1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
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Freundliche Grüße Inhalt aus der Redaktion OF Mosaik 4 anipulation, Korruption, Chaos, große Worte, peinliche M Taten, volle Kassen, leere Versprechen, spektakuläre Pleiten: Das Negativ-Stichwortregister zur Olympischen OF-Podium: Prof. Dr. Heinz Zielinski Wir brauchen keinen kalten Krieg um Medaillen! 6 Bewegung und zum ganzen sportlichen Welttheater wird Thesen zu möglichen Folgen der Spitzensportreform – lang und länger. Und die Sündenfälle im Ereignis-Kalender Plädoyer für ein anderes Verständnis von Spitzensport 8 Prof. Dr. Thomas Alkemeyer verdrängen immer häufiger die Ergebnisse oder werfen sie - siehe verspätetes Doping-Medaillen-Monopoly - über den Die Leistungssportreform in Deutschland oder Haufen. Wer sich unter solchen Begleitumständen das Sport- Wo das Chaos zur Methode wird 12 Bianka Schreiber-Rietig interesse nicht gänzlich vermiesen lässt, der muss schon hart gesotten sein. Auch wir legen, liebe Leserinnen und Leser, in Alle Macht den Athleten - Das Funktionieren des Sports dieser Ausgabe mit einer Reihe von problembeladenen The- darf nicht allein den Funktionären überlassen bleiben 16 men und kritischen Betrachtungen mal wieder ein Barometer Prof. Dr. Wolfgang Buss der Leidensfähigkeit an. Keine Frage - Olympia steht vor der Mündige Athleten und das Recht auf Selbstbestimmung 19 Werte-Insolvenz. Selbst immer mehr Bürgervoten zeigen Dr. Christoph Fischer national wie international auf: Mit den Spielen ist kein Staat OF-Interview mit Dr. Andrè Hahn 20 mehr zu machen. Die verbitterten Grüße aus Rio passen dazu. Bianka Schreiber-Rietig Apropos Bürgerbefragungen: Wenn es also gar zu dicke Ein olympisches Jahr schwieriger Bewährungsproben - kommt, dann funktioniert er offensichtlich noch, der gesunde Russland, Doping, Trump als die größten Herausforderungen für das IOC 24 Menschenverstand. Eine These, die auch den jüngsten Wei- Günter Deister chenstellungen im deutschen Sport viel Skepsis entgegen bringen dürfte. In der Dauerdiskussion bleibt nämlich die In dieser verrückten Sportwelt ist nichts unmöglich Forderung nach mehr schwarz-rot-goldenen Medaillen beim Über die Inflation „dreckiger“ Medaillen 28 Michael Gernandt internationalen Kräftemessen. Um die zu erfüllen, ist gerade der Startschuss für eine große Spitzensport-Reform erfolgt. Welt-Leichtathletik in der Krise 31 Und dieses Reformvorhaben birgt schon in seiner Entste- Prof. Dr. Helmut Digel hungsphase so viele Ungereimtheiten, dass man nur staunen Warum das Sprungbrett nicht optimal federt kann. Der deutsche Sport auf einem Zick-Zack-Kurs ins Von einer ausgezeichneten Sporthilfe-Idee und den Ungewisse? Auf einem Holperweg zu mehr Medaillen, die von finanziellen Perversionen im Sportbetrieb 32 einer breiten Öffentlichkeit zunehmend kritisch betrachtet Dr. Andreas Müller werden? Mit den Bewertungen und Kommentierungen in OF-Kommentare 38 dieser OF-Ausgabe wollen wir erneut ein wenig dazu beitra- Günter Deister, Michael Gernandt, Bianka Schreiber-Rietig, gen, den klaren Durchblick zu behalten. Harald Pieper, Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke Vom Ackergaul zur Olympiasiegerin An dieser Stelle gilt es zudem, ein paar Änderungen im Die unglaubliche Geschichte der Stute Ala 42 "Innenleben" unserer Zeitschrift bekannt zu geben. Steffen Franz Josef Bomert Haffner, guter Freund, versierter Autor und geschätzter Der Rekordläufer Mitstreiter über viele Jahre, hat sich aus persönilichen Grün- Harald Norpoth und Jürgen Haase erinnern sich an den aus dem Herausgeber-Kollegium verabschiedet. Der Begegnungen mit Ron Clarke 46 herzliche Dank der Redaktion, des Verlages und der gesamten Jochen Frank DOG für sein Wirken sollte noch lange nachklingen - nicht Was macht eigentlich? ... Wolfgang Danne 48 zuletzt deshalb, weil Steffen Haffner uns als Autor erhalten Dr. Andreas Müller bleibt. Neu im Herausgeber-Gremium dürfen wir Bianka Schreiber-Rietig und Professor Dr. Wolfgang Buss willkom- OF-Galerie: Helga Neubers SportART: Kunstvolle Statements und olympische Erinnerungen 50 men heißen. Die bekannte freie Journalistin und der renom- Dr. Andreas Höfer mierte und auch um die DOG verdiente Sportwissenschaftler sind mit ihrer publizistischen Visitenkarte im OF bekanntlich Deutsche Olympische Gesellschaft KOMPAKT 52 schon seit Jahren präsent. Das gute Omen für die Zukunft Impressum 66 ergibt sich also von selbst. Unser "Feuer" brennt weiter. Ihr Harald Pieper
Sohn Kee Chung Statue in Berlin ent- „ALKOHOLFREI SPORT GENIEßEN“ Thema "Flüchtlinge im hüllt Sportverein" Antworten Verantwortungsvoll mit Alkohol im „alkoholfrei“ und verzichten dabei auf Vereinsleben umgehen – dafür steht den Ausschank und Konsum von auf Rechtsfragen das Aktionsbündnis „Alkoholfrei Sport Alkohol. Dabei werden sie von der genießen“. BZgA mit einer kostenlosen Aktionsbox In einer aktuellen Broschüre gibt der „Alkoholfrei Sport genießen“ unter- Landessportbund Nordrhein-Westfalen Das bundesweite Aktionsbündnis stützt. Diese enthält unter anderem ein 26 Antworten auf rechtliche, steuer- wurde im April 2016 von der Bundes- Werbebanner, T-Shirts, Informations- rechtliche und versicherungsrechtliche zentrale für gesundheitli- materialien, das Fragen zum Thema "Flüchtlinge im che Aufklärung (BZgA) Jugendschutzge- Sportverein". initiiert. Gemeinsam mit setz als Poster dem Deutschen Olympi- und Rezepthefte Für Sportvereine, die einen Beitrag zur schen Sportbund (DOSB), für alkoholfreie Integration geflüchteter Menschen dem Deutschen Fußball- Cocktails. Vereine leisten wollen, stellen sich in der Praxis Bund (DFB), dem Deut- setzen so ein viele Fragen. So zum Beispiel: In schen Turner-Bund (DTB), klares Zeichen welchem Rahmen können geflüchtete dem Deutschen Handball- für einen verant- Menschen an den sportlichen und bund (DHB) und dem DJK wortungsbe- außersportlichen Angeboten des Sportverband ruft die BZgA Trainerin- wussten Umgang mit Alkohol im Vereins teilnehmen? Wie ist der Versi- nen und Trainer sowie Erwachsene in Vereinsleben. cherungsschutz für sie geregelt? Wer deutschen Sportvereinen dazu auf, trägt die Kosten bei einem Sportunfall? gerade in Anwesenheit von Kindern Sportvereine können die Aktionsbox Oder können Flüchtlinge ehrenamtlich und Jugendlichen verantwortungsvoll auf der Internetseite www.alkoholfrei- im Verein mitarbeiten? Und was ist zu mit Alkohol umzugehen und sich stets sport-geniessen.de bestellen und sich beachten, wenn sie am Wettkampfbe- ihrer Vorbildfunktion bewusst zu sein. viele Anregungen und Tipps für ihre trieb teilnehmen? Veranstaltung holen. Bei Fragen hilft Mitmachen ist ganz einfach: Vereine gerne auch ein Infotelefon weiter: Der LSB NRW hat die Antworten auf erklären eine Veranstaltung, ein Turnier 06173/78 31 97 (Montag bis Freitag alle diese und weitere Fragen in einer oder ein ganzes Wochenende für von 9 bis 17 Uhr). aktuellen Broschüre gebündelt dent Alfons Hörmann eine abschließende bewusste Wahrnehmung der Position. In eigener Sache: Stellungnahme zu den haltlosen So dürfen wir Deutschland international Anschuldigungen öffentlich gemacht nicht repräsentieren.“ Im Zusammenhang mit dem russischen hat. Wir erlauben uns diese Stellungnah- IAAF-Dopingskandal sind auch Vorwürfe me im Wortlaut wiederzugeben: Ihre Anschuldigung folgt einem gegen Prof. Dr. Helmut Digel erhoben „Sehr geehrter Herr Präsident, bekannten Muster: Sie setzen ein worden. Da Prof. Gerücht in die Welt, ohne einen einzi- Digel langjähriges in der FAZ vom 6.12.2015 werden Sie gen Beleg auf den Tisch zu legen, außer Mitglied des mit folgenden Worten zitiert: der Tatsache, dass ich Vizepräsident war. Herausgeberkolle- Darauf beruht Ihre Spekulation, die giums und Autor „Wie kann es sein, dass man auf Welt- natürlich in unserer medialen Welt des "Olympischen verbands-Ebene nicht mitbekommt, was verfängt. Sie kennen meinen Werde- Feuers“ ist und da gelaufen ist?“, fragte Hörmann. Digel gang, wissen auch, dass ich den Kampf entsprechende teile im Monatsrhythmus dem deut- gegen Doping als meine Lebensaufgabe Helmut Digel Anfragen von schen Sport mit, was er besser zu betrachtet habe. Muss ich Ihnen im Lesern auch an die Mitherausgeber machen habe und was schlecht gelau- Ernst meine Vita als Sportwissenschaft- ergangen sind, haben wir Herrn Digel um fen sei. Er habe nun erklärt, in einer ler und Funktionär und meine Verdiens- eine Stellungnahme gebeten. Er weist Mischung aus Naivität und Gutgläubig- te im Kampf gegen Doping detailgetreu darauf hin, dass er bereits am 7.12.2015 keit die Entwicklung nicht erkannt zu vor Augen führen. Nein, Sie wissen das in einem offenen Brief an DOSB-Präsi- haben: „Das ist keine verantwortungs- alles und trotzdem! 4
Der DLV-Laufkalender für 2017 Sohn Kee Chung Statue Der Laufkalender des Deutschen handlichen DinA5-Format unter in Berlin enthüllt Leichtatheltik Verbandes (DLV) dem Dach der Medienmarke lau- Neben Jesse Owens war er ein Star der Olympi- umfasst rund 3.200 Veranstaltun- fen.de. Er enthält alle Laufveranstal- schen Spiele von Berlin 1936: Sohn Kee Chung, gen und ist sowohl online als auch tungen, die in den 20 Landesver- der Sieger im Marathon. Er war 23 Jahre alt und in gedruckter Form erhältlich. bänden des DLV für 2017 offiziell lief mit 2:29:19,2 Stunden olympischen Rekord. angemeldet worden sind. Außerdem Sein Heimatland Korea war von Japan besetzt, er Im großen Eventkalender auf sind die wichtigsten Laufevents im musste unter dem Namen Ki tei Son starten. www.laufen.de finden Sportlerinnen Ausland aufgeführt. Das Kompendi- Leni Riefenstahl machte ihn und Sportler mehr als 3.200 Lauf- um wird von der DLM RunMedia zum Mittelpunkt ihres Olym- veranstaltungen. Mit detaillierten GmbH in Köln verlegt, die laufen.de piafilms, indem sie seinen Informationen zum kleinen 10- als Internet-Portal und als Zeit- Kampf um olympisches Gold Kilometer-Lauf um die Ecke, aber schrift betreibt. dramatisch in Szene setzte auch zu Großveranstaltungen wie und ihn weltberühmt machte. den Marathonläufen in Hamburg, Das ultimative Nachschlagewerk für Bei der Siegerehrung senkte Berlin, Köln, München oder Frank- ein ganzes Jahr erhalten Läufer ab er beim Abspielen der Japani- furt. Ebenfalls enthalten: Die Stadt- sofort kostenlos beim DLV gegen schen Hymne den Blick. So läufe von SportScheck, die von Mai Zusendung eines mit 1,45 Euro wurde er Nationalheld der bis Oktober 20 deutsche Städte in frankierten Rückumschlages. Außer- Republik Korea. Bewegung bringen werden. Die dem gibt es den Kalender kostenlos komfortable Suchfunktion hilft bei mehr als 120 Running-Fach- Wenige Meter von der alten Marathonstrecke jedem Läufer, passende Events zu händlern von Sport 2000, die unter entfernt, auf dem Gelände des Horst-Korber- finden. der Marke „Dein Laufprofi“ firmieren Sportzentrums am Glockenturm des Maifeldes, und im Internet unter www.dein- steht seit Dezember seine Statue in Bronze. Der In der gedruckten Variante ist der laufprofi.de zu finden sind. Botschafter von Korea und Berlins LSB-Präsident Laufkalender des Deutschen Leicht- Auch im Zeitschriftenhandel ist der Klaus Böger erinnerten an den großen Sportler athletik-Verbandes seit mehr als 45 DLV-Laufkalender erhältlich: als und seine tragische, aber friedensstiftende Jahren das Original. Für 2017 kostenlose Beilage zur neuesten Geschichte. Seit 2011 ist auf Beschluss des IOC erscheint er mit 228 Seiten im Ausgabe des Magazins laufen.de. sein Olympiasieg unter Korea aufgeführt. Ich werde mich nicht mehr öffentlich DOSB-Ehrenmedaillefür Bundespräsident Gauck gegen haltlose Anschuldigungen rechtfertigen oder Ihnen im Gegen- Bundespräsident Joachim Gauck ist Bundespräsident bei zahlreichen Gele- zug vorhalten, dass Ihr Engagement heute in Berlin anlässlich der Verleihung genheiten mit Leben gefüllt habe. "Sie gegen Doping, objektiv betrachtet, des Großen Stern des Sports in Gold mit haben bewirkt, dass die vielfältigen nicht sichtbar ist. der höchsten Auszeichnung des DOSB, Leistungen des Sports öffentlich besser der Ehrenmedaille des deutschen Sports, wahrgenommen werden." Präsident Aber eine Entschuldigung für Ihre ausgezeichnet worden. eines Landes, das Medaillen herbei- Entgleisung, die für mich einer schafft, wollte Joachim Gauck nie sein, persönlichen Verleumdung gleicht, Grund für die Auszeichnung sei der sagte Hörmann. erwarte ich!“ Respekt vor der menschlichen und politischen Lebensleistung Joachim Aus der Sicht der Redaktion und der Gaucks – "nicht nur, aber auch auf dem Mitherausgeber ist diesem Schreiben Feld des Sports", sagte DOSB-Präsident nichts hinzuzufügen. Im Übrigen Alfons Hörmann in seiner Laudatio in verweisen wir auf einen Beitrag von der DZ-Bank am Brandenburger Tor. Prof. Dr. Helmut Digel in diesem Heft, in dem er den IAAF-Skandal kom- Gauck habe den deutschen Sport stets mentiert. unterstützt, weit über die Übernahme OF-Redaktion der Schirmherrschaft hinaus, die der OF-MOSAIK 5
D er Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat im ehrlich mit seinen Akteuren umgehen. Der Hinweis, dass mit Dezember 2016 eine Reform zur Neustrukturierung der Reform noch keine Weichen in der Praxis gestellt worden des Leistungssports für Deutschland beschlossen. seien, verbunden mit der Beruhigung, es werden „Strukturge- Dem Beschluss sind umfangreiche und intensive Beratungen spräche“ geführt, ist – vorsichtig formuliert – nicht vertrau- zwischen politischen, respektive staatlichen Einrichtungen ensbildend. Doch spielt das eine Rolle? Die programmatische und dem Sport vorausgegangen. Das ist sicherlich sehr aner- Aussage von den Jahren 2017/2018 als Übergangsphase kennenswert. Doch bereits jetzt, entgegen der Behauptungen erweist sich schon jetzt als Ideologie, denn es werden bereits im Vorfeld, zeichnen sich negative Folgen für den Sport auf Fakten geschaffen. Vor allem Athleten und Trainer sind ver- nationaler und regionaler Ebene ab, die das Reformkonzept unsichert, wozu auch gehört, dass die Standortfrage selbst inkorporiert haben. für Spitzenathleten teilweise ungewiss erscheint. Um eine falsche Diskussionsrichtung im Vorhinein zu vermei- Unsicherheit gilt auch für einige Fachverbände, deren Förde- den: Es bestanden und bestehen hinreichend Gründe für eine rung sich verändern wird. Bei einigen kann es lange dauern, bis Reform, die übrigens lange im Vorfeld durch das Bundesmi- sie wieder einen Status-quo-Ante erreicht haben. Gleicherma- nisterium des Innern anders als vom DOSB gewichtet worden ßen unsicher ist sind. Mit den Anmerkungen im vorliegenden Beitrag soll die das Verhältnis kritische Debatte zur Struktur des Leistungssports auf eine zwischen natio- weiterführende Grundlage gestellt werden, verbunden mit naler und Lan- der leisen Hoffnung, dass kritische Debatten im deutschen desebene. Die Sport erwünscht sind. Folgen der umzusetzenden Einigkeit besteht sicherlich darüber, dass im Mittelpunkt jeder neuen Kader- Reform Athlet und Trainer zu stehen haben. Doch was bedeu- struktur zum tet das, wenn wir einmal näher hinsehen? Wesentliche allge- Beispiel für die meine Zielsetzungen der Reform sind Zentralisierung und Länder sind noch Konzentration. Schon jetzt zeichnen sich Trends nicht nur ab, gar nicht abzuse- sondern werden bereits vollzogen: hen. Nachwuchs muss ja wohl Athletinnen und Athleten, denen nur geringe Chancen für auch weiter 2018/2020 und 2022/2024 eingeräumt werden, fallen durchs gefördert werden Raster. Sportler die über viele Jahre auf große Ziele hingear- - und wer macht beitet haben, müssen sich jetzt – noch nicht am Ende ihrer dies? Und was ist Karriere - entscheiden, ob sie weiter Leistungssport treiben mit den Athleten, wollen. In vielen Fällen dürfte die Entscheidung auf der Hand die aus der liegen. Damit wird die Grundgesamtheit potenzieller Medail- Förderung lengewinner für die internationalen TOP-Ereignisse reduziert. herausfallen, aber Zweifel sind berechtigt, dass diese Strategie zum gewünsch- noch Chancen ten Erfolg führen wird. auf Spitzenplätze haben? Generell scheint eine striktere Trennung im Fördersys- Ähnlich zeichnet sich die Entwicklung im Trainer-Bereich ab, tem zwischen Spitzensportlern und Nachwuchsleistungssport- wo bereits jetzt Spitzentrainer ausscheiden, ihre Erfahrung lern beabsichtigt zu werden, ohne dass dies auch offen kommu- nicht mehr gefragt ist. Es ist klar, dass sich mit der Zentrali- niziert wird. sierung die Rahmenbedingungen verändern. Die Zahl der Bundesstützpunkte wird um etwa 20 % reduziert. Damit Die generelle Stoßrichtung ist offenbar eine verstärkte Öko- gehen für Trainer und Athleten Vorteile einer bisher individu- nomisierung des Spitzensports. Effizienzsteigerung scheint im ellen Trainings- und Wettkampfgestaltung verloren, die sich Mittelpunkt zu stehen. Bessere Ergebnisse als Erfolgsmeldung auch auf die Duale Karriere auswirken werden. durch kaum erhöhte Mittel, zumindest nicht über alle Ver- bände hinweg. Klar ist dabei auch, dass negativ betroffene Notwendige Formen zu mehr Flexibilisierung werden zu Verbände – wie gesagt – wohl lange Zeit brauchen werden, Gunsten von Standardisierung über Bord geworfen. Anforde- um wieder Spitzensportler in mehr als Einzelfällen hervorzu- rungen an die Duale Karriere der jungen Frauen und Männer bringen. Wie das gelingen soll, ist nicht abzusehen. Hierfür werden in vielen Einzelfällen nicht berücksichtigt, auch wenn sind die analytischen Grundlagen kaum gelegt worden. im Konzept das Gegenteil formuliert ist. Dafür könnte man Warum erzielen Spitzensportler erstklassige Ergebnisse im noch gewisses Verständnis aufbringen. Nur: der Sport sollte internationalen Maßstab - das ist doch die Frage? 6
Damit sind wir bei einem Dreh- und Angelpunkt der gesam- und deren beliebigen Kombinationsmöglichkeiten ist die ten Leistungssportreform. Die Potenzialanalyse soll Grundlage damit propagierte Objektivität fraglich. des Steuerungssystems sein. Das hätte Hoffnung wecken können insofern, als in Zukunft die Potenziale im deutschen Angesichts der Statistiken innewohnender Eigen-Dynamik Sport auf allen Ebenen wirksamer und breiter ausgeschöpft betrachtet, können damit Beliebigkeiten Tür und Tor geöffnet werden. Eine solche Potenzial-Ausschöpfung hätte frühzeitig werden. Und am Rande: Die Tatsache, dass am Vorabend der anzusetzen, bei den 14- bis 18-jährigen Athleten (von der Mitgliederversammlung nahezu kaum jemand der Delegierten Talentfindung einmal abgesehen), je nach Sportart. Doch erklären konnte, was man unter „Potenzialanalyse und ihrer diese Nachwuchsperspektive steht überhaupt nicht im Mittel- Anwendung“ versteht, lässt skeptisch in die Zukunft schauen. punkt. Man sollte dabei im Auge behalten, dass die Potenzialanalyse den Kern der Leistungssportreform bildet. Der Ansatz ist ein völlig anderer. Potenzial wird im deutschen Sport erst erfasst, wenn herausragende internationale Erfol- Kommen wir zum Ende der ausgewählten Hinweise. Im Kern ge erzielt worden sind und damit noch stärkere Leistungen in stellt die Reform ein ökonomisches Modell zur Zentralisierung Leistungssport-Reform in Deutschland: Ökonomisierung als Heilmittel Prof. Dr. Heinz Zielinski, Vizepräsident des Landessportbun- des Hessen und Vorsitzender der Stiftung Sporthilfe Hessen Zukunft wahrscheinlich sind. Auch die Potenzial-Analyse ist und Effizienzsteigerung im Mitteleinsatz dar. Dies war und ist ein Instrument aus dem privaten Unternehmensbereich, mit eine strategische Option, den Wandel einzuleiten. Es hätte dem Schwächen eines am Markt operierenden Unterneh- andere strategische Optionen gegeben. Zum Beispiel eine mens aufgedeckt und damit abgestellt werden sollen. Dies Verdoppelung der Bundesmittel mit gleichzeitiger Effektivi- soll im Sportsystem dann offenbar auf die Fachverbände tätssteigerung, selbst wenn man die volkswirtschaftliche übertragen werden. Doch streng genommen müsste das Gesamtrechnung außer Acht lässt. Was sind denn schon 167 nationale (deutsche) Sportssystem mit anderen nationalen Millionen Euro für den Spitzensport in Deutschland (weniger Systemen am Olympia-Markt verglichen werden. Welche als 0,1 % des Bundeshaushalts), als eines der reichsten Länder Schwächen hat das deutsche System im Vergleich zu Spit- der Welt – worauf wir mit Recht stolz sein können. Diese zennationen? Option ist nicht ernsthaft erwogen worden. Von dem generellen Punkt der Irreführung einer Analyse von Die Zusammenfassung in Schlagworten: Ökonomisierung, breit auszuschöpfenden Potenzialen abgesehen, können wir Zentralisierung, Medaillenkonzentration, Standardisierung auf die Umsetzung und Anwendung der Potenzialanalyse versus flächenmäßige Erfassung der Potenziale, Flexibilisierung, durch den DOSB mehr als gespannt sein. Angesichts der mehr Individualität: Medaillenzählerei statt breiter Förderung großen Fülle von Indikatoren („Attribute und Unterattribute“) für Olympiahoffnungen ist angesagt. Die Debatte geht weiter! PODIUM 7
Wir brauchen keinen kalten Krieg um Medaillen! Plädoyer für ein anderes Verständnis von Spitzensport Von Thomas Alkemeyer as vor einiger Zeit mit großer Mehrheit vom Deut- an: Mit einem weitgehend gleichbleibenden Finanzvolumen D schen Olympischen Sportbund (DOSB) beschlossene, vornehmlich in Hinterzimmern ausgeklügelte und unterdessen ohne nennenswerte Kritik aus den eigenen sollen signifikant mehr Medaillen erwirtschaftet werden. Die Grundpfeiler des alten Fördersystems – Bundesleistungs- Reihen durchgewunkene Konzept zur Neustrukturierung des zentren, Stützpunkte, Sportfördergruppen bei der Bundes- Leistungssports und der Spitzensportförderung strebt eine wehr, hauptamtliche Bundestrainer, leistungssportdienliche Neu-Justierung des bislang bestehenden Fördersystems im Forschungsförderung etc. – gehen letztlich auf die Zeiten des Zeichen von Effizienz, Verschlankung und Wirtschaftlichkeit Kalten Krieges zurück. Der Ost-West-Konflikt wurde seinerzeit 8
nicht nur kriegerisch ausgetragen, sondern auch auf den chendem praxisrelevanten Wissen nach menschlichen Res- weltweit gut sichtbaren Bühnen des Spitzensports. Mit sourcen, die sich als lukratives „Humankapital“ eignen: Talen- Medaillen sollten Reputationsgewinne für die feindlich sich te sollen möglichst schon in der Grundschule („Bewegung- gegenüberstehenden wirtschaftlichen und politischen Lager schecks“) gezielt ausgesiebt und durch das Versprechen für eingefahren werden. Tatsächlich eignet sich der Sport fantas- den Leistungssport rekrutiert werden, für eine bessere Verein- tisch für diese Zwecke. Seine Wettkampfstruktur, seine Aus- barkeit von Sport und Schule Sorge zu tragen. Übergeordne- richtung auf Sieg und Niederlage und sein sinnlich-körperli- tes Ziel ist die planwirtschaftliche Fabrikation einer nationa- cher Aufführungscharakter prädestinieren ihn für eine stell- len Sportelite, welche die „Wirtschaftskraft“ (Lothar de Mai- vertretende Konfliktübernahme. In seinen mitreißendsten zière) der Bundesrepublik auch auf den Bühnen des interna- Momenten entfaltet er affektive Wucht, die eine ganz und tionalen Spitzensports zu beglaubigen in der Lage ist. Die gar uneinheitliche Menschenmenge vorübergehend zu einer nach der Wiedervereinigung bei einer medaillenversessenen lebendigen Gemeinschaft zusammenführt. Allianz aus Politik und Sport aufkeimende Hoffnung, diese Bühnen auf Jahre hinaus zu dominieren, blieb bekanntlich Aus diesem Grund sind internationale Sportwettkämpfe seit unerfüllt. Sie soll nun endlich verwirklicht werden. dem Ende des 19. Jahrhunderts ein für die Politik überaus verführerisches Mittel des „nation-building“. Sie bieten sich Welche Folgen lässt die Umsetzung dieses Reformprojekt nach innen als kultureller Kitt an – und nach außen als ein erwarten? Erstens werden sich die Verteilungskämpfe zwi- Medium der Selbstdarstellung. Im Kalten Krieg dienten inter- schen den Sportarten verschärfen. Die Verbände werden nationale sportliche Erfolge den Staaten des Ostblocks zudem ehrgeizige „Erfolgspotenziale“ definieren müssen, um in ein als ein Ersatz für fehlenden wirtschaftlichen Erfolg. Den förderungswürdiges Cluster eingestuft zu werden. Mit der Westen ließ das nicht kalt: Als sich bei den Olympischen Spaltung in Sieger und Verlierer und der ungleichen Vertei- Spielen von 1960 in Rom im Medaillenspiegel eine Vormacht- lung von Ressourcen droht schließlich der sogenannte Mat- stellung des Ostblocks abzeichnete und 1968 in Mexiko die thäus-Effekt, der die Chance der „schwachen“ Disziplinen erstmals separat angetretene Nationalmannschaft der DDR beschneidet, später noch zu den „starken“ aufzuschließen. mehr Goldmedaillen gewann als die bundesdeutsche Mann- schaft, richtete auch die Bundesrepublik eine neue Förder- Zweitens: Die Umsetzung der Reform wird die von Politik, struktur ein, um Chancengleichheit mit jenen Staaten herzu- Wirtschaft, Massenmedien und Publikum ohnehin bereits an stellen, in denen der Leistungssport staatlich gesteuert und Trainer und Athleten gerichteten Erfolgserwartungen weiter gefördert wurde. Immerhin standen die Olympische Spiele verschärfen. Das geplante Fördersystem adressiert die Athle- von 1972 in München unmittelbar bevor und man befürchte- ten als einen Rohstoff, der gewonnen und in den investiert te, auch im eigenen Land als ein unterlegenes Gesellschafs- wird, um in ihm angelegte Leistungspotenziale bestmöglich system vorgeführt zu werden. Zwischen Sport und Politik zu entfalten und das Produkt dieser Entfaltung der Repräsen- etablierte sich ein Geflecht wechselseitigen Nutzens: Der tation der Nation zur Verfügung zu stellen. Aus Sicht der Staat investierte in den Sport als Mittel nationaler Repräsen- Athletinnen und Athleten gilt es umgekehrt, durch Medaillen tation; und der organisierte Sport nutzte die Politik, um an nachzuweisen, dass sich die Investition auch gelohnt hat. Der knappe Ressourcen heranzukommen, wie der Sportsoziologe Athlet wird also mit in die Verantwortung genommen für Karl-Heinrich Bette feststellte. mögliche Mittelkürzungen bei andauernder Erfolglosigkeit. Der psychische Druck auf ihn wird dadurch gewiss nicht Das etablierte System einer retrospektiv ausgerichteten geringer. Überdies sieht er sich mit der Anforderung konfron- Grundförderung soll nun durch eine „potenzialorientierte tiert, die Medaille „fair“ zu erringen – und dies auch gegen Fördersystematik“ effektiver und effizienter gemacht werden. Konkurrenten etwa aus Russland oder China. Denn nur, wenn Eine aus organisiertem Sport, Politik und Wissenschaft sich das System durch öffentlichkeitswirksame Strafen für zusammengesetzte Expertenkommission soll in aufwendigen überführte Doper als sauber präsentiert, lässt sich eine steu- Verfahren nach bislang eher vagen Kriterien die Erfolgspoten- erfinanzierte Sportförderung rechtfertigen. Aus dieser Kollisi- ziale der verschiedenen Sportarten erheben; als potenziell on von Sauberkeitsgebot und Erfolgszwang resultiert eine exzellent eingestufte Sportarten sollen gestärkt, die anderen leistungssporttypische Erscheinungsform doppelter Moral, so im Gegenzug geschwächt werden. Solche Ausrichtung finan- wiederum Karl-Heinrich Bette. Die Akteure werden einer zieller Förderung an Exzellenzpostulaten wird seit Jahren Zerreißprobe ausgesetzt. Sofern eine der vornehmsten Aufga- auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen erprobt, zum ben des modernen Staats darin besteht, seine Bürger zu Beispiel in der Wissenschaft. Statt Ressourcen nach dem schützen, sollte er seine Athleten vor solcher Zerreißprobe Gießkannenprinzip zu verteilen, wird zukunftsorientiert in eher bewahren statt daran mitzuwirken, den Erfolgsdruck jene Kräfte investiert, denen man zutraut, mittelfristig für noch zu erhöhen. konstante Zuwachsraten zu sorgen. Diese ganz und gar betriebswirtschaftliche Logik verlangt zusätzlich zu brauchba- Drittens: Auf eine nicht leistungssportorientierte breiten- ren Infrastrukturen, professionellem Personal und entspre- sportliche Basis dürfte die einseitige Fokussierung auf 9
Medaillen durchaus demotivierend wirken. Der Spalt zwischen Ausschließlich aus dem Leistungssport heraus lässt sich die Spitzen- und Breitensport wird noch größer. Und auch dann, Reform allerdings nur schwer kritisieren. Denn die Umsetzung wenn man dem von Politik und Sportverbänden beharrlich des Elitepostulats entspricht durchaus seiner eigenen norma- vorgetragenen Glaubenssatz folgt, der Breitensport benötige tiven Struktur: In keinem anderen gesellschaftlichen Bereich öffentlich sichtbare Vorbilder, wäre statt der Konzentration werden Wettbewerb und Siegenwollen derart zum Selbst- auf wenige Exzellenzsportarten eine breite Streuung geboten. zweck erhoben wie hier. Insofern hat DOSB-Präsident Alfons Denn ebenso wenig wie allein Sieger als Vorbild taugen, Hörmann durchaus Recht mit seinem das Reformvorhaben sondern mindestens ebenso jene, die in der Niederlage Hal- rechtfertigenden Statement, Sport bedeute nun einmal tung bewahren, ist zu erwarten, dass massenhaft Eltern ihre Wettbewerb. Und richtig ist auch, dass der Leistungssport mit Kinder in Sportschützen-Vereinen oder zum Kanu-Slalom dem Streben nach einem auf Leistung sich gründenden Erfolg anmelden, nur weil in diesen Sportarten beharrlich Medaillen ein zentrales Leitprinzip der modernen, bürgerlichen Gesell- für Deutschland errungen werden. schaft repräsentiert. Allerdings tendiert er dazu, das Überbie- tungsprinzip zu verabsolutieren, während es in den meisten Viertens: Indem die Reform darauf abzielt, auf den internatio- anderen gesellschaftlichen Bereichen – ausgenommen viel- nalen Bühnen des Spitzensports am besten nur noch deutsche leicht in der Finanzwirtschaft – stets auch durch weitere Sieger auftreten zu lassen, spielt sie – ob sie es möchte oder ethische oder pädagogische Werte wie z.B. die Unversehrtheit nicht – einer Bewegung in die Hände, die einer als bedrohlich der Akteure oder Rücksichtnahme auf Leistungsschwächere empfundenen Globalisierung mit der Rückbesinnung auf das abgemildert wird. Eine Kritik der angestrebten Reform und Nahe, die Heimat und die Nation begegnet; diese Bewegung ein alternatives Modell der Sportförderung müssen ihre möchte die Sehnsucht nach Anerkennung durch Nationalstolz Maßstäbe und Kriterien deshalb auch aus nicht rein leis- stillen. Im Zeitalter eines längst wieder wütenden Nationalis- tungssportlichen Werteordnungen gewinnen. mus, von Abschottung, Rechtspopulismus, Trump und AfD, könnte gerade der Sport mit seiner Popularität etwas entge- Möchte man nun nicht gleich den radikalen Standpunkt gensetzen – durch eine neue, „nachnationale“ Symbolpolitik, vertreten, einem demokratischen Staat wie der Bundesrepu- die auf Hymnen, Fahnen und Medaillenspiegel bewusst ver- blik stünde es gut an, ganz aus der Spitzensportförderung zichtet, um demgegenüber eine moderne, offene Weltgesell- auszusteigen (am besten in einer konzertierten Aktion mit schaft heterogener Individuen zu feiern. anderen europäischen Staaten), um seine Athleten zu schüt- 10
zen und nicht mit Steuergeldern ein wenigstens in Teilen 5. Das Setzen auf die Eigenverantwortlichkeit des erwachse- korruptes und dopingverseuchtes System am Laufen zu nen Athleten in Bezug auf seine Lebensplanung anstelle halten, dann stellt sich die Frage, wie eine alternative Förde- einer Fürsorge-Pädagogik, welche die Athleten unweiger- rung aussehen könnte. Zu berücksichtigen wären in dieser lich in die Schuld des Staats geraten lässt. weniger radikalen Variante zumindest die folgenden Grund- sätze: 6. Das Eintreten von Politik und Sportverbänden für einen Verzicht auf nationale Repräsentationssymbolik zu Guns- 1. Eine weitgehende Zurückhaltung von Staat und Sportver- ten eines transnationalen Weltsports. bänden statt gezielter Talentselektion und planwirtschaft- lich organisierter Kaderproduktion. Eine Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte etliche Vorteile: 2. Eine ungeschminkte Aufklärung – auch und gerade der • Statt sich an einem in Medaillen messbaren Erfolg des Eltern – über die biografischen Risiken und gesundheitli- Fördersystems zu orientieren, erwiese sich die Förderung chen Gefahren eines die Athletenkörper strukturell als verantwortungsbewusst gegenüber der Persönlichkeit, Leistungsressource beobachtenden Spitzensports für aus Integrität und Gesundheit der Athleten. dem Breitensport „nachwachsende“ Talente; gegebenen- falls Beratung und Hilfe zum Ausstieg statt optimaler • Der auf Athleten und Trainern lastende Erfolgszwang Karriereplanung. würde ebenso abgemildert wie der Impuls, unter Umstän- den zu unerlaubten Substanzen zu greifen; die Kluft 3. Förderung eines die Vielfalt des Breitensports repräsentie- zwischen Breiten- und Spitzensport bliebe überschaubar. renden Sportarten-Spektrums statt Konzentration auf wenige „Exzellenzsportarten“. • Anstelle von Ländern würden Individuen in sportlicher Konkurrenz zusammengeführt, so dass sich Nationalgefühl 4. Die Koppelung der Vergabe von Fördermitteln nicht an und Nationalstolz andere Arenen suchen müssten. Erfolgspotenziale und Podiumsplätze, sondern an Leis- tungsnormen, die grundsätzlich ohne die Einnahme massiv Kurzum: Eine solche Reform verwiese statt nach hinten in die widernatürlicher Substanzen erbracht werden können. Zeiten des Kalten Krieges nach vorne in die Zukunft eines die nationalen Grenzen auflö- senden und am menschli- chen Maß sich orientie- renden Leistungssports. Nicht ganz abwegig, dass ein Großteil der Steuer- zahler mindestens ebenso viel Begeisterung für die Vielfalt menschlicher Leistungsfähigkeit und körperlicher Virtuosität entwickelt wie für den Medaillenspiegel. Denn der Sport verdankt seine – auch finanzielle - Anziehungskraft keines- wegs nur dem messbaren Erfolg, sondern ebenso sehr seiner Besonderheit, unter den Bedingungen des Wettbewerbs das Unvermögen vielfältig geschickter Körper zu zelebrieren, den eigenen Leib und die Umstände vollständig zu beherr- schen. 11
Die Leistungssportreform in Chaos zur Methode wird ie Chaos-Theorie besagt im Wesentlichen: Es gibt Syste- „endgültige Startschuss“, um jetzt das Papier konkret umzuset- D me, die, anders als wir vermuten, nicht vorausberechenbar sind. Und die durch kleinste Veränderungen oder Einflüsse aus den Fugen und ins Chaos geraten. Besonders groß wird das zen. Schließlich soll die Reform ab dem 1. Januar 2019 den deutschen Sport langfristig auf edelmetallglänzenden Erfolgs- kurs bringen. Von einem ambitionierten Zeitplan sprechen da Chaos, wenn die Beteiligten in verschiedene Richtungen mit Fachleute, die angesichts der noch ungeklärten Probleme davon Lösungsansätzen agieren, die von Eigeninteressen gesteuert sind. ausgehen, „dass der Zeitkorridor kaum einzuhalten ist, will man Womit wir bei der Leistungssportreform des Deutschen Olympi- die Punkte seriös und nachhaltig abarbeiten“. Begründung: Man schen Sportbundes (DOSB) wären. Die DOSB-Mitgliederversamm- ist nun in einem vorolympischen Zyklus, und es könne nicht lung in Magdeburg, wo dem umstrittenen Leistungssportkonzept mittendrin einfach alles Mögliche umgekrempelt werden. Frü- von DOSB und Bundesinnenministerium (BMI) 98 Prozent der hestens, so sagen sie, würde man nach den Spielen in Tokio mit Verbände (fünf Enthaltungen, eine Gegenstimme) zustimmten, liegt der wirklichen Umsetzung beginnen können. Das wäre dann nun schon über drei Monate zurück. Wie also ist nun der Stand der 2020/2021. Viele haben noch Gesprächsbedarf. Etwa die Opposi- Reform-Dinge? Die Lage-Analysen aus den Mitgliedsorganisationen tionsparteien und der Sportausschuss im Deutschen Bundestag. könnten nicht unterschiedlicher sein. Von vorauseilendem Aktionis- Die Grünen wollen im Plenum über die Reform diskutieren. Auch mus, konstruktiven Ergebnissen, Verärgerung und Stillstand ist die die Linken sehen das so, und die Koalitions-Vertreterinnen und - Rede. Das Fazit aber fast aller ist: „Es läuft ziemlich chaotisch.“ Da Vertreter im Sportausschuss sind ebenso dabei. Der Unmut über fällt einem der Satz des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters die Art und Weise, wie BMI und DOSB das ganze Reformvorha- Manfred Rommel ein, der feststellte: „ Die Summe der Einzelinteres- ben durchgezogen haben, hält noch immer an. Nur abnicken? sen ergibt nicht das Gemeinwohl, sondern Chaos.“ Ganz sicher nicht. Schließlich seien die Parlamentarier ja auch diejenigen, die die Mittel genehmigen und dafür geradestehen Wuseln ins Blaue müssten. Warum? „Wir treffen hier Entscheidungen, ohne zu wissen, ob sie Bestand haben und Sinn machen“, sagt ein Sportdirektor. Kampf um Lufthoheit „Wir wuseln vor uns hin, ohne zu wissen, ob wir jetzt die richti- Währenddessen scheint das Machtgerangel zwischen BMI und gen Weichen stellen. Es ist wie der berühmte Schuss ins Blaue“, DOSB um die Lufthoheit über den deutschen Spitzensport sagt ein anderer Verbandsvertreter. Stillstand - vor allem in den weiterzugehen. Immerhin hat man sich jetzt auf einen Vorsit- Ländern Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, zenden des Potenzial-Analyse-Systems (PotAS) geeinigt. Es wird wo neben der Bundestagswahl in den nächsten Monaten noch der Sportpsychologe Bernd Strauß, Professor an der Universität Landtagswahlen anstehen. Wahlen hin oder her: Das Bundeska- Münster, sein. Der 58-jährige, der auch Vorsitzender des Wissen- binett nahm nun die Leistungssportreform, die Bundesinnenmi- schaftlichen Beirats des Bundesinstituts für Sportwissenschaft nister Thomas de Maizière seinen Kollegen vorstellte, zur Kennt- (BISP) ist, war der Wunschkandidat des BMI. Sein Name fiel nis. Eine Reform, die im Werden ist, und sicher nicht so umge- schon im November am Rande der Anhörung im Sportausschuss. setzt werden wird, wie sie auf dem Kabinettstisch lag. Aber: Der Im April soll Strauß nun mit seiner Kommission loslegen, die es Minister hat nun Rückendeckung, falls etwas gründlich schief noch zu besetzen gilt (der Bundesinnenminister beruft die laufen sollte. Etwa wenn die Finanzierung des Reformvorhabens Vertreterinnen und Vertreter). 700.000 Euro pro Jahr wird das alle zu verantwortenden Rahmen sprengen sollte. Denn wie Gremium inklusive Geschäftsstelle den Steuerzahler kosten. In teuer das neue Sport-Gesamtkunstwerk den Steuerzahler kom- der Zwischenzeit finden unzählige Abstimmungsprozesse statt. men wird, weiß bisher niemand wirklich. Und die von den Ver- Bis Juni sollen die Verbandsgespräche abgeschlossen sein, die bänden 2015 errechneten 53 Millionen Euro sind „eine Größe in derzeit schon im Gange sind – eine Herausforderung auch für einem unbekannten schwarzen Loch“, sagen Ökonomen und den DOSB-Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig, den Leute, die sich in Sport- und Verbandsstrukturen auskennen, zu Sisyphus des deutschen Sports. Er ist nicht zu beneiden. Denn in dieser Finanz-Prognose. diesen Gesprächen wird die langsame und mühevolle Vorwärts- bewegung der Beteiligten nicht selten schnell wieder zur Rück- Durchwinken - der Startschuss wärtsbewegung, weil die Erwartungen und Umsetzungsmöglich- Für DOSB-Präsident Alfons Hörmann ist das Durchwinken der keiten der Verbände oft nicht kompatibel sind mit den Vorstel- Reform durch das Kabinett laut Sportinformationsdienst (sid) der lungen des DOSB (und des BMI). 12
Deutschland oder Wo das Von Bianka Schreiber-Rietig Neu justieren von Landes- oder Kommunalvertretern zu verklickern, warum Kritiker sehen sich bestätigt. Alte Probleme sind die neuen. Und gerade ihr Leistungszentrum geschlossen werden soll. weitere sind hinzukommen. „An vielen Stellen muss in dem Reformpapier heftig nachgearbeitet und neu justiert werden. Marode Schanze - Training in Austria Nach wie vor gehen die Vorstellungen von BMI und DOSB immer Eine kleine Delegation des Sportausschusses des Deutschen noch weit auseinander“, sagen alle, die das sportfachliche opera- Bundestages reiste in den ersten Februartagen durch die bayeri- tive Geschäft umsetzen müssen. Und natürlich haben auch die schen Lande. Die Parlamentarier wollten sich die Trainingsstätten Verbände in vielen Fällen noch ganz andere Ideen als BMI oder des Olympiastützpunktes Bayern in Schönau am Königsee, DOSB. Und die Länder wollen auch mitmischen. Allein das Ruhpolding und Inzell anschauen. Auf den ersten Blick: Alles Reduzieren von Olympia- und Bundesstützpunkten wird eine paletti unter dem weiß-blauen Himmel. Auf den zweiten Blick Mammutaufgabe. Für den Moment, wo es ans Eingemachte, dann der Katzenjammer. In einer gemeinsamen Erklärung der sprich Schließung oder Zurückstufung von Zentren geht, ist Bürgermeister der betroffenen Orte, des Bob- und Schlittenver- Krach schon mal programmiert. Länderpolitiker, die in den bandes und des Olympiastützpunktes Bayern wird darauf hinge- letzten Monaten harmonisch Zustimmung zur Leistungssportre- wiesen, dass die Gemeinden „an den Grenzen ihrer Belastbarkeit“ form bekundeten, werden ebenso wie Kommunalpolitiker in dem angekommen sind. Dass hier Trainingsstätten geschlossen wer- Moment zu Widerstandskämpfern, wenn ihnen Sportzentren den, ist zwar unwahrscheinlich, aber: „Die Defizite gehen ein- weggenommen werden sollen, die mit Steuermitteln jahrelang deutig zu Lasten der Gemeinden“, sagt Klaus Pohlen, Leiter des teuer bezahlt wurden. Wer Geld gibt, möchte verständlicherwei- Olympiastützpunkts. Steigende Unterhalts- und Sanierungskos- se auch mitbestimmen. Und da mutet es schon wie ein Streich ten ohne mehr Mittel – auf Dauer könne man sich solche kos- aus Schilda an, wenn etwa Bundesleistungszentren, die mit tenintensiven Trainingsanlagen nicht mehr leisten. Und auch Millionen öffentlicher Mittel in den letzten Jahren gebaut oder nicht erhalten. Es ist schizophren, dass drei 90-Meter-Schanzen, renoviert wurden, nun auf der Streichliste des DOSB stehen, weil die in Berchtesgaden, Reit im Winkl und Ruhpolding in der es sportfachlich plötzlich keinen Sinn mehr macht. „An vielen Landschaft stehen, wegen Baufälligkeit nicht benutzt werden Stellen ist da mit viel Geld was hingestellt worden, ohne Hirn können. Die Springer nicht nur der Eliteschule Berchtesgaden und Verstand“, schimpft ein leidtragender Nachlasserbe. Nicht etwa müssen deshalb nach Österreich zum Training gekarrt nur aus finanziellen, sondern auch aus Rechtfertigungs- und werden. Das Bayern-Beispiel ist kein Einzelfall: Kaum oder Imagegründen ist dem Bürger und der Bürgerin dann schwer ungenutzte Stützpunkt-Hallen, -bäder oder -Trainingsanlagen findet man einige in Deutschland. Hier haben sich Verbandsfürsten im Zusammenspiel mit der Politik gerne ein Spitzensport-Denkmal gesetzt, das heute ein Sanierungs- oder Abrissfall ist. Stier mahnt Harald Stier, stellvertretender Vorsitzender des Sport- ausschusses, forderte nach dem Besuch: „Es darf nicht sein, dass jeder versucht, die Kosten beim jeweils anderen abzuladen.“ Es säßen zu viele Partner im Boot. Man müsse eine bessere Vertragsgestaltung zwischen den Beteiligten erreichen. Und mit Blick auf die Reform mahnt der Unionsabgeordnete, es sei richtig, dass im Rahmen der Autonomie des Sports die Sportverbände entschieden, wem das größte Potenzial zugetraut wird und wo das Geld hingeht. Doch: „Es kann aber auch nicht sein, dass wir riesige Investitionen seitens des Bundes in eine Sportanlage getätigt haben und diese am Ende nicht mehr betrie- 13
ben werden kann, weil nach Ansicht der Verbände des Potenzial tung ist, dass sicher viele Athleten aufhören werden, auch im der Sportart nicht mehr vorhanden ist.“ Auch aus diesem Grund Nachwuchsbereich, weil sie sich mit zusätzlichen Problemen ist die Reform aus Sicht der Parlamentarier „noch lange nicht belasten müssten.“ Sportverantwortliche aus Köln oder Frankfurt gegessen“. Auch deshalb nicht, weil schon wieder die Transparenz stimmen ihm zu. Kritiker beklagen, dass entscheidende Punkte, in Frage steht: „Es werden offensichtlich Bundesstützpunkte die man in den Reformversuchen der letzten Jahrzehnte ver- geschlossen, aber dann unter einem anderen Titel weitergeführt nachlässigt habe, auch diesmal nicht wirklich im Fokus stünden: wie vorher. Es entstehen Landesstützpunkte, weil man sonst auf Etwa die Trainer und Athleten. die Förderung der Länder verzichten müsste. Und man hätte neue Finanzierungs- und Stellenprobleme: Trainerinnen und Verpuffte Trainer-Offensiven Trainer können nicht weiter beschäftigt und vor allem nicht Apropos: Die Trainerproblematik begleitet den deutschen Spit- mehr bezahlt werden, wenn diese Mittel wegbrechen. Da werden zensport seit Jahrzehnten. Zahlreiche Offensiven wurden gestar- gerade Mogelpackungen verkauft statt ordentliche Rahmenbe- tet, die aber immer wieder verpufften. Qualifizierung und Ausbil- dingungen und Strukturen geschaffen“, berichten Insider. Ande- dung wurden ebenso vernachlässigt wie die Frage um das liebe rerseits wird beklagt, dass man nun die Olympiastützpunkte Geld: Eine verlässliche Gehaltsstruktur ist seit langem überfällig, einem Nivellierungsprozess unterziehe. Alle sollen gleich behan- ebenso wie die damit verbundene frühzeitige finanzielle Pla- delt werden. Im Ansatz richtig, bringt aber gut funktionierende nungssicherheit für die Verbände. Das arbeitsrechtlich fragwür- Olympiastützpunkte nun eventuell finanziell in Nöte, weil das dige Von-Vertrag-zu-Vertrag-Hangeln, das Bangen, ob und wie Budget kleiner wird. Das hat zur Folge, das beispielsweise Ser- es weiter geht, ist nicht nur für die Betroffenen eine Zumutung. viceleistungen im therapeutischen Bereich für die Sportler Der nicht selten 60 Wochenstunden schwere Job ist bei schlech- gestrichen werden müssen. Wer die Aufgaben übernimmt? ter Bezahlung weder familienfreundlich noch gesundheitsför- Achselzucken. dernd. Dass heute gute Trainer ganz schnell dem deutschen Sport den Rücken kehren, wenn sie ein finanziell besseres Ange- Transparenzportal bot bekommen, ist mehr als verständlich. Warum DOSB und BMI Wer bezahlt was? Wer bekommt Geld wofür? Bisher war der und auch ein Gros der Verbände nicht hinkriegen, was in Lan- Fluss der öffentlichen Mittel im Sport nicht immer wirklich dessportverbänden wie Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt nachzuvollziehen, was der Bundesrechnungshof stets beklagte oder Berlin möglich ist, verstehe wer will: Dort wurden nämlich und Transparenz einforderte. Das BMI versicherte immer wieder, Tariftabellen erarbeitet - mit transparenten Kriterien. Nachfrage bei der Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzen- beim zuständigen Abteilungsleiter für Leistungssport in Berlin, sportförderung genau darauf ein besonderes Augenmerk zu Frank Schlizio: „Wir haben versucht, mit den vorhandenen legen. Und auch die Parlamentarier sind beim Geld für das Mitteln ein gerechtes Tarifsystem mit transparenten Kriterien zu Reformvorhaben besonders nickelig. In ihrem Bundestagsantrag entwickeln. Natürlich sind wir da immer noch in Gehaltsberei- fordern die Grünen „ein Transparenzportal im Bezug auf die chen, wo andere erst gar nicht anfangen würden zu arbeiten“, Förderung durch die öffentliche Hand“. Die Chaostheorie bestä- erklärt er. Um gute und qualifizierte Trainer zu haben, müsse tigt sich in der Stützpunktfrage. Und löst weitere Verwirrungen man endlich mehr Mittel zur Verfügung stellen. Und auch die und Verunsicherung bei Athletinnen und Athleten aus. Es ist Ausbildung verbessern. nicht generell geklärt, was passiert, wenn Sportler zu einem anderen Stützpunkt wechseln müssen. Kann ich da studieren? Nix ohne Athletinnen und Athleten Wie sieht es mit einer Wohnung aus? Wer übernimmt die Kos- Lösungen müssen auch für diejenigen gefunden werden, ohne ten? Dass die Deutsche Sporthilfe nun auch nur noch die Besten die nix geht: Die Athleten. Offiziell reden sie mit, wie der Sport, der Besten mit Medaillenaussichten fördern will, verunsichert die ihr Sport, in Deutschland aussehen soll. Aber ist das wirklich so? Aktiven noch mehr. Und so manche, die schriftlich von der Sie haben eine Athletenkommission, und deren Sprecher sitzt Sporthilfe mitgeteilt bekamen, dass sie nun aus der Förderung mit im DOSB-Präsidium. Mitreden? Mitentscheiden? Die Realität gekickt werden, können sich den Spitzensport dann nicht mehr sieht anders aus. Beispiel Magdeburg. Mühsam erkämpften die leisten: Sie werden aufhören. Sportler, dass der Satz „Einbindung der Athletinnen und Athleten unter anderem in die Strukturgespräche“ in die Beschlussvorlage Fragen und Ängste zur Reform aufgenommen wurde. Denn: Auch die Athleten Auch im Nachwuchsbereich, wo Schüler und Schülerinnen ihren beklagten während des ganzen Reformprozesses, dass sie drau- Lebensmittelpunkt an andere Standorte verlegen müssen, wenn ßen vor der Tür gelassen wurden. Dabei sollten sie doch – so die ihr Stützpunkt geschlossen wird, gibt es Verunsicherung, viele Väter der Reform – im Mittelpunkt stehen. In Magdeburg war Fragen und Ängste. Warum muss man nun dort trainieren? Geht Christian Schreiber noch Sprecher der Athletenkommission. Nun der eigene Trainer mit? Gibt es genügend Internatsplätze? Wie ist er es nicht mehr. „Berufliche Belastung“ war der offizielle sieht es mit den schulischen Anforderungen in dem anderen Rücktrittsgrund. Doch eher ist wohl richtig, dass der ehemalige Bundesland aus? Kann man einfach wechseln, ohne zu viel Zeit Ruderer, der es allen recht machen wollte, zwischen den Loyali- zu verlieren? Das sind Fragen, mit denen sich nicht nur Rein- täts-Mühlen zerrieben wurde. Kürzlich gab DOSB-Präsident fried Kugel, verantwortlich für die Nachwuchsförderung in Alfons Hörmann auf Eurosport in der Sendung „Wintersport Berlin, noch mehr als sonst beschäftigen muss. „Ich finde es Extra“ ein Interview. Er sehe es „als wertvoll und wichtig an, dass richtig, dass es eine Reform gibt, dass sich etwas ändern muss. die Athleten mehr und mehr, wie es so schön heißt, auf die Aber wir haben einfach zu viele Baustellen. Und meine Befürch- Barrikaden gehen“. Er bezog das aber auf den Kampf gegen 14
Doping. Da würden die Sportler den Druck auf die Funktionäre Bewegung und keinen Widerspruch zum Leistungssport-Konzept. erhöhen. Denn ansonsten sind mündige Athleten vor allem Auf Anfrage bei der DOSB-Pressestelle antwortet er mit Sätzen Störenfriede in den Kreisen der DOSB-Granden. Das wäre ja noch aus dem Abschnitt I des Reformpapiers, wo es um die Bedeutung schöner, wenn die jetzt auch noch in eigener Sache eine Idee und die staatliche Repräsentation des Sports in Deutschland und - noch schlimmer - ihre eigene Meinung hinausposaunen, geht. Was aber die eigentlichen Fragen, wie das alles nun die meistens nicht deckungsgleich mit der der Funktionäre ist. zusammenpasst, nicht beantwortet. Überrascht von der „neuerli- chen Pirouette“ wurde man im BMI, das den DOSB kurz darauf Nicht zu ändern öffentlich mahnte, nicht von der Fahne zu gehen. Das BMI Schreiber-Nachfolger Max Hartung wagte es, die immer wieder erwarte, „dass die im Reformkonzept formulierten Zielstellungen mal entfachte Diskussion aufleben zu lassen, ob die Bundeswehr nach wie vor vom DOSB mitgetragen werden“. Dazu gehöre als Förderer von Spitzensportlern so erstrebenswert sei, und ob unter anderem „die Konzentration der vorhandenen Mittel auf man die 50 Millionen, die die Bundeswehr dem Sport zukommen die perspektivreichsten Athleten und Disziplinen mit einem lasse, nicht intelligenter und fairer einsetzen könne. Und wurde Erfolgspotenzial: vier bis acht Jahre zum Podium“. gemaßregelt. Übrigens hatte sich der meinungsfreudige Athlet schon vor seiner Wahl zum Sprecher im ZDF-Sportstudio und Absetzbewegungen beim Leistungssportforum des Deutschlandfunks ähnlich geäu- Beim DOSB-Präsidenten sind einige Absetzbewegungen festzu- ßert. Da empörte sich niemand. So musste der Fechter die stellen. So lässt Alfons Hörmann den Ball des Sports in Wiesba- Erfahrung machen, dass mit dem Amt die öffentliche Aufmerk- den sausen und stattet lieber der umgebauten Heini-Klopfer- samkeit wächst und man schnell in eine offene Klinge rennt, Schanze in seiner Heimat einen Besuch ab, wo er - wie die wenn man ehrlich sagt, was man denkt. Die Folge: Die Sportler „Allgäuer Zeitung“, der er ein Interview gibt, schildert - im halten sich zurück, weil mal wieder der DOSB-Bannstrahl ausge- Matsch stand. Seine sehr, sehr späte Absetzbewegung - erstmals schickt wurde. in Magdeburg - vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen weltweit kritisierter (Nicht-)Haltung bei der Doping- Ziele aktualisieren politik im Zusammenhang mit den Russen, umschreibt Hörmann „Verwunderte Verwirrung“ löste auch der fachlich und sachlich in dem Gespräch wie gewöhnlich wortreich und nach dem geschätzte Herr Schimmelpfennig mit einem sid-Interview aus. Motto: Schuld sind immer die anderen. Man wolle, hatte Schim- Der DOSB, stand da zu lesen, schafft für die Winterspiele in melpfennig dem sid gesagt, „das Bewusstsein für den Leistungs- Pyeongchang im nächsten Jahr die Medaillenprognose ab. Um sport auch dadurch schärfen, dass wir komplexere Ziele setzen“. diese „Zielvorgaben“ gab es vor jeden Spielen immer wieder Zu beachten seien auch sportpolitische Entwicklungen wie der Ärger, weil sich manche Verbände beim Einschätzen des zu Anti-Doping-Kampf. Der Präsident distanziert sich in der hei- erringenden Edelmetalls gerne überschätzten. Warum also nicht matlichen Zeitung auch von der eigenen Reform, wenn er auf ein stetes Ärgernis abschaffen? Schimmelpfennig, der auch Chef die Frage: „Die Zahl der Medaillen ist für Sie also gar nicht de Mission in Südkorea sein wird, erklärte, man werde mit den entscheidend?“ antwortet: „Man darf nicht immer alles nur an Verbänden „die Ziele aktualisieren; für uns ist der Ansatz, dass Medaillen festmachen....“ Aha, jetzt ist plötzlich alles anders? Zur man den Leistungssport nicht auf Medaillen reduzieren sollte“. Chaos-Klärung, Richtungsweisung und Glaubwürdigkeit tragen Erstaunen. Und er fuhr fort: „Selbstverständlich bleibt es dabei, diese neuerlichen Einlassungen nicht bei. Ist dieser Salto rück- dass wir Medaillen gewinnen wollen. Aber wir freuen uns auch wärts ein Zugeständnis an die Verbände, weil man die gegebe- über Weltklasseleistungen, die sich im unmittelbaren Umfeld der nen (finanziellen) Versprechungen nicht einhalten kann und sie Podestplätze bewegen, oder über Athleten, die ihre Bestleistung bei Laune halten muss? Oder ein Autonomie-Hinweis und sport- erreichen.“ Er räumte aber ein, dass man doch eine kleine Vorga- licher „Ätsch-Gruß“ des DOSB im Machtspielchen mit dem BMI? be machen werde, denn die Winterspiele von Sotschi mit 19 Mal Edelmetall sollten Maßstab sein. „Ich habe Vertrauen, dass deutsche Prognostiziert waren damals 27 bis 42 Sportfunktionäre moralisch integer Medaillen. handeln und die Einhaltung von Fair Play und Unbestechlichkeit beachten.“ Kein Widerspruch Nur 27 Prozent der Befragten stimm- Ja, nun steht man etwas ratlos da. Die ten diesem Satz laut einer Studie der Aussage, dass Medaillen nicht mehr Deutschen Sporthochschule zu, in der das Maß aller Förderbedingungen sein es um die Akzeptanz des Spitzen- sollen, wäre ja als erfreuliche Trend- sports in der Bevölkerung ging. wende zu sehen. Gäbe es da nicht die Vertrauen geht anders. „Chaos ist Spitzensportreform. Und das dort als gelegentlich nötig, um festgefahrene unumstößlich gepredigte Medaillen- und erstarrte Strukturen aufzubre- Bekenntnis von Bundesinnenminister chen. Dann ist neues Wachstum und DOSB-Präsident. Und nun kon- möglich“, behauptet die Schriftstelle- terkariert der DOSB seine eigene rin Eva Roth. Sie kennt aber offen- Reform? Schimmelpfennig sieht in sichtlich den deutschen Sport und vor den Aussagen keine Rückwärts- allem den DOSB nicht. 15
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