1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft

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1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
1-2017
1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
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1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
Freundliche Grüße                                                Inhalt
aus der Redaktion                                                OF Mosaik                                                  4
      anipulation, Korruption, Chaos, große Worte, peinliche
M     Taten, volle Kassen, leere Versprechen, spektakuläre
Pleiten: Das Negativ-Stichwortregister zur Olympischen
                                                                 OF-Podium: Prof. Dr. Heinz Zielinski
                                                                 Wir brauchen keinen kalten Krieg um Medaillen!
                                                                                                                            6

Bewegung und zum ganzen sportlichen Welttheater wird             Thesen zu möglichen Folgen der Spitzensportreform –
lang und länger. Und die Sündenfälle im Ereignis-Kalender        Plädoyer für ein anderes Verständnis von Spitzensport      8
                                                                 Prof. Dr. Thomas Alkemeyer
verdrängen immer häufiger die Ergebnisse oder werfen sie -
siehe verspätetes Doping-Medaillen-Monopoly - über den           Die Leistungssportreform in Deutschland oder
Haufen. Wer sich unter solchen Begleitumständen das Sport-       Wo das Chaos zur Methode wird                             12
                                                                 Bianka Schreiber-Rietig
interesse nicht gänzlich vermiesen lässt, der muss schon hart
gesotten sein. Auch wir legen, liebe Leserinnen und Leser, in    Alle Macht den Athleten - Das Funktionieren des Sports
dieser Ausgabe mit einer Reihe von problembeladenen The-         darf nicht allein den Funktionären überlassen bleiben     16
men und kritischen Betrachtungen mal wieder ein Barometer        Prof. Dr. Wolfgang Buss
der Leidensfähigkeit an. Keine Frage - Olympia steht vor der     Mündige Athleten und das Recht auf Selbstbestimmung       19
Werte-Insolvenz. Selbst immer mehr Bürgervoten zeigen            Dr. Christoph Fischer
national wie international auf: Mit den Spielen ist kein Staat   OF-Interview mit Dr. Andrè Hahn                           20
mehr zu machen. Die verbitterten Grüße aus Rio passen dazu.      Bianka Schreiber-Rietig
Apropos Bürgerbefragungen: Wenn es also gar zu dicke             Ein olympisches Jahr schwieriger Bewährungsproben -
kommt, dann funktioniert er offensichtlich noch, der gesunde     Russland, Doping, Trump als die größten Herausforderungen
                                                                 für das IOC                                               24
Menschenverstand. Eine These, die auch den jüngsten Wei-         Günter Deister
chenstellungen im deutschen Sport viel Skepsis entgegen
bringen dürfte. In der Dauerdiskussion bleibt nämlich die        In dieser verrückten Sportwelt ist nichts unmöglich
Forderung nach mehr schwarz-rot-goldenen Medaillen beim          Über die Inflation „dreckiger“ Medaillen                  28
                                                                 Michael Gernandt
internationalen Kräftemessen. Um die zu erfüllen, ist gerade
der Startschuss für eine große Spitzensport-Reform erfolgt.      Welt-Leichtathletik in der Krise                          31
Und dieses Reformvorhaben birgt schon in seiner Entste-          Prof. Dr. Helmut Digel
hungsphase so viele Ungereimtheiten, dass man nur staunen        Warum das Sprungbrett nicht optimal federt
kann. Der deutsche Sport auf einem Zick-Zack-Kurs ins            Von einer ausgezeichneten Sporthilfe-Idee und den
Ungewisse? Auf einem Holperweg zu mehr Medaillen, die von        finanziellen Perversionen im Sportbetrieb                 32
einer breiten Öffentlichkeit zunehmend kritisch betrachtet       Dr. Andreas Müller
werden? Mit den Bewertungen und Kommentierungen in               OF-Kommentare                                              38
dieser OF-Ausgabe wollen wir erneut ein wenig dazu beitra-       Günter Deister, Michael Gernandt, Bianka Schreiber-Rietig,
gen, den klaren Durchblick zu behalten.                          Harald Pieper, Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke
                                                                 Vom Ackergaul zur Olympiasiegerin
An dieser Stelle gilt es zudem, ein paar Änderungen im           Die unglaubliche Geschichte der Stute Ala                 42
"Innenleben" unserer Zeitschrift bekannt zu geben. Steffen       Franz Josef Bomert
Haffner, guter Freund, versierter Autor und geschätzter
                                                                 Der Rekordläufer
Mitstreiter über viele Jahre, hat sich aus persönilichen Grün-   Harald Norpoth und Jürgen Haase erinnern sich an
den aus dem Herausgeber-Kollegium verabschiedet. Der             Begegnungen mit Ron Clarke                                46
herzliche Dank der Redaktion, des Verlages und der gesamten      Jochen Frank
DOG für sein Wirken sollte noch lange nachklingen - nicht
                                                                 Was macht eigentlich? ... Wolfgang Danne                  48
zuletzt deshalb, weil Steffen Haffner uns als Autor erhalten     Dr. Andreas Müller
bleibt. Neu im Herausgeber-Gremium dürfen wir Bianka
Schreiber-Rietig und Professor Dr. Wolfgang Buss willkom-        OF-Galerie: Helga Neubers SportART:
                                                                 Kunstvolle Statements und olympische Erinnerungen         50
men heißen. Die bekannte freie Journalistin und der renom-       Dr. Andreas Höfer
mierte und auch um die DOG verdiente Sportwissenschaftler
sind mit ihrer publizistischen Visitenkarte im OF bekanntlich    Deutsche Olympische Gesellschaft KOMPAKT                  52
schon seit Jahren präsent. Das gute Omen für die Zukunft         Impressum                                                 66
ergibt sich also von selbst. Unser "Feuer" brennt weiter.
                                            Ihr Harald Pieper
1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
Sohn Kee Chung Statue in Berlin ent-
    „ALKOHOLFREI SPORT GENIEßEN“                                                         Thema "Flüchtlinge im hüllt
                                                                                         Sportverein" Antworten
Verantwortungsvoll mit Alkohol im          „alkoholfrei“ und verzichten dabei auf
Vereinsleben umgehen – dafür steht         den Ausschank und Konsum von                    auf Rechtsfragen
das Aktionsbündnis „Alkoholfrei Sport      Alkohol. Dabei werden sie von der
genießen“.                                 BZgA mit einer kostenlosen Aktionsbox         In einer aktuellen Broschüre gibt der
                                           „Alkoholfrei Sport genießen“ unter-           Landessportbund Nordrhein-Westfalen
Das bundesweite Aktionsbündnis             stützt. Diese enthält unter anderem ein       26 Antworten auf rechtliche, steuer-
wurde im April 2016 von der Bundes-        Werbebanner, T-Shirts, Informations-          rechtliche und versicherungsrechtliche
zentrale für gesundheitli-                                        materialien, das       Fragen zum Thema "Flüchtlinge im
che Aufklärung (BZgA)                                             Jugendschutzge-        Sportverein".
initiiert. Gemeinsam mit                                          setz als Poster
dem Deutschen Olympi-                                             und Rezepthefte        Für Sportvereine, die einen Beitrag zur
schen Sportbund (DOSB),                                           für alkoholfreie       Integration geflüchteter Menschen
dem Deutschen Fußball-                                            Cocktails. Vereine     leisten wollen, stellen sich in der Praxis
Bund (DFB), dem Deut-                                             setzen so ein          viele Fragen. So zum Beispiel: In
schen Turner-Bund (DTB),                                          klares Zeichen         welchem Rahmen können geflüchtete
dem Deutschen Handball-                                           für einen verant-      Menschen an den sportlichen und
bund (DHB) und dem DJK                                            wortungsbe-            außersportlichen Angeboten des
Sportverband ruft die BZgA Trainerin-      wussten Umgang mit Alkohol im                 Vereins teilnehmen? Wie ist der Versi-
nen und Trainer sowie Erwachsene in        Vereinsleben.                                 cherungsschutz für sie geregelt? Wer
deutschen Sportvereinen dazu auf,                                                        trägt die Kosten bei einem Sportunfall?
gerade in Anwesenheit von Kindern          Sportvereine können die Aktionsbox            Oder können Flüchtlinge ehrenamtlich
und Jugendlichen verantwortungsvoll        auf der Internetseite www.alkoholfrei-        im Verein mitarbeiten? Und was ist zu
mit Alkohol umzugehen und sich stets       sport-geniessen.de bestellen und sich         beachten, wenn sie am Wettkampfbe-
ihrer Vorbildfunktion bewusst zu sein.     viele Anregungen und Tipps für ihre           trieb teilnehmen?
                                           Veranstaltung holen. Bei Fragen hilft
Mitmachen ist ganz einfach: Vereine        gerne auch ein Infotelefon weiter:            Der LSB NRW hat die Antworten auf
erklären eine Veranstaltung, ein Turnier   06173/78 31 97 (Montag bis Freitag            alle diese und weitere Fragen in einer
oder ein ganzes Wochenende für             von 9 bis 17 Uhr).                            aktuellen Broschüre gebündelt

                                            dent Alfons Hörmann eine abschließende     bewusste Wahrnehmung der Position.
In eigener Sache:                           Stellungnahme zu den haltlosen             So dürfen wir Deutschland international
                                            Anschuldigungen öffentlich gemacht         nicht repräsentieren.“
Im Zusammenhang mit dem russischen          hat. Wir erlauben uns diese Stellungnah-
IAAF-Dopingskandal sind auch Vorwürfe       me im Wortlaut wiederzugeben:              Ihre Anschuldigung folgt einem
gegen Prof. Dr. Helmut Digel erhoben        „Sehr geehrter Herr Präsident,             bekannten Muster: Sie setzen ein
                      worden. Da Prof.                                                 Gerücht in die Welt, ohne einen einzi-
                      Digel langjähriges    in der FAZ vom 6.12.2015 werden Sie        gen Beleg auf den Tisch zu legen, außer
                      Mitglied des          mit folgenden Worten zitiert:              der Tatsache, dass ich Vizepräsident war.
                      Herausgeberkolle-                                                Darauf beruht Ihre Spekulation, die
                      giums und Autor       „Wie kann es sein, dass man auf Welt-      natürlich in unserer medialen Welt
                      des "Olympischen      verbands-Ebene nicht mitbekommt, was       verfängt. Sie kennen meinen Werde-
                      Feuers“ ist und da    gelaufen ist?“, fragte Hörmann. Digel      gang, wissen auch, dass ich den Kampf
                      entsprechende         teile im Monatsrhythmus dem deut-          gegen Doping als meine Lebensaufgabe
 Helmut Digel
                      Anfragen von          schen Sport mit, was er besser zu          betrachtet habe. Muss ich Ihnen im
Lesern auch an die Mitherausgeber           machen habe und was schlecht gelau-        Ernst meine Vita als Sportwissenschaft-
ergangen sind, haben wir Herrn Digel um     fen sei. Er habe nun erklärt, in einer     ler und Funktionär und meine Verdiens-
eine Stellungnahme gebeten. Er weist        Mischung aus Naivität und Gutgläubig-      te im Kampf gegen Doping detailgetreu
darauf hin, dass er bereits am 7.12.2015    keit die Entwicklung nicht erkannt zu      vor Augen führen. Nein, Sie wissen das
in einem offenen Brief an DOSB-Präsi-       haben: „Das ist keine verantwortungs-      alles und trotzdem!

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1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
Der DLV-Laufkalender für 2017                                                   Sohn Kee Chung Statue
Der Laufkalender des Deutschen           handlichen DinA5-Format unter
                                                                                        in Berlin enthüllt
Leichtatheltik Verbandes (DLV)           dem Dach der Medienmarke lau-             Neben Jesse Owens war er ein Star der Olympi-
umfasst rund 3.200 Veranstaltun-         fen.de. Er enthält alle Laufveranstal-    schen Spiele von Berlin 1936: Sohn Kee Chung,
gen und ist sowohl online als auch       tungen, die in den 20 Landesver-          der Sieger im Marathon. Er war 23 Jahre alt und
in gedruckter Form erhältlich.           bänden des DLV für 2017 offiziell         lief mit 2:29:19,2 Stunden olympischen Rekord.
                                         angemeldet worden sind. Außerdem          Sein Heimatland Korea war von Japan besetzt, er
Im großen Eventkalender auf              sind die wichtigsten Laufevents im        musste unter dem Namen Ki tei Son starten.
www.laufen.de finden Sportlerinnen       Ausland aufgeführt. Das Kompendi-         Leni Riefenstahl machte ihn
und Sportler mehr als 3.200 Lauf-        um wird von der DLM RunMedia              zum Mittelpunkt ihres Olym-
veranstaltungen. Mit detaillierten       GmbH in Köln verlegt, die laufen.de       piafilms, indem sie seinen
Informationen zum kleinen 10-            als Internet-Portal und als Zeit-         Kampf um olympisches Gold
Kilometer-Lauf um die Ecke, aber         schrift betreibt.                         dramatisch in Szene setzte
auch zu Großveranstaltungen wie                                                    und ihn weltberühmt machte.
den Marathonläufen in Hamburg,           Das ultimative Nachschlagewerk für        Bei der Siegerehrung senkte
Berlin, Köln, München oder Frank-        ein ganzes Jahr erhalten Läufer ab        er beim Abspielen der Japani-
furt. Ebenfalls enthalten: Die Stadt-    sofort kostenlos beim DLV gegen           schen Hymne den Blick. So
läufe von SportScheck, die von Mai       Zusendung eines mit 1,45 Euro             wurde er Nationalheld der
bis Oktober 20 deutsche Städte in        frankierten Rückumschlages. Außer-        Republik Korea.
Bewegung bringen werden. Die             dem gibt es den Kalender kostenlos
komfortable Suchfunktion hilft           bei mehr als 120 Running-Fach-            Wenige Meter von der alten Marathonstrecke
jedem Läufer, passende Events zu         händlern von Sport 2000, die unter        entfernt, auf dem Gelände des Horst-Korber-
finden.                                  der Marke „Dein Laufprofi“ firmieren      Sportzentrums am Glockenturm des Maifeldes,
                                         und im Internet unter www.dein-           steht seit Dezember seine Statue in Bronze. Der
In der gedruckten Variante ist der       laufprofi.de zu finden sind.              Botschafter von Korea und Berlins LSB-Präsident
Laufkalender des Deutschen Leicht-       Auch im Zeitschriftenhandel ist der       Klaus Böger erinnerten an den großen Sportler
athletik-Verbandes seit mehr als 45      DLV-Laufkalender erhältlich: als          und seine tragische, aber friedensstiftende
Jahren das Original. Für 2017            kostenlose Beilage zur neuesten           Geschichte. Seit 2011 ist auf Beschluss des IOC
erscheint er mit 228 Seiten im           Ausgabe des Magazins laufen.de.           sein Olympiasieg unter Korea aufgeführt.

Ich werde mich nicht mehr öffentlich           DOSB-Ehrenmedaillefür Bundespräsident Gauck
gegen haltlose Anschuldigungen
rechtfertigen oder Ihnen im Gegen-            Bundespräsident Joachim Gauck ist           Bundespräsident bei zahlreichen Gele-
zug vorhalten, dass Ihr Engagement            heute in Berlin anlässlich der Verleihung   genheiten mit Leben gefüllt habe. "Sie
gegen Doping, objektiv betrachtet,            des Großen Stern des Sports in Gold mit     haben bewirkt, dass die vielfältigen
nicht sichtbar ist.                           der höchsten Auszeichnung des DOSB,         Leistungen des Sports öffentlich besser
                                              der Ehrenmedaille des deutschen Sports,     wahrgenommen werden." Präsident
Aber eine Entschuldigung für Ihre             ausgezeichnet worden.                       eines Landes, das Medaillen herbei-
Entgleisung, die für mich einer                                                           schafft, wollte Joachim Gauck nie sein,
persönlichen Verleumdung gleicht,             Grund für die Auszeichnung sei der          sagte Hörmann.
erwarte ich!“                                 Respekt vor der menschlichen und
                                              politischen Lebensleistung Joachim
Aus der Sicht der Redaktion und der           Gaucks – "nicht nur, aber auch auf dem
Mitherausgeber ist diesem Schreiben           Feld des Sports", sagte DOSB-Präsident
nichts hinzuzufügen. Im Übrigen               Alfons Hörmann in seiner Laudatio in
verweisen wir auf einen Beitrag von           der DZ-Bank am Brandenburger Tor.
Prof. Dr. Helmut Digel in diesem Heft,
in dem er den IAAF-Skandal kom-               Gauck habe den deutschen Sport stets
mentiert.                                     unterstützt, weit über die Übernahme
                         OF-Redaktion         der Schirmherrschaft hinaus, die der

OF-MOSAIK                                                                                                                      5
1-2017 Deutsche Olympische Gesellschaft
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       er Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat im              ehrlich mit seinen Akteuren umgehen. Der Hinweis, dass mit
       Dezember 2016 eine Reform zur Neustrukturierung             der Reform noch keine Weichen in der Praxis gestellt worden
       des Leistungssports für Deutschland beschlossen.            seien, verbunden mit der Beruhigung, es werden „Strukturge-
Dem Beschluss sind umfangreiche und intensive Beratungen           spräche“ geführt, ist – vorsichtig formuliert – nicht vertrau-
zwischen politischen, respektive staatlichen Einrichtungen         ensbildend. Doch spielt das eine Rolle? Die programmatische
und dem Sport vorausgegangen. Das ist sicherlich sehr aner-        Aussage von den Jahren 2017/2018 als Übergangsphase
kennenswert. Doch bereits jetzt, entgegen der Behauptungen         erweist sich schon jetzt als Ideologie, denn es werden bereits
im Vorfeld, zeichnen sich negative Folgen für den Sport auf        Fakten geschaffen. Vor allem Athleten und Trainer sind ver-
nationaler und regionaler Ebene ab, die das Reformkonzept          unsichert, wozu auch gehört, dass die Standortfrage selbst
inkorporiert haben.                                                für Spitzenathleten teilweise ungewiss erscheint.

Um eine falsche Diskussionsrichtung im Vorhinein zu vermei-        Unsicherheit gilt auch für einige Fachverbände, deren Förde-
den: Es bestanden und bestehen hinreichend Gründe für eine         rung sich verändern wird. Bei einigen kann es lange dauern, bis
Reform, die übrigens lange im Vorfeld durch das Bundesmi-          sie wieder einen Status-quo-Ante erreicht haben. Gleicherma-
nisterium des Innern anders als vom DOSB gewichtet worden          ßen unsicher ist
sind. Mit den Anmerkungen im vorliegenden Beitrag soll die         das Verhältnis
kritische Debatte zur Struktur des Leistungssports auf eine        zwischen natio-
weiterführende Grundlage gestellt werden, verbunden mit            naler und Lan-
der leisen Hoffnung, dass kritische Debatten im deutschen          desebene. Die
Sport erwünscht sind.                                              Folgen der
                                                                   umzusetzenden
Einigkeit besteht sicherlich darüber, dass im Mittelpunkt jeder    neuen Kader-
Reform Athlet und Trainer zu stehen haben. Doch was bedeu-         struktur zum
tet das, wenn wir einmal näher hinsehen? Wesentliche allge-        Beispiel für die
meine Zielsetzungen der Reform sind Zentralisierung und            Länder sind noch
Konzentration. Schon jetzt zeichnen sich Trends nicht nur ab,      gar nicht abzuse-
sondern werden bereits vollzogen:                                  hen. Nachwuchs
                                                                   muss ja wohl
Athletinnen und Athleten, denen nur geringe Chancen für            auch weiter
2018/2020 und 2022/2024 eingeräumt werden, fallen durchs           gefördert werden
Raster. Sportler die über viele Jahre auf große Ziele hingear-     - und wer macht
beitet haben, müssen sich jetzt – noch nicht am Ende ihrer         dies? Und was ist
Karriere - entscheiden, ob sie weiter Leistungssport treiben       mit den Athleten,
wollen. In vielen Fällen dürfte die Entscheidung auf der Hand      die aus der
liegen. Damit wird die Grundgesamtheit potenzieller Medail-        Förderung
lengewinner für die internationalen TOP-Ereignisse reduziert.      herausfallen, aber
Zweifel sind berechtigt, dass diese Strategie zum gewünsch-        noch Chancen
ten Erfolg führen wird.                                            auf Spitzenplätze
                                                                   haben? Generell scheint eine striktere Trennung im Fördersys-
Ähnlich zeichnet sich die Entwicklung im Trainer-Bereich ab,       tem zwischen Spitzensportlern und Nachwuchsleistungssport-
wo bereits jetzt Spitzentrainer ausscheiden, ihre Erfahrung        lern beabsichtigt zu werden, ohne dass dies auch offen kommu-
nicht mehr gefragt ist. Es ist klar, dass sich mit der Zentrali-   niziert wird.
sierung die Rahmenbedingungen verändern. Die Zahl der
Bundesstützpunkte wird um etwa 20 % reduziert. Damit               Die generelle Stoßrichtung ist offenbar eine verstärkte Öko-
gehen für Trainer und Athleten Vorteile einer bisher individu-     nomisierung des Spitzensports. Effizienzsteigerung scheint im
ellen Trainings- und Wettkampfgestaltung verloren, die sich        Mittelpunkt zu stehen. Bessere Ergebnisse als Erfolgsmeldung
auch auf die Duale Karriere auswirken werden.                      durch kaum erhöhte Mittel, zumindest nicht über alle Ver-
                                                                   bände hinweg. Klar ist dabei auch, dass negativ betroffene
Notwendige Formen zu mehr Flexibilisierung werden zu               Verbände – wie gesagt – wohl lange Zeit brauchen werden,
Gunsten von Standardisierung über Bord geworfen. Anforde-          um wieder Spitzensportler in mehr als Einzelfällen hervorzu-
rungen an die Duale Karriere der jungen Frauen und Männer          bringen. Wie das gelingen soll, ist nicht abzusehen. Hierfür
werden in vielen Einzelfällen nicht berücksichtigt, auch wenn      sind die analytischen Grundlagen kaum gelegt worden.
im Konzept das Gegenteil formuliert ist. Dafür könnte man          Warum erzielen Spitzensportler erstklassige Ergebnisse im
noch gewisses Verständnis aufbringen. Nur: der Sport sollte        internationalen Maßstab - das ist doch die Frage?

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Damit sind wir bei einem Dreh- und Angelpunkt der gesam-         und deren beliebigen Kombinationsmöglichkeiten ist die
ten Leistungssportreform. Die Potenzialanalyse soll Grundlage    damit propagierte Objektivität fraglich.
des Steuerungssystems sein. Das hätte Hoffnung wecken
können insofern, als in Zukunft die Potenziale im deutschen      Angesichts der Statistiken innewohnender Eigen-Dynamik
Sport auf allen Ebenen wirksamer und breiter ausgeschöpft        betrachtet, können damit Beliebigkeiten Tür und Tor geöffnet
werden. Eine solche Potenzial-Ausschöpfung hätte frühzeitig      werden. Und am Rande: Die Tatsache, dass am Vorabend der
anzusetzen, bei den 14- bis 18-jährigen Athleten (von der        Mitgliederversammlung nahezu kaum jemand der Delegierten
Talentfindung einmal abgesehen), je nach Sportart. Doch          erklären konnte, was man unter „Potenzialanalyse und ihrer
diese Nachwuchsperspektive steht überhaupt nicht im Mittel-      Anwendung“ versteht, lässt skeptisch in die Zukunft schauen.
punkt.                                                           Man sollte dabei im Auge behalten, dass die Potenzialanalyse
                                                                 den Kern der Leistungssportreform bildet.
Der Ansatz ist ein völlig anderer. Potenzial wird im deutschen
Sport erst erfasst, wenn herausragende internationale Erfol-     Kommen wir zum Ende der ausgewählten Hinweise. Im Kern
ge erzielt worden sind und damit noch stärkere Leistungen in     stellt die Reform ein ökonomisches Modell zur Zentralisierung

Leistungssport-Reform in
Deutschland: Ökonomisierung
als Heilmittel
Prof. Dr. Heinz Zielinski, Vizepräsident des Landessportbun-
des Hessen und Vorsitzender der Stiftung Sporthilfe Hessen

Zukunft wahrscheinlich sind. Auch die Potenzial-Analyse ist      und Effizienzsteigerung im Mitteleinsatz dar. Dies war und ist
ein Instrument aus dem privaten Unternehmensbereich, mit         eine strategische Option, den Wandel einzuleiten. Es hätte
dem Schwächen eines am Markt operierenden Unterneh-              andere strategische Optionen gegeben. Zum Beispiel eine
mens aufgedeckt und damit abgestellt werden sollen. Dies         Verdoppelung der Bundesmittel mit gleichzeitiger Effektivi-
soll im Sportsystem dann offenbar auf die Fachverbände           tätssteigerung, selbst wenn man die volkswirtschaftliche
übertragen werden. Doch streng genommen müsste das               Gesamtrechnung außer Acht lässt. Was sind denn schon 167
nationale (deutsche) Sportssystem mit anderen nationalen         Millionen Euro für den Spitzensport in Deutschland (weniger
Systemen am Olympia-Markt verglichen werden. Welche              als 0,1 % des Bundeshaushalts), als eines der reichsten Länder
Schwächen hat das deutsche System im Vergleich zu Spit-          der Welt – worauf wir mit Recht stolz sein können. Diese
zennationen?                                                     Option ist nicht ernsthaft erwogen worden.

Von dem generellen Punkt der Irreführung einer Analyse von       Die Zusammenfassung in Schlagworten: Ökonomisierung,
breit auszuschöpfenden Potenzialen abgesehen, können wir         Zentralisierung, Medaillenkonzentration, Standardisierung
auf die Umsetzung und Anwendung der Potenzialanalyse             versus flächenmäßige Erfassung der Potenziale, Flexibilisierung,
durch den DOSB mehr als gespannt sein. Angesichts der            mehr Individualität: Medaillenzählerei statt breiter Förderung
großen Fülle von Indikatoren („Attribute und Unterattribute“)    für Olympiahoffnungen ist angesagt. Die Debatte geht weiter!

PODIUM                                                                                                                        7
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Wir brauchen keinen kalten
Krieg um Medaillen!

Plädoyer für ein anderes Verständnis von
Spitzensport             Von Thomas Alkemeyer

        as vor einiger Zeit mit großer Mehrheit vom Deut-     an: Mit einem weitgehend gleichbleibenden Finanzvolumen

D       schen Olympischen Sportbund (DOSB) beschlossene,
        vornehmlich in Hinterzimmern ausgeklügelte und
unterdessen ohne nennenswerte Kritik aus den eigenen
                                                              sollen signifikant mehr Medaillen erwirtschaftet werden.

                                                              Die Grundpfeiler des alten Fördersystems – Bundesleistungs-
Reihen durchgewunkene Konzept zur Neustrukturierung des       zentren, Stützpunkte, Sportfördergruppen bei der Bundes-
Leistungssports und der Spitzensportförderung strebt eine     wehr, hauptamtliche Bundestrainer, leistungssportdienliche
Neu-Justierung des bislang bestehenden Fördersystems im       Forschungsförderung etc. – gehen letztlich auf die Zeiten des
Zeichen von Effizienz, Verschlankung und Wirtschaftlichkeit   Kalten Krieges zurück. Der Ost-West-Konflikt wurde seinerzeit

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nicht nur kriegerisch ausgetragen, sondern auch auf den          chendem praxisrelevanten Wissen nach menschlichen Res-
weltweit gut sichtbaren Bühnen des Spitzensports. Mit            sourcen, die sich als lukratives „Humankapital“ eignen: Talen-
Medaillen sollten Reputationsgewinne für die feindlich sich      te sollen möglichst schon in der Grundschule („Bewegung-
gegenüberstehenden wirtschaftlichen und politischen Lager        schecks“) gezielt ausgesiebt und durch das Versprechen für
eingefahren werden. Tatsächlich eignet sich der Sport fantas-    den Leistungssport rekrutiert werden, für eine bessere Verein-
tisch für diese Zwecke. Seine Wettkampfstruktur, seine Aus-      barkeit von Sport und Schule Sorge zu tragen. Übergeordne-
richtung auf Sieg und Niederlage und sein sinnlich-körperli-     tes Ziel ist die planwirtschaftliche Fabrikation einer nationa-
cher Aufführungscharakter prädestinieren ihn für eine stell-     len Sportelite, welche die „Wirtschaftskraft“ (Lothar de Mai-
vertretende Konfliktübernahme. In seinen mitreißendsten          zière) der Bundesrepublik auch auf den Bühnen des interna-
Momenten entfaltet er affektive Wucht, die eine ganz und         tionalen Spitzensports zu beglaubigen in der Lage ist. Die
gar uneinheitliche Menschenmenge vorübergehend zu einer          nach der Wiedervereinigung bei einer medaillenversessenen
lebendigen Gemeinschaft zusammenführt.                           Allianz aus Politik und Sport aufkeimende Hoffnung, diese
                                                                 Bühnen auf Jahre hinaus zu dominieren, blieb bekanntlich
Aus diesem Grund sind internationale Sportwettkämpfe seit        unerfüllt. Sie soll nun endlich verwirklicht werden.
dem Ende des 19. Jahrhunderts ein für die Politik überaus
verführerisches Mittel des „nation-building“. Sie bieten sich    Welche Folgen lässt die Umsetzung dieses Reformprojekt
nach innen als kultureller Kitt an – und nach außen als ein      erwarten? Erstens werden sich die Verteilungskämpfe zwi-
Medium der Selbstdarstellung. Im Kalten Krieg dienten inter-     schen den Sportarten verschärfen. Die Verbände werden
nationale sportliche Erfolge den Staaten des Ostblocks zudem     ehrgeizige „Erfolgspotenziale“ definieren müssen, um in ein
als ein Ersatz für fehlenden wirtschaftlichen Erfolg. Den        förderungswürdiges Cluster eingestuft zu werden. Mit der
Westen ließ das nicht kalt: Als sich bei den Olympischen         Spaltung in Sieger und Verlierer und der ungleichen Vertei-
Spielen von 1960 in Rom im Medaillenspiegel eine Vormacht-       lung von Ressourcen droht schließlich der sogenannte Mat-
stellung des Ostblocks abzeichnete und 1968 in Mexiko die        thäus-Effekt, der die Chance der „schwachen“ Disziplinen
erstmals separat angetretene Nationalmannschaft der DDR          beschneidet, später noch zu den „starken“ aufzuschließen.
mehr Goldmedaillen gewann als die bundesdeutsche Mann-
schaft, richtete auch die Bundesrepublik eine neue Förder-       Zweitens: Die Umsetzung der Reform wird die von Politik,
struktur ein, um Chancengleichheit mit jenen Staaten herzu-      Wirtschaft, Massenmedien und Publikum ohnehin bereits an
stellen, in denen der Leistungssport staatlich gesteuert und     Trainer und Athleten gerichteten Erfolgserwartungen weiter
gefördert wurde. Immerhin standen die Olympische Spiele          verschärfen. Das geplante Fördersystem adressiert die Athle-
von 1972 in München unmittelbar bevor und man befürchte-         ten als einen Rohstoff, der gewonnen und in den investiert
te, auch im eigenen Land als ein unterlegenes Gesellschafs-      wird, um in ihm angelegte Leistungspotenziale bestmöglich
system vorgeführt zu werden. Zwischen Sport und Politik          zu entfalten und das Produkt dieser Entfaltung der Repräsen-
etablierte sich ein Geflecht wechselseitigen Nutzens: Der        tation der Nation zur Verfügung zu stellen. Aus Sicht der
Staat investierte in den Sport als Mittel nationaler Repräsen-   Athletinnen und Athleten gilt es umgekehrt, durch Medaillen
tation; und der organisierte Sport nutzte die Politik, um an     nachzuweisen, dass sich die Investition auch gelohnt hat. Der
knappe Ressourcen heranzukommen, wie der Sportsoziologe          Athlet wird also mit in die Verantwortung genommen für
Karl-Heinrich Bette feststellte.                                 mögliche Mittelkürzungen bei andauernder Erfolglosigkeit.
                                                                 Der psychische Druck auf ihn wird dadurch gewiss nicht
Das etablierte System einer retrospektiv ausgerichteten          geringer. Überdies sieht er sich mit der Anforderung konfron-
Grundförderung soll nun durch eine „potenzialorientierte         tiert, die Medaille „fair“ zu erringen – und dies auch gegen
Fördersystematik“ effektiver und effizienter gemacht werden.     Konkurrenten etwa aus Russland oder China. Denn nur, wenn
Eine aus organisiertem Sport, Politik und Wissenschaft           sich das System durch öffentlichkeitswirksame Strafen für
zusammengesetzte Expertenkommission soll in aufwendigen          überführte Doper als sauber präsentiert, lässt sich eine steu-
Verfahren nach bislang eher vagen Kriterien die Erfolgspoten-    erfinanzierte Sportförderung rechtfertigen. Aus dieser Kollisi-
ziale der verschiedenen Sportarten erheben; als potenziell       on von Sauberkeitsgebot und Erfolgszwang resultiert eine
exzellent eingestufte Sportarten sollen gestärkt, die anderen    leistungssporttypische Erscheinungsform doppelter Moral, so
im Gegenzug geschwächt werden. Solche Ausrichtung finan-         wiederum Karl-Heinrich Bette. Die Akteure werden einer
zieller Förderung an Exzellenzpostulaten wird seit Jahren        Zerreißprobe ausgesetzt. Sofern eine der vornehmsten Aufga-
auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen erprobt, zum        ben des modernen Staats darin besteht, seine Bürger zu
Beispiel in der Wissenschaft. Statt Ressourcen nach dem          schützen, sollte er seine Athleten vor solcher Zerreißprobe
Gießkannenprinzip zu verteilen, wird zukunftsorientiert in       eher bewahren statt daran mitzuwirken, den Erfolgsdruck
jene Kräfte investiert, denen man zutraut, mittelfristig für     noch zu erhöhen.
konstante Zuwachsraten zu sorgen. Diese ganz und gar
betriebswirtschaftliche Logik verlangt zusätzlich zu brauchba-   Drittens: Auf eine nicht leistungssportorientierte breiten-
ren Infrastrukturen, professionellem Personal und entspre-       sportliche Basis dürfte die einseitige Fokussierung auf

                                                                                                                               9
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Medaillen durchaus demotivierend wirken. Der Spalt zwischen      Ausschließlich aus dem Leistungssport heraus lässt sich die
Spitzen- und Breitensport wird noch größer. Und auch dann,       Reform allerdings nur schwer kritisieren. Denn die Umsetzung
wenn man dem von Politik und Sportverbänden beharrlich           des Elitepostulats entspricht durchaus seiner eigenen norma-
vorgetragenen Glaubenssatz folgt, der Breitensport benötige      tiven Struktur: In keinem anderen gesellschaftlichen Bereich
öffentlich sichtbare Vorbilder, wäre statt der Konzentration     werden Wettbewerb und Siegenwollen derart zum Selbst-
auf wenige Exzellenzsportarten eine breite Streuung geboten.     zweck erhoben wie hier. Insofern hat DOSB-Präsident Alfons
Denn ebenso wenig wie allein Sieger als Vorbild taugen,          Hörmann durchaus Recht mit seinem das Reformvorhaben
sondern mindestens ebenso jene, die in der Niederlage Hal-       rechtfertigenden Statement, Sport bedeute nun einmal
tung bewahren, ist zu erwarten, dass massenhaft Eltern ihre      Wettbewerb. Und richtig ist auch, dass der Leistungssport mit
Kinder in Sportschützen-Vereinen oder zum Kanu-Slalom            dem Streben nach einem auf Leistung sich gründenden Erfolg
anmelden, nur weil in diesen Sportarten beharrlich Medaillen     ein zentrales Leitprinzip der modernen, bürgerlichen Gesell-
für Deutschland errungen werden.                                 schaft repräsentiert. Allerdings tendiert er dazu, das Überbie-
                                                                 tungsprinzip zu verabsolutieren, während es in den meisten
Viertens: Indem die Reform darauf abzielt, auf den internatio-   anderen gesellschaftlichen Bereichen – ausgenommen viel-
nalen Bühnen des Spitzensports am besten nur noch deutsche       leicht in der Finanzwirtschaft – stets auch durch weitere
Sieger auftreten zu lassen, spielt sie – ob sie es möchte oder   ethische oder pädagogische Werte wie z.B. die Unversehrtheit
nicht – einer Bewegung in die Hände, die einer als bedrohlich    der Akteure oder Rücksichtnahme auf Leistungsschwächere
empfundenen Globalisierung mit der Rückbesinnung auf das         abgemildert wird. Eine Kritik der angestrebten Reform und
Nahe, die Heimat und die Nation begegnet; diese Bewegung         ein alternatives Modell der Sportförderung müssen ihre
möchte die Sehnsucht nach Anerkennung durch Nationalstolz        Maßstäbe und Kriterien deshalb auch aus nicht rein leis-
stillen. Im Zeitalter eines längst wieder wütenden Nationalis-   tungssportlichen Werteordnungen gewinnen.
mus, von Abschottung, Rechtspopulismus, Trump und AfD,
könnte gerade der Sport mit seiner Popularität etwas entge-      Möchte man nun nicht gleich den radikalen Standpunkt
gensetzen – durch eine neue, „nachnationale“ Symbolpolitik,      vertreten, einem demokratischen Staat wie der Bundesrepu-
die auf Hymnen, Fahnen und Medaillenspiegel bewusst ver-         blik stünde es gut an, ganz aus der Spitzensportförderung
zichtet, um demgegenüber eine moderne, offene Weltgesell-        auszusteigen (am besten in einer konzertierten Aktion mit
schaft heterogener Individuen zu feiern.                         anderen europäischen Staaten), um seine Athleten zu schüt-

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zen und nicht mit Steuergeldern ein wenigstens in Teilen          5. Das Setzen auf die Eigenverantwortlichkeit des erwachse-
korruptes und dopingverseuchtes System am Laufen zu                  nen Athleten in Bezug auf seine Lebensplanung anstelle
halten, dann stellt sich die Frage, wie eine alternative Förde-      einer Fürsorge-Pädagogik, welche die Athleten unweiger-
rung aussehen könnte. Zu berücksichtigen wären in dieser             lich in die Schuld des Staats geraten lässt.
weniger radikalen Variante zumindest die folgenden Grund-
sätze:                                                            6. Das Eintreten von Politik und Sportverbänden für einen
                                                                     Verzicht auf nationale Repräsentationssymbolik zu Guns-
1. Eine weitgehende Zurückhaltung von Staat und Sportver-            ten eines transnationalen Weltsports.
   bänden statt gezielter Talentselektion und planwirtschaft-
   lich organisierter Kaderproduktion.                            Eine Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte etliche Vorteile:

2. Eine ungeschminkte Aufklärung – auch und gerade der            • Statt sich an einem in Medaillen messbaren Erfolg des
   Eltern – über die biografischen Risiken und gesundheitli-        Fördersystems zu orientieren, erwiese sich die Förderung
   chen Gefahren eines die Athletenkörper strukturell als           verantwortungsbewusst gegenüber der Persönlichkeit,
   Leistungsressource beobachtenden Spitzensports für aus           Integrität und Gesundheit der Athleten.
   dem Breitensport „nachwachsende“ Talente; gegebenen-
   falls Beratung und Hilfe zum Ausstieg statt optimaler          • Der auf Athleten und Trainern lastende Erfolgszwang
   Karriereplanung.                                                 würde ebenso abgemildert wie der Impuls, unter Umstän-
                                                                    den zu unerlaubten Substanzen zu greifen; die Kluft
3. Förderung eines die Vielfalt des Breitensports repräsentie-      zwischen Breiten- und Spitzensport bliebe überschaubar.
   renden Sportarten-Spektrums statt Konzentration auf
   wenige „Exzellenzsportarten“.                                  • Anstelle von Ländern würden Individuen in sportlicher
                                                                    Konkurrenz zusammengeführt, so dass sich Nationalgefühl
4. Die Koppelung der Vergabe von Fördermitteln nicht an             und Nationalstolz andere Arenen suchen müssten.
   Erfolgspotenziale und Podiumsplätze, sondern an Leis-
   tungsnormen, die grundsätzlich ohne die Einnahme massiv        Kurzum: Eine solche Reform verwiese statt nach hinten in die
   widernatürlicher Substanzen erbracht werden können.            Zeiten des Kalten Krieges nach vorne in die Zukunft eines die
                                                                                                      nationalen Grenzen auflö-
                                                                                                      senden und am menschli-
                                                                                                      chen Maß sich orientie-
                                                                                                      renden Leistungssports.

                                                                                                      Nicht ganz abwegig, dass
                                                                                                      ein Großteil der Steuer-
                                                                                                      zahler mindestens ebenso
                                                                                                      viel Begeisterung für die
                                                                                                      Vielfalt menschlicher
                                                                                                      Leistungsfähigkeit und
                                                                                                      körperlicher Virtuosität
                                                                                                      entwickelt wie für den
                                                                                                      Medaillenspiegel. Denn
                                                                                                      der Sport verdankt seine
                                                                                                      – auch finanzielle -
                                                                                                      Anziehungskraft keines-
                                                                                                      wegs nur dem messbaren
                                                                                                      Erfolg, sondern ebenso
                                                                                                      sehr seiner Besonderheit,
                                                                                                      unter den Bedingungen
                                                                                                      des Wettbewerbs das
                                                                                                      Unvermögen vielfältig
                                                                                                      geschickter Körper zu
                                                                                                      zelebrieren, den eigenen
                                                                                                      Leib und die Umstände
                                                                                                      vollständig zu beherr-
                                                                                                      schen.

                                                                                                                           11
Die Leistungssportreform in
Chaos zur Methode wird
           ie Chaos-Theorie besagt im Wesentlichen: Es gibt Syste-       „endgültige Startschuss“, um jetzt das Papier konkret umzuset-

D          me, die, anders als wir vermuten, nicht vorausberechenbar
           sind. Und die durch kleinste Veränderungen oder Einflüsse
aus den Fugen und ins Chaos geraten. Besonders groß wird das
                                                                         zen. Schließlich soll die Reform ab dem 1. Januar 2019 den
                                                                         deutschen Sport langfristig auf edelmetallglänzenden Erfolgs-
                                                                         kurs bringen. Von einem ambitionierten Zeitplan sprechen da
Chaos, wenn die Beteiligten in verschiedene Richtungen mit               Fachleute, die angesichts der noch ungeklärten Probleme davon
Lösungsansätzen agieren, die von Eigeninteressen gesteuert sind.         ausgehen, „dass der Zeitkorridor kaum einzuhalten ist, will man
Womit wir bei der Leistungssportreform des Deutschen Olympi-             die Punkte seriös und nachhaltig abarbeiten“. Begründung: Man
schen Sportbundes (DOSB) wären. Die DOSB-Mitgliederversamm-              ist nun in einem vorolympischen Zyklus, und es könne nicht
lung in Magdeburg, wo dem umstrittenen Leistungssportkonzept             mittendrin einfach alles Mögliche umgekrempelt werden. Frü-
von DOSB und Bundesinnenministerium (BMI) 98 Prozent der                 hestens, so sagen sie, würde man nach den Spielen in Tokio mit
Verbände (fünf Enthaltungen, eine Gegenstimme) zustimmten, liegt         der wirklichen Umsetzung beginnen können. Das wäre dann
nun schon über drei Monate zurück. Wie also ist nun der Stand der        2020/2021. Viele haben noch Gesprächsbedarf. Etwa die Opposi-
Reform-Dinge? Die Lage-Analysen aus den Mitgliedsorganisationen          tionsparteien und der Sportausschuss im Deutschen Bundestag.
könnten nicht unterschiedlicher sein. Von vorauseilendem Aktionis-       Die Grünen wollen im Plenum über die Reform diskutieren. Auch
mus, konstruktiven Ergebnissen, Verärgerung und Stillstand ist die       die Linken sehen das so, und die Koalitions-Vertreterinnen und -
Rede. Das Fazit aber fast aller ist: „Es läuft ziemlich chaotisch.“ Da   Vertreter im Sportausschuss sind ebenso dabei. Der Unmut über
fällt einem der Satz des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters       die Art und Weise, wie BMI und DOSB das ganze Reformvorha-
Manfred Rommel ein, der feststellte: „ Die Summe der Einzelinteres-      ben durchgezogen haben, hält noch immer an. Nur abnicken?
sen ergibt nicht das Gemeinwohl, sondern Chaos.“                         Ganz sicher nicht. Schließlich seien die Parlamentarier ja auch
                                                                         diejenigen, die die Mittel genehmigen und dafür geradestehen
Wuseln ins Blaue                                                         müssten.
Warum? „Wir treffen hier Entscheidungen, ohne zu wissen, ob
sie Bestand haben und Sinn machen“, sagt ein Sportdirektor.              Kampf um Lufthoheit
„Wir wuseln vor uns hin, ohne zu wissen, ob wir jetzt die richti-        Währenddessen scheint das Machtgerangel zwischen BMI und
gen Weichen stellen. Es ist wie der berühmte Schuss ins Blaue“,          DOSB um die Lufthoheit über den deutschen Spitzensport
sagt ein anderer Verbandsvertreter. Stillstand - vor allem in den        weiterzugehen. Immerhin hat man sich jetzt auf einen Vorsit-
Ländern Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen,            zenden des Potenzial-Analyse-Systems (PotAS) geeinigt. Es wird
wo neben der Bundestagswahl in den nächsten Monaten noch                 der Sportpsychologe Bernd Strauß, Professor an der Universität
Landtagswahlen anstehen. Wahlen hin oder her: Das Bundeska-              Münster, sein. Der 58-jährige, der auch Vorsitzender des Wissen-
binett nahm nun die Leistungssportreform, die Bundesinnenmi-             schaftlichen Beirats des Bundesinstituts für Sportwissenschaft
nister Thomas de Maizière seinen Kollegen vorstellte, zur Kennt-         (BISP) ist, war der Wunschkandidat des BMI. Sein Name fiel
nis. Eine Reform, die im Werden ist, und sicher nicht so umge-           schon im November am Rande der Anhörung im Sportausschuss.
setzt werden wird, wie sie auf dem Kabinettstisch lag. Aber: Der         Im April soll Strauß nun mit seiner Kommission loslegen, die es
Minister hat nun Rückendeckung, falls etwas gründlich schief             noch zu besetzen gilt (der Bundesinnenminister beruft die
laufen sollte. Etwa wenn die Finanzierung des Reformvorhabens            Vertreterinnen und Vertreter). 700.000 Euro pro Jahr wird das
alle zu verantwortenden Rahmen sprengen sollte. Denn wie                 Gremium inklusive Geschäftsstelle den Steuerzahler kosten. In
teuer das neue Sport-Gesamtkunstwerk den Steuerzahler kom-               der Zwischenzeit finden unzählige Abstimmungsprozesse statt.
men wird, weiß bisher niemand wirklich. Und die von den Ver-             Bis Juni sollen die Verbandsgespräche abgeschlossen sein, die
bänden 2015 errechneten 53 Millionen Euro sind „eine Größe in            derzeit schon im Gange sind – eine Herausforderung auch für
einem unbekannten schwarzen Loch“, sagen Ökonomen und                    den DOSB-Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig, den
Leute, die sich in Sport- und Verbandsstrukturen auskennen, zu           Sisyphus des deutschen Sports. Er ist nicht zu beneiden. Denn in
dieser Finanz-Prognose.                                                  diesen Gesprächen wird die langsame und mühevolle Vorwärts-
                                                                         bewegung der Beteiligten nicht selten schnell wieder zur Rück-
Durchwinken - der Startschuss                                            wärtsbewegung, weil die Erwartungen und Umsetzungsmöglich-
Für DOSB-Präsident Alfons Hörmann ist das Durchwinken der                keiten der Verbände oft nicht kompatibel sind mit den Vorstel-
Reform durch das Kabinett laut Sportinformationsdienst (sid) der         lungen des DOSB (und des BMI).

12
Deutschland oder Wo das
                                                                Von Bianka Schreiber-Rietig

Neu justieren                                                       von Landes- oder Kommunalvertretern zu verklickern, warum
Kritiker sehen sich bestätigt. Alte Probleme sind die neuen. Und    gerade ihr Leistungszentrum geschlossen werden soll.
weitere sind hinzukommen. „An vielen Stellen muss in dem
Reformpapier heftig nachgearbeitet und neu justiert werden.         Marode Schanze - Training in Austria
Nach wie vor gehen die Vorstellungen von BMI und DOSB immer         Eine kleine Delegation des Sportausschusses des Deutschen
noch weit auseinander“, sagen alle, die das sportfachliche opera-   Bundestages reiste in den ersten Februartagen durch die bayeri-
tive Geschäft umsetzen müssen. Und natürlich haben auch die         schen Lande. Die Parlamentarier wollten sich die Trainingsstätten
Verbände in vielen Fällen noch ganz andere Ideen als BMI oder       des Olympiastützpunktes Bayern in Schönau am Königsee,
DOSB. Und die Länder wollen auch mitmischen. Allein das             Ruhpolding und Inzell anschauen. Auf den ersten Blick: Alles
Reduzieren von Olympia- und Bundesstützpunkten wird eine            paletti unter dem weiß-blauen Himmel. Auf den zweiten Blick
Mammutaufgabe. Für den Moment, wo es ans Eingemachte,               dann der Katzenjammer. In einer gemeinsamen Erklärung der
sprich Schließung oder Zurückstufung von Zentren geht, ist          Bürgermeister der betroffenen Orte, des Bob- und Schlittenver-
Krach schon mal programmiert. Länderpolitiker, die in den           bandes und des Olympiastützpunktes Bayern wird darauf hinge-
letzten Monaten harmonisch Zustimmung zur Leistungssportre-         wiesen, dass die Gemeinden „an den Grenzen ihrer Belastbarkeit“
form bekundeten, werden ebenso wie Kommunalpolitiker in dem         angekommen sind. Dass hier Trainingsstätten geschlossen wer-
Moment zu Widerstandskämpfern, wenn ihnen Sportzentren              den, ist zwar unwahrscheinlich, aber: „Die Defizite gehen ein-
weggenommen werden sollen, die mit Steuermitteln jahrelang          deutig zu Lasten der Gemeinden“, sagt Klaus Pohlen, Leiter des
teuer bezahlt wurden. Wer Geld gibt, möchte verständlicherwei-      Olympiastützpunkts. Steigende Unterhalts- und Sanierungskos-
se auch mitbestimmen. Und da mutet es schon wie ein Streich         ten ohne mehr Mittel – auf Dauer könne man sich solche kos-
aus Schilda an, wenn etwa Bundesleistungszentren, die mit           tenintensiven Trainingsanlagen nicht mehr leisten. Und auch
Millionen öffentlicher Mittel in den letzten Jahren gebaut oder     nicht erhalten. Es ist schizophren, dass drei 90-Meter-Schanzen,
renoviert wurden, nun auf der Streichliste des DOSB stehen, weil    die in Berchtesgaden, Reit im Winkl und Ruhpolding in der
es sportfachlich plötzlich keinen Sinn mehr macht. „An vielen       Landschaft stehen, wegen Baufälligkeit nicht benutzt werden
Stellen ist da mit viel Geld was hingestellt worden, ohne Hirn      können. Die Springer nicht nur der Eliteschule Berchtesgaden
und Verstand“, schimpft ein leidtragender Nachlasserbe. Nicht       etwa müssen deshalb nach Österreich zum Training gekarrt
nur aus finanziellen, sondern auch aus Rechtfertigungs- und         werden. Das Bayern-Beispiel ist kein Einzelfall: Kaum oder
Imagegründen ist dem Bürger und der Bürgerin dann schwer            ungenutzte Stützpunkt-Hallen, -bäder oder -Trainingsanlagen
                                                                                findet man einige in Deutschland. Hier haben sich
                                                                                Verbandsfürsten im Zusammenspiel mit der Politik
                                                                                gerne ein Spitzensport-Denkmal gesetzt, das heute
                                                                                ein Sanierungs- oder Abrissfall ist.

                                                                               Stier mahnt
                                                                               Harald Stier, stellvertretender Vorsitzender des Sport-
                                                                               ausschusses, forderte nach dem Besuch: „Es darf
                                                                               nicht sein, dass jeder versucht, die Kosten beim
                                                                               jeweils anderen abzuladen.“ Es säßen zu viele Partner
                                                                               im Boot. Man müsse eine bessere Vertragsgestaltung
                                                                               zwischen den Beteiligten erreichen. Und mit Blick auf
                                                                               die Reform mahnt der Unionsabgeordnete, es sei
                                                                               richtig, dass im Rahmen der Autonomie des Sports
                                                                               die Sportverbände entschieden, wem das größte
                                                                               Potenzial zugetraut wird und wo das Geld hingeht.
                                                                               Doch: „Es kann aber auch nicht sein, dass wir riesige
                                                                               Investitionen seitens des Bundes in eine Sportanlage
                                                                               getätigt haben und diese am Ende nicht mehr betrie-

                                                                                                                                13
ben werden kann, weil nach Ansicht der Verbände des Potenzial       tung ist, dass sicher viele Athleten aufhören werden, auch im
der Sportart nicht mehr vorhanden ist.“ Auch aus diesem Grund       Nachwuchsbereich, weil sie sich mit zusätzlichen Problemen
ist die Reform aus Sicht der Parlamentarier „noch lange nicht       belasten müssten.“ Sportverantwortliche aus Köln oder Frankfurt
gegessen“. Auch deshalb nicht, weil schon wieder die Transparenz    stimmen ihm zu. Kritiker beklagen, dass entscheidende Punkte,
in Frage steht: „Es werden offensichtlich Bundesstützpunkte         die man in den Reformversuchen der letzten Jahrzehnte ver-
geschlossen, aber dann unter einem anderen Titel weitergeführt      nachlässigt habe, auch diesmal nicht wirklich im Fokus stünden:
wie vorher. Es entstehen Landesstützpunkte, weil man sonst auf      Etwa die Trainer und Athleten.
die Förderung der Länder verzichten müsste. Und man hätte
neue Finanzierungs- und Stellenprobleme: Trainerinnen und           Verpuffte Trainer-Offensiven
Trainer können nicht weiter beschäftigt und vor allem nicht         Apropos: Die Trainerproblematik begleitet den deutschen Spit-
mehr bezahlt werden, wenn diese Mittel wegbrechen. Da werden        zensport seit Jahrzehnten. Zahlreiche Offensiven wurden gestar-
gerade Mogelpackungen verkauft statt ordentliche Rahmenbe-          tet, die aber immer wieder verpufften. Qualifizierung und Ausbil-
dingungen und Strukturen geschaffen“, berichten Insider. Ande-      dung wurden ebenso vernachlässigt wie die Frage um das liebe
rerseits wird beklagt, dass man nun die Olympiastützpunkte          Geld: Eine verlässliche Gehaltsstruktur ist seit langem überfällig,
einem Nivellierungsprozess unterziehe. Alle sollen gleich behan-    ebenso wie die damit verbundene frühzeitige finanzielle Pla-
delt werden. Im Ansatz richtig, bringt aber gut funktionierende     nungssicherheit für die Verbände. Das arbeitsrechtlich fragwür-
Olympiastützpunkte nun eventuell finanziell in Nöte, weil das       dige Von-Vertrag-zu-Vertrag-Hangeln, das Bangen, ob und wie
Budget kleiner wird. Das hat zur Folge, das beispielsweise Ser-     es weiter geht, ist nicht nur für die Betroffenen eine Zumutung.
viceleistungen im therapeutischen Bereich für die Sportler          Der nicht selten 60 Wochenstunden schwere Job ist bei schlech-
gestrichen werden müssen. Wer die Aufgaben übernimmt?               ter Bezahlung weder familienfreundlich noch gesundheitsför-
Achselzucken.                                                       dernd. Dass heute gute Trainer ganz schnell dem deutschen
                                                                    Sport den Rücken kehren, wenn sie ein finanziell besseres Ange-
Transparenzportal                                                   bot bekommen, ist mehr als verständlich. Warum DOSB und BMI
Wer bezahlt was? Wer bekommt Geld wofür? Bisher war der             und auch ein Gros der Verbände nicht hinkriegen, was in Lan-
Fluss der öffentlichen Mittel im Sport nicht immer wirklich         dessportverbänden wie Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt
nachzuvollziehen, was der Bundesrechnungshof stets beklagte         oder Berlin möglich ist, verstehe wer will: Dort wurden nämlich
und Transparenz einforderte. Das BMI versicherte immer wieder,      Tariftabellen erarbeitet - mit transparenten Kriterien. Nachfrage
bei der Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzen-      beim zuständigen Abteilungsleiter für Leistungssport in Berlin,
sportförderung genau darauf ein besonderes Augenmerk zu             Frank Schlizio: „Wir haben versucht, mit den vorhandenen
legen. Und auch die Parlamentarier sind beim Geld für das           Mitteln ein gerechtes Tarifsystem mit transparenten Kriterien zu
Reformvorhaben besonders nickelig. In ihrem Bundestagsantrag        entwickeln. Natürlich sind wir da immer noch in Gehaltsberei-
fordern die Grünen „ein Transparenzportal im Bezug auf die          chen, wo andere erst gar nicht anfangen würden zu arbeiten“,
Förderung durch die öffentliche Hand“. Die Chaostheorie bestä-      erklärt er. Um gute und qualifizierte Trainer zu haben, müsse
tigt sich in der Stützpunktfrage. Und löst weitere Verwirrungen     man endlich mehr Mittel zur Verfügung stellen. Und auch die
und Verunsicherung bei Athletinnen und Athleten aus. Es ist         Ausbildung verbessern.
nicht generell geklärt, was passiert, wenn Sportler zu einem
anderen Stützpunkt wechseln müssen. Kann ich da studieren?          Nix ohne Athletinnen und Athleten
Wie sieht es mit einer Wohnung aus? Wer übernimmt die Kos-          Lösungen müssen auch für diejenigen gefunden werden, ohne
ten? Dass die Deutsche Sporthilfe nun auch nur noch die Besten      die nix geht: Die Athleten. Offiziell reden sie mit, wie der Sport,
der Besten mit Medaillenaussichten fördern will, verunsichert die   ihr Sport, in Deutschland aussehen soll. Aber ist das wirklich so?
Aktiven noch mehr. Und so manche, die schriftlich von der           Sie haben eine Athletenkommission, und deren Sprecher sitzt
Sporthilfe mitgeteilt bekamen, dass sie nun aus der Förderung       mit im DOSB-Präsidium. Mitreden? Mitentscheiden? Die Realität
gekickt werden, können sich den Spitzensport dann nicht mehr        sieht anders aus. Beispiel Magdeburg. Mühsam erkämpften die
leisten: Sie werden aufhören.                                       Sportler, dass der Satz „Einbindung der Athletinnen und Athleten
                                                                    unter anderem in die Strukturgespräche“ in die Beschlussvorlage
Fragen und Ängste                                                   zur Reform aufgenommen wurde. Denn: Auch die Athleten
Auch im Nachwuchsbereich, wo Schüler und Schülerinnen ihren         beklagten während des ganzen Reformprozesses, dass sie drau-
Lebensmittelpunkt an andere Standorte verlegen müssen, wenn         ßen vor der Tür gelassen wurden. Dabei sollten sie doch – so die
ihr Stützpunkt geschlossen wird, gibt es Verunsicherung, viele      Väter der Reform – im Mittelpunkt stehen. In Magdeburg war
Fragen und Ängste. Warum muss man nun dort trainieren? Geht         Christian Schreiber noch Sprecher der Athletenkommission. Nun
der eigene Trainer mit? Gibt es genügend Internatsplätze? Wie       ist er es nicht mehr. „Berufliche Belastung“ war der offizielle
sieht es mit den schulischen Anforderungen in dem anderen           Rücktrittsgrund. Doch eher ist wohl richtig, dass der ehemalige
Bundesland aus? Kann man einfach wechseln, ohne zu viel Zeit        Ruderer, der es allen recht machen wollte, zwischen den Loyali-
zu verlieren? Das sind Fragen, mit denen sich nicht nur Rein-       täts-Mühlen zerrieben wurde. Kürzlich gab DOSB-Präsident
fried Kugel, verantwortlich für die Nachwuchsförderung in           Alfons Hörmann auf Eurosport in der Sendung „Wintersport
Berlin, noch mehr als sonst beschäftigen muss. „Ich finde es        Extra“ ein Interview. Er sehe es „als wertvoll und wichtig an, dass
richtig, dass es eine Reform gibt, dass sich etwas ändern muss.     die Athleten mehr und mehr, wie es so schön heißt, auf die
Aber wir haben einfach zu viele Baustellen. Und meine Befürch-      Barrikaden gehen“. Er bezog das aber auf den Kampf gegen

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Doping. Da würden die Sportler den Druck auf die Funktionäre        Bewegung und keinen Widerspruch zum Leistungssport-Konzept.
erhöhen. Denn ansonsten sind mündige Athleten vor allem             Auf Anfrage bei der DOSB-Pressestelle antwortet er mit Sätzen
Störenfriede in den Kreisen der DOSB-Granden. Das wäre ja noch      aus dem Abschnitt I des Reformpapiers, wo es um die Bedeutung
schöner, wenn die jetzt auch noch in eigener Sache eine Idee        und die staatliche Repräsentation des Sports in Deutschland
und - noch schlimmer - ihre eigene Meinung hinausposaunen,          geht. Was aber die eigentlichen Fragen, wie das alles nun
die meistens nicht deckungsgleich mit der der Funktionäre ist.      zusammenpasst, nicht beantwortet. Überrascht von der „neuerli-
                                                                    chen Pirouette“ wurde man im BMI, das den DOSB kurz darauf
Nicht zu ändern                                                     öffentlich mahnte, nicht von der Fahne zu gehen. Das BMI
Schreiber-Nachfolger Max Hartung wagte es, die immer wieder         erwarte, „dass die im Reformkonzept formulierten Zielstellungen
mal entfachte Diskussion aufleben zu lassen, ob die Bundeswehr      nach wie vor vom DOSB mitgetragen werden“. Dazu gehöre
als Förderer von Spitzensportlern so erstrebenswert sei, und ob     unter anderem „die Konzentration der vorhandenen Mittel auf
man die 50 Millionen, die die Bundeswehr dem Sport zukommen         die perspektivreichsten Athleten und Disziplinen mit einem
lasse, nicht intelligenter und fairer einsetzen könne. Und wurde    Erfolgspotenzial: vier bis acht Jahre zum Podium“.
gemaßregelt. Übrigens hatte sich der meinungsfreudige Athlet
schon vor seiner Wahl zum Sprecher im ZDF-Sportstudio und           Absetzbewegungen
beim Leistungssportforum des Deutschlandfunks ähnlich geäu-         Beim DOSB-Präsidenten sind einige Absetzbewegungen festzu-
ßert. Da empörte sich niemand. So musste der Fechter die            stellen. So lässt Alfons Hörmann den Ball des Sports in Wiesba-
Erfahrung machen, dass mit dem Amt die öffentliche Aufmerk-         den sausen und stattet lieber der umgebauten Heini-Klopfer-
samkeit wächst und man schnell in eine offene Klinge rennt,         Schanze in seiner Heimat einen Besuch ab, wo er - wie die
wenn man ehrlich sagt, was man denkt. Die Folge: Die Sportler       „Allgäuer Zeitung“, der er ein Interview gibt, schildert - im
halten sich zurück, weil mal wieder der DOSB-Bannstrahl ausge-      Matsch stand. Seine sehr, sehr späte Absetzbewegung - erstmals
schickt wurde.                                                      in Magdeburg - vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC)
                                                                    und dessen weltweit kritisierter (Nicht-)Haltung bei der Doping-
Ziele aktualisieren                                                 politik im Zusammenhang mit den Russen, umschreibt Hörmann
„Verwunderte Verwirrung“ löste auch der fachlich und sachlich       in dem Gespräch wie gewöhnlich wortreich und nach dem
geschätzte Herr Schimmelpfennig mit einem sid-Interview aus.        Motto: Schuld sind immer die anderen. Man wolle, hatte Schim-
Der DOSB, stand da zu lesen, schafft für die Winterspiele in        melpfennig dem sid gesagt, „das Bewusstsein für den Leistungs-
Pyeongchang im nächsten Jahr die Medaillenprognose ab. Um           sport auch dadurch schärfen, dass wir komplexere Ziele setzen“.
diese „Zielvorgaben“ gab es vor jeden Spielen immer wieder          Zu beachten seien auch sportpolitische Entwicklungen wie der
Ärger, weil sich manche Verbände beim Einschätzen des zu            Anti-Doping-Kampf. Der Präsident distanziert sich in der hei-
erringenden Edelmetalls gerne überschätzten. Warum also nicht       matlichen Zeitung auch von der eigenen Reform, wenn er auf
ein stetes Ärgernis abschaffen? Schimmelpfennig, der auch Chef      die Frage: „Die Zahl der Medaillen ist für Sie also gar nicht
de Mission in Südkorea sein wird, erklärte, man werde mit den       entscheidend?“ antwortet: „Man darf nicht immer alles nur an
Verbänden „die Ziele aktualisieren; für uns ist der Ansatz, dass    Medaillen festmachen....“ Aha, jetzt ist plötzlich alles anders? Zur
man den Leistungssport nicht auf Medaillen reduzieren sollte“.      Chaos-Klärung, Richtungsweisung und Glaubwürdigkeit tragen
Erstaunen. Und er fuhr fort: „Selbstverständlich bleibt es dabei,   diese neuerlichen Einlassungen nicht bei. Ist dieser Salto rück-
dass wir Medaillen gewinnen wollen. Aber wir freuen uns auch        wärts ein Zugeständnis an die Verbände, weil man die gegebe-
über Weltklasseleistungen, die sich im unmittelbaren Umfeld der     nen (finanziellen) Versprechungen nicht einhalten kann und sie
Podestplätze bewegen, oder über Athleten, die ihre Bestleistung     bei Laune halten muss? Oder ein Autonomie-Hinweis und sport-
erreichen.“ Er räumte aber ein, dass man doch eine kleine Vorga-    licher „Ätsch-Gruß“ des DOSB im Machtspielchen mit dem BMI?
be machen werde, denn die Winterspiele von Sotschi mit 19 Mal
Edelmetall sollten Maßstab sein.                                                                „Ich habe Vertrauen, dass deutsche
Prognostiziert waren damals 27 bis 42                                                           Sportfunktionäre moralisch integer
Medaillen.                                                                                      handeln und die Einhaltung von Fair
                                                                                                Play und Unbestechlichkeit beachten.“
Kein Widerspruch                                                                                Nur 27 Prozent der Befragten stimm-
Ja, nun steht man etwas ratlos da. Die                                                          ten diesem Satz laut einer Studie der
Aussage, dass Medaillen nicht mehr                                                              Deutschen Sporthochschule zu, in der
das Maß aller Förderbedingungen sein                                                            es um die Akzeptanz des Spitzen-
sollen, wäre ja als erfreuliche Trend-                                                          sports in der Bevölkerung ging.
wende zu sehen. Gäbe es da nicht die                                                            Vertrauen geht anders. „Chaos ist
Spitzensportreform. Und das dort als                                                            gelegentlich nötig, um festgefahrene
unumstößlich gepredigte Medaillen-                                                              und erstarrte Strukturen aufzubre-
Bekenntnis von Bundesinnenminister                                                              chen. Dann ist neues Wachstum
und DOSB-Präsident. Und nun kon-                                                                möglich“, behauptet die Schriftstelle-
terkariert der DOSB seine eigene                                                                rin Eva Roth. Sie kennt aber offen-
Reform? Schimmelpfennig sieht in                                                                sichtlich den deutschen Sport und vor
den Aussagen keine Rückwärts-                                                                   allem den DOSB nicht.

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