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Der kritische Agrarbericht 2021

( Schwerpunkt »Welt im Fieber – Klima & Wandel«

Die Fledermäuse sind nicht schuld
Die Zerstörung von Naturgebieten und der Verlust an biologischer Vielfalt
als eine zentrale Ursache für die Pandemiegefahr

von Joachim H. Spangenberg

                       Das SARS-CoV-2-Virus, das die Covid-19-Pandemie verursacht, ist höchst wahrscheinlich von Wild-
                       tieren auf den Menschen übergegangen. Schuld daran ist die immer engere Konfrontation mit den
                       Virusträgern, denen sich der Mensch beim Eindringen in noch funktionierende Naturlandschaften
                       aussetzt. Erst Jagd, dann Rodung und landwirtschaftliche Nutzung plus Besiedlung führen zu Si-
                       tuationen, in denen solche Virusübergänge häufiger werden – und die Gefahr nimmt Jahr für Jahr
                       zu. Der folgende Beitrag zeigt die Zusammenhänge auf, die zwischen der Zerstörung von Naturge-
                       bieten, etwa durch Waldrodungen, und dem Ausbruch von Infektionskrankheiten beim Menschen
                       bestehen. Er macht deutlich, dass Naturschutz und Gesundheitsschutz zusammengedacht werden
                       müssen, dass im Sinne des One-Health-Konzepts die Gesundheit von Natur, Tier und Mensch glei-
                       chermaßen zentral ist, um zukünftige Pandemien zu vermeiden.

Ein Virus geht um die Welt, fordert Millionen Opfer,             Woher wissen wir das? Die Technik der Genom-
und Verschwörungstheoretiker (und Präsidenten) su-            analyse erlaubt es, das Erbgut von Viren zu entschlüs-
chen die Schuldigen. Die Wahrheit ist ernüchternd: es         seln. Da Viren – wie die meisten Lebewesen – von Ge-
ist unsere Art des Umgangs mit der Natur, unsere öko-         neration zu Generation Veränderungen in ihrem Erb-
logische Verantwortungslosigkeit, die zu Pandemien            gut anhäufen, weil die genetische »Kopiermaschine«
geführt hat, dazu führt und in Zukunft noch häufiger          sehr gut, aber eben nicht perfekt funktioniert, ist die
dazu führen wird – wenn wir so weitermachen.                  Summe der genetischen Unterschiede ein Maß dafür,
                                                              wie lange sich Viren aus Menschen und Tieren ent-
Woher kommt das Coronavirus SARS-CoV-2?                       wicklungsgeschichtlich schon voneinander getrennt
                                                              haben. So zeigt der Vergleich der verschiedenen, heu-
Was sind die Fakten, was ist bekannt und wissen-              te weltweit in Menschen gefundenen Varianten mit
schaftlich (nahezu) unumstritten? Die Quelle des              denen, die aus Fledermäusen und anderen Tieren
SARS-CoV-2-Virus ist mit an Sicherheit grenzender             bekannt sind, dass der Virus vor mehreren Genera-
Wahrscheinlichkeit eine Population von Hufeisen-              tionen aus Fledermäusen auf andere Säugetiere über-
nasen-Fledermäusen in Südchina. Nirgendwo sonst               gegangen ist (welche das waren, ist umstritten) und
finden sich Varianten des Coronavirus, die als Vor-           in diesem Prozess die Eigenschaften erworben hat,
fahren des Verursachers der gegenwärtigen Pande-              die ihn für Menschen so gefährlich machen.1 Zibet-
mie infrage kämen. Aber der Übergang des Virus                katzen, Nagetiere, Schuppentiere, Schlangen, weitere
von den Fledermäusen auf den Menschen war weder               Fledermausarten und andere Spezies, in denen ver-
direkt noch hat er kürzlich stattgefunden. Der in Fle-        wandte Viren vorkommen, sind eventuell in diesem
dermäusen vorhandene Vorfahre des Virus hat sich              Prozess von früheren, noch nicht auf den Menschen
wahrscheinlich über längere Zeit in Zwischenwirten            übergegangenen Varianten des Virus infiziert worden.
zu dem gefährlichen Virus weiterentwickelt, der dann          Die Suche nach dem Ursprung wird auch deswegen
die Covid-19-Pandemie verursachte. Ein »Zwischen-             kaum Erfolg haben, weil wir inzwischen wissen, dass
wirt« könnten auch Menschen gewesen sein, die eine            der Virus von Menschen zurück auf Tiere übertragen
harmlosere Vorform des Virus in sich trugen und in            werden kann (Beispiele sind Haustiere wie Hunde und
denen er seine tödlichen Eigenschaften entwickelte.           Katzen, aber auch Tiger im New Yorker Zoo haben

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Natur und Umwelt

ihn sich eingefangen). Findet man also den Virus in        wird der Ausbruch des MERS-Coronavirus im Jahr
einer Tierart, ist es nicht möglich festzustellen, ob er   2012 im Nahen Osten auf ursprünglich in Fledermäu-
von dort auf den Menschen oder vom Menschen auf            sen vorkommende Viren zurückgeführt, die ihre für
die betroffene Art übertragen wurde.                       Menschen gefährliche Form in domestizierten Tieren,
                                                           in diesem Fall in Kamelen, entwickelt haben. Bislang
Der Weg zum Menschen                                       waren es vor allem Vögel, Nagetiere oder Primaten, in
                                                           denen die meisten großen Pandemien der Geschichte
Soweit zum Ursprung. Wie aber kam es dazu, dass der        ihren Ursprung hatten, aber auch Insekten, Fleder-
Virus seinen Weg zum Menschen fand? Auch das ist           mäuse, Flughunde und Schweine sind bei neu auftre-
kein großes Rätsel, denn der Übergang von Viren auf        tenden Krankheiten oft beteiligt. So haben Proben aus
Menschen ist eine konstante Begleiterscheinung der         2.500 europäischen Ställen gezeigt, dass in mehr als
menschlichen Zivilisation; der Fachbegriff für solche      der Hälfte der untersuchten Betriebe bei Schweinen
von Tieren auf Menschen übergehende Krankheitser-          Influenzaviren nachgewiesen werden konnten, die
reger ist »Zoonosen«. Wann immer Tiere und Men-            bereits Immunität gegen ein wichtiges Element der
schen eng zusammen leben, nutzen Viren das und             menschlichen Immunabwehr erworben hatten.4
wechseln von einem Wirt zum nächsten.2 Domesti-               Das höchste Risiko für Epidemien und Pandemien
zierte Tiere wie Rinder, Schafe, Hunde und Ziegen          geht von Tierarten aus, an deren Virenlast Menschen
haben die meisten Viren mit Menschen gemeinsam,            bisher nicht angepasst sind – also von Wildtieren. Über
und der Austausch ist oft gegenseitig. Die Schweine-       70 Prozent der Infektionskrankheiten tierischen Ur-
und die Vogelgrippewellen sind aktuelle Beispiele,         sprungs werden von Wildtieren übertragen (Abb. 1).
aber die Ursprünge reichen weit zurück. So hat sich        Das ist keine neue Erkenntnis – schon vor Ausbruch
der Masernvirus wahrscheinlich im 4. Jahrhundert vor       der Pandemie wies der Weltbiodiversitätsrat auf das
unserer Zeitrechnung in Mitteleuropa aus dem Virus         Risiko hin, dass die zunehmende Naturzerstörung (kei-
für Rinderpest entwickelt.3 Die Gruppe der Wildtiere,      nes der Ziele, die die Weltgemeinschaft sich 2010 ge-
die sich an eine menschliche Umwelt weitgehend an-         setzt hatte, wurde erreicht5) zu vermehrten Zoonosen
gepasst haben – z. B. Nagetiere, Fledermäuse und Pri-      führen kann.6 Das Risiko wird noch einmal potenziert,
maten (Affen) – weist nach den domestizierten Tieren       wenn diese – wie in China häufig – in Massentierhal-
die zweithöchste Gemeinsamkeit mit den Menschen            tung vermehrt werden. Den kulturell tief verankerten
auf. Sie leben in unmittelbarer Nähe der Menschen, oft     Konsum von Wildtieren durch deren Vermehrung
in den Häusern, und sind Träger von rund Dreiviertel       in Zuchtstationen zu decken, reduziert zwar die Na-
aller relevanten Viren. Der Anteil zoonotischer Erre-      turzerstörung durch Jagd und kann selten gewordene
ger in Fledermäusen, Nagetieren und Vögeln ist auch        Tierarten schützen (wenn sie nicht illegal gefangen
deswegen besonders hoch, weil sie oft mehrere Viren        und in die Zucht eingeschleust werden – samt ihrer
oder Virusvarianten in sich tragen und den Erregern        Virenlast), kann aber zu Krankheitsausbrüchen füh-
die Möglichkeit geben, Gene untereinander auszutau-        ren. So konnte der frühere schwere SARS-Ausbruch in
schen. Das erleichtert es den Viren, Merkmale auszubil-    den Jahren 2002/03 in China auf Fledermausviren zu-
den, die den Übergang auf den Menschen ermöglichen.        rückgeführt werden, die sich in Schleichkatzen-Zucht-
   Obwohl das Krankheitsrisiko, das von diesen bei-        stationen an Säugetiere anpassten und dann leicht auf
den Tiergruppen ausgeht, nicht zu vernachlässigen ist,     den Menschen übergehen konnten.
wird es dadurch eingeschränkt, dass die Menschen im           Als Ergebnis der Forschungen zur Herkunft des
Laufe einer langen und opferreichen Anpassung gegen        Covid-19 verursachenden SARS-CoV-2-Virus kann
viele der gemeinsamen (d. h. durch frühere Zoonosen        man also festhalten, dass er ziemlich sicher von Vor-
übertragenen) Viren eine wirksame Immu-
nabwehr entwickelt haben – die aber durch
Virusmutationen jederzeit unterlaufen wer-         Abb. 1: Herkunft der Krankheitserreger⁷
den kann, wie die alljährliche Influenza-
                                                   (Untersuchte) Infektionskrankheiten
welle demonstriert. Da Massentierhaltung,
also das Vorhandensein vieler Individuen           insgesamt:
der selben Tierart auf engstem Raum, ide-                                          
ale Bedingungen für die Vermehrung von             tierischen Ursprungs
Krankheitserregern bildet, stellt sie einen                      (=  Prozent)
risikoverstärkenden Faktor dar, wann im-
mer ein Virus von außen eingeschleppt wird         davon von Wildtieren übertragen
                                                                                                            Quelle:
oder sobald eine neue, infektiöse Variante                 (=  Prozent)                    Jones et al. (2008)
durch Mutation in der Herde entsteht. So

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Der kritische Agrarbericht 2021

fahren abstammt, die in Hufeisennasen-Fledermäusen             umgehen – so entstehen immer neue Virusvarianten.
zirkulieren, dann aber in einer oder mehreren Säuge-           Nach der anderen Erklärung sind nicht die Körper-
tierarten weitere Entwicklungsschritte durchgemacht            eigenschaften der Fledermausindividuen ausschlag-
hat, bis er schließlich auf den Menschen übersprang.           gebend, sondern der Artenreichtum: Da mit mehr Ar-
Das kann in dem Wildtiersegment des Marktes von                ten in einer Tierfamilie auch mehr an diese angepasste
Wuhan passiert sein, wo zahlreiche potenziell vi-              Virusvarianten vorkommen und da tropische Fleder-
rusübertragende Arten zum Verkauf standen – den                mäuse (wie Nagetiere) äußerst artenreich sind, gibt es
Weg von Fledermäusen bis zum Menschen hatte das                in diesen Tierfamilien besonders viele Virusvarian-
Virus aber schon weit früher angetreten. Deshalb               ten (die sog. Amplification-Hypothese). Nach dieser
ist es ebenso möglich, dass Markthändlerinnen und              Lesart wäre nicht die Vielfalt an Viren je Fledermaus,
-händler, die sich mit dem Virus infiziert hatten, die-        sondern die Vielzahl der Fledermausarten je Biotop
sen mit nach Wuhan gebracht haben, wo er sich in               die Erklärung dafür, dass die Fledertiere ein Corona-
einem der größten Märkte Südchinas rasend schnell              viren-Reservoir sind. Welche Erklärung am ehesten
ausbreiten konnte, oder sogar, dass Marktkundinnen             zutrifft, ist biologisch interessant, aber für Zoonosen
und -kunden die unwissenden Überträger waren, die              weitgehend irrelevant, denn die Anzahl von Viren im
zum Ausbruch der Pandemie beigetragen haben. Will              Reservoir ist nicht entscheidend für den Übergang auf
man vermeiden, dass künftig Pandemien auf diese Art            den Menschen. Wichtiger ist, wie oft Menschen mit
entstehen, muss man also die gesamte Kette von der             virentragenden Tieren zusammentreffen, z. B. wenn
Ursprungsart über die Zwischenwirte bis zum Men-               sie in deren Habitate eindringen.
schen betrachten und umgestalten.
   Warum gerade Fledermäuse? – Coronaviren sind                Was hat das mit Naturgebieten zu tun?
hauptsächlich in den tropischen Regionen der Erde
verbreitet; tropische Fledermäuse sind das wichtigste                Die Jagd in Naturgebieten mit teils verheerenden öko-
Coronavirus-Reservoir – Forscherinnen und Forscher                   logischen Folgen ist oft erst der Anfang. Den Jägern
haben bei Fledermäusen und den ihnen verwandten                      folgen Bauern und Bäuerinnen, die Wälder roden,
Flughunden rund 3.200 unterschiedliche Coronaviren                   Moore trockenlegen und Grasflächen umbrechen,
identifiziert.8 Da die biologische Vielfalt in den Tropen            um landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen,
am höchsten ist, überrascht es nicht, dass das auch für              dann die Konzerne, die Wald in Weide umwandeln
Krankheitserreger gilt – aber warum gerade Fledertiere?              oder Plantagen anlegen, beides überwiegend für die
   Zwei Erklärungen finden sich in der Literatur.                    Exportwirtschaft. Schließlich folgen die Siedlerinnen
Nach der einen sind Fledermäuse weniger anfällig,                    und Siedler, die vor Ort leben und wohnen. Aus dem
da sie eine höhere Körpertemperatur besitzen und                     gelegentlichen Besuch wird erst der Hof, und dann das
eine erfolgreiche Immunabwehr gegen Virenangriffe                    Dorf oder die Arbeitersiedlung, und alle roden weiter,
entwickelt haben, die die Viren zu immer neuen Mu-                   um Brenn- und Bauholz zu gewinnen. Am Ende steht
tationen antreibt, um diese Schutzmechanismen zu                     die größere Siedlung, die Stadt. So hat Europa seine
                                                                           Naturwälder verloren, so wurde die biologische
                                                                           Vielfalt in Nordamerika unterminiert, und so
  Abb. 2: Waldrodungen lösen Krankheiten aus⁹                              passiert es heute in Afrika und Asien. Und die-
  Welche Faktoren für Infektionskrankheiten verantwortlich sind
                                                                           se Entwicklung geht weiter, zulasten der Bio-
                                                                           diversität und zugunsten der Ausbreitung von
  Landnutzung
                                                                        Krankheiten, wie Abbildung 2 zeigt. Aber wie
  Gesundheitswesen und Gesellschaft
                                                                           kommen hier die Viren ins Spiel?
                                                                           Zum einen natürlich dadurch, dass mehr
  Landwirtschaft                                                           Menschen mit Viren konfrontiert sind, gegen
                                                                        die sie keine Widerstandkräfte besitzen, wenn
  globaler Verkehr                                                         sie in die Gebiete eindringen, in denen diese
                             
                                                                           Viren in den lokalen Arten verbreitet sind und
  Krieg und Hungersnot
                   
                                                                           die Bedingungen existieren, unter denen die In-
                                                                           fektionen von einer Art auf die andere – und
  Klimawandel
                                                                         auf den Menschen – übergehen können. Dafür
  Lebensmittel                                                             ist unser Umgang mit der Natur entscheidend:
                                                                         Während in größeren und weniger vom Men-
  Übrige                                                      Quelle:      schen gestörten Habitaten enge Kontakte und
                                                  Loh et al. (2015)      damit Übertragungsmöglichkeiten seltener sind
                                                                           (der sog. dilution effect), unterminiert die Um-

210
Natur und Umwelt

wandlung von Naturgebieten in Nutzflächen diese na-             Landwirtschafts- und Siedlungszwecke, von anpas-
türliche »Sicherheitsmaßnahme«. Die Schädigung von              sungsfähigen Generalisten kolonisiert werden; sie sind
Ökosystemen ist damit ein weiterer wesentlicher Weg,            Kulturfolger. So steigen die Häufigkeit und die Indi-
auf dem Zoonosen entstehen.                                     viduenzahlen der Generalistenarten, die sich zudem
   Das heißt, dass nicht nur die reine Anwesenheit in           in zunehmendem Maße Lebensräume mit anderen
Naturgebieten ein Risiko schafft, sondern darüber hi-           (Nutz-)Tieren und Menschen teilen müssen.
naus die Änderungen, die Menschen an Ökosystemen                   Generalistenarten sind dadurch definiert, dass sie
verursachen, zur Erhöhung des Risikos von Virus-                in unterschiedlichen Lebensräumen vorkommen. Ty-
übertragungen beitragen. Werden die Lebensräume                 pische Gemeinsamkeiten dieser Arten bestehen darin,
von Populationen fortschreitend verkleinert, rücken             dass sie kurze Generationszeiten, eine hohe Fortpflan-
nicht nur die Tiere derselben Art enger zusammen,               zungsrate und ein ausgezeichnetes Immunsystem
was den innerartlichen Austausch von Krankheits-                haben. Das erleichtert ihnen die Anpassung an die
erregern fördert; auch Arten, die sonst unterschied-            neuen, menschengemachten Lebensräume und sorgt
liche Umgebungsbedingungen bevorzugt hätten und                 gleichzeitig dafür, dass sie viele Erreger in sich tragen
deshalb kaum aufeinandergetroffen wären, werden in              können, ohne selbst krank zu werden. Entsprechend
nahe Nachbarschaft gezwungen. Das wiederum er-                  sind auch die Erreger, die sie mit sich tragen (und ge-
höht die Wahrscheinlichkeit, dass Viren oder andere             gen die sie selbst oft unempfindlich sind) überdurch-
Erreger, die es geschafft haben, von einem Tier einer           schnittlich vielfältig und anpassungsfähig. Fledermäu-
Art auf eines einer anderen Art überzugehen, sich               se und viele Nagetiere gehören zu diesen Generalisten
schnell und weitreichend verbreiten können.                     (die Pest wurde von Ratten verbreitet); da sie sowohl
   Der dritte biologische Mechanismus, der die gegen-           Virenreservoirs sind als auch in der unmittelbaren
wärtige Situation hohen Infektionsrisikos verursacht,           Umgebung der Menschen leben, oft sogar in ihren
ist die Veränderung der Artenzusammensetzung in                 Häusern, stellen sie eine besondere Gefahr dar. Hinzu
den transformierten Ökosystemen. Von dem Ver-                   kommen zwei nicht biologische Faktoren: zum einen
lust von Lebensräumen durch die Störung von Ha-                 die wachsende Mobilität, also die Globalisierung von
bitaten, Flächenverbrauch und Fragmentierung, vor               Reisen und Gütertransporten; sie fördert nicht nur
allem durch die Intensivierungen der Nutzung, sind              eine schnelle Ausbreitung früher lokal beschränkter
nicht alle Arten gleichmäßig betroffen. Spezialisten,           Krankheitsausbrüche, sondern öffnet durch Straßen-
die auf spezifische Umweltbedingungen angewiesen                bau Wälder weit wirksamer als die Jagd und beschleu-
sind, werden verdrängt oder sterben aus, während die            nigt den Klimawandel weiter. Letzterer ist der zweite
»neuen« Lebensräume, also z. B. gerodete Flächen für            nicht biologische Faktor, denn die Klimakrise trägt

  Regenwaldzerstörung und ihre Folgen – das Beispiel Ebola

  Die beschriebenen Mechanismen der Virenübertragung             Virus. Er kam Ende Dezember mit dem Virus in Berüh­
  zeigten sich archetypisch beim Ausbruch der Ebola-             rung, bekam Fieber, hatte einen schwarzen Stuhlgang
  Epidemie in Meliandou, Guinea.10 Die Landschaft rund um        und starb nach zwei Tagen an den Folgen der Krankheit.
  das Dorf hatte sich in den Jahren zuvor stark verändert.       Heute gilt der Junge als erster Infizierter der Westafrika­
  Bergbau- und Holzunternehmen hatten sich in der Region         nischen Ebola-Epidemie, die im Oktober 2014 ihren Höhe­
  etabliert und Zuwanderer angelockt, der Regenwald              punkt erreichte und tausende Opfer forderte. Mit großer
  musste Feldern, Fruchtplantagen und Minen weichen.             Wahrscheinlichkeit hat das Ebolavirus – ähnlich dem
  Das hat die Ökologie der zuvor dicht bewaldeten Fläche         SARS-CoV-2-Virus – seinen Ursprung in Flughund- und
  stark verändert – Flughunde und Fledermäuse wurden             Fledermausarten, die durch die geänderte Landnutzung
  von den süßen Früchten der Plantagen angezogen;                in die Nähe der Menschen gelockt und gezwungen wor­
  Affen, Waldantilopen und Eichhörnchen wurden durch             den waren.
  schrumpfende Naturräume näher an die menschliche                   Bei diesem Mechanismus handelt es sich nicht um
  Zivilisation gedrängt, wo sie eine beliebte Beute der Jäger    einen Einzelfall, sondern um das grundlegende Muster
  waren. Durch den anschließenden Verzehr der getöteten          der Zoonose, wie eine Studie aus dem Jahr 201711 zeigt:
  Wildtiere (aber auch durch den Konsum von mit Speichel        Ebola-Ausbrüche traten vermehrt dort auf, wo der Regen­
  bedeckten Früchten) kamen die Menschen aus dem Dorf           wald zuvor stark fragmentiert und abgeholzt wurde,
  in direkten Kontakt mit den Wildtieren. So kam, was           wo große, zusammenhängende Waldflächen durch das
  kommen musste: Im Dezember 2013 brach die Epidemie            Eindringen des Menschen in immer kleinere, isolierte
  aus. Ein zweijähriger Junge wurde das erste Opfer des         ­F lecken verwandelt wurden.

                                                                                                                               211
Der kritische Agrarbericht 2021

   Folgerungen      & Forderungen
   Wichtige ökologische Folgerungen für die Post-Corona-                      ming, China, zur Vertragsstaatenkonferenz COP15
   Zeit sind deshalb:                                                         zusammentreffen, um einen Aktionsplan zum Schutz
                                                                              der biologischen Vielfalt bis 2030 auszuarbeiten, mit
   ■   Wildtierhandel: Die bestehenden Einschränkungen                        Perspektiven bis 2050. Den Schutz von Habitaten zu
       aus Artenschutzgründen sind weder ausreichend, um                      stärken, muss eine der zentralen Aufgaben in der Post-
       Krankheitsverbreitung zu vermeiden, noch werden                        2020-Strategie der CBD sein. Sie muss verbindlich wer­
       sie konsequent durchgesetzt. Der Handel muss stark                     den, mit Überwachung und Kontrolle, sonst wird sie
       eingeschränkt und was verbleibt, reguliert und kon­                    ebenso folgenlos bleiben wie die früheren Strategien.
       trolliert werden.                                                 ■    Biodiversitätsschutz finanzieren: Werden nach der
   ■   Habitatzerstörung: Primärwälder, Schutzgebiete und                     Corona-Krise Einsparpotenziale gesucht, um die in der
       die Lebensräume indigener Völker müssen konse­                         Krise zu Recht aufgenommenen staatlichen Schulden
       quent vor der Degradierung sowohl durch Plantagen­                     abzubauen, so darf dies ebensowenig zulasten des
       kulturen wie durch Siedler geschützt werden. Dazu ist                  nationalen wie des internationalen Umwelt- und Natur­
       es notwendig, den landsuchenden Kleinbäuerinnen                        schutzes gehen. Im Gegenteil: Deutschland muss trotz
       und -bauern geeignete Flächen anzubieten, die oft im                   der durch die Corona-Krise entstandenen großen finan­
       Eigentum von Plantagenbesitzern sind.                                  ziellen Belastungen beim Kampf gegen die Zerstörung
   ■   Konvention für Biologische Vielfalt CBD: 2021 werden                   von Lebensräumen und der Ökosystemleistungen finan­
       die Unterzeichnerstaaten der Konvention in Kun­                        zielle Solidarität mit den Ländern des Südens zeigen.

dazu bei, Ökosysteme zu destabilisieren und Arten aus                         and Pandemics. Workshop report. Bonn 2020. DOI: 10.5281/zeno­
ihren angestammten Lebensräumen zu vertreiben.12                              do.4147318.
                                                                         7    Quelle: K. E. Jones et al.: Global trends in emerging infectious
   So optimiert die Menschheit die Bedingungen für
                                                                              diseases. In: Nature 451 (2008), pp. 990–994.
die Ausbreitung von Krankheiten 1) durch die Redu-                       8    Die in Deutschland vorkommenden 25 Fledermausarten sind kei­
zierung der Barrieren zwischen Wirtstieren, in denen                          ne Überträger von Coronaviren. Fledermäuse (die zu den welt­
solche Viren natürlicherweise zirkulieren, 2) durch die                       weit am stärksten bedrohten Wildtieren zählen) sind unent­
Verschiebung des Artenspektrums zugunsten effektiver                          behrlich für die Gesundheit von Ökosystemen, von denen wir
                                                                              Menschen abhängig sind – in vielen Regionen sind sie z. B.
Virusüberträger und 3) durch die Entstehung von Le-                           wesentliche Bestäuber und ernähren sich von Insekten, die
bensräumen, die diese Arten mit den Menschen teilen.                          sonst die Ernten befallen würden.
   Das Problem liegt also nicht bei den Fledermäu-                       9    Die Abbildung stammt aus A. Bastani: Weniger Urwald, mehr Infek­
sen und anderen Wildtieren, sondern im Umgang                                 tionskrankheiten. In: Republik vom 22. Juni 2020 (www.republik.
                                                                              ch/2020/06/22/weniger-urwald-mehr-infektionskrankheiten).
des Menschen mit der Natur: Wo Menschen die
                                                                              Die Zahlen basieren auf Jones et al. (siehe Anm. 5) und der Aus­
Tierwelt ganz wörtlich »in die Enge treiben«, treten                          wertung von E. H. Loh et al.: Targeting transmission pathways for
Übertragungen vermehrt auf. Auf diese Weise erhöht                            emerging zoonotic disease surveillance and control. In: Vector
die Zerstörung und Fragmentierung von natürlichen                             Borne and Zoonotic Diseases 15/7 (2015), pp. 432–437, hier: p. 434.
Habitaten die Häufigkeit, mit der aus Wildbeständen                      10   Zum Folgenden siehe auch: E. Vonwyl: Was hat das Coronavirus
                                                                              mit Naturschutz zu tun? In: naturschutz.ch vom 18. März 2020
Krankheitserreger auf Menschen überspringen.                                  (https://naturschutz.ch/hintergrund/wissen/was-hat-das-coro­
                                                                              navirus-mit-naturschutz-zu-tun/144552).
                                                                         11   M. C. Rulli et al.: The nexus between forest fragmentation in Africa
Amerkungen                                                                    and Ebola virus disease outbreaks. In: Nature Scientific Reports 7,
 1 M. F. Boni et al.: Evolutionary origins of the SARS?CoV?2 sarbeco­         Art. 41613 (2017) (www.nature.com/articles/srep41613).
   virus lineage responsible for the COVID-19 pandemic. DOI:             12   United Nations Environment Programme (UNEP) and Internatio­
   10.1101/2020.03.30.015008. – D. Cyranoski: Profile of a killer:            nal Livestock Research Institute (ILRI): Preventing the next
   The complex biology powering the coronavirus pandemic. In:                 pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of
   Nature News Feature dated 4 May 2020.                                      transmission. Nairobi 2020.
 2 Neben weiteren Viren wie bei Tollwut und Gelbfieber können
   auch Bakterien Krankheiten von Tieren auf Menschen übertra­                                 Dr. Joachim H. Spangenberg
   gen, wie z. B. Milzbrand, Tuberkulose oder die Pest.                                        Biologe und Volkswirt beim Sustainable Euro­
 3 A. Düx et al.: The history of measles: From a 1912 genome to an                             pe Research Institute SERI Germany, Mitglied
   antique origin. DOI: 10.1101/2019.12.29.889667.                                             im Scientific Committee der Europäischen
 4 Gefährliche Schweineviren. In: Bild der Wissenschaft 10/2020, S. 9.                         Umweltagentur EEA sowie Vorsitzender des
 5 Secretariat of the Convention on Biological Diversity: Global bio­                          Wissenschaftlichen Beirats und Mitglied des
   diversity outlook 5. Montreal, Quebec 2020.                                                 Bundesvorstands des BUND.
 6 Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and
   Ecosystem Services (IPBES): IPBES Workshop on Biodiversity                                  joachim.spangenberg@bund.net

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