Antisemi was? 7 Fragen zu Antisemitismus

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Antisemi …      was?
7 Fragen zu Antisemitismus
Antisemi …      was?
7 Fragen zu Antisemitismus                                                             Inhalt
                                                                                      Seite 3
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                                               antisemitismus - Wieso daruber reden ?
                                                                                    Seite 4/5

                                                         WEN BETRIFFT ANTiSEMITISMUS ?
                                                                                    Seite 6/7

                                                WARUm IST "DU JUDE" ein SCHIMPFWORT ?
                                                                                    Seite 8/9
                                                 ..
                                         GITB ES ubERHAUPT NOCH JUDEN IN DEUTSCHLAND ?
                                                                                  Seite 10/11
                                   ..
                                  KOnnen wir nicht endlich einen Schlussstrich ziehen ?
                                                                                  Seite 12/13   2

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                                          ist antisemitismus eine form von rassismus ?
                                                                                  Seite 14/15

                                                           darf man israel kritisieren ?
                                                                                  Seite 16/17
                                           ..
                             bringen die flu chtlinge antisemitismus nach deutschland ?
                                                                                  Seite 18/19

                                               ..
                             und was sagt die Ju DISCHE gemeinde dazu ? - Ein nachwort
                                                                                  Seite 20/21

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                                                                                    Seite 23
ANTISEMITISMUS-
                    ..
           Wieso daru ber reden?
   Viele werden irgendwo irgendwann         der Brutalität, zeigen, wie wichtig noch
schon mal den Begriff „Antisemitismus“      immer der polizeiliche Schutz von jüdi-
gehört haben – in den Nachrichten, in       schen Einrichtungen wie Synagogen,
Sozialen Medien oder in der Schule. Vor     Schulen und KiTas ist.
allem im Geschichtsunterricht behan-
deln die meisten Schüler*innen mehr           Allerdings drückt sich Antisemitis-
als einmal den Nationalsozialismus, wo      mus heutzutage zum Teil ganz anders
die Verfolgung jüdischer Menschen in        aus, als man es in der Schule gehört
einem Völkermord endete. Der Zweite         hat. Das Erinnern an die nationalso-
Weltkrieg ist jetzt allerdings auch schon   zialistischen Verbrechen selbst, Israel,
über 70 Jahren vorbei, zu Recht kann        Fluchtbewegungen und vieles mehr
man also mal fragen: Gibt es überhaupt      bieten Anlässe für ganz unterschiedli-      4
noch Antisemitismus in Deutschland?         che Meinungen, Vorstellungen und ins-
                                                                                        5
                                            besondere Fragen. Denn niemand kann
Leider ist die Antwort: Ja. Und es wird     und muss alles über diese Themen wis-
schlimmer.                                  sen. Aber in einer Zeit, in der Angst vor
Laut Bundesinnenministerium gab es          Hass und Gewalt immer noch Teil des
2018 mit rund 1.800 erfassten anti-         Lebens jüdischer Menschen ist, finden
semitischen Straftaten wieder eine          wir es wichtig, sich mit ein paar grund-
Höchstzahl seit über zehn Jahren, da-       legenden Fragen und Hintergründen zu
runter auch zunehmend Gewaltdelikte.        beschäftigen. Und genau darum diese
Dass die Verbreitung antisemitischer        Broschüre:
Einstellungen wieder steigt, bemer-
ken auch Jüdinnen und Juden* selbst:        Wir wollen fragen, wie Antisemitismus
Laut einem Bericht des Unabhängigen         in all seinen Ausprägungen heutzutage
Expertenkreises Antisemitismus des          funktioniert, wie wir ihn im Alltag er-
Bundestags aus dem Jahr 2017 haben          kennen und wen das alles überhaupt
fast 80% in den letzten Jahren eine         betrifft. Vielleicht helfen uns die Ant-
Zunahme von Antisemitismus wahrge-          worten dann ja, Diskriminierung von
nommen und fürchten einen weiteren          Jüdinnen und Juden* zu erkennen und
Anstieg. Angriffe auf jüdische Institu-     uns dagegen zu positionieren.
tionen, teilweise wieder mit zunehmen-
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 1
                                              Wenn bei Menschenfeindlichkeit von       spüren die Folgen in ihrem gesamten
                                           „den Betroffenen“ geredet wird, sind        Leben: privat, in der Öffentlichkeit, in

                     Wen betrifft
                                           fast immer diejenigen gemeint, denen        der Schule, auf der Arbeit etc. Auf der
                                           gegenüber eine feindliche Haltung ein-      anderen Seite erleben die Menschen,
                                           genommen wird – im Fall von Antisemi-       die die Abwertung nicht erfahren, die

  Antisemitismus                       ?
                                           tismus also Jüdinnen und Juden* oder        Konsequenzen auch, sind sich aber
                                           für jüdisch gehaltene Personen oder         nicht immer gleichermaßen darüber be-
                                           Institutionen. Um die Hintergründe zu       wusst. Wenn z. B. eine Christin den Job
                                           verstehen, reicht es allerdings nicht,      erhält, den ein anderer Bewerber nicht
                                           sich nur eine Seite anzugucken. Denn        bekommen hat, weil er als jüdisch ein-
                                           immer, wenn jemand wegen einer ver-         geordnet wurde, ist sie Teil einer anti-
                                           meintlichen Gruppenzugehörigkeit an-        semitischen Handlung – auch, wenn sie
                                           ders behandelt wird, sind weitaus mehr      das gar nicht will.
                                           Menschen davon betroffen bzw. daran
                                           beteiligt.                                      Klar ist, dass es Antisemitismus und
                                                                                       andere Diskriminierungsformen grund-
                                              Antisemitismus drückt sich verschie-     sätzlich in unserer Gesellschaft gibt.
                                           den aus. Man kann aber sagen, dass          Wir sind mit ihnen aufgewachsen, pro-        6
                                           es einerseits Menschen gibt, die Hass       fitieren von ihnen, leiden darunter, wis-
                                                                                                                                    7
                                           und Gewalt erfahren, und andererseits       sen von ihnen oder nehmen das nicht
                                           Menschen, die das verursachen. Wenn         wahr – aber unbestreitbar sind sie da.
                                           eine Person antisemitisch von einer         Und auch, wenn wir nicht persönlich
                                           anderen beleidigt wird, ist natürlich die   von Diskriminierung betroffen sind, liegt
                                           eine Person als „Opfer“ der Beleidigung     es in unserer Hand, wie wir damit um-
                                           betroffen und die andere als „Täter*in“.    gehen: Sensibel oder gleichgültig, wir
                                           Indirekt an der Situation beteiligt sind    können darauf achten oder es ist uns
                                           aber noch mehr Menschen: die Leute,         egal. Aber um diskriminierenden Ver-
                                           die zufällig danebenstehen, die Attacke     hältnissen ein Ende zu bereiten, sollten
                                           mitbekommen und vielleicht nichts sa-       wir uns darüber klar werden, dass wir
                                           gen. Medien, die über antisemitische        alle Teil davon sind. Natürlich tragen wir
                                           Übergriffe berichten oder auch nicht.       keine Schuld für die Gesellschaft, in der
                                           Institutionen wie die Polizei, die solche   wir aufgewachsen sind, oder die Taten
                                           Übergriffe als antisemitisch einstuft       anderer Personen. Aber wir haben die
                                           oder als „normale“ Beleidigung in die       Möglichkeit, uns und unsere Rolle in all
                                           Statistik mit aufnimmt. Diskriminierung     dem zu hinterfragen, und können dabei
                                           hat Auswirkungen auf alle Menschen,         mithelfen, bessere Zustände zu schaf-
                                           die auf irgendeine Weise daran betei-       fen!
                                           ligt sind. Die, die Abwertung erfahren,
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 2
                                                   Heutzutage ist das wohl eine der ver-     wortlich gemacht. In der Moderne ging
                                                breitetsten Beleidigungen, und zwar          die Beleidigung „Du Jude“ dann z. B.
                                                nicht nur auf Schulhöfen. Natürlich ist      über in die Vorstellung eines „Finanz-
                                                das Judentum hierbei nur ein Vorwand,        judentums“, also die Idee, dass „die Ju-
                                                und diese Bezeichnung sagt überhaupt         den“ alles Geld der Welt beherrschen.
                                                nichts über jüdische Menschen aus.           Ab Ende des 19. Jahrhunderts kam
                                                Trotzdem hält sich diese Form der Be-        noch der Versuch hinzu, die Diskrimi-

                             Warum ist
                                                leidigung hartnäckig, und das Phäno-         nierung von Jüdinnen und Juden* mit
                                                men Antisemitismus ist schon sehr alt.       der Behauptung einer Existenz biologi-
                                                                                             scher Menschenrassen zu begründen,

  DU                                   JUDE "
                                                   Denn bereits in der Antike, dem Mit-      was als rassistischer Antisemitismus
                                                telalter und der Neuzeit finden sich Bei-    bezeichnet wird. Aus dieser Zeit stammt
                                                spiele, die genau das tun: Menschen          auch das Wort „Antisemitismus“, da auf
                                                mit der Bezeichnung abwerten, dass           der Ebene der Sprache versucht wurde,

"
                                                sie jüdisch sind. Schon früh, als ein Teil   zwischen vermeintlich semitischen und
                                                der Christ*innen ihre Religion als die       indogermanischen Menschen zu unter-
                                                einzig wahre darstellen wollte, stand        scheiden – wobei es nur darum ging, zu

              ein SchimpfWort?
                                                das Judentum als Glaubensalternative         belegen, dass die „Arier“ besser sind.       8
                                                diesen Menschen im Weg. Im religiös          Im Nationalsozialismus spielte das eine
                                                                                                                                          9
                                                motivierten Antisemitismus, dem christ-      bedeutende Rolle. Aber auch nach dem
                                                lichen Antijudaismus, tauchte die Be-        Ende des Zweiten Weltkriegs wird jüdi-
                                                leidigung „Du Jude“ daher zum Beispiel       schen Menschen weiterhin die Schuld
                                                in Form der Bezeichnung „Christusmör-        für alles Mögliche zugeschrieben. Und
                                                der“, also als Vorwurf auf, für den Tod      deswegen gibt es diese Beleidigung bis
                                                von Jesus (der ja selbst Jude war) ver-      heute: Im Laufe der Zeit hat sie sich ein-
                                                antwortlich zu sein.                         fach angepasst, und so hat der mit ihr
                                                                                             ausgedrückte Hass immer wieder eine
                                                  Mit einem gesellschaftlichen Wandel        neue Form bekommen. Das ist, was
                                                durch Wissenschaft und Industrialisie-       Antisemitismus im Kern ausmacht.
                                                rung änderte sich dieses Bild allerdings:
                                                Religion spielte für immer weniger Per-        Wir wissen, dass über Jahrhunderte
                                                sonen eine Rolle. Viele Menschen wa-         hinweg „Du Jude“ als Schimpfwort in
                                                ren überfordert von den großen Verän-        ganz verschiedenen Zusammenhän-
                                                derungen und fühlten sich bedroht. Der       gen benutzt wurde, wobei immer wieder
                                                Wunsch, sich die zunehmend komplexe          Jüdinnen und Juden* als Sündenböcke
                                                Welt einfach erklären zu können, ließ        für unterschiedliche Probleme herhal-
                                                das alte Feindbild weiter bestehen, und      ten mussten – und zwar bis heute. Wird
                                                Jüdinnen und Juden* wurden für alles         Zeit, das zu ändern, oder?
                                                Schlechte in der Gesellschaft verant-
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 3
                                          Das Statistische Bundesamt gab im          „das Judentum“. Bei vielen Ausprägun-
                                       Dezember 2018 an, dass 2016 unge-             gen von Antisemitismus wie der Vor-
                                       fähr 99.000 Menschen in Deutschland           stellung einer jüdischen Weltverschwö-
                                       jüdischen Gemeinden angehörten,               rung brauchen Personen mit solchen
                                       während es 2011 noch ca. 103.000              Einstellungen also nicht mal persönlich
                                       Menschen waren. Also ja, es leben             jemanden getroffen zu haben, der*die
                                       Jüdinnen und Juden* in Deutschland!           jüdisch ist.
                                       Zweifellos hat sich durch die Shoa – die         Zum anderen umfasst das Fragen
                                       Verfolgung und den Massenmord an              nach einer konkreten Personenzahl
                                       jüdischen Menschen im Nationalsozia-          gleich zwei Schwierigkeiten. Die erste
                                       lismus – der Bevölkerungsanteil enorm         lautet: Wenn jüdische Menschen ge-
                                       verkleinert. Und trotzdem gibt es ein         zählt werden sollen, wer bestimmt, wer
                                       vielfältiges jüdisches Leben in Deutsch-      jüdisch ist? Umfasst das nur aktive Ge-
                                       land und Europa. Aber dass wir uns die        meindemitglieder? Werden alle Men-
                                       Frage stellen, ob es überhaupt noch Jü-       schen befragt und anhand von Kriterien,
                                       dinnen und Juden* in Deutschland gibt,        die irgendjemand festlegt, bestimmt,
                                       macht zwei Punkte ziemlich deutlich:          wer jüdisch ist? Oder sollen sich etwa
                                                                                     alle Menschen, die sich als jüdisch ver-    10
                                          Zum einen zeigt die Frage, dass vie-       stehen, bei einer Behörde melden? Und
                                                                                                                                 11
                                       le, wenn vom Judentum gesprochen              da kommen wir zur zweiten Schwierig-
                                       wird, erstmal den Nationalsozialismus         keit: Listen, die festhalten, wer jüdisch
                                       im Kopf haben. Auch wenn von Antise-          ist und wer nicht, konnten und können
                                       mitismus die Rede ist, wird an die Ge-        auch als Mittel der Ausgrenzung und
                                       schichte gedacht und nicht daran, dass        Verfolgung genutzt werden.
                                       Jüdinnen und Juden* bis heute davon           Umgekehrt kann man aber auch fest-
                                       betroffen sind. Es ist allerdings ein Fehl-   stellen, dass der Anteil jüdischer Deut-
                                       schluss anzunehmen, Antisemitismus            scher an der Gesamtbevölkerung von
                                       sei hier und heute kein Problem, nur          vielen nicht-jüdischen Menschen über-
                                       weil man persönlich vielleicht nieman-        schätzt wird – noch ein Hinweis auf den
                                       den kennt (oder glaubt, niemanden zu          oft fantasierten „jüdischen Einfluss“.
                                       kennen), der*die jüdisch ist. Außerdem
                                       kann Antisemitismus ohne konkreten              Aber warum wird reales jüdisches
                                       Personenbezug funktionieren. Den Be-          Leben in Deutschland so wenig wahr-
                                       troffenen wird nämlich eine bestimmte         genommen? Und was hat das mit anti-
                                       Machtposition und Einfluss zugeschrie-        semitischen Übergriffen, institutioneller
                                       ben ( ͢ Frage 5), bei der häufig nicht        Diskriminierung und notwendigem Poli-
                                       konkret an jüdische Menschen gedacht          zeischutz vor jüdischen Einrichtungen
                                       wird, sondern an „das Jüdische“ oder          zu tun? Fragen wir noch mal weiter!
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 4

                                                                                        auf der Welt war, Schuld an NS-Verbre-      Menschen dann auch noch sagen, sie
                                                                                        chen. Allerdings erwächst aus diesen        halten es für unwichtig oder werden be-
                                                                                        eine Verantwortung für uns. Und diese       lästigt mit der Idee, ein Gefühl für die
                                                                                        Verantwortung lehnen Menschen, die          Folgen des Hasses zu entwickeln, dann
                                                                                        einen Schlussstrich fordern, in der Re-     läuft etwas falsch. Dann tun sie so, als
                                                                                        gel ab.                                     wären sie in einer Opferrolle, was die
                                                                                                                                    tatsächlichen Opfer abwertet, an die
                                                                                          Aus welcher Position heraus wird so       erinnert werden soll. Manche wollen
                                                                                        ein Schluss gefordert? Man fordert ein      sich auch nur an einen bestimmten Teil
                                                                                        Ende von etwas, wenn man das Ge-            der Geschichte erinnern, zum Beispiel       12
                                                                                        fühl hat, damit belästigt oder bedrängt     an mutige Soldaten, die im Krieg ge-
                                                                                                                                                                                13
                                                                                        zu werden. Oder wenn man das, womit         kämpft haben. Das klingt, als wäre es
                                                                                        man konfrontiert ist, für unwichtig hält.   was Gutes, diente aber auch der Ver-
                                                                                                                                    nichtung von Menschen. So werden ge-
                                                                                        Wovon genau wird denn ein Ende              schichtliche Ereignisse und die Art, wie
                                                                                            gefordert? Das Ende des Ge-             an sie gedacht wird, verdreht. Und das
                                                                                              denkens an Millionen ermor-           ist nicht nur respektlos, sondern ebnet
                                                                                              dete Menschen? Das Ende               menschenverachtenden Einstellungen
                                                                                              der Achtsamkeit, wie es zu so         und Gewalt den Weg.
  Immer wieder seit Ende des Zweiten           Doch weder die Nachfahren der Tä-        etwas kommen konnte?
Weltkriegs gab und gibt es Menschen,        ter*innen und Mitläufer*innen und schon                                                    Deswegen ist es für alle wichtig, über
die fordern, „einen Schlussstrich zu zie-   gar nicht die Überlebenden und Nach-        Das Erinnern an die Verbrechen des Na-      die Geschichte und auch die schreck-
hen“, einen Strich unter ein unfassbar      fahren der betroffenen Familien können      tionalsozialismus soll ja ein Verständnis   lichen Dinge, die Menschen getan ha-
grauenhaftes Kapitel der Geschichte.        das „hinter sich lassen“, was passiert      dafür vermitteln, was Menschenverach-       ben, zu reden. Damit erweisen wir nicht
Bis zu einem gewissen Grad ist diese        ist. Schließlich hat die Geschichte eines   tung anrichten kann. Diejenigen, die        nur den Verfolgten und Hinterbliebenen
Forderung vielleicht verständlich: Sich     Landes und der Menschen in diesem           sich daran nicht erinnern wollen, sind      Respekt, sondern entwickeln daraus
mit (nationalsozialistischen) Verbre-       Land auch Auswirkungen auf die Ge-          daher oft empfänglicher für feindseli-      auch eine Haltung, wie wir in Gegen-
chen auseinanderzusetzen, ist nie an-       genwart. Selbstverständlich trägt nie-      ge Einstellungen und die daraus fol-        wart und Zukunft miteinander umgehen
genehm.                                     mand, der*die damals noch gar nicht         genden Handlungen. Und wenn diese           wollen.
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 5
                                          Häufig werden Rassismus und Anti-        schrieben, gut mit Geld umgehen und
                                       semitismus in einem Atemzug genannt.        sich bereichern zu können. Allerdings
                                       Beides funktioniert auch mit ähnlichen      ebenfalls mit einer abwertenden Ab-
                                       Mechanismen und Zielen: Menschen            sicht, denn so kann gesagt werden,
                                       werden in Gruppen eingeteilt, aus-          dass „die Juden“ gierig, geizig und
                                       schließlich über diese Gruppenzugehö-       schuld daran sind, wenn man womög-
                                       rigkeit definiert und bewertet. Die Frage   lich selbst Geldprobleme hat. Eine Per-
                                       nach dem Verhältnis von Rassismus           sonengruppe zu haben, die angeblich
                                       und Antisemitismus – besonders wenn         über eine solche Macht verfügt, erlaubt
                                       er vermeintlich biologisch begründet        es einem, Schwierigkeiten von sich
                                       wird – leuchtet also ein.                   wegzuschieben. So kann man leicht
                                                                                   die Verantwortung für eigene Probleme
                                         Zwischen diesen beiden Diskriminie-       abgeben, ganz egal, ob man sie selbst
                                       rungstypen gibt es aber einen wichtigen     verursacht hat oder nichts dafür kann.
                                       Unterschied: Rassistische Diskrimi-
                                       nierung schreibt den Betroffenen eine         Im rassistischen Denken gehen von
                                       ganze Reihe Eigenschaften zu, die als       den Betroffenen also angebliche Be-
                                       rückständig und primitiv bewertet wer-      drohungen von unten aus, die akut         14
                                       den. Die Menschen werden z. B. für          aufgehalten werden müssen. Solche
                                                                                                                             15
                                       dümmer gehalten. Antisemitische Dis-        Bedrohungen wie, dass irgendein biolo-
                                       kriminierung spricht den betroffenen        gisches Erbgut oder Kulturen durch Mi-
                                       Personen allerdings kontrollierende         gration verloren gehen, was aber wis-
                                       Macht und Einfluss zu, die negativ ge-      senschaftlich bewiesen Unsinn ist. Im
                                       nutzt wird, um sich selbst auf Kosten       antisemitischen Denken hingegen wird
                                       anderer zu bereichern.                      eine Bedrohung von oben fantasiert,
                                       Zwei Beispiele im Vergleich: Die Aus-       eine kontrollierende Macht, die schon
                                       sage „Alle Ausländer sind kriminell“        immer da war und gegen die man sich
                                       schreibt den von Rassismus Betroffe-        auflehnen muss – und diese Argumen-
                                       nen Impulsivität, Unzivilisiertheit und     tation kann so abgedreht sein und sich
                                       den direkten Willen zu, anderen zu          jeder Logik entziehen, dass der Über-
                                       schaden. Bei „Alle Juden sind reich“        gang in Verschwörungstheorien sehr
                                       wird den von Antisemitismus betrof-         nahe liegt.
                                       fenen Menschen die Fähigkeit zuge-
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 6
                                            Ja klar! Die israelische Politik, das    Vorstellungen und Aussagen anderer
                                          Wirtschaftssystem, das Krankenversor-      prüfen, ob Kritik legitim oder problema-
                                          gungssystem, das Schulsystem, all das      tisch ist: Das erste D steht für Dämoni-
                                          darf und soll genauso kritisiert werden,   sierung. Hierbei wird Israel pauschal für
                                          wie z. B. die dänische Politik, das gha-   etwas schuldig erklärt, für das die Men-
                                          naische Wirtschaftssystem, die kana-       schen, die in dem Staat leben, kollektiv
                                          dische Krankenversorgung oder das          gar nichts können. So eine Dämonisie-
                                          vietnamesische Schulsystem. Das            rung erfolgt zum Beispiel oft, indem die
                                          Wichtige ist, dass wir Israel genauso      Rolle der Israelinnen und Israelis* im
                                          (un-)kritisch betrachten wie die eigene    Nahostkonflikt mit der Rolle der Na-
                                          Nation oder alle anderen.                  tionalsozialist*innen gleichgesetzt wird.
                                                                                     Das zweite D steht für Doppelstan-
                                            Der Staat Israel kann nicht mit „dem     dards, also das Anlegen unterschied-
                                          Judentum“ oder „den Juden“ gleich-         licher Maßstäbe an Israel im Vergleich
                                          gesetzt werden, schließlich leben dort     zu anderen Nationen. Was am israeli-
                                          ganz verschiedene Menschen: Jüdin-         schen System kritisiert wird, muss aber
                                          nen und Juden*, die ihre Religion auf      genauso an anderen Systemen kriti-
                                          ganz unterschiedliche Weise oder auch      siert werden. Das letzte D steht für De-    16
                                          gar nicht ausleben, ebenso Menschen        legitimierung. Das heißt, dass eine Ver-
                                                                                                                                 17
                                          anderer Religionen, Menschen ganz          neinung des Existenzrechts Israels im
                                          ohne Glauben an einen Gott (oder meh-      Kern bedeutet, dem Zentrum jüdischen
                                          rere Götter), arabische Israelinnen und    Lebens und dem jüdischen Zufluchtsort
                                          Israelis*, äthiopische Zuwander*innen      Israel seine Daseinsberechtigung abzu-
                                          usw. Leider passiert es schneller als      sprechen.
                                          gedacht, dass der Staat Israel nur sehr
                                          oberflächlich betrachtet wird. Stattdes-     Wenn eins der drei Ds auf eine Aus-

                               Darf man   sen wird allgemein von einer „Israel-
                                          kritik“ gesprochen, während niemand
                                          von „Polenkritik“ oder „Brasilienkritik“
                                                                                     sage zutrifft, ist diese wahrscheinlich
                                                                                     in irgendeiner Form antisemitisch. Die
                                                                                     sich äußernde Person muss nicht auto-

                                ISRAEL
                                          spricht.                                   matisch Antisemit*in sein, die Aussage
                                                                                     sollte aber dringend überdacht werden.
                                            Da in einer pauschalen „Israelkritik“    Wenn keins der Ds zutrifft, dann immer
                                          ganz schnell antisemitische Stereotype     los: Legitime und konstruktive Kritik

                         kritisieren?
                                          Einzug halten, gibt es den sogenannten     können wir alle vertragen.
                                          3D-Test. Mit dem kann man die eigenen
Antisemi … was?
7 Fragen zu Antisemitismus – Frage 7
                                          Seitdem viele Menschen nach Euro-          lichst alle Jüdinnen und Juden* zum
                                       pa fliehen, taucht diese Frage immer          Religionswechsel zu zwingen, sie zu
                                       wieder auf. Gedacht wird dabei in der         vertreiben oder zu vernichten. Kreuz-
                                       Regel nicht an alle Flüchtenden, son-         züge und andere Massenmorde an
                                       dern speziell an diejenigen, die in musli-    jüdischen Menschen bedeuteten Ver-
                                       misch geprägten Gesellschaften aufge-         folgung in einem Ausmaß, das es in
                                       wachsen sind. Die eigentlichen Fragen         muslimisch geprägten Ländern zu der
                                       lauten also eher: Bringen (flüchtende)        Zeit nicht gab. Die so entstandenen
                                       Muslim*innen Antisemitismus nach              Erzählungen von „den Juden“, die im

                        Bringen die
                                       Deutschland? Und ist diese Version            Geheimen alles kontrollieren, erhielten

                          ..           des Antisemitismus besonders bedroh-
                                       lich? Denn so richtig neu ist sie ja nicht,
                                                                                     erst viel später Einzug in Gesellschaf-
                                                                                     ten, in denen überwiegend Muslim*in-

                       Flu chtlinge
                                       schließlich war Antisemitismus bereits        nen leb(t)en. Das ging einher mit dem
                                       vor den heutigen Fluchtbewegungen in          Konflikt um Palästina: Die europäisch

 Antisemitismus
                                       Deutschland präsent und wirksam.              geprägten antisemitischen Bilder wa-
                                                                                     ren ein gutes Mittel für Machthabende
                                          Beachtenswert ist auf jeden Fall,          im arabischen Raum, die Menschen mit
                                       dass Antisemitismus sich in verschie-         einfachen Erklärungsmustern auf ihre       18

        nach Deutschland?
                                       denen historischen Kontexten und Ge-          Seite zu ziehen. Dass jetzt Personen
                                                                                                                                19
                                       sellschaften immer verändert und an-          nach Europa kommen, die in Gesell-
                                       gepasst ( ͢ Frage 2) hat. Wenn wir uns        schaften aufgewachsen sind, in denen
                                       jetzt fragen, wer was wohin gebracht          mit antisemitischen Erzählungen Politik
                                       hat, muss man aber bei früheren Jahr-         gemacht wurde/wird, hat natürlich Aus-
                                       hunderten starten: Feindlichkeit gegen-       wirkungen darauf, wie die Diskriminie-
                                       über Jüdinnen und Juden* findet sich          rung von Jüdinnen und Juden* hier the-
                                       sowohl in christlichen als auch islami-       matisiert wird. Dieser Antisemitismus
                                       schen Kontexten. Einige Menschen in           ist allerdings alles andere als neu.
                                       muslimisch geprägten Gesellschaften
                                       haben in der Vergangenheit jüdische             In unserer Gesellschaft gehören Ein-
                                       Minderheiten daher mal verfolgt und           und Auswanderung schon immer dazu.
                                       mal mit ihnen zusammengearbeitet              Dementsprechend müssen wir antise-
                                       (da Minderheiten als Schutzbefohlene          mitische (Denk-)Strukturen erkennen –
                                       galten), im Grunde waren sie sich des         unabhängig davon, wo Menschen auf-
                                       Stands ihrer Religion aber relativ si-        gewachsen sind. Erst dann sind wir in
                                       cher. Menschen in christlich geprägten        der Lage, uns Antisemitismus in all sei-
                                       Gesellschaften haben es sich hingegen         nen Ausprägungen entschlossen ent-
                                       lange Zeit zur Aufgabe gemacht, mög-          gegenzustellen.
.. Und was sagt
                                                                    Das heutige Deutschland ist von Widersprüchen zerris-
                                                                  sen. Rechtsradikale hassen Migranten ebenso wie Juden,
                                                                  Roma und Sinti sowie alle, die keine „Arier“ sind. Migranten

die Ju dische Gemeinde dazu ? -                                   hassen Rechte und manchmal auch Juden.

          Ein Nachwort                                              Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle wurden
                                                                  die Solidarität mit den deutschen Juden und der Kampf ge-
                                                                  gen den Antisemitismus deutlich ausgesprochen.

                                                                    Aber täuschen Sie sich und die Gesellschaft nicht –
      Wie Sie wissen, erklärt sich der Begriff „Antisemitismus“   Deutschland ist ungesund. Ich bin sicher, dass es in der
    durch rassistische Vorstellungen über die biologische Un-     heutigen Situation nicht ausreicht, zu sagen: „Nie wieder!“,
    verträglichkeit der Europäer, die zu den ersten Ideologen     denn wir können das Wort Zucker hunderte Male wieder-
    des Rassenantisemitismus als „germanische“ oder „ari-         holen, aber es wird in unserem Mund nicht süßer.
    sche“ Rasse gehörten, und der Juden als Vertreter der
    „semitischen Rasse“. Seitdem steht es für Feindseligkeit        Dem Ruf „Nie wieder!“ müssen also konkrete Handlungen
    gegenüber den Juden.                                          folgen.                                                             20

                                                                                                                                      21
      Unter Antisemitismus werden viele verschiedene Phäno-
    mene im Zusammenhang mit der Feinseligkeit gegenüber
    Juden verstanden. Daher können verschiedene Arten von         Dr. Mark Gutkin
    historisch entstandenem Antisemitismus unterschieden          1. Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen
    werden: antiker Antisemitismus, religiöser Antisemitismus,
    rassistischer Antisemitismus und der sogenannte „neue
    Antisemitismus“ oder Antizionismus.

      Manchmal wird Antisemitismus in soziale und politische
    Komponenten unterteilt. Der erste beinhaltet zwischen-
    menschlichen Antisemitismus und der zweite staatlichen
    Antisemitismus.

     Daher ist Antisemitismus in all seinen verschiedenen For-
    men und Erscheinungsformen das Problem der gesamten
    Gesellschaft, in der Juden Opfer von Vorurteilen und Ge-
    walt werden.
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AK Ruhr (Hrsg): „Jenseits des Bermuda-Dreiecks“                                                    dessen Erfahrungen auf. Das pädagogische Pilotprojekt zur Antisemitismuskritik in Westfalen wurde vom
Verschwörungstheorien als Thema der politischen Jugendbildung.                                     Jüdischen Museum Westfalen (Dorsten) und dem Geschichtsort Villa ten Hompel (Münster) durchgeführt.
Online unter: www.ak-ruhr.org/wp-content/uploads/2019/06/                                          Das Projekt wurde zwischen September 2018 und Dezember 2019 von der Landeszentrale für politische
AK_Ruhr_Verschwoerungstheorien.pdf                                                                 Bildung NRW gefördert und richtete sich an Schüler*innen und Multiplikator*innen im Raum Westfalen.
                                                                                                   Es entwickelte und erprobte geeignete Methoden zur antisemitismuskritischen Bildungsarbeit.
Amadeo Antonio Stiftung: „Man wird ja wohl Israel noch kritisieren dürfen …?!“
Eine pädagogische Handreichung zum Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus.                      Finanziert wurde die vorliegende Broschüre durch das Landesprogramm „NRWeltoffen: Lokales Hand-
Online unter: www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2018/12/                           lungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ als eine Maßnahme im Rahmen des „Hand-
paedagogischer-umgang-mit-israelbezogenem-antisemitismus.pdf                                       lungskonzepts gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus im Kreis Recklinghausen“ unter
                                                                                                   Federführung des Fachdienst 57.3 – Kommunales Integrationszentrum und Projekte des Kreis Reckling-
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus –   hausen.
11 Aktivitäten für die schulische und außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung.
Online unter: http://www.bpb.de/shop/lernen/weitere/236021/
handreichung-kritische-auseinandersetzung-mit-antisemitismus                                       Texte
                                                                                                   Karina Korneli
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e. V. (KIgA e. V.) (Hrsg.): Widerspruchstoleranz –
Ein Theorie-Praxis-Handbuch zu Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit, KIgA e.V., 2013.           Redaktion
Online unter: www.kiga-berlin.org/uploads/KIgA_Widerspruchstoleranz_2013.pdf                       Antje Thul, Jost Wagner, Dr. Norbert Reichling
                                                                                                                                                                                                           22
Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Hamburg: „Was tun gegen Antisemitismus?!“            Layout und Design
Anregungen zu einer Pädagogik gegen Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert.                                                                                                                                   23
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Online unter: www.beratungsnetzwerk-sachsen-anhalt.de/images/docs/Publikationen/
was%20tun%20gegen%20antisemitismus%20-%20mbt%20hamburg.pdf                                         Herausgeber: Jüdisches Museum Westfalen,
                                                                                                   verantwortlich: Verein für jüdische Geschichte und Religion e.V.,
TANDEM NRW: „Was ist dir eigentlich wichtig?“                                                      Postfach 100622, 46256 Dorsten
Übungshandbuch für Peer-Education in der Rechtsextremismusprävention und Demokratieförderung.      Alle Rechte vorbehalten
Online unter: http://tandem-nrw.de/wordpress/wp-content/uploads/2019/05/                           Dorsten 2019
TANDEM-NRW_Was-ist-dir-eigentlich-wichtig_Lese-Ansicht.pdf                                         Druck: WIRmachenDRUCK GmbH

Partner*innen zum Weiterdarüberreden
Amadeu Antonio Stiftung
Bildungsstätte Anne Frank e. V.
Geschichtsort Villa ten Hompel
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA)
Jüdisches Museum Westfalen
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e. V. (KIgA e. V.)
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW
NinA NRW
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