Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin

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Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
Ausgabe 3/2020

Landesverband Berlin
                       Natur in Berlin
                                        Mit dem Exkursionsprogramm
                                    von September bis Dezember 2020

                         Kostbares Nass
                         Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
LIEBE MITGLIEDER,
LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES NABU,
                                        zum Glück war der Sommer 2020 nicht so
                                        heiß und trocken wie in den beiden Vor-                                           AKTUELLES                 
                                        jahren. Das hat der Natur immerhin eine                                           Flughafensee                                                 3
                                        Atempause verschafft, mehr aber auch                                              Teufelsseekanal                                              4
                                        nicht: Obwohl es in diesem Jahr dem sub-                                          Insektensommer                                               5
                                        jektiven Empfinden nach häufig geregnet                                           Fledermaus-Monitoring                                        6
                                        hat, ist von diesen Niederschlägen kaum                                           Storchberingung                                              7
                                        etwas im Grundwasser angekommen.
                                        Gerade in Berlin hat das Nass in der Tiefe                                        SCHWERPUNKT WASSER

                                        aber dringend Nachschub nötig, denn die                                           Berlin auf dem Trockenen                                    8
                                        Wasserwerke pumpen seit vielen Jahren                                             Ressource Regen                                            10
                                                                                                                          Wasser sparen im Garten                                    11
                                        mehr aus dem Untergrund, als unsere
                                                                                                                          Bäume richtig gießen                                       13
                                        Moore und Feuchtgebiete vertragen. Das
                                        ist ein ungesetzlicher Zustand, über den
                                                                                                                          SPEKTRUM
                                        wir auf Seite 8 berichten.
                                                                                                                          Dachgärten                                                 12
                                        Oft hört man ja, Wasser sei in Deutschland
                                                                                                                          Igel auf dem Rückzug                                       14
reichlich vorhanden, und Verbraucher*innen müssten deshalb nicht sparsam mit
dieser Ressource umgehen. In Berlin und Brandenburg stimmt das definitiv nicht,                                           NABU VOR ORT
vor allem nicht im Hochsommer, wenn Pools befüllt werden und Rasensprenger                                                Duftgarten in Friedrichshain                               15
kreiseln. Auf den Seiten 11 und 13 haben wir deshalb für Sie Tipps zum effizienten
Gießen im Garten und zum richtigen Wässern durstender Stadtbäume zusam-                                                   BERLINER MITBEWOHNER
mengestellt.                                                                                                              Der Scharlachrote Plattkäfer                                16
Ein Gewässer bereitet uns beim NABU Berlin derzeit aus ganz anderen Gründen
Sorge: Seit mehr als 30 Jahren betreuen unsere ehrenamtlich Aktiven der AG                                                TERMINE, RÄTSEL, KONTAKTE                                  17
Flughafensee das gleichnamige Vogelschutzgebiet unmittelbar hinter dem Roll-
feld in Tegel. Da im Herbst, man glaubt es nicht, der neue Flughafen BER tatsäch-
lich eröffnet werden soll, weckt der Flughafensee nun die Begehrlichkeiten der
Stadtplaner. Damit aus dem artenreichen Biotop nicht ein schick gestylter, aber
ökologisch verarmter Stadtpark wird, fordert der NABU Berlin, das Vogelschutz-
reservat endlich als Naturschutzgebiet auszuweisen und damit für die Zukunft zu                                              Landesverband Berlin

sichern. Die Zeit drängt, der Senat muss endlich handeln!

Viel Freude beim Lesen wünscht

                                                                                                                             Jahresbericht
                                                                                                                                                             Neu:
1. Vorsitzender NABU Berlin                                                                                                  2019                            unser Jahresbericht 2019

                                                                                                                                                                    IMPRESSUM
NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin; 1. Vorsitzender: Rainer Altenkamp, 2. Vorsitzende: Melanie von Orlow, Geschäftsführerin (V.i.S.d.P.): Jutta Sandkühler; www.nabu-berlin.
de, www.facebook.com/NABU-Berlin; Redaktion: Rainer Altenkamp (ra) und Jutta Sandkühler (jsa); Text und Layout Alexandra Rigos (ar); Redaktionelle Beiträge Anne Berger, Caroline
Butt, Doris Castor, Janna Einöder (je), Jens Esser, Ulrike Kielhorn, Manfred Krauß, Ansgar Poloczek, Alexandra Rigos, Lisa Söhn; Anzeigendaten: NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187
Berlin, Tel.: (030) 9860837-18, arigos@nabu-berlin.­de; Mediadaten unter www.nabu-berlin.de; Erscheinungsweise vierteljährlich; Nächster Redaktionsschluss 03.11.20, nächster
Veranstaltungszeitraum Januar-März 2021; Papier 100% Recycling, Auflage 13.700, Druck Dierichs Druck + Media GmbH, Kassel; Bildnachweis: Titel: Eisvogel: Christoph Bosch,
S.2: Rainer Altenkamp: Carmen Baden, Dickkopffalter: NABU/CEWE/Sven Damerow, S.3: Flughafensee: Alexandra Rigos, Jutta Sandkühler: Carmen Baden, S.4: Teufelsseekanal: Lienhard
Schulz/wikimedia.de, Nistkastenbau: Carmen Baden, Buchcover: Ulmer Verlag, S. 5: Pinselkäfer: Brigitte Schulz, Insekten-Exkursion: Janna Einöder, Janna Einöder: Annika Friedrich,
S.6: Fledermausspaziergang: Imke Wardenburg, Monitoring: Christoph Schoetschel, Hornissennest: Stephan Härtel, S.7: alle Fotos: Alexandra Rigos, S. 8: Pechsee um 1920: A. Rupp,
Pechsee heute: Manfred Krauß, S.10: Tropfen: Pixabay, Versickerungsmulde: Andreas Suess/Berliner Regenwasseragentur, S. 11: Gießkanne: flaticon.com, S.12: Dachgarten: Andreas
Suess/Berliner Regenwasseragentur, S. 13: Screenshot: CityLAB Berlin, ufaFabrik-Gründach: Werner Wiartalla, S.14: Igel: Anne Berger, S. 15: alle Bilder: NABU-Bezirksgruppe Friedrichs-
hain-Kreuzberg, S.16: Porträt Plattkäfer: Petr Mückstein, Plattkäfer Aufsicht und Larve: Jens Esser, S.18: Kraniche: D. Bellmer; Hinweise der Redaktion: Namentlich gekennzeichnete
Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen und Bearbeitung von Beiträgen vor. Der NABU Berlin haftet nicht für unverlangt
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NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
AKTUELLES | 3

                                                                                        kommentar
                                                                                        Wir dürfen nicht
                                                                                        länger warten!

  Naturjuwel in Tegel: der Flughafensee                                                 Jutta Sandkühler
                                                                                        Geschäftsführerin NABU Berlin
                                                                                        Wohl kein anderes Stück Natur ist so eng

Schutz für den Flughafensee
                                                                                        mit der Geschichte des NABU Berlin ver-
                                                                                        knüpft wie das Vogelschutzreservat am
                                                                                        Flughafensee. 1982 retteten engagier-
NABU Berlin fordert Ausweisung als NSG                                                  te Naturschützer*innen die ehemalige
                                                                                        Kiesgrube durch eine spektakuläre Be-
Am 21. Juli hat der NABU Berlin offiziell   finden die Antragsunterlagen auf der        setzungsaktion, unter ihnen NABU-Ak-
in einem Schreiben an Umweltsenatorin       Homepage des NABU Berlin.                   tivisten wie unser früherer Vorsitzender
Regine Günther den Antrag gestellt, das     Nur wenige innenstadtnahe Gebiete bie-      Hans-Jürgen Stork.
„Vogelschutzgebiet am Flughafensee“ zu-     ten eine so große Artenvielfalt: Gutach-    Mit der Schließung von TXL stehen wir
sammen mit der angrenzenden „Tegeler        ter wiesen dort 493 Pflanzenarten nach,     nun vor der Herausforderung, das Vogel-
Heide“ endlich als Naturschutzgebiet        darunter 41 Rote-Liste-Arten. Die Insek-    schutzreservat ein zweites Mal vor dem
auszuweisen. Dies hatte der NABU Ber-       tenfauna ist mit 209 Schmetterlings-, 159   Zugriff der Stadtentwickler zu schützen.
lin bereits im Jahr 2004 getan, war aber    Wespen-, 125 Bienen- und 44 Libellenar-     Im Gespräch mit Umweltstaatssekretär
damals wegen angeblich mangelnder           ten ebenfalls reichhaltig. In der Flach-    Stefan Tidow zeigte sich Mitte August
Dringlichkeit auf einen späteren Zeit-      wasserzone des Sees brüten sieben Rote-     aber einmal mehr, dass der Flughafensee
punkt vertröstet worden. Mit der Schlie-    Listen-Vogelarten wie Zwergdommel und       weit unten auf der umweltpolitischen
ßung des Flughafens Tegel und den ge-       Schilfrohrsänger, auf dem Flughafen-        Agenda des Senats steht. Schlimmer
planten Bauprojekten auf dem Gelände        gelände sogar elf, darunter Wendehals,      noch: Selbst wenn man der Unterschutz-
ist es jetzt für eine Unterschutzstellung   Braunkehlchen und mit 79 Brutpaaren         stellung jetzt Vorrang einräumen würde,
allerdings höchste Zeit. Interessierte      ein Fünftel aller Berliner Feldlerchen.     könnte das Verfahren erst in drei oder
                                                                                        vier Jahren beginnen. Denn für NSG-Aus-
                                                                                        weisungen stehen im Land Berlin nur 1,5
Achtung: Mitgliederversammlung am 21.9.                                                 Stellen zur Verfügung.
                                                                                        Die erbärmliche Personalausstattung der
Wegen Corona-Regeln online                                                              Oberen Naturschutzbehörde zeigt, wel-
                                                                                        che Bedeutung das rot-rot-grün regierte
Leider kann die diesjährige Mitglieder-     Teilnehmer*innen erhalten dann recht-       Berlin dem Naturschutz beimisst. Wir
versammlung des NABU Berlin nicht           zeitig einen Link zur Online-Konferenz.     können aber nicht jahrelang auf Schutz
wie gewohnt im Versammlungsraum             Mitglieder, die keinen Internet-Zugang      für den Flughafensee warten, während
"Storch" des NABU-Bundesverbands statt-     haben oder nicht über die technischen       in direkter Nachbarschaft ein ganzes
finden: Wegen der geltenden Abstandsre-     Voraussetzungen verfügen, an einer          Wohnviertel hochgezogen wird. In Pla-
gelungen dürfen sich derzeit maximal 20     Zoom-Konferenz teilzunehmen, melden         nungen taucht das Vogelschutzgebiet be-
Personen in diesem Raum aufhalten.          sich bitte unter der oben genannten         reits als „Park“ auf.
Deshalb hat sich der NABU Berlin ent-       Mailadresse oder telefonisch bei Nina       Immerhin hat uns Staatssekretär Tidow
schieden, die Mitgliederversammlung         Baudis unter 030/9860837-19. Der NABU       versprochen sich zu bemühen, der über-
zum bereits angekündigten Termin am         Berlin wird in diesen Fällen individuelle   lasteten Oberen Naturschutzbehörde zu-
21. September online abzuhalten.            Lösungen mit den Betreffenden finden.       mindest leihweise mehr Manpower zur
Für die Teilnahme ist eine Anmeldung        Die Online-Mitgliederversammlung be-        Verfügung zu stellen. Wir bleiben dran
bis zum 13. September per Mail unter        ginnt um 18 Uhr, das Einloggen ist ab 17    und brauchen dazu möglicherweise bald
mitgliederversammlung2020@nabu-             Uhr möglich. Die Tagesordnung ist in der    Ihre Unterstützung. Schauen Sie ab und
berlin.de erforderlich. Die angemeldeten    "Natur in Berlin" 1/2020 einzusehen.        an auf unserer Homepage vorbei!

                                                                                                                  NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
4 | AKTUELLES / MEINUNG

                                                                                      Erfolg am Teufelsseekanal
                                                                                      Sammelstege statt Luxus-Marina
                                                                                   Bauprojekt sah       einen Sammelsteg pro Ufer mit jeweils
                                                                                   den Umbau des        14 Liegeplätzen geben. Auf dieser Basis
                                                                                   Teufelsseeka-        lässt sich aus Sicht des NABU ein unge-
                                                                                   nals in Spandau      störter, fast durchgehender Biotopver-
                                                                                   zu einer Marina      bund realisieren.
                                                                                   mit vier Stichka-    Für den Naturschutz wäre es natürlich
                                                                                   nälen vor. Dies      am besten gewesen, komplett auf die
                                                                                   hätte den Ufer-      Stege zu verzichten. Dann allerdings
  Teufelsseekanal                                                                  grünzug,      der    wäre der Investor nicht verpflichtet ge-
                                                                                   die Havel mit        wesen, die Ufer zu renaturieren. Nach
                                                                                   dem FFH-Gebiet       dem neuen Konzept muss Helma die Be-
Nach fast zwei Jahren ist nun endlich                      „Spandauer Forst“ verbindet, und die         tonspundwand am Nordufer entfernen,
eine Einigung beim Ausbau des Teufels-                     dort lebenden Biber stark beeinträchtigt.    Bauschutt abtragen und neue, naturnah
seekanals in Sicht: Die geplante Luxus-                    Mittlerweile hat sich der Investor bereit    bepflanzte Schrägböschungen sowie
Marina wird nicht gebaut. Im November                      erklärt, auf den Bau der Stichkanäle zu      zwei Meter breite Flachwasserzonen
2018 hatte die Berliner Landesarbeits-                     verzichten. Im Juni hat die Firma Helma      anlegen. Der Investor wird die Planung
gemeinschaft Naturschutz (BLN) unter                       ein geändertes Konzept vorgelegt, das        nun weiter ausarbeiten und sie dann
fachlicher Mithilfe des NABU Berlin                        zudem die Zahl der Liegeplätze stark         den Verbänden noch einmal vorlegen.
gegen die Genehmigung der „HAVEL-                          reduziert. An Stelle der ursprünglich        In der Zwischenzeit ruht das Gerichts-
MARINA-Berlin“ geklagt. Das geplante                       geplanten 49 Einzelstege wird es nun         verfahren.                  Ulrike Kielhorn

Buchtipp: Der Kies muss weg!
Manifest gegen den Schotterwahn
Wer hasst sie nicht, die mit leblosem
Steinsplitt zugeschütteten Vorgärten,
in denen allenfalls ein frisierter Bonsai
sein Dasein fristet? Wer es bislang nicht
gewagt hat, Nachbarn auf ihre Garten-
verunstaltung anzusprechen, findet in
                            dem     Buch
                            von Tjards
                            We n d e n -
                            bourg eine
                            fundierte,
                            angenehm
                            sachliche Ar-                     Wolfgang Steffenhagen
                                                              hilft beim Nistkastenbau.
                            gumentati-
                            onshilfe. Der
                            Autor dekli-                   Mitstreiter*innen gesucht                    men werden musste. Auch wenn Corona
                            niert nicht                                                                 dieses Frühjahr für eine Zwangspause
                            nur       alle                 Fachgruppe Umweltbildung                     sorgte, zeichnet sich ab, dass im neuen
                            Nachteile                      braucht Unterstützung                        Schuljahr wieder viele Schulen und Ki-
                            der Schotter-                                                               tas Interesse anmelden werden.
gärten für Biodiversität und Stadtklima                    Totholzsafaris, Nistkastenbau, Vogelbe-      Auf Dauer kann Wolfgang Steffenhagen
durch (bis hin zur schmelzenden Butter                     stimmung – das Angebot der Fachgrup-         die Nachfrage aber nicht allein bewäl-
auf der vom Gestein aufgeheizten Ter-                      pe Umweltbildung ist vielfältig und wird     tigen. Deshalb sucht er dringend enga-
rasse), sondern bemüht sich auch um                        immer stärker von Grundschulen und           gierte Menschen, die Kindern gern die
einen Einblick in die Psyche der Gar-                      Kitas nachgefragt. Im Jahr 2019 führte       Natur nahebringen möchten. Idealer-
tenbesitzer. Hinter dem Schotterwahn                       die Gruppe nicht weniger als 50 Veran-       weise haben die Interessent*innen pä-
sieht er vor allem Konformitätsdruck                       staltungen durch.                            dagogische Erfahrung und trauen sich
und Unsicherheit: die Angst, mit einem                     Leider verlor sie schon zu Beginn des Jah-   zu, Veranstaltungen auch mit älteren
"ungepflegten" Garten anzuecken, und                       res wichtige Mitstreiter*innen, so dass      Schülern in Gymnasien und Sekundar-
den Verlust von gärtnerischem Wissen.                      das Gros der Termine von Gruppenleiter       schulen abzuhalten.
Tjards Wendenbourg: Der Kies muss weg! Ulmer Verlag 2020   Wolfgang Steffenhagen allein übernom-        Kontakt: wsteffenhagen@nabu-berlin.de

NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
AKTUELLES | 5

                                                                                          Neues Gesicht
                                                                                          in der Öffentlichkeitsarbeit
                                                                                          Pressereferentin in Elternzeit
                                                                                          Da unsere Pressereferentin Christine
                                                                                          Szyska in Mutterschutz gegangen ist,
                                                                                          hat nun Janna Einöder die Presse- und
                                                                                          Öffentlichkeitsarbeit übernommen. Die
                                                                                          gebürtige Kölnerin hat Environmental
                                                                                          Biology studiert und ihre Masterarbeit
                                                                                          über Wildpflanzen
                                                                                          und Hummeln in
                                                                                          Schweden verfasst.
 Immer häufiger gesichtet:                                                                Während ihrer Prak-
 der wärmeliebende Pinselkäfer                                                            tika beim oekom Ver-
                                                                                          lag und der Stiftung
                                                                                          für Mensch und Um-
                                                                                          welt hat sie redak- Janna Einöder

Schönschrecke und Pinselkäfer
                                                                                          tionelle Erfahrung
                                                                                          gesammelt. Janna begeistert sich für
                                                                                          die Wissenschaftskommunikation und
Aktionen zum Insektensommer in Berlin                                                     freut sich daher besonders darauf, die
                                                                                          Inhalte und Projekte des NABU Berlin
Bei heißen 36 Grad treten die meisten        Ergänzend zu den Exkursionen am              an unterschiedliche Zielgruppen zu ver-
Berliner*innen den Weg zum Badesee           südlichen Stadtrand gab es eine Insek-       mitteln. In ihrer Freizeit widmet sie sich
oder Eiscafé an. Nicht aber die rund         tenzählung auf dem Dachgarten „Klun-         ihren Balkonpflanzen, macht Yoga und
30 motivierten Naturfreund*innen,            kerkranich“ in Neukölln. Natürlich           Kickboxen oder kocht neue Gerichte.
die Anfang August im Naturpark Ma-           beobachteten die Teilnehmer*innen in
rienfelde die Suche nach Sechsbei-           dem dichtbesiedelten Wohnbezirk ins-
nern aufnahmen. Die Bezirksgruppe            gesamt weniger Insekten als auf den
Steglitz-Zehlendorf hatte zu einer ge-       weiten Wiesenflächen in Marienfelde,
meinsamen Zählaktion im Rahmen des           konnten aber auch dort allerhand in-
NABU-„Insektensommers“ aufgerufen.           teressante Insekten ausmachen, so den
Die Teilnehmenden konnten unterstützt        Glattschienigen Pinselkäfer (Trichius gal-
von Insekten-Expert*innen rund 60 ver-       licus) und mindestens acht verschiedene
schiedenen Arten identifizieren. High-       Bienenarten.
lights waren unter anderem eine Sechs-       Die Mitmachaktion „Insektensommer“
bindige Furchenbiene, die Italienische       fand dieses Jahr bereits zum dritten
Schönschrecke und der Resedafalter.          Mal statt. Nachdem im Juni in Berlin
Eine Besucherin der Veranstaltung zeigte     und Brandenburg die Hainschwebflie-
sich begeistert: „Ich bin neu in der Welt    ge auf Platz 1 lag, wurde im August die
der Insekten und kann gerade mal eine        Ackerhummel am häufigsten gemeldet.
Biene von einer Wespe unterscheiden.         Bei der Entdeckungsfrage galt es her-
Da ist es faszinierend zu sehen, wie viele   auszufinden, ob der heimische Sieben-
Insektenarten es gibt und wie schnell die    punkt-Marienkäfer oder der Asiatische
Fachleute sie bestimmen können!“             Marienkäfer häufiger vorkamen. Erfreu-
Beim „Insektensommer“ ruft der NABU          licherweise lag der Siebenpunkt vorn. je
Bürger*innen       bundes-
weit dazu auf, in zwei
Zeiträumen im Früh- und
Hochsommer Insekten
zu zählen, zu bestimmen
und zu melden. Schon in
der ersten Phase Anfang
Juni hatten Aktive des
NABU Berlin eine Füh-
rung in Marienfelde an-
geboten und zu diesem                                           NABU-Insektenfreunde
Zeitpunkt sogar mehr als                                      im Naturpark Marienfelde
70 Arten bestimmt.

                                                                                                                   NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
6 | AKTUELLES

                                                                  Fledermaus zu Hause?
                                                                  Viele Freiwillige unterstützten
                                                                  Lebensstätten-Monitoring
                                                                  Zur Erfassung der        – es sei denn, der Nachweis gelingt beim
                                                                  Fledermäuse legen        ersten Mal. Ergänzend zu den akustik-
                                                                  sich die Freiwilligen    gestützten Sichtbeobachtungen unter-
                                                                  noch vor Anbruch         suchen wir die künstlichen Quartiere
                                                                  der Dämmerung auf        daher auch mit einer Endoskopkamera
                                                                  die Lauer. Ob tat-       vom Hubsteiger aus und – ganz experi-
                                                                  sächlich Tiere aus       mentell – mit einer thermographiefähi-
NABU-Aktive testen die Fledermaus-Detektoren.                     den Kästen ausflie-      gen Drohne. Ob die Wärmeabstrahlung
                                                                  gen, bleibt jedoch oft   von Fledermäusen im Quartier aus-
                                                                  bis zum letzten Mo-      reicht, um die Tiere sicher nachzuwei-

W
            as machen Sie denn da? Die-       ment spannend. Der Bat-Detektor hilft,       sen, testen wir derzeit noch. Wir freu-
            se Frage begegnet unseren         auch im schummrigen Licht nichts zu          en uns schon darauf, die von unseren
            Freiwilligen häufiger. Bis zu     verpassen. Er übersetzt die Ultraschall-     Helfer*innen gesammelten Daten auszu-
eineinhalb Stunden lang halten sie Fas-       Rufe der Fledermäuse in hörbare Laute        werten!                          Lisa Söhn
saden mit Nistkästen im Blick – und er-       und macht sie als Sonogramm sichtbar.        Wer Interesse hat, die Studie in der nächsten Saison
regen dabei bisweilen die Aufmerksam-         Die Rufe von Zwergfledermäusen etwa          ab März 2021 zu unterstützen, melde sich bitte un-
keit verwunderter Anwohner.                   zeichnen sich hockeyschlägerartig auf        ter artenschutz_am_gebaeude@nabu-berlin.de.
Nicht weniger als 45 Ehrenamtliche            dem Display der von der Stiftung Natur-
sind unserer Bitte gefolgt, unser von         schutz Berlin zur Verfügung gestellten
der SenUVK gefördertes Projekt „Arten-        Tablets ab. Mit ihrer Funktionsweise
schutz am Gebäude“ beim Lebensstät-           machten sich die Helfer*innen zuvor bei
ten-Monitoring zu unterstützen. Es gilt       einem gemeinsamen Abendspaziergang
herauszufinden, ob die Ersatzkästen           vertraut.
von Vögeln oder Fledermäusen ange-            Im Vergleich zu anderen Zielarten des
nommen werden, deren ursprüngliche            Monitorings, nämlich Haussperling,
Quartiere bei Sanierungsarbeiten zer-         Mehlschwalbe und Mauersegler, stellt
stört wurden. Ausgestattet mit Fernglas       die Überprüfung künstlicher Lebens-
oder Fledermaus-Detektor sammeln die          stätten auf Fledermäuse eine besondere
Helfer*innen wertvolle Daten, um die          Herausforderung dar. Dies liegt zum ei-
Wirksamkeit verschiedener Maßnah-             nen an der heimlichen und nächtlichen
men vergleichen und bewerten zu kön-          Lebensweise der fliegenden Säuger, zum
nen. Untersucht wird zum Beispiel, wie        anderen an ihrer Angewohnheit, regel-
sich Lage, Höhe und Exposition des Kas-       mäßig das Quartier zu wechseln. Mit ei-              So gemütlich kann NABU-Arbeit sein.
tens auf die Annahme auswirken.               ner einzigen Kontrolle ist es selten getan

Wenn Wespen in der Wohnung summen                                                          ten mit ein paar einfachen Maßnah-
NABU-Experten warnen vor unseriösen Schädlingsbekämpfern                                   men auf Distanz halten lassen. Einige
                                                                                           Wespenarten, zum Beispiel die Hornis-
                                             Im Rollladenkasten summt es, und stän-        se, sind zudem streng geschützt.
                                             dig schwirren Wespen in der Küche he-         Stellen die Wespen aber wirklich eine
                                             rum – viele Menschen suchen in einer          Gefahr dar – etwa weil man allergisch
                                             solchen Situation Hilfe bei professionel-     ist – solle man zumindest darauf ach-
                                             len Schädlingsbekämpfern. Mitunter            ten, eine seriöse Firma mit der Entfer-
                                             geraten sie bei der Internet-Recherche        nung zu beauftragen. "Ein ordentliches
                                             allerdings an unseriöse Unternehmen.          Unternehmen nennt vorab einen Preis,
                                             "Aus einer kostenlosen Besichtigung           kostenpflichtige Vorab-Besichtigungen
                                             wird dann ein teurer und sofort bar           sind unüblich", sagt Melanie von Orlow.
                                             zu bezahlender Einsatz, der bis zu 500        Ein gutes Zeichen sei es, wenn die Fir-
                                             Euro für zehn Minuten Gifteinsatz kos-        ma einem Berufsverband wie dem DSV
                                             tet", erzählt Dr. Melanie von Orlow vom       oder VFöS angehöre. Das Team vom
                                             Hymenopterendienst des NABU Berlin.           NABU-Hymenopterendienst berät eben-
                          Hornissennest      Oft ist es jedoch gar nicht nötig, das        falls bei Problemen mit Wespen & Co.
                                             Nest zu entfernen, weil sich die Insek-       kontakt@hymenopterendienst.de

NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
AKTUELLES | 7

                                                                                                      In luftiger Höhe beringt Jörg
                                                                                                      Dummer zwei Linumer Jung-
                                                                                                      störche. Zwischen ihnen liegt
                                                                                                      ein taubes Ei.

Babyboom über den Dächern von Linum
Ehrenamtliche Helfer beringen Jungstörche in luftiger Höhe

D
         er Storch hat die Webcam rui-     steiger zur Verfügung, um Jungstörche      sieben Wochen alten NABU-Störche, die
         niert, und daher werkelt Lisa     im Havelland zu beringen – anders ist      bereits mit den Flügeln schlagen, um
         Hörig fieberhaft an einer neu-    es kaum möglich, die Nester in schwin-     sich aufs Abheben vorzubereiten.
en, metallverstärkten Halterung her-       delerregender Höhe zu erreichen.           „Ungewöhnlich“, sagt Jörg und lässt die
um. Gleich kommt Jörg Dummer mit           Nachdem Lisa und Jörgs Sohn Mar-           Hebebühne noch ein bisschen höher
der Hebebühne, um die Jungstörche          tin die Kamera neu montiert haben,         steigen, um die Störchin zu verscheu-
auf dem Dach des NABU-Informati-           beringt Jörg die vier Kleinen auf dem      chen. Ihr Ring von der Beringungszent-
onszen-trums „Storchenschmiede“ in         NABU-Horst. „Bei unseren Jungstör-         rale Wilhelmshaven weist sie als West-
Linum zu beringen. Das ist die Gelegen-    chen ist das besonders interessant“, er-   storch aus.
heit, nebenbei schnell noch die defekte    klärt Lisa Hörig, „unser Storchenvater     Endlich flieht sie, und die Jungen ver-
Technik in Ordnung zu bringen.             zieht westlich über Spanien nach Afri-     fallen in eine Starre, als Jörg ihnen rou-
Es ist ein gutes Jahr für die Linumer      ka, die Mutter östlich über den Bospo-     tiniert mit einer speziellen Beringungs-
Störche, nachdem sich die majes-           rus. Es wird spannend zu sehen, welche     zange nummerierte Aluminiumringe
tätischen Vögel in den letzten Dür-        Route die Jungen wählen.“                  umlegt. Die Prozedur dauert kaum eine
resommern schwer getan hatten. Vier        Weiter geht es zu einem Nest auf ei-       Minute, dann ist der nächste Horst an
Jungstörche sitzen im Nest auf dem NA-     nem Mast am Ortseingang. Die Hebe-         der Reihe. Auf dem Dach des NABU
BU-Dach, das ist für hiesige Verhältnis-   bühne schnurrt in die Höhe, doch die       thront derweil Vater Storch schon wie-
se schon ein Rekord. „Wahrscheinlich       Storchenmutter ist unwillig, ihren         der auf der Kamera.          Alexandra Rigos
liegt es daran, dass unser Storchenvater   Nachwuchs
sehr früh, schon Anfang März, aus dem      zu verlassen,
Winterquartier zurückgekommen ist“,        als die beiden
erklärt Lisa Hörig, die kommissarische     Menschen he-
Leiterin der „Storchenschmiede“.           ranschweben.
Aber auch sieben andere Paare in Li-       Sichtlich ner-
num haben erfolgreich gebrütet, insge-     vös hält sie
samt sind 19 Jungvögel geschlüpft und      bei ihren zwei
entwickeln sich bislang gut, wovon sich    Jungen      die
Lisa von der Hebebühne aus überzeu-        Stellung, die
gen kann.                                  noch deutlich
Jörg Dummer, Chef eines Maschinen-         kleiner    und                               Von der Kamera aus hat der Storch (links) seine vier
verleihs in Oranienburg, stellt schon      f lauschiger                                 Jungen auf dem NABU-Dach gut im Blick.
seit 30 Jahren seine Zeit und seine Hub-   sind als die

                                                                                                                 NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
8 | SCHWERPUNKT

  Kahnpartie: Pechsee um 1930                                            Grüne Wiese: Pechsee 2017

Wildwest im Wasserwerk
Berlins Grundwasserpegel sinkt und sinkt
B
        erlin gilt als Stadt mit einer siche-   Wasserwerken überhaupt eine ordentli-          Gleichwohl gab es aus der Politik eine
        ren Trinkwasserversorgung, jeden-       che Genehmigung.                               Menge guter Vorsätze und Papiere, etwa
        falls suggerieren das die Berliner      1996 stellten die BWB für alle Wasser-         die 2012 vom Senat beschlossene „Berliner
Wasserbetriebe (BWB) mit ihrem Slogan.          werke Anträge auf die wasserbehördliche        Strategie zur Biologischen Vielfalt“. Zwei
Unter den Tisch fallen dabei die negati-        Bewilligung zur Grundwasserentnahme.           Ziele der Strategie stehen in Zusammen-
ven Folgen der Trinkwasserförderung für         Das Unternehmen gab seinerzeit Gutach-         hang mit der Grundwasser­problematik:
Moore, Feuchtgebiete und Wälder.                ten für die notwendigen Umweltverträg-            • Ziel 9: Nachhaltige Bewirtschaftung
Seit Jahrhunderten wird das Umland              lichkeitsprüfungen sowie ein Wasser-           des Grundwassers, um grund­        wasser­
durch Flussbegradigung, Melioration und         versorgungskonzept in Auftrag. Es sollte       abhängige Lebensräume zu sichern und
Braunkohletagebau massiv entwässert.            nicht weniger als zwölf Jahre dauern, bis      ihren Zustand zu verbessern
Die großflächige Versiegelung minimiert         das „Wasserversorgungskonzept für Ber-            • Ziel 10: Erhaltung der für den Natur-
die Grundwasserneubildung. Der steigen-         lin und für das von den BWB versorgte          und Klimaschutz wich­tigen Moore
de Trinkwasserverbrauch in Stadt und            Umland (Entwicklung bis 2040)“ 2008            Wie kaum anders zu erwarten war, ist von
Speckgürtel lässt den Grundwasserspiegel        endlich veröffentlicht wurde.                  der gesamten Strategie bislang kein einzi-
sinken. Der Neubau von Industrieanlagen                                                        ger Punkt umgesetzt worden – es gab ja
mit hohem Wasserverbrauch wie Tesla in          Berlin in der Pflicht                          auch keine Fristen.
Grünheide verschärft das Problem.               2007, also ein Jahr zuvor, wurden aller-       2016 schließlich entdeckten die derzeiti-
Etwa 70 Prozent des Berliner Trinkwas-          dings die Berliner Moore und Feucht-           gen Regierungsparteien das Trinkwasser-
sers kommen aus dem so genannten Ufer-          wälder als FFH-Gebiete ausgewiesen.            problem. Im Koalitionsvertrag vereinbar-
filtrat. Dazu werden Spree und Havel an-        Nach EU-Recht sind Managementpläne             ten sie zum Punkt „Sauberes Wasser“:
gezapft, weil die Grundwasservorräte für        umzusetzen, wenn sich die FFH-Schutz-          „Zur Sicherung unseres sauberen Trink-
den immensen Bedarf schon lange nicht           gegenstände nicht in einem günstigen           wassers und zum Schutz wertvoller
mehr ausreichen.                                Erhaltungszustand befinden. Damit war          Feuchtgebiete wird die Koalition die Bewil-
Seit langem beklagen Wissenschaftler            Berlin rechtlich verpflichtet, alles zu tun,   ligungsverfahren für die Brunnengalerien
und Naturschützer die Folgen der Was-           um den Zustand der FFH-Gebiete zu ver-         der Berliner Wasserbetriebe (BWB) zügig
serförderung. Die Grundwasserstände             bessern.                                       vorantreiben und abschließen“.
sinken immer weiter ab, Moore und               Diese Pflicht ging jedoch nicht in das         Passiert ist seither allerdings wenig. Mit
Feuchtgebiete trocknen aus, Wälder lei-         Wasserversorgungskonzept ein, obwohl           Mühe und Not schaffte Berlin bis Ende
den unter Wassermangel.                         das Konzept die Grundlage für die Bewil-       2019 die von der EU mehrmals angemahn-
Die Berliner Wasserversorgung beruht            ligungsverfahren der Wasserwerke bilden        te Überführung der FFH-Schutzgebiete in
auf dem Raubbau an der Ressource                sollte. Auf diesen Geburtsfehler haben die     Landesrecht. Parallel dazu ließ die Natur-
Grundwasser. Besonders pikant: Bis heute        Umweltverbände immer wieder erfolglos          schutzbehörde einen Moormanagement-
haben nur drei von derzeit neun Berliner        hingewiesen.                                   plan erarbeiten. Der Entwurf wurde 2018

NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
SCHWERPUNKT | 9

den Umweltverbänden zur Stellungnahme          das eigentliche Problem an. Sie dienen al-      Finanzsenators sind. Zudem müssen die
vorgelegt, ist jedoch bis heute noch nicht     lenfalls der Kompensation.                      Wasserbetriebe 1,21 Milliarden Euro für
veröffentlicht.                                   • Auch die medienwirksame Beregnung          den 2013 erfolgten Rückkauf der Anteile
Der Managementplan dokumentiert aus-           des NSG Barssee mit aufbereitetem Wasser        von RWE und Veolia refinanzieren.
führlich die über Jahrzehnte erfolgte          durch die BWB in diesem Sommer ist nur          Für die Berliner Naturschutzverbände er-
Absenkung des Grundwassers und ihre            eine Ausgleichsmaßnahme.                        geben sich aus dem Desaster folgende For-
Auswirkungen. Der Zustand aller Berliner          • Das FFH-Recht verlangt jedoch Maß-         derungen für den Schutz der Moore und
Moore hat sich seit der Unterschutzstel-       nahmen zur Vermeidung oder Minimie-             Feuchtgebiete:
lung weiter verschlechtert. Es wird also       rung der Eingriffe. Die zuständige Behörde         • Das Verschlechterungsverbot nach
massiv gegen FFH-Recht verstoßen.              müsste also gegen den Betrieb der Wasser-       FFH ist sofort durchzusetzen, sonst dro-
Leider drückt sich der Entwurf um kon-         werke in der jetzigen Form ein­schrei­ten.      hen Deutschland hohe Strafzahlungen.
krete Maßnahmen, die den desolaten                • Dies gilt ungeachtet laufender was-           • Im Moormanagementplan müssen
Zustand beenden könnten, vor allem um          serrechtlicher Bewilligungs­verfahren,          verbindliche Mindestgrundwasserstände,
verbindliche Mindestgrundwasserstände.         die eigentlich, wie im Koalitionsver-           die einen guten ökologischen Zustand der
Möglicherweise spiegelt das die internen       trag festgelegt, in dieser Legislaturpe-        Moore und Feuchtwälder ermöglichen,
Machtverhältnisse zwischen Naturschutz-        riode abgeschlossen werden sollten.             festgelegt werden.
behörde einerseits und Wasserbehörde                                                              • Die Kontrollpegel sollen durch Daten-
und BWB andererseits wieder.                   Massives Politikversagen                        fernübertragung öffentlich zugänglich ge-
Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Ber-        Anfang August hat die BLN den Senat             macht werden.
liner Landesarbeitsgemeinschaft Natur-         schriftlich aufgefordert, endlich die Ver-         • Diese Maßnahmen sollen schnellstens
schutz (BLN) kommt zu dem Fazit:               stöße gegen das FFH-Recht zu beenden.           zwischen BWB und Berlin vertraglich ab-
   • Die Grundwasserabsenkung führt ganz       Wie konnte es dazu kommen, dass trotz           gesichert werden, statt die schleppenden
klar zur Verschlechterung des Erhaltungs-      guter Absichten in den letzten 20 Jahren        Bewilligungsverfahren abzuwarten.
zustands der geschützten Lebensraumty-         fast nichts zur Verbesserung der Situation      Werden die Mindestgrundwasserstände
pen und ist somit ein Verstoß gegen § 34       getan wurde? Offenbar liegt ein massives        unterschritten, muss die Wasserförderung
Abs. 2 BNatSchG.                               Versagen von Politik und Behörden vor.          in dem entsprechenden Gebiet künftig
   • Die im Moormanagementplan bislang         Vermutlich dazu beigetragen hat die Tat-        zwingend reduziert werden.
vorgeschlagenen Maßnahmen gehen nicht          sache, dass die BWB eine Art Melkkuh des        Weiter müssen die BWB endlich ihre Haus-
                                                                                               aufgaben machen:
                                                                                                 • Modellierung einer FFH-gerechten Was-
                                               Die Pegelstände der letzten Jahrzehnte zeigen   serförderung, die nicht nur betriebliche
                                               einen klaren Zusammenhang zwischen Wasser-      Belange in den Vordergrund stellt,
                       Seespiegel Pechsee      förderung und Grundwasserstand.                   • Verlagerung und Neubau einzelner Ga-
30                                                                                             lerien in weniger empfindliche Bereiche,
                                                                                                 • Ausbau des Berliner Verbundnetzes zur
                                                                                               besseren Wasserverteilung im Stadtgebiet,
                                                                                                 • mittelfristig Deckung des Spitzenwas-
28                                                                                             serbedarfs durch Kooperation mit Bran-
                                                                                               denburger Wasserwerken.
      Grundwasserspiegel                                                                       Da wegen des Klimawandels die nutzbaren
      nahe Pechsee                                                                             Wasservorräte in Berlin und Brandenburg
26                                                                                             immer geringer werden, hilft auch der
  m über NN                                                                                    Bau neuer Wasserwerke nicht weiter. Die
                                                                                               Politik muss daher endlich den Wasser-
                                                                                               verbrauch insbesondere im Sommer be-
  Mio m3                                                                                       schränken, wenn Pools und Rasensprenger
30                                                                                             für Engpässe sorgen, wie es Brandenburg
                                                                                               bereits praktiziert. Außerdem ist es höchs-
                                                                                               te Zeit, Konzepte und Maßnahmen zum
                                                                                               Wassersparen in allen Lebensbereichen
20                                                                                             neu aufzugreifen und umzusetzen. Dies
                                                                                               sollte ohne Einbußen an Lebensqualität
                                                                                               möglich sein.
                                                                                               Umweltsenatorin Regine Günther muss
10                         Uferfiltrat Havel Ostufer:                                          endlich handeln, um ihre selbstgesteck-
                           Galerien Schildhorn-Lindwerder                                      ten Ziele zu erreichen. Es geht in Zeiten
                                                                                               des Klimawandels nicht nur um ein paar
                     Wasserwerk Teufelssee                                                     Moore, sondern um die Rettung der Berli-
                                                                                               ner Wälder, die Sicherung unseres Trink-
                                                                                               wassers und um die Zukunftsfähigkeit der
                                                                                               Stadt überhaupt.               Manfred Krauß

                                                                                                                        NATUR IN BERLIN 3/20
Natur in Berlin - Kostbares Nass Berlin zwischen Starkregen und Wassermangel - NABU Berlin
10 | SCHWERPUNKT

                                                                                             Mehrere Pilotprojekte in Berlin, zum Bei-
                                                                                             spiel das Gründerinnenzentrum „Wei-

Ressource Regen
                                                                                             berWirtschaft“ in der Anklamer Straße
                                                                                             (Mitte), demonstrieren teils schon seit
                                                                                             Jahrzehnten, dass die Regenwassernut-
                                                                                             zung im Haus technisch machbar und
                                                                                             alltagstauglich ist. Durchgesetzt hat sich
                                                                                             dieser Ansatz bislang trotzdem nicht. Ein

Bewirtschaften statt entsorgen
                                                                                             Hauptgrund dafür dürfte – neben Kosten-
                                                                                             argumenten und (unberechtigten) hygi-
                                                                                             enischen Bedenken – die eher skeptische
                                                                                             Haltung der Wasserbetriebe sein, die ja
Wer bislang glaubte, Dürre und Sintflut      lich in die Bausubstanz eingegriffen wird,      bei allen Bemühungen um den Gewässer-
seien einander ausschließende Zustände,      darf anschließend nicht mehr Regen vom          schutz Trinkwasser verkaufen wollen.
den belehrt der Klimawandel eines Besse-     Grundstück abfließen, als es ohne Versie-       Angesichts langsam verdorrender Straßen-
ren: Immer seltener regnet es in Berlin,     gelung der Fall wäre.“                          bäume in vielen Teilen Berlins drängt es
und wenn einmal Niederschläge fallen,        Um das Wasser auf dem Grundstück zu             sich geradezu auf, dem Stadtgrün das von
dann ergießt sich an einem Tag mitunter      halten, gibt es viele Möglichkeiten. Die ein-   Dächern ablaufende Regenwasser zukom-
die Regenmenge eines ganzen Jahres über      fachste sind Mulden, die den Regen zurück-      men zu lassen. Ein neuer Ansatz, der auch
die Stadt – wie beim "Jahrhundertregen"      halten. Sie gehören in vielen Neubaugebie-      in Berlin erprobt wird, sind so genannte
im Juni 2017 geschehen. Leider fließen       ten, etwa an der Rummelsburger Bucht,           Baumrigolen, bei denen es sich in Prinzip
die Wassermassen bei Starkregen größ-        längst zum Stadtbild. Aus Sicht des Natur-      um bepflanzte Drainageschächte handelt.
tenteils an der Oberfläche ab und bringen    schutzes interessanter sind richtige Teiche,    Da bei dieser Konstruktion die Bäume in
die Kanalisation zum Überlaufen, statt im    die zugleich einen Lebensraum für Amphi-        Regenphasen allerdings im Nassen stehen
Erdreich zu versickern und das Grundwas-     bien und andere Lebewesen bieten. Eine          können, eignen sich dafür nur bestimmte
ser aufzufüllen.                             Studie der Universität Osnabrück ergab          Arten. Ähnliches gilt für die in Neubauge-
                                             kürzlich, dass naturnah gestaltete Regen-       bieten anzutreffenden Versickerungsmul-
Kanalisation von 1874                        wasserrückhaltebecken in der Stadt häufig       den, die mittlerweile ebenfalls mit Bäu-
Obendrein schwemmt der Starkregen jede       eine größere Pflanzenvielfalt beherbergen       men bepflanzt werden dürfen.
Menge Schadstoffe wie Reifenabrieb und       als natürliche Gewässer im Umland.
Schwermetalle, dazu Müll und Fäkalien        Auch Gründächer haben, richtig gestaltet,       Projekte im Quartier
in die Gewässer. Denn in der Innenstadt      einen doppelten Nutzen (siehe Seite 12) als     Ambitionierter ist ein Vorschlag des Ag-
fließen Abwässer und Regenwasser immer       Biotop und Regenspeicher. Abhängig von          rarökonomen und Wasseraktivisten Her-
noch – seit Inbetriebnahme der Kanalisa-     der Substratdicke können sie erstaunli-         mann Wollner: Er fordert, „Dachwasser
tion im Jahr 1874 – durch einen gemeinsa-    che Mengen Wasser aufnehmen und den             im Quartier aufzufangen, vegetationsnah
men Kanal ab. So genannte Mischwasser-       Abfluss vom Grundstück im Jahresmittel          zu speichern und durch ‘Regenranger’ den
überläufe sind heute die Hauptursache        um die Hälfte reduzieren. Sie speisen zwar      wohnungsnahen Bäumen zuzuführen.“
der Gewässerverschmutzung.                   nicht das Grundwasser, kühlen dafür aber        Mit 2.400 dezentralen Projekten dieser Art
Verschärft wird das Problem durch das an-    durch Verdunstung die Stadt.                    ließe sich, rechnet Wollner vor, das Prob-
haltende Wachstum der Hauptstadt: Mehr                                                       lem der Berliner Mischwasserüberläufe lö-
Einwohner verbrauchen mehr Wasser, so        Regenwasser fürs Klo                            sen. Die Kosten von sechs bis acht Euro pro
dass die Feuchtgebiete am Stadtrand wei-     Besonders sinnvoll ist es, Regenwasser zur      Quadratmeter Baumscheibe könnte ein
ter ausdörren. Zugleich wird für neue        Gartenbewässerung und für die Toilet-           städtischer „Klimaresilienzfonds“ tragen.
Häuser mehr Fläche versiegelt, von der       tenspülung zu nutzen – so entlastet man         Welche Maßnahmen sich langfristig auch
das Regenwasser abläuft.                     nicht nur die Kanalisation, sondern spart       immer am besten bewähren – fest steht,
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist eben-      zugleich kostbares Trinkwasser. Die gute,       dass Berlin mehr tun muss, um das selbst
so elegant wie anspruchsvoll: Die Stadt      alte Regentonne ist dabei nur ein Anfang:       erklärte Ziel der „Schwammstadt“ zu errei-
soll wie ein Schwamm Regenwasser auf-        In unterirdischen Tanks lassen sich viel        chen. Ein Prozent des Altgebäudebestands
saugen und langsam an den Boden abge-        größere Wassermengen speichern. Wer sie         wollte der Senat jedes Jahr von der Kanali-
ben – oder den gespeicherten Regen als       im Haus nutzen will, muss einen zweiten         sation abkoppeln. Bislang ist man weit von
Brauchwasser zur Verfügung stellen.          Wasserkreislauf installieren, um Brauch-        dieser Marke entfernt. Aber Schwämme
Die „Schwammstadt Berlin“ ist längst kei-    und Trinkwasser getrennt zu halten.             wachsen ja bekanntlich langsam.          ar
ne Utopie mehr. 2018 gründete der rot-rot-
grüne Senat eine Regenwasseragentur, die
Bürger, Firmen und Institutionen dabei
unterstützen soll, die nasse Ressource vor
Ort zu bewirtschaften, statt sie ungenutzt
Richtung Nordsee rauschen zu lassen.
„Bei Neubauten darf Regenwasser über-
haupt nicht mehr in die Kanalisation ge-
leitet werden“, sagt Darla Nickels, Chefin
der Regenwasseragentur, „und auch bei                                      Bepflanzte Versickerungsmulden an der Rummelsburger Bucht
Bauvorhaben im Bestand, wenn wesent-

NATUR IN BERLIN 3/20
SCHWERPUNKT | 11

      5 Tipps
           ...zum Wassersparen im Garten
                  1.                                               2.                                           3.
                Rasen
              abschaffen                                    Rasensprenger                               Trockenheits-
        Immer dasselbe Bild im Som-                        auch abschaffen                               verträgliche
       mer: Entweder der Rasenspren-                        Der feine Sprühnebel                     Pflanzen auswählen
       ger dreht sich im Dauereinsatz,                     wirkt zwar erfrischend,                   Im trockenen, zumeist san-
     oder der grüne Teppich verkommt                  bringt den Pflanzen aber wenig,               digen Berliner Boden quälen
    zum gelb-braunen Flickwerk. Üppi-                da ein großer Teil des Wassers ver-           sich klassische Gartenpflanzen
   ge Rasenflächen mögen in nasskalten              dunstet, bevor es den Boden erreicht         wie Rittersporn und Rhododendron
 Landstrichen gut aussehen, bei uns sind             hat. Statt ständig wenig Wasser zu         ohnehin nur herum. Robuster, schö-
  sie definitiv fehl am Platze – und bieten         verspritzen, sollte man lieber selten,      ner und ökologischer sind Pflanzen,
 überdies nur wenigen Tierarten Nahrung            aber dann durchdringend gießen. Wer         die natürlicherweise in Trockenrasen-
und Lebensraum. Deshalb: Wo keine Kinder            nicht so viele Gießkannen schleppen        und Steppengebieten daheim sind, wie
  spielen sollen, lieber blütenreiche Beete           mag, sollte zumindest auf Tropf-          Salbei, Färberkamille oder Blauraute.
      anlegen – oder naturnahe Wiesen                     schläuche zurückgreifen.              Auch Kräuter und Halbsträucher aus
               wachsen lassen.                                                                 dem Mittelmeerraum stecken Trocken-

                                              4.
                                                                                                  phasen locker weg, lassen sich in
                                                                                                   der Küche nutzen und sind bei
                                     Schlüsselloch-                                                     Insekten heiß begehrt.
                                      beet anlegen
                                  Wer Gemüse in Hochbeeten                                   5.
                               zieht, erntet viel, muss aber auch                     Regenwasser
                             viel gießen, da über die Seitenwände                       sammeln
                             Wasser verdunstet. Effizienter ist ein                 Wer noch keine Regen-
                            so genanntes Schlüssellochbeet, wie es               tonne im Garten stehen hat,
                         sich in afrikanischen Ländern bewährt hat.             sollte spätestens im nächsten
                          Es wird über einen mit Kompost gefüllten            Frühjahr eine anschaffen. Fortge-
                         Einsatz in der Mitte bewässert – und dabei          schrittene erwägen die Installation
                        zugleich gedüngt. Dieser Kompostkorb kann             einer unterirdischen Zisterne mit
                         Küchen- und Gartenabfälle aufnehmen und            wesentlich größerem Aufnahmevolu-
                        wirkt zugleich wie ein Filter, so dass das Beet     men. Das spart Trinkwasser, entlastet
                            auch mit Brauchwasser aus dem Haus-             die Kanalisation bei Starkregen und
                               halt, zum Beispiel Spülwasser, ge-                 zahlt sich unter dem Strich
                                      gossen werden kann.                             auch finanziell aus.

                                                                                             auf stark befahrenen Straßen wird der Re-
Wie sauber ist der Regen?                                                                    gen vom Segen zum Entsorgungsproblem:
                                                                                             Nun führt er Mikroplastik in Form von
Alles Gute kommt von oben – kann aber mitunter schadstoffbelastet sein                       Reifenabrieb, schwermetallhaltige Stäube
                                                                                             und allerlei Müll wie Zigarettenkippen,
Schon auf seinem Weg zur Erde nimmt            cher als wenig belastet gelten, waschen       Plastiktüten und Hundekot mit sich – und
Regenwasser Schadstoffe aus der Luft auf,      Niederschläge potenziell schädliche Subs-     darf beispielsweise in Trinkwasserschutz-
zum Beispiel Stickstoffsalze, die zur Über-    tanzen aus Metalldächern und Teerpappe.       gebieten nicht mehr im Boden versickern.
düngung der Natur beitragen. So richtig        Fassaden, die zum Schutz vor Algen mit        Wer Regenwasser in Haus und Garten nut-
kritisch wird es beim Kontakt mit mensch-      biozidhaltigen Farben gestrichen sind, ge-    zen will, sollte daher darauf achten, dass
licher Infrastruktur. Während Ziegeldä-        ben ebenfalls Schadstoffe ab. Spätestens      es über unbelastete Flächen abgelaufen ist.

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   Im Himmel über Berlin
   Gründächer speichern Regenwasser,
   kühlen die Stadt – und sind Naturinseln

B
       erlin wächst und wächst, immer           Hauseigentümer*innen auch auf man-          Abkühlungseffekt durch die Vegetation
       mehr Freiflächen verschwinden            gelnder Information. Die meisten Dächer     erhöht vielmehr die Wirksamkeit der So-
       unter Beton und Asphalt. Die Stadt       lassen sich auf die eine oder andere Art    larpaneele, zudem erleichtert das Gewicht
wird zur „Hitzeinsel“, denn Gebäude und         begrünen, obgleich es natürlich statische   des Substrats ihre sichere Verankerung.
Straßen speichern Wärme und geben sie           Grenzen gibt. Große Flachdächer, wie        Dachbegrünungen können vielgestaltig
nachts nur langsam ab. Das Restgrün ver-        sie moderne Wohnblöcke und Gewerbe-         ausfallen – die Palette reicht von wenige
dunstet nicht genug Wasser, um die Luft         bauten typischerweise aufweisen, lassen     Zentimeter dicken Tragschichten, auf de-
spürbar abzukühlen.                             sich am einfachsten begrünen, aber auch     nen lediglich Dickblattgewächse, meist
Eine Möglichkeit, der Überhitzung entge-        schräge Dächer bis zu einem Neigungs-       Sedum-Arten, wachsen, bis hin zu regel-
genzuwirken, sind begrünte Dächer. Sie          winkel von etwa 30 Grad, in Extremfällen    rechten Dachgärten mit Stauden und Ge-
speichern Wasser, lassen es allmählich          sogar mehr, kommen in Frage.                hölzen.Weil Dächer gewöhnlich Sonne und
verdunsten und kühlen so die Umgebung.                                                      Wind stark ausgesetzt sind, handelt es um
Zudem wirken Gründächer als Feinstaub-          Drei Schichten braucht das Dach             äußerst trockene Extremstandorte. Doch
filter und verbessern die Luftqualität, sie     Grundsätzlich bestehen Dachbegrünun-        sind es gerade die Pflanzengesellschaften
dienen als Erholungsraum für Menschen,          gen aus einer Schutzschicht, die ein Aus-   der Trocken- und Halbtrockenrasen, die in
die in der verdichteten Stadt keinen eige-      schwemmen des Substrats verhindert,         unserer Kulturlandschaft gefährdet sind
nen Garten haben, und bieten überdies           einer Drainageschicht, die das Abfließen    und denen städtische Dächer Ersatzhabita-
Lebensraum für Pflanzen und Tiere, die          nicht mehr speicherbarer Wassermengen       te bieten können.
in der Großstadt kaum noch Platz finden.        gewährleistet, und einer Vegetationstrag-
Nicht zuletzt wirken sie als Puffer bei Star-   schicht, die abhängig von der Belastbar-    Insekten kommen schnell
kregen, helfen damit, ein Überlaufen der        keit des Gebäudes unterschiedlich mäch-     Auch viele Tiere finden auf Gründächern
Mischwasserkanalisation zu vermeiden,           tig ausfallen kann. Je nach Gebäudetyp      Nahrung und mitunter sogar einen Le-
und tragen auf diese Weise zum Gewässer-        und Dachkonstruktion können weitere         bensraum. Allerdings trocknen dünne
schutz bei.                                     Elemente erforderlich sein, etwa Rutsch-    Substratauflagen bisweilen völlig aus und
                                                und Schubsicherungen bei geneigten Dä-      können im Winter durchfrieren, so dass
1000 Dächer, wenig Nachfrage                    chern oder Bewässerungssysteme.             Bodenlebewesen sich nicht dauerhaft hal-
Auch der Berliner Senat hat das Poten-          Die Kosten einer Dachbegrünung werden       ten, obwohl gerade sie wichtig für die Auf-
zial von Dachbegrünungen erkannt und            im Laufe der Zeit durch die eingesparten    rechterhaltung der ökologischen Boden-
im Sommer 2019 ein 1000-Dächer-Pro-             Heiz- oder Kühlkosten und die länge-        funktionen sind. Flugfähige Insekten wie
gramm aufgelegt. Interessierte können           re Haltbarkeit des Daches kompensiert.      Käfer, Schmetterlinge und Wildbienen hin-
sich von der Berliner Regenwasseragen-          Denn die Vegetation isoliert das Gebäude,   gegen besiedeln den Lebensraum bisweilen
tur beraten lassen und Fördermittel für         und eine fachgerecht aufgebrachte Subst-    rasch und nutzen auch kurzfristig zur Ver-
die erstmalige Begrünung bestehender            ratschicht schützt das Dach vor äußeren     fügung stehende Nahrungsressourcen. Mit
Dächer in bestimmten Bereichen der In-          Einflüssen und trägt so zur Verlängerung    steigender Substratstärke und einer viel-
nenstadt beantragen. Leider blieb das In-       seiner Lebensdauer bei.                     fältigeren Pflanzengesellschaft nimmt die
teresse bislang verhalten; Mitte Mai 2020       Eine Nutzung der Dachfläche zur Gewin-      tierische Biodiversität deutlich zu.
lagen gerade einmal 14 Förderanträge vor.       nung von Solarenergie steht keineswegs      Überdies lässt sich die Artenvielfalt auf
Vermutlich beruht die Zurückhaltung der         in Konkurrenz zur Dachbegrünung. Der        dem Dach mit einigen einfachen Mitteln

NATUR
NATUR IN
      IN BERLIN
         BERLIN 3/20
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SCHWERPUNKT | 13

erhöhen. Auch ein extensiv begrüntes
Dach muss keine dürftige „Sedum-Steppe“
bleiben, vielmehr kann man es durch Mo-
dellieren der Substratschicht, durch Varia-
                                                 Bäume gießen – aber richtig!
tionen von Nährstoffgehalt und Korngrö-          Neues Internet-Portal informiert über den Wasserbedarf einzelner Straßenbäume
ße sowie durch Einbringen von Totholz,
Stroh oder Reisig aufwerten und so durch         Soll man Straßenbäume mit Trinkwasser                 unter dem Strich wiegt der Wert eines
mehr Strukturvielfalt auch mehr Tieren           gießen? Wieviel Wasser braucht so ein                 großen Straßenbaums für Stadtklima und
einen Lebensraum bieten.                         ausgewachsener Baum überhaupt? Immer                  Artenvielfalt höher.
                                                 wieder wenden sich Bürger*innen mit sol-              Beim Gießen gilt es darauf zu achten,
Reichhaltige Käferfauna                          chen Fragen an den NABU Berlin.                       dass das Wasser tatsächlich versickert und
Vor allem die Käferfauna kann auf Grün-          Fest steht: Berlins Straßenbäumen geht es             nicht oberflächlich abläuft. Hilfreich sind
dächern äußerst reichhaltig sein. Studien        schlecht, und viele sind ohne zusätzliche             Gießsäcke, wie sie das Bezirksamt Fried-
in der Schweiz dokumentierten bis zu 42          Wassergaben im Sommer zum langsamen                   richshain-Kreuzberg kostenlos verleiht.
Arten auf intensiv begrünten Dachflächen,        Absterben verurteilt, da sie mit ihren Wur-           Sie setzen das Wasser so langsam frei, dass
während auf Kiesdächern lediglich fünf           zeln das Grundwasser nicht mehr errei-                der Boden es aufnehmen kann.
zu finden waren. Auch diverse Heuschre-          chen. Wie im Garten gilt auch für Baum-               Ob der Baum vor der Tür gerade durs-
cken und Wildbienen wurden auf Dächern           scheiben: Selten, aber dann richtig viel              tig ist, sieht man ihm nicht so leicht an.
nachgewiesen. Gerade letztere sind auf           gießen. Einmal pro Woche 100 Liter (also              Wenn die Blätter braun werden, ist der
möglichst tiefgründiges Substrat angewie-        zehn Eimer oder Gießkannen voll) sind in              Schaden schon da. Abhilfe schafft das
sen, weil viele Arten im Boden nisten.           Trockenphasen eine gute Richtschnur.                  neue Internet-Projekt "Gieß den Kiez" vom
Vögel wie Stieglitze und Grünlinge, die                                                                CityLAB Berlin. Auf einem digitalen Stadt-
sich größtenteils von Sämereien ernähren,        Brauch- oder Regenwasser nutzen                       plan können Interessierte jeden einzelnen
profitieren von verblühten Pflanzen auf          Nach Möglichkeit sollte man gesammeltes               von 625.000 Stadtbäumen abrufen, sowie
Gründächern, und selbst Bodenbrüter wie          Regenwasser verwenden oder Straßen-                   Art, Alter und momentanen Gießwasser-
Haubenlerche, Kiebitz, Flussregenpfeifer         pumpen nutzen. Es ist schließlich wider-              bedarf ermitteln.
und Steinschmätzer nisten gelegentlich in        sinnig, Bäume mit Trinkwasser zu gießen,              Besonders bedürftig sind übrigens Bäume
luftiger Höhe. Steht dann allerdings nicht       für dessen Gewinnung anderswo Wälder                  im Alter von drei bis 15 Jahren. Während
genug Nahrung zur Verfügung, kann das            oder Feuchtgebiete trocken fallen. Idealer-           frisch gepflanzte Setzlinge in den ersten
Gründach zur ökologischen Falle werden.          weise nutzt man so genanntes Grauwasser               Jahren noch vom Grünflächenamt bewäs-
Entscheidend für den Bruterfolg ist eine         aus Haushalt und Küche, zum Beispiel                  sert werden, bleiben die etwas älteren sich
reichhaltige Vegetation, die für ein ausrei-     Waschwasser von Obst und Gemüse. Nur                  selbst überlassen, haben aber noch kein
chendes Nahrungsangebot sorgt.                   wenn es keine Alternativen gibt, sollte               ausgedehntes Wurzelwerk ausgebildet.
Trotz ihrer immensen ökologischen Vor-           man auf Trinkwasser zurückgreifen, denn               Mehr Info: www.giessdenkiez.de                 ar
teile können Gründächer selbstverständ-
lich keine natürlich entstandenen Biotope
ersetzen; ihre Biodiversität bleibt in der

                                                 "Gieß den Kiez" verrät's: Die alte Linde vor der NABU-Geschäftsstelle kommt ohne Gießkanne aus.

                                                 Regel deutlich unter der vergleichbarer               und Tiere langsamer an, und viele Arten
                                                 Naturlandschaften. Schließlich handelt es             bleiben ganz weg. Ihre Funktion als Tritt-
                                                 sich um künstliche Habitate, das Substrat             steinbiotope vermögen begrünte Dächer
                                                 ist nicht natürlichen Ursprungs, der Was-             deshalb nur dann zu erfüllen, wenn Parks,
                                                 serhaushalt schwankt aufgrund fehlender               Gärten oder andere Gründächer in der
                                                 Speicherschichten stark, die Vegetation               Nähe sind. In Kombination mit Fassaden-
                                                 selbst wird zumeist angesät oder gepflanzt.           begrünungen können Gründächer in grö-
                                                 Auch die Lage spielt eine Rolle: Ist das              ßerer Zahl der Stadt jedoch ein Netz viel-
Auf dem Dach der ufaFabrik in Tempelhof stehen   Dach die einzige grüne Insel inmitten                 fältiger Lebensräume zurückgeben.
verschiedene Sedum-Arten in voller Blüte.        einer Steinwüste, siedeln sich Pflanzen                                                  Ansgar Poloczek

                                                                                                                                    NATUR IN BERLIN 3/20
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Stachelig und rätselhaft
Forscher*innen sind Berlins Igeln auf der Spur
                                                                                          für Zoo- und Wildtierforschung unter-
                                                                                          sucht unter anderem, wie Igel es ge-
                                                                                          schafft haben, sich an den städtischen
                                                                                          Lebensraum anzupassen und inwieweit
                                                                                          menschliche Aktivitäten das Verhalten
                                                                                          der „Hauptstadtigel“ beeinf lussen.
                                                                                          In der abwechslungsreichen Stadt sind
                                                                                          Igelreviere oft recht klein und beschrän-
                                                                                          ken sich auf wenige Fußballfelder. Ur-
                                                                                          bane Igel haben ihre Nester häufig in
                                                                                          direkter Nähe des Menschen, etwa in
                                                                                          Gebüschen an Hauswänden. Selbst auf
                                                                                          Verkehrsinseln und unter Imbissbuden
                                                                                          wurden schon Nester entdeckt.
                                                                                          Weil sie nächtliches Licht und Straßen
                                                                                          aber doch eher meiden, leben die meis-
                                                                                          ten Stadtigel in Parks. Leider werden
                                                                                          Grünf lächen und Gärten nicht immer
                                     Gegen Autos hilft das schönste Stachelkleid nicht.   „igelfreundlich“ bewirtschaftet. Oft
                                                                                          entfernen Gärtner das Laub so gründ-
                                                                                          lich, dass Igel kein Nistmaterial mehr

J
    ede*r kennt ihn, jede*r mag ihn, er     lichkeiten, milde Winter und trockene         finden. Dann greifen sie manchmal so-
    wurde sogar zum „Gartentier des         Sommer spielen eine Rolle. Auch Laub-         gar auf Plastiktüten zurück.
    Jahres 2020“ gekürt, und doch weiß      bläser, Motorsensen, Kellerschächte
   man erstaunlich wenig über den Igel      und Hunde kosten immer mehr Igel              Livemusik und Pommes
– nicht einmal, wie viele Igel es eigent-   das Leben.                                    Wie eine Untersuchung während des
lich gibt. Bestandsschätzungen sind         Dabei haben Igel gar keine hohen An-          Lollapalooza-Festivals im Treptower
aufwändig, da Igel nachtaktiv sind,         sprüche an ihren Lebensraum. Sie müs-         Park 2016 zeigte, reagieren Igel auf Stö-
versteckt leben und als Kleinsäuger na-     sen in ihren relativ kleinen, rund zwei       rungen sehr individuell. So zog sich ei-
türlicherweise Bestandsschwankungen         Hektar umfassenden Revieren bloß ge-          nes der beobachteten Igelmännchen in
unterliegen. Zählungen der Tiere sind       nug Futter und Versteckmöglichkeiten          einen gesperrten Teil des Parks zurück,
auch deswegen schwierig, weil Igel sich     finden. Der englische Name „hedge-            während sich ein anderes Tier unter der
sehr ähnlich sehen – ein Problem, das       hog“ (Heckenschwein) bezeichnet dabei         Bühne einrichtete und mehrmals täg-
schon der Hase im Märchen hatte.            sehr treffend Hecken als einen wichti-        lich mit Pommes-Resten versorgte. Die-
Daher gibt es deutschlandweit keine ge-     gen Lebensraum für Igel.                      se hohe Verhaltensvarianz der Igel ist
nauen Zahlen zum Igelbestand. Schät-                                                      wahrscheinlich einer der Hauptgründe,
zungen beruhen makabererweise meist         Rückzug in die Stadt                          warum es überhaupt noch Igel gibt und
auf Verkehrsopfern: Viele tote Igel am      Im Zuge der Intensivierung der Land-          sie in Städten überleben können.
Straßenrand deuten auf einen stabilen       wirtschaft sind solche Hecken und             Die Igel-Forschung steht noch vor vielen
Bestand hin. Seit einigen Jahren gibt       Versteckmöglichkeiten allerdings ver-         unbeantworteten Fragen. Neben genau-
es allerdings alarmierende Hinweise         schwunden, und Pestizide sowie das            en Bestandszahlen und -entwicklungen
aus mehreren europäischen Ländern,          Insektensterben führten zudem zu              wollen Forscher*innen zum Beispiel die
und auch zwei lokale Langzeitstudien        Futtermangel in der Agrarlandschaft.          Relevanz verschiedener Verletzungs-
aus Hessen und Bayern zeigen, dass          Viele Igel wichen daher in menschliche        und Todesursachen (etwa Gift, Garten-
die Zahl der überfahrenden Igel dra-        Siedlungen aus und fanden in Gärten           maschinen, Verkehr) ermitteln oder
matisch zurückgegangen ist. Wo 1990         und Parks kleinräumige, strukturrei-          den Einf luss von nicht-natürlichem
noch regelmäßig 50 tote Igel pro Jahr       che Lebensräume. Heute kommen Igel            Futter (wie besagten Pommes oder Kat-
am Straßenrand lagen, ließen sich ab        paradoxerweise in den verkehrsreichen         zenfutter) untersuchen. Vor allem aber
2015 gerade noch ein bis zwei finden.       Städten häufiger vor als auf dem ruhi-        müssen die Menschen aufgeklärt wer-
Die Gründe für den Rückgang sind            geren Land.                                   den, wie es um die Igelpopulation steht
vielfältig: Die Zerschneidung der Le-       Als typischer Kulturfolger interessiert       und wie man sie schützen kann, damit
bensräume durch Straßen, intensive          der Igel auch die Wissenschaft. Das Pro-      der Igel auch in Zukunft „ein Berliner“
Landwirtschaft, fehlende Nestmög-           jekt „Igel in Berlin“ des Leibniz-Instituts   bleibt.                       Anne Berger

NATUR IN BERLIN 3/20
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