Auf in die Telematik-infrastruktur! - Bund - FINSOZ

Die Seite wird erstellt Jennifer Lang
 
WEITER LESEN
Auf in die Telematik-infrastruktur! - Bund - FINSOZ
Bund

Auf in die Telematik-
infrastruktur!
Die Telematikinfrastruktur (TI) wird für die Pflege zunehmend
zum wichtigen Thema. Doch was steckt hinter der TI? Lohnt
sich ein Einstieg für die Pflege? Welche Hürden sind damit
verbunden? Ein Überblick.
prOf. dr. dietmar WOlff

                          M
                                    it der Verabschiedung des Digitale-Versor-      Datenverbindungen ausgetauscht und Behandlungs-
                                    gung-Gesetzes (DVG) durch den Bundestag         und Betreuungsprozesse von Patientinnen und Pati-
                                    im November letzten Jahres ist Telematik-       enten unterstützt werden können“ (BMG 2017).
                          infrastruktur (TI) ein Thema, mit dem sich auch die           Mit den digitalen eHealth-Anwendungen, deren
                          Pflege beschäftigen sollte. Zwar werden per Gesetz        Erstellung gesetzlich festgeschrieben ist, sollen „me-
                          nur die Apotheken und Krankenhäuser verpflichtet,         dizinische Informationen, die für die Behandlung
                          sich bis Ende September 2020 bzw. Anfang Januar           der Patienten benötigt werden, schneller und lücken-
                          2021 an die Telematikinfrastruktur anzuschließen.         loser verfügbar“ sein (gematik 2020c). Nach dem
                          Für Pflegeeinrichtungen, sowie auch Hebammen              Versichertenstammdaten-Management, mit dem die
                          und Physiotherapeuten, sieht das Gesetz (zunächst)        Daten auf der eGK gepflegt und abgeglichen werden,
                          einen bezahlten Anschluss auf freiwilliger Basis vor.     kommen in den nächsten Jahren die ersten medizi-
                              eHealth, eGK und TI – noch Fragen? Die Telema-        nischen Anwendungen hinzu, deren Nutzung bisher
                          tikinfrastruktur ist ein wesentlicher Baustein des        freiwillig ist. Die aus Versichertensicht we-
                          deutschen eHealth-Systems. Quasi als „Datenauto-          sentlichen Anwendungen sind dabei:
                          bahn“ vernetzt die TI alle Akteure des Gesundheits-       ▸ die elektronische Patientenakte
                          wesens und gewährleistet den sektoren- und syste-             (ePA) – ab 1. Januar 2021 müssen die
                          mübergreifenden Austausch von Informationen.                  gesetzlichen Krankenkassen ihren
                          Höchste Priorität haben dabei die sichere, verschlüs-         Versicherten auf der eGK einen sicheren
                          selte Kommunikation zwischen den Kommunika-                   virtuellen Speicherort anbieten, mittels
                          tionspartnern sowie der Schutz vor dem Zugriff auf            dem gesundheitsbezogene Daten zwi-
                          sensible Informationen. Die TI ist daher ein geschlos-        schen dem Patienten und den an
                          senes Netzwerk, zu dem nur registrierte Nutzer (Per-          seiner medizinischen Behandlung
                          sonen oder Institutionen) mit einem elektronischen            beteiligten Leistungserbringern
                          Heilberufs- und Praxisausweis Zugang erhalten (ge-            ausgetauscht werden können.
                          matik 2020a). Die gesetzlichen Grundlagen von TI          ▸ der Elektronische Medikations-
                          und gematik finden sich in den §§ 291 bis 291b im             plan – Speicherung aller
                          SGB V.                                                        notwendigen Angaben
                              Der Zugang der Versicherten zu ihren medizini-            auf der eGK zu den
                          schen Daten in der TI wird über die elektronische Ge-         Medikamenten, die ein
                          sundheitskarte (eGK) freigeschaltet. Die eGK ist eine         Patient einnimmt. Mög-
                          Chipkarte, auf deren Speicherchip Informationen vor           liche Wechselwirkungen
                          unbefugtem Zugriff geschützt abgelegt werden kön-             eingenommener Arznei-
                          nen (aktuell nur Versichertenstammdaten wie Name,             mittel können somit erkannt
                          Adresse, Geburtsdatum, Geschlecht, Versicherten-              werden.
                          nummer usw.), die über Sicherheitsfunktionen zur          ▸ Notfalldaten auf der elektro-
                          eindeutigen Identifikation des Versicherten als Besit-        nischen Gesundheitskarte
                          zer der Karte verfügt (Authentifikation) und auf der          – die Versicherten können
                          eine qualifizierte elektronische Signatur als rechts-         künftig notfallrelevante
                          verbindlicher Ersatz für eine handschriftliche Unter-         Informationen auf ihrer
                          schrift aufgebracht werden kann (gematik 2020b).              elektronischen Gesund-
                              eHealth ist der „Oberbegriff für ein breites Spekt-       heitskarte speichern lassen.
                          rum von IKT -gestützten Anwendungen […], in denen
                          Informationen elektronisch verarbeitet, über sichere

20                                                                                          durchblick 1/2020 Das Mitgliedermagazin des VDAB
Auf in die Telematik-infrastruktur! - Bund - FINSOZ
Darüber hinaus sieht die Roadmap für die Tele-         Von der Pflege war dabei wenig die
matikinfrastruktur weitere, eher auf die Nutzung      Rede. Um die pflegerelevanten Rege-
durch die Leistungserbringer ausgerichtete Anwen-     lungen zu finden, muss man schon tie-
dungen vor, etwa die sichere Kommunikation zwi-       fer in das Gesetz hineinschauen:
schen Leistungserbringern (z. B. Ärzten, KOM-LE),     ▸ § 106b regelt die Erstattung der für
die elektronische Fallakte (EFA, als arztgeführte,         die Einbindung von ambulanten
sektorenübergreifende Dokumentation zu einem               und stationären Pflegeeinrich-
Behandlungsfall) oder das elektronische Rezept (eR-        tungen in die TI erforderlichen
ezept).                                                    Ausstattungs- sowie der laufenden
    Außerdem können durch Drittanbieter soge-              Betriebskosten durch die Pflege-
nannte „weiteren Anwendungen“ ohne konkreten               versicherung. Die Grundlage dafür
gesetzlichen Auftrag entwickelt und innerhalb der          bilden die Finanzierungsvereinba-
Telematikinfrastruktur betrieben und genutzt wer-          rungen aus der vertragsärztlichen                    ©Alvarez/iStock

den. Bei diesen Anwendungen prüft die gematik, ob          Versorgung. Die Verfahren zur
sie für einen Einsatz in der Telematikinfrastruktur        Erstattung sollen der Spitzenverband Bund der
zugelassen werden können.                                  Pflegekassen und die Vereinigungen der Träger
                                                           der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene bis
Wen versorgt das Digitale-Versorgung-Gesetz?               zum 31. März 2020 vereinbaren.
Genau diese weiteren Anwendungen standen im           ▸ § 125 geht auf Modellvorhaben und deren wissen-
Fokus der Öffentlichkeit, als das Digitale-Versor-         schaftliche Evaluation der Einbindung der Pfle-
gung-Gesetz (DVG) veröffentlicht wurde. „Apps auf          geeinrichtungen in die TI ein. Für diese sollen
Rezept“ oder „Videosprechstunden einfach nutzen“           aus Mitteln des Ausgleichsfonds der Pflegeversi-
waren nur zwei Schlagzeilen, die die Veröffentli-          cherung in den Jahren 2020 bis 2022 zusätzliche
chung begleiteten.                                         10 Millionen Euro bereitstehen.

durchblick 1/2020 Das Mitgliedermagazin des VDAB                                                              21
Auf in die Telematik-infrastruktur! - Bund - FINSOZ
Aktuelle Strategie des Bundesgesundheitsmi-               mationsfluss innerhalb der Telematikinfrastruktur
                              nisteriums scheint zu sein, die Entwicklungen in              unter Einbindung der jeweiligen Spezialsoftware-Sys-
                              „kleinere, verdauliche Häppchen“ zu zerlegen und              teme (Arzt- und Krankenhausinformationssysteme,
                              damit schneller und zielführender voranzutreiben.             Apotheken- und Pflegeplanungssoftware) erfolgen
                              Dieser Strategie folgend könnte man durchaus davon            und damit von Barrieren, Ineffizienzen und Fehler-
                              ausgehen, dass in nicht allzu ferner Zukunft weitere          quellen befreit werden könnte, lässt sich noch erheb-
                              Gesetze folgen werden, die der Pflege zumindest für           lich fortsetzen. Die Nutzung der TI kann der Pflege
                              bestimmte Leistungen die Teilnahme an der TI ver-             viel bringen – mehr Zeit für ihr Kerngeschäft.
                              pflichtend vorschreiben. Vor diesem Hintergrund
                              sollten Pflegeeinrichtungen sich mit dem Thema be-            Was tun, wenn ich jetzt loslegen will?
                              schäftigen.                                                   Vor der Nutzung steht noch eine Reihe von Frage-
                                                                                            zeichen und Hindernissen. Grundvoraussetzung ist
                              Was bringt die TI der Pflege?                                 das Vorhandensein einer funktionierenden IT-Inf-
                                 Viel! Die Idee hinter der Einbindung der Pflege in die     rastruktur sowie einer auch in der Tiefe genutzten
                                 Telematikinfrastruktur ist, damit auch dort die Nut-       Pflegeplanungs- und Dokumentationssoftware, die
                                 zung der elektronischen Pa-
                                 tientenakte zu ermöglichen,
                                 und die Pflege auf diese Weise        Die Einbindung der Pflege in die
                                 komplett in die sektorenüber-
                                 greifende und vernetzte Ge-           Telematikinfrastruktur würde er-
                                 sundheitsversorgung einzu-
                                 binden.                               möglichen, auch dort die elektroni-
                                      Der Alltag der ambulan-
                                 ten und stationären Pflege            sche Patientenakte zu nutzen.
                                 ist geprägt von Schnittstel-
                                 len, zwischen ambulanten,
                                 teilstationären und stationären Angebotsformen,            natürlich bereits über die entsprechenden Konnekto-
                                 aber insbesondere auch zu anderen Sektoren des             ren zur TI verfügen muss.
                                 Gesundheitswesens. Wechsel zwischen oder gleich-               Zudem sollte die Einrichtung sich ihrer Prozes-
                                 zeitige Teilnahme an ambulanter Pflege, Tagestruk-         se bewusst sein und diese in Zusammenarbeit mit
                                                      turierenden Maßnahmen oder            den weiteren beteiligten Akteuren anderer Gesund-
                                                      Kurzzeitpflege erfolgen in im-        heitssektoren priorisiert haben. Priorität sollten die
                                                      mer kürzeren Zyklen. Ärztliche        Bereiche haben, bei denen beide Seiten einen hohen
                             Der­Autor                Verordnungen für häusliche            Nutzen von einem optimalen Informationsfluss in-
                                                      Krankenpflege und medizinische        nerhalb des Prozesses haben.
Prof. Dr.-Ing. Dietmar Wolff ist Professor für        Behandlungspflege, Arznei- und            Bis zur Klärung dieser Voraussetzungen sind viel-
Wirtschaftsinformatik an der Hochschule               Heilmittel, Bedarfsmedikation         leicht auch ein paar regulatorische und technische
Hof. Als Vizepräsident treibt er die digitale         sowie Hilfsmittel, oder auch die      Hürden überwunden. Die Pflege verfügt Stand heu-
Transformation der Lehre voran. In seiner             Aktualisierung des Medikations-       te über keinen Heilberufeausweis, wie ihn die Ärzte
ehrenamtlichen Tätigkeit als Vorstand des             plans und die Beschaffung von         zur Authentifizierung gegenüber der Telematikinf-
Fachverbands Informationstechnologie                  Überweisungen erfolgen immer          rastruktur nutzen. Sind Praxisausweise, mit denen
in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung              noch mühsam mit Papier, Fax           eine Arztpraxis bspw. Patientenstammdaten auf der
(FINSOZ e. V.) setzt er sich dafür ein, dass          und Telefon. Bei Arztbesuchen         eGK aktualisieren kann, ausreichend für die Aufga-
IT und Digitalisierung nicht als Feindbilder,         stehen aktuelle Vitalwerte nicht      ben der Pflege?
sondern als Entlastung gesehen werden.                zur Verfügung, bei Kranken-               Außerdem besteht noch das Problem, dass die
Mit seiner Firma ConsultSocial GbR berät              hauseinweisung fehlen entspre-        gesamte Infrastruktur zum Einlesen von Gesund-
er Unternehmen der Sozialwirtschaft. Er ist           chende Notfallblätter oder deren      heitskarten und Ausweisen auf ein stationäres Set-
Co­Autor des IT­Reports für die Sozialwirt­           stete Aktualität wird teuer mit       ting ausgelegt ist. Es existieren keine mobilen Lösun-
schaft.                                               hohem technischen Aufwand             gen, mit denen ein Einsatz in der ambulanten Pflege
                                                      oder Arbeitseinsatz erkauft. Die      für nur ganz bestimmte Prozesse tatsächlich einen
                                                      Pflegeüberleitung aus dem Kran-       Mehrwert generieren würde.
                                                      kenhaus heraus erfolgt ohne               Insgesamt jedoch ist die Telematikinfrastruktur
                                                      Pflegeassessment       (Ist-Stand),   für die Pflege eine Chance, die einrichtungs- und sek-
                                 wodurch eine kontinuierliche poststationäre Versor-        torenübergreifende Versorgung zum Wohle der Kun-
                                 gung mangels eines aktuellen Pflegeplans gefährdet         den zu verbessern sowie IT-Inseln und Medienbrüche
                                 ist. Mangels eines aktuellen Medikationsplans kön-         zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit (im Sinne von
                                 nen Arznei-, Heil- und Hilfsmittel nicht rechtzeitig       mehr Geld für die eigentliche Pflege) zu vermeiden.
                                 und fachgerecht beschafft werden. Und von einer            Dem Datenschutz und der Informationssicherheit
                                 intensivierten Zusammenarbeit zwischen Pflegeein-          werden dabei durch offizielle Zertifizierungen und
                                 richtungen und Apotheken könnten alle Beteiligten          öffentliche Prüfstellen ein hoher Stellenwert einge-
                                 inklusive der gepflegten Menschen profitieren – nicht      räumt. stop
                                 nur durch mehr Arzneimitteltherapiesicherheit.
                                      Die Liste der Prozesse, für die der digitale Infor-

22                                                                                                  durchblick 1/2020 Das Mitgliedermagazin des VDAB
Sie können auch lesen