Anhang 2: Adaptiver Einsatz von Handwerk und von Darstellungen von Christof Weber - FHNW
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Erschienen als: Weber, C. (2020). Adaptiver Einsatz von Handwerk und Darstellungen, Anhang 2 zur Handreichung Konkretisierung des Rahmenlehrplan-Anhangs, Zürich: Mittelschul- und Berufsbildungsamt. Anhang 2: Adaptiver Einsatz von Handwerk und von Darstellungen von Christof Weber Dieser Anhang ergänzt das Dokument „Handreichung Konkretisierung des Rahmen- lehrplan-Anhangs“ (Kanton Zürich, Mittelschul- und Berufsbildungsamt, 2020) für die Gymnasien des Kantons Zürich. Er zeigt an Aufgaben, was es heisst, über diejeni- gen mathematischen Kompetenzen zu verfügen, die basal für die allgemeine Studier- fähigkeit sind (Eberle et al. 2015). Zur Erinnerung: In der Studie wurden unterschiedliche Anforderungsbereiche rekon- struiert, die von verschiedenen Studiengängen vorausgesetzt werden (der Einsatz von Handwerk, die Verwendung von Darstellungen sowie das Herstellen von Bezie- hungen zwischen Begriffen). Die damit verbundenen Kompetenzen wurden im Kon- zept der Adaptivität zusammengefasst (ebda., S. 58–61, 74–75).1 Deshalb wird im Folgenden aufgezeigt, was es bedeutet, Handwerk adaptiv einzu- setzen und Darstellungen adaptiv zu verwenden. Alle dabei diskutierten Aufgaben beziehen sich auf curriculare Inhalte aus basalen Themenbereichen (ebda., S. 68– 70). 1 Erläuterungen und Aufgaben zu einem adaptiven Einsatz von Handwerk2 Rund um den Anspruch, Maturandinnen und Maturanden müssten Handwerk adaptiv einsetzen können, stellen sich viele Fragen, zum Beispiel: · Wie äussert sich Adaptivität beim Lösen einer Mathematikaufgabe, zum Beispiel in einer Prüfung? · Mit welchen Übungsaufgaben kann das Ziel der Adaptivität im Unterricht erreicht werden? Deshalb werden im ersten Abschnitt zuerst der theoretische Hintergrund von adapti- vem Handwerk vorgestellt. Der zweite Abschnitt stellt einige Mathematikaufgaben zum Erlernen und Überprüfen eines adaptiven Handwerks vor. (Star et al. 2019) 1.1 Handwerk adaptiv einsetzen – unabdingbar für allgemeine Studierfähigkeit Mathematische Aufgaben werden gelöst, indem verschiedene handwerkliche Tech- niken (Kopfrechnen, algebraische Umformungen, Formeln, Verfahren, etc.) einge- setzt werden, so genanntes Handwerk. Bei einem Einsatz von mathematischem Handwerk, der adaptiv ist, geht es nicht darum, irgendein Handwerk korrekt auszu- führen, um eine Aufgabe zu lösen. Ein adaptiver Einsatz von Handwerk bedeutet, für die Bearbeitung einer Aufgabe ein möglichst angemessenes Handwerk zu wählen, ein Handwerk also, dank dem der Lösungsprozess so einfach wie möglich wird, und zwar aus fachlicher Sicht (geringe Anzahl Schritte, Reduktion der Fehleranfälligkeit, etc.), nicht aus der subjektiven Sicht einer Person (Vorlieben, Sicherheit, etc.). Dazu 1 Im Bericht wird – wie auch in mancher Forschungsliteratur – der Begriff der „Adaptivität“ gleichbe- deutend mit dem der „Flexibilität“ verwendet (Eberle et al., 2015, S. 59). Der Einfachheit halber wird im vorliegenden Anhang nur der Begriff der Adaptivität verwendet. 2 Das erste Kapitel dieses Anhangs geht auf einen gemeinsamen Vortrag mit Christian Rüede an der Bildungsmesse „SwissDidac Bern“ (7.11.2018) zurück.
muss sie im Vorfeld die spezifischen Besonderheiten der Aufgabe (Eigenschaften der Zahlen und Operationen, Beziehungen zwischen den Termen etc.) bestimmen. Erst dies ermöglicht ihr, ein der Aufgabe angemessenes Handwerk zu wählen – was seinerseits die korrekte und zügige Ausführung des Handwerks erleichtert. Mathematische Expertinnen und Experten arbeiten grundsätzlich adaptiv, ohne dass sie sich die jeweils verschiedenen Alternativen bewusst machen und gegeneinander abwägen würden. Werden sie jedoch gefragt, warum sie so (und nicht anders) vor- gegangen sind, können sie dies erklären und begründen. Dementsprechend müssen, etwa um Terme adaptiv umformen oder Gleichungen adaptiv lösen zu können, zwei Formen von Wissen vorhanden sein (Rüede & Staub 2019): 1. Das Wissen, die Umformungsregeln und -gesetze sowie das Lösungsverfahren möglichst einfach auszuführen, das heisst sie nicht nur korrekt, sondern auch zü- gig auszuführen (sog. automatisierte Ausführung);3 2. Die Umformungsregeln und -gesetze sowie das Lösungsverfahren zu verstehen, das heisst das Wissen, nicht nur die Korrektheit einzelner Umformungsschritte zu begründen, sondern auch die Vor- und Nachteile eines gewählten Verfahrens ge- genüber alternativen Verfahren anzugeben.4 Es ist zu betonen, dass beide Wissensformen notwendig sind, um eine gegebene Mathematikaufgabe adaptiv lösen zu können, das heisst um ein Verfahren auszu- wählen, dank dem die Aufgabe möglichst einfach zu lösen (und das Verfahren weni- ger fehleranfällig!) wird, und dieses effizient auszuführen: „Erst wenn Verfahren au- tomatisiert sind und verstanden werden, wird adaptives Handeln wahrscheinlich: Zur Bearbeitung einer gegebenen Aufgabe kann ein möglichst geeignetes Verfahren auswählt und ausgeführt werden.“ (Rüede & Staub 2019, S. 191, Hervorhebung dort) Wie empirische Studien nahelegen, beeinflusst das Unterrichten der einen der bei- den genannten Wissensformen immer auch die jeweils andere. Dies deutet darauf hin, dass die beiden Wissenformen mehr oder weniger iterativ erlernt werden (Stern et al. 2006, Rittle-Johnson 2017). So kann die automatisierte Ausführung eines Ver- fahrens prinzipiell nicht unterrichtet werden, ohne dass nicht auch das Verstehen dieses Verfahrens ein Thema wäre – und sei es auch nur in den Köpfen der Schüle- rinnen und Schüler, die sich ihren (zumindest individuellen) Reim auf das Verfahren und dessen Schritte machen. Dies im Unterricht zu ignorieren und beispielsweise stundenlang die automatisierte Ausführung eines Verfahrens an immer gleichartigen Aufgaben einzuüben, bevor dann in der Lektion vor der Prüfung einige Aufgaben zu dessen Verstehen angegangen werden, könnte zur Folge haben, dass nicht nur die automatisierte Ausführung „sitzt“, sondern unweigerlich auch alle Fehlvorstellungen und Misskonzepte, die die Schülerinnen und Schüler im Lernprozess aufgebaut ha- ben. Umgekehrt scheint das Verstehen eines Verfahrens (im obigen Sinne) auch dessen Erlernen sowie das korrekte und zügige Ausführung zu erleichtern. Damit profitieren gerade auch schwächere Schülerinnen und Schüler, wenn der Mathema- tikunterricht beide Wissensformen thematisiert und explizit macht. Um Handwerk adaptiv einsetzen zu lernen, ist es folglich entscheidend, dass Aufga- benserien nicht nur Aufgaben zum Aufbau von Automatisierung, sondern immer auch 3 Umformungsgesetze betreffen die Gleichheit von Termen (zum Beispiel das Kommutativgesetz der Addition, a + b = b + a), Umformungsregeln die Äquivalenz von Gleichungen (zum Beispiel A = B ↔ A + C = B + C) 4 Diese Unterscheidung entspricht der kognitionspsychologischen Unterscheidung zwischen proze- duralem und konzeptuellem Wissen (Rittle-Johnson & Star 2007, Rittle-Johnson 2017). – 2 / 20 –
Aufgaben zum Aufbau von Verstehen enthalten. Wie solche Aufgaben aussehen könnten, zeigt der folgende Abschnitt. 1.2 Prüfungs- und Übungsaufgaben zu einem adaptiven Einsatz von Handwerk Wie ein adaptiver Einsatz von Verfahren aussieht und wie man adaptives Handeln von Schülerinnen und Schülern wahrscheinlich macht, wird nun anhand von Aufga- ben aus verschiedenen basalen Themenbereichen illustriert:5 · Zuerst wird jeweils eine Prüfungsaufgabe genannt. Alle Beispiele stammen aus der Anfangsphase von mündlichen Maturaprüfungen in Mathematik und waren vom Lehrer als kurze Einstiegsaufgabe in eine anspruchsvollere Maturaaufgabe konzipiert worden. Anhand der jeweiligen Aufgabe inklusive einer episodischen Schülerantwort wird gezeigt, was es heisst, ein bestimmtes Handwerk adaptiv ein- setzen zu können. Insbesondere wird dasjenige Wissen benannt, das dafür vo- rausgesetzt ist (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).6 · Im Anschluss daran werden einige mögliche Übungsaufgaben vorgestellt. Sie ver- deutlichen, wie das entsprechende Ziel im Unterricht erreicht werden könnte, wie also Aufgaben aussehen, die im Unterricht die Kompetenz der Adaptivität aufbau- en helfen. Ein erstes Aufgabenformat, das sich in empirischen Studien als beson- ders geeignet zum Aufbau von Adaptivität erwiesen hat, ist das Vergleichen von ausgearbeiteten Lösungswegen (Rittle-Johnson 2017, Rittle-Johnson & Star 2007, Star et al. 2019), ein zweites sind Selbsterklärungen, also Erklärungen, die Ler- nende entwickeln, um sich eine Lösung oder ein Verfahren zu erschliessen (Rittle- Johnson 2017, Stern et al. 2016). Beide Aufgabenformate thematisieren das Handwerk, selbst wenn das Ergebnis bereits bekannt ist: Sie machen explizit, was bei Mathematikaufgaben, bei denen nur das Ergebnis interessiert, stets der ein- zelnen Schülerin, dem einzelnen Schüler überlassen bleibt. Die beiden Aufgaben- formate lassen sich ohne weiteres auch kombinieren (Rach 2015). Aus diesem Grund fordern alle Übungsaufgaben zum Vergleichen und / oder zu Selbsterklä- rungen auf. Grundsätzlich sind aber auch Modifikationen und weitere Aufgaben- formate denkbar (siehe zum Beispiel Rathgeb-Schnierer 2011).7 Die folgenden Aufgaben thematisieren verschiedenes Handwerk aus den basalen Themenbereichen der Arithmetik, Algebra, Geometrie und Analysis: das Vereinfa- chen von Bruchtermen, das Lösen quadratischer Gleichungen, das Bestimmen der Distanz zwischen Punkten, das Skizzieren einer linearen Funktion und das Untersu- chen einer Hyperbel erster Ordnung. 5 Für weitere Beispiele sei auf den Bericht verwiesen (Eberle et al., 2015, S. 84–91). 6 Die Schülerantworten stammen von Prüflingen einer leicht überdurchschnittlich starken Abschluss- klasse „Immersion Englisch“ eines Deutschschweizer Gymnasiums (über alle Fächer gesehen, 2018). Zwei Dinge fallen auf: 1. Die zitierten Schülerinnen und Schüler gehen nicht adaptiv vor, und ihr stattdessen gewähltes Standardvorgehen wird oft nicht korrekt durchgeführt. Zudem lösen sie die Prüfungsaufgaben nicht zügig, sondern benötigen dafür bis zu mehreren Minuten Zeit. 2. Die Schülerantworten sind keine Einzelfälle, sie traten bei weit über der Hälfte der Prüflinge auf. Nichtsdestotrotz haben alle Schülerinnen und Schüler der Klasse die Maturaprüfung bestanden und einen Maturaausweis erhalten. 7 Zumindest für das adaptive Lösen linearer Gleichungen scheint es am lernwirksamsten zu sein, wenn zwei ausgearbeitete und korrekte Lösungswege miteinander verglichen werden, die darüber hinaus nicht unter-, sondern nebeneinander stehen (Rittle-Johnson & Star 2007, Star et al. 2019). Ob dies auch für die adaptive Verwendung von anderem Handwerk die lernwirksamste Methode ist, ist eine offene Forschungsfrage. – 3 / 20 –
1.1.1 Themenbereich Arithmetik: Adaptives Vereinfachen eines Bruchterms Im Kontext einer mündlichen Maturaaufgabe (Wahrscheinlichkeitsrechnung) stellt ein 3 8 Schüler den Bruchterm auf. Damit bewegt er sich im basalen Themenbereich 8 Arithmetik (Eberle et al. 2015, S. 68). Der Schüler vereinfacht nun diesen Term, in- dem er ihn Schritt für Schritt ausrechnet: „8 hoch 3 ist 8 mal 8 mal 8, 8 mal 8 ergibt 64, 8 mal 64 ergibt (längere Pause) 480 plus 32, also 512, durch 8 ergibt (längere Pause) 400 durch 8 ergibt 50 und 112 durch 8 ergibt (längere Pause) 10 und 4, also insgesamt 50 plus 10 plus 4 gleich 64.“ Der Schüler interpretiert die Potenz im Zähler als Aufforderung, einen Wert zu berechnen, um diesen dann durch den Nenner zu teilen. Er erhält zwar das richtige Ergebnis, hat dafür aber bereits einige Prüfungszeit beansprucht. Im Rahmen einer fünfzehnminütigen Prüfung mag dies bloss unerfreulich sein. Hin- sichtlich der zu erreichenden allgemeinen Studierfähigkeit ist dies jedoch problema- tisch, muss von Schülerinnen und Schüler doch erwartet werden können, dass sie Bruchterme am Ende der Sekundarstufe 2 nicht mehr reflexartig Schritt für Schritt (von links nach rechts und von oben nach unten) abarbeiten, sondern zügig unter Zuhilfenahme von Potenzgesetzen – ein curricularer Inhalt des Gymnasiums – kür- zen. Damit stellt sich die Frage, welches Wissen Schülerinnen und Schüler automati- 3 8 siert und verstanden haben müssen, um einen Term wie adaptiv vereinfachen zu 8 können. Hierunter fällt folgendes: · Automatisiert sein muss, unmittelbar verschiedene Strukturen im Bruchterm zu erkennen, um nachfolgend das Vorgehen zum Vereinfachen von Termen zu pla- nen: Grundsätzlich kann jeder Term von links nach rechts abgearbeitet werden, um ihn zu vereinfachen. Um zu erkennen, dass hier ein anderes Verfahren ange- messener ist, müssen entsprechende Potenzgesetze (hier: 83 = 8 · 8 · 8) bekannt sein: Werden sie korrekt und zügig angewendet, vereinfacht sich der Bruchterm (zu 82 bzw. zu 8 · 8). · Verstanden sein muss, dass sich Potenzen (mit natürlichen Exponenten) als wie- derholte Multiplikationen auffassen lassen. Weiter muss der erwähnte Kürzungs- vorgang auf das Potenzgesetz zurückgeführt werden können, um das entspre- chende Vorgehen zu legitimieren. Terme vereinfachen heisst dann, Äquivalenz- umformungen und Rechengesetze heranzuziehen, um die Korrektheit des Kürz- vorgangs zu begründen. Dieses Wissen über Gesetze und Regeln ist nicht zuletzt deshalb nötig, weil es einem erlaubt, eigene Fehler zu erkennen und zu korrigie- ren und damit die korrekte Ausführung eines Verfahrens zu überwachen.8 Wie kann dieses Wissen im Unterricht aufgebaut werden? Wie bereits erwähnt, ge- lingt dieser Aufbau nicht, indem Beispiel um Beispiel desselben Aufgabentyps gelöst wird: Schülerinnen und Schüler, die im Laufe ihres Lebens viele entsprechende Auf- gaben gelöst haben, können Bruchterme (bestenfalls, vgl. die obige Episode) korrekt vereinfachen. Dass sie deswegen auch aufgabenspezifische Merkmale (wie eine gemeinsame Basis im Zähler und Nenner) erkennen und sich zu Nutze zu machen 8 Wird die Vereinfachung des Bruchs mit der Aussage „Eine 8 im Zähler und die 8 im Nenner lö- schen sich gegenseitig aus“ erklärt, wird der Blick nur auf das Manipulation von Zeichen gelenkt. Die Garantie für die Korrektheit dieses Vorgehens gibt jedoch erst ein mathematisches Gesetz (was sich auch im Sprachgebrauch äussert, Star et al. 2019, S. 18). – 4 / 20 –
würden, um einen Term adaptiv zu vereinfachen (wodurch die Lösung weniger feh- leranfällig wird!), ist nicht zu erwarten. Zudem haben sie nicht gelernt, sich selbst zu korrigieren, weil sie kein Verstehen des Verfahrens erworben haben (in Form von Begründungen), an dem sie sich bei der Ausführung des Verfahrens orientieren kön- nen. In Anlehnung an das Aufgabenformat des Vergleichens vorgegebener Lösungswege, das zu einem adaptiven Lösen von Gleichungen führt (Rittle-Johnson & Star 2007, Rüede & Staub 2019), können hier einige der grundsätzlich möglichen Vorgehens- weisen für das Vereinfachen von Bruchtermen vorgegeben werden, um dann anzu- regen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu suchen. Eine entsprechende Übungsaufgabe sähe dann wie folgt aus: 3 8 a) Der Term kann unterschiedlich vereinfacht werden: 8 Vorgehen 1 Vorgehen 2 3 3 8 8 = = 8 8 (1) 8 ⋅ 8 ⋅ 8 (5) 3 8 = = = = 8 1 8 (2) 64 ⋅ 8 (6) = = = 83–1 = 8 (7) (3) 512 = 82 = = = 8 (8) (4) = 64 = 512 : 8 = 64 3 8 Markiere im Term , was jemand in ihm sieht, der das Vorgehen 1 wählt bzw. 8 jemand, der das Vorgehen 2 wählt (durch Klammern, Pfeile, Farben etc.). b) Weshalb ist die Umformung (6) korrekt? c) Vergleiche die beiden Vorgehensweisen miteinander: Welches Vorgehen ist ein- facher? Warum? d) Erfinde einen Term, bei dem Du das erste Vorgehen wählen würdest. Erfinde ei- nen Term, bei dem Du das zweite Vorgehen wählen würdest. Begründe! Das erste Vorgehen fokussiert auf Produkte, während das zweite Vorgehen auf Po- tenzen und Gemeinsamkeiten von Zähler und Nenner fokussiert. In der Aufgabe geht es also um unterschiedliche Strukturierungen mit den sich daraus ergebenden Vor- gehensweisen, weniger um das Ergebnis. Vorgehen 1 funktioniert auch, wenn im Zähler und Nenner keine gemeinsamen Faktoren auftreten, insofern ist es allge- meingültiger als Vorgehen 2. Entsprechend verlangt Teilaufgabe a), den vorgelegten Bruchterm so zu strukturieren, dass das jeweilige Vorgehen daran anschliesst. Teil- aufgaben c) und d) fordern dazu auf, die beiden Vorgehensweise hinsichtlich ihrer Einfachheit zu vergleichen. Und Teilaufgabe b) fordert auf zu einer Selbsterklärung, – 5 / 20 –
der Begründung des zentralen Umformungsschritts im zweiten Vorgehen. Aus Studien zur Primarschul-Arithmetik ist ein Aufgabenformat bekannt, das eben- falls Selbsterklärungen einfordert, um ein weiteres adaptives Handwerk zu fördern, das flexible Rechnen. Dabei sollen Schülerinnen und Schüler aus „schweren (Re- chen-)Aufgaben leichte machen, bei denen dasselbe herauskommt“ (Rathgeb- Schnierer 2011, 43) und erklären, wie sie dabei vorgegangen sind. Dieses Aufgaben- format könnte auch der Kompetenz des adaptiven Termumformens zuträglich sein. Dazu werden Schülerinnen und Schüler aufgefordert, aus einem „schweren Term einen leichten“ Term machen, also einen gegebenen Term so in einen äquivalenten Term umzuformen (noch ohne zu vereinfachen), dass dieser im Folgenden leichter vereinfacht werden kann, um zum Ergebnis zu gelangen. Auch hier geht es weniger um das Ergebnis als darum, ein Bewusstsein für die Schwierigkeit von Termen zu entwickeln, mit dessen Hilfe entschieden werden kann, welche Terme mit Blick auf den weiteren Vereinfachungsprozess besonders vorteilhaft sind. Eine entsprechende Aufgabe könnte wie folgt aussehen: 3 8 a) Forme in einen einfacheren Term um (ohne das Ergebnis zu bestimmen). 8 b) Erkläre, wie du vorgegangen bist (durch Worte, Klammern, Pfeile etc.). 3 3 8 8 c) Begründe, warum dein Term gleich ist und inwiefern er einfacher ist als . 8 8 8⋅8⋅8 Unter a) sind verschiedene gleichwertige Terme zu produzieren (zum Beispiel , 8 3 8 1 , 8 · 8 · 8 : 8 etc.) , um dann zu entscheiden, welcher dieser Terme so einfach ist, 8 dass dessen Wert ohne grossen weiteren Rechenaufwand bestimmt werden kann (z.B. im Kopf). Teilaufgaben b) und c) fordern auf zu erklären, wie vorgegangen wur- de und welche Vorteile der in a) vorgeschlagene Term im Vergleich zum vorgegebe- nen hat. 1.1.2 Themenbereich Algebra: Adaptives Lösen einer quadratischen Gleichung Eine Schülerin stellt im Kontext einer Maturaaufgabe zur Kurvendiskussion die Glei- chung 10 · x – x2 = 0 auf. Mit dem Lösen einer einfachen nichtlinearen Gleichung befindet sie sich im basalen Themenbereich Algebra. Ähnlich wie im obigen Beispiel greift die Gymnasiastin nun auf ein Standardvorgehen zurück, ohne sich die Beson- derheit der Aufgabe zunutze zu machen: Sie versucht, die Lösungsformel für quadra- tische Gleichungen zu erinnern, um die Gleichung lösen. Kaum sieht sie den Term x2, liegt für sie der Aufgabentyp „quadratische Gleichung“ vor, was sie gewissermas- sen reflexartig dazu veranlasst, die entsprechende Lösungsformel zu reproduzieren. Unabhängig von Fragen nach der Fehleranfälligkeit oder Effizienz ihres Vorgehens wäre aus Sicht eines adaptiven Lösens quadratische Gleichungen zu erwarten, dass Schülerinnen und Schüler am Ende des Gymnasiums die Faktorisierung x · (10 – x) = 0 erkennen und diese Gleichung entsprechend zügig lösen. Was müssen sie dazu automatisiert haben, was müssen sie verstanden haben? · Automatisiert sein muss, unmittelbar verschiedene Strukturen in der Gleichung zu – 6 / 20 –
erkennen, um nachfolgend das Vorgehen zum Lösen zu planen (statt den Aufga- bentyp „quadratische Gleichung“ zu erkennen und reflexartig die Lösungsformel als Strategie zu wählen). Ebenfalls automatisiert sein sollte das korrekte und zügi- ge Ausklammern von „x“, aufgrund dessen die Lösungen zu x1 = 0 und x2 = 10 be- stimmt werden. · Verstanden sein muss, dass Gleichungen lösen heisst, Gesetze und Regeln an- zuwenden. So ist die Ausgangsgleichung 10 · x – x2 = 0 dank dem Kommutativ- und dem Distributivgesetz äquivalent zur faktorisierten Gleichung x · (10 – x) = 0. Dazu gehört ferner das Wissen, dass und weshalb x · (10 – x) = 0 die Lösungen x1 = 0 und x2 = 10 hat.9 In Anlehnung an empirische Studien zum Lösen linearer Gleichungen könnte Adapti- vität beim Lösen von quadratischen Gleichungen im Unterricht mit Aufgaben wie der folgenden aufgebaut werden (Rüede und Staub, 2019): a) Die Gleichung 10 · x – x2 = 0 kann unterschiedlich gelöst werden: Vorgehen 1 Vorgehen 2 2 10 · x – x = 0 (1) 10 · x – x2 = 0 (5) 2 –x + 10x + 0 = 0 (2) x · (10 – x) = 0 (6) –10 ± 100 x1 = 0 und x2 – 10 = 0 (7) x1,2 = (3) –2 x1 = 0 und x2 = 10 (8) x1 = 0, x2 = 10 (4) Markiere in der Gleichung 10 · x – x2 = 0, was jemand in ihr sieht, der das Vorge- hen 1 wählt bzw. jemand, der das Vorgehen 2 wählt. b) Welches Umformungsgesetz wurde beim Schritt von (5) nach (6) benutzt? Wie? c) Begründe, warum es korrekt ist, aus der Gleichung (6) die beiden Gleichungen (7) zu folgern. d) Vergleiche die beiden Vorgehensweisen miteinander: Welches Vorgehen ist ein- facher? Warum? e) Erfinde eine Gleichung, bei der Du das erste Vorgehen wählen würdest. Erfinde eine Gleichung, bei der Du das zweite Vorgehen wählen würdest. Begründe! Vorgehen 1 gibt das Standardverfahren wieder, mit dem grundsätzlich alle quadrati- schen Gleichungen (mit reellen Koeffizienten) gelöst werden können, Vorgehen 2 gibt ein Verfahren für besondere quadratischer Gleichungen wieder (konstantes Glied c ist Null). Damit ist das Vorgehen 1 allgemeingültiger, während das Vorgehen 2 für vorliegende Gleichung einfacher ist. Für eine weitere Übungsaufgabe, in der nicht verschiedene Lösungswege derselben Gleichung, sondern verschiedene, sich nur im konstanten Term unterscheidende quadratische Gleichungen zu vergleichen sind, siehe Eberle et al. (2015, S. 86f.). 9 Der Sprachgebrauch „Klammere x aus“ ist problematisch, da er den Blick auf die Manipulation des Zeichens „x“ lenkt. Verständnisorientierter ist die Formulierung „Faktorisiere x“, eventuell unter Er- wähnung des Distributivgesetzes (Star et al. 2019, S. 18). – 7 / 20 –
1.1.3 Themenbereich Geometrie: Adaptives Berechnen der Distanz von Punkten Als Einstieg in eine Maturaaufgabe zur Vektorgeometrie soll ein Gymnasiast die bei- den Punkte mit den Koordinaten P ( 1 | 5 | –5) und Q ( 4 | –7 | –9) ins Koordinatensystem eintragen, um anschliessend ihre Distanz zu finden. Da diese Aufgabe das Hand- werk des „räumlichen Satzes des Pythagoras“ einfordert, agiert sie im basalen The- menbereich Geometrie. Der Gymnasiast erinnert sich reflexartig daran, dass in der Formelsammlung eine Formel für solche Abstandsbestimmungen steht. Er erinnert sie aber nicht, weshalb er sie beim prüfenden Lehrer erfragt. Nachdem er die Formel dist(P,Q) = (xQ – xP )2 +(yQ − y P )2 +(zQ − zP )2 aufgeschrieben hat, beginnt er, die Distanz schrittweise „von innen nach aussen“ im Kopf zu berechnen: Zuerst be- stimmt er die Differenzen (bei der zweiten Differenz –7 – 5 stockt er, bei der dritten Differenz –9 – (–5) schweigt er noch länger), dann quadriert er die drei Differenzen und addiert sie, um den so erhaltenen Wert zu radizieren. Mit anderen Worten setzt der Schüler die Koordinaten in eine Formel ein, die er selbst nicht mehr erinnert, und bekundet Schwierigkeiten mit der Subtraktion negativer Zahlen. Auch er erhält das richtige Ergebnis, allerdings nur dank unterstützenden (und teilweise korrigierenden) Interventionen des Lehrers, und auch hier hat er für dieses Ergebnis bereits einige Prüfungszeit beansprucht. Adaptivität beim Einsatz dieser Formel würde jedoch heissen, die sechs Koordinaten nicht einfach vorschriftsgemäss einzusetzen, um die Distanz zwischen den beiden Punkten zu bestimmen. Wird die Verbindungsstrecke PQ als Raumdiagonale eines Quaders interpretiert (was die zu Beginn geforderte geometrische Darstellung von P und Q nahelegt), wird erkennbar, dass die für die Aufgabe relevanten Grössen die Kantenlängen des Quaders und damit die absoluten Koordinatendifferenzen sind. Diese Werte lassen sich einfacher im Kopf bestimmen (Distanz, die vom links liegen- den Punkt auf dem Zahlenstrahl hin zum rechts liegenden Punkt zurückzulegen ist) als die vorzeichenbehafteten Komponenten des Vektors von P nach Q, wie sie die Formel vorgibt (Subtraktion zweier Zahlen, die negativ sein können). Insofern be- schreibt die Formel, so wie sie in der Formelsammlung steht, also nicht ein möglichst einfaches Vorgehen. Was müssen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten automati- siert haben, was müssen sie verstanden haben, um die Distanz zweier Punkte derart adaptiv zu berechnen? · Automatisiert sein muss, Abstandsberechnungen im Koordinatensystem unmittel- bar als Anwendung des Satzes von Pythagoras zu interpretieren. Ebenfalls auto- matisiert sein muss, den Abstand zwischen zwei Punkten auf dem Zahlenstrahl und das Quadrat von Zahlen zügig und korrekt im Kopf zu berechnen, aber auch, eine Zahl wie 169 als Quadratzahl zu erkennen. Automatisiert sein sollte zudem, dass für die vorliegende Fragestellung bloss die absoluten Koordinatendifferenzen relevant sind. · Verstanden sein muss, dass und weshalb die obengenannte Formel Abstände zwischen Punkten im Koordinatensystem berechnet, was insbesondere heisst, dass die Formel auf eine räumliche Diagonale in einem Quader mit den Seitenlän- gen der drei Koordinatendifferenzen zurückgeführt werden kann. Verstanden wer- den muss aber auch, weshalb für Abstandsberechnungen die absoluten Koordina- tendifferenzen ausreichen. Der adaptive Einsatz des räumlichen Pythagoras könnte im Unterricht auch hier durch Vergleichen- und Selbsterklärungs-Aufgaben gefördert werden. Zum Beispiel: – 8 / 20 –
a) Der Abstand zwischen zwei Punkten P ( 1 | 5 | –5) und Q ( 4 | –7 | –9) kann unter- schiedlich berechnet werden: Vorgehen 1 Vorgehen 2 Die entsprechende Formel lautet: Die entsprechende Formel lautet: 2 2 2 (xQ – xP ) +(yQ − y P ) +(zQ − zP ) (xQ – xP )2 +(yQ − y P )2 +(zQ − zP )2 Der Abstand von 1 nach 4 be- (5) (1) = 2 2 (4 – 1) +(–7 − 5) +(–9 − (–5)) = 2 trägt 3, der Abstand von –7 nach 5 beträgt 12 und der Abstand von (2) –9 nach –5 beträgt 4. = (3)2 +(–12)2 +(–4)2 = (3) 32 +122 + 42 = (6) = 9 +144 +16 = (7) (4) = 169 = 13 = 169 = 13 Beschreibe die Schritte (1) bis (4) des ersten Vorgehens sowie die Schritte (5) bis (7) des zweiten Vorgehens. b) Begründe, warum das Vorgehen 2 bzw. Schritte (5) und (6) für Abstandberech- nungen korrekt ist. c) Vergleiche die beiden Vorgehensweisen miteinander: Welches Vorgehen ist ein- facher? Inwiefern? Auch hier geht es darum, die beiden Vorgehensweisen zu beschreiben und zu ver- gleichen sowie den zentralen Unterschied mit Hilfe von Regeln und Gesetzen zu be- gründen. 1.1.4 Themenbereich Analysis: Adaptives Skizzieren eines linearen Funktionsgra- phen Zum Einstieg in eine Extremwertbetrachtung der beiden Funktionen f ± g soll eine x Gymnasiastin den Graphen der Funktion f (x) = für x ≥ 0 skizzieren. Diese Aufgabe 2 thematisiert den curricularen Inhalt linearer Funktionen und gehört somit in den basa- len Themenbereich Analysis. Diese Gymnasiastin greift auf ein Standardvorgehen zurück, weil sie die Besonderheit (Linearität) des Funktionsterms nicht erkennt: Sie erstellt zuerst eine Wertetabelle und überträgt dann die einzelnen Wertepaare als Stützpunkte in ein Koordinatensystem. Abschliessend verbindet sie benachbarte Stützpunkte mit Strecken. Damit ist sie eine geraume Zeit beschäftigt. Handwerk adaptiv einzusetzen hiesse, den Graphen nicht punktweise zu konstruie- ren, sondern den Funktionsterm als besonders, nämlich linear, zu identifizieren. Wel- ches Wissen müssen Schülerinnen und Schüler automatisiert und verstanden haben, um den Graphen der linearen Funktion wie erwartet zügig zu skizzieren? x 1 · Automatisiert sein muss, im Term den Term ·x zu erkennen, und zwar unmit- 2 2 telbar. Daraus muss die Linearität des Funktionsterms gefolgert werden können sowie die relevanten Grössen in der Funktionsgleichung ausgemacht werden – 9 / 20 –
(Steigung, y-Achsenabschnitt). Insbesondere muss aus dem Nicht-Vorhandensein weiterer Terme der richtige Schluss für den y-Achsenwert gezogen werden. Schliesslich müssen die beiden relevanten Grössen graphisch interpretiert wer- den, und zwar im Hinblick des Graphen als Ganzes (nicht stückweise). x 1 · Verstanden sein muss, weshalb die beiden Terme und ·x gleich sind. Dann 2 2 muss gewusst werden, wie sich die Linearität einer Funktionsgleichung auf ihren Graphen auswirkt, sowie, weshalb der Faktor vor der Variablen die Steigung und die Konstante den y-Achsenabschnitt des Funktionsgraphen festlegen. Allgemei- ner formuliert geht es hier um das Wissen, wie die algebraische Darstellung einer linearen Funktion mit ihrer graphischen Darstellung zusammenhängt. Eine Übungsaufgabe zum graphischen Darstellen einer linearen Funktionsgleichung könnte deshalb wie folgt aussehen: x a) Der Graph der Funktionsgleichung f (x) = (mit x ≥ 0) kann unterschiedlich er- 2 stellt werden: Vorgehen 1 Vorgehen 2 Erstellen einer Wertetabelle: (1) Ablesen des Werts ½ (4) x | 0 2 4 6 8 10 … (Steigung) und des Werts y| 0 1 2 3 4 5 … 0 (y-Achsenabschnitt) (Eintragen der Wertepaare (2) (Markieren des Ursprungs (5) als Punkte in einem und eines Geradenstücks xy-Koordinatensystem) mit der Steigung ½ in einem xy-Koordinatensystem) (Abschnittweises Verbinden (3) benachbarter Punkte (Skizzieren des Graphen (6) durch Geradenabschnitte) als Ganzes: Halbgerade) x Markiere in der Gleichung f (x) = , was jemand in ihr sieht, der das Vorgehen 1 2 wählt bzw. jemand, der das Vorgehen 2 wählt. b) Begründe, weshalb in Schritt (3) die ins Koordinatensystem eingetragenen Punk- te mit Kurvenstücken, die gerade sind, verbunden werden dürfen. c) Begründe, warum es korrekt ist, die abgelesenen Werte in Schritt (4) graphisch wie in Schritt (5) zu interpretieren. d) Welches Vorgehen ist einfacher? Warum? e) Gib eine Funktionsgleichung an, bei der Du das erste Vorgehen wählen würdest, und gib eine Funktionsgleichung an, bei der Du das zweite Vorgehen wählen würdest. Begründe! Vorgehen 1 löst die Aufgabe durch punktweises Erstellen des Graphen, weil hier der Funktionsterm als „x dividiert durch 2“ gelesen wird. Mit diesem Verfahren können grundsätzlich alle Funktionsgleichungen y = f(x) skizziert werden können. Insofern ist dieses Vorgehen allgemeingültiger als Vorgehen 2, das das Vorgehen für besondere (lineare) Funktionsterme wiedergibt. – 10 / 20 –
x 1 Um die Gleichheit von und x zu erkennen, könnte auch hier eine Vereinfa- 2 2 chungsaufgabe helfen (Rathgeb-Schnierer 2011): x a) Forme den Funktionsterm ein einen Term um, bei dem leichter ersichtlich ist, 2 um welchen besonderen Typ Funktion es sich dabei handelt. b) Erkläre, wie du vorgegangen bist (durch Worte, Klammer, Pfeile etc.). x b) Begründe, warum dein Term gleich ist und inwiefern leichter ersichtlich ist, um 2 x welchen Typ Funktion es sich bei y = handelt. 2 2 1 x Unter a) sind gleichwertige Funktionsterme zu produzieren (z.B. x , x :2, mit 2 x+x x > 0, etc.) um dann zu entscheiden, welcher dieser Terme am ehesten mit der Struktur mx + q übereinstimmt. Die Teilaufgaben b) und c) fordern auf zu erklären, wie vorgegangen wurde und welche Vorteile der in a) vorgeschlagene Funktionsterm im Vergleich zum vorgegebenen Term hat. 1.1.5 Themenbereich Analysis: Adaptives Untersuchen einer Hyperbel erster Ord- nung an der Polstelle Zum Einstieg in dieselbe Extremwertbetrachtung der beiden Funktionen f ± g (vgl. 8 1.1.4) soll ein anderer Gymnasiast den Graphen der Funktion g(x) = an der Stelle x x = 0 untersuchen, um ihn anschliessend zu skizzieren. Mit dieser Hyperbel erster Ordnung bzw. einfachsten gebrochen-rationalen Potenzfunktion ist man im basalen Themenbereich Analysis. Spontan sagt der Schüler: „Der Taschenrechner würde ‚Error’ anzeigen.“ Auf die Bitte, seine Antwort zu begründen, stellt er dann aber 8 (fälschlicherweise) die Gleichung = 0 auf und formt sie (noch einmal fälschlicher- x weise) zur Lösung x = 8 um. Adaptivität würde jedoch heissen, nicht nur zu wissen, dass der Taschenrechner an der Stelle x = 0 eine Fehlermeldung anzeigt, sondern auch begründen zu können, 8 weshalb x = 0 eine Definitionslücke von g(x) = ist und wie sich diese Tatsache auf x den Graphen von g(x) auswirkt. (Ebenfalls wäre zu erwarten, dass der Schüler die Funktionsgleichung korrekt umformt bzw. erkennt, dass die von ihm angeführte Glei- 8 chung = 0 keine Lösung aufweist.) Welches Wissen muss automatisiert und ver- x standen sein, um die Funktion g(x) an der Stelle x = 0 wie erwartet zügig und korrekt zu diskutieren? · Automatisiert sein muss nicht nur, zu erkennen, dass die Division durch 0 nicht definiert ist. Automatisiert sein muss ebenfalls, geeignete x-Werte aus der Umge- – 11 / 20 –
8 bung der Definitionslücke ineinzusetzen, um die entsprechenden y-Werte zu x im Kopf zu bestimmen und den Charakter der Definitionslücke als Polstelle aus- 8 zumachen. Und um anschliessend den Graphen von g(x) = zu skizzieren, muss x 8 1 1 in der Term erkannt werden, der Graph von y = als Ganzes skizziert so- x x x wie der Einfluss des Faktors „8“ als Streckung des Graphen in y-Richtung interpre- tiert werden können. · Verstanden sein muss nicht nur, dass die Division 8 : 0 nicht definierbar ist, son- dern auch, weshalb (zum Beispiel durch Einsetzen von Werten nahe bei Null). Verstanden sein muss weiter, was die Polstelle für den entsprechenden Graphen bedeutet sowie der Zusammenhang zwischen der arithmetischen Verwandtschaft der Funktionsgleichungen und der Verwandtschaft der entsprechenden Graphen. Für eine weitere Übungsaufgabe, in der Funktionsterme unter Verwendung verschie- dener Ableitungsregeln (Produkt-, Quotienten-, Kettenregel) differenziert werden sol- len, um die verschiedenen Vorgehensweisen anschliessend miteinander hinsichtlich Einfachheit zu vergleichen, siehe Eberle et al. (2015, S. 90f.). 2 Erläuterungen und Aufgaben zu einem adaptiven Einsatz von Darstel- lungen Die Studie zur Bestimmung basaler mathematischer Kompetenzen nimmt nicht nur Techniken und Verfahren, sondern auch Darstellungen in den Blick; sie legt insbe- sondere fest, welche mathematischen Darstellungen grundlegend für die allgemeine Studierfähigkeit sind (Eberle et al. 2005, S. 73). Damit betrifft die zu erreichende Kompetenz der Adaptivität nicht nur die – einer Aufgabenstellung angemessene – Wahl eines Verfahrens (vgl. Kapitel 1), sondern mindestens so sehr auch die Wahl von aufgabenadäquaten Darstellungen (Eberle et al. 2005, S. 74). Dabei stellen sich folgende Fragen: · Welche Formen von mathematischen Darstellungen sind allgemein zu unterschei- den, und welcher Umgang mit Darstellungen ist für das Lernen von Mathematik zentral? · Wie sieht ein adaptiver Einsatz von Darstellungen beim Lösen von Aufgaben aus? Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird der theoretische Hintergrund und insbeson- dere die Bedeutung von Darstellungswechseln erläutert (nach Duval 2006, 2017). Der zweite Abschnitt erklärt und illustriert das Lernziel eines adaptiven Umgangs mit Darstellungen. Im dritten Abschnitt werden entsprechende Mathematikaufgaben aus unterschiedlichen basalen Themenbereichen vorgestellt. 2.1 Darstellungsformen und Darstellungswechsel beim Lernen von Mathematik Lerninhalte können sehr unterschiedlich dargestellt werden. So lässt sich zwischen einer enaktiven (handelnden), einer ikonischen (bildhaften) und einer symbolischen (zeichenhaften) Darstellungsform unterscheiden. Nach Bruner und anderen Lernpsy- chologen ist es für das Lernen und Verstehen zentral, einem zu lernenden Sachver- – 12 / 20 –
halt in verschiedenen Darstellungsformen zu begegnen mit dem Ziel, zwischen die- sen Darstellungsformen hin und her wechseln zu können (Bruner et al. 1971). Nun treten mathematische Objekte – anders als etwa naturwissenschaftliche Gegen- stände – nicht real in Erscheinung, sondern grundsätzlich nur in Form von Darstel- lungen. Damit muss Bruners Ansatz für das Lernen und Verstehen von Mathematik angepasst werden. Mit Duval (2006, 2017) sind für das Lösen mathematischer Auf- gaben und das Lernen mathematischer Begriffe auf der Sekundarstufe folgende vier Darstellungsformen zu unterscheiden:10 1. Verbale Darstellungsform: Beschreibungen in Alltags- oder Fachsprache 2. Ikonische Darstellungsform: Situationsskizzen oder „3D-Darstellungen“ sind ikoni- sche Darstellungen (für Beispiele siehe Eberle et al. 2015, S. 36). 3. Symbolische Darstellungsform: „Formeln“ sind symbolisch-algebraische Darstel- lungen (ebd., S. 35). Wertetabellen sowie Punkte in Form von Koordinatenanga- ben und Vektoren in Form von Spaltenvektoren sind symbolisch-numerische Dar- stellungen. 4. Diagrammatische Darstellungsform: „Graphiken“ (insbesondere Funktionsgra- phen) und „Statistiken“ (beispielsweise Box-Plots) sind diagrammatische Darstel- lungen (ebd., S. 35–36), aber auch Vektoren in Form von Pfeilen. Bruners Anspruch, dass ein Begriff bzw. Konzept erst dann verstanden ist, wenn Be- ziehungen zwischen seinen verschiedenen Darstellungsformen hergestellt werden können, gilt auch für das Lernen von Mathematik (Duval 2006, 2017, Goldin & Sht- eingold 2001, Hussmann & Laakmann 2011, Star et al. 2019): Beim Erwerb von ma- thematischen Begriffen wie auch zum erfolgreichen Bearbeiten von mathematischen Aufgaben spielen Darstellungswechsel eine zentrale Rolle.11 So gehört zum Verstehen des Funktionsbegriffs, zu einem gegebenen Funktionsterm den zugehörigen Funktionsgraphen zu erstellen, das heisst eine symbolische in eine graphische Darstellung überzuführen (Leuders & Prediger 2005). Ein anderes Bei- spiel findet sich in unserer Studie (Eberle et al. 2015, S. 34, 36f., 73, 208): Maturan- dinnen und Maturanden müssen Formeln „lesen“ (Überführen in eine verbale Dar- stellung) und „produzieren“ können (Überführen einer verbalen Darstellung in eine symbolische Darstellung). Abbildung 1 zeigt einige Darstellungswechsel, die basal für die allgemeine Studierfähigkeit sind (die 2x2-Klassifikation der vier Darstellungs- formen geht auf Duval zurück). 10 Eine Lesehilfe: Das Kapitel „Konkretisierung“ in den Handreichungen spricht nicht von symboli- schen Darstellungen, sondern von formalen Darstellungen. Damit sind jedoch nur algebraische Darstellungen gemeint, symbolisch-numerische Darstellungen werden dort unter tabellarischen Darstellungen gefasst. Duvals ikonische und diagrammatische Darstellungen werden in der gra- phischen Darstellungsform zusammengefasst. 11 In der Folge kann die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Darstellungen eines Begriffs hin und her wechseln zu können, als wesentlicher Bestandteil konzeptuellen Wissens aufgefasst werden (En- gelbrecht et al. 2009, S. 932). – 13 / 20 –
Verbale Darstellungen: Ikonische Darstellungen: · Alltagssprache 3D-Darstellungen produzieren · 3D-Darstellungen · Fachsprache Formeln Formeln produzieren lesen Graphiken und Statistiken lesen Symbolische Darstellungen: Diagrammatische Darstellungen: · Numerische Ausdrücke · Graphiken · Algebraische Ausdrücke · Statistiken Abb. 1: Mathematische Aktivitäten mit Darstellungswechsel („conversions“, nach Duval 2006, 2017) Bei mathematischen Techniken sieht die Sachlage hinsichtlich der involvierten Dar- stellungen oft anders aus. So zeichnet sich das Umformen von Termen oder das Lö- sen von Gleichungen (vgl. Aufgabenbeispiele in 1.1.1 und 1.1.2) geradezu dadurch aus, dass hier eine (symbolische) Darstellung bearbeitet wird, man also innerhalb ein und derselben Darstellungsform verbleibt und keinen Darstellungswechsel vornimmt (siehe Abb. 2). Weitere Aktivitäten ohne Darstellungswechsel liegen vor, wenn ein geometrisches Problem konstruktiv mit Zirkel und Lineal (synthetische Geometrie) gelöst wird oder wenn eine Textaufgabe unter alleinigem Rückgriff auf Sprachlogik beantwortet wird. Verbale Darstellungen Ikonische Darstellungen: · Alltagssprache Pr · 3D-Darstellungen · Fachsprache Te ob r u nd lem G m le um Li m ich f ne it u n o rm al Zi g lö rke lö en se l se / n Symbolische Darstellungen: n Diagrammatische Darstellungen: · Numerische Ausdrücke · Graphiken · Algebraische Ausdrücke · Statistiken Abb. 2: Mathematische Aktivitäten ohne Darstellungswechsel („treatments“, nach Duval 2006, 2017) 2.2 Darstellungen adaptiv einsetzen – unabdingbar für allgemeine Studierfä- higkeit Mathematische Aufgaben werden mit Hilfe handwerklicher Techniken und Verfahren bearbeitet, wobei zwangsläufig Darstellungen eingesetzt werden. Wie bereits er- wähnt können zwei Fälle eintreten: Entweder wird im Laufe einer mathematischen Aktivität die Darstellungsform nicht gewechselt (dann handelt es sich um ein „treat- ment“) oder aber sie wird ein- oder mehrfach gewechselt („conversion“). Bei einem adaptiven Einsatz von mathematischen Darstellungen geht es nicht da- rum, einfach eine der (prinzipiell) möglichen Darstellungen zur Aufgabenlösung zu verwenden. Ein adaptiver Einsatz von Darstellungen bedeutet, die für die Bearbei- tung einer Aufgabe möglichst angemessene(n) Darstellungsform(en) zu wählen, das heisst solche Darstellungen, dank denen die aufeinanderfolgenden Etappen eines Lösungsprozesses so einfach wie möglich werden, und zwar aus fachlicher Sicht (geringe Anzahl Schritte, Reduktion der Fehleranfälligkeit, etc.) und nicht aus subjek- tiver Sicht (Vorlieben, Sicherheit, etc.). Dazu müssen im Vorfeld die spezifischen Be- sonderheiten der Aufgabe (Eigenschaften, Beziehungen etc.) ausgemacht werden. – 14 / 20 –
Erst dann können die der Aufgabe angemessenen Darstellungsformen gewählt wer- den – was neben einer adaptiven Wahl des Verfahrens die korrekte und zügige Lö- sung der Aufgabe zusätzlich erleichtert. Damit tritt ein wesentlicher Unterschied zum adaptiven Einsatz von Handwerk zuta- ge: Während Adaptivität hinsichtlich Handwerk bedeutet, ein einmal gewähltes Ver- fahren bis zur Lösung der Aufgabe beizubehalten, kann Adaptivität hinsichtlich Dar- stellungen ohne weiteres heissen, dass eine erste gewählte Darstellungsform nicht für den ganzen Lösungsprozess angemessen ist und im Laufe des Lösungsprozes- ses gewechselt werden muss. Damit manifestiert sich Adaptivität im Umgang mit ma- thematischen Darstellungen insbesondere im gekonnten und aufgabenangemesse- nen Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungsformen. Dennoch werden im Unterricht Darstellungswechsel und die Rolle von Darstellungen kaum je bewusst gemacht. Um mit Darstellungen adaptiv umgehen zu lernen, müs- sen Schülerinnen und Schüler immer wieder auch auf andere, sinnvolle Darstellun- gen aufmerksam gemacht und müssen insbesondere Darstellungswechsel themati- siert werden, hat doch jede Darstellungsform eines mathematischen Inhalts ihre Stärken und Schwächen. Das heisst nicht, im Unterricht Darstellungswechsel ohne Rückbezug auf konkrete Aufgaben zu üben. Dies hiesse, das Konzept der Adaptivität zu missverstehen: Darstellungswechsel sind kein Selbstzweck, sondern müssen auf- gabenadäquat erfolgen und so ermöglichen, dass dadurch eine Aufgabe möglichst einfach lösbar wird. Was dies bedeutet, wird nun an einigen Lernzielen aus den basalen Themenberei- chen angedeutet (siehe auch das Dokument „Konkretisierung“): · Themenbereich Algebra („Kompetenzbereich M.2: Terme“ und „Kompetenzbereich M.3: Gleichungen“): Manche Textaufgaben sind zu lösen, indem zuerst ein Term bzw. eine Gleichung aufgestellt wird. Bevor gerechnet und umgeformt werden kann, ist erst ein Darstel- lungswechsel von einer verbalen in eine symbolische Darstellung nötig. Aufgaben, die verlangen, die Aussage eine Terms bzw. einer Gleichung sprachlich wiederzu- geben, fragen nach dem umgekehrten Darstellungswechsel (mit anschliessend sprachlicher Interpretation der Lösung, vgl. Abb. 3). Um denselben Darstellungs- wechsel geht es auch in Aufgaben, in denen die Struktur einer Gleichung zu erklä- ren ist oder die die Frage stellen, warum ein Term beim Lösen so und nicht anders umgeformt wird. Verbale Darstellungen Ikonische Darstellungen Gleichung (aus Text) Lösung aufstellen (der Gleichung) interpretieren Symbolische Darstellungen Diagrammatische Darstellungen Abb. 3: Beispiele von Darstellungswechseln im Kompetenzbereich M.3 – 15 / 20 –
· Themenbereich Geometrie („Kompetenzbereich M.4: Planimetrie“, „Kompetenzbe- reich M.5: Stereometrie“, „Kompetenzbereich M.6: Trigonometrie“, „Kompetenzbe- reich M.7: Vektorgeometrie“): Viele geometrische Aufgaben erfordern einen oder mehrere Darstellungswechsel. So kommen manche elementar- und trigonometrische Aufgaben als Textaufgaben daher, bei denen zuerst eine Planskizze (etwa ein rechtwinkliges Dreieck) anzufer- tigen ist (ikonische Darstellung), um mit deren Hilfe die relevanten Grössen zuei- nander in Beziehung zu setzen bzw. in einer Gleichung fassen (symbolische Dar- stellung), die dann gelöst werden kann (Abb. 4). Verbale Darstellungen Ikonische Darstellungen Planskizze erstellen Lösung Gleichung (der Gleichung) aufstellen interpretieren Symbolische Darstellungen Diagrammatische Darstellungen Abb. 4: Beispiele von Darstellungswechseln in den Kompetenzbereichen M.4 und M.6 Koordinatensysteme stellen Informationen weniger ikonisch als vielmehr dia- grammatisch dar. Entsprechend erfordern Aufgaben, in denen Punkte aufgrund ih- rer Koordinaten in ein Koordinatensystem eingetragen werden, einen Wechsel zwischen der symbolischen und der diagrammatischen Darstellungsform. Aber auch bei vektorgeometrischen Aufgaben können diagrammatische Darstellungen involviert sein. So ist die Darstellung von Vektoren als Pfeile diagrammatischer Natur, weil mit ihnen „operiert“ und „argumentiert“ werden kann. Entsprechend geht es auch bei der Aufgabe, zwei komponentenweise vorliegende Vektoren ge- ometrisch zu „addieren“ (also die entsprechenden Pfeile aneinander zu hängen) um den Wechsel von einer symbolischen in eine diagrammatische Darstellung (Abb. 5). Verbale Darstellungen Ikonische Darstellungen Punkt in KoSy eintragen – Koordinaten aus KoSy ablesen Addition von Spaltenvektoren – Aneinanderhängen von Pfeilen Symbolische Darstellungen Diagrammatische Darstellungen Abb. 5: Darstellungswechsel in den Kompetenzbereichen M.5 und M.7 · Themenbereich Analysis („Kompetenzbereich M.8: Funktionen“, „Kompetenzbe- reich M.9: Differentialrechnung“, „Kompetenzbereich M.10: Integralrechnung“): – 16 / 20 –
Funktionen können in Form einer Funktionsgleichung (symbolisch-algebraisch), in Form einer Wertetabelle (symbolisch-numerisch) oder als Funktionsgraph (dia- grammatisch) dargestellt werden. So ist in manchen Aufgaben die Funktionsglei- chung gegeben, um nach dem entsprechenden Graphen zu fragen. Dieser kann prinzipiell mittels einer Wertetabelle oder aber mittels Ablesens bzw. Berechnens relevanter Kenngrössen (lineare Funktionen: y-Achsenabschnitt und Steigung, quadratische Funktionen: Nullstellen und Scheitelpunkt, andere Polynomfunktio- nen: Nullstellen, Extrem- und Wendepunkte) erstellt werden, wozu insbesondere Darstellungswechsel vonnöten sind. Aber auch bei der Frage nach der Auswir- kung einer geometrischen Transformation (Translation, Achsen- und Punktspiege- lung) von Punkten oder Funktionsgraphen auf ihre entsprechenden numerische bzw. algebraische Darstellungen (und umgekehrt) sind diagrammatische und symbolische Darstellungsformen zueinander in Beziehung zu setzen. Anders bei Extremwert-Problemen, die – wie schon klassische Textaufgaben (Abb. 3) – erfor- dern, aufgrund eines Texts eine algebraische Funktionsgleichung aufzustellen, de- ren Extremum in einer Folge von symbolischen Transformationen bestimmt wird, um dieses Ergebnis in den Kontext der Aufgabe überzuführen. Verbale Darstellungen Ikonische Darstellungen Funktions- Extremwert gleichung interpretieren aufstellen Fkts.graph in KoSy eintragen – Fkts.gleichung aus KoSy ablesen Algebr. Transfor. einer Fkts.gleichung – geom. Transfor. eines Fkts.graphen Symbolische Darstellungen Diagrammatische Darstellungen Abb. 6: Beispiele von Darstellungswechseln in den Kompetenzbereichen M.8 und M.9 Die Aufgabe, die Ableitungsfunktion einer Funktion algebraisch bzw. geometrisch zu bestimmen (Kompetenzbereich M.9), erfordert per se keinen Darstellungs- wechsel, sondern verbleibt im jeweiligen Register. Geht es jedoch darüber hinaus darum, das Differentialrechnungskalkül aus einer geometrisch-qualitativen Per- spektive zu sehen, ist auch hier ein Zusammenspiel von symbolischen und dia- grammatischen Darstellungen unabdingbar. Im nächsten Abschnitt wird an Aufgabenbeispielen erläutert, was es heisst, Darstel- lungen beim Lösen mathematischer Aufgaben adaptiv einzusetzen. 2.3 Aufgaben zu einem adaptiven Einsatz von Darstellungen Ein adaptiver Umgang von Darstellungen stellt nicht nur ein Lernziel dar, sondern ist auch eine zentrale Tätigkeit im Lernprozess, wenn es also darum geht, ein Ver- ständnis aufzubauen, das basal ist für die allgemeine Studierfähigkeit. Er ist vor al- lem bei solchen Aufgaben erforderlich, die in einer bestimmten Darstellungsform vor- liegen, während die Lösung in einer anderen Darstellungsform anzugeben ist, kurz: wenn ein Wechsel der Darstellungsform unumgänglich ist (vgl. Aufgaben im Ab- schnitt 2.2). Darstellungen adaptiv einzusetzen heisst dann, Entscheidungen wie fol- gende zu treffen: Zu welchem Zeitpunkt im Lösungsprozess ist die Darstellung zu – 17 / 20 –
wechseln? Ist es günstig, noch weitere Darstellungswechsel vorzunehmen? Wie die empirische Forschung zeigt, ist dies Schülerinnen und Schülern durchaus nicht im- mer bewusst (Acevedo Nistal et al. 2009). Welche Überlegungen die entsprechenden Entscheidungen ermöglichen, wird nun an je einer Aufgabe aus den basalen The- menbereichen Geometrie und Analysis illustriert.12 2.3.1 Themenbereich Analysis: Adaptives Skizzieren eines linearen Funktionsgra- phen Im letzten Kapitel wurde die Aufgabe, die als Funktionsgleichung vorliegende lineare x Funktion f (x) = (für x ≥ 0) graphisch darzustellen, bereits mit Blick auf den adapti- 2 ven Einsatz mathematischer Verfahren diskutiert (siehe Abschnitt 1.1.4). Aus Sicht der involvierten Darstellungen geht es bei dieser Aufgabe nicht zuletzt auch um ei- nen Darstellungswechsel, da eine symbolische Darstellung (Funktionsgleichung) in die entsprechende diagrammatische Darstellung (Funktionsgraph) überzuführen ist (Abb. 6). Schülerinnen und Schüler, die adaptiv mit Darstellungen umgehen, wissen, dass der Weg über eine Wertetabelle prinzipiell zwar möglich, jedoch aufwändig und fehleran- fällig und damit nicht effizient ist. Sie nutzen aus, dass jeder Funktionsgleichung der Gestalt y = mx + q aufgrund ihrer spezifischen Struktur – der Linearität – alle relevan- ten Informationen hinsichtlich Form und Lage des Funktionsgraphen entnommen werden können: Aufgrund des linearen Vorkommens von x muss der zugehörige Graph eine Gerade sein, wobei sich die Konstante q als y-Achsenabschnitt und der konstante Faktor m als Steigung der Geraden interpretieren lassen.13 Eine Übungsaufgabe zum adaptiven Skizzieren von (quadratischen) Funktionen fin- det sich in Eberle et al. (2015, S. 92f.). In ihr geht es nicht zuletzt darum, die Vor- und Nachteile der symbolischen Darstellung (als Gleichung) quadratischer Funktionen mit den Vor- und Nachteilen ihrer diagrammatischen Darstellung (als Graph) zu benen- nen und miteinander zu vergleichen. Dies steht vor dem Hintergrund erster empiri- scher Ergebnisse, dass Schülerinnen und Schüler, die regelmässig dazu aufgefor- dert werden, verschiedene Arten von Darstellungen miteinander zu vergleichen und ihre jeweilige Angemessenheit zu beurteilen, lernen, Darstellungen adaptiv einsetzen – und Aufgaben infolgedessen zügiger und mit weniger Fehlern lösen (Acevedo Nistal et al. 2009). Damit scheint das Aufgabenformat des Vergleichens nicht nur einen adaptiven Umgang mit mathematischen Verfahren (siehe Kapitel 1), sondern auch den adaptiven Umgang mit Darstellungen zu fördern. 12 Es sei darauf hingewiesen, dass hier nur Aufgaben vorgestellt werden, in denen die verbale Dar- stellung keine zentrale Rolle spielt. Aufgaben, die einen Darstellungswechsel von (naturwissen- schaftlichen) Tabellen und Graphiken in die verbale Darstellung erfordern, finden sich zum Beispiel in gängigen Zulassungstests für das Medizinstudium (TMS 2020, Untertest „Diagramme und Ta- bellen“, S. 40–46) oder im Bericht (Eberle et al. 2015, 93–95). 13 Für weitere Fragestellungen, die einen Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungen linearer Funktionen erfordern, siehe Hussmann und Laakmann (2011, S. 7). Für ein „Funktionen-Puzzle“ zum Üben des Wechsels zwischen verschiedenen Darstellungsformen linearer und quadratischer Funktionen siehe Klinger et al. (2015), für weitere Übungsspiele zu Polynomfunktionen siehe Leu- ders und Herold (2008). – 18 / 20 –
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