Beitrag: Die Wahl im Flutgebiet an der Ahr-Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Die Wahl im Flutgebiet an der Ahr –
             Was folgt aus der Katastrophe?

Sendung vom 28. September 2021

von Christian Esser und Manka Heise

Anmoderation:
Es bleibt spannend - auch nach der Wahl und bestimmt noch
eine ganze Weile. Denn jetzt geht es darum, welche Koalition
mit dem Votum des Volkes möglich ist. Der Wunsch nach
Veränderung ist offenkundig groß. Aber zugleich gibt es in
diesen unsicheren Zeiten eine große Sehnsucht nach
Beruhigung. Diese „Sowohl - als auch“–Stimmung ist ein
Dilemma für Reformen. Fest steht: Olaf Scholz mit der SPD ist
der Wahlgewinner. Aber auch Armin Laschet könnte
theoretisch Kanzler werden. Viel hängt ab von zwei kleineren
Parteien, auch die künftige Klimapolitik.
Das lässt sich beim Klimaschutz am besten untersuchen.
Legen wir das Thema also unters Brennglas: frontal war in
ganz Deutschland unterwegs - bei vielen Bürgerinnen und
Bürgern gilt die Klimakrise als DAS Thema. Aber gleichzeitig
gibt es auch die Sorge vor den Einschnitten. Im Ahrtal in
Rheinland-Pfalz hat die Flutkatastrophe Tod und Zerstörung
hinterlassen. Trotzdem - oder gerade deswegen – wünschen
sich viele Menschen in dieser Region, dass alles wieder so
wird, wie es immer war. Christian Esser und Manka Heise
waren vor Ort.

Text:
Insul, ein paar Tage vor der Wahl - das Dorf, nach wie vor
schwer gezeichnet von der Flutkatastrophe, die Not noch
immer groß.

Helga Lewandowski hat alles verloren - und nur knapp die
Flut überlebt.

O-Ton Helga Lewandowski, Anwohnerin Insul:
Der Druck, das Wasser kam ja rein, ich kam ja gar nicht mehr
hier weg. Das kam ja von da und von hier gleichzeitig.
Deshalb ist ja die Tür mir ins Kreuz geschlagen und fiel dann
hier runter. Ja, ja, so war das.

O-Ton frontal:
Glück gehabt.

O-Ton Helga Lewandowski, Anwohnerin Insul:
Mehr wie Glück.

O-Ton frontal:
Wählen Sie jetzt grün?

O-Ton Helga Lewandowski, Anwohnerin Insul:
Das weiß ich nicht, das weiß ich nicht. Ja, was macht man
da?

Was sie wählt, will sie nicht verraten. Doch aus Tradition
machen die meisten hier ihr Kreuz bei schwarz.

Mechthild Heil auf Stimmenfang bei den Flutopfern. Sie ist
Direktkandidatin der CDU für das Ahrtal. Ihr Versprechen: Es
soll alles schnell wieder aufgebaut werden.

O-Ton Mechthild Heil, CDU, Bundestagsabgeordnete:
Wenn man in den Bereichen, wo die Ahr war, nicht bauen
dürfen, dann können Sie die die ganze Altstadt Ahrweiler
wegreißen, ja. Da hätte übrigens in Hamburg auch keiner
mehr wohnen dürfen. Ja, ganz Hamburg war überflutet. Da ist
ja auch keiner auf die Idee gekommen und hat gesagt: Oh,
die dürfen da nicht mehr wohnen, könnte ja noch mal eine
Flut kommen. Sondern man muss was machen, was die
Menschen schützt.

Ein Versprechen, das verfängt. Auf Grüne und Naturschützer
sind die meisten hier nicht gut zu sprechen. Viele sind fest
davon überzeugt: Nicht allein die Klimakrise, sondern
der übertriebene Naturschutz war so zerstörerisch.
Weggeschwemmtes Totholz habe Häuser und Brücken
zerstört.

O-Ton Mechthild Heil, CDU, Bundestagsabgeordnete:
Ja, das Totholz - das erzählen sie aber alle, das erzählen
wirklich alle, dass sie früher im Herbst alle immer draußen
waren und haben das Totholz rausgeholt. Und jetzt aus
Umweltschutzgründen sagt man, das ist ökologisch wertvoll.

O-Ton Anwohner:
Im Rahmen der Renaturierung durfte man 40 oder 50 Meter
links und rechts der Ahr nichts wegräumen.

O-Ton Anwohner:
Da sich das Eisvögelchen draufsetzen und kann nach den
Fischen gucken, ne. Und das hat sich jetzt gerächt.

Video, Quelle: NABU, vom 22.9.2021:

Doch inzwischen reißen Bagger sogar lebende Bäume der
Auenwälder im Naturschutzgebiet heraus. Umweltschützer
sind schockiert:

O-Ton Thomas Brötz, NABU Ahrweiler:
Allerdings kann man jetzt nicht pauschal sagen, Totholz oder
überhaupt Gehölze in der Aue sind schlecht – wie heißt es –
schlecht für den Hochwasserschutz. Weil, die Bäume halten ja
auch den Boden fest. Und wenn wir jetzt keine Gehölze mehr
haben, dann ist ist das nachher kein Holz, das kommt,
sondern das ist im Grunde eine Schlammlawine, die kommt.

Der Naturschutzbund wirft den Politikern vor Ort vor, nicht
ehrlich mit den Wählern zu sein und sie nicht ausreichend vor
den Folgen des Klimawandels zu schützen.

O-Ton Cosima Lindemann, NABU Rheinland-Pfalz:
In einer Situation vor einer Bundestagswahl tut man sich
immer damit schwer, Wahrheiten zu sagen. Man muss den
Leuten ehrlich sagen, dass sie im Hochwassergebiet bauen.
Man kann da bauen, aber man muss eben wissen, was es
bedeutet.

O-Ton frontal:
Was bedeutet das konkret?

O-Ton Cosima Lindemann, NABU Rheinland-Pfalz:
Das bedeutet mitunter, dass mir alle paar Jahre das untere
Stockwerk vollläuft.

Doch Ortsbürgermeister Ewald Neiss und Mechthild Heil sind
sich einig: Auch in Insul muss neues Bauland geschaffen
werden.

O-Ton frontal:
Aber muss man das jetzt nicht neu denken und sagen, dass
Risiko ist zu groß, dass die Häuser wegschwimmen?

O-Ton Ewald Neiss, parteilos, Ortsbürgermeister Insul:
Nein, nein und noch mal nein. Dieser verheerende Schlamm
und Matsch, das war noch nie da. Wasser hat auch noch nie
oben gestanden. Es war verheerend und ist verheerend – wir
wollen alle hoffen, dass es nicht mehr kommt. Können wir nur
einfach hoffen!

O-Ton frontal:
Und weitermachen?

O-Ton Ewald Neiss, parteilos, Ortsbürgermeister Insul:
Und weitermachen!

Dann der Wahlabend in Insul.

O-Ton Ewald Neiss, parteilos, Ortsbürgermeister Insul:
CDU 160, die SPD 37.

In Insul wird die CDU mit 35,9 Prozent stärkste Kraft, wieder
mal.

In der CDU-Geschäftsstelle kann sich Mechthild Heil freuen.
Sie hat ihr Direktmandat verteidigt. Vor allem die Menschen
im Ahrtal haben sie mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt.

O-Ton frontal:
Wie wichtig waren für Sie die Kommunen im Ahrtal?

O-Ton Mechthild Heil, CDU, Bundestagsabgeordnete:
Jetzt im Ergebnis kann ich sehen, die waren für mich sehr
wichtig. Ich bin da wirklich ein bisschen stolz auf die Leute,
dass die auch trotz der vielen Sorgen, die sie wirklich haben,
auch gesagt haben, wir gehen zur Bundestagswahl.

Auch viele, die Haus und Hof in der Flut verloren haben,
wählen weiter CDU.

O-Ton Ewald Neiss, parteilos, Ortsbürgermeister Insul:
Die Leute waren schon immer CDU eigentlich hier – und CDU-
lastig, wie man das nennen will. Und es hat sich nicht viel
geändert.

O-Ton frontal:
Auch nicht durch die Klimakrise?

O-Ton Ewald Neiss, parteilos, Ortsbürgermeister Insul:
Nein, nicht durch die Klimakrise - die haben in dem Moment,
wo sie gewählt haben, nicht an die Klimakrise gedacht.
Dort, wo die Folgen der Klimakrise am stärksten zu spüren
sind, haben die Menschen sich entschieden: für ein Weiter so.
Die Grünen kamen im Wahlkreis Ahrweiler gerade mal auf
zwölf Prozent.

Abmoderation:
Ohne den Klimawandel wäre die Menge der Niederschläge
beim Ahr-Hochwasser mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich
geringer ausgefallen, sagt der Deutsche Wetterdienst. Im
Klartext: Die sintflutartige Zerstörung wäre so nicht
gekommen.

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