MOTIVATION IN DER SCHULE: IMPLIKATIONEN AUS DER MOTIVATIONSPSYCHOLOGIE - PSYARXIV

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MOTIVATION IN DER SCHULE: IMPLIKATIONEN AUS DER MOTIVATIONSPSYCHOLOGIE - PSYARXIV
Die Schulleitung                              POSTPRINT                                       © 2021 IPFF
2021, Vol. 48, 4

                        Motivation in der Schule:
              Implikationen aus der Motivationspsychologie

                                         Martin Daumiller
                                        Universität Augsburg

                                          unter Mitarbeit von
                                           Melanie Keller
                                        Universität Augsburg

          © 2021, Die Schulleitung. Die offizielle Zitation dieses Manuskripts ist: Daumil-
          ler, M. (2021). Motivation in der Schule: Implikationen aus der Motivationspsy-
          chologie. Die Schulleitung, 48(4), S. 4–8.

Motivation ist wichtig für Lernen und Leisten.        Für die Leistungsentwicklung ist es demnach
Das gilt im Alltag als Binsenweisheit und stimmt      nicht so wichtig, wie intelligent man ist, sondern
auch im Kontext der Schule. Was genau ist aber        vor allem, wie man lernt und wie motiviert man
Motivation, welche Rolle spielt sie für die Schü-     ist. Auch andere Studien verweisen auf einen po-
ler*innen und Lehrkräfte in der Schule, und wie       sitiven Zusammenhang zwischen Motivation und
sieht motivationsförderlicher Unterricht aus? Die     schulischem Erfolg; zudem trägt günstige, intrin-
Beantwortung dieser Fragen trägt dazu bei, er-        sische Motivation zu höherer Persistenz und ei-
folgreiches Lehren und Lernen zu ermöglichen.         nem besseren Wohlbefinden bei (Howard et al.,
Motivation ist ein psychischer Prozess zur Initiie-   2020; Richardson et al., 2012). Außerdem hat die
rung, Steuerung, Aufrechterhaltung und Evalua-        Motivation der Lehrkräfte einen positiven Ein-
tion zielgerichteten Handelns (vgl. Dresel &          fluss auf die Motivation der Schüler*innen. Somit
Lämmle, 2011). Motivation bezieht sich damit auf      ist für erfolgreiches Lernen in der Schule nicht nur
den gesamten Handlungsverlauf (und nicht, wie         die Motivation der Schüler*innen bedeutsam,
oft angenommen, nur auf den Beginn einer Hand-        sondern auch die Motivation der Lehrkräfte.
lung). Ein wichtiger Teil der Motivation sind so-
mit kognitive Prozesse (u.a. Zielvorstellungen),      1. Welche Motivationsmodelle sollte man als
aber auch der Handlungskontext und soziale Pro-       Lehrkraft kennen?
zesse spielen eine bedeutsame Rolle. Da Motiva-
tion nicht direkt beobachtet werden kann, sind In-    Für die Schulpraxis muss man theoretische Mo-
dikatoren nötig, um sie sichtbar zu machen. Die       delle zur Motivation nicht im Detail und mit allen
unterschiedlichen Modelle und Vorstellungen           Fachbegriffen kennen, um sie sinnvoll anwenden
über Motivation können hierbei als unterschiedli-     zu können. Über ein Grundwissen in zumindest
che „Werkzeuge“ zur Beschreibung und Förde-           drei Motivationsmodellen sollte man als Lehr-
rung von Motivation in der Wissenschaft und in        kraft aber verfügen: Ein Modell, das den Prozess
der Schulpraxis betrachtet werden.                    der Motivation erklärt, eines, dass die Qualität der
Motivation ist der Motor, der unsere Welt antreibt    Motivation beschreibt und ein Modell zu perso-
– ohne Motivation würden wir überhaupt nicht          nellen und kontextuellen Merkmalen. Die folgen-
handeln, und folglich kann es ohne Motivation         den drei Modelle sind Beispiele dafür.
auch kein Lernen geben. Entscheidend aber ist:           Ein Prozessmodell der Motivation ist das Ru-
Zu welchem Ausmaß gehen Unterschiede im               bikon-Modell der Handlungsphasen nach Heck-
schulischen Erfolg auf Unterschiede in den Moti-      hausen und Gollwitzer (1987, vgl. Abbildung 1).
vationen zurück? Hier verweisen Forschungsar-         Dieses Modell unterteilt den Prozess der Motiva-
beiten auf eine hohe Bedeutung der Motivation         tion in einer Handlung in vier formelle Phasen.
der Schüler*innen (Murayama et al., 2013), ins-
besondere für die Entwicklung ihrer Leistungen.
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             Abbildung 1. Prozess von Motivation: Rubikon-Modell der Handlungsphasen (Heckhausen
             & Gollwitzer, 1987) mit vier formellen Phasen

Die erste Phase (prädeszionale Phase) kenn-             alle Phasen einer Handlung, einschließlich der
zeichnet einen Bereich vor der Handlung selbst,         Zeiträume davor und danach, eine wesentliche
in der der potenzielle Zielzustand auf Wünsch-          Rolle spielt.
barkeit und Erreichbarkeit hin bewertet wird.               Um die Qualität der aktuellen Motivation in
Stellt sich ein Schüler zum Beispiel die Frage, ob      einer Leistungssituation zu verstehen, ist das
er einen bestimmten, langen Text lesen soll, wägt       Modell der Leistungsmotivation von Atkinson
er an dieser Stelle ab, ob es für ihn wichtig ist,      (1957, vgl. Abbildung 2) grundlegend. Es gehört
über die Informationen aus dem Text zu verfügen         zu den sogenannten Erwartung-mal-Wert-Mo-
oder ob er in der Lage ist, die Inhalte des Textes      dellen. Diese beschreiben die Motivation einer
zu verstehen. In der prädeszionalen Phase wer-          Person als Funktion der Erwartungen, die die
den zudem mögliche Handlungsoptionen geprüft            Person hat, und dem Wert, den die Person einer
(im Beispiel des Schülers z. B. den Text selbst         Aufgabe zuschreibt. Bei Aufgaben, auch im
lesen oder Mitschüler*innen nach den Inhalten           Schulkontext, ist die Motivation eine Funktion
fragen). Darauf aufbauend wird eine konkrete            der subjektiven Aufgabenschwierigkeit und
Handlungsoption festgelegt und damit der meta-          ergibt sich aus ebendiesem Zusammenspiel zwi-
phorische „Rubikon“ der Handlung überschritten          schen Erwartungs- und Wertkomponente. In
(vgl. Überschreitung des Flusses Rubikon durch          Aufgaben, die subjektiv leicht erscheinen, ist die
Caesar, die einen Bürgerkrieg auslöste). Die da-        Erwartung, eine gute Leistung zu erbringen, sehr
rauffolgende, präaktionale Phase umfasst die            hoch – dafür mag das erfolgreiche Bewältigen ei-
Planung der konkreten Umsetzung. Dazu gehört            ner sehr leichten Aufgabe allerdings keinen ho-
auch das Herbeiführen günstiger Gelegenheiten           hen Wert bieten. Sollen beispielsweise ältere
für die Handlungsinitiierung. Im Beispiel des           Grundschulkinder eine Reihe leichter Additions-
Schülers könnte dieser sich hier den Text in Ab-        aufgaben rechnen, ist ihre Erwartung hoch, dass
schnitte aufteilen, die er zu bestimmten Zeiten le-     sie diese Herausforderung leicht bewältigen kön-
sen möchte, und für eine ablenkungsfreie Umge-          nen. Der Wert, den sie den Aufgaben zuschrei-
bung sorgen. In der dritten, der aktionalen Phase       ben, wird dagegen vermutlich eher gering sein.
wird die Handlung durchgeführt. Dabei ist wei-          Ihnen ist vermutlich bewusst, dass es kein beson-
terhin Motivation nötig, um Anstrengung und             derer Erfolg für sie ist, diese Aufgaben zu lösen.
Ausdauer zu regulieren und Störeinflüsse abzu-          Umgekehrt verhält es sich bei subjektiv schwe-
schirmen. Ist die Handlung abgeschlossen, hat           ren Aufgaben – die Erfolgserwartung ist hier eher
der Schüler im Beispiel den Text also gelesen,          niedrig, der Wert des Erfolgs dagegen oft hoch.
folgt die letzte Phase des Rubikon-Modells, die         Stehen dieselben Grundschulkinder zum Beispiel
postaktionale Phase. In dieser wird sowohl der          vor einer langen Textaufgabe mit schwierigeren
Handlungsverlauf als auch das erreichte Ergeb-          Rechenoperationen, ist eine erfolgreiche Bewäl-
nis evaluiert. Dabei werden Ursachen für Erfolg,        tigung nicht unbedingt zu erwarten. Gleichzeitig
aber auch Gründe für mögliche Misserfolge er-
mittelt. Der Schüler des Beispiels wird an dieser
Stelle etwa seine Lesestrategie bewerten. Im Ru-
bikon-Modell wird deutlich, dass Motivation für
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              Abbildung 2. Qualität aktueller Motivation: Modell der Leistungsmotivation (Atkinson)

hätte ein Erfolg in dieser Textaufgabe einen ho-               Das Rahmenmodell von Dresel & Lämmle
hen Wert. In beiden Fällen wird die Motivation             (2011), das in Abbildung 3 zusammengefasst ist,
durch die jeweils geringer ausgeprägte Kompo-              gibt einen Überblick darüber, wie sich die Moti-
nente (niedriger Wert bzw. niedrige Erwartung)             vation von Personen in konkreten Lehr-Lern-Si-
limitiert – das bedeutet, dass wenn eine der bei-          tuationen zusammensetzt. Im Mittelpunkt des
den Komponenten „Null“ ist, d.h. keine Er-                 Modells steht die Person in der Lehr-Lern-Situa-
folgserwartung oder kein Erfolgsanreiz vorliegt,           tion, deren aktuelle Motivation aus dem Zusam-
auch deren Produkt „Null“ ist, d.h. keine güns-            menspiel von Erwartung und Wert resultiert.
tige Motivation vorliegen kann. Ein Optimum er-            Diese beiden Komponenten werden sowohl von
reicht die Motivation bezüglich einer Aufgabe              Merkmalen der Person selbst, ihren motivationa-
dann, wenn sie aus subjektiver Sicht ausreichend           len Tendenzen und Überzeugungen, als auch von
schwer ist, sodass die Bewältigung der Aufgabe             Merkmalen des Kontexts beeinflusst. Zu den per-
für die Person bedeutsam ist, aber gleichzeitig            sonalen Merkmalen gehören unter anderem Ziel-
auch bewältigbar erscheint, damit ein Erfolg bei           orientierungen, Motive und Bedürfnisse (eher
der Aufgabe für die Person nicht unmöglich ist.            wertbezogen) oder das eigene Fähigkeitsselbst-
Für die Schule bedeutet dies, dass Aufgaben mit            konzept (eher erwartungsbezogen). Auf der Seite
einem für die Adressaten mittleren Schwierig-              des Kontexts beeinflussen verschiedenste Merk-
keitsgrad für die Motivation optimal sind, da sie          male die Motivation, darunter die Interessantheit
für die Schüler*innen ausreichend erstrebens-              der Situation, der Grad der gewährten Autonomie
wert sind (Wertkomponente), gleichzeitig aber              oder externe Rückmeldungen. Die daraus resul-
auch bewältigbar erscheinen (Erwartungskom-                tierende Motivation wirkt wiederum auf das
ponente). Für eine Vertiefung dieser Thematik              Lern- und Leistungshandeln der Person; sie spielt
eignet sich das Erwartung-mal-Wert-Modell von              zum Beispiel bei der Aufgabenwahl, für die Per-
Eccles (1983), das auf der grundlegenden Idee              sistenz und für das Ausmaß der Anstrengung eine
Atkinsons von einer multiplikativen Verknüp-               Rolle. Auch der Lernzuwachs bzw. die Leistung
fung von Erwartung und Wert aufbaut und diffe-             der Person wird durch die Motivation beein-
renzierte Einblicke in die Motivationsqualität er-         flusst. Die Bewertung des eigenen Ergebnisses
laubt.                                                     hängt schließlich nicht nur von der Lern- oder
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       Abbildung 3. Vereinfachung des Modells von Dresel und Lämmle (2011) zur Übersicht personeller
       und kontextueller Merkmale

Leistungshandlung, sondern selbst auch von                Vielzahl an Studien kommt hier zum gleichen
Merkmalen des Kontexts und der Person ab.                 Bild (Scherrer & Preckel, 2019; Janke et al.,
Auch die Bewertung der eigenen Leistung kann              2020). Während günstige Leistungsmotivationen
sich wiederum auf die Motivation auswirken                kontinuierlich abnehmen, treten gleichzeitig ver-
(Stichwort: Attributionen). Eine detailliertere           mehrt ungünstige Formen von Motivation auf.
Darstellung dieses Modells ist bei Dresel und             Darunter fallen zum Beispiel Arbeitsvermei-
Lämmle (2011) zu finden.                                  dungsziele – bei denen die Schüler*innen versu-
    Zusammenfassend resultiert die aktuelle Mo-           chen, mit möglichst wenig Arbeitsaufwand durch
tivation aus situationsspezifischen Bewertungen           den Tag zu kommen. Dies ist auch der Grund,
der Wünschbarkeit und Realisierbarkeit von                warum es für viele Motivationstests unterschied-
Handlungsoptionen, die wiederum in Wechsel-               liche Normtabellen je nach Altersstufe gibt.
wirkung mit vergleichsweise stabilen und be-                  Es gibt eine Vielzahl an Gründen für diesen
reichsübergreifenden motivationalen Tendenzen             Abfall der Leistungsmotivation, wie zum Bei-
sowie Charakterisika der (Lehr-Lern-)Umwelt               spiel der Beginn der Pubertät oder hoher Leis-
entstehen. Die Motivation beeinflusst den ge-             tungsdruck, die von Lehrkräften nur schwer zu
samten Prozess der Lernhandlung, der wiederum             beeinflussen sind. Trotzdem kann man diesem
selbst einen Einfluss auf die Motivation hat. Für         Problem in gewissem Maß entgegenwirken, in-
Lehrkräfte und die Schulleitungen können diese            dem man einen möglichst motivationsförderli-
Modelle eine orientierende Hilfestellung sein,            chen Unterricht anbietet (Janke et al., 2020).
um motivationale Probleme in der Praxis besser                Wie aber sieht motivationsförderlicher Unter-
identifizieren und Gegenmaßnahmen ergreifen               richt aus? Dieses Thema ist sehr umfassend,
zu können.                                                nicht ohne Grund werden damit ganze Handbü-
                                                          cher und Ratgeber befüllt. Um sich einen Über-
2. Motivation der Schüler*innen                           blick darüber zu verschaffen, wie motivations-
                                                          förderlicher Unterricht aussehen kann, sind vier
   In der Schulrealität begegnet uns häufig das           Dimensionen zu betrachten: Inhalt, Bewertung,
Problem, dass ab einer bestimmten Altersstufe             Autonomie und Soziales (Benning, Praetorius et
(etwa ab dem Ende der 6. Klasse) die Leistungs-           al., 2019; vgl. Abbildung 4).
motivation immer mehr absinken zu scheint. Die                Auf Ebene des Inhalts ist es wichtig, dass die
gute Nachricht ist: Das ist ganz normal. Eine             Instruktion klar und verständlich ist und dass
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Abbildung 4. IBAS-Modell zu Komponenten motivationsförderlichen Unterrichts (Benning, Praetorius et al., 2019)

vielfältige, abwechslungsreiche, persönlich be-             warst deshalb sehr gut.“). Dabei ist zu beachten,
deutsame, aber auch sinnhafte und emotional rei-            dass auch selbstbezogenes Feedback (Beispiel:
che Aufgaben angeboten werden. Dazu gehört,                 „Du warst in dieser Aufgabe sehr gut, weil du ein
dass man häufig vergegenwärtigt, wieso ein be-              Talent dafür hast.“) hilfreich sein kann, wenn
stimmter Lerngegenstand relevant ist und wofür              Schüler*innen ein niedriges Selbstkonzept ha-
ihn die Schüler*innen in Zukunft vielleicht brau-           ben. Auch Möglichkeiten zur Selbstbewertung
chen könnten. Man sollte gleichzeitig versuchen,            sind motivationsfördernd.
den Lernstoff mit den Interessen der Schüler*in-                In der Autonomiedimension ist es, wie oben
nen zu koppeln. Bei der Bearbeitung des Inhalts             schon angedeutet, wichtig, adäquate Freiräume
ist es wichtig, individuell herausfordernde Auf-            anzubieten. Autonomie ist ein altersübergreifend
gaben zu stellen, also Aufgaben, die von den                relevantes Grundbedürfnis, sollte aber immer
Schüler*innen mit Anstrengung bewältigbar sind              entwicklungsabhängig gewährt werden, um die
und Über- und Unterforderung vermeiden. Dabei               Schüler*innen nicht zu überfordern (Deci &
bietet sich eine Leistungsdifferenzierung an. Ko-           Ryan, 2000). Wenn Lernende zu viele verschie-
operative Lernmethoden sind ebenfalls hilfreich             dene Handlungsoptionen haben, kann Überfor-
für die Motivation.                                         derung auftreten, die nicht motivationsförderlich
    Hinsichtlich der Bewertung kann eine indivi-            ist. Das heißt für die praktische Umsetzung, dass
duelle Bezugsnormorientierung motivationsför-               Lehrer*innen zur Förderung der Motivation zum
derlich sein. Diese beinhaltet neben der Anerken-           Beispiel wenige, aber sinnvolle Handlungsalter-
nung individueller Verbesserungen, dass leis-               nativen anbieten sollten, zwischen denen die
tungsstarke Schüler*innen nicht bevorzugt wer-              Schüler*innen selbst auswählen können. Ent-
den. Eine soziale Bezugsnorm sollte indes in den            sprechend sollte man angemessene Möglichkei-
Hintergrund gestellt werden. Hierzu ist es sinn-            ten bieten, die Schüler*innen mit einzubinden,
voll, insbesondere auf wettbewerbsorientierte               zum Beispiel wenn es um die Wahl von Lernzie-
Methoden verzichten (z. B. auf den berühmten                len oder Lernaktivitäten geht. Dazu gehört auch,
„Rechenkönig“ in der Mathematik). Bei der Be-               dass verschiedene Lernwege zugelassen und so-
wertung ist es außerdem wichtig, ein positives,             gar gefördert werden. Gemeinsames Aushandeln
konstruktives Fehlerklima aufzubauen, indem                 statt einseitigem Vorgeben ist die zentrale Forde-
man Fehler ernsthaft als Lernchancen behandelt,             rung im Bereich der Autonomie. Gleichzeitig
statt als Zeichen von mangelnder Kompetenz.                 sollte man versuchen, das Lernen zu strukturie-
Häufiges Feedback ist ebenfalls hilfreich zur               ren, indem man zum Beispiel Lernaktivitäten in
Motivationssteigerung, vor allem wenn es an-                Teilschritte aufteilt und Teilziele formuliert, an-
strengungsbezogen ist (Beispiel: „Du hast dir bei           hand derer Fortschritte leichter sichtbar werden.
dieser Aufgabe sehr viel Mühe gegeben und                   Für den Unterricht bedeutet dies konkret, dass
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man, kombiniert mit klaren Arbeitsanweisungen,          Grundsätzlich gelten auch bei Lehrkräften die
Freiraum und Verantwortung für die Schüler*in-       gleichen Modellvorstellungen von Motivation,
nen zulassen darf und sollte. Ein Beispiel dafür     wie sie vorher für Schüler*innen diskutiert wur-
ist das Stationenlernen, das insbesondere an         den (siehe Daumiller, 2018, für eine Übersicht).
Grundschulen, aber auch an weiterführenden           Es gibt ebenfalls Erwartungs- und Wert-Anteile
Schulen Erfolge feiert. Besonders für ältere         in der Motivation sowie personelle und kontex-
Schüler*innen ist es in diesem Zusammenhang          tuelle Aspekte. Empirische Studien zu diesem
auch besonders wichtig, unkonventionelle Ge-         Thema zeigen, dass zum Beispiel das Schulklima
dankengänge, Ideen und Lösungsansätze zuzu-          einen Einfluss auf die Motivation von Lehrkräf-
lassen.                                              ten haben kann (Dickhäuser et al., 2020). Eine
    Zur sozialen Dimension motivationsförderli-      günstige Gestaltung des Schulklimas kann ein
chen Unterrichts gehören schließlich ein wert-       tragfähiger Ansatz zur Motivationsförderung von
schätzender, fürsorglicher Umgang und ein part-      Lehrkräften sein und sogar größeren Effekt bie-
nerschaftliches Verhältnis. Im Idealzustand sind     ten als singuläre Fortbildungen zu diesem Thema
die Lernfortschritte der Schüler*innen für die       (Benning, Daumiller et al., 2019). Die Maßnah-
Lehrkräfte von persönlicher Bedeutung. Hier          men für ein motivationsförderliches Klima, wie
geht es aber nicht nur um das Verhältnis von         sie im vorherigen Absatz beschrieben wurden,
Lehrkräften zu Lernenden; auch zwischen den          sollten also nicht nur in den Klassenzimmern,
Schüler*innen sollte eine positive Interaktion       sondern im gesamten Schulhaus vorgelebt wer-
vorherrschen.                                        den. Dadurch werden Lehrkräfte günstig moti-
    Diese vier Bereiche – Inhalt, Bewertung, Au-     viert und können diese Motivation auch an ihre
tonomie und Soziales – bieten viele Anknüp-          Schüler*innen weitergeben.
fungspunkte zur Umsetzung motivationsförderli-          Selbstwirksamkeitserwartungen sind ein
chen Unterrichts. Auch wenn nicht immer in je-       wichtiger Aspekt, der die Motivation auf der Er-
der Stunde alle Hinweise umfassend umgesetzt         wartungsseite beeinflusst. Diese Erwartungsseite
werden können, lohnt sich der Versuch, den ei-       hängt wie bei Schüler*innen mit anderen Moti-
genen Unterricht dadurch aufzuwerten und so die      vationsmerkmalen zusammen; so reicht zum
Motivation der Schüler*innen zu begünstigen.         Beispiel ein hoher persönlicher Wert, ein Thema
Dies ist übrigens nicht nur im Klassenzimmer         zu unterrichten, nicht für optimale Motivation
möglich, sondern auch im Distanzunterricht (für      dafür aus, wenn die Selbstwirksamkeitserwar-
eine Ableitung entsprechender Tipps, um moti-        tungen gering sind. Hier werden im Kontext von
viertes Lernen zu Hause anzuleiten, sehe Dau-        Lehrkräften zwei Formen unterschieden: Lehr-
miller, Loderer & Dresel, 2021)                      kraft-Selbstwirksamkeitserwartungen und kol-
                                                     lektive Selbstwirksamkeitserwartungen.
3. Motivation der Lehrkräfte und der Schul-             Lehrkraft-Selbstwirksamkeitserwartungen
gemeinschaft                                         beziehen sich darauf, wie sehr Lehrpersonen sich
                                                     in der Lage dazu sehen, durch eigenes Handeln
    Die vorangegangenen Abschnitte zeigen            pädagogische Herausforderungen zu bewältigen.
Möglichkeiten, wie die Motivation der Schü-          Dazu gehört zum Beispiel, das Lernen und Ver-
ler*innen gefördert werden kann. Aber auch Leh-      halten der Schüler*innen zu unterstützen und zu
rer*innen sind nicht jeden Tag hochmotiviert. Sie    fördern – gerade auch bei unmotivierten oder
brauchen selbst Motivation, um die Mühe zu in-       problematischen Schüler*innen. Dabei geht es
vestieren, einen hochwertigen Unterricht vorzu-      um die eigenen Erwartungen einer einzelnen
bereiten oder um sich selbst weiter fortzubilden.    Lehrperson. Beeinflusst werden diese Erwartun-
Außerdem kann sich die Motivation der Lehr-          gen von den Erfahrungen, die die Lehrperson in
kräfte auf die Schüler*innen auswirken (z.B.         ihrem bisherigen Wirken gemacht hat, aber auch
Daumiller et al., 2021). Es ist also wichtig, dass   von Feedback, das sie dazu erhalten und von den
man auch selbst motiviert ist, wenn man Schü-        Beobachtungen, die sie bei anderen Lehrkräften
ler*innen umfassend motivieren möchte, und           gemacht hat. Selbstwirksamkeitserwartungen ha-
dass man diese Motivation auch zeigt. So kann        ben einen Einfluss auf die aktuelle Motivation
man nachhaltige motivationale Prozesse begüns-       und darauf, wie mit Widerständen umgegangen
tigen. Einen Überblick über das Thema der Mo-        wird.
tivation von Lehrkräften ist bei Richardson et al.      Daneben gibt es kollektive Selbstwirksam-
(2014) zu finden.                                    keitserwartungen, das sind Einschätzungen hin-
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sichtlich der Wirksamkeit als Gruppe. Diese wer-    Selbstwirksamkeitserwartungen kann es hilf-
den zwar von den individuellen Lehrkraft-Selbst-    reich sein, Unterrichtsstunden von Kolleg*innen
wirksamkeitserwartungen beeinflusst, umfassen       mit hohen Selbstwirksamkeitserwartungen zu
aber mehr als nur deren Addition. Sie beziehen      hospitieren. Verbale Unterstützung kann darüber
sich auch auf die Koordination und Kombination      hinaus in Form von auf Unterrichtsbeobachtun-
innerhalb der Gruppe durch die verschiedenen        gen beruhendem konstruktivem Feedback oder
Beteiligten. Im Kontext Schule betreffen die kol-   transparenter Kommunikation von schulinternen
lektiven Selbstwirksamkeitserwartungen von          Zielen erfolgen.
Lehrkräften etwa die Einschätzungen der Wirk-           Zusammengefasst ist nicht nur die Motivation
samkeit ihres Kollegiums als Ganzes und der Fä-     von Schüler*innen, sondern auch die von Lehr-
higkeit, gemeinsam mit pädagogischen und orga-      kräften für erfolgreiches Leben und Lernen in der
nisatorischen Herausforderungen umzugehen.          Schule relevant. Daher ist es zentral, im gesam-
Speziell in Situationen wie der aktuellen, in der   ten Schulkontext, innerhalb und außerhalb der
wir mit der großen Herausforderung COVID-19         Klassenzimmer, ein günstiges motivationales
konfrontiert sind, betreffen die nötigen Maßnah-    Klima zu schaffen, das von positiven sozialen
men und Handlungen das gesamte Kollegium            Beziehungen, autonomen Handlungsspielräu-
(Daumiller et al., 2021). Hier müssen alle ge-      men für alle Beteiligten und fairer und transpa-
meinsam anpacken und miteinander arbeiten, um       renter Bewertung geprägt ist. So wird Motivation
die Pandemie im gesamtschulischen Kontext zu        zu einem Werkzeug für günstiges Lehren und
bewältigen. Genau dort setzen die kollektiven       Lernen.
Selbstwirksamkeitserwartungen an. Wenn diese
im Lehrerkollegium hoch sind, ist das Kollegium     Literatur
eher in der Lage, Herausforderungen anzuneh-
men, und die Mitglieder schrecken vor Wider-        Atkinson, J. W. (1957). Motivational determinants of
ständen weniger zurück, weil sie das Vertrauen         risktaking behavior. Psychological Review, 64,
haben, dass sie diese Widerstände auch bewälti-        359–372. https://doi.org/10.1037/h0043445
gen können. Darüber hinaus hängen hohe kollek-      Bandura, A. (1977). Self-efficacy: toward a unifying
tive Selbstwirksamkeitserwartungen im Lehrer-          theory of behavioral change. Psychological Re-
                                                       view, 84(2), 191–215.
kollegium positiv mit den Leistungen der Schü-
                                                    Benning, K., Daumiller, M., Praetorius, A.-K.,
ler*innen zusammen (Eells, 2011). Es ist folglich      Lenske, G., Dickhäuser, O. & Dresel, M. (2019).
sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schü-       Evaluation eines Interventionsansatzes zur Ver-
ler*innen günstig, die Motivation von Lehrkräf-        besserung von Motivation und motivationsförder-
ten und darunter die kollektiven Selbstwirksam-        lichem Unterrichtshandeln von Lehrkräften auf
keitserwartungen zu fördern. Für Schulleitungen        Basis der Zielorientierungstheorie. Unterrichts-
ergeben sich hier verschiedene Ansatzpunkte.           wissenschaft,               47,             313–335.
Zum Beispiel erbrachten Forschungsarbeiten,            https://doi.org/10.1007/s42010-018-0025-9
dass „Instructional Leadership“ – ein Führungs-     Benning, K., Praetorius, K., Janke, S., Dickhäuser, O.
stil, der priorisiert, professionelles pädagogi-       & Dresel, M. (2019). Das Lernen als Ziel: Zur un-
                                                       terrichtlichen Umsetzung einer Lernzielstruktur.
sches Handeln der Lehrpersonen anzuregen und
                                                       Unterrichtswissenschaft,          47,       523–545.
dessen Umsetzung im Unterricht nachzuverfol-           https://doi.org/10.1007/s42010-019-00054-7
gen – die kollektiven Selbstwirksamkeitserwar-      Calik, T., Sezgin, F., Kavgaci, H., & Cagatay Kilinc,
tungen des Lehrerkollegiums positiv beeinflusst        A. (2012). Examination of relationships between
(Çalik et al., 2012, Fancera & Bliss, 2011). Im        instructional leadership of school principals and
Speziellen können Schulleitungen Erfolgserleb-         self-efficacy of teachers and collective teacher ef-
nisse, überzeugende Gespräche oder emotionale          ficacy. Educational Sciences: Theory and Prac-
Anstöße bieten, die als Quelle zur Entwicklung         tice,                12(4),              2498–2504.
von Lehrkraft-Selbstwirksamkeitserwartungen            https://files.eric.ed.gov/fulltext/EJ1002859.pdf
und darauf aufbauend auch für kollektive Selbst-    Daumiller, M. (2018). Motivation von Lehrkräften. In
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wirksamkeitserwartungen dienen (Bandura,
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1977). Konkrete Beispiele dafür sind das ge-           venta. https://doi.org/10.3262/EEO21180403
meinsame Entwickeln von schulinternen Zielen        Daumiller, M., Janke, S., Hein, J., Rinas, R., Dickhäu-
und die Unterstützung von Lehrkräften durch das        ser, O. & Dresel, M. (2021). Do teachers’ achieve-
Modellieren von Unterrichtsstrategien bei beson-       ment goals and self-efficacy beliefs matter for stu-
deren Problemen. Für Lehrkräfte mit geringen           dents’ learning experiences? Evidence from two
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