"Akzeptanz und Skepsis" - über unsere Chancen bei kritisch ablehnenden Bewohner*innen - Gerald Gatterer - Stadt Salzburg

Die Seite wird erstellt Stefan-Nikolas Heil
 
WEITER LESEN
"Akzeptanz und Skepsis" - über unsere Chancen bei kritisch ablehnenden Bewohner*innen - Gerald Gatterer - Stadt Salzburg
„Akzeptanz und Skepsis“ – über
      unsere Chancen bei
     kritisch ablehnenden
       Bewohner*innen

         Gerald Gatterer

            (c) Gerald Gatterer 2021
Warum kommen Menschen mit
    (psychischen) Erkrankungen in die
         Behandlung/Betreuung?
• Eigener Wunsch infolge Leidensdruck
• Um Unterstützung zu bekommen
• Auf Anraten anderer Personen
• Wegen Selbst- und/oder Fremdgefährdung
• Wegen fehlender alternativer Behandlungs-
  bzw. Betreuungsformen
• Sozialer Indikation
• Eine Kombination aus allem
                  (c) Gerald Gatterer 2021
Der Mensch im Betreuungssystem der
          Altenbetreuung?
                                     Mensch

  Bedarf         Defizit            Problem                      Ressourcen       Bedürfnis

                                      Hilfe

         Stationäre Betreuung                                  Ambulante Betreuung

               Patient                                                Rolle?

Bedarf        Krankheit         Bedürfnis              Bedarf        Krankheit?         Bedürfnis

              Diagnose                                               Diagnose?

             Behandlung           Bedürfnis?                        Behandlung?        Bedürfnis?

                                    (c) Gerald Gatterer 2021
                           Compliance/Adhärenz oder Konflikte?
Wer ist der Mensch und wie sehen wir
                ihn?
• Kalendarischer Aspekt – tatsächliches Alter und die
  Konsequenzen (Ageism)
• Biologischer Aspekt –
  Gesundheit/Krankheit/Symptome
• Psychologischer Aspekt – eigene Werte, Normen,
  Rollen, Bedürfnisse, Erwartungen,…
• Sozialer Aspekt – Werte, Normen, Rollen, Erwartungen
  … in der Gesellschaft
• Kontext – Objektive Bedingungen des
  Lebensraumes/Umfeldes der Person
• Systemischer Aspekt – Zusammenspiel aller Faktoren
  innerhalb der Person und in Interaktion mit Anderen
                      (c) Gerald Gatterer 2021
Aspekte des Verhaltens von Menschen
                               Biologische Faktoren
                                   und Prozesse

Psychologische Faktoren       Verhalten in einer                Soziale Faktoren
     und Prozesse                                                 und Prozesse
                                  Situation

                                  Kontextvariablen/
                                 Umgebungsfaktoren
                                                        Diese müssen wir bei uns
80 bis 90% des Verhaltens                               und Anderen beachten wenn
sind automatisierte Skripts        © G. Gatterer 2020
                                                        wir behandeln oder betreuen
Krisen- das Problem unterschiedlicher
                „Welten“
Die Sicht der Betroffenen           Die Sicht der Betreuer*innen

 •   Betreuungsnotwendigkeit/Indikation
 •   Art der Betreuung
 •   Bedarf/Bedürfnisse
 •   Rollen
 •   Risiko/Gefahr/Gesetze/Organisation
 •   Ziele
 •   Normalitätskonzepte
 •   ………………………………
                        (c) Gerald Gatterer 2021
Bedürfnisorientierung
•   Was sind Bedürfnisse? Was ist Bedarf?
•   Wessen Bedürfnisse sind es?
•   Wer definiert sie?
•   Wann sind sie erlaubt?
•   Wann stören sie oder sind gefährlich?
    (pathologisch?)
•   Warum stören sie?
•   Wen stören sie?
•   Was ist Lösung?
•   Für wen ist es die Lösung?
                    (c) Gerald Gatterer 2021
Bedarf versus Bedürfnisse
• Bedarf ist „objektiv“ sichtbare und
  notwendige Abdeckung eines Mangels
• Meist orientiert an einem Grundbedürfnis
• Abhängig von Kultur
• Bedürfnis ist der „subjektive“ Wunsch den
  Bedarf „positiv“ abzudecken.
• Daraus ergeben sich die entsprechenden
  Handlungen der „Befriedigung“
                   (c) Gerald Gatterer 2021
Bedürfnisse nach Maslow (mod.)
     Bedürfnisse Mensch mit                                Bedürfnisse der
           Krankheit                                Behandler*innen hinsichtlich
                                                      der Ziele der Behandlung

            Transzendenz                                      Transzendenz

       Selbstverwirklichung                              Selbstverwirklichung

       Ästhetische Bedürfnisse                          Ästhetische Bedürfnisse

       Kognitive Bedürfnisse                             Kognitive Bedürfnisse

        Individualbedürfnisse                             Individualbedürfnisse

         Soziale Bedürfnisse                               Soziale Bedürfnisse

        Sicherheitsbedürfnisse                            Sicherheitsbedürfnisse

 Physiologische Grundbedürfnisse                   Physiologische Grundbedürfnisse

                                   (c) Gerald Gatterer 2021
Bedürfnisse nach Grawe
                                                   •      Orientierung und Kontrolle: Je nach
                                                          individueller Erfahrung (v.a.in der frühen
                                                          Kindheit) entwickelt der Mensch
•   Selbstwerterhöhung: Das Bedürfnis,                    Grundüberzeugungen darüber, inwieweit
    sich selber als gut, kompetent,                       das Leben Sinn macht, ob
    wertvoll und von anderen geliebt zu
                                                          Voraussehbarkeit und
    fühlen. Zur Bildung eines guten
    Selbstwertgefühls braucht es eine                     Kontrollmöglichkeiten bestehen, ob es
    entsprechende Umgebung, die                           sich lohnt, sich einzusetzen und zu
    wertschätzend ist und dem anderen                     engagieren u.ä. Das Kontrollbedürfnis wird
    etwas zutraut, ihn unterstützt.                       befriedigt durch möglichst viele
•   Bindung; Das Angewiesen-Sein des                      Handlungsalternativen (großer
    Menschen auf Mitmenschen; das                         Handlungsspielraum).
    Bedürfnis nach Nähe zu einer                    • Lustbedürfnis/Unlustvermeidung: Das
    Bezugsperson. Je nach Erfahrungen                     Bestreben, erfreuliche, lustvolle
    mit sog. Primären Bezugspersonen                      Erfahrungen herbeizuführen und
    (Verfügbarkeit,
    Einfühlungsvermögen) entwickelt ein                   schmerzhafte, unangenehme Erfahrungen
    Mensch ein bestimmtes                                 zu vermeiden (positive Lust-
    Bindungsmuster. In einer ‚guten‘                      /Unlustbilanz). Je nach Erfahrungen in der
    Bindung sind die Bezugspersonen ein                   Kindheit wird ein Mensch die Umgebung
    immer erreichbarer Zufluchtsort,                      eher als Quelle von positiven oder von
    bieten Schutz, Sicherheit, Trost, es                  negativen Erfahrungen sehen, es
    entwickelt sich ein ‚Urvertrauen‘.                    entwickelt sich eher eine optimistische
                                                          oder eher eine pessimistische
                                     (c) Gerald Gatterer 2021
                                                          Lebenseinstellung.
Bedarf und Bedürfnisse von psychisch
      kranken Menschen und deren
            Behandler*innen
„Betroffene“                         „Behandler*innen“
• Ruhe                               • Aktivierung
• Freiheit/Selbstbestimmung          • Sicherheit
• Individualität                     • Struktur
• Akzeptanz des „Anders“             • „Normalität“
  seins
• Bedürfnisorientierung              •     „Gesetzesorientierung“
                                     •     „Suchtbehandlung“
• Genussorientierung
                                     •     Therapeutisches Setting
• Beziehung/geliebt werden
                                     •     Therapieprogramme
• Freizeit

                       (c) Gerald Gatterer 2021
In welcher Rolle sehe ich ältere
      (kranke) Menschen und mich?
Der/Die                      Ich der/die
• Alte?                      • Junge
• Demente?                   • Gescheite
• Kranke?                    • Gesunde
• Patient*in?                • Betreuer*in
• Mann/Frau?                 • Mann/Frau
• Kind?                      • Mutter/Vater
• Störende?                  • Arme
• Unwillige?                 • Helfer
• Blöde?                     • Wissende
• Mensch?                    • Mensch
• Kunde? ………                 • Dienstleister

                  (c) Gatterer 2019
Beziehungsgestaltung in der
          Behandlung/Betreuung
  Welchen Bedarf und welche Bedürfnisse deckt Therapie ab?
  In welcher Rolle sind wir in der therapeutischen Beziehung?
Wie geht es uns emotional mit der therap. Beziehung (Gefühle)?

      Ich1             Funktion?                    Ich2

Warum will Patient*in die Beziehung? Was braucht sie/er?
Was fehlt? Was kann er/sie nicht selber? …….

Daran orientiert sich auch therapeutische Beziehung!
                         (c) Gerald Gatterer 2021
Beziehungsmuster (Gatterer,2021)
•   Funktionale Beziehung (z.B. kriege Hilfe; gebe Hilfe)
•   Bindungsorientierte Beziehung (z.B. habe Menschen lieb)
•   Austauschbeziehung (z.B. Kosten/Nutzen)
•   Rollen-/Aufgabenorientierte Beziehung (z.B. was ist
    wessen Aufgabe und Rolle)
•   Emotionsorientierte Beziehung (z.B. wie muss man
    emotional sein)
•   Ich-orientierte Beziehung (z.B. nur meines ist in Beziehung
    wichtig)
•   Dependente Beziehung (z.B. nicht allein sein)
•   Objektbeziehung (ohne emotionale Nähe)

• Therapeutische Beziehungen haben oft mehrere Komponenten!
Normalitätskonzepte als Grundlage der
              Therapie
• Biologische/medizinische Norm:
  „Krankenbehandlung“
• Statistische Norm: Integration in den
  „Durchschnitt“ der Bevölkerung
• Soziale Norm: Anpassung an die sozialen
  Normen und Gesetze
• Individuelle Norm: Sicht Betroffene und der
  Betreuer*innen was ein „gutes und richtiges
  und glückliches“ Leben ist.
                   (c) Gerald Gatterer 2021
Probleme
• Diese Ziele decken sich oft nicht mit den
  Bedürfnissen der Patient*innen
• Das Krankheitsbild verhindert diese
  Zielerreichung
• Die Ziele der Patient*innen sind Andere
• Menschen werden immer „individueller“ und
  die Definition von „Pathologie“ wird
  schwieriger vgl. ICD-11
  Persönlichkeitsstörungen
                 (c) Gerald Gatterer 2021
Konsequenzen für die Behandlung
• Definition neuer „Therapieziele“
• Akzeptanz von Individualität
• Akzeptanz des Risikos, dass ein Mensch stirbt
• Individuelle Lösungsstrategien
• Reflexion der eigenen emotionalen Anteile bei
  Konflikten
• Neue Betreuungsstrukturen (z.B. niederschwellig,
  aufsuchend, begleitend)
• Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen

                    (c) Gerald Gatterer 2021
Vorgehen
• Was konkret (objektiv) ist passiert?
• Warum ergibt sich daraus eine
  „Betreuungsnotwendigkeit“?
• Wer definiert sie? Wer leidet?
• Welche Gefahr ist gegeben?
• Welche Ziele sollen wie erreicht werden?
• Wer definiert diese?
• In welchen Rollen sind die dabei Beteiligten?
• Was ist dann besser und für wen?
• Wer ist dann glücklich?
                     (c) Gerald Gatterer 2021
Palliative Aspekte bei einigen
         spezifischen Gruppen
• Menschen mit Demenz: Lebensqualität oft
  wichtiger als „Gesundheit“
• Menschen mit Schizophrene : Begleitung und
  Basisversorgung
• Menschen mit Sucht: Überleben sichern mit
  Sucht
• Menschen mit Persönlichkeitsstörungen:
  Akzeptanz der „Individualität“ auch wenn
  Risiko für Leben
                  (c) Gerald Gatterer 2021
Abschließende Bemerkungen
• Die multiprofessionelle Behandlung von
  Menschen mit psychischen Krankheiten ist meist
  auf eine Besserung des Krankheitsbildes
  ausgerichtet.
• Es gibt jedoch Menschen, deren Ziele aufgrund
  ihrer Krankheit und Persönlichkeit deutlich davon
  abweichen
• Hier benötigt es neue Konzepte, die diese
  Individualität der Menschen berücksichtigen
• Voraussetzung hierfür ist jedoch eine rechtliche
  Absicherung
                     (c) Gerald Gatterer 2021
Vielen Dank für ihre
          Aufmerksamkeit!
Adresse des Autors:
Univ. Doz. Dr. Gerald Gatterer
Therapiezentrum Ybbs-
Stabsstelle Psychosoziales Management und
Leiter des Instituts für Alternsforschung an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien
E-Mail: gerald@gatterer.at                 (c) Gerald Gatterer 2021
Literatur
• Gatterer G & Croy A (2020) Leben mit Demenz. 2.
  Auflage. Springer, Wien
• Gatterer G (2021) Erstellung eines Fragebogens zur
  Erfassung von Beziehungsstilen/-typen https://institut-
  avm.at/wp-content/uploads/2021/04/gatterer-g-
  erstellung-eines-fragebogens-zur-erfassung-von-
  beziehungsstilen-typen.pdf
• Gatterer G (2018) Demenzerkrankte in der Krise.
  Möglichkeiten der Deeskalation. In: ÖGERN (Hrsg.)
  Psychiatrische Notfälle im Spannungsfeld zwischen
  Freiheit und Sicherheit.Schriftreihe Ethik und Recht in
  der Notfallmedizin. Bd.5. 107-116.

                       (c) Gerald Gatterer 2021
Sie können auch lesen