Musikprotokoll - Produkte - ORF

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musikprotokoll – Produkte

das rauschen                      Form – Luxus, Kalkül            Bilder – Verbot und Verlangen   europäische meridiane          Übertragung –
Hrsg.: Christian Scheib,          und Abstinenz                   in Kunst und Musik              neue musik territorien         Transfer – Metapher
Sabine Sanio                      Fragen, Thesen und Beiträge     Hrsg.: Christian Scheib,        Reportagen aus Ländern         Kulturtechniken, Ihre
Wolke-Verlag, Hofheim 1995        zu Erscheinungsweisen           Sabine Sanio                    im Umbruch (dt./engl.)         Visionen und Obsessionen
ISBN 3923997663                   aktueller Musik                 Pfau-Verlag, Saabrücken 2000    Hrsg.: Susanna Niedermayr,     Hrsg.: Christian Scheib,
€ 11,90                           Hrsg.: Christian Scheib,        ISBN 3897271303                 Christian Scheib               Sabine Sanio
                                  Sabine Sanio                    € 11,90                         Pfau-Verlag, Saabrücken 2003   Kerber Verlag, Bielefeld 2004
                                  Pfau-Verlag, Saabrücken 1999                                    ISBN 3897272482                ISBN 3936646880
                                  ISBN 3897270854                                                 2 Bände, 2 CDs, € 35,–         € 22,95
                                  € 11,90                                                         für Ö1-Clubmitglieder € 30,–

musikprotokoll                             musikprotokoll                           30 Jahre Musikprotokoll                      Dieb 13 restructing
im steirischen herbst 97                   im steirischen herbst 98                 Moderne aus Österreich 1968–1997             musikprotokoll 99
Edition Zeitton                            Edition Zeitton                          ORF MP 30, 6 CDs in einer Box                ORF CD 260 charizma 13
MP97 ORF 15                                MP98 ORF 16                              € 52,–                                       € 14,–
€ 14,–                                     € 14,–                                   für Ö1-Clubmitglieder € 46,80                für Ö1-Clubmitglieder € 12,60
für Ö1-Clubmitglieder € 12,60              für Ö1-Clubmitglieder € 12,60

                             reMI – DVD                                          Alien City – DVD                                     40x Gegenwart – 40x
                             musikprotokoll 2000                                 musikprotokoll 2001                                  musikprotokoll – DVD
                             Michaer Pinter:                                     alien productions:                                   Das ORF-Festival für
                             Komposition, Konzeption                             Martin Breindl,                                      Neue Musik im
                             Renate Oblak:                                       Norbert Math,                                        steirischen herbst
                             Video, Konzeption                                   Andrea Sodomka                                       Ein Film von
                             Kooperation:                                        Kooperation:                                         Günter Schilhan
                             ORF-musikprotokoll/                                 ORF-musikprotokoll/                                  und Christian Scheib.
                             tonto                                               Zangi Music/                                         ORF DVD MP903
                             ORF DVD MP00705                                     OK Centrum für                                       € 20,–; für Ö1-Club-
                             € 20,–; für Ö1-Club-                                Gegenwartskunst OÖ                                   mitglieder € 18,–
                             mitglieder € 18,–                                   ORF DVD MP01 706
                                                                                 € 20,–; für Ö1-Club-
                                                                                 mitglieder € 18,–
Musikprotokoll - Produkte - ORF
das musikprotokoll 2009 on-line
                       infos/programm/biografien/archiv

                 oe1.orf.at/musikprotokoll
Musikprotokoll - Produkte - ORF
musikprotokoll im steirischen herbst 2009

Als Labor und Katalysator der zeitgenössischen musika­lischen Kunst Österreichs fungiert das musikprotokoll im steiri­schen
herbst seit über 40 Jahren: Experimentierfeld der akustischen Künste und zugleich Katapult in die Inter­nationalität der neuen
Musik. Neben dem Klavier­projekt der Seven Last Words und dem internationalen Perfor­mance-Spezialprojekt Touch this
Sound! stehen 2009 auch großformatige Konzerte mit dem RSO Wien und Urauf­füh­run­gen von Olga Neuwirth und Bernhard
Gander auf dem Programm – beispielsweise ein Konzert, in dem auch zwei junge Solistenstars auftreten werden: Antoine
Tamestit, Bratsche, und Marisol Montalvo, Sopran. Reprä­sentative Ensemble- und Kammermusik bringen das Klang­forum
Wien und das ensemble recherche unter anderem mit Urauf­füh­rungen von Rebecca Saunders und Johannes Maria Staud.
Solisten-Recitals von Uli Fussenegger, Franz Hautzinger und anderen erforschen subtile Klangregionen und vervollstän­digen
das heurige musikprotokoll-Puzzle aus großer Form, intermedialen Experimenten und präziser Kammermusik.

Touch this Sound! #1                                              und Komponisten mit langjähriger Verbindung zu
Die Musik des Heart Chamber Orchestra kommt im Wort­sinn          Österreich, wie dem wieder hier lebenden Johannes Maria
von Herzen. Eingespannt in eine Feedback-Schleife folgen          Staud, der nicht zum ersten Mal beim musikprotokoll
zwölf Musikerinnen und Musiker in dem von Termi­nalbeach          präsenten Britin Rebecca Saunders, dem Spanier Mauricio
konzipierten und technisch realisierten Projekt einer             Sotelo, der lange in Wien gelebt hat, und dem Kolumbianer
Partitur, die sich in Echtzeit aus ihren eigenen Herz­schlägen    Germán Toro-Pérez, der dort noch immer aktiv ist.
generiert. Danach nehmen GX Jupitter-Larsen und The
Haters uns mit Ion-Gun unter Ionengewehr-Beschuss, bevor          Amphigory – Unsinn und Ansinnen
die Lucky Dragons in ihrer Performance Make a Baby zur            Erstmals in seiner Geschichte hat das RSO Wien einen
kollektiven Klang(er)zeugung einladen. Wie im vergan­genen        „Ersten Gastdirigenten“ engagiert – und selbstverständlich
Jahr steht der erste Abend des musikprotokolls ganz im            ist es einer der wichtigsten Experten für das Repertoire
Zeichen des Festivalnetzwerkes ECAS/ICAS der European             der Gegenwart: Symbolträchtig beginnt Peter Eötvös sein
und International Cities of Advanced Sound.                       Engagement beim ORF Radio-Symphonieorchester im
                                                                  musikprotokoll, jenem Festival, mit dem ORF und Ö1
Touch this Sound! #2                                              alljährlich ihre Kompetenz für neue Musik in Österreich
In der Konzertinstallation Breathing Music von Justė Janulytė   unter Beweis stellen. Auftragswerke von Olga Neuwirth
und Dovydas Klimavic̆ius beginnt Musik zu atmen: Wie vier         und Bernhard Gander stehen im internationalen Umfeld
Föten in vier Uteri sitzen und spielen die Musiker des            von ebenfalls neuen Arbeiten der Britin Rebecca Saunders
Chordos String Quartet in großen Plastikblasen, aus denen         und des Deutschen Matthias Pintscher.
langsam Luft abwechselnd hinein- und dann wieder hinaus­
gepumpt wird, und erinnern daran, dass nicht nur wir,             Um die herausragende künstlerische Energie dieses
sondern auch Klang erst in und durch Luft existieren kann.        besonderen Klangkörpers weiß auch die jüngere
                                                                  Komponistengeneration – Bernhard Gander benennt dies in
Abime – Abgrund und Aufbruch                                      seinem neuen Stück für das RSO gleich im Titel Lovely
Der Inbegriff eines klassischen musikprotokoll-Abends des         Monster. In diesem Konzert sind gemeinsam mit dem
Aufbruchs in die Moderne, interpretiert von den Meistern          Orchester renommierte Solisten zu hören. Der Jungstar der
des Fachs, dem ensemble recherche und dem Klangforum              Bratsche Antoine Tamestit spielt Olga Neuwirths neues
Wien: Miteinander konfrontiert werden Werke aus aller Welt        Werk und die junge amerikanische Sopranistin Marisol

                                                                                                                               1
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Montalvo verwandelt sich in Herodiade, die im Dialog          Touch this Sound! #3
mit ihrem Spiegelbild in die Abgründe ihres Begehrens         Für sein Projekt Labyrinthitis hat Jacob Kirkegaard im
blickt. Der Komponist Matthias Pintscher entwickelt aus       Wortsinn seine Ohren nach innen gerichtet und eine
dieser auf einem Mallarmé-Text beruhenden Szene eine          interaktive Soundinstallation aus Klängen geschaffen,
vibrierende Orchester-Landschaft mit Frauenstimme,            die – als Produkte otoakustischer Emissionen – alle im
deren vielleicht zentralen Satz er dann aber unbegleitet      Ohr, im Gehörgang von Kirkegaard entstanden sind.
lässt: „J’attends une chose inconnue“.                        Kirkegaard hat sie mit einer speziellen technischen
                                                              Ausrüstung aufgenommen und daraus eine Komposition
Seven Last Words                                              geformt, die nun bei den Hörerinnen und Hörern zu
Mitternacht, Samstag, im Kreuzgang der Minoriten am           weiteren otoakustischen Emissionen führt.
Mariahilferplatz: Klavierklänge eines Werks über „Die
sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz“ – Musik von       Out of Tune – Konzertreihe elektronischer Musik
Joseph Haydn im Haydn-Jahr. Musik, die aber auch –            Können wir elektronische Musik verstehen? Welche
zumindest in der von Marino Formenti gespielten Fassung       Konzepte des Zugriffs sind noch gültig, nachdem sich die
für Klavier – im Gestus an Morton Feldman erinnert. Wie       Musik längst von traditionellen Kontexten, Kriterien,
ein fotografisches Negativ dazu verhalten sich Bernhard       Hörgewohnheiten gelöst hat? Wie orientieren wir uns, wo
Langs Seven Last Words, die sich direkt auf Haydn beziehen:   die elektronische Musik noch keine allgemeingültigen
Aus dem Sich-Versenken wird ein Sich-Erheben, aus der         Konzepte musikalischen Verstehens hat etablieren können,
Frömmigkeit wird Aufbegehren, aber es bleibt das gleiche      sondern wo theoretische Zugriffe sehr unterschiedlicher
Bild von musikalischer Intensität, von letztlich metaphysi­   Musik- aber auch Kunstdisziplinen gleichberechtigt neben­
scher Herausforderung.                                        einander stehen? Und dennoch gehen wir von Kriterien des
                                                              Musikverstehens aus – auch wenn sie noch nicht explizit
solo-recital-suite                                            benennbar sein mögen. „Out of Tune“ beschäf­tigt sich mit
Es gibt Instrumente, da wundert es nicht, sie länger allein   diesen Fragen nach einem verstehen­den Zugriff auf Musik –
auf der Bühne zu sehen – das Klavier natürlich, vielleicht    und damit ihrer Inhalte – über verschiedene vermeintlich
auch die Geige. Aber Solo-Recitals mit Kontrabass oder        traditionelle Aus­g angs­punkte und unterschiedliche Prä­
auch mit Trompete entsprechen nicht den Erwartungen           sentationsformen und Interpretationen.
konzertanten Zuhörens. Dieser Abend bringt beides: Uli
Fussenegger, Kontrabass-Solist des Klangforum Wien,
schöpft fragil und eindrucksvoll alle Klangnuancen und
auch technischen Möglichkeiten seines Instruments aus.        Programm musikprotokoll 2009:
Und der Trompeter und Gesamtkünstler Franz Hautzinger         Christian Scheib, Susanna Niedermayr
bricht mit seinem Alter Ego-Projekt Gomberg in dessen         Programm Out of Tune:
nächste, dritte Phase auf. Dazwischen steht eine komplexe     Heike Schleper & Bernhard Schreiner
Klanglandschaft von Kaffe Matthews, die für ihre elektro­
nischen Kompositionen teils direkt aus dem Konzertsaal        Die Reihe „Touch This Sound!“ ist inspiriert und
stammendes Tonmaterial sampelt.                               ko-kuratiert von CTM (Club Transmediale) und TodaysArt

                                                              talking landscapes ist Teil der Serie „Dass es so weiter­
                                                              geht, ist die Katastrophe!“ (Walter Benjamin), ein
                                                              Kooperationsprojekt von ESC im LABOR und steirischer
                                                              herbst in Kooperation mit dem musikprotokoll.

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O r c h e s t e r m i n i a t u r e n f ü r d a s RS O W i e n
Beinah hundert Miniaturgeschenke – nach dem Motto 40 Sekunden zum 40. Geburtstag – haben Österreichs
Komponistinnen und Komponisten dem RSO im Sommer 2009 zukommen lassen. Gespielt werden sie ab Mitte
Oktober im Programm Ö1 von Pasticcio bis Zeit-Ton, im OTF TV-Kulturprogramm, im Netz unter rso.orf.at und
oe1.orf.at, zu vielen weiteren live Gelegenheiten. Zusätzlich wird noch eine Auswahl daraus an genau 40 eigenen
„Einminuten-Sendeplätzen“ in Ö1 zum 40. Geburtstag präsentiert.

Sendetag         Komponist/innen           Sendezeit      Sendetag         Komponist/innen           Sendezeit
Mo, 19.10.       Peter Ablinger               07.58       Mo, 26.10.       Bernhard Gander              07.58
                 Klaus Ager                    14.58                       Wolfgang Mitterer             14.58
                 Rainer Bischof                16.53                       Olga Neuwirth                16.28
                 Francis Burt                  21.58                       Hermann Nitsch               19.05
Di, 20.10.       Friedrich Cerha              07.58       Di, 27.10.       Georg Nussbaumer             07.58
                 Chaya Czernowin              14.43                        Thomas Pernes                14.43
                 Iván Eröd                     16.53                       Mathias Rüegg                 16.53
                 Karlheinz Essl                21.58                       Jorge Sánchez-Chiong          21.58
Mi, 21.10.       Beat Furrer                  07.58       Mi, 28.10.       Elisabeth Schimana           07.58
                 Clemens Gadenstätter         14.43                        Thomas Daniel Schlee         14.43
                 Erin Gee                      16.53                       Johanna Doderer               16.53
                 Nali Gruber                   21.58                       Kurt Schwertsik               21.58
Do, 22.10.       Georg Friedrich Haas         07.58       Do, 29.10.       Andrea Sodomka               07.58
(RSO-TAG)        Dieter Kaufmann              14.43                        Burkhard Stangl              14.43
                 Katharina Klement             16.53                       Johannes Maria Staud          16.53
                 Franz Koglmann                21.58                       Erich Urbanner                21.58
Fr, 23.10.       Gerd Kühr                    07.58       Fr, 30.10.       Herbert Willi                07.58
                 Thomas Larcher               14.43                        Manon-Liu Winter             14.43
                 Bernhard Lang                 16.53                       Joanna Wozny                  16.53
                 Klaus Lang                    19.58                       Mia Zabelka                   21.58

             4 0 G e s c h e n k e z u 4 0 J a h r e RS O W i e n
Musikprotokoll - Produkte - ORF
musikprotokoll 2009

Überblick                                                1
Touch this Sound!                                        6
Fleischgewordene Netzwerkknoten                          7
Das musikprotokoll 2009 in Radio Österreich 1           10

Donnerstag, 8. Oktober 2009                             11

touch this sound #1
Pure/Erich Berger Heart Chamber Orchestra               12
GX Jupitter-Larsen and The Haters Ion-Gun               14
Lucky Dragons Make a baby                               17

Freitag, 9. Oktober 2009                                19

touch this sound #2
Justė Janulytė/Dovydas Klimavic̆ius                   20
Chordos String Quartet

Abime – Abgrund und Aufbruch
Mauricio Sotelo Klang-Muro-for-Klangforum               21
Johannes Maria Staud One Movement and Five Miniatures   23
Germán Toro-Pérez Inventario IV (Wespensterben)         25
Jorge E. López Gonzales the Earth Eater                 26
Klangforum Wien

Christopher Fox Terra incognita                         28
Rebecca Saunders murmurs                                30
Elena Mendoza Nebelsplitter                             32
José Manuel López López African Winds                   33
Qin Wenchen The Sun Shadow VIII                         34
ensemble recherche

4
Musikprotokoll - Produkte - ORF
Samstag, 10. Oktober 2009                                          35

touch this sound #2
Justė Janulytė/Dovydas Klimavic̆ius                              36
Chordos String Quartet

Amphigory – Unsinn und Ansinnen
Bernhard Gander Lovely Monster                                     38
Olga Neuwirth Remnants of Song ... an Amphigory                    39
Rebecca Saunders traces                                            40
Matthias Pintscher Hérodiade – Fragmente                           41
RSO Wien

Seven Last Words
Bernhard Lang Seven Last Words                                     42
Bernhard Lang Monadologie V – 7 Last Words of Hasan                43
Joseph Haydn Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze   45
Marino Formenti

Sonntag, 11. Oktober 2009                                          47

Christine Clara Oppel talking landscapes                           48

solo-recital-suite
Uli Fussenegger                                                    49
Kaffe Matthews                                                     50
Franz Hautzinger Gomberg III                                       52

touch this sound #3
Jacob Kirkegaard Labyrinthitis                                     53
ORF Kunstradio on-site | on-air | on-line

Impressum                                                          54
Tickets                                                            55
Kalendarium                                                        56
Locations                                                          58
Produkte                                                           59

                                                                    5
Musikprotokoll - Produkte - ORF
Susanna Niedermayr
Touch this Sound!
Ein Projekt des ECAS/ICAS-Festivalnetzwerkes der European und International Cities of Advanced Sound

Was ist hinter der Bühne, der Kunst, die wir hören und         independent audiovisual cultures eben. Im Herbst 2009
sehen? Wer produziert diese Kunst unter welchen Bedin­         stellt sich ECAS/ICAS mit geballter Energie der breiten
gungen und wer hilft dabei mit? Diese und artverwandte         Öffentlichkeit vor. Und das Projekt Touch this Sound! vom
Fragen standen im Zentrum des diesjährigen Berliner Festi-     Den Haager TodaysArt Festival, dem Club Transmediale und
vals Club Transmediale, dessen Motto heuer zum 10jährigen      dem Grazer musikprotokoll im steirischen herbst, ist dabei
Bestehen Structures. Backing up independent audiovisual        einer der ersten, unter der Schirmherrschaft von ECAS/ICAS
cultures lautete. Es wurde Resümee gezogen, um den Sta-        gemeinsam entwickelten Programmschwerpunkte.
tus quo diskutieren zu können, und es wurde gleichzeitig
auch auf die Wurzeln verwiesen, denn eben Infrastruktur zu     Susanna Niedermayr
bieten, war bei der Festivalentstehung 1999 das primäre
Ziel der Club Transmediale Gründer. Die Club­kultur, die im
Zuge der digitalen Revolution mit ihren diversen elektroni-
schen Musikspielformen entstanden war, hatte gerade
begonnen, sich immer mehr auszudifferen­zieren, und eine       http://icasnetwork.com/
stetig anwachsende Schar an die neuen Medien begeistert        http://icas.us
und kreativ nutzenden Künstlerinnen und Künstlern suchte       http://portal.todaysart.nl/
nach Plattformen, die es ihnen ermöglich­te ihre Arbeiten zu   http://www.clubtransmediale.de
produzieren und zu präsentieren.

Im Schatten eines erstarkenden Neoliberalismus bildete
sich mit der Einführung des Heimcomputers und des Inter-
nets so eine Kultur, die anstatt den Wettkampf zu forcieren,
auf Zusammenarbeit setzte. Stichworte: Open Source, neue
Lizenzmodelle, soziale Netzwerke. Und es entstand jene
Festivallandschaft, in der auch der Club Transmediale einge-
bettet ist. In dieser geht es nicht primär darum, diese neue
Kultur möglichst gewinnbringend zu verkaufen, vielmehr
versuchen deren ProtagonistInnen, dem hier stattfindenden
Paradigmenwechsel in ihrem Tun gerecht zu werden;
Arbeitsmethoden und -praktiken zu entwickeln, die dem
Wesen der digitalen Medien entsprechen.

Sich dabei als Teil einer internationalen Bewegung zu ver-
stehen, musste erst erlernt werden. Seit zwei Jahren wird
nun am Aufbau des Festivalnetzwerkes ECAS/ICAS der
European und International Cities of Advanced Sound gear-
beitet, zu dem sich mittlerweile bereits rund 25 Festivals
zusammengeschlossen haben. Structures. Backing up

6
Musikprotokoll - Produkte - ORF
Jan Rohlf
Fleischgewordene Netzwerkknoten
In der elektronischen Musik hat der Körper lange keine         In Reaktion auf diese Entwicklung suchen Künstler heute
Rolle gespielt, schlicht, weil er zur Klangerzeugung nicht     verstärkt nach neuen Wegen, ihre und andere Körper in die
mehr gebraucht wurde. Im Digitalzeitalter erobert er nun       elektronische Musik zurückzuholen. Dabei geht es – neben
die Bühne zurück: als Rohmaterial und Interface, Daten­        dem Interesse an Selbstbeobachtung und der jahrtausende­
quelle und Ausgabemedium zugleich. Jan Rohlf über die          alten Praxis der Bewusstseinsmanipulation, seit Huxley
aktuelle Entwicklung hybrider Mensch-Maschinen-Systeme.        Psychedelik genannt – um nicht weniger als die Rehabilita­
                                                               tion einer sinnlich affektiven Aufführungspraxis auch in der
Die enge Verbundenheit von Klang und menschlichem              elektronischen Kunst. Interessanterweise sind es dabei im
Körper erscheint zunächst wie eine banale Tatsache. Wie        Prinzip die gleichen Technologien, die Klang und Körper
alle physischen Dinge in dieser Welt erzeugt unser Körper      zunächst entkoppelten, die heute ihre erneute Annäherung
Schallereignisse, indem er in Schwingung versetzt wird         ermöglichen: Die universelle Transformierbarkeit elektro­
oder andere Objekte zum Schwingen bringt. Mit der Stimme       nischer Daten erlaubt es Künstlern, die unsichtbaren und
verfügen wir, wie alle höheren Lebewesen, darüber hinaus       prozesshaften Aggregatzustände des Leibes zu analysieren,
über ein äußerst differenziertes Klangorgan. Und schließlich   zu manipulieren und schließlich zu neuartigen Instrumenten
ist umgekehrt auch alles, was wir wahrnehmen, zunächst         in Form hybrider Mensch-Maschinen-Systeme zusammen­
durch das sensorische System unseres Körpers vermittelt.       zuschalten.
Geräusche und Klänge schienen daher lange Zeit unauflös-
lich an die Anwesenheit von Körpern und die Wechselwir-        Geläufige Formen solcher Systeme verwenden Interfaces,
kungen der Materie gebunden. Über Jahrtausende war die         die die Bewegungen eines Performers mittels Sensoren
geistig-imaginäre Tätigkeit des Musikers nicht zu trennen      lesen und zur Erzeugung und Modulation von Klängen und
von den konkreten Artikulationen seines Körpers oder           Bildern nutzen. Auch die Signale von Nerven- und Herz-
dessen Interaktion mit den akustischen Klangkörpern der        Kreislaufsystem werden als Brainwavemusic, Biomusic
Instrumente.                                                   oder Regenerative Music für Partitur- oder Klangsynthesen
                                                               herangezogen. Bereits 1965 nutzte Alvin Lucier in seinem
Erst mit der Entdeckung von Elektrizität, Tonaufzeichnung      Stück Music for Solo Performer Gehirnwellen, um Klänge zu
und Elektroakustik zwischen dem frühen 18. und der Mitte       generieren. Elektroden an seinem Kopf empfingen Signale,
des 20. Jahrhunderts gelingt die Entkoppelung von Klang        die er verstärkte und an Lautsprecher sandte, die wiederum
und Klangkörper. Der Klang löst sich von den Körpern           die Membranen von Perkussionsinstrumenten im Konzert­
der Objektwelt und residiert nun nicht mehr allein in dem      saal zum Klingen brachten. Gut 40 Jahre später sind die kol-
durch Sinnesorgane zugänglichen Teil der physischen            lektiven Performances des US-amerikanischen Künstler­duos
Welt, sondern auch in der nur durch technische Hilfsmittel     Lucky Dragons komplexer: Beim musikprotokoll im steirischen
wahrnehmbaren Sphäre elektromagnetischer Felder. In            herbst werden sie zur Klangerzeugung Span­nungsimpulse
den digitalen Informationsströmen des Computers wird der       durch das Publikum leiten und mittels „Körperkontakt-Ver-
Klang dann endgültig autonom: Als pure Information ist er      schaltung“ und Hautwiderstände modulieren.
jeglicher Analyse, Synthese und Transformation zugänglich.
Klänge können frei programmiert oder aus musikfremden          Ähnliche Prinzipien von Biofeedback und Vernetzung nutzt
Daten generiert und auf technischen Systemen abgespielt        auch das Künstlerduo Terminalbeach (Peter Votava und
werden – ohne dass ein Musiker als ausführender Interpret      Erich Berger) bei seinem Projekt Heart Chamber Orchestra,
oder ein Klangkörper im herkömmlichen Sinn benötigt wird.      ebenfalls in diesem Jahr beim musikprotokoll im steirischen

                                                                                                                         7
Musikprotokoll - Produkte - ORF
herbst. Den Musikern applizierte elektrokardiografische       Der prozessuale Charakter dieser Arbeiten und ihrer Auf-
Sensoren (EKG) erzeugen mittels Algorithmen Partituren,       führungspraxis ist offenkundig inspiriert von der Perfor-
die von den Musikern wiederum ohne Zeitverzögerung            mance-Art, Happening, Fluxus, Expanded Cinema und den
gespielt werden. Dieses Biofeedback ermöglicht die Beein-     Closed-Circuit-Installationen der Videokunst. Ihre Wurzeln
flussung unbewusster physiologischer Prozesse. Die Musi-      greifen jedoch über die Kunstgeschichte des 20. Jahrhun-
ker bespielen die technische Apparatur und die Apparatur      derts hinaus in die Geschichte wissenschaftlich-technischer
bespielt die Musiker; gemeinsam bilden sie ein Instrument.    Innovationen und ihrer vor allem im 18. und 19. Jahrhundert
                                                              populären theatralen Demonstrationen. Als Rohmaterial
Daneben stehen künstlerische Strategien, die auf direkte      dient in erster Linie der biologische, nicht der symbolische
physiologische Wirkungen von Schall und anderen Fre-          Körper.
quenzen abzielen. Künstler wie die zwischen Frankreich
und Berlin pendelnden Lynn Pook & Julien Clauss oder der      Da der Körper jedoch nie von seinen Metaphern und den
US-Amerikaner Mark Bain versuchen mit der Verwendung          dadurch aufgerufenen Emotionen, Utopien und Dystopien
von taktilen Impulsgebern und tiefen Frequenzen nahe bzw.     getrennt werden kann, provozieren die Arbeiten vielfältige
unterhalb der menschlichen Hörgrenze, Musik körperlich        Assoziationen und Ambivalenzen. Ein Anliegen ist es dabei,
spürbar zu machen. Infrasound kann Boden, Wände und           die Trennung von „Leib“ als dem Ort unmittelbarer phäno-
Körper der Konzertbesucher zum Vibrieren bringen; starke      menologischer Erfahrung und „Körper“ als dem objektivier-
physiologische Empfindungen von Übelkeit und Atemnot bis      ten Gegenstand zivilisatorischer Konditionierung zu prob-
zu relaxierenden Wirkungen sind möglich. Nicht von unge-      lematisieren. Der Instrumentalisierung und Medialisierung
fähr kommt es daher im Drone-Doom – einer Spielart des        des Körpers wird die Realität des Leibes gegenübergestellt.
extremen Heavy Metals – zur Fetischisierung der mysteriö-     Dabei kann sich der Leib gerade in seiner Durchdringung
sen „Brown Note“, die angeblich den Verdauungs­apparat zu     gegen die Technik behaupten, wenn deren Wirkung als das
spontaner Entleerung anregt.                                  Ausgesetztsein gegenüber leibfremden Stimuli und folglich
                                                              als Differenz erfahren wird.
Andere Beispiele nutzen das Prinzip der Frequenzfolge des
Gehirns (Brain Entrainment) zur audiovisuellen Stimulation    Andersherum können diese Stimuli durch ihre physiologi-
mit dem Ziel der Bewusstseinsänderung. Solche Apparatu-       sche Reizantworten aktivierende Wirkung bzw. durch die so
ren – wie etwa die in den Sechzigern entworfene Dreama-       etablierte Kopplung von Leib und Technik auch internalisiert
chine Brion Gysins oder das 2005 entstandene Projekt Feed     werden. Eine scharfe Trennung zwischen Leib, Körper und
des Österreichers Kurt Hentschlager – instrumentalisieren     Maschine scheint dann nicht mehr möglich. Die überwälti-
den menschlichen Wahrnehmungsapparat als konstituti-          gende Dynamik der Erfahrungen, der die Wahrnehmenden
ves Element ihrer Kompositionen. Diese Kompositionen          ausgesetzt sind, wird als Einbruch des Formlosen und
vollenden sich erst durch das synästhetische Wechselspiel     Unbekannten sowohl in die rigide Kontroll-Architektur der
der Einzelsinne, die „Fühlung“ aufnehmen und so aktiv         technischen Apparatur als auch in die Integrität des Sub-
Erfahrungswirklich­keiten hervorbringen. Auch Jacob Kirkeg-   jektes erlebt. Dieser Einbruch wird immer erst durch die
aards Projekt Labyrinthitis, das beim herbst im MUMUTH-       Korrelation von Technik und Physiologie ermöglicht. Dabei
Foyer aufgeführt und live vom ORF Kunstradio übertragen       übertragen sich Attribute des Organischen auf die Technik,
wird, basiert auf dieser Einbeziehung der „taktilen“ Wahr-    während im Gegenzug der Körper vielfach technologisch
nehmung des Publikums: Zwei in bestimmtem Verhältnis          eingeholt wird. Er ist Sender und Empfänger, Interface,
zueinander stehende Frequenzen regen Eigenvibrationen im      Netzwerkknoten, Datenquelle, Resonanzraum und Ausga-
Innenohr der Zuhörer an. So entsteht eine dritte Frequenz,    bemedium zugleich. In letzter Konsequenz wird dadurch
der sogenannte Tartini-Ton, der lediglich vom entsprechen-    unscharf, wann der Körper Objekt und wann Subjekt ist. So
den Subjekt selbst wahrgenommen werden kann.                  entwerfen die Kunstwerke Vorstellungen einer kybernetisch

8
vernetzten, hybriden Körperlichkeit als eine dynamische
Pluralität aus kommunizierenden Informationsströmen,
technologischen Zonen und organischen Verdichtungen.          MAGAZIN FÜR ELEKTRONISCHE LEBENSASPEKTE
                                                              MUSIK, MEDIEN, KULTUR, SELBSTBEHERRSCHUNG
Jan Rohlf

Jan Rohlf ist Künstler, freier Kurator und Organsisator des
CTM – Festival for Adventurous Music and Related Visual
Arts/club transmediale sowie Mitbegründer des Berliner
Projektraums General Public.

Gemeinsam mit Susanna Niedermayr und Olof van Winden
(TodaysArt, Den Haag/NL) kuratiert er den diesjährigen
musikprotokoll-Schwerpunkt Touch this sound! beim
steirischen herbst. Touch this sound! ist ein Projekt des
Festivalnetzwerks ECAS/ICAS (European and International
Cities of Advanced Sound).

Nachdruck: steirischer herbst 2009 Magazin

                                                              JETZT AM KIOSK RUNTERLADEN
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                                                                            WWW.DE-BUG.DE
Das musikprotokoll 2009 in Radio Österreich 1

Mi., 7.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton                           präsentiert das musikprotokoll Musik zum – beinahe –
Zeit-Ton Magazin. Rückblick, Vorschau und aktuelle CDs.        anfassen. Mit Ausschnitten aus u.a. dem Heart Chamber
Mit einer Vorschau auf das musikprotokoll im steirischen       Orchestra von Terminal­beach, der Performance Make a Baby
herbst. Gestaltung: Susanna Niedermayr                         von den Lucky Dragons und der Konzertinstallation Breathing
                                                               Music von Juste Janulyte, gemeinsam mit Dovydas
Fr., 9.10. | 19.30 Uhr | Ö1 Aus dem Konzertsaal (live)         Klimavic̆ius. Gestaltung: Susanna Niedermayr
Der Inbegriff eines klassischen musikprotokoll-Abends des
Aufbruchs in die Moderne, interpretiert von den Meistern des   Fr., 16.10. | 19.30 Uhr | Ö1 Aus dem Konzertsaal
Fachs dem Klang­forum Wien. Gestaltung: Ursula Strubinsky      Erstmals in seiner Geschichte hat das RSO Wien einen „Ersten
                                                               Gastdiri­genten“ engagiert – und selbstverständlich ist es einer
So., 11.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Kunstradio (live)                 der wichtigsten Experten für das Repertoire der Gegenwart:
on-line : on-air : on-site                                     Peter Eötvös. Der Jungstar der Bratsche Antoine Tamestit spielt
Für sein Projekt Labyrinthitis hat Jacob Kirkegaard im         Olga Neuwirths neues Werk und die junge amerikanische
Wortsinn seine Ohren nach innen gerichtet und eine             Sopranistin Marisol Montalvo verwandelt sich in Matthias
interaktive Sound-Installation aus Klängen geschaffen.         Pintschers Komposition in „Herodiade“, die im Dialog mit
Gestaltung: Susanna Niedermayr                                 ihrem Spiegelbild in die Abgründe ihres Begehrens blickt.
                                                               Gestaltung: Christian Scheib
Mo., 12.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
musikprotokoll 09. ensemble recherche                          Fr., 16.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
Werke von Musikschaffenden aus Spanien und England             musikprotokoll 09. Solisten-Recitals.
präsentiert das ensemble recherche bei seinem Konzert          Im Rahmen der Solisten-Recitals schöpfte Uli Fussenegger,
am 9. Oktober in der Grazer Helmut-List-Halle: so u. a.        Kontrabass-Solist des Klangforum Wien fragil und eindrucks­
eine neue Komposition der Britin Rebecca Saunders.             voll die technischen Möglichkeiten und Klangnuancen seines
Gestaltung: Lothar Knessl                                      Instruments aus. Und der Trompeter und Gesamtkünstler Franz
                                                               Hautzinger brach mit seinem Alter Ego-Projekt Gomberg in
Di., 13.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton                          dessen nächste, dritte Phase auf.
musikprotokoll 09. Seven last words                            Gestaltung: Elke Tschaikner
Wie ein fotografisches Negativ zu Joseph Haydns Die sieben
letzten Worte des Erlösers am Kreuz verhalten sich Bernhard    Fr., 30.10. | 19.30 Uhr | Ö1 Aus dem Konzertsaal
Langs Seven Last Words. Diese Musik bezieht sich nämlich       Mitschnitt der Klavierfassung von Josef Haydns Die sieben
direkt auf Haydn: Aus dem Sich-Versenken wird ein Sich-        letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, gespielt von
Erheben, aus der Frömmigkeit wird Aufbegehren, aber es         Marino Formenti. Gestalter: Christian Scheib
bleibt das gleiche Bild von musikalischer Inten­sität, von
letztlich metaphysischer Herausforderung.                      Do., 5.11. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton
Gestaltung: Ursula Strubinsky                                  In ihrem Solisten Recital beim heurigen musikprotokoll kleidet
                                                               Kaffe Matthews das Mumuth mit einem feinen Klanggespinst
Do., 15.10. | 23.05 Uhr | Ö1 Zeit-Ton                          aus, bestehend aus zum Teil direkt vor Ort in Echtzeit
musikprotokoll 09. Touch this Sound!                           eingefangenen Klängen.
Im Rahmen des Programmschwerpunktes „Touch this Sound!“,       Gestaltung: Susanna Niedermayr

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touch this sound #1

 touch this sound #1
 Pure/Erich Berger
 GX Jupitter-Larsen and The Haters
 Lucky Dragons
Donnerstag, 8.10. | 19.30 Uhr | Dom im Berg

Terminalbeach
Heart Chamber Orchestra
Heart Chamber Orchestra                                         MusikerInnen, Sensoren und Computer
Heart Chamber Orchestra ist eine audiovisuelle                  Die Herzfunktionen der Musiker und Musikerinnen werden
Performance, die von einem zwölfköpfigen klassischen            von am Körper getragenen EKG-Sensoren erfasst und von
Orchester und dem Künstlerduo Terminalbeach präsentiert         einem Computer in Echtzeit analysiert und ausgewertet.
wird. Die Musiker und Musikerinnen des Orchesters steuern       Aus den so gewonnenen Daten wird mittels verschiedener
dabei mit ihren Herzschlägen ein Kompositions- und Visuali­     Algorithmen eine Partitur komponiert. Diese ist
sierungssystem und generieren so in Echtzeit die Partitur       gewissermaßen ein lebendiges Geschöpf, abhängig vom
für die akustischen und elektronischen Instrumente.             Zustand der Herzen der ausführenden Orchestermitglieder,
Demzufolge wird auch nicht vom Blatt gelesen und gespielt,      beeinflussen und verändern doch deren Herzschläge die
sondern von Computerbildschirmen. Die Konstellation des         Komposition und vice versa. Mit anderen Worten: Orchester
Heart Chamber Orchestra bildet somit eine Struktur, bei der     und elektronische Komposition sind in einer klassischen
die Musik im wahrsten Sinn des Wortes „von Herzen               Feedback-Schleife miteinander verbunden.
kommt“.
                                                                Die Musik, die zur Gänze während der Performance
Heart Chamber Orchestra Background                              entsteht, ist Ausdruck dieses Prozesses und spiegelt einen
In der westlichen Kultur gilt das Herz als das Zentrum des      Organismus wieder, der sich aus dem (zirkulären)
Gefühls, was in der Sprache mit Redewendungen wie „sein         Wechselspiel von Orchestermitgliedern und Maschine
Herz an jemanden verlieren“ oder „das Herz zerreißen“ zum       herausbildet.
Ausdruck kommt. Im Herzschlag spiegelt sich auch der
körperliche Zustand des Menschen. Heftiges Pochen               Transformation, Sonifikation und Visualisierung
verweist auf körperliche Anspannung, beginnt das Herz wie       Heart Chamber Orchestra orientiert sich zwar an der
wild zu klopfen, kann dies ein Zeichen für Angst, Stress oder   Terminologie der traditionellen Musik, vollzieht aber eine
Erregung sein. Ein langsamer Puls wiederum ist bei tiefer       inhaltliche und strukturelle Transformation: Das Konzept
Entspannung oder während des Schlafes zu beobachten.            des traditionellen Kammerorchesters als kleines Solisten­
Durch Meditation oder Biofeedback-Training können diese         orchester ohne Dirigenten wird von Terminalbeach über
körperlichen Zustände manipuliert werden. Und schließlich       diesen Kern hinaus um die Rolle des Komponisten erweitert.
ist das Herz ein lebenswichtiges Organ, der Grundstock          Das gleichzeitige Komponieren und Interpretieren macht
menschlichen Lebens – und für manche gar der Sitz der           den zuvor bloß interpretierenden Musiker zum Hermeneuten,
metaphysischen Seele.                                           zum Handelnden.

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Da es keine niedergeschriebene Partitur gibt, sondern sich
diese im Spiel aus den Herzschlägen generiert, kann es
auch keine Probe im ursprünglichen Sinn des Wortes geben.
Für das Heart Chamber Orchestra bedeutet „Probe“ daher,
die „ungewohnte Herausforderung einer im Moment
geschriebenen Komposition zu meistern“.

Neben dem musikalischen Output – also der Transformation
der Pulse der Musiker und Musikerinnen in Partitur-Fragmente,
die von Terminalbeach auf ihren mitten im Zuschauerraum
platzierten Computern genau im Moment ihrer Schöpfung
behutsam zur Komposition arrangiert werden – bildet auch                              Pure                     Erich Berger
die visuelle Darstellung dieses Geschehens einen integrie­
ren­den Bestandteil der Performance. Die aus den Heart
Chamber Orchestra-Daten generierten und auf zwei Bild­          Terminalbeach
wände projizierten Computergrafiken schaffen eine andere        Pure aka Peter Votava (A/D), Konzept, Realisation
sinnliche und narrative Ebene. Akustische und visuelle          Erich Berger (A/FIN), Konzept, Realisation
Interaktion lassen Heart Chamber Orchestra zu einem
synästhetischen Erlebnis für das Publikum werden: Die
Herzschläge der Orchestermitglieder und ihre Beziehung          Heart Chamber Orchestra
zueinander werden sowohl hör- als auch sichtbar.                mit Studierenden der Kunstuniversität Graz
                                                                Yukino Asano, Violine
Die Kunst der Implikation                                       Iryna Pihovych, Viola
Heart Chamber Orchestra ist keine Komposition im herköm­        Tibor Szabo, Violoncello
mli­chen Sinne, sondern von Musik, Kunst und Wissenschaft       Katja Finsel, Violoncello
inspiriert – ein interdisziplinärer Ansatz, der zugleich die    Vitaliy Lutsyk, Kontrabass
Grenzen der zeitgenössischen Praxis innerhalb dieser            Alexander Muhr, Klarinette
Diszipli­nen hinterfragt. Der schöpferische Akt schafft hier    Reinhard A. Deutsch, Fagott/Kontrafagott
nicht einen Gegenstand, sondern definiert einen Raum der        Georg Laller, Tuba
Möglichkeiten, eine Struktur, in der sich Prozesse frei         Markus Wonisch, Posaune
entfalten können. Da es keine klare Unterscheidung zwischen     Adam Gal, Horn
dem Autor und dem Interpreten gibt, entsteht ein Lese-/         Istvan Barath, Trompete
Schreib-Kontinuum, das nicht von einem Autor allein besetzt     Igor Ivanov, Bassklarinette
werden kann.
                                                                Heart Chamber Orchestra wurde mit der Trondheim
                            Übersetzung: Friederike Kulcsar     Sinfonietta im Oktober 2006 in Trondheim (Norwegen) im
                                                                Rahmen des Festivals für Kunst und neue Technologie
www.heartchamberorchestra.org                                   Trondheim Matchmaking uraufgeführt.

                                                                                                                              13
Donnerstag, 8.10. | 21.00 Uhr | Dom im Berg

GX Jupitter-Larsen and The Haters
Ion-Gun
Susanna Niedermayr im Gespräch mit GX Jupitter-Larsen           GX Jupitter-Larsen: Diese Platte hatte, so wie jede andere
                                                                Platte auch, Rillen, nur verbarg sich in diesen dann nicht wie
Susanna Niedermayr: Sie bezeichnen sich gerne als „Jack of      erwartet Musik. Es gab auf dieser Platte erst einmal gar
all Trades” und „Master of None“, als ein Hansdampf in          nichts zu hören. Stattdessen legte ich jedem Exemplar eine
allen Gassen, warum?                                            Bedienungsanleitung bei. Darauf stand, dass die Platte vom
                                                                jeweiligen Besitzer erst fertig gestellt werden müsse. Dieser
GX Jupitter-Larsen: Weil mich alle Medien gleichermaßen         sollte einige Kratzer in die Platte machen, welche er sich
interessieren, das Buch, der Film, das Video, die Installa-     dann auch sogleich mit Hilfe seines Plattenspielers anhören
tion, das Objekt, Kunstlandschaften, das Radio, der Compu-      konnte. Obwohl es sich hierbei um ein komponiertes Werk
ter, das Internet, jedes Medium hat seine ganz speziellen       handelt, ist es keine Komposition. Die Grenze zwischen
Qualitäten. Und am interessantesten finde ich, eine Idee von    Künstler und Publikum löst sich auf, es ist nicht mehr klar,
einem Medium in ein anderes zu übersetzen. Das Radio, das       wer nun wer ist. Ist der Zuhörer bzw. die Zuhörerin nun Mit-
Buch, der Film, die verschiedenen Medien funktionieren          glied der Band? Letztendlich sind aber all diese Fragen irre-
dann wie ein Filter, der auf die durch ihn gehende Informa-     levant, denn man weiß sofort, nachdem man die Bedie-
tion Einfluss ausübt, und genau dieser Aspekt, eben wie         nungsanleitung gelesen hat, was zu tun ist mit diesem
sich Information durch den Prozess des Filterns verändert,      Objekt. Man weiß all die Dynamiken, die hier stattfinden,
interessiert mich.                                              vielleicht nicht in die richtigen Worte zu fassen, aber man
                                                                versteht unmittelbar. Die ZuhörerInnen tragen zum Schaf-
Susanna Niedermayr: Als einen wichtigen frühen Einfluss         fensprozess der Platte bei und dabei wird die Platte zur
nennen Sie die Punk-Bewegung, was speziell hat Sie hier         Performance.
inspiriert?
                                                                Susanna Niedermayr: Später haben Sie dann ja ganz auf
GX Jupitter-Larsen: An Punk haben mich viele Aspekte inter-     Vinyl verzichtet…
essiert, etwa der DIY-Ansatz, die Idee, dass man seine eige-
nen Platten herausbringen und seine eigenen Konzerte ver-       GX Jupitter-Larsen: Für diese dritte Platte brauchte man
anstalten sollte. Ganz besonders interessiert hat mich aber     immer noch Elektrizität und einen Plattenspieler, und ich
die Dynamik, die sich bei einem Punk-Konzert zwischen der       dachte mir im Anschluss an dieses Projekt, ich sollte nun
Band auf der Bühne und dem Publikum entwickelte. Das            eine Platte machen, die gar nichts mehr mit Musik zu tun
Publikum war Teil der Show. Mitunter fand im Publikum           hatte. Im Wesentlichen war die Platte ja ein Requisit, das
sogar mehr Show statt, als auf der Bühne, zumindest in den      zum Ausführen der Performance diente. Ich veröffentlichte
frühen Tagen von Punk. Diese Dynamik wollte ich in meiner       dann also eine Platte, die gar keine Rillen mehr hatte und in
Arbeit auch herstellen. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich   einem Sack voller Erde steckte. In der Bedienungsanleitung
das auch auf einer reflexiven Ebene verstanden habe, aber       stand, dass man mit der Erde an der Platte reiben sollte. Da
während meiner Punkzeit habe ich jedenfalls begonnen her-       viele dachten, dass sie die mit der Erde eingeriebene Platte
auszufinden, was ich eigentlich tun wollte.                     schließlich wiederum mit dem Plattenspieler abspielen soll-
                                                                ten, um den dabei entstehenden Klang hören zu können,
Susanna Niedermayr: Als eines Ihrer erfolgreichsten Projekte    entschloss ich mich, noch einen Schritt weiter zu gehen.
nennen Sie in diesem Zusammenhang auch heute noch ihre          Ich nahm einen Haufen silbern glänzender Plastikstücke
1983 erschienene dritte Platte. Was war hier die Idee?          und besorgte für jedes Plastikstück eine Schachtel in einer

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ähnlichen Farbe, polsterte diese aus und legte das Plastik-
stück hinein. Daraufhin fertigte ich wieder eine Bedienungs-
anleitung an, auf der diesmal stand, dass der jeweilige
Besitzer bzw. die jeweilige Besitzerin, das Plastikstück neh-
men und mit Wasser übergießen sollte. Da kam dann aber
wirklich niemand mehr auf die Idee, das nasse Plastik auf
den Plattenspieler zu legen.

Susanna Niedermayr: Das zentrale Thema ihrer Arbeit ist
die Entropie. Was fasziniert Sie an der Entropie?

GX Jupitter-Larsen: Die Entropie bestimmt den Lauf der
Dinge. Die Entropie ist jene Kraft, die während sie Leben
schenkt, dieses auch gleichzeitig wieder nimmt. Darin
steckt eine gewisse Ironie, die ich in jungen Jahren sehr lus-
tig fand und die mich in meiner künstlerischen Arbeit,
sowohl auf als auch jenseits der Bühne sehr inspirierte. Als
ich dann als Künstler schon ein bisschen reifer war, fand ich
heraus, dass es viele verschiedene Definitionen von Entro-
pie gibt. In einer heißt es, dass Entropie ein Werkzeug ist,
mit dem man das Ausmaß von Verfall messen kann. Diese
Idee finde ich sehr interessant, und ich habe mir auch
bereits eine Vielzahl von Messwerkzeugen geschaffen. Man
kann beobachten, wie ein Blatt am Wegesrand langsam ver-
rottet, letztendlich holt sich die Natur so jene Nährstoffe
zurück, die es braucht, um das Ökosystem in Gang zu hal-
ten. Bäume fallen um und verschwinden, zersetzen sich und
verfaulen. Das ist der Kreislauf der Natur. Die Entropie
steckt hinter allem und nur wer auf der durch das Leben
wogenden Entropie zu surfen lernt, wer es schafft die
Balance zu halten und nicht herunterzufallen, der kann sich
weiter entwickeln.

Susanna Niedermayr: Sie haben sich auch eine Vielzahl an
Regelsystemen und ein neues Begriffsuniversum geschaf-
fen. Was etwa ist unter einer Polywave zu verstehen?

GX Jupitter-Larsen: Wir haben das Gefühl, dass wir in die-
sem Radiostudio in dem wir soeben das Interview führen
still sitzen, aber das Studio befindet sich auf einem Plane-
ten, der um einen Stern rotiert, und auch dieser bewegt
sich. Streng physikalisch genommen, sitzen wir also nie
still, wir befinden uns immer in Bewegung, und je nach

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Blickwinkel nähern wir uns an, oder entfernen wir uns. Das       Es ist nicht entweder oder, sondern es ist beides. In gewis-
Rad, das die Straße hinunter rollt bewegt sich von mir weg,      ser Hinsicht muss man immer die Initiative ergreifen. Man
im selben Moment kommt es aber auch auf jemanden ande-           muss Verantwortung für sich übernehmen und für die
ren zu. Welcher Blickwinkel ist also relevant, welcher           Dinge, die man tut. Und man muss sich immer bewusst sein,
stimmt? Ich würde sagen, beide Blickwinkel stimmen, aller-       dass man, wenn man metaphorisch gesprochen stolpert, in
dings nur dann, wenn sie den jeweils anderen Blickwinkel         große Schwierigkeiten geraten kann. Die jahrelange Ausein-
ebenfalls in Betracht ziehen.                                    andersetzung mit der Entropie hat mich gelehrt, das Leben
                                                                 noch mehr zu schätzen und die Schwierigkeit des Lebens zu
Susanna Niedermayr: Wenn Sie Musik machen, dann                  verstehen.
machen Sie Noise-Musik, wie hängen Noise-Musik und
Entropie zusammen?                                               Susanna Niedermayr: Ihre Arbeit ist sehr ernsthaft und
                                                                 absurd komisch zu gleich…
GX Jupitter-Larsen: In jeder Form von Mahlung oder Schlei-
fung, immer dann, wenn es um Reibung geht, entsteht              GX Jupitter-Larsen: Es ist mir sehr ernst mit dem, was ich
zuerst einmal Klang. Mit der Entropie und dem Noise verhält      tue, aber gleichzeitig soll meine Arbeit auch humorvoll sein.
es sich so wie mit dem Himmel und der Luft, die beiden           Hier geht es wieder darum die Balance zu finden. Um noch-
gehören einfach zusammen. Tatsächlich glaube ich, dass           mals auf Punk zurückzukommen: Die KünstlerInnen der
Entropie und Noise ein und dasselbe sind. Um Noise wirk-         Dada- und frühen Punkbewegung strotzten vor Lebens-
lich erforschen zu können, muss man die Entropie erfor-          freude, obwohl sie sich gleichzeitig vor der Welt ekelten.
schen und vice versa.                                            Gerade weil man so vor Lebensfreude strotzte, ekelte man
                                                                 sich vor der Welt. Wir leben in einer Welt voller Paranoia,
Susanna Niedermayr: Was haben Sie aus der nun bereits            Fremdenfeindlichkeit und religiöser Konflikte und da brau-
jahrelangen Auseinandersetzung mit der Entropie für sich         chen wir Humor genauso, wie Ernsthaftigkeit, wie ein ernst-
persönlich mitgenommen?                                          haftes Bewusstsein für die Zwickmühle in der wir uns alle
                                                                 befinden.
GX Jupitter-Larsen: Ich habe keine Karriere, ich habe auch
kein Geld, aber ich habe geistigen Frieden. Selbst in Zeiten     (Auszüge aus einem Interview, das Susanna Niedermayr
großer Konflikte schaffe ich es immer, mich selber zu finden.    2006 ein Zeit-Ton über GX Jupitter-Larsen geführt hat.)
Ich weiß wo ich stehe und ich weiß auch, wo ich in der Welt
stehe. Und ich lebe in Frieden mit der Welt. Ich weiß jetzt      GX Jupitter-Larsen (US), Konzept
nicht, wie das für Außenstehende klingt, aber in einer Welt,     Greg Leyh (US), Ion-Gun Konstruktion
in der die Entropie immer präsent ist, muss man eben auch        Reni & Jogi Hofmüller (A), Haters
immer Balance finden. Man muss sich immer bewusst sein,
dass das Glas halb voll ist, aber gleichzeitig auch halb leer.   www.jupitter-larsen.com

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Donnerstag, 8.10. | 22.00 Uhr | Dom im Berg

Lucky Dragons
Make a baby
Das „Gemeinschaftsexperiment“ Lucky Dragons startete           Marriage Records erschienen sind. (Der Track Heartbreaker
vor acht Jahren in San Francisco als „Band“ von Luke Fisch-    aus dem Jahr 2004 schaffte es sogar auf eine Compilation
beck (1978) und Sarah Anderson aka Sarah Rara, die sich an     von Warp Records.)
der Brown University kennengelernt hatten, wo er Musik
und sie Vergleichende Literaturwissenschaft studierte. Der     Die Konzert-als-Workshop-Happenings der Lucky Dragons
ästhetische Ansatz des Duos gründet darauf, das Konzept        haben sowohl in der Kunst- als auch in der Musikszene
„Band“ neu zu definieren, indem auch Kontexte wie Kunst        großes Interesse erweckt. Mit einem einfachen Set-up, das
im öffentlichen Raum, das Galeriesystem, Museumspro-           Laptop, selbstgebasteltes Equipment und Folk-Instrumenta-
gramme, Blogs und unabhängige Verlage integriert und die       rium umfasst, animieren sie – oft mit anderen Mitwirkenden
üblichen Machtstrukturen musikalischer Präsentation und        – das Publikum dazu, sich auf unkonventionelle Formen der
Kreation durch Workshop-Performances unterlaufen wer-          Partizipation einzulassen. So beschwört Complement Song
den. Darüber hinaus werden alle Produktionen unter einer       (2006) die Menschen im Publikum, einander zu ergänzen,
Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht.                        während Make a Baby zu Körperkontakt ermuntert. Lucky
                                                               Dragons sind auch an dem von Dublab/Creative Commons
Einiges Aufsehen erregte der Vertriebsweg, den die Lucky       initiierten und unter CC lizenzierten Kunst- und Musikpro-
Dragons für ihr Album Hawks and Sparrows (2003) wählten:       jekt Into Infinity beteiligt, das die unendlichen Möglichkei-
Es wurde nämlich über „reverse shoplifting“, eine Art von      ten kreativer Wiederverwertung thematisiert.
umgekehrtem Ladendiebstahl, weltweit in Plattengeschäfte
eingeschmuggelt. Das Album selbst enthält ausschließlich       Lucky Dragon (Daigo Fukuryū Maru) war der Name eines japa-
Field Recordings von Antikriegsdemonstrationen, die 2003       nischen Fischerbootes, dessen Besatzung 1954 unfreiwillig in
in den USA stattfanden. Die Verpackung war ebenfalls ziem-     das Umfeld der Kernwaffentests auf dem Bikini-Atoll geriet und
lich ungewöhnlich: In die CD-Hüllen waren zeitig blühende      dem radioaktiven Niederschlag ausgesetzt war.
Frühlingsblumen eingepresst. Das Album steht auf der
Hawks and Sparrows-Website in einer digitalen Version als                                  Übersetzung: Friederike Kulcsar
freier Download zur Verfügung – nicht anders als die bislang
19 Alben, die das Duo jeweils unter einer Creative-Com-
mons-Lizenz herausgebracht hat und die zum Teil auf klei-      www.hawksandsparrows.org
neren Labels wie 555 Recordings, Ultra Eczema oder             www.myspace.com/luckydragons

                                                                                                                          17
Festival für aktuelle Musik Berlin
19. – 28. 3. 2010

MaerzMusik
UTOPIE [VERLOREN]

NEUE WERKE VON KLAUS HUBER • SALVATORE SCIARRINO • THOMAS KESSLER
OLGA NEUWIRTH • BEAT FURRER • MELA MEIERHANS • ISABEL MUNDRY
JOHANNES SCHÖLLHORN • LUCIA RONCHETTI • JAMES CLARKE • HEAVEN AND …

ORCHESTERKONZERTE • KAMMERMUSIK
MUSIKTHEATER • PERFORMANCE • INTERMEDIA
SONIC ARTS LOUNGE

Das Programm erscheint im Januar 2010 | www.maerzmusik.de
touch this sound #2

Abime – Abgrund
und Aufbruch
 touch this sound #2
 Justė Janulytė/Dovydas Klimavic̆ius
 Chordos String Quartet

 Abime – Abgrund und Aufbruch
 Mauricio Sotelo/Johannes Maria Staud/
 Germán Toro-Pérez/Jorge E. López
 Klangforum Wien
 Christopher Fox/Rebecca Saunders/
 Elena Mendoza/José Manuel López López/Qin Wenchen
 ensemble recherche
Freitag, 9.10. | 18.30 Uhr | Helmut-List-Halle Foyer

Justė Janulytė/Dovydas Klimavic̆ius
Breathing Music Konzertinstallation
Dieses dem Chordos String Quartet zu    Materialisation der pulsierenden        arbeitet, ist das Publikum aufgefordert,
seinem zehnten Gründungsjubiläum        Musik, sondern haben auch die Funk-     langsam und ruhig durch den Raum zu
gewidmete Projekt möchte die Meta-      tion von riesigen Dämpfern, die auf     wandern und die (visuelle und akusti-
phorik des Atmens musikalisch auslo-    den Klang der Streichinstrumente ein-   sche) Perspektive selbst auszuwählen.
ten. Die MusikerInnen spielen in        wirken und das Timbre verändern. Das
durchscheinenden kinetischen Skulp-     leise Atmen der Luftskulpturen, das     * Dovydas Klimavic̆ius verwendete eine
turen – pneumatisch betriebene Plas-    kontemplative Wogen von Licht und       derartige Luftskulptur erstmals in sei-
tikblasen, die allmählich in sich       Klang und die periodischen Bewegun-     nem Projekt My Dream Bubble (2005),
zusammenschrumpfen, sich wieder         gen der MusikerInnen laufen entwe-      das auf einer utopischen Phantasie des
mit Luft füllen, erneut an Volumen      der synchron zueinander, um zu einer    Künstlers basiert: sich in eine Skulptur
verlieren und so ständig ihre Form      faszinierenden Einheit zu verschmel-    zu hüllen und auf dem Wasser zu gehen.
verändern.* Dieses langsame „Einat-     zen, oder sind durch ihre asynchrone
men“ und „Ausatmen“ folgt einem         Rhythmik kontrapunktisch miteinan-            Übersetzung: Friederike Kulcsar
eigenen Rhythmus und beeinflusst        der verflochten.
auf diese Weise die Dynamik der
(musikalischen) Gesten des Quartetts.   Anmerkung für das Publikum:             Justė Janulytė (LT), Komposition
Die atmenden Skulpturen dienen nicht    Da diese Installation mit zahlreichen   Dovydas Klimavic̆ius (LT), Luftskulptur
nur der Visualisierung und              Schallquellen und Klangkörpern          Chordos String Quartet (LT)

                                                                                                    Dovydas Klimavic̆ius

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Freitag, 9.10. | 19.30 Uhr | Helmut-List-Halle

Mauricio Sotelo
Klang-Muro-for-Klangforum UA
Meine ersten Schritte als Komponist          kommen würde. Der melodischen Linie           Mauricio Sotelo (E), Komposition
waren eng mit den Anfängen des               der Soloinstrumente – „voz de dolor, i
Klangforum Wien verbunden und                canto de gemido“ (F. de Herrera, Canto I) –   Klangforum Wien (A)
lassen sich natürlich auch nicht von         entspricht jene des Horizonts, der Kante      Rolf Gupta (N), Dirigent
meiner Freundschaft mit dem Kompo-           oder Schnittlinie vibrierender Farbfelder,    Vera Fischer (CH), Flöte solo
nisten Beat Furrer trennen. Diese            die eine Wand aus Klang (Muro Sonoro)         Uli Fussenegger (A), Kontrabass solo
Freundschaft brachte es mit sich, dass       bilden. Die Klangflächen wiederum sind
ich mich damals in Wien sehr rege an         so beschaffen, dass sie an die „Wände         Thomas Frey, Flöten
den Aktivitäten des Klangforums betei-       aus Licht“ in der Bildserie Wall of Light     Olivier Vivarès, Klarinetten
ligte und die ersten Gastspiele des          des großen irischen Malers Sean Scully        Horia Dumitrache, Klarinetten
Ensembles in Spanien unter meiner Mit-       erinnern. Klang-Muro-for-Klangforum ist       Gerald Preinfalk, Saxophone
hilfe zustande kamen. Die Uraufführun-       solch eine Wand aus Licht, ein flirrendes     Andreas Eberle, Posaune
gen meiner ersten Werke fanden eben-         akustisches Wandbild durchtränkt von          Annette Bik, Violine
falls im Rahmen von Konzerten des            Erinnerungen, die nicht nur in unserem        Gunde Jäch-Micko, Violine
Klangforums statt. Im intensiven Aus-        Gedächtnis gespeichert, sondern auch          Andrew Jezek, Viola
tausch mit einigen seiner Mitglieder         Teil unseres Lebens, Ergebnis unserer         Benedikt Leitner, Violoncello
begann sich also das herauszubilden,         gemeinsamen Erfahrung sind. Ein kollek-       Andreas Lindenbaum, Violoncello
was man nunmehr als „sotelianisches“         tives „Ich“ oder ein „Wir“ und gewiss         Géraldine Dutroncy, Klavier
Klanguniversum bezeichnen könnte. In         auch die Übereinstimmung unseres              Björn Wilker, Schlagwerk
„unseren“ Konzerten bot sich mir die         Lebensweges mit den klingenden Vibrati-       Adam Weisman, Schlagwerk
Möglichkeit, die von uns bevorzugte          onen unseres musikalischen Handelns.
Musik aus erster Hand kennenzulernen         Spur, Gesicht und Seele unserer Existenz.
und gründlich zu studieren. Kurz, diese
Zeit ist für mich mit vielen schönen Erin-   Mauricio Sotelo
nerungen verknüpft.
                                                     Übersetzung: Friederike Kulcsar
Erinnerungen und persönliche Erfahrun-
gen, wie ich sie zuvor beschrieben habe,
schwingen auch im musikalischen Mate-
rial meines neuen Werkes mit. In diesem
Doppelkonzert für Flöte, Kontrabass und
Ensemble evoziert das Spiel der Soloinst-
rumente über weite Strecken das breitge-
fächerte und strahlende Spektrum des
„cante“ – des Gesanges in den vielen
Spielarten des Flamenco, wie „Soleá“,
„Siguiriya“ oder „Bulería“ –, nicht anders
als es in der Stimme eines Flamencosän-        Vera Fischer                                                      Mauricio Sotelo
gers wie Enrique Morente zum Ausdruck

                                                                                                                                   21
KAIROS Music Production • www.kairos-music.com
Freitag, 9.10. | 19.30 Uhr | Helmut-List-Halle

Johannes Maria Staud
One Movement and Five Miniatures (2006/2007; rev. 2009) UA
für Cembalo, Ensemble und Live-Elektronik

Die Herausforderung, das „Alte              attacca ineinander über. Trotz der
Musik“ – Instrument Cembalo in              Vielfalt der musikalischen Situationen
Beziehung mit dem “Neue Musik ”–            wurde auf satzübergreifende Entwick-
Instrument Computer zu setzen, war          lungslinien und eine abschnittsüber-
der Ausgangspunkt für dieses Werk.          greifende dramaturgische Gestaltung
Im Laufe der Arbeit wurde klar, dass        Wert gelegt.
es dabei nicht um gegenseitiges
Abgrenzen, sondern um symbioti-             Johannes Maria Staud
sches Verschmelzen beider Sphären
in eine neue, unabhängige Klangwelt
ging. Das in drei Gruppen halbkreis-
förmig vor dem verstärkten Cembalo
gruppierte und von vier Lautspre-           Johannes Maria Staud (A),
chern eingerahmte zwölfköpfige              Komposition
Ensemble hat dabei einen wesentli-                                                          Florian Müller
chen Anteil und kann, je nach musika-       Klangforum Wien (A)
lischer Situation, Hintergrundfolie,        Rolf Gupta (N), Dirigent
Impulsgeber oder Dialogpartner sein.        Florian Müller (D), Cembalo solo

Die spezifischen Qualitäten und Cha-        Thomas Frey, Flöten
rakteristika des Cembalos („two ske-        Markus Deuter, Oboe, Englischhorn
letons copulating on a tin roof“)           Horia Dumitrache, Klarinetten
bestimmen nachhaltig die elektroni-         Lorelei Dowling, Fagott, Kontrafagott
schen und instrumentalen Interaktio-        Christoph Walder, Horn
nen, wie wiederum die Möglichkeiten         Anders Nyqvist, Trompete
der Live-Elektronik und des räumlich        Andreas Eberle, Posaune
verteilten Ensembles Einfluss auf die       Gunde Jäch-Micko, Violine
Art haben, wie das Cembalo behan-           Andrew Jezek, Viola
delt wird. Die Elektronik wird nur          Benedikt Leitner, Violoncello
durch das live gespielte Cembalo            Uli Fussenegger, Kontrabass
gespeist und ausgelöst und verzichtet       Björn Wilker, Schlagwerk
völlig auf voraufgenommenes
Material.                                   Experimentalstudio des SWR,
                                            Live-Elektronik
Die sechs Großabschnitte, deren             Michael Acker, Musikinformatik
jeweilige Anfänge durch schnittartige       und Klangregie
Veränderungen der Hörlandschaften           Peter Böhm, Klangregie
                                                                                     Johannes Maria Staud
stets erkennbar bleiben, gehen              Florian Bogner, Klangregie

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