2012; oekom e.V., 2013) und benden ökonomischen Nutzen. Die Res- zwischen den (objektiv definierbaren) quan- sourcenproduktivität wird erhöht, indem titativen Wachstumsrückgängen und den mit möglichst geringem Einsatz von Produk- (eher subjektiv wahrgenommenen) qualita- tionsfaktoren mehr Leistung erbracht wird. tiven Wohlstandsverbesserungen unter- scheidet. Im Mittelpunkt dieser komplexen https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006 78
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova Tabelle 1. Nachhaltigkeitsstrategien der Ressourcennutzung Effizienz Konsistenz Suffizienz Parameter Technologisch Techno-ökologisch Sozial Ressourceneinsparung 10-20% 50-80% 10-40% Wahrscheinlichkeit des Hoch Mittel bis gering Sehr gering Rebound-Effektes Implementierungshürde Niedrig Eher hoch Sehr hoch Einfluss auf die Ergiebigkeit Umweltschonung Bewusste Verringerung Ressourcennutzung Planbarkeit der Bedeutung als Regulierung des Bedarfsdeckung, relative Anpassung auf komplementärer Überkonsums und der Ressourceneinsparung naturverträglichere Nachhaltigkeitsansatz Überproduktion Produktionsverfahren Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Huber (2000) und Behrendt et al. (2018). Bezogen auf pflanzliche Biomasse kann das bessere Abbaubarkeit von biobasierten Po- zum einen durch den Einsatz neuer Techno- lymeren (Ayres, 1999; Umweltbundesamt, logien erfolgen, welche den Arbeits-, Mate- 2020b). Vielmehr können mitunter deutlich rial- oder Energiebedarf für die Herstellung mehr Agrar- und Forstflächen in Anspruch eines bio-basierten Produktes verringern. genommen werden, sowohl direkt im In- Zum anderen kann die energetische oder land als auch indirekt in Form von virtuellen stoffliche Ausbeute der Biomasse selbst er- Flächenimporten (Gent, 2018). Selbst wenn höht werden, beispielsweise durch neue ökoeffiziente Produkte unter fairen Arbeits- Genome-Editing-Verfahren, Neuzüchtun- bedingungen und mit geringerer Emissions- gen oder eine bessere Verwertung der gan- bilanz hergestellt werden, erhöhen sie bei zen Pflanze. Da Effizienz entscheidend für steigenden Produktionsmengen den abso- Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit ist, luten Ressourcenverbrauch (Dittrich et al., ist sie am einfachsten umzusetzen oder als 2012). Zielwert zu definieren (Tabelle 1). Ökologische Konsistenz wird deshalb in der Allerdings wird das Potential der ökonomi- Bioökonomie als eine wichtige Ergänzung schen Effizienz die Ressourcennutzung zu zur relativen effizienzbedingten Ressour- verringern, auf maximal 20 % geschätzt, die ceneinsparung gesehen. Tatsächlich wird Wahrscheinlichkeit eines Rebound-Effektes das Potenzial der ökologischen Konsistenz, dagegen gilt als sehr hoch (Huber, 2000; die Ressourcennutzung zu verringern, auf Behrendt et al., 2018). Die durch Effizienz- bis zu acht Mal höher als das der Effizienz verbesserungen erzielten Einsparungen in geschätzt (Huber, 2000). Anders als bei der Produktionsfaktoren können schnell aufge- Effizienz erfordert die Implementierung der hoben werden, wenn von den neuen ökologischen Konsistenz eine teilweise Re- und/oder verbesserten Produkten nicht we- organisation der Produktion und damit zu- niger, sondern mehr nachgefragt wird. So sätzliche, jedoch potentiell rentable, Inves- bedeutet der Ersatz von konventionellen titionen. Durch die Umstellung auf mehr Kunststoffen durch Bioplastik nicht zwin- Naturverträglichkeit und Kreislauffähigkeit gend einen geringeren Energie- und Roh- wird die Wahrscheinlichkeit der Rebound- stoffbedarf bei der Produktion oder eine Effekte stark reduziert. Die Kombination aus https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006 79
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova den beiden Ansätzen scheint daher vielver- auf Überproduktion) sowie naturverträgli- sprechend. Doch auch hier ist Vorsicht ge- chere Produkte und Produktionsverfahren boten. Ökonomische Effizienz und ökologi- unterstütz wird, können starke Konjunktur- sche Konsistenz stehen für Verbesserungen schwankungen vermieden werden (Cha- des monetären Input-Output-Verhältnisses talova, 2022). In einem ausgewogenen Res- und Minimierung der Kosten des industriel- sourcennutzungssystem würde Suffizienz len Durchsatzes, ohne jedoch die Maxime daher keinen Gegenentwurf zu Effizienz und des Wirtschaftswachstums oder den belas- Konsistenz (oder deren Mischform Ökoeffi- tenden Konsum in Frage zu stellen (Beh- zienz) darstellen, sondern die Ressourcen- rendt et l., 2018; EC, 2019; OECD, 2017). Die beanspruchung zwischen Bedarfsdeckung realisierten relativen Einsparungen in Kos- (Vermeidung der Mangelwirtschaft) und ten und Ressourcen können unter Geltung Übernutzung (Vermeidung von Exzessen) des Leitprinzips der Gewinnmaximierung halten. sogar Anreize setzen, die Produktionskapa- Doch auch eine um Suffizienz erweiterte zitäten besser auszulasten und somit zur Ressourcennutzungsstrategie richtet sich in Produktion über den tatsächlichen Bedarf erster Linie an die techno-ökonomische Op- hinaus zu führen. Die Refinanzierung der timierung der Wirtschaft innerhalb eines Umstellung auf geschlossene Lieferketten ethisch und sozial durchlässigen Rahmens. und Kaskadennutzung von erneuerbaren Weitere gesellschaftliche Übereinkünfte – Ressourcen macht ein weiteres Wachstum wie Verhaltensinnovationen (Bröring et al., sogar notwendig. 2020) und eine höhere Wertschätzung öf- Hier kann eine Suffizienz-Strategie regulie- fentlicher Güter - sind notwendig, um eine rend ansetzen. Suffizienz ist ein Nachhaltig- nachhaltige, gesellschaftliche Entwicklung, keitsparameter, der den individuellen, wie die mit weniger Ressourcen besser aus- kollektiven Konsum von Ressourcen und kommt, zu erreichen. Endprodukten auf seine Notwendigkeit und Angemessenheit befragt (Paech, 2005). Da Was bedeutet das für die sie eine Umstellung in den Lebensstilen und Verhaltensnormen voraussetzt, kommt sie Bioökonomie und die For- zuerst als soziales Prinzip ins Wirken und ist schung? daher auch am schwersten umzusetzen (Da- niel & Reisch, 2014). Das bedeutet aber Konsum, Lebensstile und Leitprinzipien der auch, dass Suffizienz, in deutlich stärkerem Produktion entscheiden maßgeblich dar- Maße als ökonomische Effizienz und ökolo- über, welche Ressourcen wie und in wel- gische Konsistenz, von individuellen Ent- chen Mengen genutzt werden. Die hier vor- scheidungen getragen wird. Durch deren gestellten Überlegungen zur Suffizienz deu- Akkumulation würde der Druck eines mode- ten darauf hin, dass eine moderate und auf raten Konsums die Wirtschaft zwangsweise tatsächliche Bedürfnisse abgestimmte Nut- zur Anpassung der Produktionsentschei- zung natürlicher Ressourcen für eine nach- dungen bewegen, von der Wahl der Res- haltige Entwicklung moderner Gesellschaf- sourcen, über Langlebigkeit der Endpro- ten unverzichtbar ist. Ein besonders wir- dukte bis hin zur Kapazitätsnutzung (Krae- kungsvoller Teil der Lösung ist dabei die Än- mer, 1997). Wenn ein moderater Konsum derung des Konsumverhaltens. Das gilt zusätzlich durch eine Verminderung des gleichermaßen für erneuerbare wie nicht Wirtschaftswachstums (z. B. durch Verzicht erneuerbare Ressourcen und alle modernen Volkswirtschaften. Suffizienz stellt somit https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006 80
Suffizienz in der Bioökonomie: Zwischen Option und Notwendigkeit | Chatalova nicht nur eine weitere Strategie der Res- drei Strategien der Ressourcennutzung be- sourcennutzung dar, sondern ein kritisches schrieben werden können. Alternative und Element der Selbstregulierung eines auf erweiterte Ansätze, die zum Beispiel auch Nachhaltigkeit ausgerichteten gesellschaft- Verhaltensaspekte individueller und kollek- lichen Systems. Industrieländer mit einem tiver Entscheidungen oder heterogene Nut- hohen Ressourcenverbrauch, bei zugleich zenerwartungen mitberücksichtigen, kön- hohen Lebensstandards, sind angehalten, nen zu einem besseren Verständnis der Suf- als erste die Umstellung auf einen genügsa- fizienz verhelfen und deren Umsetzung so- men Umgang mit Ressourcen zu wagen. mit erleichtern. Weiterhin können ethische Eine Erweiterung der nationalen Nachhal- und philosophische Studien normative Ar- tigkeits- und Bioökonomiestrategien um gumente für mehr Suffizienz entwickeln, Suffizienzkriterien ist daher dringend gebo- vor allem im Hinblick auf das demokratische ten, um eine solche Umstellung einzuleiten Grundrecht des Menschen auf freie persön- und zu unterstützen. Ein verstärkter aber liche Entfaltung und somit impliziert auch nicht maßvoller Einsatz von (Bio-)Technolo- auf Verschwendung. Nicht zuletzt sollten gien und erneuerbarer Biomasse könnte an- kritische interdisziplinäre Debatten über derenfalls unrückholbare, negative Auswir- den Mehrwert von Wachstum, moderne Le- kungen auf Lebensgrundlagen sowie neue bensstile und neue Biotechnologien ange- Qualität von Risiken zur Folge haben. regt werden, um die Pluralität von Wegen zu einer nachhaltigen Bioökonomie zu er- In einigen Bereichen der Wirtschaft und Ge- möglichen. sellschaft ist heute ein erster Trend zu mehr Nachhaltigkeit zu verzeichnen. Politische Projekte zur Förderung der Kreislaufwirt- Danksagungen schaft, freiwillige Initiativen des Handels Für wertvolle Anregungen danke ich Manf- (wie der reduzierte Einsatz von Plastiktüten red Linz, Siegfried Behrendt und Ulrich und Verpackungsmaterial) und globale sozi- Schurr. ale Bewegungen für den Klimaschutz zeu- gen von einer sich verändernden Haltung Literatur zur Ressourcennutzung. Diese Entwicklun- gen können die Barrieren für eine breitere Alcott, B. (2008). The sufficiency strategy: Akzeptanz und die Implementierung eines Would rich-world frugality lower envi- moderaten Ressourcenverbrauchs deutlich ronmental impact? Ecological Econom- senken. Ein weiterer Schritt in Richtung Suf- ics, 64(4), 770–786. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.200 fizienz kann zum Beispiel eine gezielte und 7.04.015 durch politische Maßnahmen unterstützte Verringerung von Lebensmittelverschwen- Alexander, S. (2012). The optimal material dung sein. Ihre enormen und vor allem threshold: Toward an economics of suf- schnell sichtbaren Vorteile in Form von ficiency. Real-world Economics Review, Wasser-, Land- und Energieeinsparungen 61, 2–21. können bei allen Akteuren ein neues Ver- http://www.paecon.net/PAEReview/is- ständnis von Nutzen und Lebensqualität sue61/Alexander1_61.pdf wachsen lassen. Ayres, R. (1999). The second law, the fourth law, recycling and limits to growth. Eco- Sicherlich sind die durch die Bioökonomie logical Economics, 29, 473–483. eingeleiteten Umstellungen und einzelne https://doi.org/10.1016/S0921- Interaktionen deutlich komplexer als sie in 8009(98)00098-6 https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2022-006 81
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