152 Inkrafttreten des revidierten Erbrechts: In der Sitzung vom 19. Mai 2021 hat der - Walder Wyss
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Mai 2021 152 Newsletter Nr. Inkrafttreten des revidierten Erbrechts: In der Sitzung vom 19. Mai 2021 hat der Bundesrat entschieden, das revidierte Erbrecht auf den 1. Januar 2023 in Kraft zu setzen. Die Modernisierung des Erbrechts bringt eine wesentliche Erhöhung der erblasserischen Verfügungsfreiheit mit sich, welche es bei der Nachlass- planung zu berücksichtigen gilt.
Newsletter Nr. 152 Mai 2021 Neues Erbrecht ab 1. Januar 2023 Nachdem die Referendumsfrist der am 18. Dezember 2020 von National- und Ständerat verabschiedeten Gesetzesvorlage zum neuen Schweizer Erbrecht ungenutzt abgelaufen ist, wird das revidierte Erbrecht gemäss Bundesratsbeschluss auf den 1. Januar 2023 in Kraft treten. Im Zentrum der Reform steht die Modernisierung des über hundertjährigen Schweizer Erbrechts, welches seit dessen Inkrafttreten nur wenige Änderungen erfahren hat. Unter anderem wird dem Erblasser durch eine Anpassung des Pflichtteilsrechts mehr Dispositionsfreiheit eingeräumt, womit den neuen vielfältigen Formen des familiären Zusammenlebens Rechnung getragen und Von Kinga M. Weiss insbesondere auch die Übertragung von Familienunternehmen erleichtert werden. Dr. iur., LL.M., TEP, Rechtsanwältin / Fachanwältin SAV Erbrecht Partnerin Telefon direkt: +41 58 658 56 80 kinga.weiss@walderwyss.com Reduktion des Pflichtteils der Nach- Die nachfolgende Übersicht stellt die kommen und Aufhebung des Pflichtteils gesetzlichen Erbanteile, die Pflichtteile der Eltern und die verfügbaren Quoten des gelten- den Rechts dem ab 1. Januar 2023 in Unter geltendem Recht können Erblasse- Kraft tretenden Recht einander gegen- rinnen und Erblasser in der Schweiz über. aufgrund der Pflichtteile, die per Gesetz den Kindern, Ehegatten und in einigen Fällen auch den Eltern zustehen, nur ein- geschränkt über ihren Nachlass verfügen. Das geltende Recht wird insofern abgeändert, als dass der Pflichtteil der Nachkommen nur noch 1/2 des gesetzli- und Natascha Rizzi chen Erbanspruchs statt wie bisher 3/4 M.A. HSG in Rechtswissenschaften mit beträgt und der Pflichtteil der Eltern Wirtschaftswissenschaften sogar vollständig aufgehoben wird (Art. Associate 470 Abs. 1 und 471 nZGB), wobei der Telefon direkt: +41 58 658 57 22 gesetzliche Erbanspruch der Eltern jedoch natascha.rizzi@walderwyss.com bestehen bleibt. Insgesamt erhöht sich somit die frei verfügbare Quote des Erb- lassers. Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten oder eingetragenen Partners wird hingegen unverändert belassen (d.h. 1/2 des gesetzlichen Erban- spruchs), was dazu führt, dass für alle Pflichtteilserben unter neuem Recht fortan ein Pflichtteilsanspruch von der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches gilt (vgl. Art. 471 nZGB). 1
Newsletter Nr. 152 Mai 2021 Pflichtteile und verfügbare Quote gemäss geltendem Recht und gemäss Gesetzesrevision1 Die verstorbene Person Gemäss geltendem Recht Gemäss neuem Recht hinterlässt Gesetzlicher Pflichtteil Verfügbare Gesetzlicher Pflichtteil Verfügbare Erbanteil Quote Erbanteil Quote Nachkommen ganze Erbschaft ¾ ¼ (25%) ganze Erbschaft ½ ½ (50%) Ehefrau/Ehemann oder ganze Erbschaft ½ ½ (50%) ganze Erbschaft ½ ½ (50%) eingetragene/n Partner/in Mutter und/oder Vater ganze Erbschaft ½ ½ (50%) ganze Erbschaft 0 ganze Erbschaft Ein/mehrere Geschwister ganze Erbschaft 0 ganze Erbschaft ganze Erbschaft 0 ganze Erbschaft oder deren Nachkommen Nachkommen ½ 3/8 3/8 (37,5%) ½ ¼ ½ (50%) und Ehefrau/Ehemann oder und ½ und 2/8 und ½ und ¼ eingetragene/n Partner/in Mutter und/oder Vater ¼ 1/8 ½ (50%) ¼ 0 5/8 (62,5%) und Ehefrau/Ehemann oder und ¾ und 3/8 und ¾ und 3/8 eingetragene/n Partner/in Ein/mehrere Geschwister ¼ 0 5/8 (62,5%) ¼ 0 5/8 (62,5%) und Ehefrau/Ehemann oder und ¾ und 3/8 und ¾ und 3/8 eingetragene/n Partner/in Vater oder Mutter ½ ¼ ¾ (75%) ½ 0 ganze Erbschaft und ein/mehrere Geschwister und ½ und 0 und ½ und 0 Vater oder Mutter 1/8 1 /16 /16 9 1/8 0 5/8 und ein/mehrere Geschwister und 1/8 und 0 (56,25%) und 1/8 und 0 (62,5%) und Ehefrau/Ehemann oder und 3/4 und 3/8 und ¾ und 3/8 eingetragene/n Partner/in 2
Newsletter Nr. 152 Mai 2021 Verlust des Pflichtteilsrechts während Verfügbare Quote bei der dass Begünstigte einen selbständigen eines hängigen Scheidungs- bzw. Nutzniessungslösung Anspruch auf die Begünstigung aus Auflösungsverfahrens gebundener Selbstvorsorge haben und Nach geltendem Recht kann dem überle- Eine weitere Änderung im Rahmen der diese gegenüber der fraglichen Versiche- benden Ehegatten nach Art. 473 Abs. 1 Erbrechtsrevision beschlägt das Pflicht- rungseinrichtung bzw. Bankstiftung ZGB die Nutzniessung am ganzen, den teilrecht der Ehegatten oder eingetrage- durchsetzen können, sodass die fragliche gemeinsamen Kindern zufallenden Teil nen Partner, wenn einer der Ehegatten Zuwendung keinesfalls dem Nachlass der Erbschaft zugewendet werden. Die oder Partner während eines Scheidungs- zurechenbar ist. Dieser Anspruch besteht Nutzniessung tritt an die Stelle des dem oder Auflösungsverfahrens stirbt. Nach betreffend gebundener Selbstvorsorge Ehegatten neben diesen Nachkommen geltendem Recht entfällt der Pflichtteils- bei Versicherungseinrichtungen durch zustehenden gesetzlichen Erbrechts. Die anspruch zwischen den Ehegatten bzw. Art. 78 VVG bereits heute, wird nun neben dieser Nutzniessung verfügbare Partnern erst mit Rechtskraft des Schei- jedoch auf die gebundene Selbstvorsorge Quote beträgt heute ein Viertel des dungs- bzw. Auflösungsurteils, was u.U. in Bankstiftungen ausgeweitet und im Nachlasses (Art. 473 Abs. 2 ZGB). Diese Anlass zu taktischem Hinauszögern des BVG formell geregelt. verfügbare Quote soll nun gemäss revi- Scheidungs- bzw. Auslösungsverfahrens diertem Recht in Zusammenhang mit der geben könnte. Künftig kann ein Ehegatte Pflichtteilsreduktion der Nachkommen Schenkungsverbot bei Unvereinbarkeit bzw. eingetragener Partner seinen auf die Hälfte des Nachlasses erhöht mit Erbvertrag Pflichtteil unter gewissen Voraussetzun- werden (Art. 473 Abs. 2 nZGB). Unter gen und vorbehaltlich abweichender Unter aktuellem Recht statuiert Art. 494 neuem Recht können eingetragene Anordnungen bereits während des Abs. 3 ZGB für den im Erbvertag Begüns- Partner wie Ehegatten mittels Nutznie- Scheidungs- oder Auflösungsverfahrens tigten lediglich eine Anfechtungsmöglich- ssung am gesamten Erbanteil der nicht mehr geltend machen. Konkret ver- keit von Verfügungen von Todes wegen gemeinsamen Nachkommen (infolge liert der überlebende Ehegatte bzw. und Zuwendungen unter Lebenden bzw. Stiefkindadoption; Art. 264c Abs. 1 Ziff. 2 überlebende Partner gemäss Art. 472 Schenkungen, welche nicht mit den aus ZGB), einschliesslich deren Pflichtteile, Abs. 1 nZGB seinen Pflichtteilsanspruch, einem Erbvertrag hervorgehenden begünstigt werden. wenn im Tod des Erblassers ein Schei- Verpflichtungen des Erblassers vereinbar dungs- bzw. Auflösungsverfahren hängig sind. Nach dem neuen Wortlaut der Gebundene Selbstvorsorge ist und i) das Verfahren auf gemeinsames Bestimmung können die Verfügungen (Bankstiftung für Säule 3a) Begehren eingeleitet oder nach den von Todes wegen und die unentgeltlichen Vorschriften über die Scheidung auf Der neue Art. 476 Abs. 2 nZGB stellt klar, Zuwendungen unter Lebenden der Erb- gemeinsames Begehren fortgesetzt dass Guthaben der gebundenen Selbst- lasserin oder des Erblassers (nach deren wurde (vgl. Art. 111 f. ZGB; Art. 29 PartG); vorsorge bei einer Bankstiftung (Säule bzw. dessen Tod) angefochten werden, oder ii) die Ehegatten mindestens zwei 3a) nicht in den Nachlass fallen, aber für wenn kumulativ i) die Verfügungen und Jahre getrennt gelebt haben. In einem die Pflichtteilsberechnung zum Vermögen Zuwendungen mit den Verpflichtungen solchen Fall gelten die Pflichtteile, wie des Erblassers hinzugerechnet werden. aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, wenn der Erblasser nicht verheiratet Bei Versicherungslösungen der Säule 3a d.h. erbvertraglich vereinbarte Begünsti- gewesen wäre (Art. 472 Abs. 2 nZGB). wird bereits heute der Rückkaufswert zur gungen schmälern, und ii) sie im Erbver- Pflichtteilsberechnungsmasse hinzuge- trag nicht vorbehalten worden sind Zu berücksichtigen ist, dass diese zählt (Art. 476 ZGB). (Art. 494 Abs. 3 nZGB). Damit sollen gesetzliche Neuerung nur für den Pflicht- Schenkungen, die über Gelegenheitsge- teilsanspruch gilt, während das gesetzli- Nebst der Anpassung der erbrechtlichen schenke hinausgehen, grundsätzlich che Erbrecht des überlebenden Ehegat- Bestimmungen wird auch Art. 82 BVG anfechtbar werden. ten bzw. eingetragenen Partners auch systematisch angepasst. In Art. 82 Abs. 3 während eines eingeleiteten Scheidungs- nBVG wird neu festgehalten, dass Anord- Klare Herabsetzungsreihenfolge bzw. Auflösungsverfahrens davon nicht nungen über die Änderung der Reihenfol- tangiert wird. Wurde keine erblasserische ge der Begünstigten der gebundenen Der neu formulierte Art. 532 nZGB Verfügung vorgenommen, wird der über- Selbstvorsorge ab dem Inkrafttreten schafft Klarheit in Bezug auf die Reihen- lebende Ehegatte bzw. eingetragene fortwährend schriftlich zu erfolgen folge der Herabsetzbarkeit der einzelnen Partner nach seinem gesetzlichen Erban- haben. Weiter bedeutend ist die Änderung erblasserischen Zuwendungen, die gegen teil begünstigt, solange kein rechtskräfti- in Art. 82 Abs. 4 nBVG für aus gebundener das Pflichtteilsrecht verletzen. So unter- ges Scheidungs- bzw. Auflösungsurteil Selbstvorsorge Begünstigte, wie auch für liegen gemäss Art. 532 Abs. 1 nZGB in gefällt worden ist. die Erbengemeinschaft. So wird festgelegt, erster Linie Erwerbungen infolge gesetz- 3
Newsletter Nr. 152 Mai 2021 licher Erfolge der Herabsetzung, gesetzliche Unterstützungsanspruch Lebzeiten statuiert wird, falls diese mit anschliessend Zuwendungen aus Verfü- zugunsten des faktischen Lebenspart- dem Erbvertrag unvereinbar sind. Auch gungen von Todes wegen und, sofern bis ners nicht mehrheitsfähig und hat daher hier gilt es Klarheit zu schaffen und dahin die Pflichtteile nicht hergestellt keinen Eingang in die aktuelle Erbrechts- allenfalls die Erbverträge insofern anzu- werden können, noch Zuwendungen revision gefunden. passen, dass dem Erblasser zumindest unter Lebenden. Diese Zuwendungen in einem gewissen Umfang das Recht unter Lebenden werden anschliessend in Übergangsbestimmungen und eingeräumt wird, zu Lebzeiten Zuwen- Art. 532 Abs. 2 nZGB weiter in ihrer Handlungsempfehlungen dungen auszurichten. Bei der Redaktion Herabsetzungsreihenfolge gegliedert. von Ehe- und Erbverträgen gilt es sodann Für die aktuelle Erbrechtsrevision ist kein Sodann werden als erste Zuwendungen genau zu prüfen, inwiefern dem Wegfall eigentliches Übergangsrecht vorgesehen. unter Lebenden diejenigen Zuwendungen des Pflichtteilsanspruchs und/oder Stattdessen gilt das Todestagprinzip (vgl. aus Ehe- und Vermögensvertrag Erbteils während des Scheidungsverfah- Art. 15 und 16 SchlT ZGB), womit jenes herabgesetzt, welche der Hinzurechnung rens Rechnung getragen wird. Auf jeden Recht anwendbar ist, das im Zeitpunkt unterliegen. Als zweites sind frei wider- Fall sind letztwillige Verfügungen und des Todes des Erblassers gilt. Auf Erbfäl- rufliche Zuwendungen und Leistungen Eheverträge derart abzufassen, dass sie le ab dem 1. Januar 2023 wird somit das aus gebundener Selbstvorsorge herab- sowohl im Falle des Todes vor als auch neue Erbrecht anwendbar sein. setzbar, dies in gleichem Verhältnis bei im Fall des Todes nach dem Datum des allen durch diese Kategorie der Zuwen- Inkrafttretens das angestrebte Ziel best- In Anbetracht des baldigen Inkrafttretens dungen Begünstigten. Als letztes erfolgt möglich erreichen. des revidierten Erbrechts, empfiehlt es eine Herabsetzung aller weiteren sich, bestehende letztwillige Verfügun- Zuwendungen unter Lebenden, wobei – gen und Eheverträge bereits heute einer Der Walder Wyss Newsletter kommentiert neue Entwick- wie unter aktuellem Recht – jene Zuwen- Überprüfung und allenfalls Anpassung an lungen und wichtige Themen des Schweizer Rechts. Die dung, die näher am Todeszeitpunkt liegt, darin enthaltenen Informationen und Kommentare stellen das neue Recht zu unterziehen, um uner- zuerst herabgesetzt wird. keine rechtliche Beratung dar, und die erfolgten Ausfüh- wünschte Ergebnisse zu vermeiden. rungen sollten nicht ohne spezifische rechtliche Beratung Überhälftige Vorschlagszuweisung Insbesondere für Unternehmer kann es zum Anlass für Handlungen genommen werden. sinnvoll sein, im Rahmen der grösseren © Walder Wyss AG, Zürich, 2021 Die Ehegatten bzw. eingetragenen Part- Dispositionsfreiheit unter dem neuen ner können im Rahmen von Ehe- bzw. Recht mit Verfügungen von Todes wegen Vermögensverträgen für den Todesfall Anordnungen über ihr Vermögen zu eines Ehegatten oder eingetragenen Fussnoten treffen. Hat sodann ein Erblasser seine Partners eine überhälftige Vorschlagsbe- Nachkommen (oder einen Nachkommen) 1,2 Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilge- teiligung bis hin zur gesamten Errungen- auf den Pflichtteil gesetzt, ohne die setzbuches (Erbrecht), BBl 2018 5813, S. 5833 ff. schaft des anderen vereinbaren. Die genaue Quote zu nennen, so gilt es im geplante Regelung, wonach ein vertrag- Sinne der Rechtssicherheit klarzustellen, lich vereinbarter überhälftiger Vorschlag ob sich gemäss Erblasserwille die Quote zugunsten des überlebenden Ehegatten des Pflichtteils nach altem Recht oder bei der Berechnung der Pflichtteile nach dem neuen Recht (tiefere Quote) berücksichtigt werden soll, hat keinen bemisst. Ohne eine solche Ergänzung Eingang in den neuen Gesetzestext könnte ein Pflichtteilserbe gestützt auf gefunden, so dass jener Teil, welcher die Auslegungsregeln argumentieren, dem anderen Ehegatten bzw. Partner dass der Erblasser eine weitere quoten- durch Vereinbarung überhälftig zugewie- mässige Reduktion nicht gewollt hat und sen wird, nicht für die Pflichtteilsberech- sich die Pflichtteilsquote daher nicht nach nung berücksichtigt wird (Art. 216 Abs. 2 dem neuen Recht bestimmt. Das gleiche nZGB). Die damit geschaffene Rechtsklar- gilt, wenn der Erblasser dem Ehegatten heit ist zu begrüssen. die Nutzniessung (Art. 473 ZGB) zugewie- sen hat und über die freie Quote (1/4) Kein Unterstützungsanspruch verfügt hat. Neu wird die freie Quote ½ zugunsten der faktischen Lebenspartner betragen. Des Weiteren gilt zu beachten, Entgegen dem ursprünglichen Entwurf dass neu für den Erblasser ein Schen- des Bundesrates2 war der vorgesehene kungsverbot bezüglich Zuwendungen zu 4
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