Terra incognita - Die Unbewohnbarkeitsbescheinigung als Ausweg aus dem "Mietendeckel" - Die Unbewohnbarkeitsbescheinigung als ...
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Öffentliches Baurecht | Januar 2021 Terra incognita - Die Unbewohnbarkeitsbescheinigung als Ausweg aus dem „Mietendeckel“ I. Einleitung Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Woh- Hieran schließen Folgerungen für die Praxis an, nungswesen in Berlin (MietenWoG), das am mit denen dieser Beitrag endet (unter III.). 23.02.2020 in Kraft getreten ist, sorgt aufgrund seiner Auswirkungen auf dem Immobilienmarkt II. Die Merkmale des § 1 Nr. 3 MietenWoG für erheblichen Zündstoff. Noch immer ist die Frage der formellen sowie der materiellen Ver- Gemäß § 1 Nr. 3 MietenWoG ist das Gesetz un- fassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht geklärt. ter anderem nicht auf Wohnraum anwendbar, Doch solange das Gesetz in Kraft ist, stellt jeder der ab dem 1. Januar 2014 erstmalig bezugsfer- Verstoß hiergegen eine Ordnungswidrigkeit tig wurde. Darüber hinaus ist vom Anwendungs- dar, die gemäß § 11 Abs. 2 MietenWoG mit einer bereich des MietenWoG im Einzelfall auch Geldbuße bis zu EUR 500.000,00 geahndet wer- dauerhaft unbewohnbarer und unbewohnter den kann. Vor diesem Hintergrund ist die Defi- ehemaliger Wohnraum umfasst, der mit einem nition des sachlichen Anwendungsbereichs des dem Neubau entsprechenden Aufwand zu MietenWoG für Eigentümer, Vermieter, Immo- Wohnzwecken wiederhergestellt wird. Weiter- biliengesellschaften und Investoren von heraus- gehende Angaben macht das Gesetz nicht. ragender Bedeutung. Untersucht werden soll Auch die Lektüre der Ausführungsvorschriften hier der Ausnahmetatbestand des § 1 Nr. 3 Mie- zum MietenWoG (AV-MietenWoG) ist nicht tenWoG. Nach dieser Vorschrift gilt das Gesetz sonderlich hilfreich. Zwar bestimmt 1.4 nicht für Wohnraum, der ab dem 1. Januar 2014 AV-MietenWoG, dass für die Beendigung der erstmalig bezugsfertig wurde oder im Einzelfall Wiederherstellung auf den Zeitpunkt des 1. Ja- sonst dauerhaft unbewohnbarer und unbe- nuar 2014 abgestellt wird. Hiernach muss die wohnter ehemaliger Wohnraum, der mit einem vormals unbewohnbare und unbewohnte Woh- dem Neubau entsprechenden Aufwand zu nung ab diesem Zeitpunkt wiederhergestellt Wohnzwecken wiederhergestellt wird. Was un- worden und dem Wohnungsmarkt zugeführt ter einer Unbewohnbarkeit zu verstehen ist, auf worden sein. Allerdings ist bereits unklar, was welche Weise diese nachgewiesen werden kann unter einer „unbewohnbaren Wohnung“ zu ver- und wann der Wohnraum als wiederhergestellt stehen ist, insbesondere, ob hierbei Kriterien gilt, ist ebenso wenig geklärt, wie das zum des Wohnungsaufsichtsgesetzes Berlin (Wo- Nachweis der Unbewohnbarkeit durchzufüh- AufG Bln) herangezogen werden dürfen. Klar ist rende Verfahren. Der Beitrag untersucht sowohl lediglich, dass der Wohnraum durch die bauli- die Merkmale des § 1 Nr. 3 MietenWoG als auch chen Maßnahmen wieder in einen bewohnba- die Ansprüche, die an ihren Nachweis gestellt ren Zustand versetzt und hierdurch dem werden (unter II.). Wohnungsmarkt (erneut) zugeführt wird. Aller- dings ist einschränkend zu beachten, dass die Kosten für die erbrachten Aufwendungen den Öffentliches Baurecht | Januar 2021 | www.knauthe.com
Kosten für einen Neubau entsprechen müssen. Wann dies der Fall ist, ergibt sich allerdings we- Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein der aus dem MietenWoG noch aus den zugehö- Gleichlauf mit einem Neubau nur dann herge- rigen Ausführungsvorschriften. Im Rahmen der stellt werden kann, wenn sich die Baukosten für oben bereits angesprochenen Anfrage hat die den Wiederaufbau mit den Kosten eines Neu- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und baus decken. Schließlich ist weder die Darle- Wohnen klargestellt, dass sie hierbei von Auf- gung der Unbewohnbarkeit noch der Nachweis wendungen zwischen EUR 2.400,00/m² und eines entsprechenden Kostenaufwands einem EUR 2.900,00/m² ausgehe. Für eine 70 m2 große beliebigen Nachweis zugänglich. Vielmehr be- Wohnung sind hiernach Aufwendungen i.H.v. stimmt 1.4 AV-MietenWoG, dass vor den bauli- ca. EUR 185.000,00 erforderlich, um im Hinblick chen Maßnahmen eine Unbewohnbarkeits- auf die Kosten einem Neubau gleichzukommen. bescheinigung des jeweils zuständigen Bezirk- Diese Aussage ist in der Praxis allerdings nur we- samts vorgelegt und nach Abschluss der Arbei- nig belastbar. Denn es stellt sich sogleich die ten die Kosten der Maßnahmen nachgewiesen Frage, ob es verhältnismäßig ist, Wohnraum der werden müssen. mit „lediglich" ¾ der Neubaukosten saniert wurde, dem Anwendungsbereich des Mieten- 1. Das Merkmal der Unbewohnbarkeit WoG zu unterwerfen. Hiergegen bestehen er- hebliche Zweifel. Es bleibt daher zu hoffen, dass Im Rahmen einer Abgeordnetenanfrage hat die das BVerfG die Chance nutzt, um auch zu derar- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und tigen Fragen Hinweise zu erteilen. Wohnen erläutert, dass eine „Unbewohnbar- keit“ im Sinne des Gesetzes erst dann anzuneh- 3. Nachweis der Merkmale (insbesondere: men ist, wenn in Anlehnung an wohnungs- Unbewohnbarkeitsbescheinigung) aufsichtsrechtliche Vorgaben ein Bewohnen ohne Gefährdung von Leben oder Gesundheit Während die Aufwendungskosten relativ leicht nicht möglich erscheint. Nicht ausreichend nachgewiesen werden können, ist das Verfah- seien hingegen ein bloß „abgewohnter“ oder ren zur Erlangung einer Unbewohnbarkeitsbe- „unmoderner“ Zustand. Hiernach ist also in An- scheinigung auch fast ein Jahr nach dem lehnung an das WoAufG Bln eine Unbewohn- Inkrafttreten des MietenWoG weitgehend un- barkeit dann anzunehmen, wenn aufgrund des geklärt. Nach Aussagen der Senatsverwaltung Zustands der Wohneinheit eine konkrete Ge- für Stadtentwicklung und Wohnen besteht für fährdung von Leib und Leben nicht ausgeschlos- die Beantragung oder Erteilung einer derartigen sen werden kann. Bescheinigung noch immer kein einheitliches Formular. Antragsteller müssen sich daher auf 2. Das Merkmal des Kostengleichlaufs unterschiedliche Antragsformulare in den je- weiligen Bezirken einstellen. Dessen ungeach- Der Gesetzgeber hat sich nicht damit begnügt, tet ist aber bereits unklar, auf welche Weise eine Wohnraum allein deshalb aus dem Anwen- Unbewohnbarkeit nachgewiesen werden kann. dungsbereich des MietenWoG zu entlassen, Hierzu verhält sich weder das MietenWoG noch weil es wiederhergestellt worden ist. Die Besei- die ergangenen Ausführungsvorschriften. tigung von Gefahren für Leib und Leben durch spezifische Baumaßnahmen mögen eine not- III. Folgerungen für die Praxis wenige Bedingung sein. Hinreichend sind sie deshalb jedoch nicht. Die Baumaßnahmen, die Nach alledem ist festzuhalten, dass auch knapp durchgeführt worden sind, um die Wohnung ein Jahr nach Inkrafttreten des MietenWoG nach dem Stichtag (1. Januar 2014) erneut dem nicht geklärt ist, unter welchen Umständen vor- Markt zuzuführen, müssen im Hinblick auf die mals unbewohnbarer Wohnraum, der mit einem Kosten denen eines Neubaus gleichkommen. dem Neubau entsprechenden Aufwand zu Wohnzwecken wiederhergestellt wird, aus dem Öffentliches Baurecht | Januar 2021 | www.knauthe.com
Anwendungsbereich des MietenWoG ausge- werden, die nach Inkrafttreten des Mieten- nommen wird. Aus der Zusammenschau des WoG begonnen werden. Dies überzeugt Gesetzes, den Ausführungsvorschriften und den auch in tatsächlicher Hinsicht. Vor Inkrafttre- Erläuterungen der Senatsverwaltung für Stadt- ten des Gesetzes und insbesondere seiner entwicklung und Wohnen lässt sich aber (bis- Ausführungsvorschriften hatten Bauherren lang) Folgendes festhalten: keine Kenntnis vom einzuhaltenden Verfah- ren und sahen sich deshalb auch nicht ge- 1. Wohnraum, der nach dem Inkrafttreten des zwungen, den unbewohnbaren Zustand der MietenWoG am 23.02.2020 dergestalt wie- Wohnräume vor Beginn der Bauarbeiten zu derhergestellt wird, dass es im Hinblick auf dokumentieren. Dieser Befund darf indes die Kosten einem Neubau gleicht, fällt nur nicht missverstanden werden. Auch Bauher- dann aus dem Anwendungsbereich dieses ren, die mit den Wiederherstellungsarbeiten Gesetzes, wenn vor den baulichen Maßnah- vor Inkrafttreten des Gesetzes begonnen, sie men eine Unbewohnbarkeitsbescheinigung aber erst nach Inkrafttreten des MietenWoG des jeweils zuständigen Bezirksamts vorliegt beendet haben, bleiben zum Nachweis ge- und nach Abschluss der Arbeiten die Kosten mäß § 1 Nr. 3 MietenWoG verpflichtet. Kann der Maßnahmen nachgewiesen sind. In Er- die Unbewohnbarkeit zum Zeitpunkt des Sa- mangelung eines einheitlichen Verfahrens nierungsbeginns z.B. nicht mehr durch Bilder wird die Abstimmung mit dem jeweils zu- oder Gutachten belegt werden, sind Bauher- ständigen Bezirksamt von besonderer Be- ren gleichwohl dazu angehalten, Nachweise deutung sein. über konkret angefallene Sanierungskosten vorzulegen. Durch Offenlegung der finanzi- 2. Problematisch sind insofern unter anderem ellen Aufwendungen, die einem Neubau ent- Fälle, in denen der Bauherr mit den Wieder- sprechen, kann der Bauherr - unter Doku- herstellungsarbeiten vor Inkrafttreten des mentation der konkret durchgeführten Ar- Gesetzes begonnen, sie aber erst nach In- beiten - ggf. auch die Unbewohnbarkeit zu krafttreten des MietenWoG beendet hat. Es Beginn des Bauvorhabens belegen. Gelingt steht fest, dass es Bauherren auch in diesem ihm dies nicht, besteht die Gefahr, dass der Fall möglich sein muss, gemäß § 1 Nr. 3 Mie- betroffene Wohnraum uneingeschränkt dem tenWoG vom Anwendungsbereich des Mie- Regelungsregime des MietenWoG unterfällt. tenwohngesetzes befreit zu werden. Bislang ist allerdings ungeklärt, ob Bauherren auch 3. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Verwal- nachträglich noch zur Einholung einer Unbe- tungspraxis und die Rechtsprechung in Be- wohnbarkeitsbescheinigung für ehemals un- zug auf den Ausnahmetatbestand des § 1 bewohnbare Wohnräume beim jeweils zu- Nr. 3 MietenWoG entwickelt. In jedem Fall ist ständigen Bezirksamt verpflichtet sind. Hier- Bauherren eine genaue Dokumentation des gegen bestehen sowohl in rechtlicher als Wohnraumzustandes vor Beginn der Wie- auch in tatsächlicher Hinsicht Bedenken. Vor derherstellungsmaßnahmen dringend zu dem Hintergrund, dass sich der Gesetzgeber empfehlen. Diese muss dem Bezirk mit dem beim MietenWoG insgesamt sehr stark an Antrag auf Ausstellung einer Unbewohnbar- Stichtagsgrenzen orientiert, dürfte auch die keitsbescheinigung vorgelegt werden. Im verfahrensrechtliche Verpflichtung zur Ein- Streitfall werden die Gerichte zu entscheiden holung der Unbewohnbarkeitsbescheini- haben, ob die Dokumentation ausreichend gung vor Beginn der Sanierungsarbeiten, für den Nachweis einer Unbewohnbarkeit im erst ab dem Erlass des Gesetzes gelten. Es Sinne des MietenWoG war. Die Dokumenta- dient der Rechtsklarheit, wenn vom Anwen- tion sollte sich indes nicht auf den Zustand dungsbereich des Gesetzes insoweit ledig- des Wohnraums vor Beginn der Baumaßnah- lich Wiederherstellungsarbeiten erfasst men beschränken, sondern im Hinblick auf Öffentliches Baurecht | Januar 2021 | www.knauthe.com
die nachzuweisenden Kosten auch während der Bauarbeiten konsequent durchgeführt werden. Sollte der jeweils zuständige Bezirk Zweifel an der Kostenhöhe haben, können Abbildungen, Rechnungen, Gutachten etc. die Erforderlichkeit der konkret getätigten Aufwendungen erklären. In Fällen, in denen eine belastbare Verwaltungspraxis fehlt, ist das Glück nämlich weniger mit den Mutigen als mit den Gründlichen. Ihr Ansprechpartner für dieses Thema: Dr. David K. Shaverdov Rechtsanwalt +49 (0)30 20670-1543 shaverdov@knauthe.com Öffentliches Baurecht | Januar 2021 | www.knauthe.com
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