2-2015 Deutsche Olympische Gesellschaft
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2-2015
PARK
ZEIT VORBEIKOMMEN – VERWEILEN – ZUSCHAUEN – ZUHÖREN –
MITMACHEN – WIEDERKOMMEN – OLYMPIAPARK.DE
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Freundliche Grüße Inhalt
aus der Redaktion OF Mosaik 4
OF-Podium: Özcan Mutlu 6
it erstaunlicher Penetranz beklagt Innenminister
M Thomas des Maiziére seit einigen Monaten das deut-
sche Medaillendefizit der jüngeren olympischen Vergangen-
Fair Play und Humanisierung - Wegweiser in die Zukunft
des Spitzensports
Prof. Dr. Hans Lenk
8
heit. Und ein Bruder im Geiste ist ihm dabei DOSB- Präsi- Nun aus eigener Kraft 10
dent Alfons Hörmann, der seine Lieblingsvokabel „Sport- Thomas Bach hat seine Präsidentschaft im IOC gefestigt
deutschland“ inzwischen fast schon inflationär benutzt. Es Der Olympia-Kanal wird zum großen Prüfstein
Günter Deister
wird ein Erfolgskurs beschworen, der nachdenklich stimmen
muss. Und zwar deshalb, weil die Verwerfungen in der Olympia als „füßige Beziehung“ 14
Wie Hamburg um die Spiele 2024 wirbt und besonders
internationalen Sportwelt vielfach so problematisch anmu- Paris zum Gegner hat
ten, dass vordere Plätze im Medaillenspiegel eigentlich keine Günter Deister
Option sein dürften. Doch für „Sportdeutschland“ soll die OF-Interview mit Maria Luiza Ribeiro Viotti 20
Devise trotzdem „Siegertreppchen“ heißen. Und so kommt Jochen Frank
einmal mehr die Spitzensportförderung auf den Prüfstand, Sportförderung - 22
um vorgeblich Effizienz sicherzustellen und künftigen Nur mit Blick auf die Spitze ist sie ein Armutszeugnis
Medaillenflauten frühzeitig entgegenzuwirken. Bianka Schreiber-Rietig
Das Anti-Doping-Gesetz für Deutschland - 28
Dieser Thematik in ihrer ganzen Tragweite haben wir, liebe eine dringende Notwendigkeit
Leserinnen und Leser, in mehreren Beiträgen Raum gegeben. Prof. Dr. Helmut Digel
So hält beispielsweise der Philosoph, Olympiasieger und OF-Kommentare 30
Ethik–Preisträger Hans Lenk die Zukunft des Leistungs– und Michael Gernandt, Günter Deister, Dr. Andreas Müller,
Harald Pieper
Hochleistungssports allein unter den entscheidenden Krite-
Das IAT: „Ein Institut von Weltklasse für die Weltklasse“ 34
rien von Fair Play und Humanisierung noch für vertretbar. Dr. Andreas Müller
Eingedenk der ganzen spitzensportlichen Problematik und
Bewegung und Breitensport - die Medizin des 40
ihrer aktuellen Entwicklungstendenzen sicher ein notwendi- 21. Jahrhunderts
ger Appell an den gesunden Menschenverstand aller Sport- Herbert Somplatzki
interessierten. Daran muss sich zweifellos die deutsche Schwierige Suche nach dem Ort der Erinnerung 44
Sportförderung, aber auch die Olympische Bewegung mit Bayerischer Widerspruchsgeist führt zum Streit um
ihrer Agenda 2020 künftig messen lassen. die Gedenkstätte für die Attentatsopfer der Olympischen
Spiele 1972
Eine IOC–Zwischenbilanz und vor allem ein Zwischenzeugnis Michael Gernandt
für den Präsidenten Thomas Bach nach turbulenten Mona- Was macht eigentlich? ... Heide Rosendahl 48
ten der Neupositionierung gibt es in dieser Ausgabe. Und Steffen Haffner
dazu natürlich ein Fakten– und Stimmungsbild des Olym- Ein Ball, eine Mütze, ein Lied - Zum 100. Geburtstag von 50
piabewerbers Hamburg, die starke Konkurrenz für die Spiele Weltmeistertrainer Helmut Schön
Jochen Frank
2024 dabei nicht außer Acht gelassen. Apropos Olympia
Karl Friedrich Friesen - Verfechter der Vereine 52
aktuell: Die Botschafterin Brasiliens in Deutschland wirft Ein Blick auf die historischen Wurzeln der deutschen
einen Blick voller Zuversicht auf Rio 2016. Unser inhaltliches Turn- und Sportbewegung
Programm wäre unvollständig, hätten wir nicht auch noch Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke
die bewährte Bandbreite vom Schul- bis zum Breiten- und OF-Galerie: Geschnürt - Geknotet - Geklebt 54
Gesundheitssport, von der Wissenschaft über biographische Handgemachte Fußbälle aus aller Welt
Sequenzen und Würdigungen bis zu historischen Betrach- Dr. Andreas Höfer/Kai Hilger
tungen im Angebot. Die diesmal etwas ungewöhnliche Prise Deutsche Olympische Gesellschaft KOMPAKT 56
Kunst nicht zu vergessen. Ein insgesamt hoffentlich anre- Impressum 66
gendes Lesevergnügen.
Ihr Harald Pieper
Olympische Solidarität Leitfaden für
Im Heft 1-2015 unserer Zeitschrift gebene Publikation für Europa und die EU-Förderung
„Olympisches Feuer“ haben wir eine Welt, signalisiert: „Wir drücken Hamburg
längere Durststrecke im Erscheinungs- die Daumen“. Da schließt sich die Deut- Die Europäische Kommission hat
rhythmus für beendet erklärt. Ich freue sche Olympische Gesellschaft nicht nur einen einführenden „Leitfaden für
mich, dass wir dies mit Freude und EU-Förderung“ veröffentlicht.
jetzt mit der Ausgabe Enthusiasmus an, Das 36-seitige Dokument enthält
2-2015 unter Beweis sondern sie will es grundsätzliche Erläuterungen zu den
stellen können. Und sich zur Aufgabe Bewerbungsverfahren der aktuellen
mehr noch: die Num- machen, der Hambur- Förderprogramme in der Periode
mern drei und vier ger Bewerbung über 2014-2020.
dieses Jahres kündi- das Netzwerk der
gen sich bereits durch DOG-Zweigstellen Der Leitfaden bietet einen allgemei-
Anzeigen-Partner- auch inhaltliche nen Überblick über die EU-Förderung,
schaften und weitere Verankerung an der bezieht sich aber nicht speziell auf
Kooperationen des sportlichen Basis zu die Sportförderung. Er erläutert die
Vertrauens an. Apro- sichern. Denn der Hauptfördertypen, so zum Beispiel
pos Anzeigen: Olympi- Olympische Gedanke Zuschüsse und öffentliche Aufträge,
sche Solidarität der und die Olympische und stellt die jeweiligen Regeln vor.
besonders sympathi- Bewegung sind zu
schen Art erfährt der wichtig, als dass das
deutsche Olympia- Werben um die
Bewerber Hamburg vom unterlegenen Austragung der Spiele nur unter vorder-
Mitbewerber aus der Hauptstadt. gründigen politischen und finanzstrate-
gischen Gesichtspunkten bewertet
„Olympische Glückwünsche aus Berlin werden darf. Glück auf für Hamburg!
nach Hamburg“ heißt es unter dem
Signet des Olympiastadions. Und „The Peter von Löbbecke, Präsident der
German Times“, die in Berlin herausge- Deutschen Olympischen Gesellschaft
Zudem wird die unterschiedliche
Umsetzung der Programme und die
jeweiligen Verwaltungsbehörden
18 Deutsche in IOC-Kommissionen dargestellt. Des Weiteren werden
Hauptprinzipien wie Transparenz,
Haftung und Kontrolle erklärt.
IOC-Präsident Agenda 2020
Thomas Bach hat und auch ein Der Leitfaden unterscheidet zwischen
die Besetzung Zeichen für sechs möglichen Bewerberkategorien:
der 30 zum Teil deren zügige kleine und mittlere Unternehmen
neuen IOC- Umsetzung in (KMU), Nichtregierungsorganisatio-
Kommissionen Zusammenar- nen (NRO), junge Menschen, For-
bekanntgegeben. beit mit der scher, Landwirte, öffentliche Einrich-
Zu den berufenen Exekutive, heißt tungen. Für jede Gruppe werden
Expertinnen und es in der Mit- Förderquellen zu verschiedenen
Experten zählen teilung des IOC. Themenbereichen dargelegt und
auch insgesamt Es gibt zwei nützliche Links angegeben.
18 Deutsche. völlig neue
Kommissionen, einen höheren Frauen- Hinsichtlich der EU-Förderung für
Die Veränderung in der Zusammenstel- anteil und eine noch größere Beteili- den Sport hat das EOC EU-Büro eine
lung und auch in den Funktionen für gung von Vertretern internationaler spezialisierte Broschüre mit dem Titel
die kommenden zwölf Monate seien Organisationen und anderen Experten „Sportförderung in der Europäischen
ein direktes Ergebnis der Reform- auch außerhalb des Sports. Union (2014-2020)“
4
Engagement für Sport als Partner im Gesundheitswesen
Flüchtlinge
Sport als Partner im Gesundheitswesen Schneeloch verwies dabei auf die
Um das vielfältige Engagement für Der Deutsche Bundestag hat das soge- Erwähnung gesundheitsspezifischer
Flüchtlinge ins Licht der Öffentlich- nannte Präventionsgesetz der Bundes- Bewegungsangebote im Gesetzestext
keit zu bringen und eine gelebte regierung verabschiedet. Der DOSB und auf spezielle Maßnahmen wie
Willkommenskultur in Deutschland begrüßt das Präventionsgesetz und hält SPORT PRO GESUNDHEIT und das
zu stärken, vergibt das Bundesminis- es für einen ersten wichtigen Schritt auf REZEPT FÜR BEWEGUNG, die im
terium für Familie, Senioren, Frauen dem Weg zum notwendigen Ausbau Begründungsteil des Gesetzes gewür-
und Jugend den mit 10.000 Euro von Gesundheitsförderung und Präven- digt werden.
dotierten Sonderpreis 2015 Engage- tion. „Der deutsche Sport wird durch
ment für Flüchtlinge. Ob beispiels- das nun verabschiedete Gesetz als Mit der verabschiedeten Form des
weise in Erstaufnahmeeinrichtungen professioneller, verlässlicher und aner- Gesetzes wird sichergestellt, dass die
Deutsch gelehrt wird, ein Fußballver- kannter Partner für das Gesundheitssys- Krankenkassen ihren Versicherten auch
ein kostenfreie Teilnahme am Trai- tem bestätigt. Mit seinen 98 Mitglieds- zukünftig Boni für die Teilnahme an
ning anbietet, oder Menschen sich organisationen, seinen über 90.000 praxisbewährten gesundheitsförderli-
als Begleitung bei Behördengängen Vereinen und seinen 8,6 Mio. ehrenamt- chen Angeboten wie etwa das Ablegen
anbieten – die beeindruckende lich und freiwillig Engagierten wird der des Deutschen Sportabzeichens oder
Solidarität mit den Flüchtlingen ist DOSB auch weiterhin einen wertvollen qualitätsgesicherte Bewegungsangebo-
groß. Wer den Sonderpreis erhält, Beitrag zur Verbesserung der Volksge- te in vereinseigenen Fitnessstudios
darüber entscheidet die Jury im sundheit leisten und ihn auf der Basis leisten können, selbst wenn es sich
September. Die Preisverleihung findet dieses Gesetztes noch steigern“, sagte dabei nicht um zertifizierungsfähige
im Dezember in Berlin statt. DOSB-Vizepräsident Walter Schneeloch. Leistungen nach § 20 Absatz 5.
Sportler für Fair Play-Preis 2015 gesucht
Bis zum 31. Dezember 2015 können Unversehrtheit. Fair verhält sich derjeni- dem Verband Deutscher Sportjournalis-
Vorschläge für den Fair-Play-Preis 2015 ge Sportler, der vom anderen her denkt" ten vergeben wird. Damit sollen Sportle-
eingereicht werden. Gesucht werden (Zitat aus der Deklaration des Interna- rinnen und Sportler ermutigt werden,
Sportlerinnen und Sportler, die durch tionalen Fair Play-Komitees). sich weiter für ein faires Miteinander im
vorbildliches Verhalten aufgefallen sind. Sport einzusetzen.
Wer in diesem Sinne handelt, erntet
Ab sofort können Vorschläge für den nicht immer Zustimmung. Fans und Über die Preisträger entscheidet eine
Fair-Play-Preis 2015 eingereicht werden. Mitbeteiligte finden es oftmals gar nicht Jury. Vorschläge können noch bis zum
Gesucht werden die fairsten Aktionen nett, wenn ein Vorteil oder gar der Sieg 31.12.2015 unter www.fairplaypreis.de
im Sport des laufenden Jahres. Egal ob durch Fair Play verloren geht. Dabei ist eingereicht werden.
Profi- oder Amateursport, ob Einzel- es doch gerade ein unfair errungener
sportler, Mannschaften, Vereine oder Vorteil oder Erfolg, der geächtet werden
Initiativen. Nicht immer sind es im Sport müsste. Umso wichtiger sind Sportlerin-
nur Gold und der erste Platz, die glän- nen und Sportler, die sich fair verhalten,
zen. Oftmals ist es auch die faire Aktion, die Fair Play in ihren Aktionen umsetzen.
die faire Geste und das faire Verhalten, Sie sind die eigentlichen Vorbilder, sie
die den Glanz verdient haben. Wobei es stellen die wichtigen gesellschaftlichen
nicht immer einfach ist, Fair Play zu Werte des Sports heraus, sie vermitteln
leben. Denn Fair Play bedeutet nicht die Faszination, die von einem (fairen)
nur die Einhaltung von Regeln. „Fair Sport ausgeht. Dies zu würdigen, dafür
Play beschreibt vielmehr eine Haltung gibt es auch in diesem Jahr den Fair-
des Sportlers: der Respekt vor dem Play-Preis des Deutschen Sports, der
sportlichen Gegner und die Wahrung vom Deutschen Olympischen Sportbund,
seiner physischen und psychischen dem Bundesministerium des Inneren und
OF-MOSAIK 5
ls Pierre de Coubertin Ende des 19. Jahrhunderts für eine Die Sportverbände ziehen sich dabei immer auf die Formel zurück,
A Neuauflage der Olympischen Spiele warb, standen für ihn
gesellschaftliche und pädagogische Ziele im Vordergrund.
Ihm ging es darum, über den Sport der Gesellschaft als Ganzes
dass der Sport überparteilich und politisch neutral sein müsse,
auch würden dem Sport die Mittel fehlen, etwas an der Situation
zu ändern. Dieser Haltung liegt ein kaum erträglicher Zynismus
neue Ideale und bessere Ziele zu geben und darüber hinaus einen zugrunde: Ist es doch der Sport, der neben den Ausrichterstaaten
Beitrag für die Völkerverständigung zu leisten. Daran sollten sich am meisten von den Sportgroßveranstaltungen profitiert. Die
die heutigen Sportfunktionäre erinnern und ihre Handlungen Lösung liegt auf der Hand. Er muss aber die gesellschaftlichen und
messen lassen. Dabei geht es natürlich nicht nur darum, die Ideen ökonomischen Voraussetzungen sowie die Umweltbedingungen vor
Coubertins einfach wiederaufleben zu lassen. Selbstverständlich Ort berücksichtigen und darf die Verantwortung nicht alleine auf
muss die Olympische Idee auch der heutigen Zeit und neuen die Ausrichterstaaten abwälzen. Um dies auszuschließen, sollte der
Idealen angepasst werden. internationale Sport unter Beteiligung von Nichtregierungs-,
Menschenrechts-
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) beschreibt die Olympi- organisationen
sche Idee als Geisteshaltung, die auf der Ausgewogenheit von Körper und Naturschutz-
und Geist beruht. Über die Verbindung von Sport, Kultur und Erzie- und Umweltver-
hung sollen dabei die Freude am körperlichen Einsatz, der erzieheri- bänden Kriterien
sche Wert des guten Beispiels und die Achtung fundamental und für die Vergabe
universell gültiger ethischer Prinzipien gestärkt werden. Somit sei es und Durchfüh-
Ziel der Olympischen Bewegung, zum Aufbau einer friedlichen und rung von Sport-
besseren Welt beizutragen und junge Menschen im Geiste von großveranstaltun-
Freundschaft, Solidarität und Fair Play ohne jegliche Diskriminierung gen ausarbeiten
zu erziehen. Daran ist nichts auszusetzen, im Gegenteil! und diese auch
transparent
Existiert diese Idee jedoch überhaupt noch in der Realität? Der anlegen, was
internationale Sport steht in seiner Gesamtheit als FIFA, als IOC immerhin jetzt
aber auch in den jeweiligen Sportverbänden in einer tiefen Glaub- ansatzweise im
würdigkeitskrise. Sogenannte Reformprozesse wie die Agenda 2020 IOC geschieht.
des IOC werden daran nur wenig ändern, weil sich hinter den Transparenz in
sogenannten Reformen keine echten Reformen der Strukturen, Sachen Vergabe-
sondern weitreichende Planungen der Sportfunktionäre verstecken, kriterien und
die vollständige Kontrolle über die Kommerzialisierung des Sports hinsichtlich der
wie auch die volle Kontrolle über die Berichterstattung zu erlangen. Finanzierung tut
Hier geht es nicht darum, die Entwicklungen im Sport und seinem Not.
Umfeld zu reflektieren. Hier geht es darum, die heute schon vor-
handenen Strukturen im organisierten Sport zu optimieren, diese Denn bei aller
unangreifbar zu machen und Kritiker zu besänftigen. Begeisterung spürt doch mittlerweile jeder Fan, dass bei den
Sportgroßveranstaltungen nicht mehr die Sportler und ihre Sport-
Die Ersten European Games in Baku (Aserbaidschan) vom 12. bis art dominieren, sondern dass die Vermarktung im Mittelpunkt
zum 28. Juni 2015 waren der letzte Anlauf des organisierten steht. Entsprechend werden Sportlerinnen und Sportler immer
Sports, die Begeisterung für die Olympische Bewegung in Europa stärker zu einem Produkt fortentwickelt, bei denen die Vermark-
neu zu entfachen und dabei natürlich neue Einnahmen und Ver- tung den Menschen ganz selbstverständlich in den Hintergrund
marktungsmöglichkeiten zu erschließen. Dieser Versuch ist misslun- stellt. So werden bei Fußballern regelmäßig die Ergebnisse von
gen, von Begeisterung war europaweit, wenn überhaupt, nur in medizinischen Untersuchungen einer breiten Öffentlichkeit mitge-
den Social-Media-Kanälen der nationalen Sportverbände zu lesen. teilt. Persönlichkeitsrechte spielen hier keine Rolle mehr.
Und wenige Tage vor der Eröffnung in Baku haben sich die Nieder-
lande entschieden, sich aus der Bewerbung für die Zweiten Europe- Diese Tendenzen lassen sich auch im nationalen Sport beobachten.
an Games 2019 zurückzuziehen. Damit scheint nach den Olympi- Aktuelles Beispiel ist die Deutsche Fußball-Liga (DFL). Hier stehen
schen Winterspielen auch den European Games das Schicksal zu die Zeichen auf Gewinnmaximierung nach dem Vorbild der engli-
blühen, sich als Veranstaltung vor allem für nicht-demokratische schen Liga. Ohne Rücksicht auf Verluste werden die Spielzeiten der
Staaten als Ausrichter zu etablieren. Bundesliga auf weitere Zeiten in der Woche ausgebreitet. Das wird
auf Kosten der Fankultur und anderer Sportarten geschehen. Im
Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Mit den Kürzeln schlechtesten Fall werden Fans an Arbeitstagen nicht mehr zu den
FIFA, UEFA und IOC werden weniger Organisationen verbunden, die Spielen ihrer Mannschaft gehen können, wie niedrigere Fußballli-
den Sport organisieren und voran bringen wollen. Im Gegenteil gen sich nun noch mehr die mediale Aufmerksamkeit mit der
stehen diese Kürzel für Kommerz und Intransparenz, für Geldver- Bundesliga teilen müssen. Hier bedeutet mehr Wettbewerb nicht
schwendung und Größenwahn bis hin zu Korruption und Geldwä- ein Mehr an Qualität, sondern nur eine Festigung der medialen
sche. Folgerichtig spielen weder die Einhaltung von Menschenrech- Übermacht des Fußballs. Eine solche Diskussion vermisse ich auch
ten, die Beachtung der Pressefreiheit noch Fragen der Nachhaltig- im und mit dem DOSB. Auch wenn der DOSB sich mit vielen Fragen
keit oder des Umweltschutzes bei der Vergabe und der Durchfüh- des Breitensports auseinandersetzt, liegt der politische Fokus ganz
rung einer Veranstaltung eine besondere Rolle. klar im Spitzensport.
6
Nicht überraschend steht die deutsche Sportpolitik diesen Ent- strafbarkeit, eines Straftatbestands Selbstdoping oder der weitge-
wicklungen eher begrüßend gegenüber, so ist der Sportausschuss henden Ausweitung der Rechte der Nationalen Anti-Doping
des Deutschen Bundestages größtenteils von Sportfunktionären Agentur (NADA) einzugehen, lässt sich aber eines klar feststellen:
im Amt und einigen ehemaligen Spitzensportlern besetzt. Verbun- Während die Bundesregierung auf der einen Seite über die Ände-
den mit der generellen Nichtöffentlichkeit der Ausschussberatun- rungen in der Spitzensportförderung auch den Wettbewerb zwi-
gen findet im Zentrum der Demokratie kein kritischer Diskurs zu schen den deutschen Sportlern und den Sportarten deutlich
den Entwicklungen im organisierten Sport statt, obwohl eine verschärft und damit auch Anreize zu verbotener Leistungssteige-
solche Auseinandersetzung überfällig ist. Dazu zwei Beispiele aus rung setzt, verschärft sie auf der anderen Seite erheblich das
der jüngeren Vergangenheit. Die Spitzensportförderung des Strafrecht gegen die Sportlerinnen und Sportler. Gleichzeitig
Bundes steht vor einer Reform. Diese ist nun einige Jahre ange- werden hinter dem Doping stehende Strukturen weitgehend in
kündigt, es sieht aber nun so aus, als ob die Bundesregierung zur Ruhe gelassen, so muss sich kein Arzt fürchten, automatisch seine
Der Sport im Schatten von
Gewinnstreben und Betrug
Özcan Mutlu, Sprecher für Sportpolitik der Bundestagsfraktion
Bündnis 90/Die Grünen
Tat schreiten wolle. Konkret wurden noch keine Planungen vorge- Zulassung durch das Verabreichen von Dopingmitteln zu verlieren.
legt, jedoch ist die Richtung, in die es gehen soll, bekannt. Die Hier weiß die eine Hand der Bundesregierung nicht, was die
Bundesregierung will sich vom Grundsatz her aus der bisher andere macht.
breiten Förderung vieler Sportarten verabschieden und die Förde-
rung auf die erfolgreicheren Sportarten konzentrieren. Damit wird Nach zwei Jahren als Mitglied des Sportausschusses im Deutschen
die Spitzensportförderung auf das Erringen von Goldmedaillen bei Bundestag steht für mich fest, dass der Sport eher im Schatten von
Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen reduziert. Die Gewinnstreben steht und unter der Intransparenz und Vetternwirt-
Folgen sind deutlich. Mit einer solchen Änderung wird der schon schaft der Sportfunktionäre bis hin zur Korruption leidet. Das
heute vorhandene, bisher auf mediale Aufmerksamkeit ausgerich- müssen wir ändern. Und wenn wir dies politisch nicht ändern
tete Wettbewerb zwischen einzelnen Sportarten noch weiter können, dann sollten wir darüber sprechen, den organisierten
verschärft. Gleichzeitig wird es für neue Sportarten noch schwie- Spitzensport sich selbst und dem freien Markt zu überlassen und
riger, eine Förderung in der Spitze zu erhalten, was auch in einen uns auf Bundesebene gemeinsam mit den Ländern dem Sport in
Rückgang von Sportarten münden könnte. Auch die Folgen auf der Breite zuzuwenden. Dann sollte es auf Bundesebene in erster
den Breitensport spielen bisher keine Rolle in der Diskussion. Eines Linie darum gehen, wie der Sport noch mehr ein wichtiger Teil der
ist deutlich: Es geht hier nicht um die Sportlerinnen und Sportler Aktivitäten jedes Menschen wird. Dazu gehören zum Beispiel
als Menschen. Dies zeigt sich auch deutlich in den eher unwirksa- moderne Sportanlagen und Trainingsmöglichkeiten genauso wie
men Anstrengungen, Leistungssportlern ein echtes Auskommen schöne Schwimmhallen und Freibäder, aber auch die Förderung
und eine gute Ausbildung zu bieten. gesellschaftlicher Themen wie Integration und Inklusion. Der Sport
hat schließlich eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung
Völlig losgelöst von dieser Debatte wird im Deutschen Bundestag weit über den Spitzensport hinaus.
nun nach Jahren der Ankündigung an einem Anti-Doping-Gesetz
gearbeitet. In diesem Gesetz wird gegenüber den Sportlern über Wenn es nach Pierre de Coubertin ginge, können sich der Spitzen-
alle verfassungsrechtlichen Bedenken hinweg der gesamte denkba- sport und damit auch die Förderung des Spitzensports nur aus ihrer
re Maßnahmenkatalog des Strafrechts ausgebreitet. Ohne hier im gesellschaftspolitischen Funktion legitimieren. Diese Funktion hat
Einzelnen auf die rechtlichen Probleme einer unbegrenzten Besitz- der heutige Spitzensport weitgehend verloren.
PODIUM 7
Fair Play und Humanisierung – Wegweiser
in die Zukunft des Spitzensports Von Hans Lenk
ie Erziehung zum Fairnessgedanken, zum fairen Ver- Nach wie vor lässt der oberflächliche hektomanische Aktio-
D halten ist nach wie vor unverzichtbar, förderungswür-
dig, ja, dringlich in einer Gesellschaft, die vielfach zu
einer rüden Erfolgs-, Sieger- und Ellenbogengesellschaft zu
nismus der Öffentlichkeitsdiskussionen den Sport (genauer:
dessen Management und Betreuung) in seinem Hochleis-
tungsbereich auf der Stelle treten, weil man nicht die struk-
verkommen droht. Nicht nur Erfolg und Leistung, sondern turellen Systemprobleme sieht, sondern glaubt, dass diese
auch Fairness muss sich wieder lohnen! Doch wie steht es um durch Einzelpersonalisierung (z. B. korrupte Funktionäre) oder
den Sport als Wegweiser? durch Sündenbockabstempelung (einzelne Dopingüberfüh-
rungen von Athleten oder gar Ärzten) zu lösen seien. Nach
Es ist öffentlich sowie im Umgang mit Athleten und Verant- wie vor überwiegen die halbherzigen, Imageschaden begren-
wortlichen immer wieder auf die Wichtigkeit, den Wert und zenden Erklärungen in Sitzungen, Symposien und öffentliche
die Wirksamkeit der Fairnessidee und der Regeleinhaltung Verlautbarungen. Dieses "Krisenmanagement in Ohnmachts-
hinzuweisen, darauf, dass der strukturelle Systemzwang zur ituationen", das sich immer wieder als bloße Imagepflege
Unfairness in erster Linie nur in kleinen spektakulären Teilbe- entlarvt, ist angesichts von Systemzwängen und Strukturpro-
reichen des Sports notorisch wurde, dass viele Bereiche des blemen - gerade bei verschärfter Kommerzialisierung und
Normal und Erholungs sowie des Breitensports noch wei- Konkurrenz um Sponsorengelder und Teletermine - zu sehen.
testgehend dem Ideal und der Regel des Fair Play verpflichtet Dabei sind die Probleme weder durch Einzelpersonalisierung
sind. Freilich ist den Anfängen in der systembedingten Ver- oder Sündenbockabstempelung noch durch bloß publizitäres
führung zur Unfairness schon im Jugendwettkampfsport Imagemanagement und medienplätscherndes Krisengerede
besonders im Fußball Beachtung zu schenken. Fairnesserzie- zu lösen – ebenso wenig wie durch Berufung von internatio-
hung ergibt sich nicht von selbst ebensowenig wie durch nalen Ethikkomitees aus Exprominenten ohne Sach- und
bloßes Predigen und Appellieren! Negativbeispiele wirken, Ethikkenntnisse. Strukturelle Probleme, die ins System einge-
wenn sie mit eigenen Erfolgsinteressen zusammengehen, baut sind und Systemzwänge (wie z. B. unfaire und verdeck-
leider oft ansteckender als positive Vorbilder. Aber "sportlich- te Vorteilserschleichungen oder die geradezu schizoid-träch-
faire" Vorbilder sind nach wie vor dringend nötig. Und sie tige Spannung zwischen edlem Gentleman-Spiel und bruta-
haben auch heute noch ihre Wirkung. lem Existenzkampf) erzeugen, sind so nicht zu lösen. Viel-
leicht sind sie überhaupt nur zu regeln, zu kontrollieren,
Von entscheidender Wichtigkeit scheint auch hier eine Herab- abzumildern, aber nicht endgültig zu lösen! Man braucht
milderung der Überbetonung des Sieges und der Wichtigkeit internationale, institutionelle systemrelevante oder gar sys-
des sportlichen Erfolgs. Ob dies durch Appelle an Medien und temabändernde Maßnahmen. Man muss endlich anfangen,
Öffentlichkeit zu erreichen ist, ist freilich eine andere Frage. sich ernsthaft den Systemproblemen und Strukturproblemen
Zumindest sollten alle Anstrengungen in dieser Richtung zu stellen – eben auch unter Nutzung der positiven Grund-
unternommen werden. Die Verbände und Sponsoren des einstellung der durchaus
Sports haben hier eine besondere Verantwortlichkeit, indem noch "natürlich" und
sie nicht einseitig forcierte Erfolgsabhängigkeiten bei Trainern "gesund" empfindenden
und Athleten erzeugen und verschärfen sondern einer Sportkonsumenten. Die
humanen Einschätzung nachordnen. Dopingproblematik zeigt es
zuweilen: das Big Business
Fairness und Fair Play sind zu wichtige ethische Orientie- des Spitzensports kann zu
rungswerte, als dass man sie mit marktschreierischen Alibi einem Sich-Überschlagen der
Anpreisungen im Ausverkaufsbetrieb der Ellenbogengesell- Welle führen. Hierin besteht
schaft verramschen dürfte. Im Gegenteil könnten die Ideen eine Hoffnung, dass endlich
und das Prinzip Fairness unter geeigneten Regelungs und auf Seiten der institutionel-
Kontrollbedingungen, bei gelassenerer Einstellung und insbe- len und medienbeherrschen-
sondere angesichts der eigenständigen, erlebnisorientierten den Verantwortlichen struk-
Aufbruchstimmung der jungen Generation, auch künftig turelle Argumente und
noch zu einem Leitwert und zu einer Leitnorm für andere Maßnahmen in Angriff
gesellschaftliche Bereiche werden. genommen werden.
8
Als Empfehlungen und Forderungen hier zehn Thesen zur scharfe Kritik in der Öffentlichkeit an Athleten sind keines-
leistungssportlichen Zukunft: wegs leistungsfördernd. Entsprechendes gilt auch für die
Trainer. Es gilt in der Tat, die Einsicht zu verbreiten, die aus
1. Mehr Leistungsgerechtigkeit im Leistungssport! Diese dem Satz Karl Adams, des einstigen berühmten Ratzeburger
Forderung und Empfehlung bezieht sich nicht nur auf die Ruderprofessors, spricht; "Nichtgewinnen ist kein Scheitern.
derzeit immer noch die Medien, die Öffentlichkeit und die
Verbände beherrschende Singulärsiegerorientierung, die 6. Mentoren, Betreuer sportlicher und örtlicher Provenienz
ausschließliche Konzentration auf den Sieger, der unter sollten sich vermehrt unter dem Leitbild vom "mündigen
Umständen durch eine nicht leistungsgerechte künstliche Athleten" um die menschliche Entwicklung der ihnen anver-
Unterscheidung erst ermittelt wird. Dies gilt besonders für die trauten Sportler kümmern.
z. T. fragwürdige Addition von Punktbewertungen, die gele-
gentlich geradezu widersinnig oder unlogisch noch künstlich 7. Die Modelle des "demokratischen Trainings", des kooperati-
differenziert werden. Generell sollte die unproportionale und ven Führungsstils, der Mitdiskussion und Mitbestimmung der
ungerechtfertigte absolute Bevorzugung des Siegers gegen- Athleten, wie sie Karl Adam konzipiert und mit seinen Rude-
über dem meist praktisch gleich guten Zweiten und/oder rern schon seit den fünfziger und sechziger Jahren praktiziert
Dritten, "heruntergefahren" werden: z. B. Berücksichtigung wurden, und besonders das Modell des "mündigen Athleten"
aller Wettkampfteilnehmer bei der Siegerehrung, Vermeidung müssen über die bisher entwickelten Idealansätze hinaus
von Goldmedaillenhysterie in Verbänden und Öffentlichkeit – weiter auf typische Sonderfälle ausgefächert und anwendbar
und vor allem in den nationalen Medien. ausgearbeitet werden. Diese nur schrittweise anzunähernden
Leitideen sollten idealerweise das Training bestimmen. Selbst
2. Im Gegenzug zur Übertechnologisierung von sportlichen jugendliche Leistungssportler sollten im Hinblick auf ihre
Disziplinen und Geräten sollte von Seiten der Verbände spätere Eigenständigkeit und Mündigkeit angeleitet werden.
vermehrt auf die Natürlichkeit und Chancengerechtigkeit der Generell muss die Förderung mehr als bisher durch soziale
sportlichen Leistungen und des Leistungsvergleichs geachtet und psychische, humane und intellektuelle Förderungsmaß-
werden. nahmen und -initiativen erweitert bzw. ergänzt werden.
3. Die Abhängigkeit von Fernsehgeldern, Nationalförderungen 8. Athleten sind junge Menschen, die ein Anrecht auf huma-
und kommerziellen Sponsorschaften sollte nicht überborden ne Behandlung sowohl durch ihre Bezugspartner im Sportli-
oder überhand nehmen, sondern in sinnvoller Beschränkung chen, im Menschlichen wie auch in der Öffentlichkeit und in
genutzt werden, d. h. athletenfreundlich (z. B. bei Terminge- den Medien haben. Nicht nur ihr Persönlichkeitsrecht auf
staltung, Rekordausschreibungen usw.). Grundsätzlich vermei- Privatheit sollte gewahrt sein, sondern auch ihre humane
den lassen wird sich diese Abhängigkeit natürlich nicht. Würde (die übrigens weder durch kumpaneihafte
Interviewmethoden der Telemoderatoren noch von oben
4. Die Erfolgsabhängigkeit bei Trainern und Betreuern sollte herab garantiert ist). Athletinnen und Athleten haben ein
nicht übertrieben werden, sondern eher in einer langfristigen Anrecht, geradezu ein Menschenrecht auf humane Behand-
sinnvollen Beurteilung und Entwicklungsperspektiven der lung und würdige öffentliche Beurteilung.
anvertrauten Athleten und Athletinnen gesehen werden,
wobei die schöpferische Arbeit an der Basis und mit Nach- 9. Angesichts der derzeit unübersehbaren Defizite im Höchst-
wuchsathleten im Vordergrund stehen sollte. leistungssport heute und künftig sind Initiativen und Pro-
gramme zur Humanisierung des Höchstleistungssports hoch
5. Durch Aufklärungsaktionen aktuell.
der Verbände, der bereitwilli-
gen und einsichtigen Sport- 10. Eine an einer solchen Humanisierung orientierte Sport-
journalisten sollte die Öffent- philosophie und Ethik der sportlichen Leistungen, zumal des
lichkeit immer mehr und Höchstleistungssports, zu entwerfen, ist nach wie vor dring-
immer wieder darauf hinge- lich, könnte letztlich auch der Organisation und dem Training
wiesen werden, dass keine des Leistungssports praktisch nützlich sein. Sportliche Leis-
spontanen Leistungsver- tungen sind zu prägend und selbstbewusstseinsfördernd, zu
pflichtungen der Athleten erzieherisch, zu wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung,
und der Trainer von der die Motivationssteigerung und die auch künftig unabweisba-
Öffentlichkeit eingeklagt oder re Vorbildwirkung der Leistungssportler, um sie allein den
durch überscharfe, über- Sportoffiziellen, den Vermarktern, den Medien und den
schnelle Kritik realisiert Moderatoren zu überlassen. Geben wir dem humanisierten
werden können. Strafandro- Leistungssport noch eine Chance, dann wird er auch eine
hungen, schnellfertige und menschenwürdige Zukunft haben.
9
Nun aus eigener Kraft
Thomas Bach hat seine Präsidentschaft im IOC gefestigt
Der Olympia-Kanal wird zum großen Prüfstein
Von Günter Deister
D
ieses aufregende, ereignisreiche erste Halbjahr inter- geschafft, der die von Russland eroberte Krim wohl nicht zum
nationale Sportpolitik könnte Thomas Bach gefallen olympischen Streitpunkt mit der Ukraine werden lässt. Und er
haben. Der Präsident des Internationalen Olympischen hat Peking und Almaty als die beiden verbliebenen, schlecht
Komitees (IOC) hat einen heftigen Machtkampf im Weltsport beleumundeten Bewerber für die Winterspiele 2022 zur
gewonnen, in dem der russische Präsident Wladimir Putin auf Einhaltung von Menschenrechten wie der Pressefreiheit
der Verliererseite stand. In seinem Angebot für die Olympi- verpflichtet, bezogen auf ein exterritoriales olympisches
schen Spiele 2024 sind mit Budapest, Hamburg, Paris, Rom Terrain. Festgehalten ist das in dem Bericht der IOC-Prüfkom-
und voraussichtlich Toronto und dem Boston-Ersatz Los mission, der in Kuala Lumpur die Grundlage bildete für die
Angeles Bewerber, die nach Barcelona 1992, Sydney 2000 nächste, schwerwiegende Entscheidung der Vollversammlung
und London 2012 wieder einmal ein großes olympisches Fest - letzlich für Peking.
versprechen und zudem Einschätzungen widerlegen, Olympi-
sche Spiele seien für Demokratien nicht mehr begehrenswert. Auf dem Feld der Ökonomie hat der Wirtschaftsanwalt aus
Zudem hat Bach auf diplomatischem Weg einen Deal Tauberbischofsheim einen spektakulären Europa-Vertrag für
10das Fernsehen mit dem US-Unternehmen Discovery Commu- dem Oligarchen Arkadi Rotenburg. Der steht wie sein Bruder
nications abgeschlossen, der die von ihm in nur eineinhalb auf den von der EU und den USA nach der Krim-Annektion
Jahren veranlassten Einnahmen auf insgesamt 14 Milliarden verhängten Sanktionslisten für Einreiseverbote. Bezeichnend,
Dollar erhöht. Das sichert das Fundament des IOC als Unter- dass Vizer ausgerechnet beim Kongress von SportAkkord 2013
nehmer, der seine Einkünfte zu 90 Prozent weiter reicht an in der Heimatstadt des russischen Präsidenten zum neuen
den olympischen Sport, für das kommende Jahrzehnt ab. Der Chef der Organisation gewählt worden war. Was Vizer bei
Vertrag ist nicht wegen der Höhe von 1,3 Milliarden Euro seiner Inthronisation ankündigte, musste den ein halbes Jahr
spektakulär, für die Eurosport nun das Senderecht an den vier später zum IOC-Präsidenten gewählten Bach alarmieren: Eine
Spielen 2018 bis 2024 bekommen hat. Im Vergleich bringt er Weltmeisterschaft der Weltmeisterschaften („Vereinte Welt-
dem IOC nur eine Erhöhung um nicht viel mehr als zehn meisterschaften“) in einem Land wollte er organisieren, dazu
Prozent. Spektakulär ist er als Auftakt zu Bachs großem Plan eine internationale Sport-Bank, Sport-Lotterie und Sport-
eines Olympia-Kanals, vor allem olympischen Sport und seine Versicherung gründen. Natürlich alles zum Wohle des Sports.
Inhalte unter eigener Regie ganzjährig global zu verbreiten
und dabei auch zu vermarkten. Als Ahmad al Sabah als Vorsitzender der Vereinigung der 205
Nationalen Olympischen Komitees (ANOC) mit seinen NOKs in
Selbst der unerhörte FIFA-Skandal, der die Anfälligkeit großer das ein oder andere Geschäft mit Vizer einzusteigen bereit
und größter Sportorganisationen mit ihren Milliarden-Umsät- war und dieser mit Euronews bereits einen Fernsehsender als
zen, hohen Gewinnmargen und undurchsichtigen Vertei- TV-Partner gewonnen hatte, bremste Bach den einflussrei-
lungskämpfen offen legt, hatte für das IOC noch sein Gutes. chen Kuweit-Scheich ein. Denn Kooperationen der NOKs mit
Im Vergleich zu Sepp Blatters Spielfeld der Korruptionen und SportAccord bei neuen Multisport-Events wie den geplanten
Manipulationen wirkt der olympische Weltenbund mit seinem Beach-Games und Kampfsport-Spielen hätten eine für das
gänzlich anderen System und seinen vergleichsweise demo- IOC gefährliche Koalition geschaffen, unter Gefährdung des
kratischen Entscheidungsfindungen fast transparent und olympischen Kerngeschäfts. Also wertete Bach den SportAc-
damit weniger anfällig. Durch Kooperationen mit den Verein- cord-Kongress ab, in dessen Gefolge sich stets auch die
ten Nationen und eine Vielzahl von Treffen Bachs mit Staats- Geschäftswelt des Sports getroffen hat. Auch keine Sitzung
oberhäuptern und Regierungschefs entstand zudem der der IOC-Exekutive mehr in dessen Rahmen und auch keine
Eindruck, dass das IOC unter dem Versprechen seiner Reform- Präsentationen mehr von Olympia-Kandidaten vor der Ver-
Agenda einen Zuwachs an Ansehen gewonnen und der Chef sammlung. Dass Vizer als selbsternanntem Welt-Sportführer
selbst sich unabhängiger gemacht hat von Kräften, die ihn auch eine Aufnahme in das IOC verwehrt wurde, muss dieser
beim Anstieg auf den olympischen Thron gestützt haben: Ein als besondere Diskriminierung empfunden haben.
Präsident nun aus eigener Kraft.
Als Ergebnis bleibt, dass Bach mit seinem IOC aus dieser
Unfreiwillig sehr geholfen hat ihm dabei ein Mann namens Kraftprobe als Sieger hervorgegangen ist und Putin Einfluss
Marius Vizer mit einer Wutrede am 20. April in Sotschi, als er auf den Weltsport verloren hat. Vizer musste seinen Rücktritt
zur Eröffnung des SportAccord-Kongresses Bach als Diktator einreichen, und Russland kündigte seine Unterstützung für
und Geldverschwender hinstellte und das IOC-System als SportAccord auf, indem es seine Gastgeberschaft für die
„überholt, falsch, unfair und überhaupt nicht transparent“ Jahreskongresse in Sotschi (2016) und St. Petersburg (2017)
bezeichnete. Diese überraschende Attacke in Anwesenheit der absagte und dazu die für 2019 in Sotschi geplanten Beach-
Ehrengäste Wladimir Putin und Bach löste ein Beben aus, das Games. Die sollen nun 2017 unter ANOC-Regie stattfinden,
einen überaus ambitionierten Möchtegern-Mitspieler des auf Bachs Drängen aber nur in nichtolympischen Disziplinen,
Weltsports unter sich begraben und seine Organisation margi- also auch ohne den attraktiven Beach-Volleyball.
nalisiert hat. Die absolute Mehrheit der 35 olympischen Ver-
bände unter den insgesamt 102 internationalen Sportorganisa- Dass Bach in der Auseinandersetzung mit Vizer und dessen
tionen protestierte durch Suspendierung ihrer Mitgliedschaften Hintermännern siegen konnte, hat auch mit seinem Vor-
oder trat ganz aus. Der isolierte Vizer musste sein Präsidenten- Vorgänger Juan Antonio Samaranch zu tun. Bis Anfang der
amt aufgeben. Der Plan, mit russischer Hilfe einen Dachver- 80er Jahre führte der machtbewusste Schweizer Thomas Keller
band für alle olympischen und nichtolympischen Verbände zu als Chef des Internationalen Ruder-Verbandes die Organisati-
schaffen als Global Player im Weltsport neben dem IOC, war on aller internationalen Sportverbände an und verlangte vom
gescheitert. IOC eine Teilung der Macht und der Rendite bei der Veranstal-
tung Olympischer Spiele. Der trickreiche Spanier löste die
Vizer, ein in Ungarn lebender rumänischer Geschäftsmann Verbände mit olympischen Sportarten heraus und spaltete sie
mit österreichischem Pass, hat seine Sportkarriere im Judo in eine Organisation für die Sommerspiele (ASOIF) und Winter-
gemacht. Als dessen Weltverbands-Präsident seit 2007 fand spiele (AIWF). Diese bis heute fortbestehende Architektur
er schnell die Nähe zu Putin, dem ehemaligen Judo-Stadt- erwies sich vor allem deshalb als so haltbar, weil das IOC sie
meister von St. Petersburg, und dessen engem Vertrauten, mit seinen finanziellen Segnungen untermauerte und damit
11fest an sich band. So dürfen die 28 an den bevorstehenden die Lieferung der Weltbilder von den Olympischen Spielen an
Spielen in Rio de Janeiro beteiligten Verbände mit einem die Rechteinhaber zuständig. Zum enormen Einsatz zählt die
großzügigen Gesamthonorar von 550 Millionen Dollar rech- Anstellung von „einigen hundert Mitarbeitern“ (Bach).
nen. Ohne diese Zuwendungen wären die meisten von ihnen
nicht überlebensfähig, was wiederum dazu führt, dass sie Scheitert Bachs überaus ambitionierter Plan, dann wäre seine
nach immer neuen Geschäftsfeldern suchen. Immer beliebter Präsidentschaft erschüttert. Durch ein Gelingen hätte sich
ist dabei die Versteigerung ihrer Meisterschaften an meistbie- das IOC eine Basis geschaffen, auf der auch Platz ist für
tende Bewerber zu Wucherpreisen. nichtolympischen Sport. Das würde auch seinem Selbstver-
ständnis entsprechen, Anwalt des gesamten Weltsports zu
Vor diesem Hintergrund muss Bachs Olympia-Kanal gesehen sein. Dazu steht in seiner Agenda 2020 unter Punkt 20, dem
werden, der möglicherweise bedeutendsten, aber gewiss IOC werde die „soziale Verantwortung und die Anerkennung
aufwändigsten und auch mit hohen Risiken behafteten ihrer Legitimität“ zugesprochen, der „Weltführer in der Förde-
Reform in seiner 40 Punkte umfassenden „Agenda 2020“. Der rung des Sports und seiner Kraft zu sein, soziale Veränderun-
gestürzte Vizer hatte sich an die Spitze von Skeptikern in den gen herbeizuführen“. Und das auch mit weiterführender
Verbänden gesetzt mit der Aussage, Bachs Projekt sei eine Konsequenz. „Wir erwarten von den Verbänden und den
„einzige Geldverschwendung“, die Mittel wären zur Unter- NOKs, dass sie eine Selbstevaluierung vorlegen, und dass wir
stützung der Athleten viel besser angelegt. Der Kanal soll zu uns dann bei Partnern, wenn diese Selbstkontrolle nicht
einer Plattform für den gesamten Weltsport werden, ausge- stattfindet oder nicht zur Zufriedenheit ausfällt, Stichproben
schlossen nur der Profi-Fußball mit seiner eigenen Macht und oder Nachprüfungen vorbehalten“, sagt Bach. Anlass für
Möglichkeit der konkurrenzlosen Gewinn-Maximierung. Kontrollen gibt es bei teilweise anstößigen, undurchsichtigen
Zunächst war der Kanal lediglich als weltweites Online- Geschäftsgebaren von hoch subventionierten Verbänden
Angebot gedacht. Mittlerweile ist das IOC in den einzelnen genug. Die Ethik-Kommisson des IOC hatte mit der Veröffent-
Kontinenten und Regionen auf der Suche nach Partnern, die lichung bescheidener Saläre für die ehrenamtlichen IOC-
das olympische Angebot auch über ihre Fernsehsender ver- Mitglieder sicher auch die Absicht, ein Beispiel zu geben.
breiten, „in einem Mix aus Live- und Near-Live-Übertragun- Dazu zählt ebenfalls die jährliche Aufwandsentschädigung
gen sowie Hintergrundberichte“, wie Bach kürzlich dem von 225 000 Dollar für den IOC-Präsidenten.
Magazin „Sponsors“ sagte. Das Archiv vergangener Olympi-
scher Spiele mit 40 000 Sendestunden bietet dabei schier Das Wirken nach innen versucht Thomas Bach abzusichern
unerschöpfliches Material. durch eine Sportpolitik, die Freiräume behauptet. Dafür hat er
die Begrifflichkeit „verantwortungsvolle Autonomie“ gesetzt.
Nicht geplant war zunächst, auch als Käufer im TV-Rechte- Zugleich will er die Rolle des Sports als Partner von Politik
Markt aufzutreten. Doch mittlerweile sagt Bach: „Sollte ein und Gesellschaft stärken. Ein Ausdruck dafür ist eine Partner-
Fachverband Interesse haben, seine Erstverwertung über den schaft mit den Vereinten Nationen und bisherigen Begegnun-
Olympic Channel abzubilden, dann sind wir dafür offen.“ Und gen mit 126 Staats- und Regierungschefs. Bach bemüht sich
das gilt nicht nur für den olympischen Sport. Ein erstes um Kooperationen, bietet Hilfestellungen an und versucht
Treffen mit den gegenwärtig elf TOP-Sponsoren des IOC hat Brücken zu bauen. Und das in einer unheilvollen Welt mit
gezeigt, dass die global aufgestellten Konzerne den Kanal als wachsendem Terror, im vergangenen Jahr gezählten 31 Krie-
erweiterte Möglichkeit ihrer Werbefeldzüge willkommen gen, mehr als 100 kriegerischen Auseinandersetzungen und
heißen. Ihr Einsatz und dazu Einnahmen aus dem TV-Rechte- 60 Millionen Flüchtlingen - alles Weltrekorde der schlimms-
verkauf und Geschäfte mit „Drittpartnern“ sollen den Sender ten Art. Wo es um Landnahme und die Veränderung von
finanzieren und spätestens nach sieben Jahren in die schwar- Grenzen geht, ist der Sport direkt betroffen. So hat sich das
zen Zahlen bringen. Die vorgesehene Investitionssumme Kosovo 2008 von Serbien unabhängig erklärt, wird aber
beträgt 600 Millionen Dollar. Je 89 Millionen Dollar müssen immer noch von 85 Ländern nicht anerkannt. In der UNO
die Verbände und NOKs einsetzen. Das geschieht durch eine verhindert vor allem die Vetomacht Russland, die zugleich
Minderung ihrer Anteile am Profit Olympischer Spiele. 215 auch Schutzmacht Serbiens ist, eine Aufnahme. Auf Bachs
Millionen will das IOC selbst aufbringen. Der Rest soll von Initiative hat das IOC im vergangenen Dezember das NOK des
Sponsoren und Rechte-Verkäufen gedeckt werden. Der Start Kosovo in seine Reihen als Vollmitglied aufgenommen, „nach
des digitalen Senders wird bereits für 2016 angestrebt. vielen Gesprächen vorher“, wie er berichtet - und im Unter-
schied zum Fußball-Weltverband FIFA und seiner europäi-
Um das große Projekt zu befördern, hat sich der IOC-Präsi- schen Schwester UEFA.
dent selbst zum Aufsichtsratschef des Unternehmens
gemacht und in die entscheidenden Gremien die Einfluss- Zu den Gesprächspartnern gehörte, und gehört immer noch,
reichsten im IOC berufen. Der Kanal ist in Madrid angesiedelt Putin, und seit seinem Besuch in der olympischen Zentrale in
und organisatorisch mit der dort arbeitenden IOC-Tochter Lausanne auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko.
OBS verschmolzen worden. OBS war bisher ausschließlich für Bach bestätigt nicht, dass es da um das hoch brisante Thema
12der Olympia-Teilnahme in Rio de Janeiro von Sportlern aus schen unterstrich, wonach politisch motivierte Boykotte im
der von Russland annektierten Krim ging. Sollen, müssen, Sport abzulehnen seien. Vorausgegangen war eine 300 000-
dürfen sie für Russland starten oder für die Ukraine? Immer- Dollar-Zahlung des IOC für ein Umzugsprogramm von Spit-
hin muss laut Olympischer Charta ein Nationalitätenwechsel zenathleten aus der umkämpften Ost-Ukraine in den Westen
mindestens drei Jahre vor den Spielen erfolgen. Bach sagt, er des Landes zur ungestörten Vorbereitung auf die Spiele in Rio
habe die NOKs beider Länder schon frühzeitig dazu gebracht, de Janeiro.
„Lösungen zu finden, die den Interessen der Athleten gerecht
werden“. Man darf davon ausgehen, dass sowohl Putin als Ein besonderer Ausdruck für Sportpolitik findet sich in dem
auch Poroschenko mit einer solchen Kompromisslösung durch Bachs Agenda veränderten Ausrichtervertrag für die
einverstanden sind. Dazu würde die kürzliche Aussage des Olympischen Spiele 2024. Er soll in seinen wesentlichen Teilen
russischen Präsidenten bei einem TV-Auftritt passen, manch- bereits bei den Winterspielen 2022 durch eine Verpflichtung
mal könne der Sport der Politik ein Beispiel geben, wie man zur Wirkung kommen, die sowohl Peking als auch Almaty
Lösungen findet. gegenüber der Bewertungskommission des IOC abgegeben
haben. Es geht, wie Bach sagt, „um die ausdrückliche Zusi-
Poroschenko brachte Bach bei seinem Besuch der olympi- cherung und Garantie zur umfassenden Einhaltung der
schen Zentrale in Lausanne sogar noch ein besonderes Olympischen Charta“, als da wie von ihm ausgeführt sind:
Geschenk mit, in dem er ausdrücklich die Haltung des Deut- „Freie Berichterstattung von den Spielen, freier Zugang zum
Internet, Nichtdiskriminierung wegen
sexueller Orientierung.“ Dazu bei den
Arbeitsbedingungen an den Wettkampf-
stätten die Garantie, „die nationalen
Standards und die internationalen
Verpflichtungen, die ein Gastgeberland
hier eingegangen ist, zu respektieren“.
Das ist als Verpflichtung eine ganze
Menge, wenn man bedenkt, wie Russ-
land vor den Winterspielen 2012 auf
der Großbaustelle Sotschi mit Arbeiter-
rechten umgegangen ist; das IOC hatte
immerhin noch Nachzahlungen in
Millionenhöhe erreicht. Und welche
internationalen Proteste die chinesische
Führung ausgelöst hat bei den Som-
merspielen 2008 mit der Einschränkung
der Internetnutzung. Bach weiß natür-
lich, dass das IOC die Gesetze eines
Landes bei Olympischen Spielen nicht
außer Kraft setzen kann. „Wir können
uns nicht als Weltregierung aufführen.
Wir haben die Souveränität souveräner
Staaten zu respektieren. Aber wir wollen
IOC-Zahlungen an die 28 internationalen Ver- mit den Olympischen Spielen eine
bände für Beteiligung an den Rio-Spielen Botschaft senden und zeigen, wie
anziehend eine solch tolerante, respekt-
40 Millionen Dollar: Leichtathletik volle Gesellschaft und Gemeinschaft
32 Millionen: Turnen, Schwimmen funktionieren kann.“ Insofern werden
25 Millionen: Basketball, Rad, Fußball, Tennis, Volleyball Olympische Spiele in totalitären Staaten
17,7 Millionen: Rudern, Bogenschießen, Badminton, Boxen, Judo, Schie- auch künftig nur ein Ausnahmezustand
ßen, Tischtennis, Gewichtheben auf exterritorialem Gebiet sein können.
15,3 Millionen: Pferdesport, Handball, Hockey, Kanu, Fechten, Segeln, Oder, wie Bach eingrenzend sagt: „Die
Taekwondo, Triathlon, Ringen Einhaltung der Charta betrifft die
13 Millionen: Moderner Fünfkampf, Golf, Rugby sieben, Teilnehmer der Olympischen Spiele
2,8 Millionen: Vereinigung der Verbände mit olympischen Sommersport- sowie alle direkt Olympia-bezogenen
arten (ASOIF) Aktivitäten.“
13Olympia als „füßige Beziehung“ Wie Hamburg um die Spiele 2024 wirbt und 14
besonders Paris zum Gegner hat Von Günter Deister
15A
ls Hamburg kürzlich in seiner Hafencity auf der Platt- „Feuer und Flamme“, so Hamburgs Slogan, ist bisher über-
form eines Geschäftshauses seine Bewerbungsgesell- haupt nicht die Hafenwirtschaft. Sie müsste die im Besitz der
schaft für die Olympischen Spiele 2024 vorstellte, Hansestadt befindliche Insel räumen, ohne bisher eine ver-
erschuf Olaf Scholz den Begriff der „füßigen Beziehung“. bindliche Zusage für Reserveflächen bekommen zu haben.
Gemeint waren die wenigen Meter, die die Elbinsel „Kleiner Dazu besteht eine ultimative Aufforderung bis spätestens
Grasbrook“ von der imposant nach oben gewachsenen Elb- zum 15. September. Und dann gibt es eine bisher kleine, aber
philharmonie und der gerade zum Weltkulturerbe erhobenen durchaus feine „NOlympia“-Bewegung mit wachsendem
Historischen Speicherstadt trennen. Diese füßige Beziehung Zuspruch. Der Hamburger Senat hat sie bisher auch deshalb
soll nach der Vorstellung des Ersten Bürgermeisters auch der in Grenzen halten können, weil er die Bewerbungsschritte auf
Markenkern von Hamburgs Kampagne für die Spiele werden. seiner Homepage öffentlich macht und in sogenannten
Tatsächlich hat es in der Neuzeit wohl noch nie eine Stadt Bürgerwerkstätten diskutieren lässt. Davon hat es unter
gegeben, die Olympia so zentral anbieten kann. Die Insel als beachtlicher Teilnahme bisher sechs gegeben. Alle Aktivitäten
geplantes olympisches Zentrum in einer Parklandschaft mit münden in das für den 29. November angesetzte Olympia-
Olympiastadion, Olympischem Dorf und zwei großen Hallen Referendum mit seinen hohen Hürden. Für seine Gültigkeit
markiert einen neuen Mittelpunkt der Hansestadt. In einem müssen mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Bevöl-
Radius von nur 10 Kilometern sollen 80 Prozent
der 300 Medaillenwettbewerbe entschieden wer-
den. Städtebaulich würde die vom Hafen-Betrieb
erst zur Olympia- und danach zur Wohn-Insel
umgewidmete Fläche von 130 Hektar das Schar-
nier sein für eine stark wachsende Stadt, deren
Norden und der bisher unterentwickelte Süden
Fakten zur Hamburger
durch die Elbe geteilt ist. Zumindest auf dem
Papier zeichnet sich der Masterplan durch große
Nachhaltigkeit aus. Kein Projekt soll ohne Nach- TERMINE: Die Bewerbungsfrist für die Spiele 2024 endet
nutzung sein. am 15. September. Bisher gelten Hamburg, Budapest, Rom
und Paris als Bewerber. Toronto und Baku erwägen, sich
Das ist gewiss keine schlechte Voraussetzung für ebenfalls anzumelden. Los Angeles ist der erste Nachrü-
das olympische Abenteuer, das mit der Abgabe der cker-Kandidat der USA für das zurückgezogene Boston.
Bewerbung spätestens am 15. September interna- Am 16. September veröffentlicht das IOC den Inhalt des
tional seinen Lauf nimmt und im Sommer 2017 bei Ausrichtervertrags. Am 29. November stimmen die Bürger
der Vollversammlung des IOC in Lima glorreich Hamburgs über die Bewerbung in einem Referendum ab.
enden soll. Doch Hamburg kann noch andere Neu ist nach der IOC-Session in Kuala Lumpur, dass es
Qualitäten einbringen. Die reiche Stadt prosperiert, keine Reduzierung des Bewerberfeldes geben wird. Wer
sie wird zudem vom Scholz-Senat ordentlich sich bis zum 15. September anmeldet, ist bereits Kandidat
regiert. Sie ist ein großer Anziehungspunkt mit und stellt sich damit der Abstimmung der Vollversamm-
einem durchschnittlichen Bevölkerungswachstum lung im September 2017 in Lima. Es bleibt bei einem
von 7,5 Prozent jährlich. Politik und Wirtschaft Prüfbericht durch eine Evaluierungskommission als Grund-
stehen hinter der Bewerbung, und nach Umfragen lage für die Entscheidung der über 100 IOC-Mitglieder. Im
bisher auch eine starke Mehrheit der Bürger. Frühjahr 2017 können sie sich bei einer Präsentation in
Langsam, aber nicht zu spät ist auch die Bundesre- Lausanne eingehend mit den Plänen der Kandidaten ver-
gierung als Unterstützer aus ihrem Versteck traut machen. Nach wie vor gilt ein Besuchsverbot der
gekommen, als Zeichen für eine Bewerbung Olympier für Kandidaten-Städte.
Deutschlands mit Hamburg. Die feste Zusage von
10 Millionen Euro (die bis zu 30 Millionen erhöht BEWERBUNGSGESELLSCHAFT: Anteilseigner an der Olym-
werden könnte) für die mit 50 Millionen Euro pia GmbH sind der Deutsche Olympische Sportbund
zurückhaltend geplanten Bewerbungskosten sind (DOSB) mit 51 Prozent, dazu kommen Hamburg (26),
ebenso ein Zeichen wie die Beteiligung an der Deutschland (18), Schleswig-Holstein, Kiel (je 2) und Han-
Bewerbungsgesellschaft, personifiziert durch delskammer Hamburg (1). Sie kommen zusammen für die
Innenminister Thomas de Maiziére. Die hatte es mit 50 Millionen Euro geplanten Bewerbungskosten auf.
zuletzt bei Münchens erfolgreichem Anlauf auf die Die Bundesregierung hat vorerst 10 Millionen Euro fest
Spiele 1972 gegeben. Da es sich um eine deutsche zugesagt. Hamburg plant maximal 15 Millionen Euro ein.
Kandidatur handelt, ist sicherlich nicht zum Nach- Die Wirtschaft hat einen Anteil von 25 Millionen Euro
teil, dass das Land weltweit Ansehen genießt. versprochen.
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