Die Fledermäuse sind nicht schuld - kritischer-agrarbericht.de
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Der kritische Agrarbericht 2021 ( Schwerpunkt »Welt im Fieber – Klima & Wandel« Die Fledermäuse sind nicht schuld Die Zerstörung von Naturgebieten und der Verlust an biologischer Vielfalt als eine zentrale Ursache für die Pandemiegefahr von Joachim H. Spangenberg Das SARS-CoV-2-Virus, das die Covid-19-Pandemie verursacht, ist höchst wahrscheinlich von Wild- tieren auf den Menschen übergegangen. Schuld daran ist die immer engere Konfrontation mit den Virusträgern, denen sich der Mensch beim Eindringen in noch funktionierende Naturlandschaften aussetzt. Erst Jagd, dann Rodung und landwirtschaftliche Nutzung plus Besiedlung führen zu Si- tuationen, in denen solche Virusübergänge häufiger werden – und die Gefahr nimmt Jahr für Jahr zu. Der folgende Beitrag zeigt die Zusammenhänge auf, die zwischen der Zerstörung von Naturge- bieten, etwa durch Waldrodungen, und dem Ausbruch von Infektionskrankheiten beim Menschen bestehen. Er macht deutlich, dass Naturschutz und Gesundheitsschutz zusammengedacht werden müssen, dass im Sinne des One-Health-Konzepts die Gesundheit von Natur, Tier und Mensch glei- chermaßen zentral ist, um zukünftige Pandemien zu vermeiden. Ein Virus geht um die Welt, fordert Millionen Opfer, Woher wissen wir das? Die Technik der Genom- und Verschwörungstheoretiker (und Präsidenten) su- analyse erlaubt es, das Erbgut von Viren zu entschlüs- chen die Schuldigen. Die Wahrheit ist ernüchternd: es seln. Da Viren – wie die meisten Lebewesen – von Ge- ist unsere Art des Umgangs mit der Natur, unsere öko- neration zu Generation Veränderungen in ihrem Erb- logische Verantwortungslosigkeit, die zu Pandemien gut anhäufen, weil die genetische »Kopiermaschine« geführt hat, dazu führt und in Zukunft noch häufiger sehr gut, aber eben nicht perfekt funktioniert, ist die dazu führen wird – wenn wir so weitermachen. Summe der genetischen Unterschiede ein Maß dafür, wie lange sich Viren aus Menschen und Tieren ent- Woher kommt das Coronavirus SARS-CoV-2? wicklungsgeschichtlich schon voneinander getrennt haben. So zeigt der Vergleich der verschiedenen, heu- Was sind die Fakten, was ist bekannt und wissen- te weltweit in Menschen gefundenen Varianten mit schaftlich (nahezu) unumstritten? Die Quelle des denen, die aus Fledermäusen und anderen Tieren SARS-CoV-2-Virus ist mit an Sicherheit grenzender bekannt sind, dass der Virus vor mehreren Genera- Wahrscheinlichkeit eine Population von Hufeisen- tionen aus Fledermäusen auf andere Säugetiere über- nasen-Fledermäusen in Südchina. Nirgendwo sonst gegangen ist (welche das waren, ist umstritten) und finden sich Varianten des Coronavirus, die als Vor- in diesem Prozess die Eigenschaften erworben hat, fahren des Verursachers der gegenwärtigen Pande- die ihn für Menschen so gefährlich machen.1 Zibet- mie infrage kämen. Aber der Übergang des Virus katzen, Nagetiere, Schuppentiere, Schlangen, weitere von den Fledermäusen auf den Menschen war weder Fledermausarten und andere Spezies, in denen ver- direkt noch hat er kürzlich stattgefunden. Der in Fle- wandte Viren vorkommen, sind eventuell in diesem dermäusen vorhandene Vorfahre des Virus hat sich Prozess von früheren, noch nicht auf den Menschen wahrscheinlich über längere Zeit in Zwischenwirten übergegangenen Varianten des Virus infiziert worden. zu dem gefährlichen Virus weiterentwickelt, der dann Die Suche nach dem Ursprung wird auch deswegen die Covid-19-Pandemie verursachte. Ein »Zwischen- kaum Erfolg haben, weil wir inzwischen wissen, dass wirt« könnten auch Menschen gewesen sein, die eine der Virus von Menschen zurück auf Tiere übertragen harmlosere Vorform des Virus in sich trugen und in werden kann (Beispiele sind Haustiere wie Hunde und denen er seine tödlichen Eigenschaften entwickelte. Katzen, aber auch Tiger im New Yorker Zoo haben 208
Natur und Umwelt ihn sich eingefangen). Findet man also den Virus in wird der Ausbruch des MERS-Coronavirus im Jahr einer Tierart, ist es nicht möglich festzustellen, ob er 2012 im Nahen Osten auf ursprünglich in Fledermäu- von dort auf den Menschen oder vom Menschen auf sen vorkommende Viren zurückgeführt, die ihre für die betroffene Art übertragen wurde. Menschen gefährliche Form in domestizierten Tieren, in diesem Fall in Kamelen, entwickelt haben. Bislang Der Weg zum Menschen waren es vor allem Vögel, Nagetiere oder Primaten, in denen die meisten großen Pandemien der Geschichte Soweit zum Ursprung. Wie aber kam es dazu, dass der ihren Ursprung hatten, aber auch Insekten, Fleder- Virus seinen Weg zum Menschen fand? Auch das ist mäuse, Flughunde und Schweine sind bei neu auftre- kein großes Rätsel, denn der Übergang von Viren auf tenden Krankheiten oft beteiligt. So haben Proben aus Menschen ist eine konstante Begleiterscheinung der 2.500 europäischen Ställen gezeigt, dass in mehr als menschlichen Zivilisation; der Fachbegriff für solche der Hälfte der untersuchten Betriebe bei Schweinen von Tieren auf Menschen übergehende Krankheitser- Influenzaviren nachgewiesen werden konnten, die reger ist »Zoonosen«. Wann immer Tiere und Men- bereits Immunität gegen ein wichtiges Element der schen eng zusammen leben, nutzen Viren das und menschlichen Immunabwehr erworben hatten.4 wechseln von einem Wirt zum nächsten.2 Domesti- Das höchste Risiko für Epidemien und Pandemien zierte Tiere wie Rinder, Schafe, Hunde und Ziegen geht von Tierarten aus, an deren Virenlast Menschen haben die meisten Viren mit Menschen gemeinsam, bisher nicht angepasst sind – also von Wildtieren. Über und der Austausch ist oft gegenseitig. Die Schweine- 70 Prozent der Infektionskrankheiten tierischen Ur- und die Vogelgrippewellen sind aktuelle Beispiele, sprungs werden von Wildtieren übertragen (Abb. 1). aber die Ursprünge reichen weit zurück. So hat sich Das ist keine neue Erkenntnis – schon vor Ausbruch der Masernvirus wahrscheinlich im 4. Jahrhundert vor der Pandemie wies der Weltbiodiversitätsrat auf das unserer Zeitrechnung in Mitteleuropa aus dem Virus Risiko hin, dass die zunehmende Naturzerstörung (kei- für Rinderpest entwickelt.3 Die Gruppe der Wildtiere, nes der Ziele, die die Weltgemeinschaft sich 2010 ge- die sich an eine menschliche Umwelt weitgehend an- setzt hatte, wurde erreicht5) zu vermehrten Zoonosen gepasst haben – z. B. Nagetiere, Fledermäuse und Pri- führen kann.6 Das Risiko wird noch einmal potenziert, maten (Affen) – weist nach den domestizierten Tieren wenn diese – wie in China häufig – in Massentierhal- die zweithöchste Gemeinsamkeit mit den Menschen tung vermehrt werden. Den kulturell tief verankerten auf. Sie leben in unmittelbarer Nähe der Menschen, oft Konsum von Wildtieren durch deren Vermehrung in den Häusern, und sind Träger von rund Dreiviertel in Zuchtstationen zu decken, reduziert zwar die Na- aller relevanten Viren. Der Anteil zoonotischer Erre- turzerstörung durch Jagd und kann selten gewordene ger in Fledermäusen, Nagetieren und Vögeln ist auch Tierarten schützen (wenn sie nicht illegal gefangen deswegen besonders hoch, weil sie oft mehrere Viren und in die Zucht eingeschleust werden – samt ihrer oder Virusvarianten in sich tragen und den Erregern Virenlast), kann aber zu Krankheitsausbrüchen füh- die Möglichkeit geben, Gene untereinander auszutau- ren. So konnte der frühere schwere SARS-Ausbruch in schen. Das erleichtert es den Viren, Merkmale auszubil- den Jahren 2002/03 in China auf Fledermausviren zu- den, die den Übergang auf den Menschen ermöglichen. rückgeführt werden, die sich in Schleichkatzen-Zucht- Obwohl das Krankheitsrisiko, das von diesen bei- stationen an Säugetiere anpassten und dann leicht auf den Tiergruppen ausgeht, nicht zu vernachlässigen ist, den Menschen übergehen konnten. wird es dadurch eingeschränkt, dass die Menschen im Als Ergebnis der Forschungen zur Herkunft des Laufe einer langen und opferreichen Anpassung gegen Covid-19 verursachenden SARS-CoV-2-Virus kann viele der gemeinsamen (d. h. durch frühere Zoonosen man also festhalten, dass er ziemlich sicher von Vor- übertragenen) Viren eine wirksame Immu- nabwehr entwickelt haben – die aber durch Virusmutationen jederzeit unterlaufen wer- Abb. 1: Herkunft der Krankheitserreger⁷ den kann, wie die alljährliche Influenza- (Untersuchte) Infektionskrankheiten welle demonstriert. Da Massentierhaltung, also das Vorhandensein vieler Individuen insgesamt: der selben Tierart auf engstem Raum, ide- ale Bedingungen für die Vermehrung von tierischen Ursprungs Krankheitserregern bildet, stellt sie einen (= Prozent) risikoverstärkenden Faktor dar, wann im- mer ein Virus von außen eingeschleppt wird davon von Wildtieren übertragen Quelle: oder sobald eine neue, infektiöse Variante (= Prozent) Jones et al. (2008) durch Mutation in der Herde entsteht. So 209
Der kritische Agrarbericht 2021 fahren abstammt, die in Hufeisennasen-Fledermäusen umgehen – so entstehen immer neue Virusvarianten. zirkulieren, dann aber in einer oder mehreren Säuge- Nach der anderen Erklärung sind nicht die Körper- tierarten weitere Entwicklungsschritte durchgemacht eigenschaften der Fledermausindividuen ausschlag- hat, bis er schließlich auf den Menschen übersprang. gebend, sondern der Artenreichtum: Da mit mehr Ar- Das kann in dem Wildtiersegment des Marktes von ten in einer Tierfamilie auch mehr an diese angepasste Wuhan passiert sein, wo zahlreiche potenziell vi- Virusvarianten vorkommen und da tropische Fleder- rusübertragende Arten zum Verkauf standen – den mäuse (wie Nagetiere) äußerst artenreich sind, gibt es Weg von Fledermäusen bis zum Menschen hatte das in diesen Tierfamilien besonders viele Virusvarian- Virus aber schon weit früher angetreten. Deshalb ten (die sog. Amplification-Hypothese). Nach dieser ist es ebenso möglich, dass Markthändlerinnen und Lesart wäre nicht die Vielfalt an Viren je Fledermaus, -händler, die sich mit dem Virus infiziert hatten, die- sondern die Vielzahl der Fledermausarten je Biotop sen mit nach Wuhan gebracht haben, wo er sich in die Erklärung dafür, dass die Fledertiere ein Corona- einem der größten Märkte Südchinas rasend schnell viren-Reservoir sind. Welche Erklärung am ehesten ausbreiten konnte, oder sogar, dass Marktkundinnen zutrifft, ist biologisch interessant, aber für Zoonosen und -kunden die unwissenden Überträger waren, die weitgehend irrelevant, denn die Anzahl von Viren im zum Ausbruch der Pandemie beigetragen haben. Will Reservoir ist nicht entscheidend für den Übergang auf man vermeiden, dass künftig Pandemien auf diese Art den Menschen. Wichtiger ist, wie oft Menschen mit entstehen, muss man also die gesamte Kette von der virentragenden Tieren zusammentreffen, z. B. wenn Ursprungsart über die Zwischenwirte bis zum Men- sie in deren Habitate eindringen. schen betrachten und umgestalten. Warum gerade Fledermäuse? – Coronaviren sind Was hat das mit Naturgebieten zu tun? hauptsächlich in den tropischen Regionen der Erde verbreitet; tropische Fledermäuse sind das wichtigste Die Jagd in Naturgebieten mit teils verheerenden öko- Coronavirus-Reservoir – Forscherinnen und Forscher logischen Folgen ist oft erst der Anfang. Den Jägern haben bei Fledermäusen und den ihnen verwandten folgen Bauern und Bäuerinnen, die Wälder roden, Flughunden rund 3.200 unterschiedliche Coronaviren Moore trockenlegen und Grasflächen umbrechen, identifiziert.8 Da die biologische Vielfalt in den Tropen um landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen, am höchsten ist, überrascht es nicht, dass das auch für dann die Konzerne, die Wald in Weide umwandeln Krankheitserreger gilt – aber warum gerade Fledertiere? oder Plantagen anlegen, beides überwiegend für die Zwei Erklärungen finden sich in der Literatur. Exportwirtschaft. Schließlich folgen die Siedlerinnen Nach der einen sind Fledermäuse weniger anfällig, und Siedler, die vor Ort leben und wohnen. Aus dem da sie eine höhere Körpertemperatur besitzen und gelegentlichen Besuch wird erst der Hof, und dann das eine erfolgreiche Immunabwehr gegen Virenangriffe Dorf oder die Arbeitersiedlung, und alle roden weiter, entwickelt haben, die die Viren zu immer neuen Mu- um Brenn- und Bauholz zu gewinnen. Am Ende steht tationen antreibt, um diese Schutzmechanismen zu die größere Siedlung, die Stadt. So hat Europa seine Naturwälder verloren, so wurde die biologische Vielfalt in Nordamerika unterminiert, und so Abb. 2: Waldrodungen lösen Krankheiten aus⁹ passiert es heute in Afrika und Asien. Und die- Welche Faktoren für Infektionskrankheiten verantwortlich sind se Entwicklung geht weiter, zulasten der Bio- diversität und zugunsten der Ausbreitung von Landnutzung Krankheiten, wie Abbildung 2 zeigt. Aber wie Gesundheitswesen und Gesellschaft kommen hier die Viren ins Spiel? Zum einen natürlich dadurch, dass mehr Landwirtschaft Menschen mit Viren konfrontiert sind, gegen die sie keine Widerstandkräfte besitzen, wenn globaler Verkehr sie in die Gebiete eindringen, in denen diese Viren in den lokalen Arten verbreitet sind und Krieg und Hungersnot die Bedingungen existieren, unter denen die In- fektionen von einer Art auf die andere – und Klimawandel auf den Menschen – übergehen können. Dafür Lebensmittel ist unser Umgang mit der Natur entscheidend: Während in größeren und weniger vom Men- Übrige Quelle: schen gestörten Habitaten enge Kontakte und Loh et al. (2015) damit Übertragungsmöglichkeiten seltener sind (der sog. dilution effect), unterminiert die Um- 210
Natur und Umwelt wandlung von Naturgebieten in Nutzflächen diese na- Landwirtschafts- und Siedlungszwecke, von anpas- türliche »Sicherheitsmaßnahme«. Die Schädigung von sungsfähigen Generalisten kolonisiert werden; sie sind Ökosystemen ist damit ein weiterer wesentlicher Weg, Kulturfolger. So steigen die Häufigkeit und die Indi- auf dem Zoonosen entstehen. viduenzahlen der Generalistenarten, die sich zudem Das heißt, dass nicht nur die reine Anwesenheit in in zunehmendem Maße Lebensräume mit anderen Naturgebieten ein Risiko schafft, sondern darüber hi- (Nutz-)Tieren und Menschen teilen müssen. naus die Änderungen, die Menschen an Ökosystemen Generalistenarten sind dadurch definiert, dass sie verursachen, zur Erhöhung des Risikos von Virus- in unterschiedlichen Lebensräumen vorkommen. Ty- übertragungen beitragen. Werden die Lebensräume pische Gemeinsamkeiten dieser Arten bestehen darin, von Populationen fortschreitend verkleinert, rücken dass sie kurze Generationszeiten, eine hohe Fortpflan- nicht nur die Tiere derselben Art enger zusammen, zungsrate und ein ausgezeichnetes Immunsystem was den innerartlichen Austausch von Krankheits- haben. Das erleichtert ihnen die Anpassung an die erregern fördert; auch Arten, die sonst unterschied- neuen, menschengemachten Lebensräume und sorgt liche Umgebungsbedingungen bevorzugt hätten und gleichzeitig dafür, dass sie viele Erreger in sich tragen deshalb kaum aufeinandergetroffen wären, werden in können, ohne selbst krank zu werden. Entsprechend nahe Nachbarschaft gezwungen. Das wiederum er- sind auch die Erreger, die sie mit sich tragen (und ge- höht die Wahrscheinlichkeit, dass Viren oder andere gen die sie selbst oft unempfindlich sind) überdurch- Erreger, die es geschafft haben, von einem Tier einer schnittlich vielfältig und anpassungsfähig. Fledermäu- Art auf eines einer anderen Art überzugehen, sich se und viele Nagetiere gehören zu diesen Generalisten schnell und weitreichend verbreiten können. (die Pest wurde von Ratten verbreitet); da sie sowohl Der dritte biologische Mechanismus, der die gegen- Virenreservoirs sind als auch in der unmittelbaren wärtige Situation hohen Infektionsrisikos verursacht, Umgebung der Menschen leben, oft sogar in ihren ist die Veränderung der Artenzusammensetzung in Häusern, stellen sie eine besondere Gefahr dar. Hinzu den transformierten Ökosystemen. Von dem Ver- kommen zwei nicht biologische Faktoren: zum einen lust von Lebensräumen durch die Störung von Ha- die wachsende Mobilität, also die Globalisierung von bitaten, Flächenverbrauch und Fragmentierung, vor Reisen und Gütertransporten; sie fördert nicht nur allem durch die Intensivierungen der Nutzung, sind eine schnelle Ausbreitung früher lokal beschränkter nicht alle Arten gleichmäßig betroffen. Spezialisten, Krankheitsausbrüche, sondern öffnet durch Straßen- die auf spezifische Umweltbedingungen angewiesen bau Wälder weit wirksamer als die Jagd und beschleu- sind, werden verdrängt oder sterben aus, während die nigt den Klimawandel weiter. Letzterer ist der zweite »neuen« Lebensräume, also z. B. gerodete Flächen für nicht biologische Faktor, denn die Klimakrise trägt Regenwaldzerstörung und ihre Folgen – das Beispiel Ebola Die beschriebenen Mechanismen der Virenübertragung Virus. Er kam Ende Dezember mit dem Virus in Berüh zeigten sich archetypisch beim Ausbruch der Ebola- rung, bekam Fieber, hatte einen schwarzen Stuhlgang Epidemie in Meliandou, Guinea.10 Die Landschaft rund um und starb nach zwei Tagen an den Folgen der Krankheit. das Dorf hatte sich in den Jahren zuvor stark verändert. Heute gilt der Junge als erster Infizierter der Westafrika Bergbau- und Holzunternehmen hatten sich in der Region nischen Ebola-Epidemie, die im Oktober 2014 ihren Höhe etabliert und Zuwanderer angelockt, der Regenwald punkt erreichte und tausende Opfer forderte. Mit großer musste Feldern, Fruchtplantagen und Minen weichen. Wahrscheinlichkeit hat das Ebolavirus – ähnlich dem Das hat die Ökologie der zuvor dicht bewaldeten Fläche SARS-CoV-2-Virus – seinen Ursprung in Flughund- und stark verändert – Flughunde und Fledermäuse wurden Fledermausarten, die durch die geänderte Landnutzung von den süßen Früchten der Plantagen angezogen; in die Nähe der Menschen gelockt und gezwungen wor Affen, Waldantilopen und Eichhörnchen wurden durch den waren. schrumpfende Naturräume näher an die menschliche Bei diesem Mechanismus handelt es sich nicht um Zivilisation gedrängt, wo sie eine beliebte Beute der Jäger einen Einzelfall, sondern um das grundlegende Muster waren. Durch den anschließenden Verzehr der getöteten der Zoonose, wie eine Studie aus dem Jahr 201711 zeigt: Wildtiere (aber auch durch den Konsum von mit Speichel Ebola-Ausbrüche traten vermehrt dort auf, wo der Regen bedeckten Früchten) kamen die Menschen aus dem Dorf wald zuvor stark fragmentiert und abgeholzt wurde, in direkten Kontakt mit den Wildtieren. So kam, was wo große, zusammenhängende Waldflächen durch das kommen musste: Im Dezember 2013 brach die Epidemie Eindringen des Menschen in immer kleinere, isolierte aus. Ein zweijähriger Junge wurde das erste Opfer des F lecken verwandelt wurden. 211
Der kritische Agrarbericht 2021 Folgerungen & Forderungen Wichtige ökologische Folgerungen für die Post-Corona- ming, China, zur Vertragsstaatenkonferenz COP15 Zeit sind deshalb: zusammentreffen, um einen Aktionsplan zum Schutz der biologischen Vielfalt bis 2030 auszuarbeiten, mit ■ Wildtierhandel: Die bestehenden Einschränkungen Perspektiven bis 2050. Den Schutz von Habitaten zu aus Artenschutzgründen sind weder ausreichend, um stärken, muss eine der zentralen Aufgaben in der Post- Krankheitsverbreitung zu vermeiden, noch werden 2020-Strategie der CBD sein. Sie muss verbindlich wer sie konsequent durchgesetzt. Der Handel muss stark den, mit Überwachung und Kontrolle, sonst wird sie eingeschränkt und was verbleibt, reguliert und kon ebenso folgenlos bleiben wie die früheren Strategien. trolliert werden. ■ Biodiversitätsschutz finanzieren: Werden nach der ■ Habitatzerstörung: Primärwälder, Schutzgebiete und Corona-Krise Einsparpotenziale gesucht, um die in der die Lebensräume indigener Völker müssen konse Krise zu Recht aufgenommenen staatlichen Schulden quent vor der Degradierung sowohl durch Plantagen abzubauen, so darf dies ebensowenig zulasten des kulturen wie durch Siedler geschützt werden. Dazu ist nationalen wie des internationalen Umwelt- und Natur es notwendig, den landsuchenden Kleinbäuerinnen schutzes gehen. Im Gegenteil: Deutschland muss trotz und -bauern geeignete Flächen anzubieten, die oft im der durch die Corona-Krise entstandenen großen finan Eigentum von Plantagenbesitzern sind. ziellen Belastungen beim Kampf gegen die Zerstörung ■ Konvention für Biologische Vielfalt CBD: 2021 werden von Lebensräumen und der Ökosystemleistungen finan die Unterzeichnerstaaten der Konvention in Kun zielle Solidarität mit den Ländern des Südens zeigen. dazu bei, Ökosysteme zu destabilisieren und Arten aus and Pandemics. Workshop report. Bonn 2020. DOI: 10.5281/zeno ihren angestammten Lebensräumen zu vertreiben.12 do.4147318. 7 Quelle: K. E. Jones et al.: Global trends in emerging infectious So optimiert die Menschheit die Bedingungen für diseases. In: Nature 451 (2008), pp. 990–994. die Ausbreitung von Krankheiten 1) durch die Redu- 8 Die in Deutschland vorkommenden 25 Fledermausarten sind kei zierung der Barrieren zwischen Wirtstieren, in denen ne Überträger von Coronaviren. Fledermäuse (die zu den welt solche Viren natürlicherweise zirkulieren, 2) durch die weit am stärksten bedrohten Wildtieren zählen) sind unent Verschiebung des Artenspektrums zugunsten effektiver behrlich für die Gesundheit von Ökosystemen, von denen wir Menschen abhängig sind – in vielen Regionen sind sie z. B. Virusüberträger und 3) durch die Entstehung von Le- wesentliche Bestäuber und ernähren sich von Insekten, die bensräumen, die diese Arten mit den Menschen teilen. sonst die Ernten befallen würden. Das Problem liegt also nicht bei den Fledermäu- 9 Die Abbildung stammt aus A. Bastani: Weniger Urwald, mehr Infek sen und anderen Wildtieren, sondern im Umgang tionskrankheiten. In: Republik vom 22. Juni 2020 (www.republik. ch/2020/06/22/weniger-urwald-mehr-infektionskrankheiten). des Menschen mit der Natur: Wo Menschen die Die Zahlen basieren auf Jones et al. (siehe Anm. 5) und der Aus Tierwelt ganz wörtlich »in die Enge treiben«, treten wertung von E. H. Loh et al.: Targeting transmission pathways for Übertragungen vermehrt auf. Auf diese Weise erhöht emerging zoonotic disease surveillance and control. In: Vector die Zerstörung und Fragmentierung von natürlichen Borne and Zoonotic Diseases 15/7 (2015), pp. 432–437, hier: p. 434. Habitaten die Häufigkeit, mit der aus Wildbeständen 10 Zum Folgenden siehe auch: E. Vonwyl: Was hat das Coronavirus mit Naturschutz zu tun? In: naturschutz.ch vom 18. März 2020 Krankheitserreger auf Menschen überspringen. (https://naturschutz.ch/hintergrund/wissen/was-hat-das-coro navirus-mit-naturschutz-zu-tun/144552). 11 M. C. Rulli et al.: The nexus between forest fragmentation in Africa Amerkungen and Ebola virus disease outbreaks. In: Nature Scientific Reports 7, 1 M. F. Boni et al.: Evolutionary origins of the SARS?CoV?2 sarbeco Art. 41613 (2017) (www.nature.com/articles/srep41613). virus lineage responsible for the COVID-19 pandemic. DOI: 12 United Nations Environment Programme (UNEP) and Internatio 10.1101/2020.03.30.015008. – D. Cyranoski: Profile of a killer: nal Livestock Research Institute (ILRI): Preventing the next The complex biology powering the coronavirus pandemic. In: pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of Nature News Feature dated 4 May 2020. transmission. Nairobi 2020. 2 Neben weiteren Viren wie bei Tollwut und Gelbfieber können auch Bakterien Krankheiten von Tieren auf Menschen übertra Dr. Joachim H. Spangenberg gen, wie z. B. Milzbrand, Tuberkulose oder die Pest. Biologe und Volkswirt beim Sustainable Euro 3 A. Düx et al.: The history of measles: From a 1912 genome to an pe Research Institute SERI Germany, Mitglied antique origin. DOI: 10.1101/2019.12.29.889667. im Scientific Committee der Europäischen 4 Gefährliche Schweineviren. In: Bild der Wissenschaft 10/2020, S. 9. Umweltagentur EEA sowie Vorsitzender des 5 Secretariat of the Convention on Biological Diversity: Global bio Wissenschaftlichen Beirats und Mitglied des diversity outlook 5. Montreal, Quebec 2020. Bundesvorstands des BUND. 6 Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES): IPBES Workshop on Biodiversity joachim.spangenberg@bund.net 212
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